WissensRessourcen
In Vergangenheit wie Gegenwart ist Wissen eine Ressource ersten Ranges. Was mit dem Begriff gefasst wird, ist jedoch eine Frage der Definition. Wissen im Verständnis des SFB 1070 beruht auf einem Dreischritt aus Erfahrung, Wahrnehmung und Deutung: Menschen nehmen ihre Welt nicht voraussetzungslos wahr; sie selektieren vielmehr und weisen dem Wahrgenommenen kulturellen Sinn zu. Die Muster, die diese Sinnstiftung wesentlich konfigurieren, beruhen auf früheren Erfahrungen und Formen der Erinnerung. Das Wahrgenommene und Erinnerte kann aber jeweils auch wieder bewusst umgedeutet und interpretiert werden. Wissen ist damit das Ergebnis eines mehrschichtigen Prozesses der Aufnahme, Speicherung und mentalen Verarbeitung von Informationen über die Welt.
Die Bewahrung und Weitergabe, aber auch die fortwährende Aktualisierung von Wissen sind von zentraler Bedeutung in allen Kulturen. Hierzu werden Gegenstände wie Bilder, Texte und Monumente oder Institutionen wie Zünfte und Schulen geschaffen, die durch Praktiken wie Erzählungen und Rituale eine aktive Rolle der Wissensschaffung und -vermittlung einnehmen. Wissen beinhaltet damit drei Dimensionen: einen Korpus an Aussagen, Formen der Repräsentation und soziale Praktiken und Institutionen, die mit diesen einhergehen (Foucault 1973; 1976; Barth 2002). Der SFB 1070 untersucht diese drei Dimensionen, die in unterschiedlichem Maße in den Quellen der beteiligten Fächer zum Ausdruck kommen, anhand verschiedener Fallbeispiele. Wenn es die Quellen erlauben, soll dabei auch Michael Polanyis (1966) Unterscheidung von explizitem und implizitem Wissen beachtet werden. Als explizit gelten Wissensinhalte, über die ein Subjekt bewusst verfügen und die es gegebenenfalls auch sprachlich ausdrücken kann. Implizite Inhalte (tacit knowledge) sind Teil eines intuitiven Denkens und Handelns, welches nicht auf eindeutigen Regeln bzw. Theoremen basiert. Hierzu gehören Sinneseindrücke, Empfindungen, soziale Regeln und Werte, aber auch erlernte körperliche Fertigkeiten und Reflexe, die als Teile eines menschlichen Handels betrachtet werden. Andere Autoren beschreiben diese grundlegende Unterscheidung als praktisches und diskursives Wissen.
Ein für den SFB 1070 relevanter Ansatz betrachtet die Verbindung zwischen Wissen und Macht. Die Verbindung von Wissen und Macht wird im Anschluss an Foucault häufig als wechselseitig beschrieben: Nicht nur impliziert Wissen Macht, umgekehrt wird Wissen auch durch Machtmechanismen gelenkt (Foucault 1973; 1976; Weiler 2005). Welches Wissen als bedeutsam erachtet wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa der Wissenschaftsförderung, Lehrplänen oder medialen Schwerpunktsetzungen. Durch gesellschaftliche Prozesse erhalten auch bestimmte Gruppen, allgemein als ‚Experten‘ bezeichnet, die Deutungshoheit für spezifische Themen. Insofern ist es wichtig, die Schaffung von Expertise, die Autorisierung ihrer Inhaber und die Ökonomisierung von Wissen zu untersuchen (Boyer 2008; Engelhardt/Kajetzke 2015; Hornidge 2013).
Konkrete Beispiele von WissensRessourcen, die in den verschiedenen Fallbeispielen des SFB 1070 eine Rolle spielen, sind etwa technisches Wissen, Sprachwissen, Handlungswissen, medizinisches Wissen/Körperwissen, Umweltwissen, naturwissenschaftliches Wissen, Geschichtswissen/kollektive Erinnerungen sowie religiöses Wissen.