Uni-Tübingen

Projektbereich F: Mobilisierung

Im Projekt­bereich F steht die Frage im Zentrum, welchen Einfluss Mobilisierungs­phänomene auf das Wechsel­verhältnis von Bedrohungs­diagnose und Bewältigungs­praxis nehmen können und welche Rolle ihnen im Prozess des re-ordering zukommen kann. Mobilisierbar sind einerseits Akteure, Gruppen und Gesell­schaften, andererseits Ressourcen im weitesten Sinne: neben Men­schen etwa auch materielle Güter (vgl. F01, F03, F07, F09), religiöse Vor­stellungen (F01, F02, F03), Ideen und Wissen (F03, F04, F08, F09) oder auch abstrakte Größen wie Recht oder Geschichte (F02, F07). Fragen nach agency und Macht bilden, da es sich bei Mobili­sierungen stets um angeleitete Prozesse handelt, weiterhin einen Schwer­punkt der Teilprojekte des Projekt­bereichs F, der raum-, zeit- und fächer­über­greifend angelegt ist, um ein möglichst breites Spektrum empirischer Fall­studien zu gewinnen: Diese umfassen den gesamten globalen Raum, zeitlich erstrecken sie sich von der Spät­antike bis in die Gegen­wart.

Die im Projekt­bereich F versammelten Projekte nehmen Ord­nungen in den Blick, die aus der Perspektive der Akteure fundamentalen bzw. universalen Charakter besitzen: über­greifende Imperien, politische, soziale und religiöse Ord­nungen, global governance, gesamt­gesell­schaftlich akzeptierte Identitäts­narrative sowie den Globalisierungs­diskurs, der große Teile der westlichen Welt prägt(e). Wie in der 2. Förder­periode werden die Formen der Universali­sierung von Einzel- und Gruppen­interessen zu Mobilisierungs­zwecken, d.h. das Verhältnis von Partikularem und Gemeinsamen im Bewältigungs­handeln, wieder eine wichtige Rolle spielen; auch die argumentativen, rhetorischen und affektiven Strategien der Mobili­sierung werden weiterhin einen Flucht­punkt des gemeinsamen Nach­denkens bilden. Nähere Auf­merksamkeit wird im 3. Förder­abschnitt zudem der Zusammen­hang zwischen Mobili­sierung und der Hervor­bringung der vier rekurrenten Muster im re-ordering-Prozess finden. Inwiefern lassen sich der Einsatz von Topoi oder die Imple­mentierung von Narrativen in die Bedrohungs­kommunikation als Voraussetzung, als Mechanismen oder Folgen von Mobili­sierung beschreiben? Zu erwarten ist, dass u.a. die Analyse religiöser Argumentations­formen (so etwa in den Teil­projekten F01, F02, F03 und F08) vertieften Auf­schluss über die Hervor­bringung und Wirkungs­weise von Topoi und Narrativen im re-ordering geben wird. In welcher Weise, so lässt sich weiter­fragen, gestalten die jedem Mobili­sierungsakt inhärenten Macht­aspekte Verschiebungen von Grenzen zwischen (Teil-)Ordnungen und Gruppen bzw. (Re-)Hierarchisierungs­prozesse innerhalb von Gruppen und Institutionen? Nicht zuletzt die Teil­projekte F01, F02, F07 und F09, die den Fokus u.a. auf Regierungs­handeln legen und damit explizit auch agency-Fragen thematisieren, dürften zu dieser Frage wichtige Ergebnisse beisteuern. 

Strategien der Mobili­sierung sind, so die Vermutung, in hohem Maß abhängig von dia­chronen Interde­pendenzen der jeweils Bedrohten Ordnung – von Erfahrungen oder Wissen um frühere Maß­nahmen in Situationen Bedrohter Ord­nung, die den Akteuren vergleichbar erscheinen (selbst dann, wenn sie aus der retro­spektiven Perspektive unter­schiedlichen Epochen zugeordnet werden); gleich­zeitig dürften Ordnungs­entwürfe, Zukunfts­projektionen und -visionen eine Rolle für die Mobilisierung von Menschen und Ressourcen sowie die damit einher­gehende Konstruktion von Ord­nungen im re-ordering-Prozess gespielt haben und weiterhin spielen. Die Frage nach Erfahrung und Wissen wird daher explizit und z.T. epochen­über­greifend in den Teil­projekten F01, F02 und F04 aufgegriffen, während Zukunfts­entwürfe in den Diskussionen zu den Teil­projekten F03 und F09 von größerer Relevanz sein werden; es geht hier zum einen um religiöse, zum anderen um politische Be­gründungen der Ge­staltung zukünftiger Ord­nungen. Die Analyse syn­chroner Inter­dependenzen Bedrohter Ordnungen mit Blick auf Mobilisierungs­prozesse wiederum wird Aspekte beleuchten, deren Themati­sierung unter bisher erprobten Zugriffen schwierig ist. Welche Aus­wirkungen etwa hat der Einsatz von Ressourcen, die aus anderen Ordnungen gewonnen werden, für Erfolg oder Misserfolg von Mobili­sierungen? Beeinflusst er das Zusammen­spiel mit den übrigen Leit­begriffen des re-ordering? Erhöht sich der Druck auf die Akteure und werden ihre Mobilisierungs­strategien durch Einblicke in syn­chrone Ordnungen beeinflusst? Und in welcher Weise können Mobilisierungs­leistungen mit hohem Gestaltungs­anspruch auch Ord­nungen jenseits der jeweils Bedrohten Ord­nung affizieren? – Fragen, die sich exemplarisch etwa im Teil­projekt F07 diskutieren lassen, das syn­chrone Ordnungen in der inter­nationalen Politik unter­sucht.

Im Projekt­bereich F wird Mobili­sierung somit weiterhin als jener Aspekt inner­halb komplexer re-ordering-Prozesse betrachtet, in dem der Faktor Macht in besonderer Weise zum Tragen kommt und das Zusammen­spiel mit Diagnose, Bewältigungs­handeln und Reflexion moduliert. Es werden daher nach wie vor jene Fragen thematisiert werden, mit denen der Projekt­bereich bereits in der 2. Förder­periode befasst war und die vor­wiegend auf die agency der Akteure aus­gerichtet sind. Durch die Fokussierung der vier rekurrenten Muster und die Problematisierung syn- und diachroner Ordnungs­inter­dependenzen wird eine Ver­feinerung des Versuchs­aufbaus vorgenommen, die es uns erlauben wird, im Projekt­bereich F auch in der 3. Förder­periode drei wesentliche Leistungen zu erbringen, die für die Aus­arbeitung des Modells Bedrohter Ord­nungen und die Adressierung der zentralen Ziele des SFB von hoher Be­deutung sind. Projekt­bereich F entwickelt (1.) in inter­disziplinärem, global angelegten und epochen­über­greifenden Zugriff Vorschläge zum präziseren Verständnis der Aus­wirkungen macht­induzierter Mobilisierungs­prozesse auf das re-ordering in Bedrohten Ord­nungen. Er bestimmt dabei (2.) das Verhältnis von Akteuren und Ressourcen, von partikularen und universalen Interessen sowie von individueller und institutionalisierter Macht exakter. Er trägt (3.) dazu bei, traditionelle Raum- und Zeit­kategorien neu zu durch­denken, indem ähnliche Phänomene in unter­schiedlichen Zeit­schnitten und verschiedenen Regionen über die Frage nach den Wirkungen von Mobilisierungs­prozessen auf das Wechsel­verhältnis von Bedrohungs­diagnosen und Bewältigungs­praxis miteinander in Beziehung gesetzt werden. Dabei werden Fragen nach der Bedeutung unter­schiedlicher Kommunikations­bedingungen und daraus resultierender divergenter Zeit­regimes wiederum ebenso in den Blick kommen wie die damit zusammen­hängenden unter­schiedlichen Strategien, Be­drohungen zu kommunizieren.