Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2012: Termine und Veranstaltungen

Talk und Show ‒ Roger Willemsen war Gast der Tübinger Medienwissenschaft

Die Lust auf Neues ist im Fernsehen verschwunden, findet der Journalist

Er hat den Dalai Lama befragt, den PLO-Chef Arafat, den König von Jordanien, Woody Allen, Sting, Vivienne Westwood und Madonna: Roger Willemsen hat Politiker solange interviewt, bis ihm der Intendant eines Senders dies untersagte, eben wegen seiner Art und Weise des Fragens. Er hat mit Sportlern gesprochen, mit Designern und Modemachern, Musikern, aber auch mit einem Bankräuber, einem Kannibalen oder einem Vergewaltigungsopfer – dies alles unter den Augen eines Fernsehpublikums und stets dem Risiko ausgesetzt, allein den Voyeurismus der Zuschauer zu bedienen, die sich womöglich gruseln, aber nicht verstehen wollen.

Sein unverwechselbarer, individualisierender Gesprächs- und Interviewstil hat ihn bekannt gemacht, ihm Preise und Anerkennung eingebracht. Dennoch hat sich Willemsen eines Tages von der eigenen Talkshow verabschiedet, laufende Verträge gekündigt, weil es ihm – so sagt er – zu aufreibend schien, weiterhin vor allem für das „Medium der systematischen Unterforderung zu arbeiten“.

 

In einer fulminanten Rede im November vergangenen Jahres analysierte er im voll besetzten Audimax der Universität Tübingen die aktuelle Inflation der Talkshows, kommentierte die Quotenfixierung – und machte deutlich, dass die Interview- und Gesprächskultur im Fernsehen sehr viel über den Zustand des Journalismus insgesamt verrät. Roger Willemsen: „Der Erfindergeist, die Lust am Unausgegorenen, das Halbstarke hat sich weitgehend aus dem Fernsehen zurückgezogen. Es gibt noch ein paar Lichtblicke, aber im Wesentlichen ist die Lust auf Neues verschwunden. Man hat begriffen, was Fernsehen ist: ein Medium, das nur in Massenabstimmung existiert.“ Inzwischen hat der Medienkritiker und Bestsellerautor seine Tübinger Rede für den Druck überarbeitet; diese wird in der Publikationsreihe der Tübinger Medienwissenschaft in Kürze erscheinen und an Studierende und ein interessiertes Publikum kostenlos abgegeben.

Bernhard Pörksen

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