Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2016: Forschung

Jean Monnet Centre of Excellence für Universität Tübingen

Im Fokus: die Rolle von Regionen und Regionalisierungsprozessen im Rahmen der Europäischen Integration

An der Universität Tübingen hat das Jean Monnet Centre of Excellence “Positioning Regions and Regionalism in a Democratic Europe” (PRRIDE) seine Arbeit aufgenommen. PRRIDE setzt die Arbeit des Jean Monnet Lehrstuhls von Professorin Dr. Gabriele Abels am Institut für Politikwissenschaft fort. In diesem Lehrstuhlprojekt wurden von 2011 bis 2014 der Kompetenzzuwachs und der Funktionswandel von nationalen und subnationalen Parlamenten sowie interparlamentarischen Kooperationen im Zuge des Vertrags von Lissabon aus politikwissenschaftlicher Perspektive untersucht. Das Jean Monnet Centre ist dagegen interdisziplinär ausgerichtet und vereint politikwissenschaftliche, rechtswissenschaftliche und humangeografische Forschungsansätze. Der Fokus von PRRIDE liegt dabei auf der Rolle, die Regionen und Regionalisierungsprozesse im Rahmen der Europäischen Integration spielen. Dabei werden sowohl Regionen und deren – gemeinsame – Aktivitäten im Mehrebenensystem der Europäischen Union (EU) analysiert als auch deren Beitrag zur Verbesserung der demokratischen Qualität europäischen Regierens.

Die Jean Monnet Centres of Excellence werden von der Europäischen Kommission im Rahmen des ErasmusPlus-Programms gefördert, PRRIDE wird drei Jahre lang bis einschließlich August 2018 mit einer Gesamtfördersumme von 75.000 Euro aus diesem Topf finanziert.

Die Forschungsarbeit von PRRIDE wird sich zunächst auf zwei Bereiche konzentrieren

1. Innerstaatliche Regionalisierungsprozesse in Europa und ihre Folgen

In zahlreichen EU-Mitgliedstaaten finden Prozesse der Regionalisierung und Dezentralisierung staatlicher Strukturen statt, ohne dass dies in formal regionalisierte oder föderale Staatlichkeit einmünden muss. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte „Devolution“ im zentralstaatlichen Großbritannien, die vor kurzem erst zu einem Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands führte. Diese Prozesse werden vielfach vom europäischen Integrationsprozess mit beeinflusst, so dass von einer „Europäisierung der territorialen Politik“ gesprochen werden kann. Erstmals wurde mit dem Maastricht-Vertrag 1992 und der Schaffung des Ausschusses der Regionen 1994 die regionale Dimension in der Europäischen Union anerkannt. Mit dem zum 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon, der die EU institutionell reformierte und die Gemeinschaft transparenter und demokratischer machen sollte, wurde die Bedeutung der Regionen Europas weiter aufgewertet.

Zahlreiche Regionen sind heutzutage intensiv darum bemüht, in EU-Angelegenheiten eine aktivere Rolle zu spielen und ihre territoriale Interessenpolitik zu verbessern. Dies betrifft die Regierungen, aber zunehmend auch die Volksvertretungen in den Regionen, die erst in jüngster Zeit in den Blick der Forschung genommen werden. So werden etwa Regionalparlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen im Rahmen der sogenannten Subsidiaritätskontrolle gestärkt. Auch regionale und lokale Gebietskörperschaften spielen für die Umsetzung von EU-Politik in allen Mitgliedsstaaten eine herausragende Rolle und bauen ihre europapolitischen Kompetenzen aus. Beide Phänomene – sowohl die Rolle regionaler Parlamente im Gesetzgebungsprozess der EU als auch die Rolle der Regionen bei der Umsetzung von EU-Recht, insbesondere in den Bereichen Verkehr, Umwelt, Energie, Jugend und Kultur, – stehen im Mittelpunkt der PRRIDE-Forschungsanstrengungen.

2. Makroregionale Strategien in der EU

Seit einigen Jahren ist die Herausbildung von grenzüberschreitenden Makro-Regionen zu beobachten, welche für die Regional- und Kohäsionspolitik der EU eine wichtige Rolle spielen. Die Kohäsionspolitik zielt auf eine Umverteilung zwischen reicheren und ärmeren Regionen in der EU, um die Folgewirkungen der ungleichen wirtschaftlichen regionalen Entwicklung auszugleichen. Herausragende Beispiele sind etwa die Makro-Regionen Donauraum und Ostseeraum oder auch die Mittelmeerregion. So wurde die Donauraum-Strategie – unter anderem unterstützt durch die baden-württembergische Landesregierung und andere Partner – von der Europäischen Kommission entwickelt und dient der Stärkung der Zusammenarbeit der Donauanrainerstaaten und -regionen, insbesondere in den Bereichen Infrastruktur und Transport, Energie und Umwelt, jedoch auch bezogen auf Kultur, Bildung und Tourismus. Über die Bedingungen der Herausbildung solcher Makro-Regionen, ihre Strukturen und Probleme ist bislang relativ wenig bekannt. Ziel des Centers ist es, den Stand der Forschung hierzu zusammenzutragen, ihr integrationstheoretisches Potential zu bewerten und ihr neue Impulse in Theorie und Empirie zu geben.

Das neue Forschungszentrum wird außerdem Gastaufenthalte junger Nachwuchsforscher und Nachwuchsforscherinnen, Gastvorträge und internationale akademische Konferenzen organisieren.

Jan Henning Ullrich

Die PRRIDE-Website ist zu erreichen unter:
http://www.wiso.uni-tuebingen.de/faecher/ifp/lehrende/abels/jean-monnet-centre-prride.html.

Geleitet wird das Jean Monnet Centre of Excellence PRRIDE von Professorin Dr. Gabriele Abels am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen, zuständig für die akademische Koordination ist Jan Henning Ullrich.

Anfang Juni (01.06.-10.06.2016) wird Dr. Anna-Lena Högenauer von der Universität Luxemburg für einen Forschungsaufenthalt am PRRIDE-Center zu Gast sein. Sie wird neben einem Vortrag zur Rolle regionaler und nationaler Parlamente in der EU im Institutskolloquium auch ein Kompaktseminar für Master-Studierende der Universität Tübingen zum Thema „Akteure und Struktur politischer Systeme in Europa: Territorial Interest Representation in the EU“ anbieten.

Ebenfalls Anfang Juni (07.06.-09.06.2016) kommt Dr. Wilfried Swenden von der Universität Edinburgh für einen Gastvortrag nach Tübingen, um im Rahmen einer gemeinsam mit dem Europäischen Zentrum für Föderalismusforschung (EZFF) organisierten Veranstaltung einen Abendvortrag zum Thema Regionalismus in Europa und Indien im Vergleich zu halten. Im Rahmen dieser Veranstaltung wird das Jean Monnet Centre for Excellence "PRRIDE" auch offiziell eröffnet.

Ende September 2016 (29.09. bis 01.10.2016) findet ein von PRRIDE organisierter 2-Panel-Workshop zum Thema „Makro-Regionen und Regionalisierungsprozesse im Kontext der Europäischen Integration“ statt, und zwar im Rahmen der 3-Länder-Tagung der DVPW, ÖGPW und SVPW an der Universität Heidelberg.