Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2017: Forschung

Antibiotika-resistente Bakterien frühzeitig gezielt bekämpfen

Interview mit dem Tübinger Mikrobiologen Professor Dr. Andreas Peschel

Antibiotika-resistente Bakterien breiten sich besorgniserregend aus – und stellen nicht mehr nur in Kliniken ein Problem dar. DZIF-Wissenschaftler an der Universität Tübingen plädieren in der Zeitschrift Science für die Entwicklung von Wirkstoffen, die diese resistenten Bakterien selektiv bekämpfen, bevor sie Infektionen auslösen können. Karola Neubert sprach mit Prof. Andreas Peschel, einem der Autoren, über diese Strategie.

Sie sehen die Gefahr einer postantibiotischen Ära, in der keine wirksamen Antibiotika mehr zur Verfügung stehen. Wie bedrohlich ist die Situation derzeit?

Wir sehen in vielen Ländern der Erde, auch in unseren Nachbarländern, dass für bestimmte Erreger kaum noch Antibiotika verfügbar sind und dass hochresistente Keime, die vor allem im Darm vorkommen, Infektionen verursachen, die kaum noch behandelbar sind. Bei uns in Deutschland gibt es solche Fälle auch, es gibt immer wieder Ausbrüche und vereinzelt Todesfälle. Das ist im Moment zwar noch kein dramatisches Problem, aber die Zahlen steigen. Und wir müssen damit rechnen, dass wir in ein paar Jahren in einer bedrohlichen Situation sind. Erschwerend kommt hinzu: Es sind nicht mehr nur Krankenhauskeime, sondern die resistenten Bakterien kommen auch bereits in der Bevölkerung vor. Es gibt also eine paradigmatische Änderung, die so noch gar nicht wahrgenommen wird. Unser Artikel in Science nimmt das erstmals in dieser Form in den Blick.

Sie und Ihre Kollegen schlagen vor, in Zukunft auf Wirkstoffe zu setzen, die selektiv gegen resistente Bakterien wirken, bevor sie Infektionen auslösen. Was ist gemeint?

Wir reden alle darüber, dass wir neue Wirkstoffe brauchen und das unterstützen wir auch. Aber wir fügen einen Punkt hinzu. Wir brauchen nicht nur Antibiotika für die Therapie der Infektionen, sondern wir erkennen, dass die allermeisten Infektionen, von Erregern ausgelöst werden, die wir bereits mit uns herumtragen. Wir gesunden Menschen, aber natürlich auch die immungeschwächten Risikopatienten in verstärktem Maße, haben die Erreger schon im Darm oder auch in ihrer Nase, wie zum Beispiel Staphylococcus aureus. Wenn man eine schwere Infektion bekommt, ist der Auslöser in aller Regel der Keim, den man vorher schon in sich hatte. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten in der Prävention: Man kann und soll Patienten künftig früher auf diese Erreger screenen.

Vor welchen Bakterien müssen wir uns fürchten?

Die klassischen Erreger sind die sog. MRSA-Stämme, also Methicillin-resistente Staphylokokken, in der Nase. Hier ist es gelungen, einen weiteren Anstieg der Ausbreitung zu vermeiden. Das ist ein Erfolg. Jetzt kommen aber neue Darmbakterien hinzu, verschiedene Arten, z. B. Escherichia coli, Klebsiella, Enterobacter und andere, und die tragen neue Klassen von Resistenzgenen mit sich herum. Kombiniert mit anderen Resistenzen hat man hier oft keine alternativen Therapeutika.

Wie wird derzeit mit diesem Problem umgegangen? Welche Kontrollen gibt es?

Das hängt sehr stark vom einzelnen Krankenhaus ab und natürlich auch vom Land. Ein systematisches Screening auf diese neuen Darmbakterien gibt es bisher nicht. Man sieht, die Zahlen steigen. Und das ist unser entscheidender Punkt: Wenn man herausfindet, da ist ein Risikopatient, der mit solchen hochresistenten Keimen besiedelt ist: Was macht man mit dem? Isoliert man ihn, um andere Patienten zu schützen? Das ist schon mal sehr kontrovers, denn man weiß nicht viel über die Ausbreitung und ob durch eine Isolierung andere Patienten geschützt werden. Aber was kann man mit dem Patienten machen, wie kann man die resistenten Keime bei ihm eliminieren oder im Fachjargon, ihn dekolonisieren? Und das ist unsere vorgeschlagene Strategie, die Dekolonisierung der Risikopatienten.

Was genau ist mit Dekolonisierung gemeint?

Diese Wirkstoffe zur Dekolonisierung werden in Zukunft sehr wichtig sein, weil sie zur Prävention dienen. Man würde die Risikopatienten vor einer Chemotherapie oder einer schweren OP daraufhin untersuchen, ob sie in ihrem Darm oder in der Nase solche resistenten Bakterien haben. Dann braucht man Wege, um diese loszuwerden, die Patienten zu sanieren. Dafür brauchen wir eine neue Art von Wirkstoffen, die anders als antibiotische Therapeutika nicht eine Breitband-Wirkung haben, sondern gezielt auf diese drei oder vier besonderen Bakterienarten wirken.

Wie könnten diese Wirkstoffe funktionieren?

Im DZIF arbeiten wir an zwei Projekten, die schöne Beispiele darstellen. Die Versuche machen wir mit Staphylococcus aureus, aber die Prinzipien lassen sich auch auf die Darmbakterien übertragen. Ein Beispiel sind Bakteriophagen, also Viren, die Bakterien befallen und ganz spezifisch für eine bestimmte Art sind. So kann man zum Beispiel Staphylococcus aureus gezielt mit einem Phagenlysin angreifen. Wenn man dieses Enzym in die Nase schmiert, wird nur das eine Bakterium abgetötet, die anderen Arten in der Nase werden nicht beeinträchtigt. Das zweite Beispiel sind Bakteriozine, das sind antimikrobielle Moleküle, die von einem bestimmten Bakterium gebildet werden, um Konkurrenten abzutöten. Da haben wir zum Beispiel Lugdunin gefunden, das von einem Bakterium in der Nase produziert wird und Staph. aureus bekämpft. Das könnte für eine neue probiotische Strategie genutzt werden. Genau solche Dinge könnte man sich auch für den Darm überlegen, um andere Pathogene loszuwerden.

Neue Breitspektrum-Antibiotika sind in den kommenden Jahren nicht zu erwarten. Wie schnell könnten die von Ihnen vorgeschlagenen Dekolonisierungs-Wirkstoffe zum Einsatz kommen?

Das kann man jetzt noch nicht sagen. Wir werden sicher in den nächsten Jahren weiterkommen, denn wir haben einiges in Arbeit auch im DZIF. Der Science-Artikel hat aber vor allem das Ziel, die Diskussion anzustoßen. In den Pharmafirmen hat sich der Gedanke noch gar nicht durchgesetzt. Oft hört man von dort, man könne nicht genug damit verdienen. Dem setzen wir entgegen, dass die Zahlen durch Antibiotika-resistente Erreger besiedelter Patienten weltweit dramatisch steigen werden; es gibt viel mehr kolonisierte Patienten als solche, die infiziert sind. Wir hoffen, mehr Firmen zu motivieren, sich solchen spezifischen Wirkstoffen zuzuwenden.

Welche Schritte halten Sie außerdem für notwendig, um das Problem der Antibiotika-Resistenzen in den nächsten Jahren in den Griff zu bekommen?

Man muss an verschiedenen Fronten aktiv bleiben. Man muss auch Breitband-Antibiotika entwickeln. Man muss diese neue Klasse an engmaschigen Wirkstoffen entwickeln, die man zum Dekolonisieren braucht und parallel dazu braucht man ergänzende klinische Studien, die zum allgemeinen Verständnis beitragen und zum Teil auch im DZIF bereits laufen. Wir müssen zum Beispiel herausfinden, ob und wie die Keime unter den Patienten ausgetauscht werden. Und ein weiterer großer Punkt ist: Wenn wir diese Keime alle mit uns herumtragen, wo kommen sie denn eigentlich her? Und es spricht vieles dafür, dass sie aus der Tiermast kommen. Weil wir in Europa über 10.000 Tonnen Antibiotika in der Tiermast anwenden, die wir auch für uns Menschen brauchen. Wir müssen also auch die Reservoire verstehen und diese Kette unterbrechen. Das wichtigste vielleicht noch einmal zum Schluss: Diese Erreger kommen nicht aus dem Nichts. Wir müssen ihre Ausbreitung verhindern und neue Wirkstoffe entwickeln, die wir zur Dekolonisierung verwenden können.

Karola Neubert

Publikation

Evelina Tacconelli, Ingo B. Autenrieth, Andreas Peschel: Fighting the enemy within SCIENCE, 17. Februar 2017, doi: 10.1126/science.aam6372