Warum sollte man wissen wollen, wie schwer ein Neutrino ist? „Es wird uns mehr über einen wesentlichen Teil des Standardmodells der Teilchenphysik sagen,“ erklärt Professor Tobias Lachenmaier, Leiter der Arbeitsgruppe Neutrinophysik am Physikalischen Institut der Universität Tübingen. „Diese Teilchen sind die Bausteine unseres Universums, und haben Auswirkungen auf viele Phänomene der Astrophysik und Kosmologie. Daher ist es wichtig, sie zu verstehen.“
Lachenmaier, seine Kollegen am Kepler Center for Astro and Particle Physics der Universität und 600 andere Wissenschaftlern aus aller Welt versuchen diese Frage ein Stück weit zu beantworten. „Durch die Messung der Neutrinos können weitere wichtige physikalische Themen erforscht werden, wie etwa dunkle Materie im Universum, unbekannte Elementarteilchen und das Innere von Sternen.“
Neutrinos
Neutrinos gehören zu den leichtesten Elementarteilchen, die so schwach mit ihrer Umgebung interagieren, dass sie durch fast alles hindurchfliegen. Wegen ihrer sprichwörtlichen Unfassbarkeit haben sie den Spitznamen "Geisterteilchen". Man unterscheidet drei verschiedene Arten von Neutrinos: Elektron-Neutrinos, Myon-Neutrinos und Tau-Neutrinos.
Anders als ursprünglich angenommen, haben diese Teilchen eine Masse, sie ist für alle drei Neutrino-Arten unterschiedlich. Wie viel sie genau wiegen, ist jedoch bislang eine offene Frage. Das Projekt JUNO, an dem die Tübinger Physiker mitarbeiten, will erste Antworten auf diese Frage finden und gleichzeitig noch weitere Eigenschaften der Neutrinos untersuchen.
JUNO
Ein riesiger Öltank, 700 Meter unter der Erde, 53 Kilometer entfernt von zwei Kernkraftwerken in China. Das ist der Detektor des "Jiangmen Underground Neutrino Observatory", kurz JUNO. Im Jahr 2021 werden hier die Messungen zur Feststellung der Massenhierarchie der Neutrinos beginnen.
„JUNO sammelt Signale von Elektron-Antineutrinos, die aus den naheliegenden Kernkraftwerken kommen", sagt Axel Müller, Doktorand der Teilchenphysik. Zur Erklärung: Antineutrinos und ihr Gegenüber Neutrinos sind in fast jeder Hinsicht gleich, insbesondere ist ihre Masse gleich groß (siehe Info-Kasten unten). Deswegen kann man die Messergebnisse der Antineutrinos auf Neutrinos übertragen.
Der Standort in China ist laut Müller ideal, da dort in den kommenden Jahren mehrere leistungsstarke Kernkraftwerke in Betrieb gehen. „In diesen Kraftwerken werden bei der Spaltung von Uran jede Sekunde Trillionen dieser Antineutrinos freigesetzt. Aber JUNO wird nur etwa 80 pro Tag messen". Denn die meisten Neutrinos fliegen direkt durch den Detektor. Daneben haben die drei Neutrinoarten die Eigenschaft, dass sie sich in eine der anderen Arten verwandeln können. Die im Kernkraftwerk erzeugten Elektron-Antineutrinos können sich während ihres "Fluges" in Tau- oder Myon-Antineutrinos verwandeln. JUNO kann diese beiden Arten von Neutrinos nicht messen.
Auch die Elektron-Antineutrinos kann der JUNO-Detektor nicht direkt messen, sondern er misst Licht: Obwohl Neutrinos durch fast alles hindurchfliegen, stoßen sie im Detektor manchmal mit einem Ölteilchen, mit welchen der Detektor gefüllt ist, zusammen. Dadurch wird Licht erzeugt, das die Anwesenheit der Elektron-Antineutrinos verrät. „Durch die Messung dieses Lichts, können wir die Energie und die Position der Antineutrinos rekonstruieren und über einen Zeitraum von sechs Jahren lassen sich diese Messungen zu einem Energiespektrum zusammenfassen. Dieses Spektrum liefert uns viele Informationen über die Eigenschaften der (Anti-)Neutrinos“, erläutert Müller.