Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2022: Leute

DAS Buch zur Theorie der Elektronenoptik

Zum Tode von Professor Dr. Erwin Kasper ein Nachruf von David Wharam und ehemaligen Kollegen

Am 1. August 2022 ist unser langjähriger Kollege Prof. Erwin Kasper im Alter von 88 Jahren verstorben. Nach seiner Abiturprüfung 1954 und einem Jahr als Praktikant in der Metallindustrie hat Erwin Kasper im Jahr 1955 sein Studium der Physik in Münster begonnen. Bald wechselte er nach Tübingen, wo er sein Vordiplom im Jahr 1957 bestand. Seine Diplomarbeit zum Thema „Elektronenstoßanregung des 72P3/2-Zustandes des freien Cäsiumatoms und Messung von Hyperfeinstrukturübergängen nach der Doppelresonanzmethode“ fertigte er in der Experimentalphysik an und bestand seine Diplomprüfung im Februar 1963 mit der Note „sehr gut“. 

Anschließend siedelte Herr Kasper in die Angewandte Physik um, wo er seine Promotion zum Thema „Theoretische Untersuchungen über die Möglichkeit stigmatischer korpuskularer Fokussierung durch beliebige stationäre räumlich begrenzte elektrisch-magnetische Felder“ unter der Leitung von Prof. Friedrich Lenz im November 1964 mit Auszeichnung abschloss. Im Anschluss an seine Promotion wurde er zum Wissenschaftlichen Assistenten ernannt und 1966 besuchte er für ein Jahr die University of Arizona in Tucson als Research Associate. Seine Habilitation „Über die Theorie der inelastischen Streuung von Elektronen in Kristallen“ vollendete er im Sommer 1969 und wurde dann auch zum Universitätsdozenten ernannt. Ende 1970 ging er als wissenschaftlicher Oberrat am Institut für Bildung und Erziehung des Bundesministeriums für Verteidigung nach München. Die fehlenden Möglichkeiten zur selbständigen Forschung in München bewegten ihn 1972 nach Tübingen zurückzukehren, 1975 wurde er zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Im Mai 1978 erfolgte dann die Ernennung zum planmäßigen Professor für Theoretische Elektronenphysik, eine Position, die er bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1997 innehatte. 

Fundamentale Beiträge zum Verständnis der Elektronenoptik

Prof. Kasper hat im Rahmen seiner Forschung mehrere fundamentale Beiträge zum Verständnis der Elektronenoptik geliefert. Sein Integralsatz für stationäre elektromagnetische Felder hat die Gutachter seines Berufungsverfahrens so beeindruckt, dass diese postuliert haben, dass der Satz zukünftig als „Kasperscher Satz“ in den Lehrbüchern der Elektrodynamik zu finden sein wird. Im Wesentlichen galt Erwin Kaspers wissenschaftliches Interesse der theoretischen Elektronenoptik, klassisch und quantenmechanisch. Anfangs hat er durch analytische Ansätze interessante Eigenschaften herausgearbeitet, später hat er numerische Methoden verfeinert und selbst entwickelt, um komplexe Probleme zu lösen. Die ihm eigene Gründlichkeit kam hier voll zur Entfaltung. Während seine Programme für alle, die mit seiner Vorgehensweise vertraut waren, äußerst hilfreich waren, hat er es nie als seine Aufgabe angesehen, sie für „elektronenoptische Laien“ zu dokumentieren, die nur an Ergebnissen interessiert waren, ohne die verwendeten Methoden zu verstehen.

In seinen Vorlesungen hat Erwin Kasper die Themen immer mit äußerster Sorgfalt behandelt. Dazu lieferte er Skripte, die weit über den Hörerkreis hinaus für Elektronenoptiker von Interesse waren. Sie zeigten eine hohe Präzision in den Begriffen und Methoden und glänzten in ihrer ausgefeilten didaktischen Darstellung. Alles wurde in druckreifer Form niedergeschrieben. Erwin Kasper hatte die Fähigkeit, schwierige Sachverhalte klar und präzise darzustellen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass er später zusammen mit Peter Hawkes ein inzwischen in zweiter Auflage erschienenes vierbändiges Standardwerk der Elektronenoptik, die „Principles of Electron Optics“ verfasst und weiterbearbeitet hat. Die Neuauflage der Bände 3 und 4 ist gerade noch in diesem Frühjahr erschienen. Es handelt sich hier mit Sicherheit um die vollkommenste Darstellung des Gebiets der Elektronenoptik und stellt ein würdiges Denkmal für Prof. Kasper dar. 

Das Auslandsjahr an der University of Arizona in Tucson war wohl der Startschuss für eine ausgiebige Reisetätigkeit für Erwin Kasper und seine Frau, auch zu ausgefallenen Zielen. Später haben sie sich hauptsächlich auf die Himalaja-Region konzentriert, fühlten sich geistig und spirituell angezogen. Zu Hause war der ökologische Fußabdruck sehr reduziert: Herr Kasper nahm täglich den gut halbstündigen Fußmarsch zur Arbeit und zurück auf sich. Herausragende Merkmale von Erwin Kasper waren seine stetige Hilfsbereitschaft und seine ruhige und freundliche Art. Das Institut, seine Schüler und Schülerinnen werden ihn in ehrender Erinnerung behalten.