Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2023 – 23.02.2023

Appetizer für das Erasmus-Programm

Neues Kursprogramm von CIVIS ermöglicht Kurzaufenthalte an europäischen Universitäten

Eine Woche lernen in Athen, fünf Tage Feldforschung in Stockholm? Die europäische Universitätsallianz CIVIS macht’s möglich. Seit 2019 ist die Universität Tübingen Mitglied von CIVIS, einem Zusammenschluss von 11 Universitäten von Madrid über Glasgow bis Bukarest. CIVIS bietet unter anderem verschiedene Formate für den Studierendenaustausch an. Im vergangenen Herbst gestartet sind die „Blended Intensive Programmes“, kurz BIPs. Diese Kurse bestehen aus einer Reihe von Online-Lehrveranstaltungen kombiniert mit einer einwöchigen Präsenzphase an einer CIVIS-Universität. Wie unterschiedlich die BIPs in diesem Rahmen aussehen können, zeigen die Erfahrungen von Jenna Lacey und Mark Wendt Molina.

Jenna Lacey hat am BIP “Co-creating Urban Futures” mit Aufenthalt in Brüssel teilgenommen. Die US-Amerikanerin studiert im 3. Semester im Master “Policy and Social Change“, das englischsprachige BIP war für sie eine willkommene Gelegenheit, ihre Interessen im Bereich Urban Studies weiter zu verfolgen.

Im Oktober 2022 ging es zunächst mit vier Zoom-Sitzungen los, die ans Thema heranführten: Herausforderungen der Stadtgesellschaft und bürgerschaftliches Engagement in der Stadtentwicklung. „Die unterschiedlichen Perspektiven der rund 35 Teilnehmenden aus den einzelnen Ländern, aber auch aus verschiedenen Fächern waren sehr spannend,“ sagt Lacey mit Blick auf die interdisziplinär besetzte Runde, in der die meisten der elf CIVIS-Universitäten vertreten waren. Diese Erfahrung setzte sich beim Treffen in Brüssel fort, wo die Arbeit an Fallstudien zur Stadtentwicklung im Mittelpunkt stand. Nach einer methodologischen Einführung führte ein langer Stadtspaziergang die Studierenden zu den Schauplätzen der einzelnen Fälle. Im Anschluss musste in Kleingruppen ein Forschungsvorhaben formuliert werden, es folgten Interviews mit Akteuren der Projekte, danach Auswertung, Analyse und Präsentation. „Mit einem Pensum von 9 bis 18 Uhr war die Woche sehr arbeitsintensiv,“ so Lacey. Trotzdem blieb abends Zeit, sich in Brüssel umzusehen – in der ohnehin internationalen Stadt kam Lacey auch ohne Französischkenntnisse gut zurecht. Im Rahmen des BIP waren nur einzelne auf Französisch geführte Interviews eine Herausforderung, die sich mit Hilfe von Brüsseler Studierenden und einer Handy-App für Übersetzungen gut meistern ließ.

Zurück in Tübingen gab es eine Abschlusssitzung online, zudem müssen die Teilnehmenden eine Hausarbeit schreiben. Für das BIP erhält Jenna Lacey 6 ECTS-Punkte, „der Kurs zählt als interdisziplinäres Wahlmodul meines Studiengangs.“ Ihr hat das Programm vor allem wegen seiner akademisch-praktischen Ausrichtung gut gefallen. „Es war viel arbeitsintensiver als ein normales Blockseminar, aber ich fand die Feldforschung super. Der akademische Teil hätte sich auch in Tübingen richtig gelohnt.“

Mark Wendt Molina, im 5. Semester des Lehramts-Bachelors Deutsch, Französisch und Spanisch, hat sein BIP anders, aber ebenso lohnenswert erfahren. Schwerpunkt seines Kurses waren linguistische Aspekte des Französischen – von Rhetorik bis hin zu digital gestützter Übersetzung. Für Wendt, der zweisprachig deutsch-spanisch aufgewachsen ist, ging es gleich zu Beginn nach Madrid. Die Mischung aus der Unterrichtssprache Französisch und den Landessprachen der Teilnehmenden aus ganz Europa war für ihn eher Vergnügen denn Herausforderung: „Ich habe eine Leidenschaft für Sprache und konnte hier einige Sprachen anwenden,“ freut er sich.

Die fünf Tage in Madrid waren mit insgesamt 20 Stunden nur teilweise dem Unterricht gewidmet. „Wo ist der Reiz, nur für Vorlesungen nach Spanien zu kommen, die man auch per Zoom machen kann? Man soll auch ein bisschen das Land kennenlernen,“ erklärt Wendt den Ansatz seines BIPs, das den Studierenden viel Freizeit ließ. Eine Stadtführung mit Besuch im Kunstmuseum war Teil des Programms, auch auf eigene Faust war Mark Wendt viel zum Sightseeing unterwegs, bevor es am frühen Nachmittag zum Unterricht ging. Abends blieb noch Zeit, um bei Tapas und Wein Kontakte zu knüpfen.

Zeitintensiv war für Wendt dann die Online-Lehre nach dem Auslandsaufenthalt: Über drei Wochen standen wöchentlich je fünf Stunden Vorlesung mit Diskussion und Gruppenarbeit auf dem Programm, dazu Zeit für Vor- und Nachbereitung. „Das war schon ein enormer Aufwand neben dem normalen Pensum an der Uni,“ meint Wendt. Dass sich die Anrechnung von ECTS-Punkten für das BIP als schwierig erwiesen hat, weil der Kurs keiner notwendige Studienleistung in Tübingen entspricht, ist für Wendt letztlich zweitrangig: Das Thema habe ihn ebenso interessiert wie die Stadt Madrid, um diese Erfahrung sei er nun reicher. Überhaupt seien die CIVIS-Unis in sehr attraktiven Städten, findet der Lehramtsstudent. Er plant schon die Bewerbung für einen Kurs in Athen.

Studierenden, denen ein ganzes Auslandssemester zu lang ist, empfiehlt Mark Wendt die BIPs, um internationale Erfahrung zu sammeln. Im Gespräch mit Studierenden der CIVIS-Universitäten könne man auch einen Eindruck bekommen, welche ausländische Uni empfehlenswert für einen längeren Aufenthalt sein könnte, meint er, denn eigentlich mache das Format Lust auf mehr: „Ein BIP ist der perfekte Appetizer für das Erasmus-Programm.“

Tina Schäfer

Der Weg zum BIP

Wer über die Blended Intensive Programmes im Rahmen von CIVIS ins Ausland gehen möchte, kann eine Förderung der EU für seinen Aufenthalt erhalten. Noch bis Ende Februar läuft eine weitere Ausschreibungsrunde für das Format, die Kurse sind auf der entsprechenden CIVIS-Webseite zu finden. Katharina Ritz, ERASMUS-Projektkoordinatorin im International Office, empfiehlt Interessierten, schon vor der Bewerbung mit ihrem ERASMUS-Fachkoordinator zu klären, ob das BIP im Studium angerechnet werden kann. 3 bis 6 ECTS kann ein BIP bringen, eine Teilnahme ist auch möglich, wenn die Leistung nicht anerkannt wird. Bewerben müssen sich die Studierenden über eine Online-Plattform in englischer Sprache, es folgt eine Prüfung ihrer fachlichen Eignung und der Feststellung, ob sie für eine ERASMUS-Förderung in Frage kommen. Jenna Lacey etwa erhält bereits ein DAAD-Stipendium für ihr Studium in Deutschland und durfte daher keine weitere Unterstützung erhalten.

Wer für ein BIP ausgewählt wird, muss einige Formulare durcharbeiten. „Der Papieraufwand ist leider fast derselbe wie für einen längeren Erasmus-Aufenthalt,“ erklärt Katharina Ritz. Die Förderung für den Auslandsaufenthalt umfasst einen Tagessatz von derzeit 70 Euro. „Zuschüsse sind möglich, etwa für Studierende mit chronischer Krankheit oder mit Kind,“ erklärt Ritz. Mark Wendt, der nebenher erwerbstätig ist, hat einen Zuschuss erhalten, um seinen Verdienstausfall auszugleichen. Für die Anreise mit Bus und Bahn statt dem Flugzeug kann zudem ein Nachhaltigkeitsbonus gezahlt werden. Um Anreise und Unterkunft müssen sich die Studierenden selbst kümmern. Mark Wendt hat im Hostel übernachtet, Jenna Lacey hat mit weiteren Tübinger Teilnehmenden eine Ferienwohnung geteilt. „Die Gesamtkosten für den Auslandsaufenthalt deckt die Förderung nicht unbedingt,“ so Projektkoordinatorin Ritz. Ohnehin sei ein finanzieller Puffer von Vorteil, denn ein Teil der Förderung werde erst im Nachhinein ausbezahlt.

Weitere Informationen