am 22. Juni sprach die Klimaaktivistin und Autorin Luisa Neubauer bei der „Tübinger Mediendozentur“ über die Gründe, warum es Politik und Gesellschaft nach wie vor schwerfällt, konsequent der globalen Erderwärmung entgegenzutreten, trotz aller Warnungen der Wissenschaft vor den unabsehbaren Folgen des Klimawandels. Der Festsaal der Neuen Aula war mit nahezu 900 Zuhörerinnen und Zuhörern voll besetzt, ebenso ein Hörsaal mit weiteren 300 Menschen, in den die Rede live übertragen wurde. Nochmals weitaus mehr Menschen haben sich das Video der Rede im Internet angesehen. Knapp fünf Wochen später sind es bereits mehr als 31.000.
Ähnlich war die Resonanz auf eine Veranstaltung, die eine Woche danach im Audimax der Universität stattfand und bei der Forschende aus Bologna, München und Tübingen auf Einladung des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde, des Slavischen Seminars sowie der Friedrich-Naumann-Stiftung über die aktuelle Situation in Russland und der Ukraine sprachen und mit dem Publikum diskutierten. Auch hier wieder voll besetzte Ränge und eine überwältigende Zahl von Zugriffen auf das Video im Netz.
Die große öffentliche Resonanz auf diese beiden Veranstaltungen an der Universität Tübingen macht in meinen Augen eines sehr deutlich: angesichts zahlreicher Krisen suchen die Menschen nach profunden Erklärungen. In einer solchen Situation haben Universitäten eine wichtige Aufgabe als Ort freien und faktenorientierten Austauschs. Universitäten erheben nicht den Anspruch, die Wahrheit gepachtet zu haben, aber was unsere Forschenden in kontrovers geführten öffentlichen Debatten beitragen können, ist fundiertes Wissen, basierend auf Beobachtung, Messung, Berechnungen, Analyse, Logik und kritischer Interpretation. Dieses fundierte Wissen kann der Gesellschaft Orientierung geben, wenn Forschende sich nicht scheuen, in einen – manchmal unbequemen – Dialog mit den Menschen außerhalb der Wissenschaft einzutreten.
Daher bin ich für die zahlreichen Initiativen, die an der Universität Tübingen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten im Bereich der Wissensvermittlung und Wissenschaftskommunikation entstanden sind, so überaus dankbar. Seit Walter Jens und Hans Küng vor über 40 Jahren das „Studium Generale“ ins Leben riefen, ist es an der Universität Tübingen gute Tradition, dass unsere Forschenden nicht allein in Fachzirkeln diskutieren, sondern sich öffnen für den Dialog mit der Gesellschaft in seiner ganzen Breite. Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang auch, dass viele dieser Aktivitäten nur möglich wurden, weil sie von Stiftungen, Unternehmen oder dem Universitätsbund großzügig gefördert werden.
Vor wenigen Monaten hat die baden-württembergische Landesregierung beschlossen, an der Universität Tübingen ein Institut für Rechtsextremismusforschung aufzubauen. Erklärtes Ziel der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist es, nicht nur die Entstehung und Verbreitung rechtsextremer Einstellungen und Praktiken zu erforschen, sondern auch die jeweils aktuellen Bedrohungspotentiale für die offene Gesellschaft zu identifizieren und Gegenmaßnahmen zu eruieren. Auch hier erhoffe ich mir einen breiten Dialog zwischen der Wissenschaft und vielen gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren. Das neue Institut kann damit in Zukunft einen wichtigen Beitrag leisten, wenn es darum geht, die offene Gesellschaft zu stärken, die auch in unserem Land derzeit so massiv bedroht ist wie seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in einen breiten Dialog eintreten, über die Ergebnisse ihrer Forschung sprechen und dabei auch oft simplen, aber irreführenden Erklärungen entgegentreten, leisten nicht nur einen wichtigen Dienst an der Demokratie. Sie schützen damit auch die Wissenschaft selbst. Denn nur die offene Gesellschaft gewährleistet die Freiheit von Forschung und Lehre, wie wir sie kennen und von der alle an der Universität und auch die Gesellschaft insgesamt profitieren – Tag für Tag.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre des Newsletters.
Ihre
Professorin Dr. Karla Pollmann, Rektorin