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01.09.2016

Zum Augenverdrehen!

Tübinger Neurowissenschaftler entdecken neue Art der Augenbewegung ‒ sie ist mit dem Blinzelreflex synchronisiert und erspart uns so pro Tag bis zu 15 Minuten effektiver Blindheit

Blinzelndes Auge, aufgezeichnet per Video-Okulographie Foto: Thier Lab

Ein Neurowissenschaftler-Team unter Leitung von Professor Peter Thier von der Abteilung Kognitive Neurologie des Hertie-Instituts für Klinische Hirnforschung hat eine neue Art Augenbewegung entdeckt, bei der das Auge, wenn es verdreht ist, wieder in die Ausgangslage zurückbewegt wird. Bei schnellen Bewegungen der Augen wird das Sehen jedes Mal kurz unterbrochen, wodurch wir für einen Moment effektiv blind sind. Die neuentdeckte Augenbewegung tritt aber immer gerade dann auf, wenn wir blinzeln. So fallen die Sehunterbrechungen durch Augenbewegung und Blinzeln zusammen. Effektiv sparen wir dadurch einige Zeit ein, in der wir nichts sehen würden – bis zu 15 Minuten am Tag.

Eigentlich wollten Peter Thier und sein Mitarbeiter Mohammad Khazali nur die Synchronisation zwischen sogenannten unwillkürlichen Augenbewegungen und Blinzeln untersuchen. Das Auge ist nämlich auch dann, wenn wir einen Punkt fixieren, nie vollständig ruhig. Kleine Korrekturbewegungen sind mehrmals in der Sekunde notwendig, um die Fixierung aufrecht zu erhalten. Und wenn das fixierte Objekt sich bewegt, folgen unsere Augen ihm in schnellen, ruckartigen Bewegungen. Bei solchen schnellen Augenbewegung aber entsteht eine kurze Lücke im Fluss visueller Information, die unser Gehirn ausfiltert; wäre es anders, würden wir durch die Bewegung des Augapfels ständig verschwommene Bilder wahrnehmen. Jedes Mal, wenn wir rasch die Augen bewegen, sind wir also für einen Moment effektiv blind. Ähnlich ist es natürlich mit dem Blinzeln: Wir blinzeln 15 bis 20 mal pro Minute, und jedes Mal wird es uns für einen Sekundenbruchteil wortwörtlich schwarz vor Augen. Die Frage, welche die Tübinger Forscher beantworten wollten, war daher: Sind unwillkürliche Augenbewegungen zur Aufrechterhaltung der Fixierung vielleicht mit dem Blinzeln synchronisiert? Immerhin würde das viel “blinde” Zeit sparen.

Tatsächlich fanden die Forscher diesen Zusammenhang, aber sie fanden auch noch etwas anderes: Eine neue Art Augenbewegung, die verdrehte Augen wieder in die Senkrechte zurückbringt. Wenn das Auge einen rotierenden Gegenstand fixiert, dreht es sich nämlich mit. Das geht natürlich nicht beliebig weit, sondern es muss nach wenigen Grad (je nach Individuum zwischen 3° und 8°) Drehung wieder zur Ausgangsposition zurückkehren, sonst würden die Augenmuskeln überbeansprucht werden. Und diese Rücksetzung des Auges aus der Rotation geschieht während des Blinzelns durch die neuentdeckten “Blinzel-assoziierten Rücksetzungsbewegungen” (blink-associated resetting movement, BARM).

„Ein ständig auftretendes Phänomen wie die BARMs zu entdecken, das noch niemand beschrieben hat, noch dazu in einem Körperteil, der so gut untersucht ist wie das menschliche Auge – das hat uns schon sehr verblüfft“, gesteht Mohammad Khazali, der als Erstautor die Studie konzipiert und die Daten erhoben hatte. „Das wäre ohne die freiwilligen Probanden nicht möglich gewesen, denen wir daher extrem dankbar sind!“ Bei den elf Testpersonen kam nicht nur 3D-Video-Okulographie zum Einsatz, ein Verfahren, bei dem mehrere Infrarotkameras die Augen beobachten und deren Bewegungen aufzeichnen. Die Probanden bekamen auch einen feinen Draht auf die Hornhaut gelegt, um die Bewegungen selbst bei geschlossenem Auge messen zu können – eine unangenehme Prozedur, die für das Blinzelexperiment aber unverzichtbare Daten lieferte.

Der Aufwand hat sich gelohnt: „Wir waren wirklich überrascht, als wir diese neue Art Augenbewegung entdeckten“, kommentiert Khazali, „das war überhaupt nicht das, womit wir gerechnet hatten. Eigentlich wollten wir eine andere, lange bekannte Art Augenbewegung untersuchen, von der wir glaubten, dass sie mit dem Blinzeln synchronisiert sein könnte.“


Die Probanden saßen bei der Studie in völliger Dunkelheit und fixierten mit den Augen einen zentralen Punkt, während ein großes Muster aus Lichtpunkten langsam rotierte. Foto: Thier Lab
Die Probanden saßen bei der Studie in völliger Dunkelheit und fixierten mit den Augen einen zentralen Punkt, während ein großes Muster aus Lichtpunkten langsam rotierte. Foto: Thier Lab

Publikation:

Mohammad Farhan Khazali, Joern K. Pomper, Aleksandra Smilgin, Friedemann Bunjes, Peter Thier: A New Motor Synergy That Serves the Needs of Oculomotor and Eye Lid Systems While Keeping the Downtime of Vision Minimal. eLife. 23. August 2016. 10.7554/eLife.16290.
<link https: elifesciences.org content e16290>elifesciences.org/content/5/e16290

Autorenkontakt:

<link>mohammad.khazali[at]student.uni-tuebingen.de
<link>thier[at]uni-tuebingen.de

Pressekontakt:

Dr. Paul Töbelmann
Universität Tübingen
Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)
Otfried-Müller-Str. 25 ∙ 72076 Tübingen
Telefon +49 7071 29-89108
<link>paul.toebelmann[at]cin.uni-tuebingen.de

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