Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2023: Forschung
KI beeinflusst die Meinungsbildung - im Guten wie im Schlechten
Die Neurowissenschaftlerin Auguste Schulz wurde mit dem Tübinger Nachwuchspreis für Wissenschaftskommunikation ausgezeichnet
Frau Schulz, Ihr Forschungsgebiet ist das Maschinelle Lernen. Spätestens seit Chat-GPT zum großen Medienthema geworden ist, kursiert dieser Begriff auch in der Öffentlichkeit. Aber wie lernen Maschinen eigentlich? Ebenso wie Menschen?
Maschinen lernen anhand von Daten. Ein sehr anschauliches Beispiel ist die Klassifikation: Maschinen können mittlerweile einem Bild die Beschreibung „Auto“ zuordnen, nachdem mehrfach verschiedene Bilder und die zugehörigen Beschreibungen dem System vorgeführt wurden. Das ist auf den ersten Blick bei Kindern ähnlich. Ihnen wird mehrfach gesagt: das ist ein Auto, ein Hund oder eine Katze – und irgendwann verstehen sie, was mit diesen Begriffen gemeint ist. Aber der Vergleich hinkt in mehrfacher Hinsicht: Zum einen verfügen Menschen noch über viele andere Formen des Lernens – sprachliche oder motorische zum Beispiel – , zum anderen brauchen Maschinen sehr viel mehr Daten als Menschen, bis sie die richtigen Zuordnungen vornehmen. Hinzu kommt, dass Maschinen bislang oft nur in einer Modalität, zum Beispiel nur mit Bildern, trainiert werden. Kinder lernen natürlich auf mehreren „Kanälen“ gleichzeitig. Wenn ein KI-System dann seine Klassifikationen vornimmt, wird automatisch berechnet, wie gut es die Objekte erkannt hat. Auch eine solche dauernde Rückkoppelung gibt es beim menschlichen Lernen normalerweise nicht. Als Neurowissenschaftlerin ist mir sehr bewusst, dass es tiefgreifende Unterschiede zwischen menschlichem Lernen und Computerlernen gibt.
Sie sind Doktorandin an der Universität Tübingen am Exzellenzcluster Maschinelles Lernen. Worum geht es in Ihrem Projekt?
Ich erforsche, wie sich Maschinelles Lernen für die neurowissenschaftliche Forschung einsetzen lässt. Dabei geht es um Zusammenhänge zwischen dem Verhalten von Tieren oder auch Menschen, wie es sich in ihren Bewegungen ausdrückt, und ihren Hirnaktivitäten. Ich ent-wickle Algorithmen, die es erlauben, die Gehirn- und Bewegungsdaten besser miteinander zu verknüpfen und zu verstehen.
Sie engagieren sich in der Wissenschaftskommunikation, insbesondere in der Initiative „KI macht Schule“. Warum ist es eigentlich so wichtig, zu wissen, wie KI und Maschinelles Lernen funktionieren? Wir benutzen ja auch Computer, Telefone oder Kühlschränke, ohne dass die meisten von uns wirklich wissen, wie diese Geräte funktionieren.
Ein Kühlschrank hat nur eine Aufgabe, aber die KI beeinflusst viele Lebensbereiche. Sie ver-ändert jetzt schon die Art, wie wir mit Medien umgehen oder wie wir uns orientieren und fortbewegen. Manche Themen wie das autonome Fahren erregen viel öffentliche Aufmerksamkeit, aber mir sind andere Aspekte wichtiger, z.B. die Rolle, die KI in den sozialen Netzwerken und den Medien spielt. Da sind überall Algorithmen im Hintergrund wirksam, die aus den Da-ten auslesen, wer welche Informationen interessant findet und dementsprechend auswählen, was angezeigt wird. KI beeinflusst die Meinungsbildung im Guten wie im Schlechten. Zugleich ermöglicht sie wissenschaftlichen Fortschritt, zum Beispiel in der Medizin, durch die Auswertung von riesigen Datenmengen. Mir ist es einfach wichtig, dass aktuelle und zukünftige Entscheidungsträger gut informiert sind, was möglich ist und was riskant sein könnte.
Hat die breite Öffentlichkeit eine realistische Vorstellung von der Künstlichen Intelligenz?
Es gibt auf der einen Seite einen richtigen Hype um die KI und auf der anderen Seite Leute, die extrem viel Angst davor haben. Problematisch ist oft schon die Wortwahl in diesem Ge-biet: Da ist von „lernenden Systemen“ die Rede oder davon, dass der Computer „belohnt“ oder „bestraft“ wird. Solche Begriffe verschleiern, was da eigentlich passiert. Mir geht es da-rum, das Ganze etwas zu entzaubern und Menschen zu vermitteln, was die Voraussetzungen dafür sind, dass maschinelle Netzwerke überhaupt solche Leistungen erbringen können.
Ihre Hauptzielgruppe sind Schulklassen der Mittel- und Oberstufe. Wie vermitteln Sie ihnen Wissen über KI und Maschinelles Lernen?
Unsere Kurse teilen sich in drei Abschnitte: Zuerst geben wir einen Überblick über die KI, danach können die Schüler und Schülerinnen selbst mit einem KI-System arbeiten und erleben, wie es mit Daten umgeht und sie beispielsweise klassifiziert. Meistens machen wir das am Beispiel von Bildern aus Bereichen wie Kunst oder Medizin. In längeren Einheiten haben sie auch die Gelegenheit, mit Programmiercode zu arbeiten und zu sehen, wie er aufgebaut ist. Zuletzt gibt es einen sozial-ethischen Reflexionsteil. Da geht es darum, wie die KI-Anwendungen, die man gerade erlebt hat, die Gesellschaft beeinflussen. Demnächst werden wir auch eine Lehrerfortbildung machen – aufgrund der aktuellen Entwicklungen, vor allem durch Chat-GPT, ist die Nachfrage in diesem Bereich stark gestiegen.
MINT-Fächer – zu denen ja auch die KI gehört – werden von immer weniger jungen Leute studiert. Woran liegt das und was kann man dagegen tun?
Ich glaube, viel liegt an der Art der Vermittlung. Mit Mathematik und Physik kann man spannende Sachen machen, aber dieses Potential wird für den Unterricht nicht ausgeschöpft. Hinzu kommt möglicherweise, dass die Aufmerksamkeitsspanne durch die zunehmende Gewöhnung an audiovisuelle Medien geschrumpft ist. Es gibt aber die Möglichkeit, das Lehrmaterial an Formate anzupassen, die von der jüngeren Generation leichter aufgenommen werden. Für unseren Bereich versuchen wir immer, deutlich zu machen, wie spannend KI ist und welche unterschiedlichen Bereiche – von Sprach- und Neurowissenschaften bis zu Psychologie, Ethik und eben auch Mathematik und Informatik – sie vereinigt. Und dass man mit dem, was man dort lernt, in der Forschung, in der technischen Entwicklung aber auch für die Abschätzung künftiger gesellschaftlicher Entwicklungen wirklich gebraucht wird.
Das Interview führte Wolfgang Kriscke
Preisträgerin Auguste Schulz
Auguste Schulz studierte Physik in Heidelberg und London sowie anschließend Neuroengineering in München. Seit Herbst 2020 arbeitet sie als Doktorandin an der Universität Tübingen in der Arbeitsgruppe von Jakob Macke, Professor für Maschinelles Lernen in der Wissenschaft. Die Nachwuchswissenschaftlerin promoviert an der Schnittstelle zwischen Neurowissenschaft und Machine Learning. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit entwickelt sie statistische Methoden, die es ermöglichen zu verstehen, wie die Aktivität von Neuronen im Gehirn mit Verhalten zusammenhängt, beispielsweise mit komplexen Bewegungsabläufen.
Die Jury des Tübinger Preises für Wissenschaftskommunikation hob in ihrer Begründung besonders das Engagement der Nachwuchsforscherin für Kinder aus Familien ohne akademischen Hintergrund hervor: „Die Vermittlung grundlegender Kenntnisse über künstliche Intelligenz und darauf basierender Technologien wie ChatGPT oder Dall-E2 an Schülerinnen und Schüler ist von großer Bedeutung für unsere Gesellschaft. Die Beherrschung derartiger Werkzeuge sowie das Wissen um ihre Möglichkeiten und Grenzen wird in Zukunft ein Faktor sein, der wesentlich über die gesellschaftliche Teilhabe jedes einzelnen entscheidet.“
Tübinger Preis für Wissenschaftskommunikation an Rita Triebskorn
Mit dem Tübinger Preis für Wissenschaftskommunikation 2023 wurde die Biologin Professorin Rita Triebskorn ausgezeichnet. Die Jury würdigte damit ihr langjähriges Engagement in der Vermittlung ihrer Forschungsergebnisse gegenüber der breiten Öffentlichkeit.