Geht es um bearbeitete Objekte, sucht das Team wiederum Hinweise auf die verwendeten Materialien, die Art der Herstellung sowie nach verräterischen Abnutzungs-Spuren. „Beispielsweise nutzen wir bei Steinwerkzeugen traditionelle Analysemethoden von Steinwerkzeugen und deren Herstellung, aber interessieren uns auch dafür, wie diese Werkzeuge eingesetzt wurden“, erklärt Harvati.
Manche Ergebnisse können dazu führen, dass die Zeitlinien der technologischen Entwicklung neu gezeichnet werden. „Kürzlich entdeckten meine Kollegen in Italien Beweise für eine sehr frühe Verwendung von Pfeil und Bogen – wir hatten bislang angenommen, dass diese erst später im Paläolithikum zum Einsatz kamen.
Viele Disziplinen bringen sich ein
Erkenntnisse wie diese sind auch dem interdisziplinären Ansatz der modernen Paläoanthropologie zu verdanken. „Zu einem Grabungsteam gehören Spezialistinnen und Spezialisten aus der Geologie, Archäologie und Paläontologie, Zoologie und sogar Botanik“, erklärt Harvati.
Besonders von einer aktuell laufenden Ausgrabung in Apidima, Griechenland, erwartet sich das Team wichtige Erkenntnisse.„Das sehr anspruchsvolle Gelände liegt an einer Klippe und ist nur über das Wasser erreichbar“, erzählt Harvati. „Wir werden dort von Kletterexperten unterstützt. Nach ersten Ausgrabungen im September 2022 wird es nun im September 2023 vor Ort weitergehen.
Vielversprechend war auch eine Grabung in Bosnien im Mai 2023, deren Ergebnisse noch ausgewertet werden. „Es sieht nach einem Fundort aus dem späten Paläolithikum aus“, sagt die Forscherin. Das Vorhaben hat noch einen langen Weg vor sich. „Jedes Projekt wirft so viele neue Fragen auf und liefert so viele neue Erkenntnisse, dass der nächste Schritt im Prozess klar wird“, sagt Harvati. „Das ist das Schöne an der Wissenschaft. Unerwartete Ergebnisse öffnen neue Türen und ermöglichen Dinge, die man vorher nicht für möglich gehalten hat.“
Ihr Team wird weiterhin die Zusammenarbeit mit Forschenden vor Ort wie auch den Blick über den Tellerrand suchen. „Wir stehen erst am Anfang dieses regionalen Vergleichs. Wir sprechen von Migrationsprozessen, und da diese frühen Menschen nicht durch kulturelle und staatliche Grenzen eingeschränkt wurden, ergeben einzelne Datensätze noch kein vollständiges Bild.“ Doch gerade diese winzigen Schnappschüsse des prähistorischen Lebens sind nötig, um das große Bild zu erstellen. Katerina Harvati freut sich darauf, weitere Teile des Puzzles zu finden, das unsere frühen Vorfahren hinterlassen haben.