Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2014: Leute

Nestor der Religionspädagogik

Zum Tode von Professor Dr. Dr. h. c. Karl Ernst Nipkow ein Nachruf von Friedrich Schweitzer

Am 13. Februar ist Karl Ernst Nipkow, von 1968 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1994 Professor für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, nach kurzem Leiden verstorben.


Ohne Frage war Nipkow einer der profiliertesten Vertreter der Religionspädagogik und des evangelischen Bildungsdenkens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie kein anderer hat er nicht nur die von ihm in ihrer heutigen Gestalt eigentlich erst begründete Religionspädagogik vorangebracht und sie in den weiten Horizont des kirchlichen und gesellschaftlichen Bildungshandelns eingezeichnet. Viele sahen und sehen in ihm den Nestor seines Faches. Der Verbindung zwischen Pädagogik und Theologie, Glaube und Bildung, Wissenschaft und Praxis galt sein gesamtes eindrückliches Lebenswerk.


Nipkow wurde 1928 in Bielefeld geboren, wo er auch seine Kindheit und Schulzeit verbrachte. Dass er 1944/45 noch als Luftwaffenhelfer herangezogen wurde, hat er sein Leben lang nie vergessen. Bis zuletzt lag ihm die Friedenserziehung besonders am Herzen. Auf das Lehramtsstudium in den Fächern Germanistik, Anglistik, Theologie und Pädagogik folgten sieben Jahre als Gymnasiallehrer, ehe er zunächst Lehrbeauftragter für Gymnasialpädagogik an der Universität Marburg und 1965 Professor für Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Hannover wurde. 1968 führte ihn sein Weg an die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Tübingen, wo er zugleich als kooptiertes Mitglied der damaligen Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften den Arbeitsbereich Schulpädagogik leitete.


Nipkow war mehr als zehn Jahre lang Vorsitzender der Bildungskammer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), viele Jahre lang Vorstandsvorsitzender des Comenius-Instituts in Münster, der erziehungswissenschaftlichen Arbeitsstätte der EKD, Mitglied der Synode der EKD sowie Mitglied im Kuratorium des Pädagogisch-Theologischen Zentrums in Stuttgart-Birkach, das er selbst mit aufgebaut hat. Darüber hinaus hat er sich an verschiedenen Arbeitsgruppen des Weltkirchenrates beteiligt. Auch seine Mitarbeit in nationalen und internationalen Fachgesellschaften trug bei zu seinem Ruf als überaus versierter Vertreter einer ebenso theologisch wie pädagogisch verantworteten evangelischen Bildungstheorie.


Die Verbindung von Pädagogik und Theologie war sein wissenschaftliches Programm und zugleich ein persönliches Herzensanliegen, schon seit seiner pädagogischen Promotion im Jahre 1959 über Friedrich Schleiermacher, einen Klassiker der Pädagogik ebenso wie der Theologie. Dieses Anliegen prägt auch sein umfängliches schriftliches Oeuvre. Die seit den 1970er-Jahren in drei Bänden erschienenen „Grundfragen der Religionspädagogik“ setzten neue Standards. Die große Monographie über „Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung“ (1990) wurde zur Grundlage eines evangelischen Bildungsdenkens, das weit über jede Art von Fachdidaktik hinausreicht. Nach seiner Emeritierung folgten zwei weitere umfangreiche Grundlagenwerke zu „Bildung in der Pluralität“ sowie zur Religionspädagogik im 21. Jahrhundert. Ihm selbst am wichtigsten war freilich eine friedenspädagogische Monographie „Der schwere Weg zum Frieden“, in der noch einmal sein immer auch gesellschaftliches Engagement in den Vordergrund tritt. Einige seiner Bücher sind von vornherein in anderen Sprachen erschienen: Englisch, Koreanisch und Russisch, andere wurden übersetzt, zum Beispiel ins Spanische. Aufsätze von Nipkow gibt es in vielen weiteren Sprachen: in den skandinavischen Sprachen, aber auch etwa auf Türkisch. So kann es nicht weiter erstaunen, dass die ihm im Jahre 1990 verliehene Ehrendoktorwürde von der Universität Helsinki stammt. Zitiert wird gerne ein Wort des renommierten englischen Religionspädagogen John Hull: „Karl Ernst Nipkow ist der hervorragendste Religionspädagoge in Europa, wenn nicht sogar der ganzen Welt.“


Die Zusammenarbeit mit der katholischen Religionspädagogik war ihm besonders wichtig. Dass auch katholische Vertreter des Faches in ihm ihren Lehrer sahen, freute ihn besonders. In den letzten Jahren seines Wirkens kamen dazu noch die interreligiösen Beziehungen, in deren stärkerer Wahrnehmung er eine entscheidende Zukunftsherausforderung seines Faches sowie der Theologie insgesamt sah.


Kolleginnen und Kollegen auch an der Tübinger Fakultät und Universität verdanken ihm viel. Nipkow war mehrfach Dekan sowie Inhaber zahlreicher akademischer Ämter. Seine akademischen Schülerinnen und Schüler in Theologie und Erziehungswissenschaft denken an ihn als wissenschaftlichen Impulsgeber, aber auch als einen Menschen, der sich durch große Zugewandtheit, Freundlichkeit und Geduld auszeichnete.


So steht neben der Trauer der Dank für ein großartiges Lebenswerk und für einen Menschen, der viele und vieles bewegt hat, der angeregt und unterstützt, begleitet und freigelassen hat.


Getragen wusste er sich von einem Glauben, der auch über die Grenzen dieses Lebens hinausreicht: „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn“ (Römer 14,8).