Uni-Tübingen

Attempto 02/2023 Interview: Menschen für Krisen stark machen

Für eine resiliente Gesellschaft braucht es staatliche Unterstützung, aber auch Vertrauen in das Potenzial jedes Einzelnen, sagt Ethiker Marco Krüger.

attempto!: Herr Krüger, was bedeutet „Resilienz“?

Marco Krüger: Grundsätzlich eine Art von Widerstands- oder Anpassungsfähigkeit. Die Grundidee ist, dass man nicht weiß, was in der Zukunft passiert. Klassische Krisenkonzepte arbeiten mit einem Bedrohungsszenario wie z.B. Erdbeben, Waldbrand oder Krieg. Der Resilienz-Ansatz will Ressourcen schaffen, damit wir für möglichst viele Szenarien anpassungsfähig sind.

Was interessiert Sie als Ethiker an Resilienz?

MK: Ich untersuche aus sicherheitsethischer Perspektive, wie Resilienz ein brauchbares Konzept für unsere Gesellschaft sein kann. In der Politik gilt sie heute als Allheilmittel, manchmal mit der Aufforderung „werdet resilient“. Kritische Stimmen aus der sozialwissenschaftlichen und psychologischen Auseinandersetzung sagen, Resilienz kann nicht bloß Forderung sein, sondern muss aktiv gefördert werden.

Wie kann Resilienz aktiv gefördert werden?

MK: Unter anderem durch eine gute Sozialpolitik. Armut beispielsweise ist ein klassischer Vulnerabilitätsfaktor. Wer arm ist, hat nicht die materiellen Ressourcen, sich auf Herausforderungen vorzubereiten. Wichtig ist auch, bei politischen Entscheidungen die Gesellschaft als Netzwerk im Blick zu haben. Wird ein Bereich vulnerabel, hat dies Folgen für andere. Fällt beispielsweise die staatliche Kinderbetreuung aus, können Eltern weniger arbeiten, das betrifft wiederum Arbeitgeber und – je nach Beruf – die Gesellschaft als Ganzes. Das haben wir während Corona gesehen, erleben es aber gerade erneut aufgrund des Personalmangels in Kitas. Da nützt es nichts, Resilienz ausschließlich vom Einzelnen einzufordern.

Wie meinen Sie das?

MK: Nehmen Sie die Einkaufsliste des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Um bis zu 10 Tage durch eine Krise zu kommen, empfiehlt diese pro Person allein 20 Liter Wasser und mehrere Kilo Nahrungsmittel zu lagern. Nicht jeder kann sich das leisten oder hat dafür ausreichend Platz. Solche staatlichen Empfehlungen gehen an der Lebensrealität vieler vorbei. Hürden hoch zu legen dient nicht der gesellschaftlichen Resilienz.

Was wäre stattdessen sinnvoll?

MK: Die Gesellschaft mitzunehmen, also die Voraussetzungen zu schaffen, damit Menschen resilient werden können. Sollen muss hier mit Können unterlegt werden. Menschen müssen sich einerseits die Umsetzung von Maßnahmen leisten können – und diese andererseits für sich als sinnvoll erkennen. Es ist wichtig, am Alltag der Menschen anzudocken und sie als Experten ihres eigenen Lebens zu verstehen. Insofern müssen Resilienzpolitiken ideell vermittelt werden und materiell unterlegt sein, durch zur Verfügung stehende Ressourcen.

Letztlich kann sich jeder einbringen, Resilienz ist nicht nur Staatsaufgabe, richtig?

MK. Auf jeden Fall, das tun ja viele Menschen. Das deutsche Katastrophenschutzsystem wird überwiegend von Ehrenamtlichen getragen. Staatliche Strukturen müssen auch Eigeninitiative ermöglichen. Gerade nach Katastrophen helfen viele Menschen auf eigene Faust, denken wir an die Bilder aus dem Ahrtal im Sommer 2021. Das ist großartig, erfordert aber von staatlichen Behörden andere Formen des Managements.
Optimalerweise befähigen wir Menschen, selbst aktiv werden zu können. Das entbindet den Staat nicht von seiner Schutzfunktion. Wenn wir Resilienz aber als Konzept zur Befähigung begreifen und nicht als Delegation von Verantwortung, kann dies gesellschaftliche Potenziale fördern und einbinden, statt nur Top-down-Prozesse umzusetzen. Das fände ich ein schönes Umdenken.

Science & Innovation Days Tübingen

„Resilienz“ war Leitthema der Tübinger Science & Innovation Days vom 8. bis 11. November 2023.

www.sidays.com


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