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02.02.2021
Cyanobakterien könnten die Plastikindustrie revolutionieren
Klimaneutral und schnell abbaubar: Mikrobiologen der Universität Tübingen ermöglichen Produktion von klimafreundlichem Bioplastik
Als Nebenprodukt der Fotosynthese stellen Cyanobakterien Plastik auf natürlicher Basis her – und das nachhaltig und umweltschonend. Forscherinnen und Forschern der Universität Tübingen ist es nun erstmals gelungen, den Stoffwechsel der Bakterien so zu verändern, dass sie den Naturstoff in Mengen produzieren, die eine industrielle Nutzung ermöglichen. Das natürliche Plastik könnte dem umweltschädlichen Kunststoff auf Erdölbasis Konkurrenz machen. Die Forschungsgruppe unter Leitung von Professor Karl Forchhammer vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin legte ihre Ergebnisse vor kurzem in mehreren Studien vor, die in den Fachjournals Microbial Cell Factories und PNAS erschienen.
„Die industrielle Relevanz dieser Form von Bioplastik kann kaum überschätzt werden“, sagte Forchhammer. Rund 370 Millionen Tonnen Kunststoffe werden derzeit pro Jahr produziert. Laut Prognosen wird die weltweite Plastikproduktion im nächsten Jahrzehnt um weitere 40 Prozent zunehmen. Zwar ist Kunststoff vielfältig einsetzbar und preisgünstig, beispielsweise als Verpackung von Lebensmitteln. Andererseits ist er Ursache für zunehmende Umweltprobleme. Immer mehr Plastikmüll landet in der Natur, wo die Kunststoffe zum Teil die Meere verschmutzen oder in Form von Mikroplastik in die Nahrungskette gelangen. Zudem wird Plastik überwiegend aus Erdöl hergestellt, was bei der Verbrennung zusätzliches CO2 in die Atmosphäre freisetzt.
Eine Lösung für diese Probleme könnte in einem Stamm von Cyanobakterien mit überraschenden Eigenschaften liegen. Cyanobakterien der Gattung Synechocystis stellen Polyhydroxybutyrat (PHB) her, eine natürliche Form von Plastik. PHB ist ähnlich einsetzbar wie der Kunststoff Polypropylen aber in der Umwelt schnell sowie schadstofffrei abbaubar. Allerdings ist die von diesen Bakterien produzierte Menge normalerweise sehr gering. Der Tübinger Forschungsgruppe gelang es, in den Bakterien ein Protein zu identifizieren, das den Kohlenstofffluss in Richtung PHB innerhalb der Bakterienzelle drosselt. Nach Entfernen des entsprechenden Regulators sowie weiteren genetischen Veränderungen stieg die von den Bakterien produzierte PHB-Menge enorm an und machte schließlich über 80 Prozent der Gesamtmasse der Zelle aus. „Wir haben regelrechte Plastikbakterien erschaffen“, sagt Dr. Moritz Koch, Erstautor der in Microbial Cell Factories veröffentlichten Studie.
Cyanobakterien, die auch als Mikroalgen oder Blaualgen bezeichnet werden, gehören zu den unscheinbarsten und doch mächtigsten Akteuren auf unserem Planeten. Es waren Blaualgen, die vor etwa 2,3 Milliarden Jahren durch Fotosynthese unsere Atmosphäre sowie die vor UV-Strahlung schützende Ozonschicht schufen.
„Cyanobakterien sind gewissermaßen die Hidden Champions unseres Planeten“, betonte Koch: „Das unterstreicht das enorme Potenzial, das diese Lebewesen mitbringen.“ Da die blaugrünen Bakterien lediglich Wasser, CO2 und Sonnenlicht brauchen, sind sie nach Einschätzung der Forscherinnen und Forscher optimale Akteure für eine klimaschonende und nachhaltige Produktion. „Einmal in der Industrie etabliert könnte die gesamte Kunststoffproduktion revolutioniert werden“, sagte Koch. Langfristiges Ziel sei, den Einsatz der Bakterien zu optimieren und so weit zu skalieren, dass ein großtechnischer Einsatz möglich werde.
Publikationen:
Tim Orthwein, Jörg Scholl, Philipp Spät, Stefan Lucius, Moritz Koch, Boris Macek, Martin Hagemann, Karl Forchhammer. The novel PII-interactor PirC identifies phosphoglycerate mutase as key control point of carbon storage metabolism in cyanobacteria. PNAS February 9, 2021 118 (6) e2019988118; https://doi.org/10.1073/pnas.2019988118
Koch M., Bruckmoser J., Scholl J., Hauf W., Rieger B., Forchhammer K. Maximizing PHB content in Synechocystis sp. PCC 6803: a new metabolic engineering strategy based on the regulator PirC. Microb Cell Fact 19, 231 (2020). https://doi.org/10.1186/s12934-020-01491-1
Kontakt:
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