After Brexit the island of Ireland is once more divided by a paradoxical political and economic boundary (English version)
Maurice Fitzpatrick ist ein irischer Dozent, Filmregisseur und Autor, dessen Arbeit sich mit dem vielschichtigen Thema der irischen Einheit beschäftigt. Im Wintersemester 2022/23 war er als Travelling Visiting Professor in Irish Studies bei Prof. Dr. Christoph Reinfandt am Englischen Seminar zu Gast. Fitzpatrick kehrt als Mitorganisator der Konferenz "Discourses of Unity in Ireland and Europe" (20.-22. Juni) nach Tübingen zurück.
Die Gastprofessur für Irlandistik ist eine gemeinsame Initiative der Universitäten Wuppertal, Würzburg, des Saarlandes und Tübingen und wird von der irischen Regierung finanziert. Das Programm fördert „Irish Studies“ – das Studium der Literatur, Kultur, Geschichte und Sprache dieses weit westlich gelegenen Mitglieds der Europäischen Union. Während seiner Zeit in Tübingen hielt Fitzpatrick eine reguläre Vorlesung, "The Cultural Politics of a National Canon in Ireland", und zwei Hauptseminare, "Screening Ireland" und "Writing the Troubles".
Die „Troubles“ kennt Maurice Fitzpatrick nur allzu gut. Die Grenze, die die irische Republik von der britischen Provinz Nordirland trennt, lag nur wenige Kilometer von seinem Elternhaus entfernt. Auf der anderen Seite tobte ein verkappter Bürgerkrieg zwischen irisch-nationalistischen Paramilitärs, die gegen die Verwaltung Nordirlands von London aus waren, und Loyalisten, die dies befürworteten. "Ich wuchs mit einem Bewusstsein für die politische Situation auf", sagt Fitzpatrick. Nach seinem Studium der Englischen Literatur am Trinity College in Dublin führte ihn dieses Bewusstsein dazu, die vielen Faktoren des Konflikts zu erforschen sowie die Männer, die den Lauf der irischen Geschichte veränderten. Fitzpatricks Buch The Boys of St. Columb's untersucht das Leben von acht Schlüsselfiguren der irischen Geschichte des 20. Jahrhunderts; sein Dokumentarfilm John Hume in America befasst sich mit dem politischen Leben des Friedensnobelpreisträgers, der 1998 maßgeblich zum Frieden in Nordirland beitrug.
Nun hat der Brexit Nordirland aus der Europäischen Union gerissen. Erneut ist die Insel durch eine paradoxe politische und wirtschaftliche Grenze geteilt - was zu neuen Konflikten führen kann. Die Konferenz "Discourses of Unity" wird sich mit den sprachlichen, kulturellen und politischen Herausforderungen befassen; sie wird die veränderte Wahrnehmung Irlands seit dem Beitritt des Landes zur EWG im Jahr 1973 untersuchen; und – vielleicht am wichtigsten – sie wird nach Modellen für die Einheit in den regionalen Identitäten suchen.
Was macht eine gemeinsame Identität aus? Können Katholiken und Protestanten, Nord und Süd, zusammenkommen? Was bedeutet es, sowohl Irisch als auch Englisch zu sprechen? Inwieweit erzeugen Unterschiede Hass und umgekehrt? Auf die Frage, ob die kulturellen und historischen Bindungen die Unterschiede überwinden können, antwortet Fitzpatrick positiv: „Das hängt davon ab, wen man fragt. Die Mentalität ist vorhanden. Es gibt immer welche, die bereit sind, den anderen zu umarmen.“ Gleichzeitig, so warnt er, gibt es sowohl die nationalistischen Extremisten, die die vollständige Beseitigung der Grenze fordern, als auch die Loyalisten, die sich weigern, überhaupt darüber zu diskutieren: "Es ist ein sehr komplexes Problem. Wir brauchen Konferenzen wie diese, um die Schwierigkeiten herauszuarbeiten".
Fitzpatrick führt das Elsass als eine Region an, die innerhalb der europäischen Struktur erfolgreich ihre eigene Identität entwickelt hat: „Europa ist ein Ganzes, das aus kleinen Teilen besteht, aus Konfliktgebieten, die sich in dem modernen Gemeinwesen, das Europa ist, neu konfiguriert haben.“
Zu den Referenten der Konferenz gehören David Donoghue, ehemaliger irischer Botschafter bei der UNO, sowie Experten von US-Universitäten, darunter Yale, und aus Deutschland und Polen. „Die Menschen sind neugierig auf die Mechanismen eines vereinten Irlands. Wie kann das funktionieren?“, erklärt Fitzpatrick.
Das Semester in Tübingen habe ihm Spaß gemacht, sagt Fitzpatrick. Während seiner Lehrtätigkeit lernte er die Studierenden kennen. Für sie, so sagt er, ist die Teilnahme an der Konferenz der krönende Abschluss ihrer Irlandstudien.
Amanda Crain