Uni-Tübingen

Modell "re-ordering"

Zur Strukturierung unserer auf das re-ordering konzentrierten Untersuchungen haben wir ein „Modell re-ordering“ ausgearbeitet und daraus die Architektur für die zweite Förderphase entwickelt. Wie in der ersten Phase bauen wir die Leitidee des Forschungsprozesses in die Architektur des SFB ein, um so alle Teilprojekte in die Forschungsdynamik hineinzunehmen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Teilprojekte neu auszurichten bzw. bei gleichbleibenden Teilprojektleitern die Gegenstände der Teilprojekte neu zu bestimmen. Die forschende Dynamik, die das Erfolgsprinzip unseres SFB darstellt, bildet sich in der Weiterentwicklung von Architektur und Teilprojekten ab.

An die Stelle der vier Typen von Bedrohung, die dem SFB 2011-2015 seine Struktur gaben, tritt in der zweiten Phase zunächst eine prägende Wechselwirkung zwischen Bedrohungsdiagnose und Bewältigungspraxis. Alarmierte Akteure handeln, und die Effekte ihres Handelns wirken auf ihre Diagnose zurück, leiten neue Handlungen an, deren Effekte neue Diagnosen erzeugen und so fort.

Die Wechselwirkung zwischen Diagnose und Praxis wird sehr stark beeinflusst von zwei Begleitprozessen: der Mobilisierung von Ressourcen und Menschen sowie der Reflexion über das Selbstverständnis der Akteure, sozialen Gruppen oder ganzen Gesellschaften, die die Ordnung tragen. Ist die Selbstalarmierung aus Ordnungen heraus erfolgreich, eine Bedrohungsdiagnose etabliert und Bewältigungspraxis in Gang gekommen, so entsteht aus der Wechselwirkung zwischen Diagnose und Praxis sowie den Begleitprozessen Mobilisierung und Reflexion ein Kommunikations- und Aktionsraum, der uns interessiert.

Mithilfe der von Anfang des SFB an vorausgesetzten und im Begriff der Selbstalarmierung aufgehobenen und neu fundierten vier Dimensionen (Sach-, Zeit-, Sozial- und Gefühlsdimension) können wir den Raum des re-ordering ausmessen. Dieser Raum ist nicht frei und nicht leer: Zum einen beeinflussen Objekte, Naturphänomene, Maschinen, Lebewesen gerade unter Bedrohungsbedingungen Kommunikationen und Aktionen. Sie verändern, ermöglichen und verunmöglichen das Handeln. Zum anderen wirken Traditionen, Kulturen, Routinen, Skripte auch unter Bedrohungsbedingungen. Wie weit ihre Wirkung reicht, wie stark sie den Raum strukturieren, ist eine für uns zentrale Frage, die in Richtung dritte Förderphase vorausweist.

Die Annahmen zum Zusammenspiel von Diagnose und Praxis mit den Begleitprozessen Mobilisierung und Reflexion sind das Produkt des leitfragenorientierten Vergleichs der Ergebnisse der siebzehn Teilprojekte der ersten Förderphase. Zu diesem Produkt haben alle Teilprojektleiter und Mitarbeiter der ersten Phase beigetragen, in einem unser vier „Lauterbad-Wochenenden“ (s.u.) sowie in mehreren zwischen Gruppenarbeit und Plenum changierenden Arbeitstreffen. Dabei sind die vergleichsstrukturierenden Leitfragen der ersten Förderphase in die neue Architektur einbezogen worden. Die erste Leitfrage nach der Bedrohungsidentifikation ist nun Teil der Begriffsbestimmung von Diagnose. In den Praxisbegriff geht die Frage nach dem Ende der Bedrohung ein. Die Frage nach der Definitions- und Handlungsmacht spielt für Mobilisierungsprozesse eine wichtige Rolle, während nichtintendierte Nebenfolgen und Überraschungen in vielen Bereichen des Modells von Bedeutung sind, vor allem aber in Reflexionsprozessen bearbeitet werden. Die letzte unserer fünf Leitfragen richtete sich auf Verlaufstypen und wird für die vergleichende Beschreibung der re-ordering-Prozesse im Hinblick auf die für die dritte Förderphase basale Typologie von Ordnungen bedeutsam sein.

Dem Modell liegt die Annahme zugrunde, dass die Interaktionen von Akteuren nach der Selbstalarmierung aus Ordnungen heraus sich in einem Raum bewegen, der durch Diagnose, Praxis, Mobilisierung und Reflexion aufgespannt wird. Die vier analytischen Begriffe, die Beziehungen zwischen ihnen sowie die Wirkungen, die die mit ihnen umschriebenen Prozesse im Raum des re-ordering ausüben, werden – je nach Disziplin und Epoche – mithilfe unterschiedlicher Quellen und unterschiedlicher Methoden untersucht. Sicht- bzw. fassbar sind sie – jedenfalls teilweise – in der Bedrohungskommunikation der Akteure. Bedrohungskommunikation, die eine konkrete Bedrohungsquelle benennt, durch starke Emotionen gekennzeichnet ist, mit dem Faktor Zeit argumentiert, innerhalb einer sozialen Gruppe hegemonialen Charakter gewinnt und (zumindest für relevante Akteursgruppen) verbindliche Handlungsempfehlungen generiert, bildet daher auch in der zweiten Förderphase ein zentrales Quellenmaterial unserer Teilprojekte.

Das Modell dokumentiert den Start der zweiten Etappe in unserem auf zwölf Jahre ausgelegten Forschungsprozess, der sich von den Bedrohungen aus (erste Förderphase) über den re-ordering Prozess (zweite Förderphase) in Richtung Aussagen zu Ordnungen (dritte Förderphase) bewegt. Es bildet die Basis für unsere interdisziplinäre und interepochale Forschung. Befunde aus den einzelnen Teilprojekten können vergleichend und verflechtend aufeinander bezogen werden.