Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2022: Leute
Experte für Südosteuropa und die Transformationsforschung
Zum Tode von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Förster ein Nachruf von Sebastian Kinder
Am 21. April 2022 ist Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Förster kurz vor Vollendung seines 82. Lebensjahrs in Tübingen verstorben. Er war von 1991 bis 2006 Professor für Geographie Osteuropas am Geographischen Institut der Universität und entwickelte in dieser Zeit als profunder Kenner Südosteuropas einen Schwerpunkt in der Südosteuropaforschung. Seine vielfältigen Forschungs- und Lehraktivitäten in dieser Region und sein herausragendes akademisches Engagement für diesen Teil Europas wirkten weit über das Geographische Institut hinaus. Sie machten ihn zu einem angesehenen Experten für die postsozialistische Transformation und EU-Integration der südosteuropäischen Länder.
Wie wohl bei vielen Wissenschaftlerpersönlichkeiten hatten auch bei Horst Förster biographische Ereignisse Einfluss auf seine Forschungsinteressen. In seinem Fall traf dies besonders auf seine Begeisterung für die Länder jenseits des „Eisernen Vorhangs“ zu, die sich seit 1989/’90 tiefgreifenden wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen unterzogen und von denen viele in den folgenden Jahren der EU beitraten. Horst Förster wurde am 26. April 1940 im nordböhmischen Aussig geboren. Wie rund drei Millionen andere deutsche Einwohner der Tschechoslowakei wurden er und seine Familie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Verlassen der Heimat gezwungen. In Thüringen fanden sie zunächst eine neue Heimat. Die zunehmenden Widersprüche und Repressionen in der noch jungen DDR waren für Horst Förster offensichtlich. Noch als Abiturient floh er nach Westdeutschland, wo er ganz auf sich allein gestellt, in Mainz Aufnahme fand und sein Abitur ablegen konnte.
Nach der Schulzeit studierte Horst Förster in Mainz und Wien Geographie und promovierte als Schüler von Dietrich Hafemann 1967 in Mainz über „Die funktionale und sozialgeographische Gliederung der Mainzer Innenstadt“. Im Anschluss wechselte er als wissenschaftlicher Assistent an die noch junge Ruhr-Universität Bochum. Zeitlebens blieb er dem Ruhrgebiet verbunden – nicht zuletzt als Fan des VfL Bochum. In seinen Bochumer Jahren forschte Horst Förster intensiv über seine Herkunftsregion Nordböhmen. Während seiner empirischen Arbeiten in der Tschechoslowakei erlebte er am eigenen Leib die Folgen der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ von 1968. Seine Forschungstätigkeiten machten ihn dem Prager Regime unwillentlich verdächtig und trugen ihm eine mehrmonatige Haft als vermeintlicher deutscher Spion ein. Die Hafterfahrung war umso belastender für ihn, als er erst kurze Zeit zuvor Vater geworden war. Trotz dieser Erlebnisse und Beschränkungen, die so manchen hätten verzweifeln lassen, blieb sein Interesse an den Ländern jenseits des „Eisernen Vorhangs“ ungebrochen. 1975 habilitierte sich Horst Förster mit seiner Habilitationsschrift über „Nordböhmen. Raumbewertung und Kulturlandschaftsprozesse 1918 – 1970“. Es folgten die Ernennung zum Dozenten 1976 und zum apl. Professor 1978. 1980 trat er in Bochum seine erste Professur an.
Mit seiner Berufung an die Universität Tübingen übernahm Prof. Förster 1991 den traditionsreichen Lehrstuhl für Geographie Osteuropas am Geographischen Institut. In den folgenden Jahren gelang ihm hier mit großem Erfolg eine Schwerpunktsetzung im Bereich der Südosteuropaforschung. Dazu trug auch bei, dass er ab 1992 16 Jahre lang nebenamtlich Direktor des Tübinger Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde wurde, einer dem Innenministerium des Landes Baden-Württemberg unmittelbar nachgeordneten außeruniversitären Forschungseinrichtung. Prof. Förster erreichte in dieser Zeit eine enge Verzahnung dieses Instituts mit der Universität, insbesondere mit der Geographie und den Geschichtswissenschaften, und steigerte maßgeblich die internationale Sichtbarkeit des Instituts. Unter seiner Leitung beteiligte sich das Institut u.a. am SFB 437 „Krieg und Gesellschaft“. Ausdruck seines Ansehens in Südosteuropa sind nicht zuletzt die Ehrendoktorwürden, die ihm die Universitäten Oradea, Timisoara und Cluj-Napoca verliehen.
Horst Förster war ein begeisterter Hochschullehrer, der mit seiner Lehre, vor allem auch mit seinen zahlreichen Exkursionen nach Ost- und Südosteuropa zahlreiche Studierende prägte. Als gefragter Experte engagierte er sich in zahlreichen Funktionen verschiedener Organisationen der Osteuropaforschung. Zu nennen sind hier u.a. seine langjährigen Tätigkeiten als Vorstandsmitglied im Collegium Carolinum München, im Herder Forschungsrat Marburg, in der Südosteuropa-Gesellschaft sowie im Beirat des Donauschwäbischen Zentralmuseums Ulm und im Europäischen Zentrum für Förderalismusforschung Tübingen. Noch bis 2020 leitete er die Tübinger Außenstelle der Südosteuropa-Gesellschaft.
Mit Prof. Förster verliert das Geographische Institut einen rastlosen und engagierten Wissenschaftler, enthusiastischen Hochschullehrer und viele Menschen begeisternden Geographen. Er bleibt in unserer Erinnerung ein geschätzter und beliebter Kollege, dessen Ideenreichtum und Engagement uns fehlen werden.