Das Projekt Sakralisierung und Desakralisierung in und von Texten des Neuen Testaments erforscht Merkmale von Texten im Neuen Testament, die insbesondere Funktionen der Autoritätssicherung, der Identitätsbildung und der Normativität beanspruchen und / oder auch relativieren. Im Rahmen des gemeinsamen Forschungsprogramms der Forschungsgruppe FOR 2828 De/Sakralisierung von Texten werden solche Funktionen bzw. ihre Relativierung als dynamische Prozesse von Sakralisierung und Desakralisierung beschrieben. Nach der Sakralisierung der Texte des Neuen Testaments wird somit nicht erst hinsichtlich ihres Kanonisierungsprozesses, sondern bereits im Zusammenhang ihrer eigenen Entstehung und Formierung gefragt. Haben die Verfasser der neutestamentlichen Schriften diese Texte schon als zumindest religiös herausgehobene Texte verstanden und als solche geschrieben? Wurden die einzelnen Schriften des von uns sogenannten Neuen Testaments von ihren ersten Adressaten bzw. Rezipienten als religiös hervorgehobene Texte wahrgenommen? In praxistheoretischer Perspektive soll daher der Gebrauch der zu untersuchenden Schriften zentral mit in den Blick rücken.
Es wird davon ausgegangen, dass die Texte des Neuen Testaments bereits durch ihren Inhalt ein Sakralisierungspotential aufweisen; indem sie die Jesus-Christus-Geschichte als herausragendes Geschehen in der Geschichte Gottes mit Israel (Mt 1) bzw. mit der Menschheit überhaupt (Lk 3) erzählen. Neben Hoheitstiteln und einer umfassenden Erzähltradition tragen die Erzählungen vom Tod Jesu wie von seiner Auferstehung und deren theologische Deutung wesentlich zur religiösen Hervorhebung der Jesus-Christus-Geschichte bei. Weitere Motive sind ethische Passagen, die mit hohen normativen Ansprüchen verknüpft sind, sowie Fragen der Verfasserschaft der neutestamentlichen Schriften, die mit Autoritätsansprüchen, etwa hinsichtlich ihres Gottesverhältnisses, versehen sind. Zugleich lässt sich beobachten, dass sich die neutestamentlichen Texte in der Phase ihrer Formierung durch Annotation mit den alttestamentlichen Texten, die ihrerseits als religiös hervorgehoben wahrgenommen wurden, zu einem neuen Textkorpus entwickeln, das insgesamt für die sich entwickelnde christliche Tradition eine besondere religiöse Bedeutung hat. Das Projekt trägt am Beispiel ausgewählter neutestamentlicher Texte wesentlich zu Fragen der Formation, Rezeption und Pragmatisierung von heiligen Texten bei. In zwei Teiluntersuchungen werden die genannten Analysehinsichten an Texten aus dem Matthäusevangelium und den Paulusbriefen erprobt und die Merkmale der De/Sakralisierung zueinander in Beziehung gesetzt werden. Auf diesem Weg und im Gespräch mit den anderen Beteiligten an der Forschungsgruppe ist zu erwarten, dass die zugrundeliegenden Konzepte der De/Sakralisierung der neutestamentlichen Texte wahrgenommen werden können.