Uni-Tübingen

B 02

Ressourcennutzung in Gunst-/Ungunsträumen

Fachklassifizierung

Ur- und Frühgeschichte
Bodenkunde




Für Ackerbau treibende Menschen bilden Böden den Ausgangspunkt für ihr soziales, wirtschaftliches und kulturelles Leben und können sich daher auch auf die Wahrnehmung und Nutzung von Räumen und Landschaften auswirken.

Während in der ersten Förderphase die großräumige Anordnung der Relation von Gunst und Ungunst als Auslöser von Bewegungen betrachtet wurde, fand in der zweiten Phase eine räumliche Eingrenzung auf ausgewählte Siedlungskammern der Mittleren Bronzezeit statt. Die Arbeitsgebiete der ersten Phase – Baar (Gunstraum), östlicher mittlerer Schwarzwald und westliche Schwäbische Alb (Ungunstraum) – wurden um zusätzliche Standorte im westlichen Allgäu (Ungunstraum) und Hegau (Gunstraum) ergänzt.
Nachdem in den vorhergehenden Projektphasen den Gründen und Parametern für die Raumerschließung ausgehend von sogenannten Gunsträumen in Ungunsträume nachgegangen wurde, steht nun die Übergangszeit von Gunst zu Ungunst innerhalb eines Raumes als weiterer Teil von Siedlungs- und Landnutzungsdynamiken im Mittelpunkt. Aufgrund der Verflechtung des RessourcenKomplexes Boden mit Ressourcen der agrarischen Produktion und Organisation der Landwirtschaft, der sozialen Ordnung als auch der Kosmologie der Gesellschaft kommen archäologische, archäopedologische als auch ethnopedologische Methoden zum Einsatz.

Im Detail wird zunächst die frühlatènezeitliche Siedlung von Hochdorf an der Enz (Gde. Eberdingen) auf Landnutzungspraktiken untersucht. Für den Übergang der frühen zur mittleren Latènezeit sind ein verhältnismäßig kurzer und intensiver Klimawandel sowie ein Bevölkerungsrückgang und soziale Veränderungen innerhalb der Untersuchungsregion belegt. Aber spiegeln sich diese Entwicklungen auch in den Landnutzungspraktiken wider? Sind die Landnutzungspraktiken mit ursächlich für Abwanderung und soziale Veränderungen?

Zur Erschließung der Landnutzungspraktiken kommen verschiedene bodenkundliche Methoden zur Anwendung, um mit ihnen die Frage zu beantworten, ob die eisenzeitliche Landnutzung zu Bodenerosion und damit verminderter Ertragsfähigkeit des in der Region sehr fruchtbaren Bodens führte. Von besonderer Bedeutung sind kolluviale Ablagerungen, die als Archive für Sedimentation, Klima und Landnutzung zur Verfügung stehen. Noch ist unklar, zu welchen Zeiten die Kolluvien im Umfeld der Hochdorfer Siedlung entstanden. Nahm das agrarische Potenzial der Hochdorfer Siedlung als Ganzes ab? Kam es zu lokalen Umstrukturierungen der Landnutzung zwischen erodierten und kolluvialen Flächen? Analysiert werden die Landnutzungsdynamiken anhand eines multi-proxy Ansatzes, der OSL- und AMS14C-Datierungen sowie anthrakologische Bestimmungen von Baumarten umfasst, als auch Biomarkeranalysen wie Ureaseaktivität von Bodenorganismen, Steroidanalyse, Phosphoranalsyse, Analyse von niedermolekularen aromatischen Kohlenstoffverbindungen. Zur Beurteilung der Standorteigenschaften werden pH-Wert, Carbonatgehalt und die Korngrößenverteilung analysiert. Als Siedlungsanzeiger und zur Beurteilung der weiteren anthropogenen Beeinflussung des Bodens werden der Gehalt an Gesamtphosphat ermittelt und Schwermetallanalysen durchgeführt. Zur Ermittlung des geogenen Hintergrundes werden Gesamt- und Spurenelemente ermittelt. Dadurch lässt sich dann der anthropogene Anteil eines Elementes über den Unterschied zum Ausgangssubstrat abschätzen.

Auf einer weiteren Ebene soll die Frage geklärt werden, welche sozio-kulturelle Rolle der Boden in der späthallstatt-/ frühlatènezeitlichen Gesellschaft gespielt hat. Welches Bodenwissen prähistorischer Gesellschaften ist heute noch erkennbar? Um die Wahrnehmung und den Umgang mit der Ressource Boden sowie Bodenerosion nachvollziehen zu können, erfolgt ein Abgleich mit traditionellen Gesellschaften aus ethnografischen Fallstudien. Anschließend soll ein Modell zum späthallstatt- und frühlatènezeitlichen Bodenwissen erstellt werden, um die Verknüpfungen der Ressource Boden mit Ökonomie, Kosmologie und sozialer Ordnung aufzuzeigen. Zudem werden ethnografische Studien systematisch ausgewertet, die sich traditionell agrarischen Gesellschaften in Situationen des Wandels widmen. Damit wird der Frage nachgegangen, wie Gesellschaften bei klimatischen oder wetterbedingten Ereignissen reagieren und welche Bedingungen grundsätzlich zu Veränderungen oder Anpassungen der Wirtschaftsweise und vor allem der Bodennutzung führen.

Synthetisch soll anhand neuer Ergebnisse aus der näheren Siedlungsumgebung von Hochdorf (Enz), der Ergebnisse der ersten und zweiten Förderphase sowie der Auswertung ethnografischer Studien ein Modell einer RessourcenKultur, einer Gesellschaft im Umbruch, erstellt werden. Dabei geht es um die Wechselwirkungen zwischen der kulturell geprägten Ressource Boden der frühlatènezeitlichen Gesellschaft und natürlichen Faktoren.