Uni-Tübingen

Teilprojekt F01: Im Überlebenskampf: Die Bedrohung des Oströmischen Reiches unter Herakleios und die Wiederherstellung seiner politischen, sozialen und religiösen Ordnung (ca. 610-630 n. Chr.)

Abstract

Teilprojekt F01 analysiert die re-ordering-Phase im Oströmischen bzw. Byzantinischen Reich der Jahre ca. 610-630 und fragt nach den (macht-)politischen, ökonomischen, administrativen, kulturell-religiösen und kommunikativen Prozessen, die eine bis dahin singuläre Mobilisierung von Menschen und Ressourcen zur Wiederherstellung der existenziell bedrohten Ordnung ermöglichten; dabei werden besonders die zeitgenössischen Veränderungen im Kaiserbild (vornehmlich auf Basis der Dichtungen des Georgios Pisides) sowie die Funktion des großen Restitutionsaktes im Jahr 630 in den Blick zu nehmen sein.

 

Projektteam

Projektleitung:

Prof. Dr. Mischa Meier

Dr. des. Simone Blochmann

 

Mitarbeiter/innen:

Dr. Federico Montinaro

Theresia Raum

 

Hilfskräfte

Maximiliane Gindele
Damian Kozuch
Lukas Müller

Fachgebiete und Arbeitsrichtung

Alte Geschichte, Mittelalterliche Geschichte

 

Projektbeschreibung

In den Jahren zwischen 610 und 630 kämpfte das Oströmische Reich um seine Existenz. Kaiser Herakleios (610-641), selbst durch eine blutige Usurpation auf den Thron gelangt, musste um die Anerkennung seiner Herrschaft ringen. Die außenpolitische Situation war desaströs. Im Jahr 614 nahmen die Perser die heilige Stadt Jerusalem ein und verschleppten die Reliquien des Kreuzes von dort aus in ihre Haupstadt Ktesiphon. Große Teile des Reiches gingen damals an die Perser verloren: Palästina, Teile Syriens, seit 618/19 auch Ägypten. Im Jahr 615 erschienen die Perser gar bei Chalkedon. Auch auf dem Balkan hatte man sich seit dem ersten Jahrzehnt des 7. Jh. zunehmend vor Awaren und Slawen zurückziehen müssen. In der Bevölkerung verdichteten sich eschatologische Naherwartungen.

Das Oströmische bzw. byzantinische Reich als institutionelles und ideelles Ordnungsgefüge war also in mehrfacher Hinsicht existenziell bedroht: Von außen in seinem physischen Bestand, von innen als ideeller Angelpunkt zeitgenössischer Wahrnehmung und daraus resultierenden Handelns. Dennoch gelang es den Römern, im Zuge einer bis dahin singulären materiellen und ideologischen Ressourcenmobilisierung die Ordnung wieder herzustellen und damit den Bestand des Imperium Romanum zu bewahren. Herakleios selbst stellte sich dabei – als erster Kaiser nach zwei Jahrhunderten – ab 622 persönlich an die Spitze seiner Streitkräfte und leitete die römischen Gegenoffensiven. Der Sieg über die Perser wurde 630 im Zuge der restitutio crucis in Jerusalem pathetisch zelebriert.

Diesem Erfolg ging indes eine der gewaltigsten kollektiven Kraftanstrengungen der römischen Geschichte voraus, die das zentrale Erkenntnisinteresse im Teilprojekt auf den Aspekt der Mobilisierung richtet. Die Bedrohungskommunikation lässt sich in besonderer Deutlichkeit sogar auf einer terminologisch unserem Wortbrauch analogen Ebene – ein ungemein seltener Fall – im Werk des zeitgenössischen Panegyrikers Georgios Pisides fassen, der Herakleios als Restituor der Ordnung zeichnet. Man kann im Allgemeinen von einer Strategie der Ressourcenbündelung und Machtgewinnung sprechen.

Die Zeit des Herakleios hat bis dahin in der Byzantinistik eher ein Schattendasein geführt und wurde seitens der Alten Geschichte praktisch überhaupt nicht behandelt. Das Teilprojekt F01 setzt das Teilprojekt C01 [link?] fort und will durch das im SFB 923 entwickelte innovative Modell einen neuen Beitrag zur Diskussion des Epochenübergangs von der römischen Spätantike zum byzantinischen Mittelalter erbringen. Ziel des Teilprojektes ist also weniger eine Rekonstruktion der Ereignisgeschichte der Jahre ca. 610-630 als vielmehr eine Analyse der Modi der Wiederherstellung der Ordnung (‚re-ordering‘) des Oströmischen Reiches innerhalb dieses entscheidenden Zeitraums.

Zu diesem Zweck sind geplant:

  • eine Analyse der politischen, ökonomischen, administrativen, kulturellen, religiösen und kommunikativen Prozesse ca. 610-630 (Doktorandin)
  • eine Untersuchung der Veränderung des Kaiserbildes unter Herakleios und seinen Nachfolgern (der ‚herakleischen Dynastie‘), u.a. auf Basis der in dieser Hinsicht zentralen Schriften des Georgios Pisides, die in diesem Zusammenhang auch erstmals ins Deutsche übertragen werden (Postdoc/Projektleiter)
  • eine Analyse des Restitutionsaktes 630 in Jerusalem (Projektleiter)

Im Projektbereich F bestehen enge methodische Affinitäten vor allem zum Teilprojekt F02, in dem ebenfalls die Frage nach den Zusammenhängen zwischen Bedrohungsdiagnose, - kommunikation, Mobilisierung sowie die Modi des Zusammenwirkens gestellt wird. Mit den Teilrojekten E01, E02 und G01 lässt sich gemeinsam die übergreifende Frage nach dem Epochenübergang Spätantike-Frühmittelalter diskutieren, Projekt E02 wird darüber hinaus einen wichtigen Ansprechpartner in Fragen nach den ökonomischen Aspekten darstellen. Methodische Anregungen zum Kommunikationsbegriff erhoffen sich die Teilprojekter insbesondere vom Projekt G07.

Teiluntersuchung 1 (Dr. Federico Montinaro)

Der Überlebenskampf des oströmischen bzw. byzantinischen Reiches unter der herakleischen Dynastie (610-695 und 705-711) gegen externe (Awaren, Perser, Slawen und Araber) und innere Gegner (Pest, Entvölkerung, Usurpationsversuche) erfolgte durch die wiederholte Herstellung einer politischen und sozialen Ordnung mittels nicht nur militärischer und administrativer, sondern auch kultureller und kommunikativer Maßnahmen. Die Neugestaltung der Ordnung manifestiert sich also insbesondere auch in einer markanten Veränderung des Kaiserbildes bzw. der Darstellung des Herrschers und der von ihm vertretenen Institutionen, die im Mittelpunkt der Teiluntersuchung ist. Neue Wertigkeiten scheinen sich zu etablieren (z.B. der Kaiser als aktiver Soldat, der Kaiser als Messias), überkommene Ideale verlieren an Relevanz (z.B. der Kaiser als Euergetes, demonstrative Demut vor Gott). Zentrale Dokumente für die Zeit des Herakleios (610-641) sind in dieser Hinsicht die umfangreichen Werke des zeitgenössischen Dichters Georgios Pisides, der für den Kaiser ein neues, bis dahin nicht belegtes und seinerseits mit Christusbezügen spielendes Wort kreiert: den kosmorhýstes, ‚Erlöser der Welt‘, aber auch ‚Bewahrer der Ordnung‘ (Meier). Justinian II. (685-695 und 705-711), der letzte Herrscher aus der Dynastie des Herakleios, konnte noch zum ersten Mal in der Geschichte Byzanz das Christusbild auf seine Münzen prägen lassen.

Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Solidus-Justinian_II-Christ_b-sb1413.jpg („Nomisma (Goldmünze) Justinians II. mit Christusbild auf der Vorderseite”

 

Projektbezogene Vorträge und Publikationen

  • When events like streams flood the earth - Threat discourse in the reign of Herakleios, in: Limes
    Plus 13/2 (2016), S. 41-54.
    Deus Adiuta Romanis - Threat and Threat Communication in the Eastern Roman Empire, in:
    Eberhard Crailsheim / María Dolores Elizalde (Hrsgg.), Representations of External Threat in
    History: Medieval World to 19th Century (= History of Warfare 123) (erscheint 2019)

 

Meier, Mischa

  • Liturgisierung und Hypersakralisierung. Zum Bedeutungsverlust kaiserlicher Frömmigkeit in Konstantinopel zwischen dem 6. und 7. Jahrhundert n. Chr., in: N. Schmidt/N. K. Schmid/A. Neuwirth (Hgg.), Denkraum Spätantike. Reflexionen von Antiken im Umfeld des Koran, Wiesbaden 2016, 75-106.
  • Liturgification and Hyper-Sacralization: The Declining Importance of Imperial Piety in Constantinople between the 6th and 7th Centuries A.D., in: G.-B. Lanfranchi/R. Rollinger (Hgg.), The Body of the King. The Staging of the Body of the Institutional Leader from Antiquity to Middle Ages in East and West, Padua 2016, 227-246.
  • Die Spätantike, zeitlich und räumlich neu gefasst. Eine Zwischenbilanz aktueller Suchbewegungen, in: HZ 304 (2017), 686-706.
  • Der Monarch auf der Suche nach seinem Platz. Kaiserherrschaft im frühen Byzanz (5.bis 7. Jahrhundert n. Chr.), in: S. Rebenich (Hg.), Monarchische Herrschaft im Altertum, Berlin/Boston 2017, 509-544.
  • Von der Krise zur Bedrohten Ordnung: Anmerkungen zur Diskussion um das Ende der Antike im Osten des Römischen Reiches, in: S. Fink/R. Rollinger (Hgg.), Krisen in der Antike, 2016 (im Druck).
  • Religion, Warfare and Demography, in: N. Baker-Brian/J. Lössl (Hgg.), Blackwell Companion to Religion in Late Antiquity, 2017 (in Vorbereitung).
  • „The Other Age of Justinian“: Environment, Extreme Events and the Transformation of the Mediterranean, 5th-7th Century, in: A. Izdebski/J. Preiser-Kapeller/M. Popovic (Hgg.), A Companion to the Environmental History of Byzantium, 2017 (im Druck).
  • Als Araber die Welt eroberten / Die Schlacht bei Tours und Poitiers / Weihrauch gegen Pelze, in: SPIEGEL Geschichte 1/2017, 17-23 (gemeinsam mit S. Patzold).
  • Zu schwach zur Gegenwehr, in: Damals 49.4 (2017), 42-44.

Montinaro, Federico

  • ‘Eusebius was the author of the Contra Hieroclem’ [eingereicht Jahrbuch für Antikes Christentum;  mit L. Neumann]
  • ‘Byzantium, the Merovingians and the hog, in The Merovingian Kingdoms and the Mediterranean World: Revisiting the Sources’, hg. von P. Bockius, S. Esders, Y. Hen and T. Rotman, Bloomsbury [im Druck]
  • ‘On the Scriptor Incertus de Leone Armenio, Theophanes and the continuation of Malalas’, Chronicles as Literature at the Crossroad of Past and Present, hg. von S. Mariev (Byzantinisches Archiv), de Gruyter [im Druck]
  • 'Byzantine and Early Islamic Historiography: the Question of Influence', in Non-Muslim Contributions to Islamic Civilisation, hg. von C. Hillenbrand, M. Wissa, A. Watson and B. Catlos, 1. Band, Edinburgh University Press [im Druck]
  • ‘Killing ‘empire’: Goldilocks and the three Byzantine kommerkiarioi (A response to John Haldon)’, Journal of European Economic History 46, 2017 [im Druck]
  • ,Scaliger's lie? A note on "Project Procopius"', in Procopius of Caesarea: Literary and Historical Interpretations, ed. by C. Lillington-Martin and E. Turquois, London – New York 2017, S. 253-258
  • ‚The Chronicle of Theophanes in the indirect tradition’, in Studies in Theophanes (= Travaux et mémoires 19), Paris 2015, S 177-205
  • Rez. M. Campagnolo-Potitou und J.-C. Cheynet, Sceaux de la collection George Zacos au Musée d'art et d'histoire de Genève, in Numismatic Chronicle 76, 2016
  • Rez. R. Burgess, Roman Imperial Chronology and Early-Fourht-Century Historiography, in Historische Zeitschrift 2016

Raum, Teresia

  • When events like streams flood the earth - Threat discourse in the reign of Herakleios, in: Limes Plus 13/2 (2016), S. 41-54

Tagungen, Workshops, Konferenzen

  • The Battle of Yarmūk (A.D. 636/A.H. 15). History and memories of the Middle East, Tübingen, 12. Dezember 2015. Georgios Pisides und die Dichtung des Mittelalters: Byzanz und das Abendland, Tübingen, 31. März 2017.
  • The Battle of Yarmūk, 636 CE: Rethinking 'Conquest' in the Late Antique Near East from Byzantium to Islam, Tübingen, 16.-17. Juni 2017 (zusammen mit M. Akpınar, L. Ilisch).

Raum, Teresia

  • “The Reinvention of the Soldier-Emperor under Heraclius”, 18th International Graduate Conference, Oxford University Byzantine Society, Oxford, 26.–27. Februar 2016.
  • “When events like streams flood the earth - Threat discourse in the reign of Herakleios”, 23rd
  • International Congress of Byzantine Studies, Belgrad, 22.-27. August 2016.
  • “Deus Adiuta Romanis – Threat and Threat Communication in the Time of Heraclius”, International Workshop “Representations of External Threats in History”, Madrid, 11.-12. Mai 2017.
  • “Byzantium on the eve of the conquests”, International Conference “The battle of Yarmūk (636 CE)”, Tübingen, 16.-17. Juni 2017.