Uni-Tübingen

Adipositas im Gehirn

Wer zu viel Süßes oder Fettiges isst, verändert schon nach wenigen Tagen die Hungerregulation im Gehirn.

Nach einem langen, stressigen Arbeitstag oder wenn man unter Zeitdruck steht, kann die Versuchung groß sein, einen schnellen, sättigenden Snack – wie Chips oder einen Schokoriegel – zu essen. Die Forschung zeigt, dass diese hoch verarbeiteten, kalorienreichen Lebensmittel eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Fettleibigkeit spielen. Die dauerhaften Auswirkungen dieser Lebensmittel auf das Gehirn waren nicht klar – bis jetzt. 

Überraschenderweise kann sogar der kurzfristige Verzehr von stark verarbeiteten, ungesunden Lebensmitteln die Insulinempfindlichkeit im Gehirn gesunder Menschen erheblich verringern. Dieser Effekt bleibt auch nach der Rückkehr zu einer normalen Ernährung bestehen, wie eine kürzlich von meinen Kollegen und mir durchgeführte Studie zeigt, die die wichtige Rolle des Gehirns bei der Entstehung von Fettleibigkeit unterstreicht 1. Ungesunde Fettverteilung und anhaltende Gewichtszunahme sind mit der Reaktion des Gehirns auf Insulin verbunden. Bei einem gesunden Menschen hilft Insulin, im Gehirn den Appetit zu kontrollieren. Bei Menschen mit Fettleibigkeit verliert das Insulin jedoch seine Fähigkeit, die Essgewohnheiten zu regulieren – was zu Insulinresistenz führt. Insulin hat viele Aufgaben im Körper, unter anderem hilft es dem Zucker (Glukose), die Muskelzellen zu erreichen und nach einer Mahlzeit als Energiequelle zu nutzen. Im Gehirn signalisiert Insulin dem Körper außerdem, weniger zu essen.


Ungesunde Fettverteilung und anhaltende Gewichtszunahme sind mit der Reaktion des Gehirns auf Insulin verbunden.


Nicht jedes Gehirn reagiert gleich

Aber nicht jedes Gehirn reagiert gleich auf Insulin. Viele Menschen haben eine schwache oder fehlende Insulinreaktion im Gehirn, die als „Hirninsulinresistenz“ bezeichnet wird. Menschen mit Hirninsulinresistenz haben mehr Heißhunger und setzen mehr Bauchfett an. Fett kann Fettleibigkeit begünstigen und somit erheblich zur Insulinresistenz beitragen. Je mehr Fettzellen, insbesondere im Bauch, vorhanden sind, desto weniger wirksam ist das Insulin. Fett setzt Botenstoffe frei, die die Insulinresistenz fördern.

Die Anzeichen einer verminderten Insulinempfindlichkeit im Gehirn zeigen sich jedoch schon lange bevor man von Fettleibigkeit spricht, die als Body-Mass-Index (BMI) über 30 definiert ist. Dieser wird berechnet als Gewicht (in Kilogramm) geteilt durch das Quadrat der Körpergröße (in Metern), hat aber seine Grenzen. Es wird daher empfohlen, übermäßiges Übergewicht durch die Messung des Körperfetts zu bestätigen.


Der Verzehr von ungesunden Lebensmitteln verringert die Insulinempfindlichkeit in unserem Gehirn.


Nach nur fünf Tagen, in denen die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer zusätzlich 1.500 Kalorien in Form von Schokoriegeln und Chips zu sich nahmen, sank die Insulinempfindlichkeit in den Gehirnen der Teilnehmenden drastisch. Symptome, die bisher vor allem bei fettleibigen Menschen zu beobachten waren. Selbst eine Woche nach der Wiederaufnahme einer normalen Ernährung zeigten MRT-Scans eine anhaltend niedrige Insulinempfindlichkeit im Gehirn. Obwohl keine signifikante Gewichtszunahme zu verzeichnen war, reichte der kurze Zeitraum aus, um das Leberfett deutlich ansteigen zu lassen.

Es scheint, dass Fettleibigkeit nicht nur eine Frage von schlechter Ernährung und unzureichender Bewegung ist. Sie hat auch viel mit der Anpassung der Insulinreaktion des Gehirns an kurzfristige Änderungen der Ernährung zu tun, bevor es zu einer Gewichtszunahme kommt. Aber ist die Insulinresistenz des Gehirns ein dauerhaftes Problem? In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass regelmäßiger Sport über einen bestimmten Zeitraum die Insulinempfindlichkeit des Gehirns bei übergewichtigen und fettleibigen Menschen wiederherstellen kann. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies auch für normalgewichtige Menschen gelten könnte. Die Zahl der fettleibigen Menschen hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten weltweit mehr als verdoppelt. Und es gibt kaum Anzeichen dafür, dass dieser Trend bald ein Ende finden wird. Die Rolle des Gehirns muss berücksichtigt werden, denn die Mechanismen im Körper, die zu Fettleibigkeit führen, sind komplexer als nur eine schlechte Ernährung und mangelnde Bewegung.


Menschen mit Hirninsulinresistenz haben mehr Heißhunger und setzen mehr Bauchfett an.


Professorin Stephanie Kullmann erforscht neurobiologische Mechanismen, die im Zusammenhang mit Fettleibigkeit und Diabetes beim Menschen entstehen. 

Sie ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Metabolic Neuroimaging am Institut für Diabetes Forschung und Metabolische Erkrankungen (IDM) am Helmholtz Center München an der Universität Tübingen.


1 Stephanie Kullmann et al, „A short-term, high-caloric diet has prolonged effects on brain insulin action in men”, Nature Metabolism, 21 February 2025, https://www.nature.com/articles/s42255-025-01226-9 

Text: Stephanie Kullmann


Weitere Meldungen

Was Hexereiprozesse über Ökonomie offenbaren

Jörg Baten untersucht Gewalt, Bildung und Wachstum über die Jahrtausende. Dafür bedient er sich ungewöhnlicher Methoden.

Ein Haus für alle Fälle

Das LebensPhasenHaus in Tübingen inspiriert seit zehn Jahren zu einem langen und autonomen Leben in den eigenen vier Wänden.