Mehrere Hundert Interessierte waren am Abend des 19. November beim Auftakt der Dialogreihe „CIN-Dialogue at the Interface of the Neuroscience and the Arts and Humanities“ anwesend. Sie alle wollten hören, was sich der Neurowissenschaftler Semir Zeki vom University College London und der Kunsthistoriker Hans Belting, Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, zu sagen hätten. „Was sind ästhetische Empfindungen?“, so lautete das Thema des Zwiegesprächs, das von dem Journalisten Gert Scobel moderiert wurde. So geläufig diese Frage in den Kunst-, Literatur- und Medienwissenschaften sowie der Philosophie ist, so ungewohnt, geradezu unpassend erscheint sie im Feld der Neurowissenschaften. Es ist denn auch eine junge Disziplin, die Semir Zeki vertritt und in der er den ersten Lehrstuhl weltweit besetzt: die Neuroästhetik. Vordringliches Ziel der neuroästhetischen Forschung ist die Entschlüsselung der visuellen Grammatik, auf der die Kunstwahrnehmung beruht.
Gleich die erste Frage deckte Differenzen auf: Gert Scobel wollte wissen, was die verschiedenen Disziplinen unter einem Bild verstehen. So hält es Hans Belting nicht für möglich, das Bild, das wir uns von etwas machen, von seiner Vorlage in der externen Realität strikt zu trennen. Semir Zeki dagegen unterscheidet zwischen dem externen Gegenstand und einer geistigen Idealvorstellung, die sich im Wahrnehmungsprozess gleichsam wie eine Folie auf den Gegenstand legt. Kunst, so Zeki, sei das ins Werk Setzen solcher vom Gehirn produzierter Idealvorstellungen. Die Genieästhetik, die in diesem Ansatz aufblitzt, ist freilich spätestens mit der Kunst des 20. Jahrhunderts überholt.
Vertieft wurde die inhaltliche Auseinandersetzung in einem zweitägigen Workshop am Forum Scientiarum, zu dem zahlreiche weitere Wissenschaftler nach Tübingen gekommen waren. Die Veranstalter möchten mit der neuen Dialogreihe zu einem besseren Austausch zwischen den Neuro- und den Geistes- und Sozialwissenschaften beitragen. Sie soll im kommenden Jahr fortgesetzt werden.
Nils Weidtmann
Das Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften ist eine interdiziplinäre Einrichtung der Universität Tübingen und wird im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. http://www.cin.uni-tuebingen.de/ Das Forum Scientiarum ist eine Wissenschaftliche Einrichtung der Universität Tübingen zur Förderung des Dialogs zwischen den Wissenschaften in Forschung und Lehre. Das Forum Scientiarum wird gefördert von der Udo Keller Stiftung Forum Humanum, der Klett-Stiftung und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. http://www.forum-scientiarum.uni-tuebingen.de/de/vortragsprogramm/cindialogues/index.html |
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