Was sagen die monotheistischen Religionen zu Lohnarbeit? Werden sie mit ihren Ideen und Vorstellungen der aktuellen Situation der Erwerbstätigen gerecht? Diesen Fragen wollte sich der Workshop „Erwerbsarbeit als Herausforderung für die Weltreligionen“ am Zentrum für Islamische Theologie (ZITh) der Universität Tübingen nähern. Der Workshop einer interdisziplinären Forschergruppe, bestehend aus Vertretern des ZITh, des Lehrstuhls für Theologische Ethik der Katholisch-Theologischen Fakultät sowie des Graduiertenkollegs Islamische Theologie der Mercator-Stiftung, fand Mitte Februar statt.
Die Teilnehmer am Workshop, Vertreter des muslimischen, jüdischen und christlichen Glaubens, versuchten jeweils, die Sichtweise ihrer Theologien darzulegen – und hingen immer zunächst einmal an zwei Fragen: Reden wir über „Arbeit“ oder über „Erwerbsarbeit“? Und wie ist diese dann zu definieren?
Torsten Meireis, Professor für Evangelische Theologie an der Universität Bern, näherte sich dieser Frage an: Wenn Arbeit eine mühevolle Tätigkeit ist, ist auch der Marathonlauf eingeschlossen. Eine gesellschaftlich notwendige Tätigkeit – wie aber ist dann die Waffenproduktion einzuordnen? Schließlich schlug er vor, Arbeit über die kapitalkräftige Nachfrage nach derselben zu definieren.
In der christlichen Tradition erfuhr die Arbeit einen gewissen Bedeutungswandel. Bis in die frühe Neuzeit galt sie einfach als körperliche Mühe. Mit der Reformation jedoch wurde sie zu „Anti-Armut und Berufung“, so Meireis. Jeder Mensch sei berufen, seinem nächsten zu dienen, forderten deshalb die Kirchenreformer Martin Luther und Johannes Calvin.
Die jüdische Theologie kennt sogar eine lange Tradition der Arbeiterrechte. Im Talmud, dem Kommentar zur Tora, ist beispielsweise festgelegt, dass Tagelöhner immer vor Sonnenuntergang zu bezahlen sind. Die Arbeiter sollen nicht um ihren Lohn betrogen werden können. Und Schimon der Gerechte sagte schon im 4. Jahrhundert vor Christus, die Welt bestehe aus dem Studium der Tora, aus Arbeit und aus sozialer Gerechtigkeit. „Jeder, der vor Gott tritt, wird gefragt: Warst Du bei Handelsgeschäften immer gut und gerecht?“, schilderte Abraham de Wolf, Rechtsanwalt aus Frankfurt am Main, die Anforderungen an Juden im Wirtschaftsleben.
Lejla Demiri, Professorin an der Universität Tübingen, sieht im Islam sogar eine moralische Verantwortung des Menschen zu arbeiten. Der Ertrag seiner Arbeit muss dann der Gemeinschaft zu Gute kommen. Hier ist Gott Vorbild, denn er ist freigiebig, und so muss auch der Mensch freigiebig sein.
Matthias Möhring-Hesse, Professor für Katholische Theologie an der Universität Tübingen, zeigte, wie ernüchternd die theologische Beschäftigung mit Arbeit sein kann. In einem Forschungsprojekt hatte Möhring-Hesse Betriebsseelsorger und Arbeitergeschwister zu ihren Erfahrungen befragt. Arbeitergeschwister sind theologisch ausgebildete Menschen, die sich entschieden haben, in meist industriellen Betrieben selbst ihren Lohn zu verdienen. Sie berichteten häufig von einer völligen Abwesenheit von Gott, stattdessen fanden sie Probleme wie Entsolidarisierung und Mobbing vor. Das liege, vermutet Möhring-Hesse, an der Art der Arbeitsverhältnisse, die häufig sehr prekär sei. Gleichzeitig sei unter den Erwerbstätigen die Suche nach „Inseln der Gott-Anwesenheit“ zu beobachten.
Alle drei Religionen, Islam, Judentum und Christentum, sehen also den Menschen zur Arbeit verpflichtet. Ihr Ertrag soll gerecht und solidarisch verteilt werden. Ist dies nicht der Fall, kann es so weit führen, dass Gott im Arbeitsleben nicht mehr spürbar ist.
Mouez Khalfaoui, Junior-Professor an der Universität Tübingen und Organisator des Workshops, zeigte sich zufrieden mit dieser ersten derartigen Veranstaltung am ZITh. Besonders wichtig seien die unterschiedlichen Perspektiven gewesen. „Solche Veranstaltungen tragen dazu bei, eine eindimensionale Betrachtung der Arbeit zu vermeiden“, sagte Khalfaoui. Die Ergebnisse sollen laut Khalfaoui Anregungen für weitere Forschung sein. Der interreligiöse Workshop wird künftig jährlich stattfinden. Die Vertreter der drei Religionen planen sich im nächsten Jahr an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Hohenheim zu treffen.
Jörg Schäfer