„Und, woran forschst du?“ Der Satz ist häufig zu hören beim Workshop „Wissenschaft anschaulich kommunizieren“, der vom Seminar für Allgemeine Rhetorik zum ersten Mal im Rahmen von „Rhetorik und Wissen“ veranstaltet wird. Im Forum Scientiarum sind Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz unterschiedlichen Forschungsdisziplinen zusammengekommen, um ihr Interesse an Wissenschaftskommunikation zu vertiefen. „Das Thema ist mir erst vor ein paar Wochen über den Weg gelaufen, aber seitdem bin ich Feuer und Flamme dafür“, sagt Salome Wörner, die im Bereich Physikdidaktik promoviert. „Ich habe mich für den Workshop angemeldet, um von Profis auf verschiedenen Gebieten noch mehr über Wissenschaftskommunikation zu lernen.“ Die Doktorandinnen und Post-Docs stellen und beantworten die Forschungs-Frage nicht nur, um einander kennenzulernen. Immer wieder werden sie von den Workshopleitern vor die Aufgabe gestellt, ihre eigene Forschung an ganz unterschiedliche Zielgruppen verständlich und lebendig zu vermitteln. So etwa im Teil „#GIFyourScience“ von Johanna Barnbeck. Die Gründerin der Wissenschaftskommunikations-Agentur „Spread the Nerd“ stellt den Teilnehmenden rasante Skizzieraufgaben und lässt sie Gifs animieren: Immer das Ziel im Auge, die Kernbotschaft der eigenen Forschung in ein ansprechendes Bild zu bringen.
Durch Praxis und Reflexion will der Workshop Bewusstsein schaffen für die vielfältigen Aufgaben und Bereiche der Wissenschaftskommunikation. Die haben sich im letzten Jahrzehnt grundlegend geändert, sagt der Leiter der Hochschulkommunikation, Karl Guido Rijkhoek. Zwar sei die Pressemitteilung weiterhin ein bedeutendes Instrument, doch Forschende sollen und müssen ihre Erkenntnisse vermehrt selbst in die Öffentlichkeit kommunizieren. Wer aktiv werden will, sollte die unterschiedlichen Formate und Bereiche der Wissenschaftskommunikation kennen, zudem Techniken und Fähigkeiten trainieren. Clive Oppenheimer ist ein Paradebeispiel für einen so aktiven wie erfolgreichen Kommunikator. Der Professor für Vulkanologie von der University of Cambridge ist weltbekannt – in Fachkreisen für seine Spektrometer und Feldforschung, die ihn bis nach Nordkorea brachte, bei Filmfreunden für seine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Werner Herzog. Er ist Dozent der fünften Ausgabe von Rhetorik und Wissen, am Abend des 29. Oktober berichtet er vor 800 Menschen im Kupferbau aus seiner Forschung. Vorher, in seiner Masterclass für den Workshop geht es vor allem um seine Entwicklung vom reinen Naturwissenschaftler zum Filmemacher. Er zeichnet ein humorvolles „Portrait of the Scientist as an Artist“ und rät den Teilnehmenden, viel zu üben und sich selbst beim Forschen zu beobachten: „Tretet einen Schritt neben euch, fangt an euch zu filmen, führt Interviews mit Kolleginnen auf Konferenzen und Freunden im Labor.“ Er selbst habe Mitte der 2000er angefangen, seine Kamera überall hin mitzunehmen, um nicht nur seine Forschung, sondern auch seine persönliche Entwicklung aufzuzeichnen.
„Clive Oppenheimer ist ein Mann mit vielen Gesichtern, er ist Vulkanologe, Weltreisender, Filmemacher und Kommunikator“, so kündigt ihn Olaf Kramer, Professor für Rhetorik und Wissenskommunikation, dann auch beim Abendvortrag an. Unter Kramers Leitung hat sich „Rhetorik und Wissen“ als Veranstaltung etabliert, die dem Tübinger Publikum tiefe Einblicke in die Erkenntnisse und die Motivation von Spitzenforschenden erlaubt. Auch das Risiko, mit Oppenheimer zum ersten Mal einen englischsprachigen Dozenten nach Tübingen einzuladen, hat sich gelohnt. Der größte Hörsaal der Universität ist bis auf den letzten Platz belegt, bereits am Vorabend sorgte eine Vorführung von Oppenheimers und Herzogs gemeinsamen Film „Into the Inferno“ für eine lange Warteschlange vor dem Kino Arsenal. Diese Resonanz beeindruckt Oppenheimer sichtlich: „Ich habe noch nie vor so einem großen Publikum gesprochen“, gibt er im Kupferbau zu, bevor er seine Forschung als präzise Detektivarbeit erläutert: Oppenheimer trägt geologische, historische, archäologische und biologische Befunde zusammen, um zu ermitteln, wann die großen Vulkanausbrüche der Menschheitsgeschichte stattgefunden haben und welche Auswirkungen sie auf den Menschen und seine Entwicklung hatten. Clive Oppenheimers Vortrag setzt so den Schlusspunkt für „Rhetorik und Wissen“ 2019 und verdeutlicht nochmals das große Interesse an anschaulicher Wissenschaftskommunikation, sowohl aufseiten der Öffentlichkeit wie auch der Forschenden beim Workshop. Moritz Koch vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin etwa nimmt von „Rhetorik und Wissen“ neben Methoden und Austauschmöglichkeiten „vor allem die Inspiration mit, mich selbst in dem Bereich auszuprobieren und Wissenschaft in die Gesellschaft zu tragen“. Kinofilm, öffentlicher Vortrag und Workshop haben so auf vielfältige Weise Menschen für Wissenschaft und Kommunikation begeistert – ganz so wie es das Ziel der Reihe „Rhetorik und Wissen“ und auch der finanzierenden Heidelberger Klaus Tschira Stiftung ist.
Markus Gottschling