Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2022: Forschung

„Wie Moleküle miteinander kuscheln“

Ein Interview mit der algerischen Chemikerin Professorin Majda Sekkal Rahal

Die Chemie-Professorin Dr. Majda Sekkal Rahal von der Universität Djillali Liabes de Sidi Bel Abbes in Algerien verliebte sich nach dem Erhalt eines Humboldt-Forschungsstipendium 2013 in den Wissenschaftsstandort Deutschland. Seit 2022 ist sie als Deutschlandbotschafterin für die Alexander von Humboldt-Stiftung in Algerien tätig. Es sind allerdings spezielle Moleküle, die sie noch mehr begeistern und die sie in diesem Jahr nach Tübingen gebracht haben, finanziert über die Afrika-Förderung des Wissenschaftsministeriums Baden-Württemberg. Mit Professor Reinhold Fink vom Fachbereich Chemie möchte sie in Tübingen erforschen und verstehen lernen, wie Moleküle miteinander „kuscheln“.

Worum geht es bei Ihrem Forschungsprojekt an der Universität Tübingen?

Ich bin Chemikerin, mein besonderer Fokus liegt aber derzeit auf der Theoretischen Chemie. In Tübingen untersuchen wir die Besonderheiten der Interaktionen, in die Moleküle zueinander eintreten, insbesondere wenn sie sich berühren – ja, man könnte sagen, wenn sie miteinander kuscheln. Professor Reinhold Fink und ich sind insbesondere an den Wechselwirkungen interessiert, durch die Moleküle sich gegenseitig abstoßen. Diese bestimmen zum Beispiel die molekularen Strukturen in unserem Körper. Meistens steckt in diesen Wechselwirkungen von Molekülen nur wenig Energie. Was wir neu verstehen ist, wie ungesättigte organische Verbindungen, also Moleküle mit Doppelbindungen, miteinander interagieren. Insbesondere beobachten wir, dass abstoßende Kräfte viel wichtiger sind als man bisher angenommen hat. 

Welche Auswirkungen haben diese Forschungserkenntnisse und theoretischen Annahmen für andere?

Die Ergebnisse können insbesondere für die Entwicklung von Medikamenten relevant sein. In den besonderen Wechselwirkungen der Moleküle, die sich nahekommen und abstoßen, könnten wir entsprechende Antworten und Erklärungen finden, wie sich Medikamente auf unseren Körper auswirken. Dafür müssen wir besser verstehen, wie Proteine, DNA und andere Moleküle sich zueinander anordnen wollen.  

Wir benutzen hier einen sehr theoretischen Ansatz und müssen die Konsequenzen dieser sehr grundlegenden Wechselwirkungen intensiv diskutieren.

Wie ist Ihr Interesse speziell für Tübingen entstanden?

Ich war in Tübingen seit 2013 bereits mehrere Male, allerdings immer nur für einwöchige Kurzaufenthalte bei Herrn Professor Fink. Ich habe ihn über einen Postdoc kennengelernt, der mich mit ihm vernetzte – was für ein Glück für mich! Ich lernte so Professor Finks interessante Forschungsarbeiten zu Anordnungen von organischen Farbstoffen sowie seine theoretische Beschreibung von Rumpfelektronenspektren kennen. Allerdings hatten wir bis auf ein Erasmus-Programm, das ich zwischen unseren Hochschulen im Jahr 2018 initiierte, keine weitere offizielle Kooperation. Das soll sich aber mit dem jetzigen Aufenthalt ändern. In unserem Forschungsprojekt möchten wir nun gemeinsam die Abhängigkeiten von Molekülen von ihren „sozialen“ Interaktionen mit anderen Molekülen beleuchten und verstehen lernen. Der viermonatige Forschungsaufenthalt, der mir über die Afrika-Förderung des Landes Baden-Württemberg zuteilgeworden ist, ist eine großartige Gelegenheit, zusammenzuarbeiten und die Ergebnisse wissenschaftlich aufzuarbeiten.

Der Vorteil unseres gemeinsamen Projektes ist auch, dass wir unsere Studierenden von Anfang an in die Forschung mit einbeziehen. Seit 2018 kamen über Erasmus sieben meiner Studierenden von Algerien nach Tübingen. Ich habe aktuell wieder zwei Studierende mit mir hergebracht. Die Studierenden haben bereits viele Tests mit intermolekularen Interaktionen durchgeführt. Aktuell bestätigen und ergänzen ihre Ergebnisse unsere theoretischen Annahmen. 

Welche greifbaren Ergebnisse sind Ihnen während des Aufenthaltes hier in Tübingen besonders wichtig?

Nach intensiver Forschungsarbeit auf diesem Gebiet treiben wir nun endlich eine gemeinsame Veröffentlichung der Ergebnisse voran. Dabei hilft das gemeinsame Zusammentragen von Forschungsergebnissen, Interpretationen, Literatur und auch unserer unterschiedlichen Länderperspektiven. Auch unsere Studierenden werden unsere Sichtweisen vervollständigen. Meine Studierenden sind nun hier Teil der Forschungsgruppe. Sie freuen sich in Tübingen zu sein, da es so anders als zuhause in Algerien ist und sie über diese Erfahrung so viel mitnehmen und lernen können – so wie ich.  

Was sind Ihre Eindrücke von Tübingen?

Es ist so beeindruckend, dass die Universität überall in der Stadt ist! Es gibt hier sehr viele junge Menschen, ich nehme an, es sind alles Studierende. Und auch die Altstadt und das Schloss sind so wunderschön. Darüber hinaus habe ich sehr viele Orte kennengelernt, an denen wichtige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gearbeitet haben. Zudem bin ich mir auch der hohen Reputation der Universität Tübingen bewusst, die sie zum Beispiel mit ihrer wichtigen Medizinischen Fakultät und ihrem Campus Morgenstelle ausstrahlt. Ich bin über diese Außenwirkung wirklich beeindruckt und freue mich sehr, hier zu sein. 

Gibt es etwas, das die deutsche Wissenschaft von der algerischen Wissenschaft lernen könnte und umgekehrt?

Ich habe sehr viel von Deutschland und seiner sehr gut strukturierten Forschungslandschaft lernen dürfen. Hier in Tübingen ist die computergestützte und theoretische Chemie für mich am wichtigsten. Professor Reinhold Fink ist in diesem Forschungsbereich sehr etabliert. Ich erhoffe mir, viel von seinem Wissen mitnehmen zu können. Auf der anderen Seite lernen wir gegenseitig voneinander. Gerne teile ich meine Länderperspektive und werde mit ihm und meinen Studierenden bei der Veröffentlichung unserer Annahmen und Ergebnisse zusammenarbeiten.

In Algerien ist die Forschung hingegen noch sehr jung. Es gibt eine allgemeine Forschungsinfrastruktur, aber keine Spezialisierungen. Seit 2000 haben wir einige Labore, die allerdings auf einfachere Forschungsthemen begrenzt sind. Deswegen ist der internationale Austausch wichtig, um unsere Forschungs- und auch Lehrbedingungen verbessern zu können. Meine Idee ist es, eine Deutsch-Algerische Hochschule ins Leben zu rufen wie man sie auch schon in anderen Ländern wie in Jordanien (Deutsch-Jordanische Universität) und in der Mongolei (Deutsch-Mongolisches Institut für Technik), gefördert von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), oder auch in Algerien mit der panafrikanischen Universität, aufgebaut mithilfe deutscher Lehrkräfte, finden kann. Das könnte ein Konzept sein, um unsere Standards in Forschung und Lehre zu verbessern. Das ist nochmal mehr meine deutsche Mission – weswegen mich meine algerischen Kolleginnen und Kollegen und Studierenden manchmal schon „Frau Angela Merkel“ nennen.

Letztendlich wünsche ich mir, dass dieser Austausch auch nach meinem Forschungsaufenthalt weitergeht. Ich bin sehr zufrieden, wie es läuft.

Das Interview führte Christin Wannagat