Frau Konnertz, das Leibniz Kolleg ist die älteste Einrichtung Deutschlands, die ein fächerübergreifendes Orientierungsstudium für angehende Studierende ermöglicht. Dieses Jahr feiert es sein 75-jähriges Jubiläum. Wie gestalten Sie das Jubiläumsjahr?
Mit zwei verschiedenen Veranstaltungen: einer Festveranstaltung im Audimax der Universität Tübingen und einem zweitägigen Alumni-Fest. Die Festveranstaltung fand am 5. Februar 2023 statt, auf den Tag genau 75 Jahre nach Eröffnung des Kollegs. Das Alumni-Fest wird im August sein. Anlässlich des Jubiläums haben wir zudem die nun jährlich stattfindende „Hannah Arendt-Lecture“ initiiert. Diese soll an die deutsch-jüdische Philosophin erinnern, die in den 1950er-Jahren im Leibniz Kolleg Vorträge zu Elementen und Ursprüngen totalitärer Herrschaft hielt. Am Alumni-Fest werden wir gemeinsam mit den Ehemaligen das Thema des diesjährigen Studienjahrs „Welche Zukunft? Wessen Zukunft?“ bearbeiten. Auch dazu wird es einen Festvortrag und eine Podiumsdiskussion geben.
Wodurch hebt sich das Leibniz Kolleg hervor?
Das Leibniz Kolleg bietet ein einjähriges Orientierungsstudium an und verbindet dabei als einziges Kolleg in Deutschland das Studium sociale mit dem Studium generale. Das bedeutet, dass im Leibniz Kolleg Leben und wissenschaftliches Arbeiten eng miteinander verbunden sind: Die Kollegiatinnen und Kollegiaten bewohnen Zweibettzimmer, verwalten sich demokratisch selbst und arbeiten hochmotiviert in den im Haus stattfindenden wissenschaftlichen Seminaren.
Wie genau erproben Kollegiatinnen und Kollegiaten im Leibniz Kolleg Demokratie?
Sie haben ein Gremium, den sogenannten Konvent, der sich jedes Jahr eine neue Verfassung gibt. Im Konvent werden wöchentlich Themen besprochen – und durchaus auch kontrovers diskutiert – die das Zusammenleben im Kolleg betreffen.
Liebe Kollegiatinnen und Kollegiaten, in der diesjährigen Projektwoche, die den Schwerpunkt „Stadt der Zukunft“ trug, haben Sie sich mit dem Thema „Nachhaltiges Bauen“ auseinandergesetzt. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse aus der Projektwoche?
Dass wir im Zuge des Klimawandels nicht mehr so weiterbauen können wie zuvor und dass es vielfältige Alternativen zu herkömmlichen Bauweisen gibt! Beton sowie andere Konstruktionsstoffe und -methoden sind sehr ressourcenintensiv und klimaschädlich. Die Alternativen sind sehr vielseitig, und teilweise, wie beim Holzbau, auch schon sehr weit entwickelt und zunehmend gut etabliert. Wir haben uns jedoch auch mit anderen, weniger verbreiteten Methoden auseinandergesetzt, zum Beispiel mit Lehm- und Strohbau. Das sind extrem spannende und funktionale Baustoffe.
In wenigen Jahren wird das Leibniz Kolleg ein neues Gebäude beziehen. Passend zu Ihrem Thema haben Sie sich mit der Planung und Gestaltung des Neubaus befasst. Welche Schwerpunkte haben Sie hierbei gesetzt?
Wir wollten ein Gebäude für die Zukunft entwerfen, das den Werten des Leibniz Kollegs entspricht. Das Kolleg zeichnet sich durch ein demokratisches und solidarisches Miteinanderleben aus, in dem Studierende aus eigenem Interesse wissenschaftlich arbeiten und gesellschaftliche Fragen diskutieren. Das wiederum bedeutete für uns als Baugruppe: Ein klares Bekenntnis zu nachhaltigen Baustoffen. Das Gebäude soll auf einem Fundament aus recyceltem Beton stehen, darauf soll eine tragende Holzkonstruktion gebaut werden, die mit Lehm und Stroh ausgefüllt wird. Somit sind die primären Baustoffe möglichst CO2-neutral, das Gebäude ist wärme- und schallisoliert und atmungsaktiv. Die Fassade wird mit Holzlatten verkleidet, die wiederum Schutz vor den Elementen bieten und bei Regen schnell trocknen. Das Haus soll mit einer Wärmepumpe versehen werden, die Fassade wird begrünt und das Dach soll zur Hälfte aus einem Garten bestehen, in dem Lebensmittel in Hochbeeten abgebaut werden können. Zur Bewässerung dienen eine Zisterne und eine Grauwasserrecyclinganlage, die das Wasser aus Duschen, Toiletten und Waschbecken aufbereitet. Die andere Dachhälfte wird mit Photovoltaikanlagen versehen.
Die Art und Weise, wie wir uns in einem Raum bewegen, beeinflusst unsere Interaktion mit unseren Mitmenschen. Welche Formen der Interaktion wollen Sie mit Ihrem Konzept ermöglichen?
Die intensive soziale Erfahrung, die, gepaart mit wissenschaftlicher Arbeit, das Orientierungsstudium im Leibniz Kolleg ausmacht, soll durch die neuen Räumlichkeiten unterstützt werden. So sollen sich auch im Neubau die Studierenden Küchen, Bäder und Toiletten teilen. Auch soll es weiterhin Doppelzimmer geben, die lediglich durch Schiebetüren getrennt werden. Die Küchen, Treppenabsätze, Seminarräume und Außenbereiche sind soziale Räume, an denen man sich zwangsläufig trifft und miteinander in Austausch tritt, Zeit verbringt und voneinander lernt. Auch diese Orte soll es zukünftig geben. Die Bibliothek wiederum ist als stiller Arbeitsraum gedacht, in dem Studierende konzentriert an einer Sache arbeiten und in der eine gemeinsame Lust am Lernen entsteht.
Sie haben viel Arbeit in die Konzeption des Neubaus investiert. Wie geht es mit Ihrem Entwurf nun weiter?
Frau Konnertz wird unsere Pläne als Input mit in die Planung des neuen Gebäudes einbringen. Wir hoffen sehr, dass sich unsere Grundsätze und Wünsche im finalen Plan für das neue Kolleg wiederfinden. Wir sind stolz auf unseren Entwurf und würden am liebsten selbst ins neue Gebäude einziehen!
Das Interview führte Rebecca Hahn
Das Leibniz Kolleg wird seit 2016 großzügig von der Udo-Keller-Stiftung unterstützt und ist Teil des Forum Scientiarum. Der Neubau wird mithilfe der Udo-Grüninger Stiftung u.a. realisiert.
Wir danken den folgenden Kollegiatinnen und Kollegiaten für Ihre Teilnahme am Interview: Pauline Folger, Kai Beddies, Timon Kohn, Antonia Müther, Luca Smith