Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2025: Studium und Lehre

Menschenrechtspreis für die Tübinger Refugee Law Clinic

Ausbildungsprogramm für die Rechtsberatung Geflüchteter

Die Juristische Fakultät der Universität Tübingen bietet seit 2016 den durch die Fakultät und das Rektorat finanzierten Zertifikatsstudiengang „Refugee Law Clinic - Human Rights Law in Practice“ (RLC) für Studierende und Promovierende aller Fachrichtungen an. Ein neuer Ausbildungsjahrgang startet jedes Jahr zum Sommersemester und dauert zwei Semester. Johannes Baral sprach mit Patricia Tumele, Teamleiterin der Refugee Law Clinic und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Professor Dr. Jochen von Bernstorff, über ihre Arbeit.

Die RLC hat im Juni den Menschenrechtspreis 2025 verliehen bekommen. Wie kam es dazu?

Der Preis wurde uns von der Menschenrechtswoche Tübingen verliehen, einer Studierenden-Initiative. Deren Team hatte uns und noch zwei andere soziale Vereinigungen nominiert. Neben uns waren das noch Medinetz Tübingen und Tübingen hilft Ukraine. Das Votum setzte sich aus einer Social-Media-Abstimmung und einer Jury aus früheren Nominierten und Preisträgerinnen und Preisträgern zusammen. Den Preis haben wir zu Beginn der Menschenrechtswoche Mitte Juni verliehen bekommen. Wir haben uns sehr über diese Würdigung gefreut.

Wie ist die Tübinger Refugee Law Clinic entstanden?

Die RLC wurde 2016 als studentisch geprägte Initiative am Lehrstuhl von Prof. Dr. Jochen von Bernstorff, Professor für Staatsrecht, Völkerrecht, Verfassungslehre und Menschenrechte, gegründet. Damit wurde auf die damalige Geflüchtetensituation reagiert. Daraufhin wurde dieses Programm am Lehrstuhl institutionalisiert. Die Finanzierung lief zunächst über DAAD-Mittel, inzwischen wird diese aber über zentrale Mittel des Rektorats und der Juristischen Fakultät getragen. Das Programm hatte schon immer einen starken Anteil an Wissensvermittlung, wurde aber in den letzten Jahren mit interdisziplinären Workshops und einer noch intensiveren Zusammenarbeit mit Beratungseinrichtungen für Geflüchtete ausgebaut. 

Können auch Studierende teilnehmen, die keinerlei juristische Vorkenntnisse haben?

Ja, die RLC ist bewusst interdisziplinär ausgerichtet. Studierende und eingeschriebene Doktorandinnen und Doktoranden aller Fachrichtungen können teilnehmen. Juristische Vorkenntnisse sind nicht nötig. Die werden im Programm vermittelt. Ich selbst habe Jura studiert und empfinde das tiefere Verständnis der Rechtsvorgaben zwar schon als hilfreich, aber für die Beratung ist das nicht unbedingt nötig. Wenn man regelmäßig die Veranstaltungen der RLC besucht, bekommt man das erforderliche Wissen auch so. Etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind meistens Jurastudierende. Wir haben aber auch viele, die Fächer wie Politik, Geschichte oder Soziologie studieren. Auch Studierende der Psychologie sind immer wieder dabei. Und zum aktuellen Abschlussjahrgang gehört auch eine Biochemikerin.

Um welche Themen geht es in den Vorlesungen und Workshops?

Die Vorlesungen sind sehr juristisch geprägt und befassen sich vor allem mit dem internationalen Menschenrechtsschutz und unserem nationalen Migrationsrecht. Das Migrationsrecht regelt unter anderem, unter welchen Voraussetzungen eine Person in Deutschland wohnen, arbeiten und bestimmte Leistungen erhalten darf. Verschiedene Workshops behandeln Themen wie „Ethnologie“ und „Trauma-Awareness“ und werden von Dozierenden aus der Ethnologie beziehungsweise Psychologie gehalten. Zwei weitere Workshops sind sehr rechtlich geprägt und bieten Einblicke in die anwaltliche Praxis.

Darüber hinaus bieten wir noch regelmäßige Jour fixes an, die wir vom Uni-Team leiten. Hier wird zum einen nochmal fachlich das Wichtigste aus Vorlesungen und Workshops vermittelt. Zum anderen bieten diese Termine für die 30 bis 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Ausbildungsjahrgangs eine niedrigschwellige Gelegenheit, mit uns in Kontakt zu treten. Inzwischen arbeiten wir auch verstärkt mit anderen Law Clinics in Baden-Württemberg zusammen. 

Wie laufen die Termine in den Beratungseinrichtungen genau ab?

Es ist vorgesehen, dass man nach dem ersten Jour fixe, also etwa einen Monat nach dem Start des Programms, in Beratungseinrichtungen gehen kann. Vor Ort ist es so, dass es eine Person gibt, zum Beispiel einen Anwalt oder Sozialarbeiter, der das schon länger ehrenamtlich oder auch hauptberuflich macht. Wie aktiv die Studierenden in die Beratung einsteigen, richtet sich nach den jeweiligen Fällen und dem aktuellen Beratungsbedarf sowie danach, wie sicher sich die Studierenden schon fühlen. 

Im Asylcafé Reutlingen ist es beispielsweise oft so, dass sich zwei Studierende im Team selbstständig an einen Tisch setzen und jemanden beraten können, wobei natürlich immer eine erfahrene Person für Fragen in der Nähe ist. Wir arbeiten zusammen mit den Asylcafés in Reutlingen und Betzingen, dem Asylzentrum Tübingen und dem Coffee to Stay in Tübingen. Wer von den Studierenden möchte, kann jede Woche vor Ort in den Beratungseinrichtungen praktisch tätig sein. Vorgesehen sind normalerweise aber etwa zehn solcher Praxistermine während eines Jahrgangs.

Ist das Ziel des Ausbildungsprogramms, ehrenamtlich in diesen Einrichtungen zu arbeiten?

Wir haben für die Refugee Law Clinic einen Verein gegründet. Als Mitglied dieses Vereins ist man in den vier genannten Einrichtungen, mit denen wir kooperieren, versichert. Ein großer Teil der Studierenden, der die Ausbildung macht, ist eher in den frühen Semestern und berät nach Abschluss der Refugee Law Clinic ehrenamtlich während des restlichen Studiums. Das ist der übliche Weg.

Und für die Studierenden ist dann bei dieser ehrenamtlichen Arbeit der Benefit, dass sie ihre Kenntnisse in diesem speziellen Rechtsbereich erweitern?

Ja, genau. Die Jurastudierenden können sich dann später beispielsweise als Anwälte für Migrationsrecht spezialisieren. Migrations- und Asylrecht sind tatsächlich nicht im normalen Lernplan des Jurastudiums enthalten. Wer sich nicht explizit während seines Jurastudiums dafür interessiert und beispielsweise an der Refugee Law Clinic teilnimmt, wird damit in der Regel auch keine Berührungspunkte haben. Das ist mit ein Grund, warum wir im Migrations- und Asylrecht bundesweit einen großen Fachkräftemangel haben. 

Um welche Fragestellungen geht es in den Beratungen?

Der klassische Fall ist, dass eine Person in Deutschland bleiben will und wissen möchte, wie sie das bewerkstelligen kann. Wir schauen uns dann die Voraussetzungen an, die bei dieser Person vorliegen. Gibt es Gründe, warum die Person nicht in ihr Heimatland zurück kann, zum Beispiel aus begründeter Furcht vor Verfolgung? Im nächsten Schritt kann man sich überlegen, einen Asylantrag zu stellen, um so einen Aufenthaltstitel zu erhalten. 

Gründe für den Wunsch nach einem Aufenthaltstitel können aber auch sein, dass die Person hier eine Ausbildung macht oder studiert. Manchmal sind die Personen aber auch schon etwas weiter in einem Asylverfahren und haben beispielsweise einen Bescheid vorliegen, laut dem ihr Antrag auf einen Aufenthaltstitel abgelehnt wurde. An der Stelle überlegen wir dann, ob Widerspruch eingelegt oder gerichtlich dagegen vorgegangen werden kann. Das wäre die ganz klassische Verfahrensberatung. 

Manche Fragestellungen lassen sich rechtlich aber erst einmal gar nicht so einfach fassen. Es gibt zum Beispiel Personen, die hier geduldet sind, also keinen Aufenthaltstitel haben, die aber nicht ausreisen müssen, weil ihnen in ihrem Heimatland Gefahr droht. Wir hatten neulich einen Fall, in dem eine Familie mit drei Kindern für eine kurze Zeit in ihr Heimatland reisen wollte, um die Großeltern zu besuchen, die die Kinder teilweise noch gar nicht kannten. Das Problem dabei ist, dass durch einen solchen Besuch im Heimatland die Grundlage für die Duldung entfallen und die Duldung widerrufen werden kann. Hier haben wir nach umsetzbaren Möglichkeiten gesucht, damit sich diese Familie sehen kann. Solche Fragen sind im Kern zwar durchaus rechtlich, aber die Herangehensweise ist anders. Es geht in diesen Fällen schlicht darum, irgendwie möglichst pragmatisch eine Lösung zu finden. 

In welchen Fällen müssen Anwältinnen oder Anwälte hinzugezogen werden?

Eine Klage gegen einen behördlichen Bescheid erheben können die betroffenen Personen selbst. Für die Klagebegründung verweisen wir dann weiter an externe Anwältinnen und Anwälte. Manchmal arbeiten auch in den Beratungseinrichtungen ehemalige Richterinnen oder Richter, die in solchen Fällen unterstützen, wenn auch keine anwaltliche Vertretung übernehmen können.

Wer sind die Mitglieder im Verein Refugee Law Clinic Tübingen e.V.?

Das sind erstmal alle Studierenden des aktuellen RLC-Jahrgangs. Für die ist die Mitgliedschaft aus versicherungstechnischen Gründen verpflichtend. Ansonsten bleibt ein Teil der Studierenden auch nach Abschluss der RLC noch Mitglied. Nicht alle sind aber weiterhin beratend aktiv. Einige sind auch bereits ins Berufsleben gestartet und bleiben trotzdem im Verein. Derzeit sind wir rund 100 Mitglieder.

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