Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften

Florian Gigl (Goethe Universität Frankfurt am Main)

Forschungsbereich Umwelttoxikolgie (Ökotoxikologie)

Die Ökotoxikologie ist eine multidisziplinäre Wissenschaft, welche sich aus der Umweltchemie und der Toxikologie heraus entwickelt hat. Sie befasst sich im Allgemeinen mit den Auswirkungen von Chemikalien auf die belebte Umwelt. Auf Grund der Industrialisierung und der damals noch absoluten Unwissenheit über die Auswirkungen auf unsere Ökosysteme wurden über die Jahre große Mengen an Altlasten in unterschiedlichen Habitaten angehäuft, welche auch heute noch durch Remobilisierung aus See-Sedimenten und Ackerlandschaften in unsere Umwelt gelangen. Durch das heutzutage erlangte Umweltbewusstsein sollen Gesetze (REACH – Verordnung der EU für den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor den Risiken, die durch Chemikalien entstehen können) und Richtlinien (z.B. EU-Wasserrahmenrichtlinie) dazu beitragen Lebensräume zu sichern und den Biodiversitäts-Verlust zu stoppen. Somit werden heute neu produzierte Chemikalien und Wirkstoffe ökotoxikologisch auf ihre akuten und chronischen Effekte auf unterschiedlichen Ebenen (Von der Zelle bis zum Ökosystem) überprüft. Über die Zeit hat sich dabei die Forschung innerhalb der Ökotoxikologie rasant weiterentwickelt, wodurch unterschiedliche neue Zweige entstehen konnten, um z.B. vergangene Auswirkungen von Kontaminationen nachvollziehen zu können, aber auch um einen Einblick in zukünftige Kontaminations-Szenarien geben zu können.


Evolutionstoxikologie innerhalb der Resurrection Ecology
Die Resilienz eines Organismus zeichnet sich durch eine gute Anpassung und der daraus resultierenden Robustheit an ständig wechselnde Umweltbedingungen aus. Aufgrund ansteigender anthropogener Einflüsse (durch den Mensch verursacht) wie beispielsweise Bevölkerungswachstum, Intensivierung der Landwirtschaft, fortschreitende globale Industrialisierung und dem damit mit zunehmender Evidenz in Verbindung gebrachten Klimawandel verändern sich die Bedingungen in unterschiedlichen Ökosystemen rapide, was eine schnelle und zielgerichtete Anpassung für viele Organismen erschwert. Die Evolutionstoxikologie befasst sich dabei weitestgehend mit diesen Anpassungsstrategien und mit den Auswirkungen von anthropogenen Langzeit-Effekten auf unterschiedliche Organismen. Dabei können diese Effekte sowohl auf organismischer als auch auf molekularer Ebene untersucht werden.

Anhand des Modelorganismus Daphnia magna (großer Wasserfloh) sind wir heutzutage in der Lage uns Effekte über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren anzusehen. Dieser evolutionäre und einzigartige Einblick wird durch das sehr spezielle Reproduktionsverhalten der Gattung Daphnia gewährleistet. Auf Grund eines Wechsels zwischen asexueller und sexueller Fortpflanzung in Abhängigkeit wechselnder Bedingungen in ihrem Lebensraum, sind sie in der Lage über einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren in limnischen Stillgewässern, wie z.B. Seen oder Teichen zu überdauern. Durch eine initiierte sexuelle Fortpflanzung entstehen sogenannte Ephippien (Dauereier). Diese Ephippien sind sehr widerstandsfähig und der darin befindliche Nachwuchs kann über einen sehr langen Zeitraum überleben. Die Ephippien sinken nach der Freisetzung durch das Muttertier auf das Sediment des aquatischen Habitats. Dort verbleiben sie, bis sich die Bedingungen verbessern und schlüpfen erneut. Wenn keine Verbesserung eintritt, werden die Ephippien inaktiv und können als Dauerstadien eingebettet in Seesedimenten Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte bestehen bleiben. Im Rahmen der Resurrection Ecology werden diese Ephippien mittels eines Sedimentkerns aus dem Sediment des Stadtsee geborgen und die darin befindlichen Daphnien wieder zum Leben erweckt. Durch eine Radiokarbondatierung wird das Alter des Sediments und somit das Alter der wiederbelebten Daphnia schichtenweise bestimmt.

Auf Grund dieses Phänomens der Überlebensfähigkeit sind wir in der Lage in der Zeit zurückzureisen und innerhalb der Evolutionstoxikologie geno- (genetische Zusammensetzung eines Organismus) und die daraus resultierenden phänotypischen (Erscheinungsbild eines Merkmals) Veränderungen über einen langen Zeitraum zu betrachten. Dabei sollen die Auswirkungen von chemischer Exposition und Klimaveränderung als multipler Stressor auf moderne und altertümliche Daphnia Klone getestet werden. Bezüglich der chemischen Exposition soll dabei der polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoff (PAK) Phenanthren verwendet werden. Dieser Schadstoff bietet sich besonders gut an, da er durch
unvollständige Verbrennung entsteht und sich weltweit über die Luft in der Umwelt verbreitet. Des Weiteren sind PAKs bereits in früheren Zeitaltern entstanden und stellen somit auch einen historischen Schadstoff dar. Das Projekt soll dabei so aufgebaut sein, dass drei unterschiedliche Stressor-Zustände untersucht werden sollen. Hierzu sollen für die unterschiedlich alten Klone akute, chronische und genetische Effekte detektiert werden (Abb.1).

Untersuchung auf Dioxin-ähnliche Wirksamkeit
Dioxine sind organische chlorierte Verbindungen, die zu den gefährlichsten bekannten Umweltschadstoffen zählen. Heutzutage sind 210 PCDD-Isomere mit extremen Gefährlichkeitsgrad bekannt. Sie entstehen bei allen Verbrennungsprozessen in Anwesenheit von Chlor und organischen Kohlenstoffen (Ab einer Verbrennungstemperatur von 300-900°C). Dioxine haben in der Vergangenheit durch den Chemieunfall in Seveso (1976), bei welchem das toxischste Dioxin 2,3,7,8 Tetrachlor-Dibenzo-p-Dioxin (TCDD) in die Umwelt freigesetzt wurde und durch den Einsatz von Dioxin-verseuchten Herbiziden (Agent Orange) im Vietnamkrieg (1961-1971) besonders an Bedeutung gewonnen. Heutzutage sind diese Stoffe mittlerweile durch Verbotsverordnungen reglementiert. Jedoch durch die erhöhte Freisetzung in der Vergangenheit und die sehr lange Halbwertszeit von Dioxinen liegen sie heute als Altlast weiterhin in unseren Ökosystemen vor. Durch Hochwasserkatastrophen und Starkregen-Events können diese wieder remobilisiert und erneut in unsere Umwelt eingetragen und/oder durch Organismen aufgenommen werden.


Innerhalb des Bad Waldsee-Projekts soll die dioxin-ähnliche Wirksamkeit in unterschiedlichen Sediment-Schichten des Stadtsees mittels eines Bioassay für unterschiedliche Jahresabschnitte untersucht werden. Um die Dioxinbelastung einer Umweltprobe zu messen, wird in der Regel der Biomarker „EROD“ (Ethoxyresorufin-O-Deethylase) verwendet. EROD ist ein Leberenzym, welches von Organismen als direkte Antwort auf den Kontakt mit dioxin-ähnlichen Stoffen gebildet wird, um diese wieder aus den Körper auszuscheiden. Das Enzym, welches zur CYP1A Enzymfamilie gehört, kann die Substanz Ethoxy-Resorufin zum Fluoreszenzfarbstoff Resorufin umsetzen. Somit kann in biologischen Testsystemen wie z.B. dem micro-EROD Assay nach Belastung einer Zellkultur mit der Umweltprobe die Fluoreszenzintensität direkt mit der dioxinähnlichen Belastung der getesteten Probe in Beziehung gesetzt werden. Somit kann zusammenfassend die dioxin-ähnliche Wirksamkeit innerhalb der Sedimente gemessen werden. In einer Proof-of-Concept-Studie aus dem Jahr 2018 von Hollert et al. konnten bereits erste Erkenntnisse aus den Seesedimenten des Stadtsees gezogen werden (Abb.2). Dabei wurde die Dioxin-ähnliche Wirksamkeit innerhalb der Sedimente für die Neuzeit (wahrscheinlich älter als das 18. Jahrhundert n. Chr.), das Hochmittelalter (10. Bis 12. Jahrhundert n. Chr.) und die Eisenzeit (ca. 1050 v. Chr. bis 1 v. Chr.) untersucht. Die Ergebnisse zeigen dabei die Bioanalytische Äquivalente (BEQ) bezogen auf die jeweilige Sedimenttiefe. Bioanalytische Äquivalente (BEQs) von Gemischen und Umweltproben werden häufig verwendet, um die potenzielle Bedrohung durch Schadstoffe in der Umwelt widerzuspiegeln, und können durch Bioassays oder durch chemische Analysen in Verbindung mit relativen Potenzen (REPs) ermittelt werden.