Von einer Wiedertaufe über die Bedrohung kaiserlicher Truppen vor den Stadtmauern bis hin zum Verrat innerhalb des Stadtrates… All das ereignete sich innerhalb von 2,5 Tagen in dem Planspiel, das auf der Exkursion in das Kloster Niederaltaich durchgeführt wurde.
Vom 19. bis 22. Juni fand das ökumenische Seminar „Dissenters – Abweichler: 500 Jahre Täuferbewegung und andere“ im Rahmen einer Exkursion statt. Insgesamt 21 Studierende der Theologischen Hochschule Reutlingen, der Evangelischen und Katholischen Fakultät der Universität Tübingen beschäftigten sich unter der Leitung von Prof. Dr. Jonathan Reinert (Reutlingen), Dr. Susanne Schenk (Ev. Fakultät) sowie Prof. Dr. Johanna Rahner (Kath. Fakultät) mit der Täufer:innenbewegung.
Der Ort des Seminars, das Kloster Niederaltaich, steht sinnbildlich für die Ökumene: Hier feiern Benediktinermönche neben dem westlichen auch nach byzantinischem Messritus. Es gab während des inhaltlichen Tagesablaufs für alle die Gelegenheit, die Liturgie vor Ort in der deutschen Sprache zu besuchen. Insbesondere das Abendprogramm lud dazu ein, mit den Mönchen vor Ort ins Gespräch zu kommen, wie beispielsweise während einer Kirchenführung oder einer Fragerunde. Auch abseits vom geplanten inhaltlichen Lernen stand das Seminar unter dem Motto der ökumenischen Begegnung.
Nach einem persönlichen Kennenlernen am Anreisetag startete das von den Dozierenden aufwändig vorbereitete Planspiel: Die Studierenden wurden in das Jahr 1531 in die fiktive Reichsstadt Laitach versetzt. Dort hatte sich eine Gruppe aus Symapthisant:innen der Täufer:innenbewegung niedergelassen – dies sorgte für viel Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung, die zusätzlich schon von den Ereignissen der Reformation geprägt war. Als die Täufer:innen zur Protestation aufriefen, spitzte sich die Lage zu: An der Donau verkündeten sie ihre Lehrmeinungen und führten die erste Wiedertaufe in der Stadt durch. In Anbetracht dieser prekären Umstände musste der Stadtrat tragen und den weiteren Umgang mit den Widerständler:innen beratschlagen. Die Täufer:innen waren der Ansicht, dass der bisherige Verlauf der Reformation nicht radikal genug war. Im Kern ihrer Lehre stand dabei die Verweigerung des Eides sowie des Dienstes am Schwert. Außerdem plädierten sie für die Erwachsenentaufe. Diese Forderungen stellten für eine Reichsstadt, die vom Kaiser abhängig war, eine besondere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, weil die Täufer:innen damit die wesentlichen Stabilisierungsmechanismen der Reichsstadt angriffen. Nach kaiserlichem Recht wäre es geboten gewesen, die Täufer:innen zu verbannen oder hinrichten zu lassen – nun war es am Stadtrat, festzulegen, wie der Umgang in der eigenen Stadt aussehen sollte.
Für die konkrete Aushandlung war es notwendig, sich in eine (fiktive) Figur hineinzuversetzen. Dabei nahmen die Studierenden, die katholisch, lutherisch, uniert, methodistisch, baptistisch, orthodox und nicht-konfessionell-zugehörig geprägt waren, Positionen ein, die nicht unbedingt dem eigenen Standpunkt entsprachen. Während der Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionierung „gab es keine Zeit für Vorurteile“ gegenüber anderen konfessionellen Orientierungen. So wurde ein ökumenisches Seminar nicht nur zur inhaltlichen, sondern auch zur persönlichen Bereicherung.