Teilprojekt G05: Resistente Mikroben: Die Bedrohung und Neuordnung der „Medizinischen Ordnung“ durch Antibiotikaresistenzen seit den 1990er Jahren
Abstract
Teilprojekt G05 untersucht die Bedrohungskommunikation um antimikrobielle Resistenzen (AMR) als Einbruch in die seit dem späten 19. Jh. etablierte, als modern geltende ‚medizinische Ordnung. Mithilfe eines wissensgeschichtlichen Ansatzes analysiert es gegenläufige Strukturmuster eines re-ordering der ‚medizinischen Ordnung‘ ab den 1990er Jahren in Forschung, Klinik und Gesundheitspolitik: einerseits „Rettung“ der traditionellen Ordnung, die Mikroben als „äußere“ Feinde ansieht; andererseits Neubewertung des Mensch-Umwelt-Verhältnisses durch positive Funktionalisierung von Mikroben. Zudem werden die praktischen Auswirkungen dieser Strategien untersucht.
Projektteam
Projektleitung:
Prof. Dr. Urban Wiesing
PD Dr. Henning Tümmers
Mitarbeiter/innen:
Dr. Irene Poczka
Hilfskräfte:
Nina Rösler
Fachgebiete und Arbeitsrichtung
Wissenschaftsgeschichte, Neuere und Neueste Geschichte
Projektbeschreibung
Seit Mitte der 1990er Jahre kommunizieren die WHO und nationale Regierungen eine Bedrohung durch wachsende antimikrobielle Resistenzen (AMR) in ihrer sozialen, politischen und globalen Dimension. Bis heute hat ihre Bedrohungskommunikation kontinuierlich an Dramatik gewonnen. 2014 prognostizierte die WHO sogar ein herannahendes „post-antibiotisches“ Zeitalter. Bewährte Instrumente der modernen Medizin würden in Zukunft weltweit versagen. Selbst kleinere Infektionen und Routineoperationen könnten wieder lebensbedrohlich werden. Als Reaktion auf die Bedrohungskommunikation schlugen Wissenschaftler und Public Health-Organisationen unterschiedliche Strategien vor. Der Ruf nach traditionellen Schutzstrategien (Hygiene, Isolation) wurde laut, während zahlreiche Forscher der Mikrobiologie und anderer Disziplinen Forderungen erhoben, das Verhältnis von Mensch und Mikrobe grundsätzlich neu zu denken.
Das Teilprojekt untersucht die Bedrohungskommunikation um AMR als Einbruch in eine seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts etablierte „Medizinische Ordnung“. Diese strukturierte die Forschung, Gesundheitspolitik und das klinische Handeln in entwickelten Industriestaaten grundlegend. G05 analysiert das komplexe Wechselverhältnis zwischen der Diagnose der AMR-Bedrohung und den Reflexionsprozessen um die betroffene Ordnung, die unterschiedliche Bereiche im Umgang mit Infektionskrankheiten betrafen. Es nimmt eine wissenshistorische Perspektive ein und fragt nach Elementen der Medizinischen Ordnung, die angesichts der Bedrohungslage dennoch unangetastet blieben und solchen, die sich wandelten. Ziel ist es, die Strategien und Strukturmuster eines re-ordering der bestehenden Medizinischen Ordnung ab den 1990er Jahren in Forschung, Klinik und Gesundheitspolitik für verschiedene Beteiligte des Gesundheitswesens zu historisieren.
Projektbezogene Vorträge und Publikationen
- Poczka, Irene (voraussichtlich 2019). Wissensordnungen in Zeiten der Bedrohung. Zwei Fallbeispiele zur Bedrohung durch Antibiotikaresistenz aus den 1950er und 1990er Jahren, in: Bedroht sein. Gesellschaften unter Stress im Vergleich, Hg. Ewald Frie, Mischa Meier, Tübingen.
- Die Kontingenz des Wissens in Zeiten der Bedrohung. Strategien im Umgang mit Antibiotikaresistenz seit Mitte der 1990er Jahre. Historisches Kolloquium TU Braunschweig, 3. Mai 2017.
- Gesünder ohne Zwang? Strategien liberaler Regierung von Gesundheit in der Moderne. (u.a. am Beispiel "Eigenverantwortung als Technik zur Regulierung von Antibiotikaresistenz in der Krankenhaushygiene", Ringvorlesung des Historischen Seminars: Freiwilligkeit als politisches Prinzip, Universität Erfurt, 15.06.2017.
Tagungen, Workshops, Konferenzen
- Vortrag: "Diskursive Strategien für ein Post-Antibiotisches Zeitalter?, Workshop “Processing Threat: Constructing and Negotiating Vulnerability and Agency”, SFB 923 "Bedrohte Ordnungen", 29.10.2018, Tübingen.
- Vortrag: "Modern Anxieties of Antimicrobial Resistance", Workshop "Fears and Anxieties in the 21st Century - 3rd Global Meeting 19-22.09.2016 Oxford, Interdiciplinary Net
- Vortrag: "Imagining Societies in a Post-antibiotic World" auf dem Workshop "Changing Societies: The World We Live In" 31.05.-01.06.2016 Berlin / Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Réseau Francais des Institutes d'Etudes Avancées (RFIEA).
- Vortrag: "Resistant Genes do not Respect Borders - How to Control Invisible Threats?", Workshop „Marginalisierung - Medikalisierung - Heilung: Strategien und Wandel im Umgang mit ‚Krankenʻ“ SFB 923 "Bedrohte Ordnungen" 8. - 10.6.2016, Tübingen.
- Poster: "Antibiotikaresistente Erreger. Eine Bedrohung der modernen medizinischen Ordnung?" 13. Kongress Krankenhaushygiene, 10-13.04.2016 Berlin, Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene, Posterpräsentation (Publikation des Abstracts in der Medizin und Hygiene 2016: 41 - Suppl. DGKH: S. 60)
- Vortrag: "Hegemonialisierung von Bedrohungsdiagnosen am Beispiel Antibiotikaresistenz. Zwei Fallbeispiele aus den 1950er und 1990er Jahren", Konferenz „Bedroht sein. Gesellschaften unter Stress im Vergleich." SFB 923 "Bedrohte Ordnungen" September 2016 Tübingen.
Poczka, Irene
- E-Book: „Modern fears of antimicrobial resistance“ (englisch)- Aufsatz ist angenommen, E-Book aber noch nicht erschienen. Geplant war außerdem eine Printausgabe mit weiter Ausgeführten Beiträgen der Konferenz. Die Planungen dafür sollen im April 2017 beginnen)
- „Wissensordnungen in Zeiten der Bedrohung. Beispiel Antibiotikaresistenz in den 1950er und seit den 1990er Jahren“ (deutsch) - Sammelband Bedrohte Ordnungen III
- Geplant: "Who is going to be screened? Recent Discussions in Germany On Migration and Resistance spread." Aufsatz zur Debatte um das Screening von Geflüchteten in Aufnahmeeinrichtungen und Krankenhäusern. Geplanter Publikationsort „Medical Humanities“/ BMJ (Einreichung im Juni 2017 geplant)
Gastvorträge / Workshops
- Prof. Dr. Christoph Gradmann: „Der Untergang des Krankenhauses - Hospitalhygiene im antibiotischen Zeitalter“, Vortrag, 25.10.2018, Tübingen.
- Prof. Dr. Christoph Gradmann: „Geschichte der infektiösen Kausalität“, Lektüreworkshop, 25.10.2018, Tübingen.