Uni-Tübingen

Mobilisierung

Mobilisierung bezeichnet im Kontext bedrohter Ordnung die Generierung von Unterstützung und Ressourcen für eine gemeinsame Bewältigungspraxis.[1] Menschen und Gruppen müssen in kurzer Zeit und in hinreichender Zahl dazu bewegt werden, sich mit ihren Fähigkeiten für eine gemeinsame Sache zu engagieren. Gleichzeitig sollten die hierzu notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen. Denn alle, die sich an der Abwendung einer Bedrohung beteiligen, sollten erwarten können, dass sie für ihren Einsatz zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Mitteln am richtigen Ort sein werden. Als sozialer Prozess ist Mobilisierung damit auf die Beantwortung der Frage angelegt: „Wie lässt sich die für die Abwendung einer Bedrohung notwendige Unterstützung aktivieren und woher kommen die entsprechenden Ressourcen?“ Von der Antwort wird entscheidend abhängen, welche konkrete Bewältigungspraxis sich als Reaktion auf eine Bedrohung herausbilden wird.

Analytische Unterscheidungsprobleme ergeben sich vor allem zwischen Mobilisierung und Bewältigungspraxis. Doch während sich Mobilisierung auf die Motivierung von Menschen und Gruppen und die Bereitstellung von Ressourcen bezieht, geht es in der Bewältigungspraxis um die konkreten Maßnahmen, die ergriffen werden, wenn Menschen und Gruppen bereit sind, sich an der Abwendung einer Bedrohung zu beteiligen und über die hierzu notwendigen Mittel verfügen. So verstanden bezieht sich Mobilisierung zunächst auf alle Maßnahmen, die ergriffen werden, um Menschen und Gruppen zur Beteiligung an der Bedrohungsbewältigung zu bewegen.[2] Hier lassen sich idealtypisch Mobilisierung durch Überzeugung, Mobilisierung durch Belohnung und Mobilisierung durch Zwang unterscheiden.[3] Im ersten Fall sollen Menschen oder Gruppen durch aus ihrer Sicht gute Gründe aktiviert werden. Derart gute Gründe können sich sowohl auf moralische Überzeugungen beziehen, die eine Beteiligung an der Bewältigungspraxis als Pflicht erscheinen lassen, oder auf kognitive Überzeugungen, die eine solche Beteiligung aus unmittelbarem Eigeninteresse nahelegen. Letzteres wäre beispielsweise dann der Fall, wenn Menschen oder Gruppen vermittelt werden kann, dass sich die in der Diagnose angelegte Bedrohung nur bewältigen lässt, wenn sie sich aktivieren lassen, und wenn der befürchtete Ordnungswandel oder –zerfall für sie mit erheblichen Nachteilen einhergehen würde. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang freilich nur, dass diese guten Gründe von den Adressaten als richtig und wahr geglaubt werden, und nicht dass sie richtig oder wahr sind.

Im Unterschied zur Mobilisierung durch Überzeugung zielt Mobilisierung durch Belohnung auf extrinsische Beteiligungsmotive. Menschen oder Gruppen, deren Unterstützung für die Bewältigung einer Bedrohung nach Maßgabe der vorliegende Diagnose sinnvoll oder sogar notwendig erscheint, die aber kein direktes Interesse am Ordnungserhalt haben, sollen durch Gegenleistungen oder Versprechungen zur Kooperation motiviert und als Bündnispartner gewonnen werden. Mobilisierung durch Zwang schließlich bezieht sich auf die Fähigkeit, Menschen oder Gruppen durch die Androhung oder den Einsatz physischer Gewalt zu Maßnahmen zu bewegen, die sie aus eigener Überzeugung oder aus eigenem Interesse nie ergriffen hätten.

Generell hat Mobilisierung immer auch und wesentlich mit Macht zu tun. Dabei kann die Machtform variieren und in unterschiedlichen Zusammensetzungen wirksam werden. So kann Macht durch Autorität ausgeübt werden und beispielsweise als Definitionsmacht in Erscheinung treten, die eine Bedrohung als wahr und evident erscheinen lässt und eine Selbstaktivierung von Akteuren nahelegt: In dem Maße, in dem Menschen oder Gruppen sich von einer Bedrohung ihrer Ordnung überzeugen lassen und in dem Maße, in dem sie diese Ordnung wertschätzen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich für ihre Bewahrung engagieren. Oder aber Macht zeigt sich in der Verfügungsgewalt über knappe Ressourcen, die zur Mobilisierung von Unterstützung notwendig sind oder für deren Einbringung ein Preis verlangt werden kann. Schließlich kann sich Macht auch in der Fähigkeit ausdrücken, andere unmittelbar und mit physischer Gewalt zur Beteiligung zu zwingen. Mobilisierung wollen wir also als vermachteten Prozess begreifen, in dem eine Bedrohungsdiagnose hegemonial wird und Menschen oder Gruppen dazu bewegt werden, sich an einer insgesamt aussichtsreich erscheinenden Bewältigungspraxis aus intrinsischen oder extrinsischen Gründen zu beteiligen.

Während die Mobilisierung von Unterstützung sich auf Gruppen und Menschen bezieht, geht es bei der Mobilisierung von Ressourcen um die Bereitstellung und Koordination der Mittel, die notwendig sind, um eine Bedrohung abzuwenden.[4] Wir haben es hier also mit den materiellen und organisatorischen Voraussetzungen erfolgreicher Bewältigungspraxis zu tun, die sich zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten grundlegend unterscheiden können. Entsprechend unterschiedlich dürfte dann auch die konkrete Bewältigungspraxis sein. Dabei ist zu erwarten, dass zwischen der Mobilisierung von Unterstützung und der Mobilisierung von Ressourcen ein enger Zusammenhang besteht. Auf der einen Seite lassen sich Menschen und Gruppen eher für kollektives Handeln gewinnen, wenn sie den Eindruck haben, dass die Handlungskoordination funktioniert und die notwendigen Mittel und die notwendige Infrastruktur vorhanden sind. Auf der anderen Seite dürften sich Mittel und Infrastruktur in vielen Fällen nur bereitstellen, wenn Menschen oder Gruppen dazu bewegt werden können, sie einzubringen.

Aus dem Vorherigen ergeben sich mehrere Dimensionen von Mobilisierungen.

Wir können unterscheiden nach

  • der Art der Unterstützung,
  • den Machtformen der Aktivierung (z.B. Zwang, Nutzen, Konsens),
  • den Organisationsformen der Mobilisierung und
  • dem zeitlichen Mobilisierungsdruck.