Pressemitteilungen
13.05.2020
Arzneimittelfälscher nutzen Angst vor Corona-Epidemie
Gefälschte Chloroquin-Tabletten in Afrika identifiziert ‒ Universität Tübingen unterstützt lokale Pharmazeuten bei der Analyse
Arzneimittelfälscher nutzen die Corona-Pandemie offensichtlich, um in Afrika mit völlig wirkungslosen oder sogar schädlichen Tabletten Geschäfte zu machen: In Kamerun und im Kongo sind in den vergangenen Wochen fünf verschiedene Arten gefälschter Chloroquin-Tabletten aufgetaucht, die viel zu wenig Wirkstoff enthielten, oder gar völlig andere. Nachgewiesen wurden die Fälschungen von der Arbeitsgruppe von Professor Lutz Heide am Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen in Zusammenarbeit mit afrikanischen Pharmazeuten und dem Deutschen Institut für Ärztliche Mission (Difäm). Die Ergebnisse wurden im American Journal of Tropical Medicine & Hygiene veröffentlicht.
Vor wenigen Wochen wurde weltweit vermeldet, der Arzneistoff Chloroquin helfe möglicherweise gegen die Krankheit COVID-19. Chloroquin wird seit Jahrzehnten gegen Malariaparasiten eingesetzt – dass es Patienten mit Viruskrankheiten hilft, konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Experten warnen daher vor einer Anwendung bei COVID-19-Patienten, auch wegen möglicher ernsthafter Nebenwirkungen. Infolge der intensiven Berichterstattung über die mögliche Wirksamkeit bei Corona-Infektionen stieg die weltweite Nachfrage nach Chloroquin sprunghaft an. „Damit gingen auch die Preise nach oben und riefen Arzneimittelfälscher auf den Plan“, sagt Lutz Heide.
Bereits Ende März hatten kirchliche Arzneimittel-Versorgungsstellen in Kamerun und im Kongo, die mit dem Difäm aus Tübingen und dem Ecumenical Pharmaceutical Network (EPN) aus Kenia zusammenarbeiten, über gefälschte Chloroquin-Tabletten berichtet. Diese waren nicht nur bei illegalen Händlern sondern auch in lizensierten Apotheken entdeckt worden und hatten sich bei der Untersuchung mit einem mobilen Labor als Fälschungen herausgestellt. Es gelang, Proben an die Universität Tübingen zu schicken, wo sie von den Pharmazie-Doktorandinnen Gesa Gnegel und Cathrin Hauk untersucht wurden. Die Analysen zeigten, dass eines der Präparate weniger als ein Viertel der behaupteten Wirkstoffmenge enthielt – zu wenig, um Patienten zu heilen, aber geeignet, um die Entwicklung von Chloroquin-resistenten Malariaerregern zu begünstigen.
In einer zweiten Fälschung fanden die Tübinger Pharmazeutinnen anstelle von Chloroquin das Schmerzmittel Paracetamol. In drei weiteren Präparaten entdeckten sie eine unbekannte Substanz, die von der Chemikerin Dr. Dorothee Wistuba mit Hilfe von Massenspektrometrie als das Antibiotikum Metronidazol identifiziert werden konnte. „Dieser bittere Arzneistoff wurde vermutlich benutzt, um den bitteren Geschmack des Chloroquins nachzuahmen“, sagt Gesa Gnegel. Im Vergleich zu üblichen Metronidazol-Tabletten hätten die Fälschungen allerdings viel zu geringe Mengen des Antibiotikums enthalten und könnten somit wiederum die Entstehung von Antibiotika-resistenten Krankheitskeimen begünstigen. „Die gefälschten Tabletten enthalten also wenig oder gar kein Chloroquin, aber dafür andere Wirkstoffe mit jeweils eigenen Risiken und Nebenwirkungen, von denen weder Arzt noch Patient wissen. Dies ist eine der gefährlichsten Formen der Arzneimittelfälschung.“
Das Tübinger Forschungsteam und ihre afrikanischen Kolleginnen und Kollegen informierten die Weltgesundheitsorganisation, die daraufhin eine internationale Warnmeldung mit Fotos der gefälschten Arzneimittel veröffentlichte. Sie gehen davon aus, dass diese Fälschungen nur Vorbote weiterer Probleme sind. „Bereits kürzlich haben wir mit insgesamt 55 Wissenschaftlern aus 20 Ländern im britischen Fachjournal ‚The Lancet‘ davor gewarnt“, sagt Heide. „Jeder potenzielle Wirkstoff oder Impfstoff, für den eine Wirksamkeit gegen COVID-19 berichtet wird, kann eine verzweifelt hohe Nachfrage auslösen.“ In allen Ländern, besonders in den ärmsten, werde dies Arzneimittelfälscher auf den Plan rufen, deren Produkte Leben und Gesundheit von Millionen Menschen gefährdeten.
Arzneimittelfälschungen sind in der Geschichte vielfach dokumentiert, gerade in den Zeiten von Epidemien: Quacksalberei grassierte während der Pestepidemien in Mittelalter und Neuzeit. Als die Chinarinde im 17. Jahrhundert zur Behandlung von Malaria eingeführt wurde, wurde sie in großem Umfang verfälscht. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg führte der Mangel an Penicillin zu weit verbreiteten Arzneimittelfälschungen.
Das aktuelle Problem werde sich nicht auf Arzneimittel gegen COVID-19 beschränken, so das Forschungsteam. Der Lock-down in China und Indien habe internationale Arzneimittel-Lieferketten zerstört und vor allem Entwicklungsländer stünden vor Engpässen in der Versorgung. Das massenhafte Auftreten gefälschter Medikamente werde eine Folge sein. Vor allem zwei Maßnahmen seien erforderlich, so das Fazit. „Einerseits muss in den kommenden Monaten die Versorgung von Entwicklungsländern mit preisgünstigen, qualitätsgesicherten Medikamenten so gut wie möglich sichergestellt werden“, sagt Heide. „Und es müssen dort einfach durchzuführende Testmöglichkeiten etabliert werden, mit denen verdächtige Arzneimittel rasch identifiziert und einer genauen Untersuchung zugeleitet werden können.“
Publikationen:
G. Gnegel, C. Hauk, R. Neci, G. Mutombo, F. Nyaah, D. Wistuba, C. Häfele-Abah, L. Heide: The identification of falsified chloroquine tablets in Africa at the time of the COVID-19 pandemic. American Journal of Tropical Medicine & Hygiene, Epub ahead of print. https://www.ajtmh.org/content/journals/10.4269/ajtmh.20-0363
WHO. Medical Product Alert N°4/2020. Falsified chloroquine products circulating in the WHO region of Africa. Available at: https://www.who.int/news-room/detail/09-04-2020-medical-product-alert-n4-2020
Newton P, Bond KC, Heide L and 50 further signatories. COVID-19 and risks to the supply and quality of tests, drugs, and vaccines. Lancet Glob Health 2020 Apr 9. https://doi.org/10.1016/S2214-109X(20)30136-4.
Kontakt:
Prof. Dr. Lutz Heide / Apothekerin Gesa Gnegel
Universität Tübingen
Pharmazeutisches Institut
Telefon +49 7071 29-72460
Mobil 0173 6572 634
heidespam prevention@uni-tuebingen.de / gesa.gnegelspam prevention@uni-tuebingen.de
www.pharmbiol.uni-tuebingen.de/ak-heide
Apothekerin Christine Häfele-Abah MScIH / Apothekerin Gesa Gnegel
Difäm – Deutsches Institut für Ärztliche Mission e. V.
Zentrale Beschaffungsstelle & Pharmazeutische Entwicklungszusammenarbeit
Telefon +49 7071 704- 9013
haefelespam prevention@difaem.de / gnegelspam prevention@difaem.de
www.difaem.de
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