Uni-Tübingen

Tübinger Poetik-Dozentur 2023

Von 30.10. bis 3.11.2023 fand die 36. Tübinger Poetik-Dozentur mit Christian Baron und Édouard Louis statt.

Kurzporträts

Christian Baron

Christian Baron, geboren 1985 in Kaiserslautern, studierte Germanistik, Soziologie und Politikwissenschaften und arbeitet als Journalist und freier Autor in Berlin.

Sein literarisches Debüt Ein Mann seiner Klasse (2020) wurde als „Buch der Stunde“ bezeichnet, welches „das wahre Leben […] in wahrhaftige Literatur verwandelt“ (Wolfgang M. Schmitt, Rhein-Zeitung). In dieser Autosoziobiografie beschreibt Baron Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend in äußerst prekären Verhältnissen und die Auswirkungen von Armut und Gewalt auf das Familienleben im Arbeitermilieu. Das Buch wurde mit dem Klaus-Michael-Kühne-Preis und dem Literaturpreis ‚Aufstieg durch Bildung‘ der noon-Foundation ausgezeichnet. Ein Mann seiner Klasse wurde als Theaterstück in Hannover, Berlin und Kaiserslautern aufgeführt und als Hörbuch vertont; die Dreharbeiten zur gleichnamigen Fernsehverfilmung fanden im Sommer 2023 statt. Zuletzt erschien der Roman Schön ist die Nacht (2022), der eine „fulminante Proletariergeschichte“ (Elke Heidenreich, SZ) aus einer ‚Position des Unten‘ erzählt; er folgt dem – fiktionalisierten – Leben von Barons Großvätern Horst Baron und Willy Wagner und kann als Vorgeschichte zu Ein Mann seiner Klasse gelesen werden.

Baron war im Jahr 2020 Arbeitsstipendiat im Bereich Literatur des Landes Rheinland-Pfalz und 2021 des Berliner Senats. Neben seinem literarischen Schreiben verfasste Baron Artikel u.a. für die Tages- und Wochenzeitungen Die Rheinpfalz (2002-2006), nd (2014-2018) und der Freitag – von 2018-2021 als Politik-Redakteur, heute als freier Journalist –, daneben erschienen Gastbeiträge in der SZ und FAZ. Zusammen mit Britta Steinwachs veröffentlichte er 2012 die Studie Faul, frech, dreist. Die Diskriminierung von Erwerbslosigkeit durch BILD-Leser*innen; 2016 erschien Barons autobiographisch motiviertes Sachbuch Proleten, Pöbel, Parasiten. Warum die Linken die Arbeiter verachten; gemeinsam mit Maria Barankow publizierte er 2021 den Essayband Klasse und Kampf, in dem 14 Autorinnen und Autoren über Herkunft, strukturelle Diskriminierung, Aufstieg und Scham schreiben.

Publikationen (u. a.):

Schön ist die Nacht, Claassen Verlag, Berlin 2022.
Klasse und Kampf, gemeinsam mit Maria Barankow (Hrsg.), Claassen Verlag, Berlin 2021.
Ein Mann seiner Klasse, Claassen Verlag, Berlin 2020.
Proleten, Pöbel, Parasiten. Warum die Linken die Arbeiter verachten, Das Neue Berlin Verlag, Berlin 2016.
Vom Ende der Solidarität. Sozialdemokratische Strategien gegen Jugendarbeitslosigkeit in Großbritannien und Deutschland, Tectum Verlag, Marburg 2010.


Édouard Louis

Édouard Louis, geboren 1992 als Eddy Bellegueule in Hallencourt, studierte Philosophie und Soziologie und lebt heute als Schriftsteller in Paris.

Sein erster Roman Das Ende von Eddy, 2015 ins Deutsche übersetzt, wurde 2014 mit dem Pierre Guénin-Preis gegen Homophobie ausgezeichnet und machte Louis zu einem der bekanntesten zeitgenössischen französischen Autoren. In dem autosoziobiografischen Roman beschreibt Louis’ Ich-Erzähler seinen Ausbruch aus den prekären Lebensumständen, in denen er sich als homosexueller Heranwachsender im Arbeitermilieu seines Heimatdorfes wiederfand.

In dem ebenfalls autofiktionalen Roman Im Herzen der Gewalt (2017) zeigt er mit der Schilderung einer Vergewaltigung seine Verletzlichkeit und sucht durch das Erzählen das Erlebte zu bewältigen.

Louis’ Essay Wer hat meinen Vater umgebracht (2019) thematisiert seine Annäherung an den Vater, der an den sozialen Umständen scheitert. Die Freiheit einer Frau (2021), ein intimes Porträt seiner Mutter, schildert, wie diese sich selbst aus der erlebten Enge von Rollen- und Ehebildern emanzipiert.

Sein neuester Roman Anleitung ein anderer zu werden (2022) kehrt thematisch zu seinem Versuch zurück, sich jenseits des Herkunftsmilieus neu zu erfinden: Der Ich-Erzähler berichtet von seinem Aufstieg als ‚Klassenübergänger‘ und sieht sich mit der Frage konfrontiert, ob die Transformation des Selbst die erhoffte Befreiung bewirkt.

Louis’ Werke wurden in über 30 Sprachen übersetzt und für das Theater bearbeitet. In seinen politisch-literarischen Texten erzählt der Autor und Ich-Erzähler entsprechend seinem Vorsatz, „immer nur dieselbe Geschichte [zu] erzählen“ (Édouard Louis, Die Freiheit einer Frau), von Herkunft und sozialem Aufstieg, Emanzipation und Verwandlung der Identität. Seine Texte erzählen von Menschen, die in Literatur selten repräsentiert sind, undlegen die strukturelle Gewalt, der Menschen aus unteren Schichten ausgesetzt sind, offen. Neben seinem literarischen Schreiben äußert sich Louis immer wieder öffentlich über die politische Situation in Frankreich.

Publikationen (u. a.):

Anleitung ein anderer zu werden, Roman, übers. v. Sonja Finck, Aufbau Verlag, Berlin 2022.
Die Freiheit einer Frau, übers. v. Hinrich Schmidt-Henkel, S. Fischer, Frankfurt am Main 2021.
Wer hat meinen Vater umgebracht, übers. v. Hinrich Schmidt-Henkel, S. Fischer, Frankfurt am Main 2019.
Im Herzen der Gewalt, Roman, übers. v. Hinrich Schmidt-Henkel, S. Fischer, Frankfurt am Main 2017.
Das Ende von Eddy, Roman, übers. v. Hinrich Schmidt-Henkel, S. Fischer, Frankfurt am Main 2015.
Pierre Bourdieu – L'insoumission en héritage, Presses Universitaires de France (PUF), Paris 2013.


Wolfgang M. Schmitt, geboren 1987, studierte Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. Er lebt als Filmkritiker, Webvideoproduzent, Podcast-Moderator, Autor und Journalist in Koblenz und betreibt u.a. die YouTube-Kanäle Die Filmanalyse und Wohlstand für alle und den Podcast Die neuen Zwanziger.


Die Termine im Überblick

Lesung von Christian Baron am Sonntag, 29. Oktober, um 16 Uhr in der Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall.

Veranstaltungen an der Universität Tübingen

jeweils 19 Uhr c. t., Alte Aula

  • Montag, 30. Oktober: Vorlesung von Christian Baron: "Um sein Leben schreiben. Die Zeit der Monster"
  • Dienstag, 31. Oktober: Vorlesung von Christian Baron: "Um sein Leben schreiben. In der falschen Klasse"
  • Mittwoch, 1. November: Christian Baron im Gespräch mit Wolfgang M. Schmitt: "Was macht eine klasse Literaturverfilmung aus?"
  • Donnerstag, 2. November: Vorlesung von Édouard Louis: "Mind"
  • Freitag, 3. November: Vorlesung von Édouard Louis: "Body"

Die Veranstaltungen in Tübingen konnten auch über einen YouTube-Livestream verfolgt werden: https://www.youtube.com/playlist?list=PLsZhiMXtMWI7QZKBAkGXru4rk1yzDrdJx

Bitte beachten Sie, dass der Stream am 2. und 3. November auf Wunsch des Autors jeweils nur live zur Verfügung gestellt werden konnte.

Büchertisch

Die Buchhandlung "Quichotte" (Bei der Fruchtschranne 10, Tübingen) war auch dieses Jahr an allen Abenden mit einem Büchertisch dabei.