„In Schickards Konstruktion sind die Kernelemente der Informatik enthalten“, sagt Professor Oliver Bringmann, Sprecher des Fachbereichs Informatik an der Universität Tübingen. „Sie definiert Rechenvorschriften und wendet sie gleich in einem automatisierten Verfahren an.“ Erst im 18. Jahrhundert sollten Rechenmaschinen mit höherer Leistungsfähigkeit gebaut werden.
Das Konstruieren und Experimentieren begleitete Schickards Wirken an der Universität Tübingen. Der Theologe wurde 1619 zum Professor für Hebräisch und andere biblische Sprachen berufen. Für seine Studierenden entwickelte er eine Lernhilfe aus aufeinander liegenden, drehbaren Scheiben mit hebräischen Verben und Endungen. So konnten sie sich die komplizierten Konjugationen leichter merken. Selbst Isaac Newton besaß ein Exemplar. Im Jahr 1631 wurde Schickard als Nachfolger des Astronomen und Mathematikers Michael Mästlin auf die Professur für Astronomie, Mathematik und Geodäsie berufen. Durch ein Handplanetarium stellte er die Bewegungen von Sonne, Erde und Mond dar, eine konisch geformte Himmelskarte erleichterte das Auffinden der Sternbilder. Als Schulaufseher inspizierte er Lateinschulen in Württemberg und vermaß auf seinen Reisen das Land. Anschließend zeichnete er aus den Daten viel genauere Karten, als es sie bis dahin gegeben hatte.
Johannes Kepler, der wie Schickard an der Universität Tübingen studiert hatte, wurde bereits im Jahr 1617 auf den jüngeren, „Mathematik liebenden“ Kollegen aufmerksam. Offensichtlich erkannte Kepler bei dieser Begegnung sofort den gewaltigen Intellekt des jungen Schickard und ermutigte ihn, sich mit den Naturwissenschaften zu beschäftigen. Fortan korrespondierten Kepler und Schickard miteinander und es kam zu weiteren Treffen, nachdem Kepler 1620 nach Württemberg heimkehrte, um seiner Mutter in einem Hexereiprozess beizustehen. Der Astronom schätzte Schickards handwerkliches und künstlerisches Geschick und beauftragte ihn mit Kupferstichen und Holzschnitten für sein epochales Werk „Harmonice mundi“, in dem Kepler die Gesetze der Planetenbewegungen formulierte. Schickard seinerseits wusste um die vielen Stunden, die Kepler mit der Berechnung von Planetenbahnen verbrachte. Diese Aufgabe wollte er seinem Freund offenbar erleichtern.
Er gab den Bau einer „Rechen-Uhr“ – so seine eigene Bezeichnung – bei seinem „Mechanicus“ Johann Pfister in Auftrag. Der baute im Jahr 1623 ein Exemplar für Schickard und später ein zweites Exemplar, das für Kepler bestimmt war. Keplers Exemplar wurde noch in Pfisters Werkstatt durch ein Feuer vernichtet.
Schickards Leben endete tragisch. In der Anfangszeit des Dreißigjährigen Kriegs konnte sich die Stadt Tübingen durch hohe Geldzahlungen vor Zerstörung bewahren. Doch nach der verlorenen Schlacht von Nördlingen im Jahr 1634 quartierten sich kaiserliche Truppen in Tübingen ein und brachten die Pest mit. Zuerst raffte die Seuche Schickards Frau und seine drei Töchter dahin. Schickard selbst erkrankte, konnte sich aber erholen. Im Oktober 1635 erkrankte er erneut und starb, einen Tag vor seinem neunjährigen Sohn.
Nach dem Pest-Tod von Schickard und seiner Familie ging das Wissen um die Rechenmaschine und Schickards Exemplar in den Wirren des 30-jährigen Kriegs verloren. Historiker erklärten irrtümlicherweise den französischen Philosophen Blaise Pascal, der zwanzig Jahre später eine eigene mechanische Rechenmaschine entwickelte, zu ihrem Erfinder. Schickards Skizzen tauchten jedoch über Umwege wieder auf. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es, die Maschine an der Universität Tübingen zu rekonstruieren und ihre Funktionsfähigkeit nachzuweisen. 1960 wurde sie der Öffentlichkeit präsentiert. Nachbauten befinden sich heute unter anderem in der Computersammlung der Universität Tübingen und im Tübinger Stadtmuseum.
Tilman Wörtz
Wer die Funktionsweise der Rechenmaschine besser verstehen will, kann sich über diesen Link eine App herunterladen und einfach Rechenaufgaben lösen: https://mathematikalpha.de/schickardsche-rechenmaschine