Gnezdovo/ Russland vom 27.7. bis 15.8. 2012
Geschichtlicher Überblick
Das heutige Dorf Gnezdovo liegt etwa 12km westlich der Stadt Smolensk am rechten Dnjepr-Ufer (Abb. 1). Smolensk wird neben Kiev und Nowgorod in der undatierten Einleitung der Nestor- chronik (12. Jahrhundert) namentlich als Burgsitz erwähnt, im datierten findet sich der früheste Eintrag für das Jahr 882. Doch die ergrabenen Siedlungsreste im heutigen Stadtgebiet weisen keine in das 9. bis 11. Jh. datierende Kulturschicht auf. Daher wird die Siedlungsfläche mit Gräberfeldern zwischen dem heutigen Dorf Gnezdovo und dem Dnjepr, die chronologisch diese Lücke ausfüllt, als 'das alte Smolensk' interpretiert.
Die ältesten Funde, Keramik aus in den anstehenden Boden eingetieften Gruben und wenige Einzelfunde datieren in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts. Ende des 10. Jahrhunderts erreichte die Siedlung eine Ausdehnung auf etwa 15ha zentral um die Mündung des Svinec in den Dnjepr. Ein 1ha großes Areal auf dem Sporn des linken Svinec-Ufers wurde mit einer Wall-Grabenanlage geschützt (Abb. 1). Mühle schätzt, dass zu der Siedlung ursprünglich 4000-5000 Grabhügel gehört hätten, von denen etwa 1200 bislang (Stand: 1991) archäologisch untersucht worden seien. Bei der Mehrzahl der Grabhügel handelt es sich um Brandgräber. Die Gruppe der größeren Hügel mit reicherem Inventar, darunter sogar einige wenige Paargräber mit Resten, die auf Schiffe/Boote hindeuten, datieren frühestens in die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts. Körpergräber tauchen ab dem letzten Viertel des 10. Jahrhunderts auf. Das Spektrum reicht von beigabenlosen bis zu reich ausgestatteten Holzkammergräbern (als Paar- und Einzelgrab). Etwa 2km flussabwärts entstand in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts eine bislang kaum untersuchte, kleine offene Ansiedlung (Abb. 1, offene Siedlung d).
Die Archäologie
Das im Fundmaterial in außergewöhnlicher Menge nachgewiesene Gewichtsgeld, die Münzen und Feinwaagen weisen auf eine große Bedeutung des Fernhandels hin. Neben Dirham beweisen auch zahlreiche Funde wie Seide oder Glasurkeramik den regen Handel mit dem Orient. Aber auch Waren aus dem westslawischen Raum sowie westeuropäische Münzen sind belegt. Auch das spezialisierte Handwerk mit Buntmetall- und Eisenverarbeitung ist belegt während Hinweise auf Landwirtschaft bis auf Haustierhaltung fast völlig fehlen.
Seit der Mitte der 1990er Jahre wird in Gnezdovo fast jährlich wiederkehrend von zwei Institutionen, der Moscow State University vertreten durch Tamara Pushkina und des State Historical Museum vertreten durch Veronica Murasheva, gegraben und geforscht. Wir wurden einen Tag in dem Schnitt nahe des angenommenen Hafens eingesetzt (Abb. 2). Zur Methodik lässt sich sagen, dass nach natürlichen Schichten gegraben wurde, jede Schicht wurde mit Zeichnung und Fotografie dokumentiert und anschließend nivelliert. Die zahlreichen Keramik- und Tierknochenfunde wurden nicht separat eingemessen. Sämtlicher Abraum wurde nach Schnitt und Schicht getrennt geschlämmt. Dazu wurden wir zwei Tage eingesetzt. Neben wiederum sehr zahlreichen größtenteils fragmentierten Tierknochen und Keramikscherben konnten hier auch kleine Glasperlen entdeckt werden. Die Fundbearbeitung fand zum Teil noch im Grabungscamp statt. Keramik und Tierknochen wurden gewaschen, was an mehreren Tagen unsere Aufgabe war.
Ebenfalls zur Kampagne von Murasheva gehört seit einigen Jahren auch die Grabung an einem Gräberfeld etwa 2km flussaufwärts unter der Leitung von Sergey Zozulia (Abb. 1, Grabhügelgruppe 4). Diese Saison konnten von einer kleineren Mannschaft insgesamt drei Grabhügel gegraben werden. Es stellte sich heraus, dass der erste Hügel Anfang der 1990er Jahre beraubt worden war (datiert durch eine zurückgelassene Sektflasche), der zweite Hügel wies keinerlei Hinterlassenschaften eines Grabes auf (Kenotaph). Am dritten Grabhügel wurde ein kleiner, dreieckiger Suchschacht angelegt und dabei ein Kammergrab entdeckt. Wir stießen bis zur Vollendung der Arbeit an diesem Grab zu der Grabungsmannschaft hinzu. Holz- und Skeletterhaltung war nicht gegeben. Gegraben wurde in künstlichen Schichten und jede zeichnerisch und fotografisch dokumentiert. Die Fläche wurde nach und nach dem Befund angepasst und verkleinert (Abb. 4). Es stellte sich heraus, dass bis auf ein Messer (Abb. 5) und insgesamt drei etwas größere Glasperlen (Abb. 6), eine davon in situ in einem Bronzering, keine Funde gemacht werden konnten. Die Befundsituation bestätigte jedoch ein Holzkammergrab. Diese Situation führte Zozulia zu der Annahme, dass das Grab noch vor dem Einstürzen der Grabkammer, also innerhalb der ersten 20-30 Jahre nach dem errichten, beraubt wurde, denn andere Holzkammergräber in Gnezdovo sind ausnahmslos reich mit Beigaben ausgestattet. Er vermutet weiterhin aufgrund der Glasperlen, dass es sich um eine weibliche wikingische Bestattung gehandelt haben muss und datiert die Bestattung aufgrund der Perlen in das letzte Viertel des 10. Jh.
D. Schuller und W. Griebel