Astronomen geben Abrixas auf
Schwäbisches Tagblatt vom 7. Juli 1999
Satellit ist nur noch Weltraummüll / Nächstes Projekt startet im Dezember
Tübingen (an). Der mit Tübinger Beteiligung entwickelte Forschungssatellit "Abrixas" ist endgültig verloren gegeben. Die Stromversorgung ist lahmgelegt, der Satellit kann keine Nachrichten mehr senden oder empfangen.
Die gestrige Meldung vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) war für Prof. Rüdiger Staubert vom Tübinger Institut für Astronomie und Astrophysik nur die offizielle Bestätigung dessen, was sich in den vergangenen Wochen schon abzeichnete: Abrixas ist für die wissen- schaftliche Mission nicht mehr zu retten. Dabei hatte alles so gut begonnen.
Von einem "Bilderbuchstart" war die Rede, als der Satellit am 28. April mit einer russischen Trägerrakete in den Orbit geschossen wurde. Abrixas sollte die Erde in knapp 600 Kilometer Höhe umkreisen, drei Jahre lang den Himmel nach bisher unentdeckten Röntgenqellen absuchen und die Daten zur Erde senden. Auf der Suche waren die Forscher vor allem nach aktiven Galaxien in deren Zentren sie sogenannte "Schwarze Löcher" vermuten. Die Tübinger Astronomen hatten die Halbleiterdetektor-Kamera des Forschungssatelliten entwickelt und sollten an der Auswertung der Daten beteiligt sein. Neben den Tübingern arbeiteten an dem Projekt das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching und das Astrophysikalische Institut in Potsdam (AIP) mit.
Die erste Hiobsbotschaft kam schon in der Nacht zum 1. Mai. Abrixas meldet sich nicht mehr. Offensichtlich war die Stromversorgung des Satelliten unterbrochen, so die erste Vermutung. Das bestätigte sich jetzt nach der Untersuchung durch eine Expertenkommission. "Es war ein technischer Fehler beim Energiekonzept", berichtet Staubert, Leiter der Tübinger Arbeitsgruppe. Beim Zusammenschalten der beiden Batterien an Bord sei ein Fehler passiert. Deshalb sei eine der Batterien explodiert oder so sehr überhitzt, daß sich die Lötstellen der Leitungen lösten. Unglücklicherweise betraf das die Hauptbatterie, die durch Sonneneinstrahlung stets wiederaufladbar war. Die zweite Batterie an Bord funktionierte zu Beginn zwar noch, war aber irgendwann leer - und nicht wiederaufladbar.
Schuld an dem Fehler sei die Firma OHB-System GmbH in Bremen, die Abrixas gabaut hat, sagt Staubert. Das hilft den beteiligten Forschungsinstituten aber auch nicht weiter, denn für den 40 Millionen Mark Satelliten gibt es keinen Schadensersatz. Zwar wird der Kontakt zu Abrixas noch nicht vollständig abgebrochen. Denn sollte der Satellit sich zufällig so ausrichten, daß dessen Sonnenkollektoren im idealen Winkel zur Sonne stehen, könnte die Energie- versorgung wieder funktionieren - allerdings nur kurzfristig und vom Zufall abhängig. "Das hat dann mit Wissenschaft nichts mehr zu tun", sagt Staubert.
Daß Abrixas faktisch gestorben ist, ist für die Tübinger eine bittere Nachricht. Immerhin haben sie laut Stauberts Schätzung rund "14 Mannjahre" investiert, sprich soviel Arbeitskraft, als hätten 14 Leute ein Jahr lang gearbeitet. Die Hälfte der Tübinger Kosten - geschätzt 1,4 Millionen Mark - hat das Bundes- forschungsministerium übernommen, die andere Hälfte wurde aus Grund- mitteln des Institutes finanziert.
Weil die Erforschung von Röntgenquellen für die Wissenschaft international ein wichtiges Projekt sei, wollen die beteiligten Institute darauf drängen, daß es einen zweiten Versuch gibt. Doch daß das Bundesministerium Geld für Abrixas II locker macht, dafür sieht Staubert derzeit wenig Chancen.
"Ein Problem ist auch, daß ich hier drei Doktoranden habe." sagt der Tübinger Projektleiter. Sie sollten in ihrer Arbeit die vom Satelliten gelieferten Daten auswerten. Mit Abrixas ist jetzt auch ihr Dissertationsthema verloren. Ansonsten haben die Tübinger Wissenschaftler eigentlich keine Zeit, Trübsal zu blasen. Denn das nächste Projekt steht kurz vor dem Start. Die für Abrixas gebaute Spezial-Kammera war eine Zweitverwertung: Die Kamera wurde ursprünglich für einen Satelliten entwickelt, der vermutlich im Dezember mit einer Ariane-Rakete in die Erdumlaufbahn transportiert wird. Jener Forschungs- satellit sei um ein vielfaches größer als Abrixas; an dem Projekt sind mehrere Universitäten und Institute in Europa beteiligt. Staubert: "Wegen eines Rückschlags lassen wir noch nicht die Ohren hängen".