Theological Anthropology In Interreligious Perspective
7-9 März 2018
Universität Tübingen
Veranstaltungsbericht
An der Eberhard-Karls-Universität Tübingen fand die internationale Konferenz Theological Anthropology in Interreligious Perspective vom 7. - 9. März 2018 statt. Organisiert wurde sie vom Zentrum für Islamische Theologie und von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen zusammen mit dem Cambridge Muslim College und dem St. Andrews Biblical Theological Institute in Moskau. Die Veranstaltung sollte Raum schaffen für einen interreligiösen akademischen Dialog, der auf der Basis theologischer Deutungsansätze zum Menschsein gegenseitiges Verständnis sowie eine umfassende Auseinandersetzung mit den islamischen und christlichen Traditionen fördert.
In der Begrüßungsansprache bekräftigten die beiden Organisatoren, LEJLA DEMIRI und CHRISTOPH SCHWÖBEL die Bedeutung der wechselseitigen Zusammenarbeit zwischen religiösen Gruppen und hoben die Notwendigkeit eines dialogbasierten Diskurses hervor, in dem Gemeinsamkeiten anerkannt werden. Zudem betonten sie die Wichtigkeit interdisziplinärer und generationsübergreifender Kooperation zwischen Wissenschaftler-innen und Wissenschaftlern.
Michael Tilly (Tübingen) moderierte die erste Podiumsdiskussion mit dem Titel „Approaching the ‚Whole Human Being‘“, in welcher der Begriff des Menschen aus verschiedenen Perspektiven diskutiert wurde. CHRISTOPH SCHWÖBEL (Tübingen) präsentierte eine sorgfältige Analyse von Martin Luthers Ansichten zu diesem Thema und stellte dar, wie Luthers Menschenbild sein theologisches Denken beeinflusste. Zudem zeigte Schwöbel, durch einen Vergleich von Luthers Blickwinkel mit denen von Yehuda ha-Levi und al-Ghazālī, wie Theologie einen Rahmen für das anthropologische Verständnis der menschlichen Natur bietet. TIM WINTER (Cambridge) untersuchte die phänomenologischen Interpretationen der Zusammenhänge zwischen Körper und Vernunft zweier muslimischer Denkerinnen und kultureller Ikonen: Leda Rafanelli und Valentine de Saint-Point. Außerdem erörterte Winter andere Beispiele von verkörperter Kognition im Judentum und Christentum. Weiterhin legte Winter dar, wie das biologische Bewusstsein einer ontologischen Realität entsprechen kann, eine Vorstellung, die durch die Worte von Merleau-Ponty zusammengefasst werden kann: „Die Welt ist nicht das, was ich fühle, sondern das, was ich lebe“.
In der zweiten Podiumsrunde „The Dignity and Misery of Humans“, moderiert von Alexei Bodrov (Moskau), sprach RECEP ŞENTÜRK (Istanbul) das menschliche Bedürfnis nach Sinn an und ging dabei besonders auf die Definition der Menschenrechte ein. Er stellte die These auf, dass die abrahamitischen Religionen trotz ihrer Unterschiede im Konzept der Adamiyya (der Adamskindschaft) eine gemeinsame Grundlage besitzen. Nach Ansicht mehrerer muslimischer Autoren ist dieses Konzept durch die Synthese der islamischen Konzeptionen von Würde und Unverletzlichkeit des Menschen (iṣmā‘) entwickelt worden. Şentürk betonte das Potential dieser Konzeptionen für eine juristische und moralische Diskussion über Menschenrechte. DAN MADIGANs (Washington DC) Vortrag befasste sich mit dem christlichen Begriff der „Erbsünde“. Im Gegensatz zu den polemischen Positionen, die von einer Reihe von Wissenschaftlern eingenommen werden, versuchte Madigan einen Dialog mit muslimischen Quellen aufzunehmen, um eine konstruktive Kritik bestimmter christlicher Ansichten zu Sünde und Erlösung zu entwickeln. Madigan zielte auf eine Interpretation ab, die dem Menschen Würde verleiht. Diesen thematischen Diskussionen folgend, zog RALF K. WÜSTENBERG (Flensburg) einen Vergleich zwischen biblischen und koranischen Erzählungen vom „Fall“, indem er Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Darstellung der menschlichen Sünde durch die Autoren der beiden religiösen Traditionen aufzeigte. Wie Wüstenberg erklärte, sind „beide Menschen gefallen, aber in unterschiedlicher Weise und in unterschiedliche Tiefen“.
Mit David Marshall (Washington DC) als Moderator wurde das dritte Podium durch CONOR CUNNINGHAMs (Nottingham) Beitrag eröffnet. Cunningham verteidigte die Relevanz der Anthropologie für das Wohlergehen des Menschen. Im Gegensatz zu materialistischen und reduktionistischen Weltbildern, die in anderen Wissenschaften gefunden werden können, biete die Anthropologie dynamische Erklärungen, die uns näher an die Wahrheit heranführen. Aus diesem Grund plädiert Cunningham dafür, dass Theologen die Perspektiven der Anthropologie neu beleuchten. Der folgende Redner PAUL HARDY (New York), gab ein konstruktives Beispiel dafür, wie ein solcher Ansatz angewandt werden kann. Hardy erklärte, wie die Benennung Gottes im Christentum und im Islam ähnlichen Mustern folgt. Beide zeugen von der Unterscheidung zwischen sprachlicher Einschreibung und Beschreibung, welche im Falle des Islam durch die Gegenüberstellung von ishāra und ʿibāra dargestellt wird. Beide Religionen lehnen diesen Dualismus jedoch letztlich ab, wenn sie die Unermesslichkeit Gottes betrachten, die über die Allgemeingültigkeit der Prädikate hinausgeht.
Der nächste Tag der Konferenz begann mit einem Podium, das dem Menschen im Verhältnis zu Gott gewidmet war, moderiert von Katrin König (Tübingen). Der erste Redner, SAMER RASHWANI (Tübingen), befasste sich mit der Frage der Nachahmung Gottes und zeigte, wie sich dieser Begriff in verschiedenen muslimischen Interpretationen unterscheidet. Er konzentrierte sich auf die moralisch-intellektuelle Interpretation, bei der der Gläubige Gott imitiert, indem er nach Wahrheit und Vollkommenheit des Charakters und des Verhaltens strebt. Rashwani folgerte, dass der menschliche Gehorsam gegenüber Gottes Geboten durch Gottes moralische Qualitäten, welche ihn zum moralischen Vorbild machen, gerechtfertigt sein könne Der zweite Redner, SIMONE DARIO NARDELLA (Calabria), enträtselte ‘Abd al-Ghanī al-Nābulusīs Al-Wujūd al-Haqq (Das wahre Sein), und präsentierte dessen rationale Erklärung der Einheit der Existenz. Für Nardella eröffnet dieser Ansatz einen neuen Weg zum Verständnis dieses Konzepts und zu einer breiteren Anwendung. Dabei könne das Konzept von al-waḥdat al-wujūd (die Einheit der Existenz) interreligiöse Einsichten inspirieren. Der letzte Redner, MICHAEL KIRWAN (London), griff Girards mimetische Theorie auf und untersuchte ihre theologischen Einsichten jenseits ihres ursprünglichen religiösen Rahmens, unter Berücksichtigung ihrer Anwendbarkeit im Islam. Die Beantwortung dieser Frage könnte zur Etablierung eines interreligiösen “common word” führen.
Erdal Toprakyaran (Tübingen) moderierte die Podiumsdiskussion über Persönlichkeit und religiöse Erfahrung. Die erste Rednerin, SA’DIYYA SHAYKH (Cape Town), erforschte Interpretationen von Ibn ‘Arabī zu Anthropologie und Gender und brachte diese Ideen mit dem zeitgenössischen Islam ins Gespräch. Sie formulierte kritische Fragen in Bezug auf Hierarchien, Paradigmen des Gender-Engagements und der Gender-Ethik, um die heutigen muslimischen Gemeinschaften zur Annahme neuer Perspektiven zu ermutigen. CARLÒ CAMILLERI (Malta) untersuchte Teresa de Jesús’ Lehre der mystischen Verwandlung. Insbesondere untersuchte Camilleri die verschiedenen Ansätze, die Teresa de Jesús’ in Bezug auf das Konzept der ekstatischen Vereinigung gemäß ihrer mystischen Theorie verfolgte. Diese Ansätze basieren auf innerem Wachstum und beinhalten Liebe zu anderen, Distanz und Bescheidenheit. AMINA NAWAZ (Tübingen) untersuchte in ihrem Beitrag die religiösen Interessen, die in Morisco-Texten dokumentiert sind. Während Moriscos ihr Interesse am Islam aufrechterhielten zeigten ihre Texte eine klare Korrelation mit den christlich-religiösen Interessen, die am deutlichsten in der Bedeutung der Zeit für die Durchführung ritueller Gebete zum Ausdruck komme. In ihren Schlussbemerkungen reflektierte Nawaz die Erfahrung des Glaubens in einem pluralistischen Kontext.
Das letzte Podium des Tages, mit Volker Leppin (Tübingen) als Moderator, war der Frage nach Tod und Leiden gewidmet. Als erste Sprecherin betonte DONNA ORSUTO (Rom), dass die Gewissheit, dass jeder Mensch sterben muss, unabhängig von seiner religiösen Überzeugung, die Möglichkeit zu einer universalanthropologischen Perspektive eröffnet. Orsuto schilderte den Fall von Katharina von Siena und Juliana von Norwich, die während der Pest lebten, als Tod und Leid zum Alltag gehörten. Orsuto zeigte, wie diese beiden Mystikerinnen ihre Umstände durch die Ausrichtung auf Jesu Passion als lehrreichem Vorbild transzendierten, indem sie Tod und Leid als höchste Akte der Hingabe empfanden. LEJLA DEMIRI (Tübingen) ging Todesvorstellungen im Islam anhand einer Untersuchung islamischer Offenbarung und schriftlicher Traditionen nach, welche eine Kombination von linearen und zyklischen Zeitverständnissen aufweisen. Außerdem widmete Demiri sich der Ontologie des Todes, wobei sie eine Reihe von mittelalterlichen Theologen vorstellte, die den Tod nicht als die Auslöschung des Lebens betrachteten. SVETLANA KONACHEVA (Moskau) bot einen Bericht über die christlich-thanatologischen Diskurse des 20. Jahrhunderts. Sie beobachtete, dass bei Heidegger der Tod die menschliche Existenz bestimmt und umfasst, indem er den Menschen dazu bringt, er selbst zu werden. Karl Rahner und Eberhard Jüngel betrachteten den Tod dann als Teil ihrer theologischen Anthropologie: Rahner tat dies durch den Begriff des „theonomen Todes“, während Jüngel die Gegenwart Gottes über das Leben hinaus bestärkte.
Der dritte und letzte Tag der Konferenz begann mit einem Podium zum Thema Kinder, das von Aaron Looney (Tübingen) moderiert wurde. MUJADAD ZAMAN (Tübingen) gab einen Überblick über eine Vielzahl von Quellen, die Kinder, ihre Natur und Erziehung im mittelalterlichen islamischen Kontext darstellen. Zudem untersuchte Zaman die Möglichkeiten, diese Einblicke in modernen pädagogischen Diskursen und interreligiösen Dialogen anzuwenden. FRIEDRICH SCHWEITZER (Tübingen) betonte die besondere Rolle von Kindern in der christlichen Tradition, wo Kleinkinder oft die wahre christliche Existenz durch ihre besondere Beziehung zu Gott veranschaulichen. Schweitzer äußerte weiter die Notwendigkeit, das Kind sowohl in die christliche als auch in die muslimische Anthropologie einzubinden, um einen Dialog über Fragen zu seinem religiösen Status und seinen Rechten, zu Pädagogik, Autorität und Autonomie zu ermöglichen.
Das letzte Podium der Konferenz wurde von Stefan Schreiner (Tübingen) moderiert. ILSHAT NASYROV (Moskau) sprach über die Herausforderungen zeitgenössischer Muslime im Rahmen eines gemeinsamen globalen Raumes. Nasyrov stützte die Konzeption eines kulturellen Islams gegenüber der Idee eines politischen Islams, wenn diese als die Einhaltung der Prinzipien von Gerechtigkeit und Vernunft und dem Imperativ, Gutes zu tun, verstanden wird. IVANA NOBLE (Prag) zeigte, wie im christlichen Schöpfungsverständnis eine Spannung zwischen Menschsein und Menschwerden angelegt ist. Dadurch werde ein dynamisches Verständnis des Menschen entwickelt. Allerdings bestehe auch die Gefahr, dass es exklusivistisch missverstanden werde, wie etwa im politischen Missbrauch von Nietzsches Rede vom „Übermenschen“. Demgegenüber zeigte Noble den Weg eines inklusiven Verständnisses auf, dass die Rechte der Anderen und der Schwachen stark macht. Die letzte Präsentation von RUGGERO VIMERCATI SANSEVERINO (Tübingen) untersuchte die Vorstellung des ittibāʿ al nabī (der Nachfolge des Propheten) als einen religiösen Akt und erforschte die anthropologischen Prämissen, die dem zugrunde liegen. Um auszuwerten, ob solch eine Anthropologie theologische Implikationen haben könnte, zitierte er mehrere Zitate aus dem Koran und dem Hadith, die zeigen, wie wichtig dies für das islamische Verständnis von Offenbarung ist.
In ihren Schlussworten lobten die Co-Organisatoren TIM WINTER und ALEXEI BODROV den Erfolg der Veranstaltung, wobei sie den breiten und fruchtbaren Austausch hervorhoben und das positive Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen den organisierenden Institutionen. Winter und Bodrov brachten zum Ausdruck, dass dies der Anfang einer Reihe von Konferenzen war, die in der Zukunft an verschiedenen Orten stattfinden sollen. Sie erklärten weiter, wie entscheidend ein solcher Austausch ist, um die Ost-West Verbindungen im muslimisch-christlichen Dialog, u.a. angesichts der langen Geschichte muslimischer Präsenz in Russland, zu stärken.