Bundestagswahl 2021: Gemeinsame Verteilung der Wahlergebnisse von Grünen und AfD mit Fokus auf Universitätsstädte in Baden-Württemberg

Mit Karten können komplexe räumliche Verhältnisse und Zusammenhänge verständlich dargestellt werden. Gleichzeitig sind sie ein zentrales Arbeitswerkzeug, um räumliche Auffälligkeiten und mögliche Zusammenhänge zu identifizieren und in weiteren Schritten statistisch auszuwerten.

Die hier gezeigte Karte stellt die Bundestags-Wahlergebnisse 2021 der Grünen einerseits und der AfD andererseits für Baden-Württemberg gegenüber. Dazu wurden die Wahlergebnisse der beiden Parteien miteinander verschnitten, sodass eine bivariate Choroplethenkarte, in welcher die Wahlergebnisse von den Grünen und der AfD innerhalb von Gemeindegrenzen eingefärbt sind und dann überlagert wurden, entstand.

Die Gegenüberstellung von ‚Bündnis 90/Die Grünen‘ und ‚AfD‘ wurde auf Grundlage der Unterscheidung in kosmopolitisch und kommunitaristisch orientierte Parteien getroffen. Die sich gegenüberstehenden Ausrichtungen ‚Kosmopolitismus‘ und ‚Kommunitarismus‘ bilden nach Merkel und Zürn die neue Konfliktlinie (Cleavage) der Globalisierung. Dabei seien „[g]rüne und rechtspopulistische Parteien […] die eindeutigsten Beispiele für die Wählermobilisierung entlang der neuen Konfliktlinie“ (Merkel und Zürn 2019, S. 79).

So befürworten Parteien mit kosmopolitischen Inhalten zum Beispiel internationale Institutionen, offene Grenzen für Menschen und Güter oder die Lösung von globalen Problemen wie dem Klimawandel auf internationaler Ebene etc., während Parteien mit kommunitaristischen Inhalten den Fokus auf eine kohärente Gesellschaft (auf städtischer, regionaler oder nationaler Ebene) und die Betonung des Zusammenhalts dieser Gesellschaft legen und eine folglich eher ablehnende Haltung gegenüber internationalen Zusammenschlüssen und die Kompetenzabgabe an internationale Institutionen aufweisen (hier muss es bei einer Verallgemeinerung der jeweiligen Positionen verbleiben, für eine ausführlichere Auseinandersetzung siehe Merkel und Zürn 2019).

Merkels und Zürns Argumentation folgend, haben wir untersucht, ob Korrelationen zwischen den Zweitstimmen für ‚Die Grünen‘ als kosmopolitisch ausgerichtete Partei und den Zweitstimmen für die rechtspopulistische, kommunitaristisch orientierte ‚AfD‘ aufzufinden sind.

Die grundlegenden Daten der Wahlergebnisse (Zweitstimmen) der Bundestagswahl 2021 für die räumliche Betrachtung im Geoinformationssystem (GIS) und die darauf folgenden theoretischen Vorüberlegungen der hier dargestellten ‚Gemeinsame Verteilung der Wahlergebnisse von ‚Bündnis 90/Die Grünen‘ und ‚AfD‘ mit Fokus auf Universitätsstädte‘ wurden vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg bezogen, das diese seinerseits der allgemeinen Bundestagswahlstatistik zugrunde legt. Die Kartengrundlage für das GIS wurde uns vom Landesamt für Geoinformation und Landesentwicklung Baden-Württemberg (LGL) zur Verfügung gestellt.

In der kartographischen Darstellung sind die Gemeinden relativ zu den Wahlergebnissen von ‚Die Grünen‘ und AfD‘ eingefärbt. Gemeinden mit relativ hohem Zweitstimmenanteil von ‚Die Grünen‘ und einem relativ geringen Zweitstimmenanteil der ‚AfD‘ sind gelb eingefärbt. Bei Gemeinden mit gegenläufigem Ergebnis (hohe Zweitstimmenanteile ‚AfD‘, geringe Zweitstimmenanteile ‚Die Grünen‘), läuft die Einfärbung ins Bläuliche. Hierbei ist zu beachten, dass sich die Klassenbreiten zwischen den Zweitstimmen von ‚Die Grünen‘ und ‚AfD‘ unterscheiden. Es handelt sich um einen Vergleich der relativen Häufigkeiten.

Angenommen wurde – die Wahlergebnisse der beiden Parteien betreffend – ein negativer Zusammenhang, da dieser bestätigen würde, dass in Gemeinden, in welchen ‚Die Grünen‘ besonders viele Wähler mobilisieren können, die ‚AfD‘ besonders wenige Wähler zu mobilisieren imstande ist und vice versa. Unsere Untersuchung zeigt einen höchst signifikanten Korrelationskoeffizienten von r=-0,732. Dieser starke negative statistische Zusammenhang bestätigt die Annahmen. Wo die Grünen stark sind, ist die AfD tendenziell schwach und umgekehrt. Der Befund lässt sich zudem dahingehend interpretieren, dass sich die Konfliktlinie zwischen Kosmopolitismus und Kommunitarismus auch räumlich differenziert abbildet.

Die Karte verdeutlicht dabei die zugrunde gelegte Annahme. Wir erkennen bei der Betrachtung unserer Farblegende die bereits vermutete Gegensätzlichkeit. In keiner Kommune, in der ‚Die Grünen‘ über 30 Prozent der Zweitstimmen erreicht haben, konnte die ‚AfD‘ mehr als sechs Prozent der Zweitstimmen erreichen. Ähnlich ist dies für die Gemeinden zu erkennen, in denen ‚Die Grünen‘ mehr als 20 Prozent erreicht haben. In diesen Gemeinden erreichte die ‚AfD‘ nie mehr als 18 Prozent der Zweitstimmen. Hier ist auch hervorzuheben, dass die ‚AfD‘ in nur einer Gemeinde mit einem Zweitstimmenanteil von über 20 Prozent für ‚Die Grünen‘ ein Wahlergebnis über 12 Prozent erreichen konnte (die Exklave Büsingen am Hochrhein (‚Die Grünen‘: 20,6%; ‚AfD‘: 13,7%).

Auffällig ist, dass die Grünen bei den Bundestagswahlen in Baden-Württemberg stets dort besonders hohe (und die AfD besonders geringe) Ergebnisse hatten, wo eine Universität vorzufinden ist. Diese Gemeinden wurden als ‚Universitätsstädte‘ fett weiß umrandet dargestellt.

Die daran direkt angrenzenden Gemeinden weisen ein ähnliches Muster auf, wenn auch nicht ganz so stark ausgeprägt. Auch sie werden auf der Karte weiß umrandet dargestellt (hierbei ist anzumerken, dass nur direkt angrenzende Gemeinden aufgenommen wurden, mit Ausnahme der an Konstanz angrenzenden Gemeinden. Hier wurden auch drei östlich über den Bodensee angrenzende Gemeinden aufgenommen (diese Aufnahme erfolgte durch Absprache im Forschendenteam und hätte dementsprechend auch weniger oder mehr Gemeinden umfassen können).

Auch dies haben wir statistisch anhand einer einfaktoriellen Varianzanalyse (ANOVA) ausgewertet. In dieser Analyse wird verglichen, ob sich die Mittelwerte von Gruppen signifikant voneinander unterscheiden. Die verglichenen Mittelwerte beziehen sich hierbei auf den prozentualen Zweitstimmenanteil der AfD bei der Bundestagswahl 2021. Die Universitätsgemeinden weisen einen Mittelwert von 5,69 auf, die an die Universitätsgemeinden angrenzenden Gemeinden einen Mittelwert von 7,53 und die nicht angrenzenden Gemeinden einen Mittelwert von 10,90 auf. Diese Unterschiede zwischen den Gruppen sind höchst signifikant. Umgekehrt verhält es sich mit den Wahlergebnissen der Grünen. Diese weisen in den Universitätsstädten einen Mittelwert von 29,56 auf, in den angrenzenden Gemeinden von 19,35 und jenseits davon von 13,41. Auch diese Mittelwertunterschiede sind höchst signifikant. Beide Befunde untermauern die Vermutung, dass Universitätsstädte durch den hohen Bildungsgrad ihrer Bürger und die bestehende internationale Vernetzung - beides nach Merkel und Zürn (2019) Merkmale für Globalisierungsgewinner und dementsprechend tendenziell eher kosmopolitisch orientierten Personen - eher kosmopolitisch ausgerichtet sind und die dort wohnende Wählerschaft folglich verstärkt kosmopolitisch ausgerichtete Parteien bevorzugt. Dieser Effekt strahlt auch auf das direkte Umland der Universitätsstädte aus, was auf Siedlungsbewegungen in das an die Städte gut angebundene Umland zurückzuführen ist. Allerdings ist die Spannweite in allen drei Gruppen hinsichtlich der AfD und der Grünen relativ groß und ist in der Gruppe der nicht an Universitätsstädte angrenzenden Gemeinden mit 16,9 für die AfD und 23,9 für die Grünen jeweils am größten. Das heißt, es gibt in diesen Gemeinden durchaus andere Faktoren, die den Wahlanteil der AfD gering halten.

Durch die Analyse von Strukturdaten auf Gemeindeebene können zwar keine direkten Rückschlüsse auf die Einstellungen der in der Gemeinde wohnenden Personen gezogen werden (ökologischer Fehlschluss), die gewonnenen Erkenntnisse stützen dennoch die Vermutung eines hier möglicherweise bestehenden Zusammenhangs, insbesondere, da auch die statistische Auswertung der Wahlergebnisse der beiden Parteien bezogen auf Universitätsstädte und an diese angrenzende Gemeinden im Vergleich mit den übrigen Gemeinden statistisch signifikante Ergebnisse zeigt. Während sich deutlich zu zeigen scheint, dass die ‚AfD‘ in Universitätsstädten und den daran angrenzenden Gemeinden nur wenige Wähler mobilisieren kann, fällt ein weitläufiger blauer Kreis um die Region Stuttgart ins Auge. Hier scheinen ‚Die Grünen‘ nur relativ wenige Wähler mobilisieren zu können, während die ‚AfD‘ hier ihre größten Mobilisierungserfolge erzielen kann. Diese Regionen liegen dabei weit abseits der Universitätsstädte und entziehen sich, so die hier vorgestellte Argumentation, den kosmopolitischen Ausstrahlungseffekten der Universitätsstädte.

Hieraus ergeben sich erste Hinweise auf mögliche Ursachen der diametral gegenüberstehenden Wahlerfolge von ‚Die Grüne‘ und ‚AfD‘, die sich anhand der Konfliktlinie von Kosmopolitismus und Kommunitarismus theoretisch erklären lassen. Diese vermuteten Zusammenhänge (lassen sich doch anhand der aufgefundenen Korrelationen keine Kausalitäten ableiten) sollten daher in weiteren Untersuchungen, insbesondere durch die quantitative Befragung von Personen und qualitativer Untersuchung, weiter beleuchtet werden.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass in kleinen Gemeinden die Briefwahl zum Teil durch den Kreiswahlleiter ausgezählt wurde und die Briefwahlergebnisse kleinerer Gemeinden auch in den Ergebnissen der Nachbargemeinde aufgeführt sein kann. Weitere Informationen diesbezüglich finden Sie bei Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2024.

Quellen:

Merkel, Wolfgang und Zürn, Michael, 2019. „Kosmopolitismus, Kommunitarismus und die Demokratie". Internationale Gerechtigkeit und institutionelle Verantwortung, Hrsg. Julian Nida-Rümelin, Detlef Daniels und Nicole Wloka, Berlin, Boston: De Gruyter, S. 67-102. https://doi.org/10.1515/9783110615876-007

Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, 2024. „Bundestagswahl“. Online unter: https://www.statistik-bw.de/Wahlen/Bundestag/Download.jsp [letzter Aufruf: 16.05.2024]

Gerne stellen wir Ihnen die Karten in hoher Auflösung zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns unter: infospam prevention@irex.uni-tuebingen.de

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