Teilprojekt C07: Apokalyptik als Bedrohungskommunikation: Prophetische Bewegungen im kolonialen Peru (16. Jh.)
Abstract
Die frühneuzeitliche Apokalyptik ist ein Interpretationsangebot für eine als bedroht gehaltene Ordnung, wobei ein „Prophet“ als Spezialist der Bedrohungskommunikation fungiert. Am Beispiel des Dominikaners Francisco de la Cruz, der in den 1570er Jahren mittels der Visionen der Kreolin María Pizarro das Bild einer apokalyptischen Kirche in Peru entwarf, sollen die Rolle der Emotionen bei der transkulturellen Vermittlung der Prophetie und die Generierung neuer Wissensbestände untersucht werden. Dadurch soll gezeigt werden, dass spezifische Momente in der Bedrohungskommunikation, und nicht etwa Säkularisierungs- und Rationalisierungsprozesse, in einem dialektischen Prozess die prophetisch-apokalyptische Ordnungskonzeption selbst aufhoben. Dabei wird eine konsequente Historisierung des Phänomens „apokalyptische Prophetie“ für die Frühe Neuzeit im Rahmen einer vergleichenden Ordensgeschichte angestrebt.
Projektteam
Projektleitung:
Prof. Dr. Renate Dürr
Mitarbeiter:
Dr. des. Fabian Fechner
Fachgebiete und Arbeitsrichtung
Neuere Geschichte
Projektbeschreibung
Gegenstand des Teilprojektes ist eine prophetische Bewegung im Peru der 1570er Jahre, die im Umfeld der Kreolin María Pizarro und des Dominikaners Francisco de la Cruz entstanden war. Deren prophetischen Visionen zufolge sollte nach der Zerstörung Europas durch die Türken nach einer translatio ecclesiae und einer translatio imperii Lima zum neuen geistlichen und weltlichen Zentrum der Welt werden, wo de la Cruz in einer Person als Erzbischof, Kaiser und Papst eingesetzt werden sollte. Er sah sich selbst als „dritten David“ des Volkes Israel – nach dem ersten David und Christus als dem neuen David – und ebenso, wie David eine Präfiguration Christi auf Erden gewesen sei, sah er sich als Verkörperung Christi nach dessen Himmelfahrt. De la Cruz‘ Sohn Gabrielicio sollte als „Salomon Amerikas“ gemeinsam mit ihm das tausendjährige Endzeitreich in Amerika einläuten und gleichsam über Spanier, Kreolen, Mestizen und Indios regieren.
Damit wird eine katholische prophetische Bewegung in transkultureller Perspektive untersucht, die der Tradition der spanischen Prophetie des 15. und 16. Jahrhunderts zuzuordnen ist, wobei der offizielle Messianismus der Monarchen auf der Iberischen Halbinsel mit den mystischen Bewegungen in der Bevölkerung, die sich oftmals um weibliche Medien gruppierten, zusammenspielt. Mit Bezug auf neuere methodische Ansätze der Kulturtransferforschung, der Verflechtungsgeschichte und der postcolonial studies möchte das Teilprojekt auf der Grundlage der vergleichenden Prophetienforschung drei für den SFB zentrale Fragekomplexe untersuchen, mit denen insgesamt die grundlegende Bedeutung apokalyptischer Denkansätze in der Vormoderne herausgestellt und deren Relevanz für die entstehende Moderne kritisch reflektiert werden soll. Dadurch werden zudem die bisherigen Schwerpunkte der Prophetienforschung – die ausschließliche Betrachtung der Prophetie als Ausdruck der Häresie, rhetorische Hülle oder Folge einer psychischen Erkrankung – gesichtet und bewertet.
1. Ordnung und Ordnungen: Weil die frühneuzeitliche Apokalyptik ein zeitgenössisches Interpretationsangebot für eine als bedroht gehaltene Ordnung darstellte und diese Bedrohung immer zugleich deduktiv von der „göttlichen Ordnung“ her abgeleitet, als auch induktiv mit Hinweis auf die jeweils erfahrene Situation vor Ort begründet wurde, soll das Teilprojekt am Beispiel der vielschichtigen Ordnungen in Peru das Verhältnis von universellen Ordnungskonzepten zur lokalen Ordnung herausarbeiten.
2. Ordnungsdiskurs und Bedrohungskommunikation: Die Attraktivität von millennaristisch inspirierten prophetischen Bewegungen, wie derjenigen um Francisco de la Cruz, lebte von der Vision einer neuen Ordnung, welche wiederum für die „alte“ Ordnung eine große Bedrohung darstellte. Dadurch verschränkten sich unterschiedliche Bedrohungskommunikationen, konnten doch in Peru die alte europäische, die alte Inka-Ordnung und die neu entstehende Ordnung vor Ort als bedroht gelten. Das Teilprojekt wird darum auch untersuchen, wie sich die Bedrohungskommunikation durch den Transfer von der „Alten“ zur „Neuen Welt“ verändert hatte.
3. Nichtintendierte Folgen: Das Teilprojekt richtet den Blick auf die mediale und kommunikative Seite des Geschehens, dabei insbesondere auf zwei Momente dieser Kommunikation (Emotionen und Wissensbestände), in welchen die „agency“ der Beteiligten und die „göttliche Providenz“ eine zentrale Rolle spielen. Die Ausgangsthese des Teilprojektes ist, dass sich in diesen Prophetien aus zeitgenössischer Sicht jeweils göttliches und menschliches Handeln ineinander verschränkte, das Verhältnis beider Momente zueinander aber allmählich und unmerklich verschob.
Mit der Untersuchung dieser Fragekomplexe wird das Teilprojekt einen Beitrag zu der Debatte über die dialektischen Prozesse einer Säkularisierung als immanentes Element des vormodernen, religiösen Weltbildes leisten und damit auch zu dem für den SFB maßgeblichen Ziel der Erneuerung der Raum- und Zeitkategorien der Sozial- und Kulturwissenschaften beitragen. Zugleich soll die Gültigkeit eines oftmals als allgemeingültig gesehenen Konzepts der Apokalyptik auf den Prüfstand gestellt werden. Abseits von einer verallgemeinernden Motivgeschichte der Apokalypse, die sich vor allem auf die rhetorische Physiognomie beschränkt und somit die existentielle Bedeutung für die Zeitgenossen im Voraus ausschließt, sollen die Spezifika der frühneuzeitlichen Apokalyptik herausgearbeitet werden.
Projektbezogene Vorträge und Publikationen
Dürr, Renate
Publikationen
- Confession as an Instrument of Church Discipline – a Study of Catholic and Lutheran Confessional Manuals from the 16th and 17th Centuries, in: Sigrid Müller/ Cornelia Schweiger (Hg.), Between Creativity and Norm-Making. Tensions in the Later Middle Ages and the Early Modern Era, Leiden/ Boston 2013, S. 215-241.
- Kanzelaltäre zwischen Säkularisierung und Sakralisierung, in: Der Kirchenbau zwischen Sakralisierung und Säkularisierung im 17./ 18. Jahrhundert und heute, München 2013, S. 54-74.
- Wissen als Erbauung – zur Theatralität der Präsentation von Wissen aus aller Welt im Neuen Welt=Bott, in: Theatralität von Wissen in der Frühen Neuzeit. Hg. von Nikola Roßbach und Constanze Baum. Wolfenbüttel 2013, Online Veröffentlichung.
- Laienprophetien. Zur Emotionalisierung politischer Phantasien im 17. Jahrhundert, in: Claudia Jarzebowski/ Anne Kwaschik (Hrsg.): Performing Emotions. Zum Verhältnis von Politik und Emotion in der Frühen Neuzeit und in der Moderne, Göttingen 2012, S.17-41.
- Early modern translation theories as mission theories: A case study of José de Acosta 'De procuranda indorum salute' (1588), in: Helmut Puff/ Ulrike Strasser/ Christopher Wild (Hg.): Cultures Of Communication. Theology Of Media In Early Modern Europe And Beyond, Toronto 2012. 14.11.2013 – "Storytelling as a Principle of Knowledge Transfer in the German Jesuit Mission Journal Der Neue Welt-Bott", Vortrag auf Einladung von Prof. Dr. Ulinka Rublack, Cambridge (GB).
Vorträge
- 27.06.2013 – "Sprachreflexion in der Mission: Übersetzungstheorien als Missionstheorie (16.-17. Jh.)", Vortrag im Forum Scientiarium, Tübingen, Organisation: Dr. Ruth Conrad.
- 15.05.2013 – "Laienprophetien. Zur Emotionalisierung politischer Phantasien im 16. und 17. Jahrhundert", Vortrag im Kolloquium Neuere Geschichte, Münster, Organisation Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger.
- 08.05.2013 – "Die erste Spekulationsblase: die holländische Tulpenmanie im 17. Jahrhundert", Vortrag in der Ringvorlesung im Rahmen des Studium Generale, Tübingen, Organisation Prof. Dr. Anton Schindling/ Prof. Dr. Georg Schild.
- 2013 – "Große und Kleine Welten: Die Epoche der Frühen Neuzeit als erste Phase der Globalisierung", Vortrag in Karlsruhe (Institutskolloquium), Organisation Prof. Dr. Renate Dürr.
- 29.11.2012 - "Storytelling as a Principle of Knowledge Transfer in the German Jesuit Mission Journal Der Neue Welt-Bott"; Vortrag auf Einladung von Prof. Dr. Eve Rosenhaft, University of Liverpool.
- 28.11.2012 - "Storytelling as a Principle of Knowledge Transfer in the German Jesuit Mission Journal Der Neue Welt-Bott"; Vortrag auf Einladung von Dr. Bridget Heal, University of St. Andrews.
- 27.11.2012 - "Storytelling as a Principle of Knowledge Transfer in the German Jesuit Mission Journal Der Neue Welt-Bott"; Vortrag am Deutschen Historischen Institut London.
- 02.10.2012 - "Grosse und kleine Welten: das Geschichtenerzählen als Prinzip des Wissenstransfers in der deutschsprachigen jesuitischen Missionszeitschrift 'Der Neue Welt-Bott'"; Vortrag auf dem Zentralen Kolloquium des Doktoratsprogramms Geschichte, Universität Zürich.
- 12.07.2012 - "Emotionen in der lutherischen Laienprophetie. Ein Beitrag zur historischen Emotionsforschung"; Vortrag auf dem Doktorandenworkshop, Universität Heidelberg.
- 21.-23.06.2012 - "Über-Setzungen. Der Jesuit P. Florian Pauke im Paraguay des 18. Jahrhunderts"; Vortrag auf der internationalen Tagung "Tertium datur: Das Dritte in der Geschichte 1450-1850", Universität Zürich.
- 07.-09.06.2012 - "Die Gestaltung evangelischer Kirchenräume: Zum Verhältnis von Norm und Praxis in den Kirchweihpredigten"; Vortrag auf der internationalen Tagung "Entfaltung und zeitgenössische Wirkung der Reformation im europäischen Kontext", Universität Eisenach.
- 22.05.2012 - "Il sovrannaturale e meraviglioso nella religiosità quotidiana della Germania riformata"; Vortrag im Rahmen einer Ringvorlesung an der Università Sapienza, Rom.
- 15.05.2012 - "Emotionen in der lutherischen Laienprophetie"; Vortrag im Forschungskolloquium, Universität Konstanz.
- 05.02.2012 - "Große und Kleine Welten: Die Epoche der Frühen Neuzeit als erste Phase der Globalisierung?"; Vortrag am Institutskolloquium auf Einladung von Dr. Renate Dürr, Universität Karlsruhe.
- 26.-27.01.2012 - "Wissen als Erbauung - zur Theatralität der Präsentation von Wissen aus aller Welt im Neuen Welt-Bott"; Vortrag auf der Konferenz "Theatralität von Wissen in der Frühen Neuzeit", Universität Kassel.
Fechner, Fabian
Publikationen
- Der Häresiarch und die Vielen. Die diffuse Potentialität des 'Ketzers' in imaginierten Häresien des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, in: Jan Behnstedt/Jan Marco Sawilla/Rudolf Schlögl (Hgg.): Jenseits der Ordnung? Zur Mächtigkeit der Vielen in der Frühen Neuzeit (zum Druck angenommen, erscheint 2015).
- Von Endzeitkaisern und der Zerstörung Spaniens – Apokalyptische Prophetien in Südamerika (1550-1650), in: Hendrik Klinge/Nora Eibisch/Mark Tobias Wittlinger (Hg.): Endspiele. Zukunftserwartungen zwischen Weltuntergang und Utopia (Kontexte. Neue Beiträge zur historischen und systematischen Theologie), Göttingen: Vandenheock & Ruprecht/Edition Ruprecht (im Druck).
- (mit Tanja Granzow, Jacek Klimek, Roman Krawielicki, Beatrice von Lüpke, Rebekka Nöcker) 'We are gambling with our survival.' Bedrohungskommunikation als Indikator für bedrohte Ordnungen, in: Aufruhr – Katastrophe – Konkurrenz – Zerfall. Bedrohte Ordnungen als Thema der Kulturwissenschaften, Bd.1 der SFB 923-Reihe ‚Bedrohte Ordnungen‘, hg. von Ewald Frie und Mischa Meier, Tübingen 2014, S. 141-173.
- ¿Qué quiere decir historia global en la época colonial? Propuestas desde el punto de vista de la historia institucional, in: Nueva Corónica 2014 (zum Druck angenommen).
- Las tierras incógnitas de la administración jesuita: toma de decisiones, gremios consultivos y evolución de normas, in: Histórica [Lima] 38 (2014) (zum Druck angenommen).
- Rezension zu: Rose, Sonia V., Schmidt, Peer y Weber, Gregor (eds.), Kohut, Karl (col.): Los sueños en la cultura iberoamericana (siglos XVI-XVIII), Sevilla, Consejo Superior de Investigaciones Científicas, 2011, 429 pp., in: Anuario de Estudios Americanos 70, 2 (2013), S. 777-780.
Vorträge
- 18.10.2014 - "Inkulturation durch sprachliche Übersetzungsprozesse. Die indigenen Sprachen in Missionsmethode und Ordensrecht der Jesuiten (Provinzen Peru und Paraguay, 17. Jahrhundert)", Workshop "Mission im Spannungsfeld der Interkulturellen Theologie und Inkulturation", Tübingen.
- 02.10.2014 - "'Antijesuitismus' als Quellenbegriff und Forschungsgegenstand – Entstehung und Wirkungsgeschichte eines fiktiven Kriegsrechts für indigene Neophyten in der Ordensprovinz Paraguay (Erstdruck 1760)", Tagung "Die Wiederherstellung der Gesellschaft Jesu. Vorbereitung. Durchführung. Wahrnehmung", Université de Fribourg, Schweiz.
- 22.08.2014 - "Fuentes inquisitoriales y la 'narrativa maestra'. El proceso por herejía contra Francisco de la Cruz (Lima, 1572-78)", Pontificia Universidad Católica de Chile, Santiago de Chile, Laboratorio de Historia Colonial.
- 29.05.2014 - "The Body of Christ in Early Colonial Peru – Visualizations between Miracle and Empirical Method", Workshop "Visualizing Religious Beliefs. Images, spatial contexts, and religious practice in early modern Europe and beyond", Universität Tübingen.
- 14.01.2014 - "Bedrohungskommunikation religiöser Experten in apokalyptischen Bewegungen in Südamerika (16. Jahrhundert)" – Vortrag im Forschungskolloquium von Prof. Dr. Stefan Rinke, Lateinamerika-Institut der FU Berlin.
- 26.11.2013 - "La profecía apocalíptica como amenaza política (s. XVI). Fray Francisco de la Cruz y las imaginaciones de un motín en el Virreinato del Perú", Pontificia Universidad Católica de Chile, Instituto de Historia, Santiago de Chile, 6. Jornada de Investigaciones.
- 18.11.2013 – "Profecías y herejías ante la Inquisición peruana a fines del siglo XVI. Las visiones de María Pizarro y los religiosos involucrados", Universidad Andrés Bello, Santiago de Chile, Departamento de Humanidades, Seminario avances de investigación.
- 04.10.2013 – "Herejía, apocalípsis y alternativas políticas en el Perú del Virrey Toledo", Vortrag an der Universidad Nacional Mayor de San Marcos, Lima (Peru), Departamento de Historia, Seminario de Investigación del Dr. Francisco Quiroz Chueca.
- 26.07.2013 – "Francisco de la Cruz (um 1530-1578) und die Bildung und Brechung einer apokalyptischen Warngemeinschaft im Vizekönigreich Peru"; Vortrag bei "Jenseits der Ordnung? Zur Mächtigkeit der Vielen in der Frühen Neuzeit", Tagung der Forschungsstelle "Signaturen der Frühen Neuzeit", Konstanz.
- 03.06.2013 – "Entre la norma y la práctica. Las congregaciones provinciales en la provincia jesuítica del Paraguay (1608-1762)"; Vortrag im Seminario permanente de Historia del Derecho Español, Portugués e Iberoamericano, Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main.
- 12.01.2013 – "Apokalyptische Prophetien als Bedrohungskommunikation im Vizekönigreich Peru"; Vortrag auf dem 14. kirchengeschichtlichen Oberseminar in Treis-Karden, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
- 20.09.2012 – "Von Endzeitkaisern und der Zerstörung Spaniens – Apokalyptische Prophetien in Südamerika (1550-1650)"; Vortrag auf dem interdisziplinären Doktorandenkolloquium "Endspiele", TU München.
- 29.06.2012 - "Akkommodation und Einheit der Jesuiten. Die Debatten um eine lokale Ordensgesetzgebung in der Ordensprovinz Paraguay", Werkstattgespräch "Der Jesuitenorden. Globale Netzwerke – lokale Akteure", Freie Universität Berlin, Kunsthistorisches Institut.
- 13.04.2012 – "Von 'wahren' und 'falschen' Prophetien – Der spanische Jurist Juan Covarrubias y Orozco (um 1545-1608) und die Grenzen zwischen Mystik, göttlicher Botschaft und heterodoxer Vision"; Vortrag auf der Tagung "Kulturen des Affektiven", Exzellenzcluster "Languages of Emotion", FU Berlin.
Tagungen, Workshops, Konferenzen
- 09./10.04.2015 - Workshop "Christian Prophecies as a Reflex to Competing Concepts of Order (1500-1800)", Tübingen. Hier finden Sie den Flyer und die Programmankündigung auf HSozKult.