Uni-Tübingen

F04: Koloniale Ordnung als Bedrohte Ordnung: Die Sangley-Revolten und spanischen Massaker in Manila (1603, 1639, 1662, 1686)

Projektmitarbeiter*innen:
Dr. Adrian Masters (bis 2022)
Postdoc
PD Dr. Philip Hahn
Teilprojektleiter
Dr. Rachel J. Zhang
Postdoc

Fachgebiet: Frühneuzeitliche Geschichte

Das Teilprojekt untersucht Kolonialherrschaft als Bedrohte Ordnung im 17. Jahrhundert. Es setzt damit TP F04 (Panama: Re-ordering nach dem schottischen Darién-Kolonialprojekt [1697/98-1700]) aus der 2. Förderperiode fort. Für das Fortsetzungsprojekt wurde mit Manila (Philippinen) ein Fallbeispiel gewählt, das im Untersuchungszeitraum ebenfalls Teil des spanischen Königreichs war. Damit bietet sich die Gelegenheit zum Vergleich Bedrohter Ordnungen in zwei spanischen Kolonien in unterschiedlichen Weltregionen, die beide für die spanische Krone von strategischer Bedeutung waren. Während die re-ordering-Prozesse in Panama nur über den kurzen Zeitraum von drei Jahren beobachtet wurden, sollen im Fortsetzungsprojekt am Beispiel der vier Sangley-Revolten und ihrer Niederschlagung längerfristige diachrone Interdependenzen analysiert werden. Das TP gehört daher dem Bereich Diachronie an. 
In Manila war die ethnische und kulturelle Diversität noch größer als in Panama: Hier lebten eine spanische Minderheit (ca. 2.000 Personen, darunter Kolonialbeamte, Soldaten und Missionare von der iberischen Halbinsel und aus den Amerikas), indigene Filipinos aus dem ganzen Archipel sowie Händler und Migranten aus aller Welt. Die Sangleyes, Migranten aus Südchina, waren mit ca. 20.000-30.000 Personen die größte Einwanderergruppe in Manila. Einerseits war die Kolonie wirtschaftlich abhängig von den Sangleyes, andererseits wurden sie aufgrund der Größe ihrer Gruppe und der kulturellen Verschiedenheit von den Spaniern als potenzielle Bedrohung der kolonialen Ordnung wahrgenommen. Das TP fokussiert die Momente, in denen die fragile koloniale Ordnung in Manila akut bedroht erschien: Viermal (1603, 1639, 1662 und 1686) lösten tatsächliche oder befürchtete Revolten der Sangleyes eine intensive Bedrohungskommunikation unter den Spaniern aus. Die ersten drei Revolten wurden mit Massakern an einem Großteil der Sangleyes in Manila und dem Umland beantwortet (mit jeweils etwa 20.000 Opfern); dabei waren die Spanier auf die Unterstützung indigener Milizen, insbesondere der Pampangans, und anderer Gruppen einschließlich japanischer Immigranten angewiesen. Mit dem Fallbeispiel Manila kommt damit eine weltweit vernetzte koloniale Ordnung in den Blick. Wie es der spanischen Verwaltung gelang, so unterschiedliche Gruppierungen für ihre Belange zu mobilisieren, wird eine zentrale Fragestellung des TP sein; deswegen gehört es zum Projektbereich F (Mobilisierung). Dieser Gewaltzyklus, der auf der zunehmenden Sedimentierung alarmierender Bedrohungstopoi basierte, endete erst in den 1680er Jahren, obwohl sich weiterhin zahlreiche chinesische Migranten in den Philippinen niederließen. Die diachrone Perspektive eröffnet die Möglichkeit, zu untersuchen, wie sich die Kolonialgesellschaft in Manila über solche Bedrohungskommunikationen und die darüber etablierten re-ordering-Prozesse veränderte und welche Rolle dabei Identitätsnarrative spielten. 
Methodisch baut das TP auf den Konzepten der Verflechtung und der kulturellen Übersetzung auf. Der Ansatz der Verflechtungsgeschichte hat sich bei der Analyse sowohl der Wechselbeziehungen zwischen konkurrierenden Kolonialmächten als auch der Entwicklung von Kolonialherrschaft vor Ort bewährt. Die Angewiesenheit kolonialer Herrschaft auf das eigenständige Handeln der Beamten vor Ort und deren Interaktion mit indigenen Akteuren hat bereits das Vorgängerprojekt am Beispiel Panamas herausgearbeitet. Im Fortsetzungsprojekt sollen längerfristige Entwicklungen erfasst werden, bei denen Übersetzungsprozesse eine bedeutende Rolle spielen. Denn angesichts der globalen Dimension der Bedrohungskommunikation innerhalb des spanischen Königreichs und der lokalen Verständigungsprobleme in den Philippinen wird deutlich, dass Distanzherrschaft immer auf Übersetzungsprozessen basierte, musste doch jede Anwendung kolonialer Macht sowohl sprachlich als auch kulturell übersetzt werden.