Uni-Tübingen

hochschulreif. Der Tübinger Podcast zur Studienwahl

Der Podcast "hochschulreif" unterstützt Schülerinnen und Schüler bei der Studienwahl. In jeder Folge laden wir, Alexandra Becker (Zentrale Studienberatung) und Christoph Jäckle (Hochschulkommunikation), einen Gast aus einem Studienfach der Uni Tübingen zum Gespräch ein. Das Gespräch gibt erste Einblicke in die wichtigsten Inhalte des Studienfachs, in die persönlichen Voraussetzungen für das Studium und in mögliche Berufsperspektiven. Zu jedem der Themenfelder befragen wir im Vorfeld Tübinger Studierende des Fachs über ihre persönlichen Erfahrungen bei der Studienwahl, über ihr Studium und wie ihre beruflichen Wünsche aussehen. Studierende kommen dadurch ebenso zu Wort wie Fachexpertinnen und -experten.

Beteiligte:

  • Projektleitung: Zentrale Studienberatung, Universität Tübingen
  • Moderation: Alexandra Becker, Christoph Jäckle
  • Redaktion & Postproduktion: Alexandra Becker
  • Tontechnik: Zentrum für Medienkompetenz, Universität Tübingen
  • Musik: Jingle "Happy Jazz" von PIANODAYs, Background "Cool and Catchy Jazz" von David Steele

Trailer

Ihr wollt wissen, was euch bei "hochschulreif" erwartet? Wir, das Moderationsteam von "hochschulreif" Alexandra Becker und Christoph Jäckle, stellen uns vor und berichten, was euch in den kommenden Folgen erwartet.

Tags #Studium #Studienwahl #Universität #Tübingen #Studieren #Abitur #Studiengänge #Studienfach
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Statements von Studierenden
Studi 1: Ich muss sagen, ich habe absolut keine Ahnung mehr, wie ich auf die Idee kam, Mathe zu studieren.
Studi 2: Also ganz klassisch lese ich gerne. Ich schreibe auch gerne.
Studi 3: Für ein Studium der Soziologie habe ich mich entschieden, weil ich mich für Menschen interessiere.
Studi 4: Und ich habe in der Schule schon immer ein Faible dafür gehabt, für Politik, für Gesellschaft, für Geschichte.
Studi 5: Ich habe mich schon immer für Philosophie interessiert.
Studi 6: Das war mehr so ein Schuss ins Blaue, wenn ich ehrlich bin.

Das Moderationsteam
Alexandra Becker: Geht es euch ähnlich? Ihr habt gerade euer Abi gemacht und fragt euch: Ist Studieren überhaupt das Richtige für mich? Welches Fach soll ich studieren? Oder: Wie funktioniert Studieren überhaupt? Genau darum geht es bei „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl.

Christoph Jäckle: Wir stellen euch hier in jeder Folge ein Studienfach vor. Dazu laden wir uns einen Gast ein und sprechen dann mit ihm oder ihr darüber, um was es bei dem Studienfach inhaltlich geht, was man selbst für das Studienfach mitbringen sollte und was man damit später beruflich machen kann. Außerdem befragen wir davor jedes Mal auch Tübinger Studierende über ihre eigenen Erfahrungen in diesem Studiengang. Wir, das bin ich, Christoph Jäckle.

A.B.: Und ich bin Alexandra Becker. Wir beide sind vom Team der Zentralen Studienberatung. Und wenn ihr gerade auf der Suche nach dem richtigen Studiengang für euch seid, dann seid ihr bei uns genau richtig.

C.J.: Hört doch mal rein. Und wenn es euch gefällt, dann freuen wir uns, wenn ihr uns abonniert!

Folge #22: Indologie

Wie ist es, Indologie in Tübingen zu studieren? Was lernt man denn da alles? Welche Sprachen gibt es? Und was kann man mit einem Studienabschluss in Indologie beruflich machen? Die Tübinger Indologie-Professorin Dr. Heike Oberlin ist zu Gast bei „hochschulreif“, um diese und viele weitere Fragen rund um das Indologie-Studium zu beantworten. Außerdem erzählen Studierende über ihre persönliche Motivation für das Studium, ihren Studienalltag und ihre Pläne nach dem Studium. 

Tags #Indologie #SouthAsionStudies #Indien #Südasien #Sanskrit #Hindi #Malayalam #Urdu
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[demnächst verfügbar]

Shownotes

 

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Heike Oberlin über die folgenden Themen:
01:11 Persönliche Motivation 
11:10 Studieninhalte 
30:28 Persönliche Voraussetzungen 
41:28 Berufsperspektiven 
51:32 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Indologie:

  • Informationen über das Indologiestudium sowie Kontakt zur Studienfachberatung findet ihr auf der Webseite der Abteilung für Indologie, Universität Tübingen
  • Der Bibliothekskatalog der Indologie findet sich unter AOI-Bibliotheken auf der Webseite des Asien-Orient-Instituts
  • Zur Einführung: Das alte Indien. Geschichte und Kultur des indischen Subkontinents, Heinrich Gerhard Franz (Hg.), München 1990.
  • Altindische Literatur: Die „Bhagavad Gita“ sowie „Buddhacarita“ sind in zahlreichen Übersetzungen verfügbar (z.B. in der Universitätsbibliothek Tübingen oder AOI-Bibliothek)
  • Je nach Interesse: Bollywood-Filme oder Dokumentationen z.B. König Khandobas Jagdausflug (Dokumentarfilm von Henning Stegmüller und Günther D. Sontheimer, 1992)
  • Außerdem Beiträge der Deutschen Welle (DW) zu Indien (z.B. über Ghandi) oder Indienthemen bei der Bundeszentrale für politische Bildung 

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #21: Kognitionswissenschaft

Was ist eigentlich Kognitionswissenschaft? Mit welchen Themen beschäftigt sich das Fach? Und muss man dafür ein Informatik-Profi sein? Zu Gast bei „hochschulreif“ ist die Tübinger Kognitionswissenschaftlerin Prof. Dr. Bettina Rolke. Sie spricht mit uns über das Studium des Faches, Besonderheiten in Tübingen und vieles mehr. Auch Tübinger Kognitionswissenschafts-Studierende geben Einblick in ihre Studienwahl, eine typische Studienwoche sowie ihre beruflichen Wünsche.

Tags #Kognitionswissenschaft #Kognition #Wahrnehmung #Motorik #Lernen #Gedächtnis #Problemlösen #Denken #Sprache
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Studi 1: Mich interessiert vor allem, wenn der Mensch mit der Maschine interagiert.  

Studi 2: Ich finde es toll, dass der Studiengang so vielfältig und interdisziplinär ist, zum Beispiel Linguistik, Biologie, Philosophie, Psychologie, aber natürlich auch Informatik.  

Studi 3: Was ist Denken? Wer bin ich? Wie funktioniert das Ganze? Woher kommt es? Diese Fragen haben mich umgetrieben.  

Christoph Jäckle (C. J.): Und damit herzlich Willkommen zu einer neuen Folge „hochschulreif“, Eurem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Um welches Studienfach es heute genau gehen wird, das halten wir noch ein paar Sekunden offen, um die Spannung zu erhöhen. Ich heiße aber schon mal unseren Gast heute willkommen: Frau Professorin Bettina Rolke, herzlich Willkommen.  

Prof. Dr. Bettina Rolke (B. R.): Hallo.  

C. J.: Frau Rolke, Sie sind Professorin für Kognitionswissenschaft an der Universität Tübingen. Damit ist das Geheimnis gelüftet, um welches Fach es heute gehen wird. Außerdem ist natürlich meine liebe Kollegin Alexandra Becker auch bei uns hier im Tonstudio. Hallo Alex, schönen guten Morgen! 

Alexandra Becker (A. B.): Guten Morgen, Christoph!  

C. J.: Frau Rolke, bevor wir gleich zu Ihren Aufgaben an der Universität Tübingen kommen werden und Ihrem Arbeitsbereich, in dem Sie arbeiten bei der Kognitionswissenschaft, würde ich sagen, wir hören uns einmal von den Studierenden an, warum sie sich selbst überhaupt für das Studium der Kognitionswissenschaft in Tübingen entschieden haben.  

Persönliche Motivation (01:23) 

Studi 1: Ich war damals auf dem Infotag hier in Tübingen und hab mir Fächer angeschaut wie die Biologie, die Informatik, aber auch die Psychologie. Ich konnte mich aber nicht entscheiden, weil ich von allem etwas wollte, und bin dann auf die Kognitionswissenschaft gestoßen, die alle Bereiche etwas abdeckt und sehr interdisziplinär ist.  

Studi 2: Diese bunte Mischung der verschiedenen Teilgebiete der Kognitionswissenschaften konnten mich direkt begeistern. Alles hatte damit zu tun, mit was ich mich gerne auseinandergesetzt habe: Was ist Denken? Wer bin ich? Wie funktioniert das Ganze? Woher kommt es? Diese Fragen haben mich umgetrieben. Der Informatikteil war auch spannend für mich, weil ich in der Schule schon sehr gern programmiert habe.  

Studi 3: Ich wollte meine verschiedenen Interessen wie Informatik, Neurowissenschaften, Datenanalyse und experimentelle Wissenschaften kombinieren. Außerdem war ich begeistert davon, mehr über die menschlichen Denkprozesse zu erfahren. Ich sah in der Kognitionswissenschaft die Gelegenheit, später als Wissenschaftlerin zur Forschung in wichtigen Bereichen beizutragen.  

A. B.: Die Vielfalt, von der die Studierenden berichtet haben, ist das etwas, was sich auch in der Erwartungshaltung von Erstsemester-Studierenden spiegelt? Sind die offen für alles, oder ist das eher auch so, dass man deren Vorstellung, was da tatsächlich in dem Fach alles drin ist, erst mal zurechtrücken muss zu Beginn des Studiums?  

B. R.: Tatsächlich frage ich meine Studierenden – ich habe im ersten Semester eine Vorlesung, da mache ich eine Einführung in die Kognitionswissenschaft – was sie motiviert hat, für den Studiengang. Das ist sehr vielfältig. Verschiedene Studierende haben unterschiedliche Interessen. Manche wollen sich mehr in der Biologie vertiefen, manche mehr in der Informatik, aber viele haben sich doch sehr intensiv damit beschäftigt, was Kognitionswissenschaft ist. Das hängt auch damit zusammen, dass die Kognitionswissenschaft ein besonderer Studiengang ist, sag ich mal, weil er auch in Deutschland gar nicht an vielen Standorten angeboten wird. Es gibt die Kognitionswissenschaft in Tübingen, in Darmstadt und schon früher auch in Osnabrück. Das bedeutet, dass die Studierenden, die Kognitionswissenschaft studieren wollen, eigentlich genau wissen, was sie wollen, und sich auch schon sehr gut über die Studieninhalte kundig gemacht haben.  

C. J.: Es ist auf jeden Fall eine Besonderheit. Ich glaub, es gibt viele Studiengänge, bei denen viele Studierende erstmal offen reingehen und sich das Ganze mal anschauen wollen.  

A. B.: Ja, und diese Begrenztheit, was die Standorte angeht – wenn es drei Standorte in Deutschland gibt – ist das natürlich gemessen an der Zahl der Universitäten, nicht viel im Vergleich zu anderen Fächern. Wie kamen Sie denn selbst zur Kognitionswissenschaft? Also haben Sie schon Kognitionswissenschaft studieren können?  

B. R.: Tatsächlich leider nicht. Also zu meiner Zeit gab es den Studiengang noch nicht. Ich selbst war auch unentschlossen, wie das eine Studierende schon gesagt hat. Ich wusste nicht so genau, ob ich Biologie studieren soll oder Psychologie. Beides hat mich sehr interessiert. Ich habe mich dann für Biologie entschieden, habe als Nebenfach Psychologie gewählt und bin dann mit meiner Abschlussarbeit, das war damals noch eine Diplomarbeit, in die Psychologie gegangen. Ich habe dort eine externe Abschlussarbeit gemacht, in der ich mich mit motorischen Lernprozessen, mit EEG-Ableitung (Verfahren zum Messen von Gehirnströmen) beschäftigt habe – also mit biologischer Psychologie. Dann bin ich sozusagen durch diese Diplomarbeit in der Psychologie gelandet, habe dort promoviert und dann auch meine wissenschaftliche Karriere in der Psychologie weitergemacht. Das zeigt allerdings auch schon, dass es da viele Überlappungen gibt und dass man, wenn man Interesse an beiden Fächern hat, mit der Kognitionswissenschaft eigentlich einen guten Weg hat. Das war auch der Grund, warum die Kognitionswissenschaft etabliert wurde. Also man merkt, es gibt zwar unterschiedlich Fächer, die sind an der Naturwissenschaft oder in der Geisteswissenschaft lokalisiert, aber eigentlich gibt es viele überlappende Fragestellungen. Das ist der Grund, warum es den Studiengang Kognitionswissenschaft gibt, der eben die Perspektiven von ganz vielen verschiedenen Fächern integriert und unterschiedliche Blickpunkte deutlich macht. Das war eigentlich auch etwas, warum ich mich für die Kognitionswissenschaft in Tübingen engagiert habe. Ich habe dann eine Heisenberg Professur bekommen in der Psychologie und dann wurde ich hier die erste Professorin für Kognitionswissenschaft. Wir hatten Glück, dass noch weitere Professoren dazugekommen sind, sodass wir jetzt ein Kollegium mit verteilten Professoren in unterschiedlichen Fächern sind. Wir kommen zusammen, um diesen Studiengang Kognitionswissenschaft auszustatten.   

A. B.: Das heißt, die Wege der Lehrenden sind wie bei Ihnen dann auch aus ganz unterschiedlichen Fächern in die Kognitionswissenschaft gekommen. Das heißt, Sie kommen aus der Biologie über die Psychologie in die Kognitionswissenschaft. Das spiegelt sich dann in den verschiedenen Biografien wider von denjenigen, die dann auch wider das Fach unterrichten.  

B. R.: Genau! Ich habe zum Beispiel einen Kollegen, der hat Informatik studiert, und der hat aber auch Teile in der Psychologie absolviert. Der bildet eine Brücke von der Informatik zur Psychologie. Viele Bereiche sind eben, wie gesagt, überlappend. Einige meiner Kollegen sind jetzt gar nicht im Fachbereich Psychologie beheimatet, sondern sitzen zum Beispiel in der Informatik. Das spiegelt auch wider, dass das gar nicht so klar in diese traditionellen Fächergrenzen einzuordnen ist.  

C. J.: Seit wann gibt es dann in Tübingen die Kognitionswissenschaft als Studiengang?  

B. R.: Wir haben im Wintersemester 2009/2010 mit dem Bachelor angefangen.  

C. J.: Also noch ein junger Studiengang.  

A. B.: Das ist dann natürlich auch spannend, wie so der Studienalltag aussieht, weil schon allein auch die Fächer an ganz unterschiedlichen Orten angesiedelt sind. Wir haben unsere Studierenden gefragt, wie denn so ein Studienalltag bei ihnen aussieht. Wir hören uns das mal an, bevor wir dann weiter in die Inhalte des Studiums einsteigen.  

Studieninhalte (07:34) 

Studi 1: Man kann am selben Tag sehr unterschiedliche Vorlesungen haben: Statistik nach Tierphysiologie, Informatik nach Psychologie. In den ersten Semestern wird uns viel Theorie beigebracht, damit die Grundideen der einzelnen Fächer begriffen werden. Am besten arbeitet man dabei in Gruppen. Wir lernen gemeinsam und verbringen schon öfter unsere Abende zusammen.  

Studi 2: In meinem Studienalltag war ich sehr viel unterwegs, denn die verschiedenen Fakultäten, die involviert sind bei den Kognitionswissenschaften, sind verteilt über ganz Tübingen. Das heißt, ich war unterwegs von Vorlesung zu Vorlesung. Gerade habe ich nicht ganz den normalen Unialltag. Ich schreibe nämlich meine Bachelorarbeit und programmiere im Moment dafür ein Experiment. Ich sitze also viel am Schreibtisch, entweder in der Bibliothek oder zuhause. Einmal die Woche ungefähr gehe ich ins Labor und probiere aus, ob schon alles funktioniert. 

Studi 3: Am Anfang hat man tatsächlich sehr viel Mathematik und Informatik. Ab dem vierten Semester kann man sich mehr orientieren, zum Beispiel Richtung Linguistik, Biologie, Philosophie, Psychologie, aber natürlich auch Informatik. Dann sieht die Woche auch ganz unterschiedlich aus. Man hat Seminare, Vorlesungen, aber auch Projekte.  




C. J.: Also, dass es sich um einen interdisziplinären Studiengang handelt, haben wir jetzt schon mehrfach gehört, auch dass der an verschiedenen Orten in Tübingen stattfindet. Vielleicht klären wir jetzt gleich mal nochmal ein bisschen genauer, welche Fächer denn wirklich eine Rolle spielen im Studium.  




B. R.: Ja, gerne. Eigentlich haben wir, auch noch gar nicht genau definiert, was Kognition ist. Sie haben das jetzt noch nicht gefragt, aber ich beantworte es trotzdem einfach mal. Kognition beschäftigt sich mit unserem Denken und allen Prozessen, die im Laufe der Evolution entstanden sind, die es uns erlauben, uns in unserer Umwelt zurechtzufinden, Entscheidungen zu treffen, Probleme zu lösen. Wir können problemlos wahrnehmen, wir können lernen, wir können ein Gedächtnis ausbilden, und wir können uns auch verständigen und haben dazu die Sprache entwickelt. Etwas ganz Geniales, dass wir so abstrakt, unabhängig von dem, was gerade da ist, kommunizieren können. Wir beschäftigen uns auch mit uns selbst, mit der Selbstreflexion, also der Frage: Wer bin ich? Diese Themen, das, was die Kognition beinhaltet, diese Fähigkeiten des Denkens, erfordern eben diese unterschiedlichen Perspektiven, und die sind in diesem Studiengang abgebildet. Wir haben es eigentlich auch schon von unseren Studierenden gehört. Wir haben die Biologie, vor allen Dingen die Neurowissenschaft. Die Neurowissenschaft möchte das Substrat unseres Denkens, unser neuronales System, untersuchen. Sie möchte wissen, wie kommunizieren Neuronen untereinander, dass wir lernen können. Sie möchte wissen, welche Gehirnareale sind aktiv, wenn wir mit bestimmten Aufgaben beschäftigt sind. Die Psychologie untersucht dann wiederum, wie sich ein gesamter Mensch in bestimmten Situationen verhält, welche Entscheidungen und Vorstellungen ein Mensch lebt, also welche Entscheidungen er trifft, welche Vorstellung ein Mensch entwickelt. Dann haben wir die experimentelle Seite. Wir setzen sozusagen die Leute in unterschiedliche Kontexte, stellen ihnen unterschiedliche Aufgaben und beobachten, wie sie sich verhalten. Das macht die Psychologie mit ihrem experimentellen Ansatz. Wir haben die Linguistik. Die Linguistik untersucht Sprachprozesse: Wie aus einem Schallwellensignal Sprache weiter transportiert werden kann, wie dieses Signal aufgefangen werden kann und Bedeutung aus so einem Signal gemacht werden kann, wie sich unterschiedliche Sprachen entwickelt haben, welche Voraussetzungen es braucht, damit Sprache gelernt werden kann oder auch damit eine soziale Verständigung überhaupt möglich ist. Sie sprechen zum Beispiel anders, wenn Sie sich mit einem Kind unterhalten, als wenn Sie sich mit einem Erwachsenen unterhalten. Das alles muss in die Sprache miteinbezogen werden. Das heißt, wir haben die Linguistik, die eben diesen Teil der Kommunikation, diese kognitive Funktion der Sprache erfasst. Ich hatte schon gesagt, diese Selbstreflexion; also wir untersuchen, wer wir sind. Gibt es unseren Körper, gibt es unser neuronales System, oder gibt es noch zusätzlich einen Geist? Das ist die ganz alte Frage nach dem Gehirn und dem Geist, oder ob es einen trennbaren Geist gibt vom Körper. Das ist ein philosophisches Problem. Das heißt, wir haben auch einen kleinen Bestandteil Philosophie in unserem Studiengang. Zunächst mal macht im Studiengang der Anteil der Informatik und Mathematik einen großen Bestandteil aus. Der Grund dafür ist, dass wir ein sehr komplexes System untersuchen wollen und wir manchmal gerne die Hilfe von Rechensystem nutzen, um dieses komplexe System zu analysieren. Das heißt, wir nutzen die Hilfe von Rechnern oder künstlichen Systemen, um zu schauen: Wie könnte unser kognitives System arbeiten? Welche Bereiche arbeiten da miteinander? Welche sogenannten Module greifen ineinander, sodass dann hinterher ein geniales Denksystem existiert? Dazu muss man programmieren können. Dazu braucht man mathematische Grundkenntnisse und man muss verschiedene Programmiersprachen beherrschen. Dann kann man solche kognitiven Prozesse modellieren. Das heißt, wir haben hier in Tübingen einen besonders großen Anteil der Informatik.  

C. J.: Wie hoch ist es ungefähr gewichtet zu Beginn des Studiums? Ist es dann ein Drittel jede Woche an Informatik und Mathematik? Oder ist es mehr?  

B. R.: Ja, man kann ungefähr sagen, dass es ein Drittel in den ersten Semestern ausmacht, eben weil es ein Riesenblock von Mathematik und Informatik ist und dann auch noch Übungsblätter ausgefüllt werden müssen. Sie üben da praktisch programmieren und Algorithmen lösen, da werden Sie auch angeleitet in Kleingruppen von Tutor:innen. Das nimmt einen großen Raum ein. Vor allen Dingen, weil es auch erst mal, wenn die Studierenden aus der Schule kommen, etwas Neues ist für sie. Viele haben in der Schule noch nicht Informatik als Schulfach gehabt, und deshalb ist es erst mal etwas Neues.  

C. J.: Das heißt, ich muss noch kein ambitioniertes Programmierlevel mitbringen, um das studieren zu können?  

B. R.: Nein. Sie sollten aber keine Angst haben davor. Sie sollten auch keine Angst vor Mathe haben. Alles, was Sie zu Beginn brauchen, ist Ihre Kenntnis aus der Schule, Ihren logischen Verstand. Dann wird Ihnen das beigebracht, was Sie können sollen.  

C. J.: Auch ohne Mathematik-Leistungskurs und Einser-Abi in Mathe?  

B. R.: Ja, genau. Tatsächlich ist es so, dass wir versuchen, unsere Studierenden auf ein vergleichbares Level zu bringen bezüglich der Mathekompetenz. Dafür gibt es – bevor das Studium anfängt, also wenn Sie zugelassen sind, als Studienanfängerin und Studienanfänger – einen sogenannten Mathe-Vorkurs. In diesem Mathe-Vorkurs werden nochmal ein paar mathematische Grundlagen aufgearbeitet, aufgefrischt, sodass Sie da schon die Möglichkeit haben, das alles noch mal zu reaktivieren, was Sie in der Schule gelernt haben. 

A. B.: Ist das dann speziell Mathe für Kognitionswissenschaft, oder ist das etwas, was dann alle, die irgendein Studienfach mit Mathematikanteil studieren, machen können?  

B. R.: Ich meine, dass es Mathe für Kognitionswissenschaftlerinnen und Kognitionswissenschaftler ist. Es kann aber auch sein, dass da viele Informatiker:innen noch dabei sind. Das kann ich Ihnen tatsächlich nicht genau sagen.  

A. B.: Wir haben von den Vorkursen schon gehört und auch von den Übungsblättern in unserer Mathematik Folge natürlich. Deswegen frage ich jetzt noch mal nach, weil es immer mal so ist, dass in Fächern bestimmte Veranstaltungen ganz speziell für ein Fach sind, oder man aber tatsächlich dann übergreifende Veranstaltungen gemeinsam mit denjenigen hat, die dann das jeweils andere Fach studieren. Das ist natürlich auch immer interessant zu sehen, wie ist man dann im Studium vernetzt. 

B. R.: Das ist in der Kognitionswissenschaft auch so, dass wir viele Veranstaltungen aus anderen Fächern importieren. Das bedeutet, dass vor allem die Informatik Veranstaltungen und auch die Mathematik Veranstaltungen zusammen mit den Informatikstudierenden gehört werden und auch die Übungsgruppen zum Teil gemischt sind. Wir haben auch im höheren Bereich, also im späteren Studienverlauf die Möglichkeit auszuwählen, sich ein bisschen zu spezialisieren in bestimmte Bereiche. Dann gibt es das sogenannte Teamprojekt. Das ist eine praktische Arbeit und die kann in der Informatik oder in der Psychologie im Schwerpunkt absolviert werden. Auch da kann es sein, dass sich Informatikstudierende und Kognitionswissenschaftsstudierende treffen und dann zusammen an dem Projekt arbeiten. Das gibt es durchaus.  

A. B.: Und wie würden jetzt beispielsweise eine eigene Veranstaltung der Kognitionswissenschaft aussehen? Also gibt es die, die nur für Kognitionswissenschaftsstudierende stattfinden? Und was wäre das zum Beispiel?  

B. R.: Wir haben einige Kollegen – also ich bin die einzige Frau, da kann ich Kollegen sagen – und die sind natürlich spezifisch für die Kognitionswissenschaft verantwortlich. Die machen auch spezifische Veranstaltungen. Ich zum Beispiel mache im ersten Semester eine Einführung in die Kognitionswissenschaft, wo nur Kognitionswissenschaftsstudierende diese Veranstaltung hören. Dann werden spezifisch ein paar Themen der Kognitionswissenschaft vorgestellt, die unterschiedlichen Herangehensweisen und Perspektiven. Das ist nur für die Kognitionswissenschaftsstudierenden, genauso wie die Statistik und die Forschungsmethode, die ein Kollege aus der Kognitionswissenschaft macht. Das heißt, da werden tatsächlich statistische Grundlagen gelegt und mal so ein Überblick gegeben. Das ist spezifisch für unsere Studierenden. Wie gesagt, Mathematik, Informatik, das passiert mit den anderen Fächern. Es gibt auch noch eine Biologievorlesung, in der die neuronalen Grundlagen vermittelt werden. Die ist zusammen mit den Biologiestudierenden. Unsere Studierenden bekommen nicht nur unterschiedliche Standorte in Tübingen mit, sondern erhalten auch Einblicke in das, was andere Studierende in anderen Fächern machen, wenn sie sich mit ihnen austauschen, was durchaus auch ganz inspirierend ist.  

A. B.: Und darf ich da nochmal fragen? Sie haben jetzt gesagt, in Ihrer Veranstaltung beispielsweise geht es auch um Arbeitsweise in der Kognitionswissenschaft. Was sind denn so typische Methoden des Faches? Wie kann man sich das vorstellen?  

B. R.: Typisch kann man gar nicht so leicht sagen, weil es eben sehr vielfältig ist. Wir haben einerseits die bildgebenden Verfahren, die schauen wollen, was in unserem Gehirn passiert. Also wir gehen davon aus, dass unser Gehirn unser Denkorgan ist, und deshalb interessiert uns: Was passiert in dem Gehirn, wenn ich zum Beispiel eine Rechenaufgabe mache? Neun plus vier ist 13. Wo im Gehirn ist da eine Aktivierung? Das kann man mit bildgebenden Verfahren machen, indem man zum Beispiel in Kernspintomographen die Gehirnaktivierung misst, beziehungsweise den Blutfluss misst. Immer da, wo das Gehirn ganz besonders viel denkt, muss Sauerstoff hin. Man kann den Sauerstoff, also die Zufuhr des Sauerstoffs, mit dem Blut messen. Wir schauen uns an, was im Gehirn passiert bei bestimmten Aufgaben, um festzustellen, welches Gehirnareal hat denn, welche Funktion. Welche Bedeutung hat, welches Gehirnareal? Das kann man machen. Man kann auch elektroenzephalographisch die elektrische Aktivierung unseres Gehirns erfassen. Da bekommt man aber nur die äußeren Schichten des Gehirns mit, was nicht so schlimm ist, weil da der Kortex sitzt, und der Kortex hauptsächlich wahrscheinlich für unsere kognitiven Funktionen verantwortlich ist. Das wäre auf der Seite der Betrachtung des Gehirnes. Wir haben auch die Möglichkeit, den gesamten Menschen zu beobachten. Das wäre der experimentelle Ansatz. Was Sie da machen, ist, wie auch der Studierende gesagt hat: Sie überlegen sich ein Experiment. Sie haben aus der Literatur festgestellt: Es gibt Leute, die zum Beispiel, wenn sie Buchstaben sehen, auch gleichzeitig Farben sehen. Dann wollen Sie wissen, wie diese Leute denken. Dann gestalten Sie ein Experiment und tun zum Beispiel Buchstaben in Farben präsentieren und Buchstaben ohne Farben präsentieren. Sie schauen, ob sich das, die Wahrnehmung von diesen Reizen bei diesen Menschen, dann irgendwie unterscheidet. Das heißt, Sie müssen meistens ein Computerprogramm generieren, in dem unterschiedliche Bedingungen verwirklicht sind. Sie haben eine bestimmte Hypothese, beispielsweise dass jemand, der Synästhesist ist und mit Buchstaben auch gleichzeitig Farben assoziiert, dass der, die farbigen Buchstaben anders verarbeitet als jemand, der so eine Gehirn Vernetzung nicht hat. Dann messen Sie etwas. Das sind die abhängigen Variablen. Zum Beispiel, wie schnell antwortet die Person auf farbige Buchstaben, wenn er oder sie zum Beispiel sagen soll, ob es ein Vokal oder ein Konsonant ist. Dann haben Sie unterschiedliche Zeiten. Sie können aus diesen Zeiten berechnen, wie lange ein kognitiver Prozess dauert. Aus dieser Berechnung können Sie wieder Rückschlüsse über die Funktionsweise dieses kognitiven Prozesses ziehen. So würde der experimentelle Ansatz ablaufen. Sie haben auch auf der theoretischen Ebene Gedankenexperimente. Wenn Sie jetzt die Philosophie betrachten oder auch in der Linguistik gibt es vielleicht auch eine Theoriebildung, nicht unbedingt nur aus einem experimentellen Ansatz, sondern einfach auch aus Gedankenexperimenten heraus. Ganz wesentlich und vor allen Dingen auch wahrscheinlich sehr zukunftsträchtig ist der Ansatz der Modellierung. Da haben Sie die Hilfe des Computers. Sie stellen sich vor, eine kognitive Funktion wird von verschiedenen Elementen gebildet. Sie versuchen den Beitrag dieser unterschiedlichen Elemente abzuschätzen und schauen sich an, was für Ergebnisse bekommt denn meine Modellierung heraus. Sie vergleichen das dann möglicherweise noch mit den konkreten Verhaltensdaten. Dann können Sie so langsam adaptieren und schauen: Ist das System, was ich mir jetzt auf künstlicher Ebene gebaut habe, ähnlich dem System, was auch natürlicherweise funktioniert? Das wäre die Idee, dass wir künstliche Systeme bauen, um unsere Kognition besser zu verstehen.  

C. J.: Das zu den typischen Arbeitsweisen eines Studienfachs.  

B. R.: Wie gesagt, das gibt es eben eigentlich nicht. Je nachdem, wohin Sie sich orientieren, kann das auch ganz anders aussehen.  

C. J.: An was forschen und arbeiten Sie denn selbst?  

B. R.: Auch das ist sehr vielfältig. Also tatsächlich haben wir verschiedenste Forschungsschwerpunkte in meiner Abteilung. Wir beschäftigen uns mit Wahrnehmungsillusionen, auch mit der Frage, wann Wahrnehmungsillusionen von Kindern gelöst werden können. Wir sind immer bestrebt, eine eindeutige Umwelt wahrzunehmen, damit wir uns gut orientieren können. Aber manchmal sind die Reize, die in der Umwelt sind, gar nicht so klar und eindeutig interpretierbar. Da kann man schön untersuchen, wann und mit welchen Methoden Leute versuchen, eine eindeutige Umwelt herzustellen, also Wahrnehmungsillusionen. Wir haben Sprachverarbeitungsprozessen, die wir eben auch mit bildgebenden Verfahren untersuchen. Aufmerksamkeit ist ein großes Thema. Wenn ich zum Beispiel meine Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Gegenstand im Raum lenke, dann kann ich den intensiver, schneller, besser wahrnehmen, als wenn ich einen Gegenstand habe, der nicht beachtet wird. Die Frage ist: Was für Prozesse werden dann erleichtert, wenn ich meine Aufmerksamkeit auf diese Prozesse richte? Neuerer Zeit interessiere ich mich für Ästhetik. Das mag jetzt vielleicht etwas seltsam erscheinen, weil das nicht unbedingt ein typischer naturwissenschaftlicher Bereich ist. Die Frage, was finden wir schön, hängt nicht nur von den Reiz-Merkmalen ab. Ich untersuche Stühle zum Beispiel: Welche Stühle werden als schön empfunden? Das ist nicht nur so, dass jetzt die Ausgestaltung der Lehne oder das Material von Bedeutung ist, sondern es ist auch von Bedeutung, in welchem kognitiven Zustand ich diesen Stuhl betrachte: Was ich gerade gemacht habe, ob ich diesen Stuhl beachtet habe oder ob ich ihn irgendwie ignorieren musste, ob ich eine schwierige Aufgabe machen musste, während ich diesen Stuhl betrachte und ich dann hinterher beurteilen muss, ob er schön oder weniger schön ist. All das spielt eine Rolle, und das zeigt eben – deshalb finde ich das Forschungsthema sehr schön – wie komplex unsere Beurteilung ist, beim Thema Ästhetik.  

A. B.: Ich habe mir gerade vorgestellt, ich war vorher vielleicht in der Bauhaus Ausstellung, und dann habe ich eine andere Idee, was ein schöner Stuhl ist, als wenn ich in der Barock Ausstellung war.  

C. J.: Oder in der Stuhl-Ausstellungshalle im Bauhaus. Was zeichnet denn in Tübingen vor allem die Kognitionswissenschaft aus? Beziehungsweise ist Kognitionswissenschaft an jeder Universität relativ ähnlich breit aufgestellt, auch von den Fachdisziplinen? Oder ist es nicht immer das gleiche?  

B. R.: Das Bestreben der Kognitionswissenschaft per se ist, erst mal ein breites Grundlagenwissen in den verschiedenen Fächern zu vermitteln. Das sind eben meistens die gleichen Fächer, die auch an unterschiedlichen Standorten beteiligt sind. Es gibt schon eine Schwerpunktsetzung. Die hängt primär davon ab, was gerade auch der Forschungsfokus der Universität ist oder welche Kollegen und Kolleginnen dann jeweils involviert sind. Wir können schon sagen, dass hier in Tübingen eine sehr starke informatisch, mathematische Richtung vorhanden ist und nicht so sehr eine linguistische Richtung, die zumindest lange Zeit in Osnabrück stärker war. Das ist im Wandel. In Osnabrück gibt es den Studiengang schon länger. Das heißt also, die ersten Kolleginnen und Kollegen, die da involviert waren, können auch schon wieder an der Pensionsgrenze sein. Das heißt, da kommen neue Kolleginnen und Kollegen, und dementsprechend verändert sich vielleicht auch ein bisschen der Fokus der Kognitionswissenschaft. Kann sein, dass der eine in Richtung Wahrnehmung tendiert oder eher in Richtung künstliche kognitive Systeme. Das hängt immer auch ein bisschen von den jeweiligen Strömungen ab, sag ich mal.  

A. B.: Ist dieser Bereich Ästhetik über den Sonderforschungsbereich, den es in Tübingen gibt und der auch wieder zeitlich begrenzt ist, bei Ihnen vernetzt?   

B. R.: Nein, das ist nicht vernetzt. Aber es gibt zum Beispiel das Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik. Es gibt viele Forschungsinstitute, an denen man auch weiterforschen kann. Wenn man jetzt mit dem Studiengang, sag ich mal, fertig ist, abgeschlossen hat, dann auch einen Master vielleicht noch gemacht hat, dann gibt es ganz viele Forschungsinstitute, wo Kognitionswissenschaftlerinnen und Kognitionswissenschaftler gern gesehen sind, weil sie eben ein breites theoretisches, aber auch methodisches Wissen haben.  

C. J.: Dann würde ich sagen, wir beschäftigen uns doch als nächstes mit den persönlichen Voraussetzungen, die man als Studieninteressierte mitbringen sollte für das Studium, und hören uns zuerst aber nochmal an, was denn die Tübinger Kognitionswissenschaftsstudierenden an ihrem Studium alles begeistert.  

Persönliche Voraussetzungen (27:53) 

Studi 1: Es fasziniert mich, über wie viele Wissensgebiete wir grundsätzlich etwas lernen. Diese Vielfältigkeit, die die Tiefe beibehält, ist etwas ganz Besonderes an dem Studiengang.  

Studi 2: Ich darf mich jede Woche mit so vielen verschiedenen, spannenden Themengebieten auseinandersetzen, weil das Studium so facettenreich ist und so viele verschiedene Blickwinkel beleuchtet. Irgendwie kann man auch alles in den Alltag mitnehmen, weil man Vieles wiedererkennt und wiedersieht.  

Studi 3: Ich finde es toll, dass der Studiengang so vielfältig und interdisziplinär ist, angefangen von Biologie bis hin zur Informatik. Am meisten begeistert mich, dass man auch die Schnittstellen dazwischen kennenlernt.  

A. B.: Dass dieses Studium so vielfältig ist, das heißt natürlich auch, dass man eine ganze Bandbreite an Fähigkeiten mitbringen muss. Muss man dann, wenn man Kognitionswissenschaften studieren möchte, so ein typischer Allrounder sein, was die Fähigkeiten angeht, dass man gut in den Naturwissenschaften ist, aber sich vielleicht auch gut in geisteswissenschaftliche Themen eindenken kann?  

B. R.: Ich würde sagen, dass man nicht per se ein Allrounder sein muss, aber dass man Interesse an den verschiedenen Bereichen haben sollte. Es gibt eben, wenn man sich dafür interessiert, wer wir sind, wo wir herkommen und wo wir uns vielleicht auch hin entwickeln diese unterschiedlichen Perspektiven. Die sollte jemand, der Kognitionswissenschaft studieren möchte, interessant finden und sich auch mit einer gewissen Toleranz auf die unterschiedlichen Perspektiven einlassen können. Wie gesagt, muss man jetzt keine spezifischen Qualifikationen schon haben. Diejenigen, die man dann entwickelt, die hängen damit zusammen, wohin man sich spezialisiert. Also es mag sich jetzt alles ein bisschen unspezifisch anhören, aber so viele Fächer, wie in diesem Studiengang vereint sind, so viele Perspektiven und Möglichkeiten haben Sie natürlich auch, Schwerpunkte zu setzen, um dann Ihre unterschiedlichen Kompetenzen auch nutzen zu können. Das Schöne an diesem Studiengang ist eigentlich, dass Sie das im Laufe der Zeit merken. Sie fangen an und lernen ganz viel kennen. Dadurch, dass Sie viel kennenlernen, treffen Sie vielleicht auch eine sehr bewusste Entscheidung, was Sie später vertiefen wollen. Dazu haben Sie die Möglichkeit. Also Sie haben die Möglichkeit, im Rahmen Ihres Bachelorstudiengangs am Ende schon Projekte zu machen, die in eine bestimmte Richtung gehen, die in die Biologie, Psychologie, Linguistik gehen. Oder Sie können auch Ihre Kompetenzen verteilen. Also, Sie können dann Schwerpunkte setzen, aber auch breit bleiben. Das wäre der erste Schritt, zu entscheiden: Wo möchte ich meine Bachelorarbeit anfertigen, um sich da zu spezialisieren. Und der zweite Schritt wäre dann zu überlegen, wo mache ich eigentlich meinen Master, wenn ich denn weitergehen möchte. Da haben Sie die Möglichkeit, sich zu spezialisieren durch Masterstudiengänge, die auch an anderen Standorten vielfach angeboten werden. Oder Sie bleiben in Tübingen, wo Sie weiterhin die Möglichkeit haben, sowohl breit aufgestellt zu sein, viele Veranstaltungen aus unterschiedlichen Bereichen wählen zu können, aber auch durch Ihre Schwerpunktsetzung, sich weiter zu spezialisieren. Wir haben im Master eine relativ freie Wahlmöglichkeit. Deshalb können Sie sich da sehr gut in eine interessierende Richtung sozusagen weiterentwickeln. Die Kompetenzen entstehen auch dadurch, dass Sie sich für einen bestimmten Bereich interessieren und dass Sie dann eben Ihren interessierenden Bereich auswählen können.  

A. B.: Oder eben vielleicht auch meine Stärken stärken. Das heißt, um das nochmal zusammenzufassen, wir haben schon gehört, man muss nicht vorher schon programmieren können. Man braucht wahrscheinlich auch keinen Mathe-Leistungskurs in der Schule, denn es gibt ja auch noch Mathe-Vorkurse, die man dann belegen kann. Ein breites Interesse ist von Vorteil. Zum Thema Interdisziplinarität, könnte man der Kognitionswissenschaft auch unterstellen, dass es zwar diese vielen verschiedenen Teilbereiche gibt, dass man aber irgendwie überall nur oberflächlich lernt und in keinem Bereich so wirklich Experte, Expertin wird. Da haben Sie sicherlich etwas entgegenzusetzen, was dieses Vorurteil entkräften würde.  

B. R.: Nein, das ist kein Vorurteil, das ist einfach die Realität. Wie gesagt, die Studierenden kommen in Kontakt mit den Studierenden der anderen Studiengänge, mit den Spezialistinnen und Spezialisten der anderen Studiengänge. Das bedeutet, sie studieren zusammen mit den Informatikern Informatik. Nicht alles, was die Informatik Studierenden machen, aber einen Teil davon. Und natürlich werden Sie nicht so tiefgreifend in die Informatik Einblicke gewinnen, wie das ein Informatikstudierender, eine Informatikstudierende tut. Genauso wenig werden Sie umfassende Einblicke in die Biologie oder in die Psychologie bekommen. Sie haben zum Beispiel keine Klinische Psychologie. Bestimmte Dinge müssen ausgelassen werden. Das ist so, und es kann sein, dass das unbefriedigend ist für den einen oder anderen, weil er das Gefühl hat, er ist an der Oberfläche. Ich glaube aber, das ist etwas, womit unsere Studierenden ganz gut umgehen können, oder zumindest umgehen können sollten, denn ihr Vorteil ist, dass sie eben diese verschiedenen Perspektiven bekommen. Das ist sehr viel wert. Das ist so viel wert, weil wir eben Methoden kombinieren können. Wir können verschiedene Perspektiven kommunizieren. Oft haben verschiedene Fächer auch ihre eigene Sprache, und es ist gar nicht so einfach zusammenzufinden, weil jeder sein eigenes Fachjargon hat. Unsere Studierenden lernen diese unterschiedlichen Fachjargons und können verstehen, was eine andere Person eines anderen Faches meint. Dazwischen können sie vermitteln und sie können integrieren. Sie können ihr Wissen aus den unterschiedlichen Bereichen integrieren. Gerade wenn es darum geht, über künstliche Intelligenz zu reden, dann ist es eben nicht nur wichtig zu wissen, wie ich eine künstliche Intelligenz gestalte. Es ist wichtig zu wissen, was die Grundlage ist. Ist das denn überhaupt wahr, was da verbreitet wird, und entspricht das auch dem, wie ein Mensch denkt? Oder was bedeutet es eigentlich, wenn wir künstliche Intelligenz in der Zukunft verstärkt nutzen? Also lagern wir da nicht zum Beispiel unsere ganzen kognitiven Fähigkeiten aus? Und was macht dann eigentlich unser Gehirn noch? Solche Dinge können eben die Kognitionswissenschaftsstudierenden durch ihr breiteres Spektrum an Informationen, an methodischem Wissen, an Denkarten, die sie gelernt haben, besser abschätzen, würde ich mal behaupten.  

A. B.: Ja, genau! Ich habe in eine ganz andere Richtung gedacht, aber dafür sind wir ja auch heute hier. Das heißt, wir haben schon gehört, es gibt die Möglichkeit, einen spezifischen Master zu machen. In dem Bereich könnte ich aber, wenn mir das wichtig ist, dann auch stärker in einen Teilbereich einsteigen, sprich da die Expertise vertiefen. Was wären das denn für ein Master zum Beispiel?  

B. R.: Es gibt ganz verschiedene Möglichkeiten einen Master, auch in Tübingen zu machen. Es gibt den Machine-Learning-Master. Da würde man sich jetzt sehr speziell in die Informatik Richtung orientieren. Es gibt so etwas auch in Berlin, Human Factors nennt sich das. Wie die einzelnen Studiengänge tatsächlich heißen, das müssten die Studierenden dann selbst recherchieren. Das ist sehr stark im Wandel. Die beschäftigen sich eben gezielt zum Beispiel mit Mensch-Maschine-Interaktionen und eben der Frage, wie sollten zum Beispiel verschiedene Assistenzsysteme gestaltet sein. Es geht hier eher in den technischen Bereich. Sie können aber auch in der Biologie zum Beispiel sich eher in die Neurowissenschaften orientieren und sich da in der Bildgebung engagieren. Dann könnten Sie zum Beispiel einen Master in der Neurowissenschaft anstreben. Da gibt es ein sehr breites Angebot.  

A. B.: Ich werde vorbereitet auf viele verschiedene Master, für die man dann geeignet ist, für die man sich in der Regel auch bewerben muss. Gibt es dann auch spezifisch kognitionswissenschaftliche Master, also Masterstudiengänge an diesen Universitäten, die das anbieten, dass ich quasi in diesem Feld bleibe?  

B. R.: Also die Standorte, die ich vorhin genannt hatte: Osnabrück, Darmstadt und Tübingen, haben sowohl ein Bachelor- als auch ein Masterprogramm. Es gibt noch zwei weitere Universitäten, das sind Bochum und Potsdam. Die haben nochmal nur ein Masterprogramm für Kognitionswissenschaft. Vielleicht ist es ein guter Tipp – sich zu erkundigen, was für Möglichkeiten des Studiums es gibt, auch des Masterstudiums – sich an die Gesellschaft für Kognitionswissenschaft zu wenden. Die hat einen Internetauftritt, und da sind verschiedene Standorte in Deutschland genannt, wo eben Kognitionswissenschaft selbst gelehrt wird, als Studiengang, aber auch kognitionswissenschaftsnahe Studiengänge vorhanden sind, die nicht unbedingt Kognitionswissenschaft heißen, aber die sozusagen auch die kognitionswissenschaftlichen Themen abbilden.  

A. B.: Ja, das ist auf jeden Fall ein guter Hinweis, für die Insider-Tipps, schon zum Verlinken, dass man das dann in unserem Podcast auch gleich vernetzt.  

C. J.: Wie groß ist denn eigentlich in Tübingen die Kognitionswissenschaft, also wie viele Studierende sind es ungefähr?  

B. R.: Wir sind ganz stolz, weil wir eigentlich ein recht großer Studiengang sind. Das ist natürlich relativ, aber wir haben im Bachelor derzeit ungefähr 80 Erstsemester und im Master so zwischen 30 und 40 Erstsemester.  

A. B.: Das ist schon eine Nummer für Masterstudiengänge. Die sind oft sehr klein. Wir haben noch so diesen Bereich: Alternative zum Psychologiestudium. Wir haben schon gehört, dass es einen großen Anteil an Psychologie gibt. Menschen oder Studieninteressierte, die sich jetzt für ein Psychologiestudium ganz grundsätzlich interessieren – da gibt es natürlich harte Auswahlkriterien, nicht jeder bekommt da einen Studienplatz – wäre denn die Kognitionswissenschaft eine gute Alternative? Wenn ja, für wen? Also was muss man da dann im Blick haben?  

B. R.: Die Frage ist nicht so ganz einfach zu beantworten. Jemand, der sich für Psychologie interessiert, interessiert ist am Denken, am Verhalten, vor allem am menschlichen Denken und Verhalten, auch vielleicht an menschlichen Störungen und Therapiemöglichkeiten. Die Kognitionswissenschaft deckt das alles nicht ab. Also das heißt, wir interessieren uns mehr für die Grundlage unseres Denkens, für die normal funktionierenden Kognition. Wir wollen nicht therapieren, zumindest nicht im ersten Schritt. Das ist nicht Aufgabe des Studiums. Wir wollen mehr vermitteln, wie das System funktioniert. Jetzt gibt es dadurch, dass die Psychologie auch eine starke Veränderung erfahren hat durch Gesetzgebung in der letzten Zeit, aber auch unterschiedliche Studiengänge der Psychologie. Es gibt Studiengänge, die erlauben, dass man Klinischer Psychologe werden kann. Es gibt aber auch Studiengänge, die eher die Kognition im Fokus haben. Das gibt es auch in Tübingen. Wenn man sich vor allen Dingen für den Menschen interessiert und das menschliche Verhalten, dann wäre das eine Alternative. Sie haben schon gesagt, der Zugang zum Psychologiestudium ist relativ schwer, weil das einen sehr ambitionierten NC (Numerus Clausus, Zulassungsbeschränkung) hat. Ich muss sagen, ich würde eigentlich niemanden empfehlen Kognitionswissenschaft zu studieren, wenn er oder sie eigentlich Psychologie studieren möchte. Es ist kein Ersatz. Oft ist es sogar so, dass wir Leute aus der Informatik bekommen, auch später dann im Master oder auch aus der Psychologie, die sagen, die eine Perspektive reicht ihnen gar nicht, sie wollen noch mal was anderes sehen. Also von daher würde ich eigentlich davon abraten, das als Ersatz für Psychologie zu sehen. Das wird wahrscheinlich nicht zu einem glücklichen Studium führen.  

C. J.: Das ist doch gut, das genauso zu wissen und zu formulieren.  

A. B.: Das heißt, so die Hoffnung: Ich komme vielleicht in Kognitionswissenschaft rein, um dann noch mal in die Psychologie zu rutschen, das ist eben dann auch keine reale Motivation und auch keine gute Lösung mit all dem, was wir jetzt auch gehört haben.  

B. R.: Das geht auch nicht. Die Psychologen sind massiv überlaufen. Die haben sehr viele Bewerberinnen und Bewerber, und die müssen sehen, dass sie ihren Studiengang aufrechterhalten, also dass das studierbar bleibt. Die müssen sehen, dass nicht zu viele Leute kommen. Das heißt, sie haben sehr starke Hürden. Man kann nicht einfach von Kognitionswissenschaft in die Psychologie rutschen. Das geht nicht!  

A. B.: Ja, das ist, glaube ich, auch einfach wichtig, das klar zu sagen. Zurück zur Kognitionswissenschaft selbst. Wie sind denn die Chancen, in der Kognitionswissenschaft einen Studienplatz zu bekommen?  

B. R.: Auch wir haben eine Zugangsbeschränkung. Wir haben nur eine bestimmte Aufnahmekapazität. Wir wählen unsere Studierenden nach den Noten aus. Also das ist das Kriterium, was in den meisten Studiengängen mit NC verfolgt wird. Wir schauen uns die Bewerbersituation an und in Abhängigkeit davon, was für Noten die Bewerberinnen und Bewerber haben, wird dann sozusagen aufgefüllt. Das heißt, wir nehmen die besten nach den Abiturnoten.  

A. B.: Das heißt, es gibt aber durchaus mehr Interessierte als Studienplätze? Man muss sich bewerben und dann mit den Kriterien, einfach hoffen, dass es reicht, um ausgewählt zu werden?  

B. R.: Genau.  

C. J.: Ich glaube, dann haben wir auch schon sehr viel zu den Inhalten und zu den Voraussetzungen des Studiums erfahren. Werfen wir im nächsten Bereich noch einen Blick auf die Berufsperspektiven und was dann nach dem Studium noch so auf die Kognitionswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zukommen kann.  

Berufsperspektiven (43:04) 

Studi 1: Nach dem Studium würde ich gerne in die Forschung gehen. Themen, die mich da interessieren, sind zum Beispiel die menschliche Wahrnehmung, aber auch die künstliche Intelligenz.  

Studi 2: Mich interessiert vor allem, wenn der Mensch mit der Maschine interagiert, und besonders die Wege der Kommunikation, die noch nicht so oft benutzt werden, wie zum Beispiel Brain-Computer-Interfaces, die ich in meiner Bachelorarbeit behandle. Allerdings muss ich es zum Glück auch noch nicht ganz genau wissen, weil spezialisieren werde ich mich wahrscheinlich im Master, und danach wartet dann die Berufswahl auf mich.  

Studi 3: Ich bin noch unentschieden, weil ich so viele Möglichkeiten nach dem Studium sehe. Einerseits interessiert mich die Forschung zum Beispiel alles, was die Motivation und die menschliche Entscheidungskraft angeht. Andererseits würde ich gerne mein Wissen aus dem Studium und meine Programmier-Leidenschaft in der KI-Entwicklung einsetzen.  

C. J.: Ich stelle die Frage einfach mal so, wie wir es bei nicht-interdisziplinären Studiengängen sonst auch machen: Gibt es dann spezielle Berufe gerade für Kognitionswissenschaftlerinnen und Kognitionswissenschaftler?  

B. R.: Es gibt keine, die ich jetzt ganz klar benennen kann, mit einer Berufsbezeichnung. Sie haben die Fähigkeit einzuschätzen, was der Mensch kann, und Sie kennen künstliche Systeme. Das heißt, Sie sind prädestiniert dafür, diese Schnittstelle zu bearbeiten, also zu schauen, wo ein künstliches System den Menschen helfen kann oder auch, wie ein künstliches System geschaffen sein muss, damit der Mensch es vernünftig, gut und ohne Probleme nutzen kann. Das wäre eine Möglichkeit.  

C. J.: Wo kann es zum Beispiel der Fall sein? Was sind das dann für Berufe, wo man genau in dieser Schnittstelle agiert?  

B. R.: Wie baue ich Assistenzsysteme? Ein Beispiel: Ein Studierender von mir macht gerade eine Masterarbeit, und er beschäftigt sich mit dem Einparken. Da gibt es Assistenzsysteme im Auto, die uns das Einparken erleichtern sollen. Da ist eben die Frage: Wie muss so ein System uns helfen? Was akzeptiere ich an automatisierter Hilfe, im Vergleich dazu, dass ich selbst die Kontrolle gerne haben möchte über das, was da passiert. Oder Abstandsmessung im Auto: Wann fängt das Auto automatisch an zu bremsen? Wie viel Hilfe möchte ich haben als Mensch? Wie viel Hilfe irritiert mich aber auf der anderen Seite auch? Der Mensch ist nur in der Lage eine bestimmte Menge von Informationen gleichzeitig zu verarbeiten. Wenn da zu viele Assistenzsysteme zusammenkommen, dann ist das irritierend. Da ist die Frage, was ist das richtige Maß. Nur als Beispiel: Wie sollen Automaten aussehen, damit ich möglichst schnell durchschauen kann, wo ich welche Taste drücken muss, wenn sie mal an der Bahnhaltestelle stehen und da eine Fahrkarte ziehen müssen. Sowas wirkt jetzt vielleicht ein bisschen trivial, aber ist durchaus wert, untersucht zu werden. Wie können Lernprozesse verbessert werden? Wie kann ich Wissen im Museum didaktisch gut vermitteln und da verschiedenste Medien mit ins Boot holen? Da können auch die Kognitionswissenschaftlerinnen und Kognitionswissenschaftler die verschiedenen technischen Bereiche zusammenbringen. Vielleicht auch auf spielerische Art und Weise, dann auch mal zeigen, wie ein Bild gemalt wird von einer künstlichen Intelligenz, oder solche Dinge. Einfach zu zeigen, was wir für technische Möglichkeiten haben. Sie können schauen, wie Wissen im Internet geteilt wird oder wie das aufbereitet wird. Auch das Internet ist ja etwas, was mit unserer Kognition interagiert. Welche Strömungen und welche Mechanismen im Internet herrschen, sind von unserer Kognition gemacht – haben Kosten und Nutzen, das wissen wir alle. Aber was für Dynamiken gibt es da, und muss man die kontrollieren? Das geht zum Beispiel auch ein bisschen in die Frage der Ethik, wie wir künstliche Systeme oder Informationssysteme nutzen. Also das wären weit ausgeholt, ein paar Schnittstellen, wo der Mensch jeweils mit einem künstlichen System interagiert, und wir schauen: Wie ist das gestaltet? Was kann ich nutzen? Was sollte ich nutzen? Und wie kann ich Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen?  

A. B.: Können wir da die Branchen nochmal so benennen? Klar Forschung ist ein Bereich, Industrie, insbesondere vielleicht Automobilindustrie, wenn man so an Baden-Württemberg denkt, dass wir das nochmal so kurz benennen?  

B. R.: Ja, genau, aber auch Robotik in verschiedener Art. Robotik ist nicht unbedingt etwas genuin kognitionswissenschaftliches, weil die Roboter unter Umständen einfach funktionieren sollen. Da ist es egal, ob die kognitiven Prozesse widerspiegeln oder nicht. Aber trotzdem hat ein Kognitionswissenschaftler und eine Kognitionswissenschaftlerin viel Erfahrung in Mechanismen des Denkens und des Problemlösens und das kann sie oder er eben auch übertragen auf künstliche Systeme. Das ist nicht auf die Autoindustrie beschränkt. Es gibt zum Beispiel hier auch das ZEISS Vision Science Lab. Da wird untersucht, ob Leute, die eine Degeneration der Netzhaut haben, also in bestimmten Bereichen nicht mehr scharf sehen können, ob die durch kognitive Steuerung lernen können, einen anderen Bereich des Auges zu nutzen, das aktiv zu beachten und zu nutzen, sodass sie dann ein bisschen weniger eingeschränkt sind, in ihrer verminderten Sehfähigkeit. Virtuelle Realität, zum Beispiel, also alle Bereiche, wo wir etwas lernen wollen, aber es sehr umständlich ist, uns in diese Umwelten zu bringen, in denen wir später dann unsere Fähigkeiten nutzen. Das kann man in virtuellen Realitäten versuchen nachzubauen und zu üben.  

A. B.: Also im Grunde auch im Bildungsbereich. Sie haben aber auch schon das Beispiel Museum gebracht. Im Grunde könnte man dann wieder sagen, überall, wo Schnittstellen aus diesen Bereichen dann wichtig sind.  

B. R.: Genau. Eine Schnittstelle oder ein Bereich ist zum Beispiel auch Wissenschaftsjournalismus, den ich auch persönlich sehr wichtig finde, dass nämlich die Information aus der Wissenschaft auch gut transportiert wird in die Gesellschaft. Da eben Kognitionswissenschaftlerinnen und Kognitionswissenschaftler ein breites Wissen haben, können sie in vielen Bereichen Wissen weitertragen und vielleicht auch in einer Sprache formulieren, die für viele Menschen verständlich ist. Es gibt auch Ergonomie oder Regeneration, Altersforschung, das alles sind Bereiche, wo Kognitionswissenschaftler:innen gerne gesehen sind wegen ihrer vielfältigen Kompetenz. Die Arbeitgeber müssen eben wissen, dass es Kognitionswissenschaft gibt und was die Leute, die dann Absolventen sind, für Kompetenzen haben. Aber ich glaube, da sind wir auf einem guten Weg, uns bekannt zu machen.  

C. J.: Machen denn viele Studierende schon Praktika während des Studiums?  

B. R.: Das ist im Studienplan so erst mal nicht unbedingt vorgesehen, dass man die extern macht. Man kann das machen unter bestimmten Voraussetzungen. Es gibt auch die Möglichkeit, extern Abschlussarbeiten zu machen, eben auch unter bestimmten Voraussetzungen. Es muss immer jemand aus der Kognitionswissenschaft da als Betreuer mit an Bord sein. Das gibt es schon. Aber Sie können immer in Ihrem Studienfach und Ihrem Studiengang mal ein Freisemester oder ein Urlaubssemester machen und ein Praktikum absolvieren, oder das durch eine Kooperation integrieren. Das geht schon. Beschränkend ist da oft tatsächlich gar nicht so sehr die Uni, sondern wenn es in Industrien passiert, dann kann es sein, dass da eben die Geheimhaltung ein Problem wird. Da dort sozusagen neueste Entwicklungen ausprobiert und getestet werden, kann es sein, dass dieses Wissen eigentlich gar nicht in die Öffentlichkeit getragen werden darf, eben auch von den Praktikantinnen und Praktikanten nicht. Aber dennoch, möglich ist vieles. Wenn das nicht im Studienplan vorgesehen ist, dann ist es so, dass die Studierenden sich an die einzelnen Professoren und Mitarbeiterinnen wenden können und dann eben auch individuelle Lösungen gefunden werden können.  

C. J.: Machen denn viele Studierenden den Master nach dem Bachelor? Wie ist da Ihre Erfahrung?  

B. R.: Ich denke, die meisten machen einen Master. Ich habe jetzt keine konkreten Zahlen, aber ich habe bisher eigentlich erst von einer Studierenden gehört, dass sie aufhört nach dem Bachelor, obwohl sie sich für Kognitionswissenschaft stark interessiert hat. Ich denke, die meisten machen einen Master, nicht unbedingt in Tübingen, sondern eben auch an diesen jeweils spezifischen Standorten, mit dem Masterstudiengang ihres Interesses.  

A. B.: Wenn man so an den Berufseinstieg denkt, ist es dann auch möglich, nach dem Bachelor in den Beruf zu gehen? Oder wie gelingt der Berufseinstieg gut? Ist der Master wichtig dafür?  

B. R.: Ich denke, der Master ist wichtig. Ich denke, in vielen Fällen ist sogar auch eine Doktorarbeit ganz hilfreich, dass man sich einfach ein bisschen vertiefend mit einer Thematik beschäftigt hat über mehrere Jahre. Dass man einfach zeigen kann: Ich kann mir allein, selbstständig eine Fragestellung herleiten, ein Problem definieren, geduldig daran arbeiten, an einer Lösung des Problems und dann die richtige Methode aussuchen, um dieses Problem anzugehen. Ich glaube, da ist auch eine Doktorarbeit nicht verkehrt. Das lernen unsere Studierenden auch schon im Rahmen der Masterarbeit. Vielleicht auch noch mal zurück zu den Praktika: Wir haben Laborpraktika im Master. Die sind auch mit relativ vielen Credit-Points (zu erwerbende Leistungspunkte im Studium) ausgestattet. Das heißt, die nehmen viel Raum ein im Studiengang. Da kann man sich innerhalb eines bestimmten Feldes auch schon spezialisieren und ein bestimmtes kleines Projekt verfolgen. Da lernt man alle Schritte, die nötig sind, um eine Problemstellung zu überarbeiten. Ich denke, dass Sie vielleicht schon während Ihres Masters die Möglichkeit haben, praktisch zu arbeiten, in Kooperation vielleicht. Das ist, glaube ich, eher ein Sonderfall. Also, ich denke, der Master ist schon sinnvoll, gerade, weil wir so ein breites Feld haben. Um sich detaillierter mit einer Fragestellung zu beschäftigen, braucht es doch ein bisschen Zeit, und dafür vielleicht auch einfach die Masterarbeiten, das Laborpraktikum vor der Masterarbeit, um einfach auch tiefer in eine Thematik einsinken zu können.  

A. B.: Ja, und die Fähigkeit zur Eigenständigkeit. Man wird wahrscheinlich im Beruf dann nicht unbedingt in einem Team landen, in dem noch fünf andere Kognitionswissenschaftlerinnen arbeiten, denn es ist nicht so verbreitet, und man kommt sicherlich in ein Team, in dem man in seinem Feld allein unterwegs ist.  

B. R.: Ich glaube, die meisten Leute, die sich gerade an so einer Mensch-Maschine-Schnittstelle befinden, die wissen, dass der Mensch mit ins Boot geholt werden muss, dass man nicht die Maschinen ohne den Menschen gestalten kann. Die haben die Notwendigkeit erkannt, dass da jemand dabei ist, der sich mit dem Menschen auskennt und der auch überprüfen kann, wie eine bestimmte Maßnahme bei Menschen ankommt. Der evaluieren kann: Fühlt sich der Mensch gut oder schlecht, während da die Maschine genutzt wird oder die Maschine sogar Funktionen übernimmt? Die Leute wissen das und sind manchmal gezielt auf der Suche nach solchen Personen, die dann eben auch vermitteln können zwischen dem technischen System und den Menschen. Ich glaube, auch von Seiten der Industrie ist da eine gewisse Anpassung, erst mal nötig, dass man mehr weiß, was man will, und das definiert. Aber ich glaube, das ist gerade bei künstlichen Assistenzsystemen und Maschinen, eben diesem Interface, ganz klar, dass da beide Seiten auch gleichberechtigt miteinander arbeiten können sollten.  

C. J.: Vermutlich sind die Berufsaussichten also allgemein sehr gut. Mit den Skills, die man im Studium lernt, tut man sich, glaube ich, nicht lange schwer, einen Beruf zu finden, der einem dann inhaltlich natürlich auch gefällt. Man kennt dann auch schon viele Bereiche und weiß, der und der Bereich interessiert mich. Da muss man sich glaube ich keine Sorgen machen danach.  

B. R.: Genau, das denke ich auch.  

C. J.: Ich glaube, ich habe dann erst mal keine weiteren Fragen mehr. Und du, Alexandra?  

A. B.: Nein, keine weiteren Fragen. Wir können gerne zu unserer Abschlussrubrik kommen.  

C. J.: Zu unseren Insider-Tipps. Haben Sie uns denn vielleicht noch einen Hinweis, mit dem unsere Zuhörenden sich noch weiter mit dem Thema oder dem Fach Kognitionswissenschaft beschäftigen können? Irgendetwas, wo Sie sagen würden: Wenn Sie noch mehr Infos brauchen, schauen Sie sich doch mal das an oder lesen Sie sich doch mal das durch?  

Insider-Tipps (56:10) 

B. R.: Unsere Kolleginnen und Kollegen in Osnabrück, die haben ein schönes Video gedreht über den Studiengang Kognitionswissenschaft in Osnabrück. Aber wie gesagt, die Themen sind relativ vergleichbar zwischen den unterschiedlichen Standorten. Das kann man sich gerne anschauen. Natürlich gibt es Literatur, die gewählt werden kann. Ich habe auch eine Literatur mitgebracht, dass ist „Cognitive Science: An Introduction to the Study of Mind“ von Friedenberg und Silverman, gibt es mittlerweile in mehrfacher Auflage, ist auf Englisch geschrieben, aber deckt eben auch diese unterschiedlichen Perspektiven ab, die wir haben, um unser Denken zu betrachten. Insider-Tipp: Gehen Sie zu dem Studieninfotag der Uni Tübingen, wenn Sie hier vor Ort sind. Gehen Sie auf die Webseite der Kognitionswissenschaft. Wir haben ganz viele Informationen über den Studiengang im Internet. Da gibt es eine FAQ-Seite, die können Sie aufrufen. Einfach in einer Suchmaschine eingeben: FAQ-Kognitionswissenschaft. Wir haben eine Studienberatung unserer Studierenden, die haben Sie jetzt zum Teil im Podcast gehört. Es gibt auch eine Fachschaft Kognitionswissenschaft. Auch das finden Sie über eine Suchmaschine. Die beraten auch interessierte Schülerinnen und Schüler. Das heißt, da haben Sie dann einfach mal die Perspektive der Studierenden. Sie wissen, was für Probleme da waren am Anfang vom Studiengang oder was auch besonders schön ist an dem Studiengang. Die können Ihnen so ein bisschen sagen, was ihre Erfahrungen aus studentischer Sicht sind. Sie können natürlich in Vorlesungen gehen, wenn Sie Zeit haben. In Vorlesungen wird nicht kontrolliert, wer da ist und wer nicht. Also bei uns können Sie sich gerne mit reinsetzen und einfach mal hören, was da besprochen wird und ob Sie das interessiert. Da würden sich Erstsemestervorlesungen anbieten. Wir starten immer im Wintersemester. Da können Sie einfach mal im Vorlesungsverzeichnis schauen, was da für Möglichkeiten angeboten werden, sich einfach mitreinzusetzen. Da haben Sie also vielfältige Möglichkeiten, sich zu informieren darüber, was Kognitionswissenschaft ist. Die Gesellschaft für Kognitionswissenschaft hatte ich schon angesprochen. Da gibt es auch noch mal weitere Verlinkungen und nähere Informationen.  

C. J.: Klasse, ganz lieben Dank.  

B. R.: Gerne hat Spaß gemacht!  

A. B.: Ich werde alles einfach zusammensammeln und dann auch in den Podcast Notizen nochmal aufnehmen, sodass man das dann auch gut finden wird. Schön, dass Sie da waren. Vielen Dank für Ihre Zeit und die Beantwortung all unserer Fragen. Ich sage auf Wiederhören an die Zuhörenden. Wenn Ihr Feedback für uns habt, was Euch gefällt oder nicht gefällt an unserem Podcast, dann schreibt uns auch gerne unter hochschulreif@uni-tuebingen.de.  

C. J.: Bis zum nächsten Mal!  

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Bettina Rolke über die folgenden Themen:
01:18 Persönliche Motivation
07:34 Studieninhalte
27:55 Persönliche Voraussetzungen
43:00 Berufsperspektiven
56:12 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Kognitionswissenschaft:

  • Video von der Universität Osnabrück
  • Buch: Jay Friedenberg / Gordon Silverman: Cognitive Science: An Introduction to the Study of Mind, Los Angeles [u.a.] 2016.
  • Webseite der Tübinger Kognitionswissenschaft & Kontakt zur Fachschaft (studentische Beratung)
  • Zur Gesellschaft für Kognitionswissenschaft

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de

Folge #20: Klassische Archäologie

Mit welchen Kulturen und Epochen beschäftigt man sich in der Klassischen Archäologie? Kann man im Studium schon an Grabungen teilnehmen? Und was macht das Studium in Tübingen so besonders? Unser Gast Professorin Dr. Cristina Murer, Professorin der Klassischen Archäologie an der Universität Tübingen, beantwortet diese und viele weitere Fragen über das Archäologie-Studium. Tübinger Studierende geben Einblicke in Ihre Studienwahl, den Studienalltag und Ihre Berufswünsche.

Tags #Archäologie #Antike #griechisch #römisch #Ausgrabung
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Studi 1: Man hat Seminare und Vorlesungen zu unterschiedlichen Themen, etwa zu römischen Porträts oder zu attischer Keramik. Was das Studium aber besonders macht sind natürlich die Ausgrabungen, auf denen die meisten Studierenden vier bis acht Wochen pro Jahr verbringt und wo man selbst im Feld tätig wird, und neue archäologische Sachen entdecken kann.  

Studi 2: Auch schön ist, dass die Themen in den Seminaren und Vorlesungen jedes Semester wechseln. Also hat man trotz Modulplan die Möglichkeit, sein Studium nach Interesse zu gestalten.  

Studi 3: Man fühlt sich manchmal so ein bisschen wie ein Detektiv, der in der Vergangenheit wühlt, weil sich die wahre Bedeutung der Objekte hinter so einem Schleier der Geschichte verbirgt. 

Studi 4: So hat man in der Klassischen Archäologie, quasi den Vorteil, Geschichte anzufassen.  

Alexandra Becker (A. B.): Herzlich Willkommen bei „hochschulreif“, unserem Tübinger Podcast zur Studienwahl! Wie Ihr schon gehört habt, wird es heute um das Fach Klassische Archäologie an der Uni Tübingen gehen. Zu Gast ist Professorin Doktor Cristina Murer. Herzlich Willkommen hier bei uns! 

Prof. Dr. Cristina Murer (C. M.): Dankeschön!  

A. B.: Ich sitze hier natürlich auch wieder mit meinem lieben Kollegen Christoph Jäckle: Hallo auch an dich!  

Christoph Jäckle (C. J.): Hallo! 

A. B.: Bevor wir uns jetzt gleich näher über das Fach Klassische Archäologie unterhalten, hören wir doch mal rein, warum sich die Tübinger Studierenden für das Fach entschieden haben.   

Persönliche Motivation (01:23)  

Studi 1: Ich habe mich für die Klassische Archäologie entschieden, weil mich die Welt des antiken Mittelmeerraums und vor allem die griechische und römische Antike schon immer am meisten fasziniert haben, eventuell auch ein bisschen durch den Einfluss von „Percy Jackson“ und anderen Büchern über griechische und römische Mythen und Geschichte.  

Studie 2: Für mich war es das Fach Altgriechisch, was mich in der Schulzeit sehr inspiriert hat und auch dann dazu gebracht hat, darüber nachzudenken, ob ich denn nicht vielleicht etwas machen möchte, was mit antiken Kulturen zu tun hat.  

Studi 3: Also, ich habe mich für klassische Archäologie entschieden, weil ich großer Fan von „Tomb Raider“, also Lara Croft, bin und weil die Geschichte, die in dem Spiel vermittelt wird, mich einfach begeistert hat. Das war so mein Sprungbrett in das Ganze.  

Studi 4: Ich war schon immer sehr geschichtsinteressiert, und das Schöne an der Klassischen Archäologie ist, dass man sich nicht nur mit großen Theorien beschäftigt, sondern auch sehr viel mit Objekten der Kunst und des Alltäglichen zu tun hat. Man fühlt sich manchmal ein bisschen so wie ein Detektiv, der in der Vergangenheit wühlt, weil sich die wahre Bedeutung der Objekte hinter so einem Schleier der Geschichte verbirgt.  

Studi 5: Weil es ganz viele von den Themenfeldern, die mich interessieren, kombiniert, also Geschichte, Kunstgeschichte, Mythologie, ganz typisch die römische und griechische Mythologie, aber auch naturwissenschaftliche Methoden, und weil die Archäologie als Fach mir die Möglichkeit bietet, sowohl den theoretischen Diskurs, die akademische Welt, als auch das praktische Arbeiten mit meinen Händen in der Feldarbeit und auf Grabungen unter einen Hut zu bringen. 

C. J.: Man hört auf jeden Fall heraus, dass viele der Student:innen schon ein relativ konkretes Bild davon hatten, was sie dort erwartet. Einige hatten auch so popkulturelle Vorbilder wie Percy Jackson oder Lara Croft. Sind es Erwartungshaltungen, die Sie öfter auch mitbekommen bei Studierenden und erfüllen die sich dann auch in der Regel? 

C. M.: Es gibt ganz unterschiedliche Motivationen, das hat mich jetzt auch gefreut, diese Statements zu hören. Es gibt ganz unterschiedliche Motivationen und Gründe, wieso jemand dazukommt, Klassische Archäologie zu studieren. Ich glaube, es spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Die können von zu Hause kommen, dass man zum Beispiel von den Eltern ein Interesse an antiken Kulturen mitbekommt. Die können aber auch ganz individuell sein, eben durch die Popkultur. Also bei mir war es damals „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“, der gerade im Kino war. Das war meine Generation. 

C. J.: War auch mal mein klassisches popkulturelles Vorbild, als ich über Klassische Geologie nachgedacht hatte. 

C. M.: Genau. Da war ich zehn oder elf Jahre alt, als ich das gesehen habe und das war für mich ein Erlebnis: Das muss wirklich toll sein, diese Abenteuerwelt. Da war der Gedanke natürlich noch nicht so konkret: Jetzt werde ich Klassische Archäologie machen. Aber das Interesse, Abenteuer zu erleben, war sicher da. 

C. J.: Und abgesehen von den wilden Verfolgungsjagden, die sich wahrscheinlich dann nicht unbedingt bewahrheitet haben, gab es dann Punkte, bei denen Sie auch später gemerkt haben: So falsch war vielleicht das Bild von Indiana Jones oder dann in dem Fall auch Lara Croft oder Percy Jackson gar nicht? 

C. M.: Als ich das erste Mal auf einer Ausgrabung war – das war im zweiten Semester glaube ich –fand ich dieses Erleben auf dem Feld, also dass man ständig schmutzig ist, dass man ausgraben kann, dass man in einer Gruppe etwas erforschen kann, sich für etwas faszinieren kann, was lange zurück scheint – zu lange zurück scheint am Anfang – das fand ich schon so etwas wie Eintauchen in die Geschichte. Das zeigt auch der Film ein bisschen. Also von dem her, ein bisschen bewahrheitet sich das schon. Nur ist es leider nicht so, dass wir mit der Peitsche dastehen und einen Hut haben oder noch gegen Nazis kämpfen müssen.  

C. J.: Glücklicherweise ist der Kampf abgeschlossen. Gibt es denn so klassische Fragen, bei denen Sie sagen, die sollte man sich als studieninteressierte Person stellen, bevor man so ein Studium anfängt? 

C. M.: Ja, ich glaube, etwas ganz wichtiges, was mich auch immer durch die ganze Zeit geleitet hat, ist sicher einerseits wirklich die Faszination für das Fach und die Faszination für die Antike, und wirklich durchzuhalten und Geduld zu haben. Eben nicht nur einmal den Film gesehen zu haben und zu denken: Das ist toll. Sondern sich wirklich intensiv damit auseinandersetzen zu möchten und, dass das Teil des Lebens wird. Also wenn man professionell das machen wird, beschäftigt man sich täglich damit. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an die Antike denke. 

C. J.: Als Vollblut-Archäologin. 

C. M.: Genau und sonst geht's leider nicht. Professionell geht es nicht, wenn man sich nicht wirklich dafür begeistern kann, denn es ist ein harter Weg, wenn man das wirklich professionell weitermachen möchte. 

C. J.: Aber ich sehe in Ihren Augen auf jeden Fall noch ganz viel Begeisterung. Ich glaube, die ist bei Ihnen nach wie vor vorhanden. 

C. M.: Ja, das unbedingt. Das ist eben das Wichtigste. Das freut mich auch am meisten, wenn ich jetzt diese Interviews von den Studierenden höre oder auch manchmal in einer Vorlesung, wenn ich begeisterte Gesichter sehe. Das gibt mir auch jetzt wieder Freude zu unterrichten, diese Begeisterung!

C. J.: Ja, dann würde ich sagen, tauchen wir doch gleich mal ein bisschen tiefer ein in das Studienfach und hören uns mal an, wie so eine klassische Studienwoche bei den Tübinger Studierenden aussieht.  

Studieninhalte (6:35)  

Studi 1: Während des Semesters lernen wir theoretisches Wissen über die Griechen und Römer. Während der Semesterferien schreiben wir dann Hausarbeiten oder gehen auf Grabungen, bei denen wir das theoretische Wissen praktisch umsetzen können.  

Studi 2: Das Studium der Klassischen Archäologie besteht für mich aus viel Lesen. Gerade deswegen sind die Übungen unserer reich ausgestatteten Abguss-Sammlung (Sammlung Gipsabgüsse von bekannten Statuen) immer ein besonderes Highlight, weil man dort direkt am Objekt das Auge schulen kann. Auch schön ist, dass die Themen in den Seminaren und Vorlesungen jedes Semester wechseln. Also hat man trotz Modulplan die Möglichkeit, sein Studium nach Interesse zu gestalten.  

Studi 3: Man hört sich Vorlesungen an, man geht in Seminare, macht vielleicht auch mal ein paar Projekte mit, aber man hat auch ganz viel Zeit, um sich in Büchern in der Bibliothek zu vergraben.  
Studi 4: Wenn man Klassische Archäologie studiert, beschäftigt man sich mit den materiellen Hinterlassenschaften der Kulturen der griechischen und der römischen Antike. Das kann Griechenland sein, das kann aber auch die Kultur der Etrusker sein oder eben auch die der Römer.  

Studi 5: Man hat Seminare und Vorlesungen zu unterschiedlichen Themen, etwa zu römischen Porträts oder zu attischer Keramik. Was das Studium aber besonders macht, sind natürlich die Ausgrabungen, auf denen die meisten Studierenden vier bis acht Wochen pro Jahr verbringen und wo man selbst im Feld tätig wird und neue archäologische Sachen entdecken kann.  

Studi 6: Man besucht seine Veranstaltungen, die meistens zum Glück nicht vor zehn Uhr losgehen. Man bereitet sich in unserer Schlossbibliothek auf Referate und Hausarbeiten vor, oder man sitzt oben im Aufenthaltsraum am Tisch oder in der Sofaecke und trinkt Kaffee und Tee und verquatscht sich total. 

A. B.: Ich habe jetzt vorweg erst mal, glaub ich, eine Begriffsklärungsfrage. Wir haben jetzt schon gehört: griechische und römische Antike. Das Fach heißt Klassische Archäologie. Das heißt, wir haben schon eine Eingrenzung auf einen bestimmten Zeitraum und auch auf einen bestimmten geografischen Raum. Können wir das einmal so abstecken, das Gebiet? Denn es ist ja nicht Archäologie allgemein, von der Urzeit bis heute? 

C. M.: Ganz genau. Die Klassische Archäologie ist ein Bereich der Archäologie. Klassisch heißt es aus kunsthistorischen Entwicklungen. Die Klassische Archäologie beschäftigt sich tatsächlich mit der griechischen und römischen Antike. Das ist der Zeitraum von 1500 vor Christus bis 600 nach Christus, also bis zum Ende der Antike, der Spätantike. Hauptsächlich beschäftigen wir uns aber mit der Zeit etwa um 800 vor Christus bis etwa ins dritte, vierte Jahrhundert nach Christus. Das sind die Kernzeiten und das nennen wir griechische und römische Antike. Das heißt aber – und das haben die Studierenden ja schon erwähnt – das sind auch alle anderen Kulturen, die dabei im Mittelmeerraum mit den Römern oder Griechen in Kontakt treten. Das können auch die Phönizier sein, das sind auch die Ägypter zu einem Teil. Das sind alles Einflussgebiete, die das Fach beziehungsweise die griechische und römische Kultur in dieser Zeit tangieren. Geographisch könnte man es auch Mittelmeer-Archäologie nennen. Ein paar Fächer nennen die Klassische Archäologie eben wegen dem Wort Klassisch, das Verwirrung stiften kann, Mittelmeer-Archäologie, weil es größtenteils geografisch um den Mittelmeerraum geht. Aber es geht eben auch nicht nur um den Mittelmeerraum selbst, sondern zum Beispiel auch um den Schwarzmeer-Raum, auch Gebiete von Nordafrika oder sogar den nördlichen Provinzen. Also das Römische Reich zum Beispiel dehnt sich weit aus und läuft in den größten Zeiten der Ausdehnung bis nach Schottland. Also kommen da auch die nördlichen Provinzen mit ins Spiel. Man beschäftigt sich nicht allein mit Italien und Griechenland, sondern eben mit einem größeren Einflussgebiet.  

A. B.: Ist das auch eine Besonderheit in Tübingen? Ich habe das in der Vorbereitung auch das Stichwort „Kulturtransfer“ gelesen, dass es dort einen Schwerpunkt gibt. Ist das jetzt eine Besonderheit in Tübingen, diese Begrenzung oder der Fokus auf die Klassische Archäologie? 

C. M.: Was der Vorteil, oder besser gesagt, das Spezielle ist, hier in Tübingen Klassische Archäologie zu studieren, ist, dass wir eine ganze Reihe von Nachbardisziplinen haben, die auch archäologische Disziplinen sind, zum Beispiel die Prähistorische Archäologie, die Vorderasiatische Archäologie, die Ägyptologie und eben auch die Mittelalterarchäologie. Damit können wir eine chronologische, aber auch geografische Breite, abdecken, und darin sind wir sozusagen der Brückenpunkt zwischen 1500 vor bis 600 nach Christus. 

A. B.: Das heißt, das sind potenzielle Nebenfächer, und die werden wahrscheinlich dann auch oft so kombiniert? 

C. M.: Richtig, das machen viele Studierende von uns, die dann eben auch in anderen Archäologien Seminare und Vorlesungen besuchen. Wir machen auch öfters gemeinsam Seminare. Also letztes Semester habe ich zum Beispiel zusammen mit der Vorderasiatischen Archäologie eine Veranstaltung gemacht. 

A. B.: Dann mischt sich das ein bisschen. 

C. J.: Und die Studierenden treffen sich dann wahrscheinlich auch hin und wieder aus den unterschiedlichen Fächern in der sogenannten Schlossbibliothek, die vorher auch schon angesprochen wurde. Das Schöne ist, in Tübingen ist die Archäologie im Schloss beherbergt, also auch noch ein historisch aufgeladener und wunderschöner Ort zum Studieren. 

C. M.: Das ist wirklich so. Ich bin neu in Tübingen, aber ich bin ganz glücklich, hier zu sein. Für die Studierenden hier ist es wirklich ein wunderbarer Ort. Das Schloss mit der Bibliothek, dann die bereits erwähnte Abguss-Sammlung und die Sammlung von Originalen; wir sitzen gleich dort. Wir können uns jederzeit einfach Originale anschauen oder in die Abguss-Sammlung gehen. Das ist wirklich unglaublich schön!  

A. B.: Und das können auch Externe, also die Ausstellung ist ja öffentlich zugänglich am Museum der Universität Tübingen.  

C. M.: Ganz genau. Zusätzlich gibt es auch noch diesen Aufenthaltsraum, der schon erwähnt wurde. Wir haben den im Obergeschoss mit einer Sofaecke und Küche. Da sitzen ganz viele Studierende von uns. Die sitzen dort tatsächlich ganz gemütlich kaffeetrinkend und manchmal auch Computerspiele spielend, aber manchmal auch arbeitend. Das ist wirklich nicht mehr an vielen Orten der Fall, dass man so einen schönen Aufenthaltsraum hat, und das macht das Studium eben auch ganz schön. 

A. B.: Ja, das klingt auch nach einer schönen Community, denn das ist ja auch ein Fach, in dem man sich so ein bisschen kennt. Das ist jetzt nicht so riesig von der Studierendenzahl, dass das ganz anonym wäre. 

C. M.: Genau. Wir sind ein Orchideenfach, also so ein kleiner Fachbereich. Dann kennt man sich. Das ist schon auch etwas, was die Archäologie auszeichnet, dass es kleine Fächer sind und dass man eben dann in einer kleinen Gruppe zusammen studiert. 

A. B.: Ja, dann steigen wir mal noch so ein bisschen in die Inhalte ein. Was lernt man denn da so im Studium? 

C. M.: Ich habe die Epoche genannt, das ist eben von 1500 vor bis etwa 600 nach Christus. Was wir uns anschauen, sind die Denkmäler, das heißt die Denkmäler der griechischen und römischen Antike. Das können exzeptionelle Kunstwerke sein oder große Bauten. Das können aber auch Objekte des Alltags sein: Verschiedene Objekte, die uns Aufschluss über die materielle Kultur, aber auch über die Geschichte der Antike geben können und über die Menschen, wie sie lebten, wie sich der Alltag abgespielt hat und eben nicht nur, was wir aus historischen, literarischen Quellen wissen, sondern was wir anhand der Objekte und Artefakte erfahren können. Wichtig für uns ist, dass wir eben im Unterschied zu anderen Archäologien eigentlich eine sehr kunsthistorisch orientierte Disziplin sind, also dass bei uns Bild- und Artefakt Interpretation im Vordergrund steht, dass wir uns weniger mit grabungstechnischen Methoden beschäftigen, sondern im Studium eben die Bild- und Artefakt Interpretation im Vordergrund stehen. 

A. B.: Und Materialanalysen oder so gibt es auch? 

C. M.: Die gibt es aus auch. Und das ist eben auch das Tolle in Tübingen, dass es auch naturwissenschaftliche Archäologie gibt. Und auch dort eben das Studium ergänzt werden kann durch solche neuen naturwissenschaftlichen Disziplinen. In der Klassischen Archäologie selbst unterrichten wir das weniger. Wir bieten aber den Studierenden immer die Möglichkeit, sich auch in anderen Bereichen diese naturwissenschaftlichen Methoden anzueignen. 

A. B.: Und haben Sie vielleicht noch mal so ein konkretes Beispiel, was man in einem Seminarkontext machen würde? 

C. M.: Was ich zum Beispiel letztes Semester unterrichtet habe, waren die Bildnisse römischer Kaiser. Da gibt es ganz viele Porträts von römischen Kaisern, die überliefert sind. Die geben uns einen Einblick, wie sich die Kaiser selbst darstellen oder repräsentieren wollen. Gleichzeitig haben wir auch ganz viele schriftliche Quellen zurzeit, wie sich zum Beispiel ein Kaiser Nero schlecht verhalten hat, was er alles für Untaten angerichtet hat. Wir probieren, die Bildnisse in ihrem sozial historischen Kontext zu interpretieren. Das heißt zum Beispiel: Hat jetzt der Kaiser einen Bart, weil das in der Zeit Mode war, oder ist da hinter dem Bart irgendwie eine Intention, sich selbst anders darzustellen oder eine Botschaft, die damit vermittelt werden soll. Also, wie können die Bildnisse in ihrem sozialpolitischen Kontext dann gedeutet werden.  

A. B.: Also, es geht dann zum Beispiel auch um Idealisierungsformen. Man kennt das ja auch so mit der typischen Denkerstirn aus manchen Zeiten, die sich dann in Porträts widerspiegeln. Es hatten ja nicht alle so eine wahnsinnig hohe Stirn. Sowas könnte man dann auch untersuchen? 

C. M.: Genau, und das gibt es auch. Das Alter spielt gerade in der römischen Republik eine wichtige Rolle. Alter zeigt auch Auctoritas, das heißt Macht und Erfahrung und darum werden viele politische Männer wie ein Caesar zum Beispiel oder ein Cicero mit alterscharakterisierender Bildchiffren gezeigt. Das ist dann also auch eine politische Aussage, das heißt, man hat einen Cursus Honorum durchlaufen, also eine Ämterlaufbahn durchschritten, und so kann das Alter eben auch als Bildchiffre auf politische Amtsgewalt gedeutet werden. 

A. B.: Ja, das ist interessant. Das ist mir nämlich aufgefallen, ich war gerade in der Sammlung. Das gibt es aber nur bei den Darstellungen von Männern, also bei alten Frauen habe ich das nicht gesehen. 

C. M: Das gibt es auch, nur zeigt man die weniger. Das ist ein Bild, das tritt durchaus auch bei Frauen auf. Also, es gibt zum Beispiel Familienmonumente, bei denen dann auch Frauen mit alterscharakterisierenden Bildchiffren gezeigt werden, um sie von ihrer Tochter, die Jugendliche ist, zu unterscheiden. 

A. B.: Ja, in anderen Kontexten, dann im Familienkontext, nicht im politischen. 

C. M.: Ja, aber Frauen werden natürlich generell weniger gezeigt. Es gibt aber auch viele Bildnisse von Kaiserinnen, aber die große Anzahl von Porträts sind doch männlicher Natur. 

A. B.: Ja, da sind wir dann schon so mitten in den Themen wohl drin. Was wären denn typische Arbeitsweisen oder typische Methoden, mit denen man dann an so etwas rangeht? 

C. M.: Ja, was wir unterrichten, was ich zum Beispiel in einem Einführungsmodul unterrichte, ist, zuerst mal die verschiedenen Materialgattungen vorzustellen, mit denen wir uns hauptsächlich beschäftigen. Das ist eben die Architektur, die Keramik, die Skulptur, die Malerei, zum Beispiel Mosaike, aber auch Münzen, und ich probiere, diese Gattungen in sich vorzustellen. Da gibt es auch verschiedene Typen in der Architektur, Bautypen oder Statuen Typen, die wir erlernen. Dann probieren wir anhand des Beschreibens des Objektes und des Vergleichens mit ähnlichen Objekten dieses zeitlich einzuordnen, also relativ chronologisch. Wir haben in vielen Fällen keine absoluten Daten, wie 220 vor Christus ist dieses Stück gemacht worden. Dann probieren wir, das zeitlich einzuordnen und probieren es dann zu kontextualisieren. Das heißt, in seinen Aufstellungsort in der Antike, in seinen Verwendungskontext einzuordnen und dann gleichzeitig in seinen historischen Rahmen einzuordnen. Also, was wird mit den Bildinhalten gesagt? Wieso ist jetzt hier eine nackte Göttin in einer römischen Thermenanlage gezeigt? Was hat das mit Badekultur zu tun? Was für ein Bildnis steht daneben? Was könnte das für Assoziationen erwecken, auch für den Besuch einer römischen Thermenanlage? Das probieren wir dann, so kulturell historisch einzuordnen. 

A. B.: Eine Frage, die man vielleicht öfter hört, wenn man sich so professionalisiert in dem Fach, oder vielleicht auch, wenn man sich für so ein Studienfach entscheidet, ist sicherlich: Wozu braucht man das dann heute noch? Also, was leistet aus Ihrer Sicht die Klassische Archäologie heute noch? 

C. M.: Das ist immer schwierig zu sagen, was sie genau leistet. Es ist klar, dass unser Fach keine Zukunftsvision bringt. Aber man kann natürlich mit dem Studieren der Vergangenheit auch Neues über Prozesse erlernen, die sich immer wieder in der Geschichte wiederholen. Was aber ganz wichtig ist oder was die Klassische Archäologie ausmacht, denke ich, ist das kritische Denken. Das ist etwas, was wir probieren, mitzugeben, dass man nicht nur Informationen liest und die übernimmt, sondern dass man sich kritisch damit auseinandersetzt und dass es eben nicht um die Meinung geht. Das ist etwas, was heute bei vielen Studierenden vorherrscht. Sondern man muss sich zuerst mal Wissen aneignen können, das Abstrahieren, also zusammenfassen können, um damit dann Argumente, gute Pro- und Contra-Argumente zu schaffen. Also kritisches Denken, dass heute in allen Bereichen benötigt wird.

C. J.: Was ja von ganz Vielen auch schon genannt wurde, ist die Begeisterung für die Feldarbeit. Ab wann ist die denn Teil des Studiums? Und welchen zeitlichen Raum nimmt die auch ein? 

C. M.: Also, wie gesagt, ich bin in meinem ersten Studienjahr bereits auf Grabungen gegangen und bin dann jeden Sommer gegangen, weil mir das natürlich wahnsinnig Spaß gemacht hat. Dann gibt es aber auch Zeiten, in denen man weniger Feldarbeit macht. So Feldarbeit dauert vier Wochen, eine Kampagne kann manchmal auch sechs Wochen dauern. Glücklicherweise ist das in der Klassischen Archäologie immer in der Mittelmeerregion an schönen Orten, wo man am Wochenende auch schön ins Meer schwimmen gehen kann. Es fühlt sich manchmal fast so an wie Ferien, je nach Grabung. Das Studium selbst besteht aber nicht nur aus Ausgrabungen, sondern es haben eben auch mehrere Studierende die Bibliothek erwähnt und das Lesen und das Anlesen von Wissen. Das ist ganz wichtig bei uns, dass man sich eben in der Bibliothek vergräbt, in den Büchern recherchiert, im Archiv arbeitet. Das gehört genauso dazu wie Grabungen. Vor allem, wenn man fortgeschrittener wird, also im Rahmen der Dissertation, kommt es viel dazu, dass man kaum mehr auf Grabungen geht, weil man sich intensiv mit einem Thema auseinandersetzen muss und dann vornämlich zu 90 Prozent in der Bibliothek Arbeit betreibt, und keine Feldarbeit macht, die dann aber wiederkommt. 

A. B.: Und das ist dann „learning by doing“, diese Feldarbeit oder auch die Abguss-Erstellung, also dürfen das Studierende auch machen? 

C. M.: Das sind verschiedene Sachen. Die Feldarbeit: Ja, das wird erlernt vor Ort. Also, es ist natürlich immer gut, wenn man sich ein bisschen vorbereitet. Es gibt da auch einführende Werke zur Grabungsarchäologie, aber man lernt das wirklich „by doing“, so ging es mir. Man lernt erst mal, wie man gräbt, wie Schichten aufgezeichnet werden, was für Geräte man braucht und wie Messgeräte verwendet werden. Und das lernt man wirklich mit Erfahrung. Und umso mehr man auf Ausgrabungen geht, umso besser ist man auch beim Ausgraben. Dann wird man irgendwann mal Schnittleiter auf einer Grabung. Das ist auch eine Auszeichnung. Ein Studierender der sich bereits gut damit auskennt, der kann dann mal eine Schnittleitung übernehmen. Die Abgüsse sind etwas anderes. Wir machen selbst Abgüsse, aber die meisten, die wir in der Abguss-Sammlung haben, sind Abgüsse aus größeren Gipsformerei, die wir bestellen und die nach Tübingen kommen. Zum Beispiel der Herakles von Farnese, der jetzt dort steht, das ist diese Kolossalstatue, die in der Mitte steht, die ist aus Berlin in verschiedenen Stücken neu hierhergebracht worden. Dazu haben wir auch eine kleine Ausstellung gemacht. Die kam in verschiedenen Fragmenten nach Tübingen. Wir haben die aber zusammen mit Studierenden und unserer Restauratorin Rebecca Sandbichler zusammengesetzt. Das war natürlich an sich schon ein Event, mit dem Flaschenzug diese Stücke zusammenzusetzen in der Abguss-Sammlung. 

C. J.: Das ist natürlich toll, dass man da auch als Student:in so nah dabei sein kann. Also, dass es die Möglichkeit gibt, selbst an der Feldforschung teilzunehmen, aber auch an den anderen praktischen Arbeiten, die sich dann auch dort in der Abguss-Sammlung, im Museum, im Schloss ergeben. 

C. M.: Ja, und das ist auch etwas, was wir sehr befürworten und fördern. Wir unterrichten auch sehr viele Seminare, die sich im museologischen Bereich einordnen lassen. Also, ich habe zum Beispiel letztes Semester eine Veranstaltung zu öffentlichen Führungen in der Abguss-Sammlung mit Studierenden gemacht. Dann haben sie sich selbst thematisch mit dem Herakles von Farnese auseinandergesetzt, Themen gesucht und eine öffentliche Führung vorbereitet, die dann für jeden zugänglich war. Da kamen Gäste, die sie nicht kannten, und sie mussten da eine öffentliche Führung halten. Es gab auch Rhetorikschulungen, die wir gemacht haben für die Studierenden, damit sie auch solche Aspekte der Klassischen Archäologie kennenlernen – eben auch Museologie, also wie man Führungen macht, wie man die gestaltet und wie man gut spricht und sich vor einem Publikum verkauft und wie man die Objekte eben auch alltagsverständlich wieder an das öffentliche Publikum zurückbringt. 

A. B.: Das sind auch wichtige Fähigkeiten. Wie hoch sind denn in etwa diese praktischen Anteile, also Studien in der Sammlung oder Exkursionen, wenn man das so zusammennimmt? 

C. M.: Ich glaube, viel höher als in vielen anderen Fächern. Wir haben sehr viele praktische Komponenten, die gefragt werden bei uns. Ich kann das jetzt nicht in Prozentzahlen sagen, aber ich kann sagen, dass jeder im Semester sicher auch mit praktischen Aufgaben mal zu tun hat. Wir unterrichten ja selbst in der Abguss-Sammlung auch viel. 

A. B.: Das heißt, es begleitet einen die ganze Studienzeit. 

C. M.: Genau, es ist auch wichtig, dass man sich so ein paar praktische Kompetenzen aneignet durch das Studium. Auf Grabungen muss man praktisch denken und handeln können. Oder eben auch in der Abguss-Sammlung, wenn man hilft, so ein Stück, eine ganze Statue zusammenzusetzen aus verschiedenen Stücken, dann muss man auch praktisch mitdenken können. Kraft kann auch helfen. 

A. B.: Ja gut. Ich habe einen Begriff gelesen in der Vorbereitung. Da haben wir uns gefragt, was das genau bedeutet: antike Numismatik. Können Sie dazu was sagen, was das ist? 

C. M.: Ja, dafür gibt es sogar einen Kollegen: den PD Dr. Stefan Krmnicek, der ist Professor für Numismatik bei uns am Institut, und das Fach wird bei uns auch unterrichtet, weil wir eine ganz große numismatische Sammlung haben. Das sind antike Münzen, die wir bei uns auf dem Schloss haben, die auch in der Ausstellung zu besichtigen sind. Viele davon sind aber auch in einem Tresor eingeschlossen. Es wird also dieses Fach, antike Numismatik unterrichtet, das heißt die Geschichte des Geldes, des antiken Geldes, alles, was mit Münzen und mit Geldwirtschaft zu tun hat. Dazu gibt es einzelne Seminare und im Sommersemester auch Vorlesungen. 

A. B.: Das klang so, als würde man das nicht überall lehren, sondern dass es auch eine Besonderheit in Tübingen ist. 

C. M.: Das ist auch noch ein weiterer Vorteil von Tübingen. Das sind – man könnte sagen – Nebenbereiche, Nebenschauplätze der Klassischen Archäologie. Das wären auch die Inschriften, die Epigrafik, was oft auch in der Alten Geschichte unterrichtet wird. So ist die Numismatik meist auch in der Alten Geschichte angegliedert – wegen Wirtschaftsgeschichte. Aber bei uns in Tübingen ist sie eben am Institut für Klassische Archäologie angegliedert und das ist noch mal zusätzlich ein Standortvorteil von Tübingen! 

A. B.: Wenn man die verschiedenen Bereiche absolviert hat, so ein Studium durchlaufen hat, dann kommt irgendwann so eine Abschlussarbeit. Wie würde denn so eine typische Bachelorarbeit zum Beispiel aussehen? Würde man da auch praktisch und theoretisch arbeiten, oder macht man entweder das eine oder das andere? Was gibt's da so für Möglichkeiten? 

C. M.: Also, ich sage mal so, das hängt immer von der Studentin oder dem Studenten ab, der das Thema wählt. Es gibt Studentinnen oder Studenten, die zum Beispiel auf der Grabung ein Objekt entdecken, das sehr spannend ist, das sie dann zeichnen, vermessen und dazu eine Bachelor- oder Masterarbeit schreiben. Da spielen dann praktische Aspekte eine Rolle, wie das Aufnehmen des Befunds und mehr Wissen von der Grabung da miteinzubeziehen. Es gibt aber auch Bachelor- oder Masterarbeiten, die sich ganz spezifisch mit einem ganz kunsthistorischen Thema auseinandersetzen, also die zum Beispiel die Satyr Darstellungen auf den Vasen des fünften Jahrhunderts als Thema haben. 

A. B.: Was dann ein bisschen theoretischer wäre. 

C. M.: Das wäre dann wieder ein bisschen theoretischer und dann auch mit kunsthistorischen und bildwissenschaftlichen Aspekten verbunden. Man kann das schon selbst dirigieren, wenn man das möchte. 

C. J.: Das kam ja auch bei dem Statement vorher schon rüber, dass man den großen Vorteil hat, dass man dadurch, dass die Lehrveranstaltungen sich regelmäßig ändern, sich selbst auch so ein Profil zusammenstellen kann an Veranstaltungen, wenn ich merke, ein Thema interessiert mich besonders. 

C. M.: Und das ist eben der wichtigste Punkt des Fachs: Diese ständige Faszination. Man muss wirklich fasziniert sein, um Freude daran zu haben, Wissen zu vertiefen. Das ist das, was zentral ist und was wir probieren zu vermitteln. Wir können keinem das A und O der Denkmäler der Antike geben. Das muss sich jeder selbst aneignen. Wir geben Unterstützung, wir diskutieren in Seminaren oder in Vorlesungen, aber das Wissen, wirklich die Kenntnisse, auch die Geschichte der Antike, das muss man sich selbst anlesen, aneignen, interessiert sein, und das erfordert eben ganz viel Selbstdisziplin. Aber das macht es umso spannender, dass man eben selbst in ein Thema eintauchen kann und sich darin verlieren kann. 

A. B.: Faszination ist auch ein gutes Stichwort. Wir haben die Tübinger Studierenden auch gefragt, was sie an ihrem Fach begeistert. 
Persönliche Voraussetzungen (30:10) 

Studi 1: Dass man sich vorrangig mit den Objekten beschäftigt, die uns aus der Antike erhalten geblieben sind, und das kann von Keramik über Statuen bis hin zu ganzen Tempeln gehen, aber eben auch mit den historischen Abläufen und den schriftlich überlieferten Quellen beschäftigen wir uns. Das heißt, man hat von allem so ein bisschen was dabei.  

Studi 2: Ich habe viele unterschiedliche Interessen wie Architektur, Musik, Politik und Geschichte. In der Archäologie kann ich zu all diesen Themen forschen. 

Studi 3: Wie man die einzelnen Zeugnisse immer auch auf ihren Aussagegehalt prüfen kann und sich fragen kann, was erzählen diese Dinge einem eigentlich. Das kann bei Dingen sein wie Architektur, das kann aber auch eine Skulptur sein. Das können aber auch Dinge sein, wie zum Beispiel Keramik, die vielleicht, wenn man das jetzt das erste Mal hört, sehr lapidar scheinen. Und so hat man in der Klassischen Archäologie quasi den Vorteil, Geschichte anzufassen.  

Studi 4: Geschichte fand ich schon immer spannend, aber ich bin auch ein Mensch, der total gerne handwerkliche Dinge oder aktive Dinge tut. Die Archäologie verbindet ein bisschen beides.  

Studi 5:  Dass man so nah an den Objekten arbeitet, dass die Arbeit in der Klassischen Archäologie dadurch so handfest ist, dieses Entschlüsseln von den Rätseln, die sich hinter diesen Objekten verbergen. Ein großes Plus ist natürlich, dass das Studium dazu motiviert, die Reisetasche zu packen, sei es eine Uni-Exkursion, sei es eine Grabung. Wenn man will, kommt man mit der Klassischen Archäologie sehr viel rum in der Welt.  

Studi 6: Dass es immer was Neues zu entdecken gibt. Für jede Antwort, die man auf Grabungen oder in irgendwelchen Artikeln findet, stellen sich eigentlich sofort drei neue Fragen. Das Tolle ist auch, dass man, sobald man ein paar Grundlagen und die wissenschaftlichen Methoden beherrscht, auch als Studierende sehr schnell in die Diskussionen mit einsteigen kann, die zum Beispiel bei Gastvorträgen geführt werden. 

C. J.: Ja, ich finde, man hört den Studierenden wirklich die Neugierde und die Begeisterung an. Das kommt sehr gut rüber. Was auch mehrfach gefallen ist, waren Begriffe wie „Geschichte zum Anfassen“ und dass es etwas Handfestes ist und man da eben auch mit seinen Händen irgendwie nah dran ist. Was meinen Sie, welche Voraussetzungen man als Studienanfänger mitbringen sollte? 

C. M.: Ja, vielleicht noch zum Punkt „Geschichte zum Anfassen“. Ich glaube, das ist schon was ganz Wichtiges, in dem sich das Fach noch mal unterscheidet zu anderen Fächern, besonders zur Alten Geschichte, die ja ganz wichtig für uns ist; für das historische Denken und die ganzen historischen Fakten, die wir brauchen, um überhaupt die Geschichte einzuordnen. Dass man aber mal eine Vase anfassen kann und den Abdruck eines Fingers dort sieht, zeigt eben, dass wir die materiellen Hinterlassenschaften des Alltags von uns allen erfassen können, die in den schriftlichen Quellen oft nicht erwähnt werden. Also hat man das Gefühl, dieses Verborgene, das sich zufällig überliefert hat, kennenzulernen. Das ist, glaube ich, das, was eben diese Faszination nochmal verstärkt. 

C. J.: Und dann auch so diese detektivische Arbeit eben. 

C. M.: Genau die detektivische Arbeit, weil es eben so kleine Zufälle gibt oder kleine Beobachtungen, die was Großes bedeuten können: Die eben am Material selbst, an der Vase, die vielleicht zusammengeflickt ist, und dann findet man ein anderes Stück, und dazu gibt es ein neues Bild, und dann gibt es einen Kontext, den man noch nicht beachtet hat. Das ist eben das, wo diese kleinen Geschichten zum Anfassen eben große Geschichte werden können. Jetzt habe ich aber die andere Frage übersprungen, was war die? 

C. J.: Das macht gar nichts. Welche Voraussetzungen man – abgesehen jetzt von der Neugier und natürlich eine Begeisterung für die Geschichte – noch mitbringen sollte?

C. M.: Persönlich aus meinen Erfahrungen, aber auch von anderen Archäologinnen und Archäologen, die ich kenne, mit denen ich zusammenarbeite, ist eine große Weltoffenheit wichtig. Das heißt die Freude, die Welt zu entdecken: Nicht nur in Tübingen zu bleiben, nicht nur, immer am gleichen Ort zu studieren, sondern Erasmus-Stipendien wahrzunehmen, nach Italien oder Griechenland zu gehen, andere Sprachen zu erlernen, moderne Sprachen zu erlernen, Kulturen kennenzulernen, zu kommunizieren, Interesse an anderen Kulturen zu haben. Das ist diese Weltoffenheit, die man braucht. Diese Neugier an der Welt, die einem auch in der Archäologie ganz viele Türen öffnen kann. Also, wenn man moderne Sprachen spricht, hilft das einem. Wenn man in Italien graben möchte, muss man Italienisch können, erst mal, um mit den Mitarbeitern auf dem Feld zu reden, aber auch um mit den Leuten vor Ort zu kommunizieren, Essen zu bestellen und eben um Grabungsberichte zu verfassen. 

A. B. Gut zu wissen, also Englisch reicht nicht? 

C. M.: Genau, es ist es toll, wenn man Französisch oder vielleicht Neugriechisch kann. Wir haben auch viele Studierende aus Italien, die nach Tübingen kommen, weil Tübingen eine wichtige Uni ist, um Klassische Archäologie zu lernen. Viele italienische Student:innen kommen auch, um Deutsch zu lernen und Klassische Archäologie zu studieren, weil sie das in ihrem Fach brauchen, weil ganz wichtige Werke auf Deutsch geschrieben sind in der Klassischen Archäologie. 

A. B.: Das sind natürlich wichtige Voraussetzungen. Dann gibt's ja auch noch die alten Sprachen, die auch zum Studium gehören.  

C. M.: Genau, die sind aber nicht mehr so viel gefordert wie früher. Also, es reicht heute, ein kleines Latinum zu haben im Grundstudium. 

A. B.: Lateinkenntnisse nennt sich das. Das muss man also mitbringen oder nachholen. Wie ist es, wenn man sich jetzt eher auf griechische Antike fokussiert, kann man das dann auch tauschen mit dem Graecum?  

C. M.: Nein, das Latinum muss man haben im Grundstudium. Man kann aber später das Graecum nachholen, also noch zusätzlich machen. 

A. B.: Das muss man aber nicht? 

C. M.: Nein, das muss man nicht. 

C. J.: Ich habe gelesen, dass ein Bereich des Studiums auch EDV (Elektronische Datenverarbeitung) für Archäolog:innen ist. Was hat es damit auf sich? Beziehungsweise welchen Raum nehmen modernste Technologien in der Arbeit als Archäolog:in ein? 

C. M.: Immer mehr. Ich mache gerade dieses Semester ein Seminar mit Stefan Krmnicek, dem Numismatiker von unserem Institut, zu digitalen Schatzkammern, weil wir eben gemerkt haben, dass diese ganzen Datenbanken, die über Forschungsprojekte generiert werden, von den Studierenden gar nicht genutzt werde. Sie wissen nicht, wie man schnell zu Übersetzungen von Texten kommt, wie man Befunde und digitale Karten verwendet, oder wie man zum Beispiel Datenbanken zu Objekten durchforschen kann, wie man Literatur findet. All das ist heute in der digitalen Welt zu Hause und wir merken, dass da Studierende Nachholbedarf haben. Es ist gut, auch diese EDV-Kenntnisse schon im Studium mitzubringen oder gewisse Vorkenntnisse. 

C. J.: Und werden die aber auch vermittelt im Studium? Gibt es Seminare, die ich dann belegen kann?  

C. M.: Ja, es gibt eben solche wie dieses hier, in dem wir das dann vermitteln, und es gibt auch in der Numismatik Seminare, die sich mit solchen EDV-Kenntnissen auseinandersetzen. 

C. J.: Da könnte sich vermutlich auch die nächsten Jahre dann mit Künstlicher Intelligenz noch viel tun, oder?  

C. M.: Ja natürlich, wir haben schon allein auf den Grabungen selbst verschiedene Kenntnisse, die man braucht, um mit Programmen wie AutoCad, also digitalen Karten, für Mapping und Scanning von Befunden, benötigt. Das ist schon viel. Also dazu brauchen wir jetzt schon sehr viele auswärtige Kenntnisse, die für jedes Grabungsprojekt dazu geholt werden müssen. 

A. B.: Dann könnte man ja wahrscheinlich auch Informatik als Nebenfach machen, wenn man sich darauf spezialisiert.

C. M.: Das wäre natürlich taktisch sehr schlau. Diesen Studenten oder Studentin würde ich dann öfters benötigen.

A. B.: Die sind immer gefragt, genau! 

C. J.: In allen Bereichen. 

A. B.: Genau, bevor wir jetzt so in die Berufsperspektiven gehen, hören wir uns noch die Statements von den Studierenden an, dazu, was sie beruflich gerne machen möchten. 

Berufsperspektiven (37:58) 

Studi 1: Ich habe mich noch nicht ganz entschieden, in welche Richtung ich nach dem Studium gehen möchte. Da gibt es ja so einige Möglichkeiten. Man kann sich entweder komplett der archäologischen Praxis widmen und Grabungen leiten, man kann ins Museum gehen oder auch in Richtung Restauration. Es gibt aber auch die Möglichkeit, in die Forschung oder selbst an die Universität in die Lehre zu gehen.  

Studi 2: Nach dem Studium ist man sehr breit aufgestellt. Man hat sehr, sehr viele Möglichkeiten. Ich persönlich könnte mir vorstellen, eines Tages im kulturellen Bereich zu arbeiten.  

Studi 3: Nach meinem Studium möchte ich an einer Universität arbeiten. Ich würde auch gerne eigene Ausstellungen in Museen konzipieren oder eine eigene Ausgrabung leiten. Mein geheimer Traum ist, bei „Terra X“ als Archäologin interviewt zu werden.  

Studi 4: Nach dem Studium möchte ich gerne was machen, dass die Forschung irgendwie weiterbringt.  

Studi 5: Ich habe vor dem Studium eine Ausbildung zur Gestalterin für Visuelles-Marketing gemacht, und nach dem Studium würde ich gerne meinen Abschluss in der Klassischen Archäologie mit meinem Berufsausbildung kreuzen und PR-Arbeit bei Museen machen.  

Studi 6: Beruflich sehe ich mich selbst später in der Forschung, in der Klassischen Archäologie, vor allem in der Feldarbeit und in der wissenschaftlichen Kommunikation, also wie man die Klassische Archäologie, ihre Themenfelder und auch ihre Relevanz für aktuelle Themen wie die Klimakrise gut und wirksam in eine breite Öffentlichkeit bringen kann.  

Studi 7: Aktuell bin ich am Badischen Landesmuseum in Karlsruhe beschäftigt, als wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem Projekt zur großen Landesausstellung „Welterbe des Mittelalters: 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“. Ich war Teil des kuratorischen Teams, dass sich vor allen Dingen für die Ausgestaltung der Inhalte verantwortlich gezeichnet hat, und habe da in dem Rahmen neben einigen historischen Themen auch vor allen Dingen die digitalen Angebote der großen Landesausstellung konzipiert und betreut. 

A. B.: Wir haben jetzt heute auch zum ersten Mal ein Alumnus-Statement mit drin, wie Sie gehört haben. Also das letzte Statement kommt von einem Absolventen, der bereits im Berufsleben steht. Das beantwortet vielleicht schon so ein bisschen die Frage, wie der Berufseinstieg gelingt. Die Berufswünsche in den Statements waren teilweise schon sehr konkret, bei anderen aber auch noch sehr offen.  Wie schwer ist das, da etwas zu finden? Oder ist es eben auch so ein Fach, was Gefahr läuft, so eine brotlose Kunst zu sein? 

C. M.: Ja, ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man den Studierenden von Anfang an klar macht, dass der Weg der Wissenschaft, wirklich sehr hart ist und dass man da schnell ausgesiebt wird. Schon diese Situation für die Promotion lange an einem Thema zu arbeiten und das in einer gewissen Zeit durchzuziehen ist oft eine Hürde. Im Anschluss noch zu habilitieren und gleichzeitig zu unterrichten, das ist wirklich ein schwerer Weg, den ich selbst auch gemacht habe, den ich nicht bereue, der aber nicht jeder zusagen kann. Und man braucht auch eine große Menge Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein um an einem Projekt mitarbeiten zu können. Es ist nicht so, dass nur die, die gut sind, weiterkommen. 

A. B.: Ja, also, gut sein reicht nicht, das Glück muss man auch noch haben. 

C. M.: Erfolg hat auch mit Glücksmomenten zu tun oder eben auch mit persönlichem Engagement: Was ist man bereit dafür aufzugeben? Ist man bereit dafür ins Ausland zu gehen – das habe ich gemacht – Jahre im Ausland zu arbeiten und alles, was man hat, aufzugeben? Und da muss man sich selbst fragen, was man bereit ist, für diesen wissenschaftlichen Weg einzugehen. 

A. B.: Der aber auch nur eine Handvoll von Menschen betrifft. In der Forschung zu bleiben, zu arbeiten, ist im Grunde ja eigentlich in allen Fächern etwas, was sehr wenige Plätze bereithält. 

C. M.: Genau! Und dessen muss man sich einfach bewusst sein. Aber ich sage jeder und jedem: Wenn die Faszination und dieser Wille da sind, dann kann das jede und jeder schaffen. Wenn der Wille da ist, dann möchte ich niemandem davon abraten, diese wissenschaftliche Karriere einzuschlagen. Im Gegenteil, es ist wirklich ein wunderbarer Beruf. Aber es gibt eben – und das ist das Tolle – immer auch andere Berufsfelder, die man sich über ein breit orientiertes Studium aneignen kann. Also diese museologischen Kompetenzen, von denen hat man jetzt auch von mehreren Studierenden gehört, die sich im Bereich von Museen vielleicht zukünftig auch arbeiten sehen, also im Bereich von Ausstellungen. Das ist ein ganz typischer Bereich, in dem man später arbeiten kann. Ich habe mal überlegt, wo Kollegen und Kolleginnen von mir abgeblieben sind, die nicht in der Forschung geblieben sind. Ein paar sind ins Verlagswesen gegangen. Andere haben eine kleine politische Karriere in der Schweiz gemacht. Wieder andere sind in den Journalismus gegangen, da zeigt sich dann der Aspekt des kritischen Denkens. Also, es gibt verschiedene Bereiche, in die man nach dem Studium und auch noch nach der Dissertation gehen kann. Es ist aber so, dass das Lehramt zum Beispiel ein bisschen schwieriger ist, da Archäologie nicht unterrichtet wird. Da müsste man besser Alte Geschichte studiert haben, um dann als Lehrer zu arbeiten. Es gibt aber auch Möglichkeiten, mit dem Archäologiestudium mit einem guten Nebenfach das dann zu kompensieren. 

A. B.: Ist es denn üblich, dass man den Master noch macht, oder würde so ein Berufseinstieg außerhalb der Uni auch mit einem Bachelorabschluss gelingen? 

C. M.: Nein, ich glaube schon, dass der Master notwendig ist. Ich war lange an der Freien Universität Berlin, und dort haben mehrere Studierende nach dem Bachelor dann bei lokalen Grabungsfirmen gearbeitet. Wenn man gerne an Ausgrabungen teilnimmt, kann man eben auch bei Denkmalbehörden oder eben bei privaten Ausgrabungsfirmen mit einem Bachelorabschluss arbeiten.

A. B.: In bestimmten Bereichen. Um den Berufseinstieg ein bisschen zu erleichtern, sind ja Praktika auch wichtig. Sind Zeiten dafür vorgesehen, also kann man das während des Studiums machen? Und was könnten das für Praktika sein? 

C. M.: Man kann ganz verschiedene Praktika machen. Auch bei unserem Institut gibt es Möglichkeiten, sich in der Abguss-Sammlung solche praktischen Kompetenzen innerhalb eines Praktikums anzueignen. Es gibt aber auch Museen, die Praktikantinnen und Praktikanten aufnehmen. Ich bin jetzt neu hier, also ich kenne das aus Berlin. Da gab es mehrere Praktika, die man in Berlin an Museen machen konnte, um sich solche Kompetenzen anzueignen. 

A. B.: Ja. Und ist es ein fester Bestandteil im Studium, oder macht man das so nebenher, beispielsweise in der vorlesungsfreien Zeit? 

C. M.: Es gibt, wenn ich mich jetzt selbst nicht täusche, auch Leistungspunkte für ein Praktikum. Aber da müsste ich selbst nochmal nachschauen. 

A. B.: Ja also, das heißt, man muss es nicht machen, man kann es machen, und man kann es gegebenenfalls sogar irgendwie mit einbringen ins Studium. 

C. M.: Grabungen muss man machen, also für den Master, muss man mal bei Grabungen mitgemacht haben, und das gilt sozusagen als Praktikum. 

C. J.: Gibt es nicht in fast allen Bachelorstudiengängen dieses Pflichtpraktikum inzwischen? Ich glaube, dafür bekommt man auch Leistungspunkte angerechnet, und die Unternehmen, bei denen man das macht, sind auch immer sehr dankbar darüber, wenn man einen solchen Pflichtpraktikumsschein hat. 

C. M.: Genau, das glaube ich auch, aber da bin ich eben zu schlecht informiert. 

A. B.: Das ist ja jetzt auch nicht der allerwichtigste Aspekt jetzt, wenn wir über das Fach sprechen. Aber natürlich ist es immer interessant, um dann irgendwann diesen Übergang zu finden in die Berufswelt. Da sind natürlich solche Kompetenzen auch wichtig. 

C. M.: Jetzt habe ich ganz vergessen, über die Exkursionen zu sprechen, die mir ganz wichtig sind. 

A. B.: Ja, das können wir dann jetzt an dieser Stelle machen. 

C. M.: Genau, denn auch das sind zum Beispiel so praktische Kompetenzen. Wir gehen, in zwei Wochen mit 20 Studierenden nach Pompei, also nach Neapel, und sind dann da bis kurz vor Semesteranfang, um uns Herculaneum anzuschauen. Solche Exkursionen sind Bestandteil des Studiums. Die finden einmal jährlich statt, also im Sommersemester, wo dann 20 bis maximal 30 Studierende auf eine Exkursion mitkommen können und wir uns dann vor Ort – und das ist ganz wichtig für uns – die Monumente anschauen. Das ist wirklich ein zentraler Bestandteil des Studiums, eben nicht nur Objekte im Museum de-kontextualisiert anzuschauen, sondern die Objekte auch vor Ort – die Bauten, im Kontext – anzuschauen, Orte zu besichtigen und sich dann geografisch damit auseinanderzusetzen, wie hoch denn dieser Tempel oder dieser Bau liegt, was daneben liegt oder auch wie die Landschaft aussieht. Und sich auch im Falle von Pompei in einer antiken Stadt zurechtzufinden und ein Verständnis dafür zu kriegen, was eine antike Stadt ist. Das sind diese praktischen Kompetenzen, würde ich sagen, die auch dringend notwendig sind und die eben nur über Exkursionen vermittelt werden können. Das ist ganz wichtig für uns. Da spreche ich aus eigener Erfahrung: Man kann das zwar in Büchern lesen, aber solange man nicht vor Ort geht und das besichtigt, hat man keine Vorstellung davon. Also das heißt, es reicht nicht nur auf Exkursion zu gehen, sondern man sollte auch in der Freizeit möglichst viele Orte, antike Stätten und Museen im Mittelmeerraum, besichtigen.

A. B.: Wie finanziert sich das denn? Also, das müssen die Studierenden ja irgendwie finanzieren, gibt es da Unterstützung? 

C. M.: Da gibt es Unterstützung, weil das bei uns im Studienplan mit eingebunden ist. Die Exkursionen werden daher mitfinanziert von der Uni. Die Studenten müssen nur ein Drittel der Kosten selbst zahlen. Wenn es dann nicht reichen soll, gibt es immer noch Möglichkeiten, das intern abzusprechen oder Unterstützung zu finden. Aber meistens liegen die Kosten für so eine Exkursion bei 300–400 € für 2 Wochen Exkursion im Mittelmeerraum, was nicht wirklich viel ist, wenn man überlegt, was man alles damit macht. Also, da ist dann alles inbegriffen. Gut, ich bin keine Studentin, ich weiß nicht, was sie noch nebenbei ausgeben. 

A. B.: Ja, aber also so eine Vorstellung zu haben, ist schon mal gut und auch zu wissen, dass es eben Unterstützung gibt, wenn man vielleicht dann doch ein bisschen knapper kalkulieren muss. 

C. M.: Genau. Solche Exkursionen schweißen einen auch als Gruppe zusammen, also auch für die Studierenden ist das wichtig. Ich finde das ist einer der zentralsten Teile des Studiums, an solchen Exkursionen teilzunehmen. Jetzt muss ich sie organisieren, das ist aber auch sehr schön, ist auch immer eine große Herausforderung, braucht viel Zeit, aber es macht unglaublich Freude, sich das vor Ort zusammen zu erschließen und zu diskutieren. 

A. B.: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. 

C. J.:  Das hätte ich auch gerne gehabt in meinem Studium. 

A. B.: Ja, dann könnten wir jetzt eigentlich zur Abschlussrubrik kommen, oder Christoph? 

C. J.: Wir fragen unsere Gäste immer, ob sie uns noch einen weiteren Recherchetipp oder einen Literaturtipp mitbringen können, mit dem sich unsere Hörerinnen und Hörer noch mal selbst ein bisschen weiter mit dem Thema beschäftigen können. Haben Sie da etwas für uns? 

Insider-Tipps (49:49) 

C. M.: Ja, ich habe ja länger an der Freien Universität Berlin unterrichtet, war da als Assistentin tätig, und damals wurde dort ein Online Studienfachwahl Assistent (OSA) entwickelt. Da kann man sich mal durchklicken, um zu sehen, was man in dem Fach macht. Da gibt es auch so Beispielaufgaben für die Klassische Archäologie. Ich finde das ganz geschickt gemacht, also eine Plattform, auf der man durchklicken kann, was das Studium umfasst. Daneben gibt es auch Interviews, mit ehemalige Studierende von der Klassischen Archäologie, die erzählen, was sie nun machen, also in welchen Bereichen sie arbeiten. Ich finde, es gibt einen ganz guten Überblick. Also, man kann das – ich werde diesen Link teilen – dort mal so durchspielen, wenn man möchte. 

A. B.: Bezieht sich dann natürlich auf das Studium an der Freien Universität Berlin, aber lässt sich sicherlich übertragen. 

C. M.: Das lässt sich eigentlich komplett übertragen, weil es ja nicht so ist, dass da andere Inhalte vermittelt werden. Man kann dort also ganz grob sehen, wo man das Fach einordnen kann, was Aufgaben sind, die man im Studium zu erfüllen hat, und ob einen das wirklich interessiert. Das ist so wichtig, und ich glaube, das ist wirklich, was man sich fragen soll. Ich freue mich wirklich umso mehr, wenn ich neue Studierende vor mir habe, bei denen ich eben so eine Begeisterung in den Augen sehe. Das ist eben auch als Lehrende wichtig, das zu sehen, weil man dann auch Lust hat, den Leuten wirklich was beizubringen. Wenn hingegen Leute dasitzen, die ein bisschen gelangweilt wirken, dann ist es auch für die Lehrenden schwieriger da Wissen zu vermitteln. 

C. J.:  Das ist, glaube ich, auch einfach immer die wichtigste Grundvoraussetzung für jeden Studiengang, dass ich mich einfach für das Fach begeistere. 

C. M.: Ja, denn, es ist wirklich eine Entscheidung, Klassische Archäologie zu studieren, gerade, weil man nicht sicher weiß, was man dann danach macht. Ich meine, es gibt andere Fächer wie Informatik, mit denen man danach vermeintlich viel mehr machen kann und viel gefragter ist. Man setzt sich schon bei der Klassischen Archäologie ein bisschen auf ein Abstellgleis, wenn man das nur so nebenbei und nicht richtig fasziniert macht. Man muss wirklich dabei sein. 

A. B.: Ja, also, sicherlich gibt es mal Pflichtveranstaltung, durch die man einfach durchmuss, auch in den verschiedensten Fächern. Aber, dass so ein grundsätzliches Interesse wichtig ist, sollte man sich schon klar machen. 

C. M.: Vielleicht noch als Literatur-Tipp, den geben wir auch allen Studenten im ersten Semester: „Klassische Archäologie: Grundwissen“ von Tonio Hölscher. Das ist ein Buch, das einem den Überblick gibt: Was wird überhaupt im Fach gemacht, was für Objekte, was für Bauten, was für Zeithorizonte spielen überhaupt eine Rolle. Und dann habe ich noch ein zweites Buch: „Einführung in die Klassische Archäologie“ von Ralf von den Hoff. Das ist etwas Neues, das ein bisschen mehr theoretische Aspekte und die bildwissenschaftlichen Aspekte des Faches vermittelt. Auch das gibt einem einen ganz guten Überblick, über das, was so vermittelt wird im Fach. 

A. B.: Ja, das gebe ich gerne beides an, dann kann man da mal so ein bisschen durchblättern. 

C. J.: Klasse, ganz lieben Dank! 

C. M.: Und wenn man hier in Tübingen ist, kann man auch einfach mal vorbeikommen! Das hatten wir schon öfters, dass sich Schülerinnen per Mail gemeldet haben, die sich für Klassische Archäologie interessieren, und die kamen dann vorbei, und saßen dann bei mir in der Vorlesung. Das kann man sehr gerne machen. Man kann mich oder eben die Sekretärin des Instituts kontaktieren, und dann einfach mal vorbeischauen. 


A. B.: Ja, das ist dann dieses Format Schnupperstudium. 

C. M.: Genau, aber die Schülerinnen kamen einfach so vorbei. Man muss halt auch mal was wagen! 

A. B.: Dann kann man auch gleich in die Sammlung gehen und sich das noch anschauen. Ich werde alles in die Shownotes aufnehmen. Dann vielen Dank, dass Sie da waren und uns alles erzählt haben, was wir wissen wollten. 

C. M.: Danke vielmals. Ich glaube nicht, dass es alles war. 

A. B.: In dem zeitlichen Rahmen, den wir zur Verfügung haben. 

C. J.: Und die Begeisterung für das Fach ist auf jeden Fall rübergekommen.

C. M.: Sehr schön. Danke vielmals! 

C. J.: Dann ganz lieben Dank fürs Zuhören. Wenn Ihr Fragen, Kritik oder Lob habt, dann schreibt uns wie immer an hochschulreif@uni-tuebingen.de und ansonsten freuen wir uns über ein Like und ein Abo. Bis zum nächsten Mal! 

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Cristina Murer über die folgenden Themen:
01:23 Persönliche Motivation 
06:31 Studieninhalte 
30:00 Persönliche Voraussetzungen 
38:03 Berufsperspektiven 
49:49 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Klassischen Archäologie:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #19: Sport / Sportwissenschaft

Wieviel Theorie beinhaltet ein Sportstudium? Wie hoch sind die Praxisanforderungen? Welche Schwerpunkte kann ich im Studium setzen? Und wie bereite ich mich am besten auf die Sporteignungsprüfung vor? Über diese Fragen und vieles mehr sprechen wir mit Prof. Dr. Ansgar Thiel, Professor für Sportwissenschaft an der Universität Tübingen. Sportstudierende erklären darüber hinaus, wie eine typische Studienwoche bei ihnen aussieht, warum sie sich für ein Sport-Studium entschieden haben und wo sie später arbeiten möchten.

Tags #Sport #Sportwissenschaft #Sportstudium #Sportmanagement #Gesundheitsförderung #Sportpublizistik
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Studi 1: Ich liebe die Kombi aus Theorie und Praxis, also dass man nicht nur den ganzen Tag dasitzt und lernt, sondern sich auch so richtig auspowern kann.  

Studi 2: Gemeinsam auf dem Feld zu stehen und zum Beispiel Basketball zu spielen oder gemeinsam zu tanzen und verschiedene Sportarten auszuprobieren.  

Studi 3: Darüber hinaus belegt man dann noch Theoriekurse wie Anatomie, Bewegungslehre oder Trainingswissenschaft. Ich finde, es ist einfach eine sehr familiäre und lockere Umgebung, in der man dort studiert.  

Studi 4: Für mich ist das Sportstudium der perfekte Weg, mein größtes Hobby mit meiner beruflichen Ausbildung zu verbinden. 

Studi 5: Das Studium ist einfach super abwechslungsreich. Die Leute sind die Besten und man hat einfach eine tolle Zeit zusammen.  

Christoph Jäckle (C. J.): Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir haben es gerade schon gehört: Heute geht es um das Studienfach Sportwissenschaft. Wir haben auch heute wieder einen Gast bei uns im Studio. Ich bin sehr froh, Sie heute begrüßen zu dürfen, Herr Prof. Dr. Ansgar Thiel! Sie sind Professor für Sportwissenschaft hier in Tübingen, an der Universität. Herzlich willkommen! 

Prof. Dr. Ansgar Thiel (A. T.): Hallo! 

C. J.: Und gegenüber von mir sitzt auch wieder meine Kollegin von der Zentralen Studienberatung: Hallo, Alex!  

Alexandra Becker (A. B.): Hallo!  

C. J.: Wir haben gerade schon gehört, uns erwartet, glaube ich, ein sehr abwechslungsreiches und aktives – und ich finde auch ein bisschen außergewöhnliches –Studienfach, weil es das einzige Studienfach ist, bei dem man sich nebenher sportlich betätigt. Bevor wir uns gleich tiefer mit den Inhalten des Sportwissenschaftsstudiums beschäftigen, hören wir doch einmal kurz rein, warum sich die Tübinger Studis für das Sportwissenschaftsstudium entschieden haben.  

Persönliche Motivation (01:29) 

Studi 1: Ich habe mich für das Fach Sport entschieden, weil ich einfach sehr, sehr gerne Sport mache und mein Ziel von Anfang an war, meinen zukünftigen Schülern etwas beizubringen, wofür ich selbst total brenne. Deswegen dachte ich: Ich versuche es einfach mal – es war wie so eine Challenge – und ich bin wirklich sehr zufrieden mit meiner Wahl.   

Studi 2: Weil ich in der Schule schon den Leistungskurs Sport hatte und ich den so cool fand und schon viel besser als den normalen Schulsport. Ich mache sehr viel Sport in meiner Freizeit und wollte Lehrerin werden, und dann dachte ich mir, kann ich die zwei Punkte natürlich verbinden.  

Studi 3: Für mich ist das Sportstudium der perfekte Weg, mein größtes Hobby mit meiner beruflichen Ausbildung zu verbinden. Da es mein Ziel ist, Lehrer zu werden, und Sport und Mathe für mich eine perfekte Kombination aus physischer und psychischer Herausforderung ist, habe ich mich dafür entschieden.  

Studi 4: Da ich einen sehr aktiven Lebensstil habe, jegliche Sportarten liebe und total gerne mache und das Ganze dann mit einem theoretischen Studium verknüpfen wollte, um so ein bisschen die Aktivität ins Studium bringen zu können.  

Studi 5: Im Bachelor habe ich Gesundheitswissenschaft studiert, und da habe ich einfach gemerkt, mir fehlt der Aspekt des Sports extrem. Das hat zwar immer auch eine Rolle gespielt, aber nie so sehr, wie wenn man sich jetzt explizit mit Sport oder beziehungsweise der Sportwissenschaft beschäftigt. Deswegen mache ich jetzt meinen Master in der Sportwissenschaft.  

A. B.: Ja, man hört es schon, das Studium ist überaus aktiv. Wenn man so die Erstsemesterstudierenden erlebt, die dann an die Uni kommen: Was ist die Erwartungshaltung von den Studis? Prägt sich da irgendwie auch das ein, was man jetzt so aus dieser Kollage der Studierenden-Statements hört, diese Begeisterung und dieses unbedingt sich bewegen wollen, aktiv sein wollen? 

A. T.: Ja, was wir gehört haben, ist, dass viele der Studierenden anfangen Sportwissenschaft zu studieren, weil sie die Praxis lieben, weil sie für den Sport und für Bewegung brennen. Das zeichnet das Fach aus. Das ist eines der wenigen Fächer, in dem Leute tatsächlich brennen. Und das merkt man, wenn man selbst studiert, schon eigentlich vom ersten Tag an. Das heißt, die Kontakte mit anderen sind sehr eng, sehr familiär – viel familiärer als in vielen anderen, oder in den meisten anderen Fächern. Und das ist natürlich was Besonderes, vor allem am Anfang. Allerdings ist es natürlich so: Das ist kein Studium, das reine Praxis ist, sogar die sportpraktischen Inhalte sind immer theoriebasiert. Das heißt, es wird versucht Bewegung zu verstehen, Sport zu verstehen – und zwar multidisziplinär zu verstehen. Das heißt, die anatomischen Voraussetzungen, die wichtig sind, die physiologischen Voraussetzungen, trainingswissenschaftliche Voraussetzungen. Aber auch wie funktionieren Bewegungen aus biophysikalischer Sicht? Oder: Wie funktionieren Gruppen sozial? Wie denken Menschen? Wie hilft Bewegung beim Denken? Wie hilft Bewegung beim sozialen Integrieren? Und so weiter und so fort. Das heißt, das Studium ist auch sehr reichhaltig und die Theorie kommt mit zunehmendem Studium, also mit zunehmender Dauer, immer mehr in den Vordergrund.  

A. B.: Und sollte man sich da bestimmte Fragen vorher stellen oder die für sich klären, bevor man sich für so ein Studium entscheidet?  

A. T.: Ich denke, man muss sich überlegen, wie wichtig ist mir das Thema Sport und Bewegung? Wie wichtig ist mir das Thema Gesundheit beispielsweise? Oder wenn ich Richtung Management gehe: Kann ich mir vorstellen, beispielsweise in einem Verein zu arbeiten oder in Verbänden? Kann ich mir vorstellen, in Marketing-Abteilungen zu arbeiten, die sich mit Sport auseinandersetzen? Das heißt, extrem bedeutsam ist es, für den Sport zu brennen. Ohne, dass man sich für Sport interessiert, wird man das Studium auch nicht beginnen.  

A. B.: Ja, dann wird man es wahrscheinlich auch gar nicht erst schaffen, ins Studienfach reinzukommen, nehme ich an. Wir werden später noch über die Eignungsprüfung sprechen. Das ist dann als Stichwort jetzt schon mal gefallen. Wie war es denn bei Ihnen selbst? Wie kamen Sie dazu, Sportwissenschaften zu studieren?  

A. T.: Ich habe eigentlich angefangen mit Sport und Musik. Ich habe mir überlegt, was ich mache. Ich hatte einen Medizinstudienplatz und habe mir überlegt, ob ich anfange, Medizin zu studieren. Ich habe mich dann noch für Sport und Musik interessiert. Das waren die Dinge, für die ich mich am meisten interessiert habe. Ich habe aber dann gewechselt, weil, das ist sehr, sehr praktisch, wenn man zwei solche praktischen Fächer studiert auf Lehramt, dann ist es auch zeitlich sehr, sagen wir mal, ausladend. Ich habe mich dann entschieden, Sportwissenschaft auf Diplom weiterzumachen und habe dann dazu noch Psychologie auf Diplom angefangen und Psychogerontologie (psychologischer Fachbereich, der sich mit dem Altern auseinandersetzt) als Schwerpunkt gemacht. Das heißt, die Verbindung von unterschiedlichen Gegenständen: Psychologie beispielsweise, also die Psyche zu verstehen von Menschen, wie sie denken, was ihre Motive sind, und auf der anderen Seite Sportwissenschaft als ein per se multidisziplinäres Fach, das eben die unterschiedlichsten Inhalte bedient, von der Psychologie bis zur Medizin. Das war für mich wirklich sehr attraktiv, und ich muss auch sagen, ich habe es niemals bereut.  

A. B.: Das war jetzt auch mein erster Gedanke, dass es da ja schon eine große Schnittstelle gibt in der gegenseitigen Beeinflussung von Sport auf die Psyche und andersherum von der Psyche auf die körperliche Aktivität. War das damals auch schon ein Forschungsfeld und so aktuell, wie es das heute ist?  

A. T.: Also Sportpsychologie gibt es natürlich schon lange. Und auch Tübingen war sehr bedeutsam als Standort für die Sportpsychologie, vor allem in Deutschland. Aber eigentlich gibt es schon bestimmt seit 100 Jahren Beiträge zur sportpsychologischen Forschung, auch wenn das Fach noch nicht so hieß, denn diese Verbindung war immer klar. Es war eigentlich schon klar, sagen wir mal im 18. Jahrhundert, bei den Philanthropen, die sich Gedanken darüber gemacht haben, wie kann Erziehung funktionieren, und welche Rolle spielt Bewegung dabei, wenn man quasi Menschen ganzheitlich bilden möchte.  

A. B.: Ja, spannend, Dann wird es jetzt, glaube ich, spannend, wie so eine Sport-Studienwoche typischerweise aussieht oder ob es sowas überhaupt gibt. Wir haben Studierende gefragt, wie denn bei ihnen so eine typische Studienwoche aussieht.  

Studieninhalte (07:48) 

Studi 1: Das Sportstudium ist immer ein Mix aus Praxis, aber auch an einer Menge an Theorie. Theoretische Inhalte fürs Lehramt sind zum Beispiel naturwissenschaftliche Grundlagen, Fachdidaktik und Grundlagen der Lehrkompetenz. Aber Lehrämter haben die meisten Praxisanteile, also je nach Semester so zwei bis vier Trainingseinheiten pro Woche.  

Studi 2: Man hat nicht nur spannende Vorlesungen und Seminare, sondern man hat auch Sportpraxis, während der man sich dann aktiv bewegen kann und gemeinsam mit Kommilitonen Sport machen kann und sich richtig schön auspowern kann.  

Studi 3: Zwei- bis viermal die Woche finden Praxiskurse am Sportinstitut statt. Zusätzlich hat man noch ein bis vier Vorlesungen, die man besucht. Ansonsten verbringt man auch außerhalb der Veranstaltungen oft Zeit am Institut, um zu lernen, auf Prüfungen zu trainieren oder einfach um Freunde, die auch am Institut studieren, zu treffen.  

Studi 4: Im Masterstudium der Sportwissenschaft sind jetzt keine praktischen Module vorgesehen. Da sind einfach ganz normal Vorlesungen, Seminare, Übungen etc. auf dem Stundenplan. Aber so theoretisch, wie sich es anhört, ist es gar nicht. Also man kann sich viel mit den Dozierenden austauschen und auch eigene Projekte planen und das anwenden, was man gerade gelernt hat. 

Studi 5: Eine typische Woche im Sportstudium sieht so aus, dass man einige Praxiskurse hat. Man muss im Lehramt alle typischen Sportarten, die man in der Schule hat, abdecken. Darüber hinaus belegt man dann noch Theoriekurse wie Anatomie, Bewegungslehre oder Trainingswissenschaft. Das Sportstudium ist ziemlich abwechslungsreich und es wird einem eigentlich nie langweilig.  

C. J.: Jetzt sind inzwischen, glaube ich, schon ganz viele verschiedene Schlagworte gefallen, die die Inhalte und die Abläufe von einer Studienwoche oder auch dem Studiengang insgesamt beschreiben. Wir hatten vorher schon von Sportpsychologie, wir hatten schon von Biomechanik gehört. Jetzt gibt's auf jeden Fall viele praktische Kurse. Es gibt theoretische Kurse, Seminare, Vorlesungen. Bevor wir noch weiter darauf eingehen, glaube ich, wäre es ganz geschickt, dass einmal so ein bisschen zu ordnen, auch dahingehend, welche inhaltlichen Unterschiede man denn auch im Bachelorstudiengang bereits sehen kann. Es gibt nämlich verschiedene Profillinien. Vielleicht könnten Sie die mal kurz vorstellen und so knapp umreißen, wie die sich unterscheiden.  

A. T.: Wir vertreten in Tübingen ein Konzept, dass wir einen Bachelor haben in Sportwissenschaft mit unterschiedlichen Profilen. Ein Profil ist Gesundheitsförderung. Da ist natürlich der Aspekt der Gesundheitsförderung, des Gesundheitsmanagements vor allem die Theorie dazu von großer Relevanz. Hier ist Sportmedizin ein integriertes Nebenfach. Wir haben dann das Sportmanagement-Profil, hier ist Wirtschaftswissenschaften ein integriertes Nebenfach. Wir haben Medien und Kommunikation und da ist Medienwissenschaft ein integriertes Nebenfach. Wenn man die Studienwoche im Bachelorstudium betrachtet – es wurde vorher schon gesagt, dass im Lehramtsstudium mehr Praxis gemacht wird, aber auch im Lehramtsstudium verändert sich das – wird mit zunehmender Studiendauer der Praxisanteil geringer, beziehungsweise der explizite Theorieanteil auch in den sogenannten Sportpraxiskursen wird größer. In den Bachelorstudiengängen vertreten wir auch ein anderes Konzept, als es beispielsweise in Amerika häufig der Fall ist oder in Australien, wo es Bachelorstudiengänge gibt in Sportwissenschaft, die überhaupt keine Sportpraxis haben, sondern tatsächlich nur Sportwissenschaft oder Sportmanagement. Wir denken, es macht Sinn, dass die Studierenden selbst Sportpraxis, Bewegungspraxis erleben, um sie auch wirklich zu verstehen, in unterschiedlichen Bereichen. Wenn Sie Sportmanagement machen und Sie leiten beispielsweise als Geschäftsführer einen großen Verein, dann müssen Sie verstehen, wie Bewegen funktioniert: Welche Motive haben die Leute sich zu bewegen, wie erleben sie Bewegen, wie müssen Sie beispielsweise Infrastruktur aufbauen, wie viele Leute kann ein Kurs vertragen, damit das noch gut betreut wird, und so weiter. Und all diese Dinge lernen alle Studierenden in Tübingen unabhängig von ihrem Profil, was sehr gut ist, weil Sie tatsächlich dann auch wissen, auf wen muss ich mich einstellen und wie schaffe ich optimale Bedingungen, damit die Leute wirklich gut Sport treiben können oder gesundheitsorientiert sich bewegen können.  

C. J.: Und wie hoch sind dann ungefähr die jeweils spezifischen Inhalte, die ich dann entweder im Profil Medien und Kommunikation oder im Profil Gesundheitsförderung lerne, die ich in den anderen nicht lerne? Also wie viel machen diese spezifischen Anteile ungefähr aus?  

A. T.: Ich kann es jetzt nicht ganz genau sagen. Es gibt ein Nebenfach-Modul. Das ist dann ganz abgekoppelt vom sportwissenschaftlichen Studium, und das macht ungefähr vielleicht ein Sechstel aus. Dann gibt es natürlich noch Profilbereiche, die machen dann vielleicht noch ein Achtel oder so aus. Das wird dann summiert. Diese Profilbereiche, die sind dann ganz spezifisch für das Profil gedacht. Und dann gibt es natürlich auch noch die Möglichkeit, zum Teil in den sogenannten sportpraktischen Inhalten, Kurse zu wählen, die mehr zu dem einen oder zu dem anderen Profil passen.  

A. B.: Sodass man vielleicht in der Summe so auf ein Drittel Spezialisierungen kommt, wenn man das so überschlägt.  

A. T.: Ja, ungefähr auf ein Drittel Spezialisierung. Je nachdem. Ich kann auch Projektseminare machen, die dann etwas mehr spezialisiert sind oder etwas allgemeiner. Das hängt dann auch von mir selbst ab. Dann wird der Anteil eventuell größer.  

C. J.: Könnten Sie ein paar Fragestellungen oder zum Beispiel einen Veranstaltungstitel nennen aus den jeweiligen Profilen?  

A. T.: Ja, in den Grundlagen ist ein Thema: Sie haben beispielsweise Sportmanagementvorlesungen, eine Grundlagenvorlesung, in der Sie alles lernen über Sportmanagement, also die grundlegende Theorie: Was ist überhaupt Sport? Wie unterscheidet sich beispielsweise das Management eines Sportvereins vom Management eines normalen Unternehmens? Sportvereine sind ja anders aufgestellt als Unternehmen. Sie sind Freiwilligenorganisationen, die nach ganz anderen Prinzipien funktionieren. Das heißt, wenn Sie so eine Organisation managen, dann müssen Sie auch wissen, dass die anders funktioniert als ein normales Unternehmen, beispielsweise nicht primär gewinnorientiert. In der Gesundheitsförderung: Hier haben Sie eine Grundlagenvorlesung zum Gesundheitsmanagement, in der Sie beispielsweise, Theorien der Gesundheitswissenschaft lernen – natürlich jetzt nicht so ausführlich wie in einem Studium der Gesundheitswissenschaften, das quasi ein Mono-Studium der Gesundheitswissenschaft ist – aber Sie lernen die Basis dieser Theorien und aber auch eine Übertragung spezifisch auf den Zusammenhang von Sport und Bewegung. In Medienwissenschaft ist es ähnlich. Sie haben dann unterschiedlichste Veranstaltungen, die eben sich mit Sport und Medien auseinandersetzen. Wie macht man beispielsweise Beiträge über Sport? Wie müssen die aussehen? Was für Prinzipien liegen dem zugrunde? Aber auch, wie sehen Medien aus, und wie haben sie sich sagen wir mal über die letzten Jahrzehnte verändert?  

C. J.: Werden dann diese Angebote alle auch von der Sportwissenschaft selbst angeboten, oder gibt es dann da auch Kooperationen mit dem Universitätsklinikum in Tübingen oder der Medienwissenschaft oder der Wirtschaftswissenschaft? 

A. T.: Genau, also beim Schwerpunkt Gesundheitsförderung gibt es eine Kooperation mit der Sportmedizin, die ist lokalisiert im Universitätsklinikum beziehungsweise in der medizinischen Fakultät. Aber wir haben mittlerweile ein Institut namens „Interfakultäres Forschungsinstitut für Sport und körperliche Aktivität“ gegründet, das sowas wie eine „Umbrella-Organisation“ ist für Sportwissenschaft und Sportmedizin, weil die Bezüge so eng sind. Jeder, der Sportwissenschaft studiert, muss irgendwann früher oder später sportmedizinische Inhalte lernen und die werden von Sportmedizinern angeboten. Hier in Tübingen ist die Sportmedizin eben nicht im Institut für Sportwissenschaft angesiedelt, sondern in der medizinischen Fakultät und dem Universitätsklinikum. Das ist an anderen Standorten anders. Allgemeine Inhalte in Wirtschaftswissenschaft beispielsweise werden vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaft bereitgestellt. Die allgemeinen Inhalte für den Bereich Medien und Kommunikation von der Medienwissenschaft, wobei wir hier auch eine Kooperation haben, wo wir Teile dieser Spezialausbildung in Medienwissenschaft, vor allem die praktischen Anteile, auch selbst organisieren, das heißt im eigenen Haus.  

C. J.: Dazu kommen die praktischen Anteile. Das hatten wir auch schon mehrfach gehört und ist auch ein ganz wichtiger Bestandteil des Studiums. Sie hatten schon angedeutet, dass die mit der Zeit, mit dem Verlauf des Studiums eher weniger werden. Wie viel Raum nehmen die am Anfang ungefähr ein?  

A. T.: Maximal die Hälfte. Also in den ersten Semestern haben Sie relativ viel Praxis, aber man muss sich die sogenannte Sportpraxis anders vorstellen als Sport im Verein oder Sport in der Schule. Sie lernen nicht nur, die Bewegung auszuführen, sondern Sie lernen, die Bewegung zu verstehen. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Beispielsweise wenn Sie schwimmen, dann können Sie mit Kameras von unten betrachten: Wie sieht so eine Bewegung aus? Wie muss die richtig aussehen? Sie lernen, die Bewegung zu zergliedern in unterschiedliche Phasen, um auch Fehler zu verstehen. Das heißt, wenn Sie normal einfach auf eine Bewegungsausführung achten, und Sie wissen nicht, worauf Sie achten müssen, dann können Sie Schülerinnen und Schülern beispielsweise oder Menschen, die das lernen wollen, auch nicht sagen, wo sie sich verändern müssen oder was sie besser machen müssen. Das ist ein elementarer Bestandteil. Quasi neben der Eigenrealisation kommt dann halt auch die Vermittlungskompetenz. Das heißt – und das ist auch eine Besonderheit des sportwissenschaftlichen Studiums – dass sehr viel Didaktik, Fachdidaktik und Methodik im Studium integriert ist. Das heißt, die Studierenden lernen quasi von Anfang an, was für Voraussetzungen es braucht, um eine Gruppe zu leiten. Das heißt, im Grunde werden – würde ich jetzt sagen – ideale Manager und Gruppenleiterinnen und -leiter ausgebildet im sportwissenschaftlichen Studium, denn die lernen immer, mit Heterogenität, mit Diversität umzugehen. Sie lernen, auf unterschiedliche Voraussetzungen zu reagieren und diese Gruppen so zusammenzustellen, dass tatsächlich auch Individualisierung möglich ist bei dem Lernen von Bewegung, aber auch Kooperation möglich ist. Dazu brauche ich natürlich Theorie, auch unterschiedliche Theorie, und die wird immer wieder eingebracht. Das heißt, das muss man sich so vorstellen, dass zum Teil dann auf der Sportanlage Theorie vermittelt wird, was natürlich gar nicht so einfach ist, weil viele Sportanlagen beispielsweise nicht über Whiteboards, über Monitore verfügen. Das heißt, die müssen da mitgebracht werden. Oder wenn Sie beispielsweise Eye-Tracking-Untersuchungen machen und Sie erfassen, worauf schauen Sportlerinnen und Sportler bei der Ausführung von Bewegungen, und Sie wollen das den Studierenden erklären, dann müssen Sie natürlich diese Gerätschaften auch mitbringen. Sie müssen quasi dann die Bedingungen für ein solches Lernen schaffen. Das ist sehr aufwendig. Der Stereotyp ist: Man geht in die Halle und man macht Sport und jemand steht mit der Trillerpfeife da. Das wird aber der tatsächlichen Lehre am Institut überhaupt nicht gereicht, also gar nicht gerecht. 

A. B.: Das Institut nimmt deswegen wahrscheinlich auch einfach viel Fläche ein, wenn man eben diese ganzen Sportanlagen noch hinzurechnet. Ich glaube, die meisten von uns kennen das auch vom Hochschulsport, der das nutzen darf. Da habe ich auch tatsächlich mal bei einer Analyse von Schwimmtechnik mitgemacht. Das ist ganz spannend. Ich glaube, wahrscheinlich ist es auch so, dass viele von den Sportstudierenden sich in der Lehre erproben als Trainer, Trainerin beim Hochschulsport. Das ist eine tolle Gelegenheit.  

A. T.: Sicherlich. Der Hochschulsport ist auch ein Teil des Instituts für Sportwissenschaft, beziehungsweise das Institut für Sportwissenschaft ist für die Bereitstellung des Hochschulsports verantwortlich. Wir haben über die letzten zehn Jahre versucht, die beiden Einheiten mehr zusammenzubringen. Das heißt, dass der Hochschulsport tatsächlich auch ein Lernfeld für Studierende ist, und umgekehrt, dass auch Forschung im Hochschulsport betrieben werden kann, aber auch, dass der Hochschulsport innovativ Dinge entwickelt, beispielsweise „Pausenexpress“ und ähnliche Formate, bei denen dann auch Studierende mitarbeiten können und ihr Wissen mit einbringen können. Das heißt, es ist quasi so ein Geben und Nehmen.  

A. B.: Und wenn man noch nicht genug hat im Sportstudium, kann man im Hochschulsport sich dann nochmal mehr auspowern. Da haben wir ein breites Angebot. Das ist natürlich auch immer interessant, was sicherlich auch die Besonderheit ist, eben durch das sportwissenschaftliche Studium. Das kommt dann allen Studierenden sogar zugute.  

C. J.: Für alle, die mit dem Begriff Hochschulsport gar nichts anfangen können: Das ist der Bereich der Sportangebote, an dem alle Studierenden teilnehmen können, unabhängig davon, was sie studieren, und auch die Mitarbeitenden der Uni. Auch, wenn ich Germanistik studiere oder Jura oder Medizin, darf ich an den Kursen des Hochschulsports teilnehmen. Das nur nochmal kurz zur Info. Inwiefern binden mich denn diese unterschiedlichen Profillinien für ein späteres mögliches Masterstudium? 

A. T.: Ich würde sagen, sie determinieren es nicht. Das heißt, Wechsel sind schon möglich, aber Sie müssen dann natürlich Inhalte nachholen. Wenn Sie einen Master in Sportmanagement machen wollen, dann fehlen Ihnen möglicherweise die wirtschaftswissenschaftlichen Inhalte, die spezifischen Sportmanagement-Inhalte.  Umgekehrt bei der Gesundheitsförderung: Wenn Sie jetzt irgendwo Gesundheitsförderung im Master studieren, fehlt Ihnen, wenn Sie etwas anders gemacht haben, möglicherweise die Medizin. Es wird im Grunde interessenorientiert eine gewisse Richtung aufgezeigt. Aber, was wir versucht haben zu vermeiden, – und das zeigt sich auch in der Idee, den Bachelorstudiengang einheitlich als Bachelor der Sportwissenschaft mit Profilen zu bezeichnen – dass eben ein Switchen danach unmöglich ist. Ich denke, das ist auch ein modernes Konzept, denn ich glaube, zu spezialisierte Bachelorstudiengänge sind suboptimal für die spätere Berufswahl, weil ich mich zu stark einenge. In der Konzeption des Studiums, wie es jetzt über die letzten zehn Jahre dann auch immer mehr verfeinert wurde, wird genau das auch mitgedacht. Das heißt, die breite Ausbildung, sozusagen eine Generalisten-Ausbildung in Bezug auf Sport und Bewegung, die durchlaufen alle, und damit sind Sie auch letztendlich in der Lage, Profile im Master dann zu wechseln. Möglicherweise müssen Sie einzelne Aspekte nachholen, aber grundsätzlich ist das möglich.  

C. J.: Worüber wir noch wenig gesprochen haben, bisher ist das Bachelor of Education Studium, also das Lehramtsstudium. Die Studierenden, die auf Lehramt studieren, haben vermutlich, aber ganz viele von ihren Kursen auch zusammen mit den Studierenden, die auf den Bachelorabschluss studieren? 

A. T.: Genau also, die Kurse sind polyvalent für unterschiedliche Studiengänge. Aber es wird schon versucht, zu differenzieren. Also, wenn es möglich ist, dann teilt man ein, dass die unterschiedlichen Studiengänge unterschiedliche Kurse besuchen. Das ist natürlich der Idealfall. Aber unsere Lehrenden, die versuchen, die Angebote dann intern so zu differenzieren, dass letztendlich jemand, der oder die Lehramt studiert, eine andere Übungsaufgabe dann übernimmt oder eine andere, sagen wir mal, Lehrsituation dann entwickelt, beispielsweise bei der Vermittlung von Turnen, als jemand der oder die im Bachelor mit Schwerpunkt Sportmanagement studiert. So wird auf jeden Fall versucht, den Bedarfen, den Erwartungen und auch dem späteren Berufsfeld Rechnung zu tragen.  

A. B.:  Wir sagen immer Lehramt, aber das heißt ja auch Bachelor of Education, dass es da jetzt keine Verwirrung bei der Studiengangsbezeichnung gibt.  

C. J.: Dann würde ich sagen, wir hören uns mal an, was die Tübinger Studierenden an ihrem Studium am allermeisten begeistert.  

Persönliche Voraussetzungen (23:32) 

Studi 1: Mich begeistert zum einen das aktive Sportmachen in der Uni, mit Kommilitonen gemeinsam auf dem Feld zu stehen und zum Beispiel Basketball zu spielen oder gemeinsam zu tanzen und die verschiedenen Sportarten auszuprobieren und dabei dann aber auch noch das theoretische Wissen sich anzueignen in den verschiedensten Bereichen.  

Studi 2: Sport an sich ist einfach toll, macht Spaß. Sportwissenschaft ist dann einfach, wenn man eh neugierig veranlagt ist, „a dream come true“ für mich, weil man einfach sehr viel nachfragen kann, sehr viel versteht, sehr viel für sich selbst lernt und eine ganz neue Liebe für den Sport entwickelt.  

Studi 3: Die Kombination aus physischer und psychischer Herausforderung. Außerdem finde ich das Klima am Sportinstitut sehr gut. Das Verhältnis zu den Dozierenden ist sehr eng und auf Augenhöhe. Da fühlt man sich sehr wohl, und das Lernen macht deutlich mehr Spaß. Inhaltlich ist es sehr interessant, mehr über die Hintergründe des Sports zu lernen.  

Studi 4: Dass man sehr schnell in Kontakt mit Mitstudierenden kommt, dadurch, dass man zusammen Sport treibt. Man findet so schnell Anschluss, man ist mit Gleichgesinnten unterwegs, und ich finde, es ist einfach eine sehr familiäre und lockere Umgebung, in der man dort studiert. 

Studi 5: Ich liebe die Kombi aus Theorie und Praxis, also dass man nicht nur den ganzen Tag dasitzt und lernt, sondern sich auch so richtig auspowern kann. Ich bewundere immer wieder, wie extrem gutes, aber auch individuelles Feedback man bekommt, mit dem man sich so schnell verbessert. Das Studium ist einfach super abwechslungsreich, die Leute sind die Besten und man hat einfach eine tolle Zeit zusammen.  

A. B.: Da kommt, glaube ich, deutlich heraus, wie begeistert die Leute sind, nicht nur vom Studium, sondern auch von der Atmosphäre, und dass man ebenso schnell durch das gemeinsam in der Sportpraxis sein, in Kontakt kommt und sicherlich auch eine tolle Community entsteht. Was ist denn für Sie, aus Ihrer Sicht noch so das Spannende an der Sportwissenschaft?  

A. T.: Ich selbst denke, Sport und Bewegung sind extrem wichtig für unsere Gesellschaft. Sport hat verschiedene Funktionen, die gesellschaftlich gerade in heutiger Zeit relevant sind. Sport und Bewegung sind im Grunde mit Blick auf Prävention von chronisch degenerativen Erkrankungen, die in unserer Gesellschaft immer wichtiger werden, mit die wichtigsten Mittel, und sie sind auch kostengünstig. Also im Grunde müsste man Sport und Bewegung fördern, so gut es geht, um zu vermeiden, dass Menschen im Prozess des Alterns oder aufgrund von Bewegungsmangel krank werden, und zwar chronisch krank werden. Das ist das eine. Sport bringt aber auch Menschen zusammen, also wie Sie es vorher gehört haben: Wenn Sie Sport treiben, dann haben Sie eine Verbindung, egal wo Sie herkommen. Das klingt zwar sehr stereotypisch, aber es ist tatsächlich so. Das sagen alle Menschen, die das erlebt haben. Wenn es jetzt nicht ein Setting ist, das sehr selektiv ist, also beispielsweise, dass extrem kompetitiv miteinander Sport und Bewegung gemacht wird, sondern wenn Sie gemeinsam miteinander spielen, wenn Sie sich gegenseitig in angenehmer Atmosphäre überbieten, wenn Sie lernen, wie es ist, gemeinsam Dinge zu schaffen oder gemeinsam in einer Mannschaft zu spielen, dann wirkt das unheimlich integrativ. Wir sehen auch in der Forschung, dass Menschen, die beispielsweise einen Fluchthintergrund haben und hierherkommen, dass die wesentlich leichter in die Gesellschaft zu integrieren sind, wenn sie beispielsweise Sport betreiben, weil sie dort Freunde finden. Sie werden sozial vernetzt, aber sie sehen beispielsweise auch von anderen, was für Möglichkeiten hält die Gesellschaft bereit, beispielsweise wie wichtig sind bestimmte Wege der Bildung und wie komme ich an diese Wege ran. Oder wie komme ich in diese Wege rein? Diese integrativen Funktionen sind eigentlich elementare Bestandteile des Sporttreibens. Wenn wir auf die demografische Alterung schauen: Unsere Gesellschaft wird immer älter. Hier ist natürlich dann die Frage, wie bringen wir Menschen dazu, dass sie in der Lage sind, sich selbst zu helfen. Wie kann sich die sogenannte Gruppe der Älteren selbst helfen, dass sie gesund bleibt, aber auch, dass sie sozial vernetzt bleibt. Auch hier sind Sport und Bewegen zentrale Mittel. Das Lernen natürlich die Studierenden alle. Wenn sie Angebote schaffen können, auch Angebote betreuen können, indem sie Menschen zusammenbringen und in denen sie auch zeigen, wie man Sport betreiben muss, um genau diese Effekte zu erreichen, dann haben wir es mit Profis zu tun. Diese Profis sind letztendlich unsere Sportstudierenden, beziehungsweise die Sportwissenschaftlerinnen, Sportwissenschaftler.  

A. B.: An die ja auch besondere Anforderungen gestellt werden, nämlich über die sogenannte Eignungsprüfung. Da würden wir gerne nochmal darüber sprechen, wie die so abläuft und auch, wie hoch die Chancen sind, die zu bestehen? Wie schwer ist das? Muss man alles gut können? Was wird da von einem verlangt?  

A. T.: Eine Eignungsprüfung ist, wie es der Begriff sagt, eine Eignungsprüfung, also keine Zugangsprüfung, keine Zulassungsprüfungen. Wenn Sie Sportwissenschaft studieren wollen, brauchen Sie eine bestimmte Note im Abitur oder in bestimmten Fächern. Aber jeder oder jede, die Sportwissenschaft studieren will, muss eine Eignungsprüfung bestehen. Diese Eignungsprüfung ist für Menschen, die noch nie Sport betrieben haben, nicht so einfach. Auch für Leute, die beispielsweise in einer Sportart nur gut sind und in anderen nicht, ist es möglicherweise in den anderen Sportarten nicht so einfach. Das heißt, man muss sich darauf vorbereiten. Das macht schon Sinn. Beispielsweise bieten Vereine auch Möglichkeiten an, dass ich, wenn ich nicht turnen kann oder wenn Turnen nie das Fach war, was ich gerne mochte, dann kann ich da trainieren, um mich spezifisch darauf vorzubereiten. Aber wie gesagt, eine Eignungsprüfung ist eigentlich eine Prüfung, die schon sehr lange existiert. Die hatte eigentlich ihren Hintergrund auch darin, dass letztendlich Sportlehrerinnen und Sportlehrer früher ausgebildet wurden, die primär in der Praxis unterrichtet haben. Heute verändert sich auch – oder soll sich verändern – der Sportunterricht. Das heißt, Sportunterricht soll zunehmend auch mehr Theorie vermitteln, eben nicht nur Praxis, sondern auch quasi die Hintergründe von sportlicher Betätigung. Und er soll die Fragen thematisieren: Wo kann ich mich sportlich betätigen? Was muss ich beachten, wenn ich mich sportlich betätigen muss? Wie reagiert mein Körper auf sportliche Betätigung? Und so weiter und so fort. Das heißt, das hat sich halt auch verändert, auch mit den Bachelor of Science Studiengängen. Hier ist der praktische Anteil nicht so hoch. Das heißt, die Sport-Eignungsprüfung, wie sie ganz früher mal existiert hat, ist möglicherweise auch nicht mehr so relevant als Zugang. Allerdings wird sie noch gemacht. Der Sinn liegt darin, dass, wenn Sie sportpraktische Kurse machen müssen, dann finden die natürlich auf einem bestimmten Niveau statt. Wenn Sie das Niveau nicht erreichen, dann ist es für die gesamte Gruppe schwierig. Das heißt, für die Leute, die es studieren, ist es schwierig ebenso für die Leute, die selbst das machen möchten, und es nicht können. Vor dem Hintergrund gibt es die Eignungsprüfung weiterhin. Damit sind es im Grunde zwei Dinge, die Voraussetzungen sind für das Sportstudium, die Eignungsprüfung, als quasi eine Vorprüfung. Und dann Ihre kognitiven Fähigkeiten: sind Sie beispielsweise in der Lage, der Biomechanik Vorlesung zu folgen, wo Sie dann auch Physik haben oder Mathe. Aber wie gesagt, das sind alles Dinge, auf die kann man sich vorbereiten, ebenso auf die Eignungsprüfung auch.  

A. B.: Aber Stand jetzt ist die Eignungsprüfung für alle Studiengänge Pflicht, also für alle Profillinien, ebenso wie diejenigen, die auf Lehramt studieren möchten, und die muss bestanden werden, damit man überhaupt Zugang hat.  

A. T.: Genau, im Bachelorstudium!  

C. J.: Welche Sportarten werden da alle geprüft?  

A. T.: Es werden Ballsportarten geprüft. Es wird auch eine Individualsportart geprüft, wie beispielsweise Schwimmen oder Turnen. Das sind bestimmte Dinge. Es ist nicht mehr so, dass Sie alles bestehen müssen. Sie können dann auch Teilelemente auslassen. Die Bachelor of Science Eignungsprüfung ist zudem etwas kleiner. Aber bestimmte Voraussetzungen sind, natürlich schon zu bewältigen.  

A. B.: Also das heißt, man kann schon auch Schwächen, ausgleichen, das ist möglich?  

A. T.: Genau, in begrenztem Maße kann man Schwächen ausgleichen. 

A. B.: Und wie lange dauert die Vorbereitung so? Also wann fangen die Leute an? Machen die das ein Jahr vorher? Reicht das ein paar Wochen vorher?  

A. B.: Das kommt natürlich auf Ihre körperlichen Voraussetzungen, motorischen Voraussetzungen an. Wenn Sie in allen Sportarten mittelmäßig sind, Sie haben aber wirklich Lust, Sportwissenschaft zu studieren, dann müssen Sie halt früher anfangen, müssen Sie halt regelmäßig trainieren. Sie müssen Ausdauer trainieren, Sie müssen Kraft trainieren, Sie müssen Koordination trainieren und Sie müssen spezifisch dann natürlich auch die Sportarten, die dann nachher geprüft werden, trainieren. Für Leute, die sehr breit gefächert sind, die brauchen in der Regel dann nicht so viel an Training vorher. Ich würde aber trotzdem jedem, jeder empfehlen, die Sportwissenschaft studieren wollen, dass Sie sich auseinandersetzen mit der Prüfung: Was sind die Voraussetzungen? Wie sieht die Sporteingangsprüfung aus? Und sich gezielt mindestens ein halbes Jahr vorher dann darauf einzustellen und auch mal zu schauen, beispielsweise in einem Verein: Was kann ich, was kann ich nicht? Wo muss ich trainieren? Und wie muss ich trainieren?  

C. J.: Die Zeiten, die man da beispielsweise dann erreichen muss, sind ja vermutlich auch transparent. Die findet man heraus. 

A. T.: Genau, die sind transparent und man kann auch fragen.  

A. B.: Und muss man sich da früh anmelden für diese Prüfung?  

A. T.: Ja, auf der Homepage der Sportwissenschaft sind die Termine dann genannt. Das heißt, Sie müssen sich natürlich früher anmelden für die Sporteignungsprüfung, bevor Sie sich für das Studium jetzt letztendlich bewerben.  

A. B.: Also, es braucht einfach ein bisschen Vorplanung, dann durch diese Anforderungen. 

C. J.: Welche Fähigkeiten sollte man denn sonst noch mitbringen, abgesehen von den körperlichen Voraussetzungen, um die sportlichen Aktivitäten leisten zu können? Was sind Fähigkeiten, die gerade für die Sportwissenschaft vielleicht oder eben auch für die einzelnen angegliederten Fachbereichen, um die es auch inhaltlich geht, relevant sind?  

A. T.: Also, ich glaube, Sie sollten sich schon dafür interessieren, wie man Menschen zusammenbringt. Die Arbeit mit Menschen ist wichtig. Wenn Sie in der sportwissenschaftlichen Praxis arbeiten, haben sehr viele berufliche Tätigkeiten mit Menschen zu tun. Sie sind quasi sehr häufig so etwas wie ein Vermittler, ein Moderator oder jemand, der Menschen zusammenbringt, der Gruppen gestaltet, der Kooperation auf den Weg bringt. Dafür müssen Sie sich schon interessieren. Wenn Sie sagen: Okay, ich sitze lieber im Kämmerchen und arbeite für mich allein, dann ist das sportwissenschaftliche Studium wahrscheinlich nicht optimal. Weiterhin: Sie sollten relativ breit interessiert sein. Wenn Ihnen verschiedene Fächer gefallen und Sie sind sehr neugierig – das haben wir vorher auch gehört in der Aussage von den Studierenden – und Sie möchten unterschiedliche Disziplinen kennenlernen, dann ist das Studium für Sie genau richtig. Ich glaube, es gibt kein einziges Studium, das so breit gefächert ist, wo Sie so viele unterschiedliche Disziplinen kennenlernen. Das ist auch ein großer Vorteil der Absolventinnen und Absolventen. Die sind vielleicht nicht unbedingt Spezialisten in diesen Theorie-Gebieten, in den einzelnen, also in Soziologie, Psychologie und Medizin, aber sie haben überall eine relativ gute Grundausbildung. Das heißt, es fällt Ihnen auch relativ leicht, sich in fremde Themenbereiche einzuarbeiten, weil Sie eben schon was von der Sache verstehen.  

A. B.: Ja, das ist schon ein großer Fürsprech für das Studium. Wenn man das jetzt gerne studieren möchte, wie sieht es denn da so aus mit den Chancen auf den Studienplatz? Also ist das sehr begrenzt? Gibt es sehr viel mehr Bewerber:innen als Plätze? 

A. T.: Das hat sich in den letzten Jahren ein bisschen verändert. Also vor einigen Jahren war gerade Sportmanagement sehr extrem nachgefragt. Das heißt, es gab mindestens zehnmal so viele Bewerbungen wie Studienplätze. Bei Lehramt war es ähnlich. Im Moment ist allgemein ein Rückgang an Bewerbungszahlen zu verzeichnen, an fast allen Universitäten. Das heißt, die Chancen sind etwas besser geworden, aber es gibt immer noch mehr Bewerberinnen und Bewerber in den meisten Studiengängen, als letztendlich Studienplätze zur Verfügung stehen.  

A. B.: Wenn man einen Platz hat, dann gibt es eben diese Bandbreite an Möglichkeiten, in welche Richtung man sich orientieren und spezialisieren möchte. Hat man da die freie Wahl? Oder kommt es auch vor, dass man irgendwie in bestimmte Bereiche nicht reinkommt, weil das einfach überlaufen ist? Und welche Möglichkeiten hat man dann, das zu händeln im Studium?  

A. T.: Es wird schon versucht, dass alle, die studieren, auch tatsächlich die Möglichkeit haben die Dinge, die sie studieren müssen, zu studieren. Es ist natürlich auch ein zulassungsbegrenztes Fach, das heißt, es ist auch mit einem NC (Numerus Clausus) verbunden. Das heißt, nicht jeder, der sich bewirbt, bekommt automatisch den Studienplatz. Darüber wird dann natürlich auch reguliert, dass letztendlich nicht viel zu viele Leute da sind, die bestimmte Kurse machen müssen, weil dann hätten wir genau das Problem, dass das Studium nicht weitergemacht werden kann. Also das haben die Organisatorinnen und Organisatoren sehr gut im Griff.  

A. B.: Dann habe ich tatsächlich noch eine Frage, die sich so auf diese Praxisanteile bezieht, nämlich: Es kann ja immer mal sein, man sich verletzt entweder sogar im Studium oder in der Freizeit, und dann kann man vielleicht bestimmte Sachen nicht mehr so absolvieren, wie man das eigentlich im Studium müsste, wie das verlangt werden würde. Wie geht man damit um? Also welche Möglichkeiten hat man da? Und gibt es da irgendwie eine Art von Schutz während des Studiums, in der Praxis an der Universität?  

A. T.: Ich denke, wenn Sie Verletzungen haben, das Erste, was Sie machen müssen, ist, mit den Dozentinnen, Dozenten zu reden. Das heißt, man muss versuchen, Wege zu finden, wie Sie das Studium so gestalten können, dass möglichst wenig Zeitverlust damit verbunden ist. Das kann natürlich schon sein, wenn Sie eine bestimmte Sportart machen müssen, und Sie haben ein Kreuzbandriss, der Sie dann fast ein Jahr außer Gefecht setzt, dann ist das schon ein Problem. Hier gibt es die Studienberaterinnen und Studienberater, die helfen Ihnen dabei. Die Dauer des Studiums, das ist natürlich dann immer abhängig vom Prüfungsamt. Hier kann man natürlich auch Anträge schreiben auf eine Verlängerung für eine bestimmte Verletzung.  

A. B.: Dann können wir uns natürlich anschauen, wo man denn mit so einem Studium später beruflich sich betätigen kann, und hören da auch mal, was unsere Studierenden dazu gesagt haben.  

Berufsperspektiven (38:50) 

Studi 1: Die Frage, wie es beruflich weitergeht, ist natürlich die Hassfrage aller Studies, würde ich mal sagen. Ich weiß es noch nicht so 100 Prozent. Aktuell sieht es sehr stark danach aus, dass ich nochmal eine Promotion nach meinem Master mache und dann in die Richtung „RED-S“ gehe, also Relatives Energiedefizit im Sport.  

Studi 2: Nach dem Studium sind meine Wege natürlich bisschen begrenzt, dadurch, dass ich Lehramt studiere. Ich will auf jeden Fall auch Lehrerin werden. Das ist mein Berufswunsch.  

Studi 3: Da ich Lehramt studiere, sind meine Berufsziele schon klar formuliert. Ich möchte gerne Lehrer werden. Allerdings gibt es am Sportinstitut auch die Möglichkeit, parallel eines der anderen Profile zu studieren, falls man sich auch für eines der anderen Profile interessieren sollte. Damit kann man sich dann ganz gut die Zukunft offenhalten, was man genau am Ende machen möchte.  

Studi 4: Ich möchte später entweder in einem Sportverein tätig sein, im Bereich Sportmarketing, Sportsponsoring oder in einer Sporteventorganisation arbeiten und bei der Planung, Konzeption und Durchführung von Events mithelfen.  

Studi 5: Ich studiere auf Lehramt, da ist meine berufliche Perspektive ziemlich eindeutig. Obwohl man auch sagen muss, dass man wirklich gut ausgebildet wird und man deswegen nicht zwingend Lehrer werden muss, sondern auch einfach eine andere Richtung einschlagen kann. 

C. J.: Ich glaube, die Aussichten nach dem Sportstudium sind ziemlich gut, weil sie auch sehr breit gefächert sind. Ich glaube, es gibt ja sehr viele Sporteinrichtungen, sehr viele Vereine, auch Firmen, die Sportprodukte produzieren. Gibt es irgendwelche besonders außergewöhnlichen Berufsbilder, die Ihnen spontan einfallen würden, die man vielleicht so gar nicht auf dem Schirm hat? 

A. T.: Das ist relativ schwer. Im Sportstudium ist es natürlich so, dass Sie unterschiedliche Berufsfelder haben. Häufig ist es so, dass die Berufsfelder sich im Laufe des Studiums erschließen. Also, wie wir schon gehört haben, Lehramt ist natürlich klar. Wir werden auch in Zukunft Sportlehrerinnen und Sportlehrer brauchen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich das Fach auch verändert. Das heißt, das Fach wird zukünftig an Bedeutung gewinnen. Wir sehen das auch in der politischen Diskussion, dass es nicht mehr so einfach ist, Sport zu kürzen oder auszustreichen. Wir sehen, die Schule ist die einzige Institution, die alle Menschen erreicht. In einer Gesellschaft, die sich zunehmend digitalisiert, wo zunehmend Bewegungsmangel eigentlich Normalität wird, mit allen negativen Folgen sozial, psychisch, kognitiv, mit Blick auf Schulleistungen, aber auch medizinisch in langer Sicht: Hier hat der Sportunterricht eine ganz entscheidende Bedeutung. Gar nicht mal unbedingt als Bewegungsmangel-Kompensations-Einrichtung, sondern um die Menschen dazu zu bringen, dass sie in der Lage sind, sich in ihrer Freizeit selbstständig zu bewegen und zu wissen, wie sie sich bewegen, dass es gesundheitsförderlich ist, dass es Spaß macht, dass sie mit anderen in Verbindung kommen und auch später das in ihr Leben integrieren. Vor dem Hintergrund wird das Sport-Lehramt meines Erachtens an Bedeutung gewinnen. Ich persönlich bin sogar der Meinung, dass Sport in der Schule ein Hauptfach sein sollte. Da diskutiere ich häufig mit Vertreterinnen, Vertretern von anderen Bereichen. Ich denke, wie Mathe oder Deutsch gehört das im Grunde zu den Bildungsinhalten, die ganz zentral sind für eine Gesellschaft, für eine moderne Gesellschaft, die eben durch Digitalisierungsprozesse, gleichzeitig durch Individualisierung, aber auch durch zunehmend unklare Zukunftsperspektiven gekennzeichnet ist. Da ist der Punkt dann klar. Ich denke, die Berufsaussichten sind sehr gut. In den anderen Bereichen ist es etwas anders. Das heißt, Sie müssen sich Berufsfelder erschließen, beispielsweise indem Sie schon während des Studiums Praktika machen oder, dass Sie Lizenzen erwerben, die vielleicht notwendig sind, wenn Sie in dem Verein verschiedene Abteilungen leiten, im Großverein oder eine Geschäftsführung übernehmen. Dann macht es Sinn, unterschiedliche Sportarten auch so zu kennen, wie sie in Verbänden und Vereinen organisiert werden. Wenn Sie beispielsweise im Management oder im Marketing arbeiten wollen, wie es vorher gesagt wurde, beispielsweise in einer Firma, die Sportartikel produziert, macht es Sinn, dort mal ein Praktikum zu machen, um reinzuschnuppern und auch zu fragen: Was muss ich da eigentlich wissen? Das heißt, es ist deutlich weniger vorbestimmt. Berufsabsolvent:innen gibt es mannigfaltig. Also auch viele bekannte Menschen, die Sie vielleicht aus Funk und Fernsehen sozusagen kennen, haben Sportwissenschaft studiert und haben auch ihre Wege gefunden, vom Fernsehmoderator bis hin zum CEO von einem Großunternehmen.  

C. J.: Wie ist Ihr Eindruck? Reicht für viele von den Berufsbildern das Bachelorstudium, oder machen auch viele Student:innen dann den Master, um dann auch bestimmte Bereiche sich zu erschließen, dann auch in dem Berufsleben?  

A. T.: Ja, es kommt drauf an, ich habe die genauen Zahlen nicht, aber ein Master ist natürlich für Leute, die dann eine Führungsposition haben wollen, schon sinnvoll. Sie können sich dann noch etwas spezialisieren, noch etwas mehr spezialisieren, beispielsweise im Bereich des Sportmanagements oder wenn Sie Marketinginhalte brauchen. Aber es gibt auch eine ganze Reihe an Studierenden, die nach dem Bachelorstudium sagen, sie wollen zunächst mal praktisch arbeiten. Sie wollen beispielsweise in der Kinder-Sportschule Kinder unterrichten und die Bewegung von Kindern, die motorische Entwicklung von Kindern fördern oder Konzepte beispielsweise entwickeln für eine Volkshochschule oder so. Dann sammeln sie dort Berufspraxis und entscheiden sich vielleicht dann nachher noch ein Masterstudium irgendwo draufzusetzen.  

C J.: Und die Promotion ist vermutlich dann sinnvoll, wenn ich auch vor habe in der Wissenschaft zu bleiben und weiter sportwissenschaftlich zu forschen? 

A .T.: Genau, Promotion ist prinzipiell eigentlich vor allem dann sinnvoll, wenn ich Forschung machen will. Es gibt auch im Ausland Forschungseinrichtungen, die nicht unbedingt an die Uni angekoppelt sind, auch zum Teil in der Entwicklung von Sportartikeln, von Schuhen oder so. Da gibt es auch Abteilungen, in denen dann beispielsweise Leute arbeiten, die in Biomechanik promoviert haben. Aber in der Regel ist die Promotion natürlich der erste Schritt für eine Karriere an der Universität.  

C. J.: Klasse! Ich glaube, wir haben einen ziemlich guten Rundumblick erhalten? Hast du noch offene Fragen?  

A. B.: Nein, das wäre jetzt eben nur noch die Frage, ob Sie uns eventuell aus der Rubrik Insider-Tipps etwas mitgebracht haben. Das heißt also: Wir haben ja schon gesehen, es gibt eine ganze Bandbreite an Bereichen, aber vielleicht haben Sie noch mal einen besonderen Tipp, wenn man sich jetzt damit auseinandersetzt, das Fach zu studieren, wo man dann nochmal so ein bisschen weiterschauen könnte.  

Insider-Tipps (45:22) 

A. T.: Ja, ich glaube, eine Sache, die wir nicht vergessen sollten: Sportwissenschaft in Tübingen ist eines der wenigen Fächer, das tatsächlich weltweit zur Spitze gehört. Also jetzt im Weltranking, im Shanghai Ranking, nimmt die Sportwissenschaft in Tübingen bei den relativen Indikatoren einen Weltspitzenplatz ein. Das heißt, es ist hier wirklich eine sehr, sehr gute Einrichtung, die nicht nur in punkto sportpraktischer Ausbildung gut ist, sondern auch mit Blick auf Forschung. Damit ist Tübingen so in der Kategorie mit der Deutschen Sporthochschule Köln, die natürlich viel größer ist, aber auch zu den Weltspitzenorganisationen gehört. Das heißt, wenn man hierherkommt, macht man sicherlich nichts falsch. Man hat gute Dozentinnen, Dozenten, aber man hat auch ambitionierte Forschung, in die man als Studierende reinkommen kann und wo man mit partizipieren kann.  

C. J.: Gerade solche Netzwerke sind dann auch super wichtig immer, was sich dann später im Berufsleben zeigt. Ich meine, die Menschen und die Kontakte, die man während dem Studium kennenlernt, sind da, glaube ich, nicht zu überschätzen.  

A. B.: Das heißt, wenn ich jetzt neugierig bin auf das Sportstudium in Tübingen und was hier vielleicht auch so an Forschung passiert, dann schaut man ein bisschen auf die Institutsseite. Dort wird man dann auch sicherlich so auf diese verschiedenen Bereiche, Forschung, Studium kommen, um sich da tiefergehend zu informieren. Dann würde ich sagen, schließen wir hiermit. Schön, dass Sie da waren. Vielen Dank auch für Ihre Zeit!  

A. T.: Gerne!  

A. B.: Und Christoph, bis zum nächsten Mal!  

C. J.: Bis zum nächsten Mal! Ganz lieben Dank noch mal, dass Sie hier bei uns zu Gast waren, Herr Thiel!  

A. B.: Und ich sage noch an die Hörerinnen und Hörer, wir freuen uns natürlich immer über Feedback. Schreibt uns gerne, was euch besonders interessiert an hochschulreif@uni-tuebingen.de 

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Ansgar Thiel über die folgenden Themen:
01:29 Persönliche Motivation 
07:48 Studieninhalte 
23:22 Persönliche Voraussetzungen 
38:50 Berufsperspektiven 
45:22 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Sportwissenschaft:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #18: Physik

Was genau macht man im Physik-Studium? Warum dauert der Bachelor in Tübingen acht Semester? Welche Fähigkeiten sollte man mitbringen? Und wofür qualifiziert ein Physik-Studium? Wir sprechen mit Prof. Dr. Daniel Braun, Professor für theoretische Physik an der Universität Tübingen, über Studieninhalte, berufliche Perspektiven und viele weitere Fragen rund ums Physik-Studium. Außerdem verraten Tübinger Studierende, warum sie Physik studieren, was sie am Studium begeistert und welche beruflichen Wünsche sie haben.

Tags #Physik #Experimentalphysik #TheoretischePhysik
Listen
Alexandra Becker (A. B.): Herzlich willkommen zu „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch heute das Studienfach Physik vor, damit Ihr Bescheid wisst, was Euch im Studium so erwartet. Mit mir im Studio ist mein lieber Kollege Christoph Jäckle aus der Hochschulkommunikation. Schön, dass du da bist, Christoph!  

Christoph Jäckle (C. J.): Ja, ich freue mich auch hier zu sein! 

A. B.: Mein Name ist Alexandra Becker und ich bin vom Team der Zentralen Studienberatung. Für das Fach Physik haben wir heute Professor Dr. Daniel Braun im Studio. Daniel Braun ist Professor für Theoretische Physik an der Uni Tübingen und auch Studiendekan im Fachbereich Physik. Schön, dass Sie da sind, Herr Braun und herzlich willkommen bei „hochschulreif“!  

Professor Doktor Daniel Braun (D. B.): Vielen Dank. Es freut mich, dass ich dabei sein kann.  

A. B.: Bevor wir uns ausführlicher über das Physikstudium in Tübingen unterhalten, lassen wir unsere Tübinger Studierenden zu Wort kommen. Die haben wir nämlich gefragt, warum sie sich für das Studienfach Physik entschieden haben.  

Persönliche Motivation (00:53) 

Studi 1: Ich habe „Schweres Studienfach“ gegoogelt. Dabei war Physik mit darunter. Dann habe ich mich in der siebten Klasse dazu entschieden, Physik zu studieren und mich seitdem nicht mehr umentschieden.  

Studi 2: Ich studiere Physik auf Lehramt. Da war mir das Lehramt vorneweg erst mal wichtig. Dann habe ich mich für das Fach Physik entschieden, weil man dort immer mehr Dinge kennenlernt, die man eigentlich noch nicht wirklich gut kennt. Das ist eben sehr oft sehr beeindruckend. Man geht dann irgendwie mit einem ganz anderen Blick durch durchs Leben und durch die Welt, weil man einfach Prozesse in der Natur, um uns rum, erklären kann. Also zum Beispiel die Frage: Ich habe einen Kaffee und er ist zu heiß. Das heißt ich muss irgendwie Milch reintun, dass der kühler wird. Tue ich die Milch sofort rein oder warte ich ein paar Minuten und tue die Milch danach rein? Welche der beiden Optionen führt dazu, dass ich meinen Kaffee schneller auf einer genießbaren Temperatur habe?  

Studi 3: Ich habe mich damals für Physik entschieden, weil ich Mathe und Physik, also Rechnen generell, ziemlich gut konnte und mir das relativ viel Spaß gemacht hat. Bei mir war es ziemlich knapp zwischen Ingenieurssachen und Physik, das hat dann hauptsächlich der Studienort entschieden.  

C. J.: Ich muss gerade etwas schmunzeln, als der erste Student erklärt hat, dass er als Schüler irgendwann bei Google „Schweres Studienfach“ eingegeben hat und das dann seine Motivation verstärkt hat, Physik zu studieren. Herr Braun, Sie selbst haben auch Physik studiert. Sie haben damals vermutlich nicht „Schweres Studienfach“ gegoogelt. Wie sind Sie zur Physik gekommen?  

D. B.: Damals gab es noch gar kein Internet und keine Handys. Ich denke, meine Geschichte war ein bisschen besonders. Meine Eltern haben ein Haus gebaut und hatten dann auch relativ viel Platz. Da konnten mein Bruder und ich nach Herzenslust experimentieren. Wir haben alte Elektroniksachen auseinandergebaut: Alte Radios, Fernseher oder Waschmaschinen, was auch immer so beim Sperrmüll war. Wir haben Teile rausgelötet und wieder neu zusammen verdrahten. Wir haben irgendwelche Elektrolyse-Experimente gemacht und auch mit Chemikalien ein bisschen herumexperimentiert. Irgendwann kam dann auch so ein bisschen das Interesse an der Mathematik. Aber ich wusste eigentlich schon – so wie der Student es auch gerade gesagt hat – zu Anfang der Gymnasiumszeit an, dass ich Physik studieren wollte, also noch bevor, wir das überhaupt in der Schule hatten. Dann kam Mathematik rein und dann habe ich ein bisschen an Elektronik gedacht. Es war aber dann relativ schnell klar, dass ich bei der Physik bleibe. Es wurde auch über die Jahre immer mehr verstärkt durch Lektüre von populärwissenschaftlichen Zeitungen, wie Bild der Wissenschaft zum Beispiel, die hatten meine Eltern abonniert. Da waren einfach so viele spannende Sachen drin, da habe ich mich echt drin vertieft und so war das eigentlich ganz natürlich, dass ich am Ende bei der Physik gelandet bin.  

A. B.: Sie haben ja ganz viele so praktische Experimente gemacht und sind jetzt in der Theoretischen Physik, richtig?  

D. B.: Ja, so ist es. Ich denke, viele Leute kommen auch über die Mathematik zur Physik. Bei mir war das anders, also ich kam wirklich über die Experimente und das Rumprobieren, Ausprobieren und Sachen auf spielerischem Niveau erforschen zur Physik. Die Mathematik kam am Ende dazu und ich denke, das ist auch etwas, was man wirklich braucht in der Physik. Wirklich ohne Mathematik-Affinität, Physik zu studieren, das kann man schon machen, aber ich denke, viele tolle Eingebungen und ein tiefes Verständnis kommen dadurch, dass man auch Mathematik versteht. Bei mir ist das eine tolle Kombination, die Theoretische Physik, denn das ist irgendwo zwischendrin. Reine Mathematik wollte ich auch nicht machen. Das ist zu abstrakt und zu abgedreht und so weit weg von der realen Welt. Wir haben auch gerade gehört: Mit der Physik kann man unglaublich viel in der Welt verstehen. Das revolutioniert das eigene Weltbild und das Verstehen der Welt und das ist etwas, was ich auf keinen Fall missen wollte.  

C. J.: Gibt es irgendeine Fragestellung, mit der Sie sich gerade oder in den letzten Jahren selbst beschäftigt haben, die auch für Personen, die sich noch nicht in der tiefen Physik Materie befinden nachvollziehbar ist? Wo Sie sagen können: Ich habe mich damit beschäftigt?  

D. B.: Ich mache hauptsächlich Quantenmetrologie, das ist die Wissenschaft des Messens mit Hilfe von quantenmechanischen Effekten. Damit kommt man in der ganzen Physik rum, das ist das Tolle daran. Man kann sehr viele verschiedene Bereiche der Physik dann besuchen. Ich bin nicht Experte in allen Bereichen der Physik, aber ich kann hinreichend viel Physik überall verstehen, um mit den Leuten zu reden. Dann können wir uns überlegen, wie können wir Dinge präzise messen? Ein Beispiel, an dem wir jetzt schon eine Weile arbeiten, ist die Gravitation von Teilchenstrahlen. Am LHC im CERN (Teilchenbeschleuniger am Europäisches Kernforschungszentrum) haben sie zum Beispiel diesen extrem hochenergetischen Teilchenstrahl. Wir haben uns ursprünglich überlegt, ob man das Gravitationsfeld von Laserstrahlen messen kann. In beiden Fällen hat man sehr hochenergetische Strahlen. Im einen Fall ist es das Licht, im anderen Fall sind es diese Teilchenstrahlen. Beides wurde bisher noch nie gemessen, weil der Effekt unglaublich schwach ist. Sie müssen keine Sorge haben, ein Laserstrahl zieht Sie zwar an, gravitativ mit seiner Schwerkraft, aber das ist unglaublich schwach. Dann überlegt man, was die Voraussetzung wären, um das messen zu können mit einer Technologie, mit quantenmechanischen Methoden. Mit dem Laserstrahl wird es wohl schon sehr schwierig, rein aus technischen Gründen. Aber es gibt diesen Protonenstrahl. Der hat noch mal mehr Energiedichte als der Laserstrahl machen kann. Das Faszinierende ist, dass dort nicht Masse die Quelle der Gravitation ist, sondern fast reine kinetische Energie. Das heißt Teilchen bewegen sich, sie haben eine sehr große kinetische Energie. Man kann sich das ein bisschen so vorstellen, wie nach Einstein, E=mc2 (E gleich mc im Quadrat), ist Masse auch mit Energie verknüpft. Das ist ein bisschen anders in Realität, aber die Vorstellung steckt dahinter. Man kann also aufgrund dieser kinetischen Energie eine gravitative Wechselwirkung erzeugen mit Sensoren, die versuchen, das zu messen. Das analysieren wir in der Quantenmetrologie sehr ausführlich und machen dann Voraussagen, mit welcher Art von Experiment man vielleicht dahin kommen würde, das messen zu können. 

C. J.: Kann man als Student:in solche Experimente, solche Forschungen schon nachvollziehen, oder ist es dann ein Level, wo Sie sagen, da muss man sich länger damit beschäftigen?  

D. B.: Einen Teil kann man auf jeden Fall schon nachvollziehen. Das Gravitationsgesetz lernt man ja schon in der Schule. Tatsächlich sind die Experimente, die man dann vorschlägt, auch gar nicht weit von dem weg, was man eigentlich so fundamental im Grundstudium schon lernt. Harmonischer Oszillator, das ist einfach ein Teilchen, das eine Feder angeknüpft hat. Dann agiert diese Gravitationskraft auf dieses Teilchen, an der Feder und bewegt das ein bisschen. Das ist das Grundprinzip, das kann man also sehr gut verstehen. Und dann kommt natürlich eine Menge anderer Teile rein, wie Quantenrauschen von Luft zum Beispiel. Also man hat immer ein gewisses Rauschen. Das ist meistens ein technisches Rauschen, von diversen Quellen; Leute laufen vorbei oder die Metro rattert vorbei irgendwo in vielen Kilometern Entfernung. Das kann man alles schon messen. Aber dann ist irgendwann auch fundamentales Rauschen aus der Quantenmechanik da, quantenmechanische Unschärfe. Wie man damit umgeht, wie man das am besten steuert, vielleicht auch reduzieren kann, da braucht man ein bisschen mehr Physik. Aber auch dort hat man die Grundlagen schon im Grundstudium.  

C. J.: Dann würde ich sagen, wir gehen gleich mal tiefer rein in die Inhalte des Physikstudiums und hören uns mal an, was die Tübinger Studenten uns erzählt haben, wie bei ihnen so eine typische Studienwoche aussieht.  

Studieninhalte (08:21) 

Studi 1: Montags und freitags ist meist frei. Am Dienstag, Mittwoch, Donnerstag fahre ich sehr früh zur Uni. Die Vorlesungen sind um 8:15 Uhr. Ich verbringe den Vormittag an der Uni, gehe dann nach Hause, mache Sport und bereite noch ein paar Vorlesungen nach. Am Wochenende muss ich eigentlich nichts für die Uni machen. Das ist alles relativ entspannt.  

Studi 2: Dieses Semester habe ich zwei Theorievorlesungen zur Quantenmechanik und eine Vorlesung in Experimentalphysik, zu Atommolekülen und Licht, also Quantenoptik. Es sind also diese drei Vorlesungen in der Woche. Dann gibt es ein Übungsblatt und dann bearbeitet man im Verlauf der Woche dieses Übungsblatt. Da bespricht man sich viel mit seinen Kommilitoninnen und Kommilitonen, man überlegt gemeinsam, man rätselt gemeinsam. Wichtig ist halt immer, dass man gemeinsam arbeitet. Also Studieren und im speziellen auch Naturwissenschaft studieren, ist keine Einzelarbeit.  

Studi 3: Wenn du Physik studiert, dann verbringst du relativ viel Zeit an der Uni und auch damit, die wöchentlichen Übungsblätter zu lösen. Die meisten Vorlesungen sollte man schon besuchen und es gibt Pflicht-Tutorien, bei denen diese wöchentlichen Übungsaufgaben vorgerechnet werden. Man hat schon auch ein Sozialleben nebenher. Wir hocken immer alle ganz gerne beisammen.  

Studi 4: Man hat Vorlesungen, dazu Übungsblätter. Der Großteil der Zeit geht für die Nachbereitung und die Übungsblätter drauf. Aber das ist wirklich cool und macht auch ziemlich viel Spaß. Vor allem das Gefühl, wenn man eine Übung gelöst hat, ist sehr gut.   

A. B.: Übungsblätter lösen, das scheint ein sehr wichtiger Teil des Studiums zu sein. Wie sieht denn typischerweise das Studium aus, wenn man mit dem Bachelor beginnt? Was sind so die generellen Bereiche, mit denen man da startet?  

D. B.: Das Studium in der Physik ist eigentlich ziemlich gut strukturiert. Das liegt einfach an dem Aufbau der Physik. Man fängt in Tübingen mit zwei Grundkursen an. Das sind integrierte Kurse bei uns, da Experimentalphysik und Theoretische Physik zusammenspielen. Da werden dann Experimente gezeigt und dann in Abwechslung mit den theoretischen Kolleginnen und Kollegen werden dort dann eben auch die theoretischen Grundlagen, meistens ein bisschen Mathematik, den Studierenden beigebracht. Es fängt also an mit Klassischer Mechanik und Wärmelehre und geht dann weiter im zweiten Semester mit Elektrodynamik. Im dritten Semester spaltet sich das dann schon. Es gibt dann noch einen integrierten Kurs, aber der ist dann eigentlich nicht mehr integriert, sondern wirklich Experiment und Theorie schon getrennt. Es geht also weiter mit Analytischer Mechanik, das ist fortgeschrittenere klassische Mechanik und gleichzeitig experimentell mit der Optik. Und dann fangen die wirklichen theoretischen Vorlesungen an. Erst nochmal die Quantenmechanik etwas ausführlicher. Dann geht es weiter mit Thermodynamik und Statistik. Dann kommt irgendwann die Klassische Feldtheorie dazu. Gleichzeitig kommen auf der experimentellen Schiene die ganzen Felder der Physik letztlich vor, also eben auch Atome, Moleküle, Licht, dann Festkörperphysik, Astro- und Teilchenphysik und Kernphysik. Das sind also die Grund-Module, die jeder Mann und jede Frau braucht. Und dann gibt es gleichzeitig parallel, von Anfang an Ergänzungsmodule. Die können bei uns relativ frei gewählt werden. Nur ein relativ kleiner Teil der Credit-Points (Leistungspunkte, die im Studium erworben werden müssen) kommt hier tatsächlich aus der Physik, die anderen sind normalerweise aus den anderen Fächern in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, also Chemie wäre ein Beispiel oder Informatik. Da kann man dann Kurse wählen. Dann ist natürlich sehr viel Mathematik auch dabei. Von Anfang an haben die Studierenden echte Mathematik-Vorlesungen, wie zum Beispiel Analysis und Lineare Algebra. Das ist auch sehr wichtig und begleitend. Es ist nicht mehr völlig synchronisiert mit dem, was in der Physik passiert. Das sind einfach die Grundlagen, um dann fortgeschrittenere Sachen, wie Quantenmechanik oder die Allgemeine Relativitätstheorie zu verstehen. Das sind also begleitende Studieninhalte aus der Mathematik. Dann ein bisschen später im Studium gibt es die Vertiefungsfächer. Da können die Studierenden relativ frei wählen, was eben so ihre Präferenzen sind. Da gibt es dann Fächer wie Quantenoptik oder Fortgeschrittene Festkörperphysik oder nochmal Teilchen- und Astrophysik, oder auch Nano-Physik und Biologische Physik. Also, es gibt in Tübingen eigentlich fast alles aus der Physik, bis auf Econophysics. Das ist auch ein Zweig der Physik, wo es dann in Richtung Wirtschaftswissenschaften geht. Aber was Physik insgesamt betrifft, kann man in Tübingen eigentlich so ziemlich alles belegen und lernen.  

A. B.: Mathe, das haben Sie ja jetzt auch schon mehrmals erwähnt, ist ein großer Anteil, dann eben und auch ein wichtiger im Physikstudium.  

D. B.: Genau also, es begleitet einen eigentlich die ganze Zeit, aber die Grundlagen werden wirklich schon in den ersten vier Semestern gelegt. Aber man lernt natürlich unterwegs dann Mathematik immer wieder aus einem neuen Blickwinkel, wie man es eben braucht in der Theoretischen Physik. Es ist immer noch überschaubar. Ich will sagen, die Mathematik, die man im Studium lernt, ist natürlich schon deutlich mehr, als was man am Gymnasium so macht. Aber das verallgemeinert de facto viele Dinge, die die Studierenden eigentlich im Gymnasium lernen. Vielleicht sind Differenzialgleichungen ein gutes Beispiel. Als wir damals in der Schule Mathematik hatten – ich habe Mathe als Leistungskurs gemacht – da gab es am Ende schon eine Anspielung, auf Differenzialgleichungen. Das wurde auch in der Physik schon benutzt. Vom harmonischen Oszillator, der Differentialgleichung zweiter Ordnung der Zeit, linear, kann man mit Sinus- und Kosinusfunktionen lösen, aber das ist eigentlich ein einfaches erstes Beispiel von Differenzialgleichungen. In der Analysis wird das dann verallgemeinert und man bekommt auch den Bezug zur Linearen Algebra, den Bezug zu Funktions-Systemen, die sich dann wie Vektoren verhalten. Da ist viel verallgemeinert, aber es ist immer noch sehr überschaubar. Wenn man später professioneller Theoretischer Physiker ist, wird man immer wieder neue Mathematik lernen. Auch die theoretische Physik ist wirklich sehr viel mathematischer geworden im Laufe der Jahre, als es früher der Fall war. Wenn man in alte Papers reinschaut, die Ende des 19. Jahrhundert oder selbst Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts veröffentlicht wurden, da waren viele Gesetze, die gefunden wurden, noch gar nicht in Formeln formuliert, sondern wirklich in Sätzen. Zum Beispiel das Potenzgesetz war in Sätzen formuliert. Das macht man heute nicht mehr. Heute werden überall mathematische Symbole eingeführt und Gleichungen aufgeschrieben.  

A. B. Sie haben jetzt auch schon die theoretische und die praktische Schiene ein bisschen skizziert. Was wären denn zum Beispiel so spezifische Sachen, die man im praktischen Anteil macht? Ich nehme an, das ist dann im Labor, wo die Studierenden Sachen erproben. Was macht man da zum Beispiel?  

D. B.: Es gibt relativ viele Versuche aus der ganzen Physik, also Strömungsversuche, was auch Mediziner lernen. Zum Beispiel was der Durchfluss durch ein bestimmtes Rohr mit einer bestimmten Viskosität der Flüssigkeit ist. Dann Versuche aus der Elektrodynamik. Und es gibt auch ein spezifisches Elektronik-Praktikum. Dann gibt es Optik-Versuche, Linsenmikroskope, Abbildungssysteme und solche Sachen. Das ist sehr breit und baut natürlich auch aufeinander auf.  

C. J.: Und zieht sich das auch durch das gesamte Studium, oder es ist das dann vor allem am Anfang vom Grundstudium? 

D. B.: Das ist schon de facto studienbegleitend und das fortgeschrittene Praktikum machen viele Studierende bis ganz am Ende des Studiums. Das braucht relativ viel Zeit, diese Versuche zu Ende zu bringen, die Protokolle zu schreiben. Manchmal zieht sich das relativ lange hin, aber ja, das ist eigentlich studienbegleitend von Anfang an.  

A. B.: Nur, dass es keine Verwechslung gibt, damit meint man dann das Labor-Praktikum an der Uni und nicht ein externes Praktikum.  

D. B.: Genau, also wir schlagen Studierenden vor, dass sie ein Praktikum auch außerhalb machen. Da geht es eigentlich mehr um Berufsperspektiven. Was kann man alles machen, wenn man Physiker ist? Also man hat das auch nicht unbedingt auf dem Radar während des Studiums, was es alles außerhalb der Universität gibt. Aber Physikerinnen und Physiker sind in ganz vielen Bereichen unterwegs, nicht nur an der Uni. So ein Praktikum ist gut, um die Perspektive zu öffnen, dass es auch in der Industrie und in der Forschung außerhalb der Uni interessante Probleme gibt, zu denen Physikerinnen und Physiker etwas beitragen können, auch in ganz anderen Bereichen wie der Wirtschaftsberatung zum Beispiel.  

A. B.: Das macht man dann aber nicht innerhalb von einem ganzen Semester, sondern in der Semesterpause, in der vorlesungsfreien Zeit?  

D. B.: Ja, das wäre die ideale Situation. 

C. J.: Gibt es im Bachelorstudium schon die Möglichkeit, selbst inhaltliche Schwerpunkte zu setzen?  

D. B.: Ja, auf jeden Fall. Diese Vertiefungsfächer sind dafür da, dass die Studierenden eigene Schwerpunkte setzen, und das fängt nach dem vierten Semester an, in der Regel.  

C. J.: Von acht Semestern und damit ist das auch schon ein Punkt, der ein bisschen besonders ist für das Physikstudium hier in Tübingen. Die meisten Bachelorstudiengänge gehen sechs Semester und dann noch mal vier Semester im Master.  

A. B.: Das gilt im Bachelor of Science Physik. Also, wir müssen noch immer ein bisschen differenzieren zwischen dem Bachelor of Education, der geht sechs Semester, aber der Bachelor of Science in Physik ist da speziell.  

D. B.: Genau, da haben wir in Tübingen eine besondere Rolle. Soweit ich weiß, gibt es nur drei Universitäten in Deutschland, die den Bachelorstudiengang Physik über vier Jahre – also acht Semester – anbieten. Das hat historische Gründe und inzwischen gibt es auch andere Unis, die wieder in diese Richtung gehen wollen. Es kommt ursprünglich von dem Diplomstudiengang. Da war die Regelstudienzeit fünf Jahre, davon vier Jahre Studium, de facto mit zwei großen Prüfungen am Ende, Theorie- und Experimentalphysik und dann einer Diplomarbeit. Und dieses Modell, was wirklich sehr bewährt war, wurde hier in Tübingen auf dieses Bachelor-Master-Studiensystem aufgestülpt. Ich selbst finde es auch ganz gut, weil man mit drei Jahren Physikstudium noch Vieles nicht weiß. Natürlich kann man das immer sagen. Die Physik an sich ist so groß, dass man natürlich beliebig lange weiterstudieren kann, auch die, DPG, die Deutsche Physikalische Gesellschafft, empfiehlt, dass man nicht nach dem Bachelor aufhört, und da hat sie natürlich hauptsächlich den dreijährigen Bachelor im Sinne. Aber auch mit vier Jahren Bachelorstudium ist man eigentlich noch nicht ein fertiger Physiker oder eine fertige Physikerin. Also wir empfehlen auch allen, den Master wirklich dazu zu machen.  

A. B.: Der ist dann dafür aber auch einjährig, zumindest einer von den Masterstudiengängen.  

D. B.: Genau, und der Masterstudiengang läuft dann eigentlich auch hauptsächlich so, dass ein eigenständiges Forschungsthema bearbeitet wird, über ein Jahr hinweg. Also offiziell ist es gesplittet in ein Semester Einarbeitung, Methodenkenntnisse lernen und Strukturierung des Forschungsthemas. Aber in der gelebten Praxis ist das von Anfang an wirklich Arbeiten an einer Masterarbeit. Da kann man also erfahrungsgemäß schon relativ viel machen. Also viele von diesen Masterarbeiten führen dann auch zu Veröffentlichungen und münden oft auch in einer Doktorarbeit am Ende. Das muss nicht sein, aber man kann wirklich schon eine echte Forschung machen.  

A. B.: Das heißt aber, man macht auch eine Abschlussarbeit nach dem Bachelor, nur viel kleiner.  

D. B.: Genau!  

A. B.: Und dann könnte man entweder das Thema, oder auch ein neues Thema aufgreifen und das im Master dann in einem Jahr bearbeiten?  

D. B.: Genau, es gibt natürlich auch eine Bachelorarbeit. Die geht allerdings nur drei oder vier Monate, je nachdem, wann man sie anmeldet. Man macht natürlich auch dort schon ein Forschungsthema, aber das ist meist überschaubar und es geht natürlich weniger in die Tiefe, wie man das jetzt machen kann, wenn man ein Jahr an was arbeitet. Von dem her empfehlen wir diesen Master wirklich sehr und empfehlen das wirklich allen, die Physik studieren. Man hat dann einfach schon mehr Erfahrung, was es bedeutet, Forschung zu machen. Ich denke, das ist auch ein Punkt, der in der Ausbildung etwas problematisch ist, dass man eben erst am Ende erfährt, was es bedeutet, echte Forschung zu machen, also ergebnisoffene Forschung. Man weiß nicht, was rauskommt, man weiß nicht, ob die Idee, die man ursprünglich hatte, funktioniert. Natürlich ist da sehr viel Begleitung drin durch die jeweiligen Dozentinnen und Dozenten, die die Betreuenden sind. Aber trotzdem, es ist irgendwo ergebnisoffen, und ein Dozent kann sich ja auch täuschen mit dem, was er denkt, was funktioniert. Dann kann es schon sein, dass man eben auch selbst nach Methoden suchen muss, mit denen man das Thema dann wirklich bearbeiten kann, wenn die erste nicht funktioniert. So ein bisschen bekommen die Studierenden das natürlich während des Studiums in diesen Übungsblättern und Übungsaufgaben mit. Da muss man viel Knobeln und Versuchen und erneut Versuchen und man versteht es nicht und muss es noch mal versuchen. Da ist ganz viel Frustration dabei. Aber das gehört dazu und es wird zu einem gewissen Maß auch aufgefangen, dadurch, dass die Studierenden miteinander kommunizieren können. Das funktioniert heute noch viel besser als damals bei mir im Studium. Damals gab es diese ganzen Handys und das Internet und Chat-Groups und so natürlich nicht. Man musste sich so finden in den Übungen und auch danach. Aber heutzutage ist es völlig selbstverständlich und es ist auch gut so, dass wirklich alle versuchen, miteinander zu kommunizieren und Sachen zusammen zu lösen. Aber trotzdem, Verständnis passiert im eigenen Kopf. Also, es nützt nichts, wenn am Ende alle auf einen einreden und sagen, es geht so und so, aber man hat es selbst nicht verstanden. Man muss da in gewissem Ausmaß durch die Frustration. Dann macht es irgendwann Klick und man hat es verstanden und dann kann man auch wieder weitergehen. Man ist wirklich – wie wir gehört haben in einem Beitrag – total happy, wenn man etwas verstanden hat. Das ist ein echtes Erfolgserlebnis, wenn man da weitergekommen ist, wenn es auch nur ein kleiner Schritt ist.  

C. J.: Fallen Ihnen ein, zwei Beispiele von Abschlussarbeiten ein, die Sie kurz skizzieren oder nennen könnten?  

D. B.: Ja, ich hatte gerade eine Bachelorarbeit von einem Studenten, der sich mit Quanten-Imaging beschäftigt hat. Da geht es also um quantenmechanische Verbesserung von Abbildungsmethoden, also Mikroskopen oder Teleskopen. Er hat wirklich eine schöne Arbeit gemacht, wo es darum ging, wie man die Information zunächst einmal in wenigen Moden konzentrieren kann. Moden sind dabei gewisse Schwingungen des Elektromagnetischen Feldes in diesem Falle. Das ist auch noch kombiniert dann mit den klassischen Abbildungsmethoden, also viele Lichtfasern kombiniert mit jeweils einer Linse oder mit mehreren Linsen zum Beispiel und das alles eben auch geometrisch kombiniert. Man bekommt dann eben raus, dass man tatsächlich das Auflösungsvermögen, so wie wir es eigentlich alle noch im Studium gelernt haben, also auch ich, noch verbessern kann, jenseits dessen, was eigentlich als normaler Standard gesehen wird. Also ein relativ aktuelles und spannendes Thema und auch diese Bachelorarbeit hat gezeigt, dass man mit quantenmechanischen Effekten deutlich bessere Abbildungsverfahren gewinnen kann.  

A. B.: Jetzt ist man ja, wenn man so eine Abschlussarbeit macht, im Grunde schon bald am Ziel angelangt. Dafür muss man natürlich das richtige Studienfach für sich gewählt haben, was natürlich auch bedeutet, dass es so bestimmte Voraussetzungen gibt, die man vielleicht mitbringen sollte. Wir haben Studierende gefragt, was sie denn so an ihrem Fach begeistert, und kommen dann auch zu den Voraussetzungen, die wichtig für das Studium sind.  

Persönliche Voraussetzungen (23:42) 

Studi 1: Mich begeistert, dass man immer neue Dinge kennenlernt, auch Dinge, die auf den ersten Blick vielleicht abwegig erscheinen.  

Studi 2: Mich begeistert, dass man Lösungen für Probleme finden kann, die unter bestimmten Voraussetzungen immer gelten, und außerdem, dass man einen sehr breiten Einblick in viele Fächer bekommt, sowohl Mathematik, Informatik und halt eben auch Physik.  

Studi 3: Physik ist insofern genial, als dass man praktische Anwendungen hat und als dass man alles aufgrund von Naturgesetzen basieren kann. Das heißt, die Meinung des Professors muss nicht unbedingt richtig sein und es ist auch nicht unbedingt so, dass der Professor einem sagt, das stimmt, und dann stimmt es so. Wir richten uns nach den fundamentalen Gesetzen der Natur und nicht nach der Laune oder den Ideen des Professors.  

Studi 4: Mich begeistert am Physikstudium, einfach Dinge von Grund auf zu verstehen, Dinge rigoros beschreiben und vorhersagen zu können und Parallelen zu sehen. Also man merkt, das kann man auch dort anwenden und diese Dinge sind allgemeingültig und man kann sich in alles so ein bisschen reindenken. Und diese Fähigkeit, das zu lernen, das macht enorm Spaß.  

C. J.: Was begeistert Sie denn selbst nach wie vor an Ihrem Fach?  

D. B.: Tatsächlich dieses grundlegende Verstehen, dass man wirklich alles nachvollziehen und noch tiefer und besser als andere verstehen kann. Man kann unglaublich viel in unserem Alltagsleben einfach einordnen, also Größenordnungen verstehen. Also fast immer, wenn ich einen Artikel lese, wo viele Zahlen drinstehen, kann ich das einfach mal überschlagen und mich fragen: Kann das so sein? Und meistens stellt man fest, dass da doch irgendeine Größenordnung oder Einheit falsch ist. Also es hat wirklich sehr viel Bezug zur Realität, die uns umgibt. Gleichzeitig ist dieses Versuchen, ganz tief zu Verstehen bei mir immer noch nach wie vor sehr motivierend. Also, wie ich vorhin sagte, die Allgemeine Relativitätstheorie zu testen, was die Gravitation von Licht ist zu testen – das wurde noch nie wirklich gemessen – und an diesen fundamentalen Fragen weiterzuarbeiten, begeistert mich. Was ist eigentlich die Grundlage der Quantenmechanik? Also nach wie vor wissen wir nicht genau, wie die Wellenfunktion zu verstehen ist. Selbst nach 100 Jahren Quantenmechanik, die wir benutzen und die fantastisch funktioniert, ist die Frage danach, was das eigentlich bedeutet, nach wie vor präsent. Die wird immer wieder unter neuen Gesichtspunkten gestellt und in den letzten 20 Jahren mit der Quanteninformation sind hier wieder neue Aspekte aufgetreten. Wie verhält sich Quantenmechanik zur Informationstheorie? Solche Sachen entwickeln sich einfach immer sehr viel weiter und man versteht die Dinge tiefer und besser und unter neuen Gesichtspunkten.  

A. B.: Ich finde es ganz spannend, dass Sie auch sagen, dass Sie Artikel mit einem besonderen Fokus lesen, wenn da Zahlen stehen. Ich überspringe die immer automatisch, wenn ich mich nicht selbst ermahne, sie mitzulesen. Ich bin aber auch Germanistin und Philosophin. Wenn man sich jetzt fragt, ob das das richtige Studienfach für einen ist, was sind denn Ihrer Meinung nach Voraussetzungen, die man mitbringen sollte?  

D. B.: Ja, ich würde sagen, auf jeden Fall mal diese Neugierde überhaupt Sachen zu hinterfragen, ein bisschen zu graben und an der Oberfläche zu kratzen und zu gucken, was ist denn dahinter und sicherlich auch viel Freude am Rumspielen. Also ich hatte ja auch erwähnt, wie ich zur Physik kam. Das war einfach ein Spiel. Ich denke, dieser Spieltrieb, Sachen einfach auszuprobieren, Sachen kaputt zu machen, zu gucken, wie kann man es wieder zusammensetzen, dieser Spieltrieb ist, glaube ich, ganz wichtig für die Kreativität in der Physik, wahrscheinlich auch in den anderen Naturwissenschaften. Man sollte, denke ich, auch relativ viel Geduld mitbringen. Wie wir schon besprochen haben, ist das Lösen von Übungsaufgaben nur ein Beispiel davon, dass die Forschung an sich natürlich schon sehr lange dauert. Also man kann gute Ideen haben, aber die wirklich auszuarbeiten und zu schauen, funktioniert es oder nicht, oder vielleicht anders, als ich dachte, dafür muss man schon relativ viel Geduld mitbringen und das auch aushalten, dass es immer wieder schief geht. Diese Frustrationstoleranz ist etwas, was man im Studium lernt. Irgendwann sieht man das ein bisschen gelassener. Es kann aber am Anfang schon ein bisschen destabilisierend sein. Wenn man an einer Arbeit dran ist und sich darauf fokussiert und alles reinsteckt und dann geht es schief oder es funktioniert nicht oder es ist irgendwie ein Widerspruch drin, am Ende muss man es wieder von vorne aufdröseln und dafür braucht man schon sehr viel Geduld. Aber man lernt das eben auch im Laufe des Studiums. Ich denke, das ist auch eine tolle Sache, Dinge ein bisschen gelassener zu sehen und ihnen trotzdem auf den Grund zu gehen, nicht nachzugeben und weiter zu forschen.  

A. B.: Wenn am Ende Teile übrig sind, dann hat man irgendwie was falsch gemacht.  

C. J.: Oder eine super neue Lösung gefunden.  

D. B. Man hat dabei gelernt, also wenn was kaputt ist, hat man da vielleicht zumindest gelernt, wie es vielleicht besser funktioniert.  

C. J.: Oder wie es nicht funktioniert. Haben die meisten Studierenden dann schon Physik als Leistungskurs in der Schule belegt oder haben auch Abitur in Physik gemacht? Wie sind da so die Erfahrungswerte?  

D. B.: Ja, das würde ich schon sagen, dass die meisten das gemacht haben. Das ist aber keine absolute Voraussetzung. Man braucht aber Abitur. Es hilft natürlich, wenn man sich schon mit Physik beschäftigt hat, bevor man anfängt es zu studieren. Man sollte auch einigermaßen affin mit Mathematik sein. Aber es gibt eine ganze Bandbreite an Physik, die man machen kann, also von extrem angewandter, bei der man fast keine Mathematik braucht, weil die Kollegen erzählen, was die Gleichungen sind und das Beschreiben, bis hin zu extrem mathematischer Physik. Also, mathematische Physik ist schon eigentlich wirklich auch Mathematik. Mathematik hat sich auch weiterentwickelt im Laufe der Jahrhunderte, durch die Wechselwirkung mit der Physik. Da kann man sich schon extrem weit bewegen, von fast keiner Mathematik bis zu extrem fortgeschrittener Mathematik, und typischerweise finden alle irgendwo ihre Nische dazwischen.  

C. J.: Gibt es die Möglichkeit, Vorkurse zu belegen, bevor das Studium beginnt, um die Kenntnisse wieder aufzufrischen? Vielleicht hat man das Gefühl noch nicht so tief drin zu sein, weil man gerade zum Beispiel zwei Jahre verreist war oder noch irgendwas ganz anderes gemacht hat. 

D. B.: Ja, auf jeden Fall. In der Mathematik bieten wir Vorkurse an. Die sind auch extrem populär und werden sehr gut besucht und sind sicherlich sehr nützlich. Die kann ich auf jeden Fall allen empfehlen!  

A. B.: Wir haben ja auch keine Zulassungsbeschränkung für das Physikstudium. Das heißt, wenn man die Bedingungen erfüllt, kann man sich einschreiben, um an der Uni Tübingen Physik zu studieren. Wie ist es denn mit der Abbruchsquote? Wenn ich mich jetzt eingeschrieben habe, heißt das natürlich noch nicht, dass ich das bis zum Ende durchhalte. Also gibt es da vielleicht so einen magischen Punkt, wo die Leute sich so ein bisschen aussortieren, oder wie funktioniert das?  

D. B.: Ja, also, ich muss gestehen, die tatsächlich numerische Abbruchquote weiß ich gar nicht genau. Die ist auch relativ schwierig zu bestimmen. Die Mathematik ist sicherlich ein Knackpunkt für viele. Da muss man wirklich durch. Es gibt aber natürlich dann auch Wiederholungsprüfungen. Wenn man einmal durchfällt, ist das noch nicht das Ende des Studiums. Es ist von Anfang an relativ tolerant gestrickt. Manche Prüfungen kann man nur zweimal, vielleicht dreimal wiederholen. Es kommen natürlich nicht alle durch am Ende. Manche entscheiden, dass sie lieber etwas anderes machen möchten und das ist auch okay. Wenn man für sich feststellt, das ist vielleicht doch nicht so mein Fach, finde ich es besser, wenn man sich das eingesteht und sich neu orientiert. Wie gesagt, ich habe jetzt keine genaue Zahl an Leuten, die abbrechen.  

A. B.: Das brauchen wir auch nicht dringend.  

C. J.: Wir versuchen immer, für jedes Studienfach noch irgendein Klischee herauszufinden, und uns selbst und auch unseren Gast damit zu konfrontieren. Alexandra ist dir ein gutes Eingefallen?   

A. B.: Mir ist ein ganz tolles eingefallen. Die TV-Serie The Big Bang Theory. Die zeigt Physiker:innen so ein bisschen als Nerds mit weniger sozialer Kompetenz, und auch in einem ganz starken Konkurrenzdruck zueinander. Da haben wir gedacht, wir fragen Sie mal, wie viel Realität aus Ihrer Sicht darin steckt?  

D. B.: Ein gewisser Teil steckt da schon drin. Also Nerd korreliert sicherlich mit Physik und dem Physikstudium. Aber es ist natürlich ein Klischee und wie alle Klischees trifft es so ein bisschen die Wahrheit, aber es ist jetzt nicht so, dass alle, die Physik studieren Nerds sind. Es gibt viele Physiker mit sehr guten sozialen Kompetenzen. Also Physikerinnen, die Bundeskanzlerin werden, zum Beispiel. Die ehemalige Bundeskanzlerin, Angela Merkel, hat ganz viele soziale Kompetenzen. Oder es gibt das Beispiel des Gitarristen, Brian May, der Band Queen. Der war auch Physiker und hat, bevor es dann wirklich losging mit Queen, anfangen in Astrophysik zu promovieren. Dann hat er eine riesige Karriere in der Rockband Queen gemacht, aber er ist später wieder zurückgekommen. Er hat tatsächlich seine Doktorarbeit noch vollendet und ist jetzt promovierter Astrophysiker. Also es gibt ganz viele unterschiedliche Charaktere und man kann ganz viel machen mit Physik. Also viele Leute sind dann auch wirklich in Unternehmensberatungen zum Beispiel, und das braucht natürlich auch sehr viele soziale Kompetenzen und soziale Intelligenz.  

A. B.: Das haben ja einige von den Studierenden auch schon betont, dass es eben nicht ein Einzelkampf ist, sondern dass es eigentlich von Anfang an darum geht, sich in Gruppenarbeit zusammen zu setzen.  

D. B.: Es gibt immer wieder mal Studierende, die auf dieser Schiene als Einzelkämpfer drauf sind und das auch mit dem Charakter korreliert, aber wir versuchen schon, alle zu motivieren wirklich mit den anderen zu reden. Am Ende ist es wichtig, gerade für den Master, aber auch bereits für die Bachelorarbeit, sich in einer Arbeitsgruppe zu integrieren und mit den Leuten dort zu reden. Also man kann Dinge einfach viel schneller verstehen, wenn einem jemand sagt, wie es geht. Man muss es immer noch selbst verstehen, aber trotzdem ist man schon auf der richtigen Schiene und kann das im ideellen Falle nachvollziehen. Wenn nicht dann fragt man nochmal nach. Das geht viel schneller, als wenn man sich selbst in etwas verrennt.  Manche Leute verbringen Jahre mit irgendwas, bevor sie mit ihren Kollegen reden, und die sagen, innerhalb von Minuten, dass es Unsinn ist, wegen diesem und jenen Grund, den die Leute nicht auf dem Schirm haben. In einem gewissen Ausmaß kann das auch im Studium passieren. Also wir raten wirklich allen Leuten: Seid keine Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer, sondern redet mit den anderen. Es ist wichtig, die Sachen selbst zu verstehen, aber man muss auch mit den anderen Leuten reden.  

C. J.: Wie hoch ist denn ungefähr der Anteil weiblicher Studentinnen unter den Studierenden?  

D. B.: Ja, also, am Anfang sind das 20 bis 30 Prozent während des Bachelorstudiums. Im Masterstudium ist es wahrscheinlich noch ähnlich. Es geht dann im Laufe der Zeit immer weiter runter. Aber es verbessert sich so langsam im Laufe der Zeit, also im Sinne von, dass mehr weibliche Studierende bei uns wirklich studieren.  

A. B.: Ja, wir haben ja bei den Statements der Studierenden leider keine weibliche Stimme gefunden, die Lust hatte, etwas beizutragen. 

D. B.: Ja, ich weiß nicht, woran das liegt. Natürlich schon mal in der kleineren Zahl, wahrscheinlich, aber ja, ist natürlich ein kleines Sample am Ende, das Sie jetzt gefunden haben.  

C. J.: Aber es gibt sie auf jeden Fall und es dürfen immer mehr werden. 

D. B.: Ja, also Message an alle Studierenden: Macht Physik, ganz egal, wo Ihr herkommt, wer Ihr seid, Geschlecht, Religion, ganz egal!  Physik ist auch ein großer Unifier („Einiger“). Dadurch, dass man wirklich die Welt besser verstehen kann, hat man auch eine Sprache und man kann sich mit anderen Leuten auf einem sinnvollen Niveau unterhalten. Also, das ist überall auf der Welt die gleiche Physik. Wenn ich jetzt nach Amerika gehe oder nach China, nach Taiwan, ich kann mit den Leuten direkt reden und diskutieren. Das überwindet auch kulturelle Grenzen und überwindet andere Grenzen, die vielleicht in der Gesellschaft irgendwo vorhanden sind. Von dem her kann ich es wirklich nur allen ans Herz legen.  

A. B.: Und schützt vor Verschwörungstheorien.  

D. B.: Ja, das ist ein ganz wichtiger Punkt: Die Welt braucht Menschen, die Physik können, einfach weil sie die Welt besser verstehen. Und je mehr Frauen Physik studieren, desto besser. So gibt es noch einen größeren Zugang zu dem Rest der Gesellschaft, der hier wichtig ist.  

C. J.: Jetzt sind wir schon ein paarmal um das Thema Berufsfelder gekreist, bevor wir da gleich weitermachen, noch ein letzter Punkt: Fallen Ihnen ein paar Fragen ein, die sich jeder Studierende bzw. jede studieninteressierte Person vor dem Studium mal stellen sollte, um zu überlegen, ob Physik das richtige für einen ist?  

D. B.: Ja, vielleicht schon die Perspektive: Was möchte ich eigentlich machen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen? Wie möchte ich da arbeiten? Was wäre mir persönlich wichtig, wie man mit mir umgeht? Wie ich mich einordnen kann, also in einem großen oder einem kleinen Team? Ist es wichtig, dass ich meine Rückzugsgebiete habe, wo ich selber nachdenken kann über Dinge, oder möchte ich mehr programmieren zum Beispiel? Was möchte ich wirklich später mal machen? Was macht mir Spaß? Worin bin ich gut? Am besten, gibt es dann einen Überlapp von diesen beiden Bereichen. Aber ich denke, das ist gleich wie bei jeder Berufswahl. Also ich glaube jetzt nicht, dass es für Physik spezielle Fragen gibt, die jetzt ein Ausschlusskriterium wären.  

C. J.: Ja, dann hören wir uns mal an, was unsere Tübinger Studenten auf unsere Frage, was sie denn später mal beruflich machen möchten, geantwortet haben.  

Berufsperspektiven (37:20) 

Studi 1: Ich mache wahrscheinlich einen Master in Machine Learning und gehe dann auch in einen Beruf in dieser Richtung.  In Tübingen in Physik lernt man sehr viel. Man hat sehr viele Mathekurse und die sind unter anderem dafür eben ganz nützlich. 

Studi 2: Das Gute im Lehramtsstudium ist – das ist vielleicht Fluch und Segen zugleich –man weiß danach sehr konkret, was man machen möchte. Segen, weil man sich natürlich nicht diese Frage stellen muss: Was mache ich nach meinem Bachelor oder nach meinem Master? Fluch, weil man dann vielleicht auch Gefahr läuft, nicht ausgiebig zu reflektieren, ob das Lehramt wirklich das richtige für einen ist.  

Studi 3: Nach meinem Studium möchte ich entweder gerne Promovieren oder in der Industrie arbeiten, hierbei wahrscheinlich im Bereich der Quantenoptik.  

Studi 4: Ich studiere Lehramt, so viele Optionen habe ich damit gar nicht. Ich werde Lehrer, und ich habe schon richtig Bock drauf.  

A. B.: Da sind jetzt auch schon ein paar Beispiele gefallen. Klar, das Lehramtsstudium ist ein Weg, den man gehen kann. Da macht man den Bachelor und Master of Education. Dann ist auch noch der Master in Machine Learning gefallen. Der scheint auch möglich zu sein.  

D. B.: Ja, das ist nicht bei uns, aber Machine Learning spielt auch in der Physik eine immer größere Rolle. Also manche Abschlussarbeiten bei uns waren auch schon im Bereich des Machine Learnings, in Quantenmetrologie zum Beispiel. Die waren sehr erfolgreich. Aber Machine Learning ist natürlich eigentlich in den Computerwissenschaften angesiedelt, in der Informatik, aber es gibt sehr viel Überlappungen zwischen den beiden. 

A. B.: Und welche Master gibt es, die quasi direkt an den Physikbachelor anschließen?  

D. B.: In der Physik gibt es spezialisierte Master. Es gibt erst mal den Master in Physik ganz allgemein, dann gibt es auch spezialisierte Master. Das sind bei uns aktuell: Astro- und Teilchenphysik, bzw. Astro and Particle Physics, der ist eigentlich auf Englisch. Dann gibt es Advanced Quantum Physics und es gibt die Mathematical Physics. 

A. B.: Und je nachdem, in welche Richtung man sich so orientiert, heißt das ja auch, man geht in verschiedene berufliche Richtungen oder kann in verschiedene Richtungen gehen. In welchen Bereichen kann man denn so arbeiten, jetzt nochmal so ganz grob gesehen?  

D. B.: Naja, also, der größte Teil der Absolventinnen und Absolventen in Physik sind in der Forschung tatsächlich tätig. Ich glaube so um die 20 Prozent in der universitären Forschung oder an Großforschungsinstituten, wie dem Max-Planck-Institut, der Helmholtz-Gesellschaft und so weiter.  
A. B.: Auch am UKT (Universitätsklinikum Tübingen).  

D. B.: Genau, das sollte man nicht vernachlässigen, das ist auch ein sehr großer Bereich. Dann gibt es natürlich in der Industrie sehr viele Arbeitsmöglichkeiten für Physikerinnen und Physiker, also im produzierenden Gewerbe zum Beispiel in den Bereichen Halbleitertechnologie oder optische Technologien und dann auch Medizinphysik. Da gibt es tatsächlich sehr viel. Dann gibt es so die Bereiche, die ein bisschen weniger spezifisch Physik sind oder die man nicht unbedingt sofort mit Physik assoziieren würde. Ich habe schon die Unternehmensberatung erwähnt, die ist wirklich ein großer Absatzmarkt. Ich denke einfach, weil die Leute gelernt haben, selbst unlogisch zu denken, um da auch Größenordnungen nachzurechnen und komplexe Zusammenhänge zu analysieren und zu verstehen. Dann gibt es auch ganz viele, die in Richtung Informatik gehen. Also große Softwarefirmen sind auch ein beliebter Absatzmarkt für unsere Absolventinnen und Absolventen. Dann auch so Sachen wie Patentrecht, wo man auch nicht unbedingt gleich drandenkt. Da machen die Leute dann typischerweise noch so ein Aufbaustudium wo sie ein bisschen Recht lernen, spezifisch für Patentrecht. Es gibt eine riesige Bandbreite. Auch Versicherungen nehmen oft Physikerinnen und Physiker sicherlich auch wegen der Mathematik und statistischen Analysis, die man während des Studiums braucht.  

A. B.: Das habe ich mich schon gefragt, was man da so macht als Physiker bei einer Versicherung.  

D. B.: Statistik ist ein ganz wichtiger Teil der Physik, spätestens mit der Quantenmechanik, aber eigentlich schon viel früher in der statistischen, klassischen Physik von Systemen mit unglaublich vielen Teilchen. Dann können Sie nicht nur für das Teilchen alle Koordinaten und Geschwindigkeiten aufschreiben, sondern Sie können sich eine statistische Beschreibung zurechtlegen. Das heißt, als Physikerin oder Physiker lernt man das wirklich von Anfang an, und das ist sehr nützlich für Unternehmensberatungen oder Versicherungen in diesem Fall.  

C. J.: Und vermutlich braucht man für jedes Berufsfeld dann auch einen unterschiedlichen Abschluss im Sinne von, bei manchen reichen ein Bachelor- oder ein Masterabschluss, aber wenn man sich wahrscheinlich vor allem natürlich dann in der Wissenschaft weiter beruflich betätigt, braucht man auch eine Promotion.  

D. B.: Ja, auf jeden Fall. Also man wird eigentlich erst ein richtiger, offiziell anerkannter Forscher oder eine Forscherin, wenn man einen Ph.D. (Doktortitel) hat. Dafür braucht man erstmal den Master, zumindest hierzulande. Also, man kann auch in die USA gehen, zum Beispiel und dort den Bachelor machen oder nach dem Bachelor einsteigen und dann geht das eigentlich direkt in ein Promotionsprogramm über. Ein Master ist ein Abschluss, den man nicht unbedingt macht, sondern man macht ihn, wenn man vielleicht in dem Promotionsprogramm feststellt, es ist vielleicht doch nicht so das richtige. Dann kann man noch einen Master machen, dass man einen fortgeschrittenen Abschluss hat. Aber hierzulande ist die Reihenfolge: Bachelor, Master, Ph.D., Post-Doc., das ist dann ein Professor.  

A. B.: Wie üblich ist es jetzt tatsächlich, nach diesem acht-semestrigen Bachelor in den Beruf direkt zu gehen? Funktioniert das gut?  

D. B.: Also, ich würde schon sagen, dass die meisten von unseren Studierenden weitermachen mit dem Master. Ich habe jetzt selbst relativ wenige Beispiele von Leuten, die direkt nach dem Bachelor in den Arbeitsmarkt gehen. Also ich hatte zum Beispiel eine Studentin, die hat das gemacht und das ist gut gegangen, soweit ich es weiß. Aber wir verlieren, auch den Kontakt dann meistens zu den Leuten. Allgemein ist es so, dass der Arbeitsmarkt für Physikerinnen und Physiker toll ist. Also, es gibt fast keine Arbeitslosigkeit unter Physikerinnen und Physikern. Mit einem Bachelor kommt man natürlich früher rein in eine Firma, in Unternehmen. Die Ausbildung in der Physik ist, wie gesagt, aber eigentlich erst mit einem Master so richtig komplett und man lernt auch das Forschen erst so richtig durch eine Masterarbeit kennen. Wir legen das wirklich allen ans Herz.  

A. B.: Wie ist es denn, wenn es dann in den Berufseinstieg geht, mit Kooperationen, zu anderen Forschungseinrichtungen oder auch mit der Industrie im Physikstudium? Gibt es da schon Einblicke in solche Bereiche? Gibt es auch Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen? Können Sie noch etwas dazu sagen?  

D. B.: Ja, also, Kooperationen sind extrem wichtig heutzutage in der Forschung, in der Physik natürlich auch. Alle Arbeitsgruppen, die in der Physik unterwegs sind, haben Kontakte mit anderen Universitäten oder mit anderen Forschungseinrichtungen, je nach Bereich. Also die Teilchenphysiker hier haben dann oft Kontakte mit CERN oder mit großen Beobachtungskampagnen. Wenn man irgendwo eine Bachelor- oder Masterarbeit macht, kommt man ganz automatisch in diese Kooperation wieder rein.  

A. B.: Ich schaue gerade. Ich bin durch, glaube ich, mit allen Fragen. Hast du noch was auf dem Kopf?  

C. J: Auf dem Kopf? Auf dem Kopf habe ich dann nur meinen Kopfhörer? Auf dem Schirm habe ich nichts mehr. Ich glaube ich habe momentan keine weiteren Fragen mehr. Wir haben noch eine Abschlusskategorie, unsere Insider-Tipps. Haben Sie noch irgendeinen Recherche-Tipp, einen Literaturtipp, einen Filmtipp, den Sie unseren Hörerinnen und Hörern mitgeben könnten, um sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen?  

Insider-Tipps (44:32) 

D. B.: Ja, also zumindest für diejenigen, die sich vielleicht für Theoretische Physik interessieren. Es gibt eine Webpage von Gerard ‘t Hooft, der ist ein niederländischer Physiker und Nobelpreisträger. Er hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, Leute früh an die Physik heranzubringen, schon während der Schule. Er hält die Schulphysik für viel zu einfach, und meint, dass die Leute viel zu schnell abgespeist werden mit kleinen Häppchen. Aber man kann eigentlich Physik eben wirklich selbst verstehen und das von Anfang an und sehr früh. Da ist eine Webpage, die finde ich wirklich toll, die heißt: www.goodtheorist.science. Dort listet er auf, was man eigentlich in welcher Reihenfolge lernen sollte, oder wie es Sinn ergibt, Sachen zu lernen. Man kann eigentlich zu allem, was man in der Physik braucht, Videos und Präsentationen finden. Aber man weiß nicht so richtig, womit man anfangen soll und wie die Dinge aufeinander aufbauen. Was ist die richtige Reinfolge, was macht Sinn? Und dafür gibt es diese Webpage. Die finde ich wirklich klasse, weil das eben auflistet, was man so lernt in der Physik und wie das miteinander verzahnt ist. Er hat den Anspruch, Leute an die Physik heranzuführen, die dann wirklich dieses eigene Denken und eigene Verstehen von der Pike auf gelernt haben. Das kann ich also auf jeden Fall empfehlen.  

C. J.: Ja, das ist klasse, das verlinken wir Euch gerne. Ich glaube, dann war es das für heute. Dann sage ich ganz lieben Dank für das Gespräch, Herr Professor Dr. Braun! Schön, dass Sie hier waren und uns ganz viel Auskunft und Einblicke in das Studium und die Welt der Physik gegeben haben.  

D. B.: Ja, danke, hat mich gefreut!  

C. J.: Ansonsten, Alex, hat es mal wieder Spaß gemacht! Wenn Ihr Fragen oder Feedback habt, dann schickt uns das gerne weiterhin an: hochschulreif@uni-tuebingen.de. Alle weiteren Infos verlinken wir Euch in den Shownotes.  

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Daniel Braun über die folgenden Themen:
00:53 Persönliche Motivation 
08:21 Studieninhalte 
23:42 Persönliche Voraussetzungen 
37:20 Berufsperspektiven 
44:32 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Physik:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #17: Erziehungswissenschaft

Wie läuft das Studium der Erziehungswissenschaft an der Universität Tübingen ab? Worin unterscheiden sich die beiden Schwerpunkte Soziale Arbeit und Erwachsenenbildung? In welchen Feldern kann ich mit einem Abschluss in Erziehungswissenschaft arbeiten? Und wo benötige ich spezielle Qualifikationen? Prof. Dr. Markus Rieger-Ladich lehrt Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Tübingen und ist zu Gast bei „hochschulreif“, um diese und viele weitere Fragen über das Erziehungswissenschafts-Studium zu beantworten.

Tags #Erziehungswissenschaft #SozialeArbeit #Sozialpädagogik #Pädagogik #Erwachsenenbildung
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Alexandra Becker (A. B.): Herzlich willkommen zu hochschulreif, unserem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch heute das Studienfach Erziehungswissenschaft vor, damit ihr gut informiert seid, was Euch im Studium so erwartet. Dafür haben wir Prof. Dr. Markus Rieger-Ladich im Studio. Herzlich willkommen, und schön, dass Sie da sind!  

Prof. Dr. Markus Rieger-Ladich (M. R.): Hallo!  

A. B.: Ich bin Alexandra Becker vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen und leider bin ich heute ohne meinen Kollegen Christoph Jäckle hier. Ich sag mal ganz liebe Grüße und gute Besserung in diese Richtung. Herr Rieger-Ladich, wir schaffen es heute sicher auch gut zu zweit. Ich stelle Sie zunächst ganz kurz vor. Sie sind Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Uni Tübingen und gehören zur Abteilung für Allgemeine Pädagogik. Sie lernen und forschen also auch entsprechend in diesem Bereich. Jetzt sind hier schon zwei Schlüsselbegriffe gefallen, nämlich Erziehungswissenschaft und Pädagogik. Kann man denn die Begriffe mit Blick auf die Studienwahl auch so synonym verwenden? Also, wenn jetzt zum Beispiel hier ein Tübingen der Studiengang Erziehungswissenschaft heißt, kann es sein, dass es an anderen Hochschulen Pädagogik heißt?  

M. R.: Ja, das kann nicht nur so sein, sondern das ist auch so. Sie haben jetzt schon gefragt, ob das synonym verwendet werden kann, also bedeutungsgleich, heißt das mit anderen Worten, ja, das ist so. Man kann sagen, ein bisschen old school spricht man von Pädagogik. Erziehungswissenschaft klingt so ein bisschen zeitgenössischer. Es klingt auch ein bisschen mehr nach Sozialwissenschaften. Pädagogik klingt noch – das ist so zu meiner Zeit, als ich begonnen habe – mehr nach Philosophie, Abendland, Humanismus. Das ist auch nicht ganz falsch. Ich kann nachher bei Interesse gerne ein bisschen was erklären. In den 60er- und 70er-Jahren hat sich die Erziehungswissenschaft verändert. Sie hat sich ganz klar auf die Gegenwart ausgerichtet, arbeitet auch gesellschaftskritisch, will etwas zur Überwindung der schlechten Gegenwart beitragen und das schwingt mit, wenn wir von Erziehungswissenschaft sprechen. 

A. B.: Dann hören wir uns doch jetzt mal an, was denn die Tübinger Studierenden bewogen hat, das Fach Erziehungswissenschaft zu studieren.  

Persönliche Motivation (02:27) 

Studi 1: Ich kannte von Freunden bereits im Voraus schon das Institut in Tübingen und habe bereits vor meinem Studium in der offenen Kinder- und Jugendarbeit gearbeitet, weshalb ich mich dann für das Studium in Tübingen entschieden habe.  

Studi 2: Ich hatte nach der Schule erst den groben Plan, Lehramt zu machen, und habe dann im FSJ aber gemerkt, dass ich lieber mit kleineren Gruppen und intensiver mit den Menschen arbeite.  

Studi 3: Weil ich sehr gerne einen pädagogischen Studiengang machen wollte. Ich wollte mich nicht für eine pädagogische Institution festlegen, sondern eben freier sein in dem, was ich damit da nachher mache. Ich wollte auch außerdem philosophische und gesellschaftspolitische Studieninhalte.  

Studi 4: Weil ich bereits in der Schule und durch Praktika gemerkt hatte, dass mir soziale Berufe Spaß machen und ich eben auch ein großes Interesse an Themen der Erziehungswissenschaft habe, wie zum Beispiel vor allem die Medienpädagogik.  

Studi 5: Ich habe mich für den Master „Erwachsenenbildung/Weiterbildung“ entschieden, weil ich mich im Master nach meinem Bachelor noch vertiefen wollte, wirklich im Fach in der Erwachsenenbildung und Weiterbildung. Für meinen Bachelor damals habe ich mich entschieden, recht klassisch, weil ich was mit Menschen machen wollte.  

Studi 6: Weil die Erziehungswissenschaft das Theoretische mit dem Praktischen verbindet. Man nutzt oder entwickelt Theorien, um diese dann für was sehr Konkretes und sehr Menschenbezogenes einzusetzen. 

Studi 7: Ich habe zuerst nach der Schule eine kaufmännische Ausbildung gemacht und habe dann aber festgestellt, dass es nicht so mein Ding ist, und wollte viel lieber mit Menschen arbeiten. Ich fand Erziehungswissenschaft als Fach sehr interessant und mir kam zu Ohren, dass es da eine coole Fachschaft gibt. 

A. B.: Ich glaube wir haben zwar viele verschiedene Facetten gehört, aber dann auch so der Bezug zu dem, etwas mit Menschen oder Menschenbezogenes zu tun, kam hier schon deutlich raus. Wie ist denn Ihr Eindruck, mit welcher Erwartungshaltung, mit welchen Erwartungshaltungen kommen Erstis so ins Studium? Gibt es da Brüche, oder haben die Leute schon eine gute Vorstellung, was sie so erwartet?  

M. R.: Also, ich glaube, es gibt beides. Es gibt auf der einen Seite bei Studierenden eine relativ präzise Vorstellung dessen, was auf sie zukommt. Das ist sozusagen der eine Punkt und der andere ist, es gibt gleichwohl irgendwie einen Bruch. Das ist ambivalent. Also auf der einen Seite ist es wertvoll, Vorkenntnisse mitzubringen. Die haben natürlich alle die Schule besucht, viele davon waren in der Kita. Wenn Sie jetzt in der Straßenbahn jemanden fragen, die allermeisten sehen sich in der Lage, über Bildung und Erziehung mitzureden. Das gilt auch für unsere Studierenden. Was wir dann leisten müssen innerhalb des Studiums ist jetzt nicht unbedingt Tabula rasa zu machen, aber dieses Vorwissen nochmal in Frage zu stellen. Unsere Studierenden kommen mit einer Erwartungshaltung, mit Vorkenntnissen und die müssen wir ein Stück weit auch in die Krise treiben. Also das heißt, wenn ich zum Beispiel eine Einführungsvorlesung gebe und über Bildung und Erziehung spreche, dann ist erst mal der Wunsch von Studierenden, Herr Rieger-Ladich, erklären Sie mir noch mal nach dem Motto in fünf Sätzen, worum es geht bei Bildung. Dann sind sie relativ überrascht, dass ich das erst mal nicht tue. Ich entspreche nicht diesem Bedürfnis, nicht diesem Wunsch, sondern ich werde ihnen erklären, dass ich mit ihnen über mehrere Wochen hinweg diesen Bildungsbegriff entwickle. Zum Schluss, das sage ich auch so wörtlich, führe ich sie auf eine Baustelle und diese Baustelle, damit entlasse ich sie. Das heißt also, die Debatte über den Bildungsbegriff, die seit vielen Jahrhunderten geführt wird, hat ganz interessante immer neue Wendungen und wir sind nicht damit am Ende. Das heißt, der Bildungsbegriff ist immer noch nicht befriedigend geklärt. Das ist erst mal überraschend für Studierende, weil sie denken, jetzt treffe ich da auf Professoren, die werden mir doch erklären können, was Bildung und Erziehung ist. Das können wir auch, aber wir nehmen uns dafür viel Zeit und werden deshalb vieles, was erstmal klar, einfach und verständlich zu sein scheint, verkomplizieren. Das erkläre ich ihnen auch in der ersten Sitzung. Meine Aufgabe besteht nicht darin, die Dinge einfacher und simpler darzustellen, als sie sind, sondern das Gegenteil mache ich. Ich werde die Dinge mit Komplexität anreichen, ich werde sie verkomplizieren und deshalb sind sie an der Uni. Wenn es gestattet ist, vielleicht noch eine Sache: Ich glaube, was typisch ist für unsere Studierenden, mindestens hier in Tübingen – und ich war schon an einer Reihe von Universitäten – ist, dass sie sehr sensibel sind für politische Fragen, für gesellschaftliche Krisenphänomene. Die meisten haben mehr oder weniger ein Bild davon, dass es darum geht, diese Gegenwart zu verändern, auf eine bessere Zukunft hin. Die Pädagogik ist ein Kind der Aufklärung. Die Pädagogik lebt von der Hoffnung, dass die Zukunft sich besser einrichten lässt, und dem fühlen sich die allermeisten verpflichtet. Die haben nicht unbedingt Kant gelesen, die haben jetzt auch nicht feministische Theorien gelesen. Aber wenn sie davon sprechen, und das ist ganz typisch, ich will etwas mit Menschen machen, dann heißt es, ich will Menschen dabei begleiten, vielleicht bei einem emanzipatorischen Bildungsprozess. Das ist großartig, davon leben wir. Also wir alle sind begeistert. Ich bin so frei zu sagen über unsere Studierenden hier in Tübingen, die kommen nach Tübingen, die kennen noch nicht die großen Theorien, aber die sind sensibel. Die sind sensibel für Klimapolitik, für soziale Ungleichheit, für eine ganze Reihe von Phänomenen, für Rechtsextremismus und auch das treibt sie, ohne dass sie das im ersten Semester sagen würden. Auch das treibt sie nach Tübingen und in die Erziehungswissenschaft.  

A. B: Was ich denke, wenn Menschen schon so ein gewisses Vorwissen oder eine gewisse Vorstellung mitbringen, ist natürlich, dass man entsprechend auch eine Einstellung zur Sache hat. So erscheint es mir auch logisch, wenn, wie Sie sagen, hier erst mal nochmal ein neues Fundament gebaut wird, dass sich auch diese Einstellung noch mal verschiebt oder wahrscheinlich auch verschieben soll, der Sache gegenüber. Im Prinzip, was ist vielleicht auch mein Anliegen oder wie möchte ich mich dazu positionieren. Gibt es dann Fragen, die man so für sich vorher klären sollte, wenn man dann überlegt, das Studium anzugehen?  

M. R.: Ja, da gibt es natürlich eine Reihe von Fragen, die man klären müsste. Eine naheliegende jetzt in unserem Fach wäre zum Beispiel, will ich an der Universität studieren oder an der Fachhochschule oder an der Dualen Hochschule. Das wäre auch denkbar. Und da kann man sagen, wenn man dieses politische Interesse, von dem ich gerade gesprochen habe, hat, dann ist man an der Universität richtig. Wenn Sie jetzt wie der Student, der bei dem Einspieler meinte, er wolle mehr Freiheiten im Studium, sei auch irgendwie politisch interessiert, an Theorien interessiert – witzigerweise kenne ich den Studierenden, der sitzt in einem meiner Seminare. Das jetzt nebenbei, obwohl wir eine große Universität sind und ein großes Institut, das größte Institut in Baden-Württemberg, gibt es doch ganz intensive Kontakte zu unseren Studierenden. Deshalb kannte ich, eine Reihe der eingespielten Stimmen und die Köpfe dazu – dieses Interesse haben, fachlich sehr gut ausgebildet zu werden mit der Option, sich auch theoretisch zu entfalten, sich intellektuell auszutoben, dann geht das einmal bei unserem Institut für Erziehungswissenschaft. Aber und das ist das Tolle an so einer, man nennt so etwas Volluniversität, das heißt wir haben alle Fakultäten, wenn Sie sich jetzt anfangen, im zweiten Semester für Soziologie zu interessieren und im dritten für Empirische Kulturwissenschaft und im vierten für Philosophie, haben wir alles da. Das ist das Besondere.  

A. B: Ja, das haben wir alles da. Und wir haben auch schon viele Podcastfolgen dazu aufgenommen.  

M. R.: Genau das ist jetzt eine Qualität der Universität Tübingen. Das heißt also, wenn Sie etwas mit Menschen machen wollen, es soll etwas Pädagogisches sein, Sie sind politisch irgendwie interessiert und Sie haben auch theoretisch gewisse Ambitionen – das heißt, Sie wollen die Dinge vielleicht ein bisschen genauer wissen – Sie wollen sich da vertiefen, dann schauen Sie sich Erziehungswissenschaft an. Das Besondere an der Erziehungswissenschaft ist, wir haben einen Gegenstandsbereich und dieser Gegenstandsbereich ist wahnsinnig brisant. Sie müssen heute nur die Zeitung aufschlagen, erste Seite der Süddeutschen Zeitung: Weltklimarat legt eine Synthese vor. Das heißt, die Erwärmung um 1,5 Grad ist kaum noch zu retten. Wenn wir darüber sprechen, achten Sie mal darauf, seien es jetzt die Nachrichten im Fernsehen, sei es bei Twitter oder sei es eine Tageszeitung, die gute alte Tageszeitung, die es immer noch gibt. Schauen Sie sich das an. Da wird früher oder später von Lernen die Rede sein und es wird von Bildung die Rede sein. Das heißt, wir könnten jetzt auch über die Silvesternacht in Berlin, in Neukölln sprechen. Ganz schnell ist klar, wir müssen bei dieser nächsten Generation und bei den ganz großen Herausforderungen, bei den ganz großen Krisenphänomenen über Bildungs- und Lernprozesse sprechen, und nicht nur individuelle Bildungsprozesse, sondern auch kollektive. Dass wir so nicht weitermachen können, das wissen wir, glaube ich alle. Die Frage ist jetzt, wie können wir in einer kollektiven Dimension Bildungsprozesse organisieren, dass wir den Karren nicht weiter an die Wand fahren, was wir seit Jahrzehnten schon tun, obwohl wir es besser wissen. Das heißt, wie können wir einen Neuanfang starten? Das heißt, unsere Studierenden haben ein ganz feines Gespür dafür, dass es bei fast sämtlichen Fragen am Ende um Bildungs- und Lernprozesse geht, und dabei begleiten wir sie. Dazu forschen wir. Im besten Falle tun wir das vielleicht sogar gemeinsam.  

A. B: Sie haben jetzt ja auch schon ganz kurz angerissen, was so auf ihrem Weg in die Erziehungswissenschaft für Stationen lagen. Können Sie das noch mal zusammenfassen, wie Ihr Weg in Erziehungswissenschaft verlaufen ist und warum Sie sich tatsächlich dann für das Fach entschieden haben?  

M. R.: Ich komme aus einer Kleinstadt, ich bin klassischer Bildungsaufsteiger. Meine Eltern waren keine Akademiker. Auch das schon mal, die Professoren, die an der Uni Tübingen lehren und die Professorinnen sind nicht alles Kinder von Professor:innen, die wiederum Kinder von Professor:innen sind. Ich bin also kein Akademikerkind. Ich bin im Spessart in einer Kleinstadt aufgewachsen und habe in Marburg begonnen mit Philosophie und Politikwissenschaft, mit Germanistik und Erziehungswissenschaft. Erziehungswissenschaft habe ich eigentlich so nebenher studiert. Ich habe im Magister, so hieß es damals noch, und auf Lehramt studiert, also zwei Studiengänge und dachte: Okay, Erziehungswissenschaft, da geht es um Schule, und das ist auch nicht unwichtig, das mache ich irgendwie später. Aber erst mal klarer Fokus Philosophie mit schwarzem Rollkragen an, allem Drum und Dran. Ich dachte, das ist die Meisterdisziplin, da wird über die großen Fragen diskutiert. Das habe ich auch getan. Ich bin dann nach Bonn gegangen, weil ich dann mit Anfang 20 wusste, ich will promovieren. Ich will in Philosophie promovieren. Dann allerdings kam ich so ein bisschen ins Grübeln, weil ich den Eindruck hatte, es ist karrierestrategisch in der Philosophie irgendwie schwierig und wenn die Philosophie tatsächlich so um sich selbst kreist, dann ist mir das auf Dauer irgendwie zu wenig. Dann bin ich mit 25 zu einem großen Kongress gefahren nach Berlin, der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, und ich war wahnsinnig beeindruckt, klein und super mini und fühlte mich auch ein bisschen scheiße. Dann habe ich da die ganzen Gesichter gesehen zu den Texten, die ich schon gelesen hatte. Ich hatte den Eindruck, also in der Erziehungswissenschaft, da habe ich wahnsinnige Freiheiten – davon war vorhin schon mal die Rede – ich könnte mich auch hier intellektuell austoben und es geht um etwas. Es geht also um, ich nenne jetzt nur mal ein paar kleine Stichworte: Wie können wir Bildungseinrichtungen so demokratisieren, dass niemand ausgegrenzt wird? Es ist das Selbstverständnis unserer Gesellschaft, dass niemand ausgegrenzt wird. Egal welche Hautfarbe, Geschlecht jemand hat oder, ob Personen so wie wir beide, die Brillen tragen oder nicht, ob wir uns für die Frankfurter Eintracht interessieren oder nicht, ob wir homosexuell, heterosexuell, transsexuell sind, das sollte alles eigentlich keine Rolle spielen. Wir wissen aber beide, dass es nicht der Fall ist. Wir wissen, dass das Bildungssystem immer noch ungerecht organisiert ist. Das ist eine Riesenaufgabe, eine Herkulesaufgabe. Anders formuliert, wie können wir Partizipation, Teilhabe so organisieren, dass niemand ausgegrenzt wird, dass niemand diskriminiert wird, oder ein Fachterminus heißt exkludiert, also ausgeschlossen wird. Das Gespür hatte ich auf einmal. Also das hatte ich nicht auf einmal, aber ich hatte auf einmal den Eindruck, um diese Fragen geht es auch in der Erziehungswissenschaft, in der Allgemeinen Erziehungswissenschaft und natürlich auch in der Schulpädagogik, in Erwachsenenbildung und in der Sozialpädagogik.  

A. B: Man kommt näher an die Praxis oder vielleicht an die Möglichkeit, auch Dinge umzusetzen. Das ist eigentlich ganz schön, dass Sie sich auch auf die Philosophie bezogen haben, denn unsere letzte Folge, war die Folge zur Philosophie und unser Gast hat natürlich erklärt, was so die Beweggründe, die Motivation für die Philosophie sein können und was einen da dabei hält. Das heißt, jetzt haben wir eine schöne Perspektive von beiden Fächern. Das ist auch wichtig, für sich selbst zu klären, was möchte ich und wo zieht es mich hin oder was ist so die persönliche Motivation. Deswegen fragen wir natürlich danach. Wir haben unsere Studierenden auch gefragt. Sie haben schon einige Punkte angerissen, wie denn deren Studienwoche so aussieht, und bevor wir jetzt auf die Inhalte näher eingehen, hören wir uns an, was sie berichtet haben.  

Studieninhalte (16:19) 

Studi 1: Wir haben am Anfang viele Texte zu lesen bekommen, was sich aber durch das Studium durchzieht, und man schreibt recht viel. Vor allem in den Semesterferien kann man eigenständig arbeiten, um die gelernten Inhalte zu vertiefen. Eine typische Studienwoche besteht eben aus dem Besuch von Vorlesungen und Seminaren. Ich gehe noch in die Fachschaftssitzung, die immer Mittwochabends ist.  

Studi 2: Meine Studienwoche gestaltet sich relativ flexibel. Ich habe die mir so gelegt, dass ich ein oder zwei fixe Tage habe, an denen ich mich mit gezielt mit vielen Veranstaltungen beschäftige und diese vertiefe. Den Rest der Woche kann ich dann flexibel mit Themen volllegen, die mich interessieren, aber auch viel, einfach mein Studienleben in Tübingen leben.  

Studi 3: In einer typischen Studienwoche im Nebenfach habe ich drei Vorlesungen und ein Seminar. Die Module, die ich aktuell besuche, sind „Pädagogische Psychologie“, „Empirische Bildungsforschung“ und „Einführung in die Erziehungswissenschaft“.  

Studi 4: Eine typische Studienwoche in der Vorlesungszeit enthält natürlich zum einen Vorlesungen und vor allem Seminare. In der Regel hat man einiges an Texten zu lesen, um sich auf die Seminare und Vorlesungen vorzubereiten. Vor allem im Master und in der Forschungsmethodik im Bachelor beschäftigen wir uns auch mit Statistik. Ein bisschen rechnen muss man dann doch, dass ist auch ein bisschen Übung, die da reingeht. Und wir halten auch hin und wieder eigene Präsentationen oder Referate. In den Semesterferien arbeitet man dann hin und wieder an eigenen Forschungsprojekten oder schreibt eigene Texte, Hausarbeiten.  

Studi 5: Also, im fünften Bachelorsemester sieht meine Woche gerade so aus, dass ich so vier verschiedene Module haben. Ich habe zwei Sachen aus dem Rechtsbereich, „Grund und Menschenrechte“ und „Jugendstrafrecht“. Ich habe zwei Veranstaltungen, die mich so auf meine Bachelorarbeit vorbereiten und nochmal Theorie wiederholen. Dann habe ich zwei Sachen aus dem Wahlbereich, das habe ich mir selbst ausgesucht. Da geht es um Anthropologie und Ethik und auch um ästhetisch kulturelle Bildung, und dann habe ich noch zwei Vorlesungen aus der Soziologie, eine Einführung und eine Vorlesung „Sozialstruktur Deutschlands“.  

A. B: Ich möchte einmal auf den Monobachelor, den wir in Tübingen haben, kurz eingehen: „Erziehungswissenschaft und Soziale Arbeit/Erwachsenenbildung“. Das heißt – um das einmal zu klären – es gibt entweder den Studiengang Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Soziale Arbeit oder Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung. Wir bleiben jetzt im Gespräch erst mal ganz beim Fach Erziehungswissenschaft von den Inhalten. Wir gehen aber gleich nochmal auf diese verschiedenen Schwerpunkte ein, nur dass wir das einfach mal sortieren für die Hörerinnen und Hörer. Wenn wir uns der Erziehungswissenschaft zuwenden, was sind so die groben Bereiche, die das Fach abdeckt?  

M. R.: Ja, das klingt jetzt nach einer harmlosen Frage, die aber gar nicht so einfach zu beantworten ist. Ich gebe eine ganze Vorlesung, um diese Frage zu erläutern.   

A. B: Ganz so viel Zeit haben wir nicht heute.  

M. R.: Ich weiß, deshalb schmunzle ich auch dabei, was unsere Leute vielleicht zu Hause hören. Es gibt eine kleine Herausforderung bei der Beantwortung dieser Frage. Es gibt keinen exklusiven Gegenstandsbereich. Das klingt so ein bisschen akademisch, aber ich bin ja auch Professor. Ich will das kurz erläutern, wie ich das in meiner Vorlesung darstelle. Es kann sein, es gibt eine kleine Rangelei von der Grundschule im Tübinger Westen und jetzt gehen wir hier dran vorbei. Und jetzt kann es sein, dass der Gesprächspartner, mit dem wir gerade unterwegs sind, ein Historiker ist. Dieser Historiker wird dann möglicherweise über die Geschichte des Gymnasiums nachdenken in Deutschland über das Preußische Gymnasium und er wird aus einer ganz spezifischen Weise über Gewalt im Schulhof nachdenken. Eine Juristin wird vielleicht ganz anders darüber nachdenken, die wird sich fragen, wie ist es mit der Sorgfaltspflicht, wer ist das pädagogische Personal, wer ist dafür in rechtlicher Hinsicht verantwortlich. Eine Sozialpädagogin wird vielleicht wieder anders darüber nachdenken. Dann haben wir vielleicht noch eine Transperson, die sich besonders für Genderstudies, also für Geschlechterforschung interessiert, und die sich vielleicht fragt, wird hier Männlichkeit inszeniert und aufgeführt. Das heißt also, wir haben jetzt ganz verschiedene Kolleginnen und Kollegen, die aus unterschiedlichen Disziplinen kommen, die könnten sich alle für dieses Phänomen interessieren, und wir interessieren uns aus der Erziehungswissenschaft auch dafür. In diesem Fall wäre das jetzt zum Beispiel eine Bildungseinrichtung, natürlich fühlen wir uns da kompetent. Dann kann man relativ schnell sagen, es gibt ganz klassische Grundbegriffe wie Bildung, Erziehung, Sozialisation und Hilfe. Sehr viele Phänomene, könnte man sagen, kristallisieren sich aus dem Beispiel heraus. Das heißt, es geht in der Tat erst mal um Bildungs- und Lernprozesse. Es geht aber auch um Sozialisation. Sozialisation kann geschlechtsspezifisch sein. Also was heißt es, ein typisches Mädchen zu sein, ein typischer Junge zu sein. Der Sohn meiner Frau, der sprach immer von Jungs-Jungs. Jungs-Jungs sind die, die nur kicken und so weiter. Er konnte mit denen nicht wahnsinnig viel anfangen. Er hat eigentlich eher mit den Mädchen gespielt. Er hat jetzt, glaube ich, nicht von Mädchen-Jungs gesprochen, aber es gab die normalen Jungs. Es gibt aber auch zum Beispiel so eine klassenspezifische Sozialisation. Es könnte also sein in einer Schule – das ist jetzt typisch für Tübingen, da hat man den Eindruck es gibt fast nur Gymnasien – und da kann es jetzt sein, dass Kinder aus ganz unterschiedlichen sozialen Klassen aufeinandertreffen, aus sozialen Milieus mit unterschiedlichen Umgangsformen. Das ist jetzt pädagogisch und didaktisch keine kleine Herausforderung und dann könnten wir darüber nachdenken, wie sollen eigentlich unsere Schulen aussehen. Wollen wir eine Schule für alle? Das hatte ich vorhin schon mal angesprochen. Dafür fühlen wir uns verantwortlich, aber wir fühlen uns auch für Bildungseinrichtungen verantwortlich, die dann schon früher einsetzen, also Kita zum Beispiel. Nach der Schule geht es noch weiter. Wenn es darum geht, über die Universität als einen Ort des Lernens nachzudenken, vielleicht als ein Ort von emanzipatorischen Lernprozessen, in denen man möglicherweise sich von dem Herkunftsmilieu verabschiedet, sich vielleicht neu erfindet, zum ersten Mal kochen muss. Nach dem dritten Tag, nachdem es Nudeln mit Tomatensoße gibt, fängt man an: Okay, gibt's noch was jenseits der Tomatensoße. Dann fangen Sie vielleicht sogar noch an zu spülen, im besten Falle, und dann sich um ihre Wäsche kümmern. Auf einmal merken die Leute es ist mehr als nur ein Wechsel von der Schule an die Uni, sondern es ist vielleicht ein neuer Lebensabschnitt und darüber nachzudenken, das tun wir zum Beispiel in Tübingen. Das ist ein Übergang. Der Übergang von der Schule an die Universität ist einer der klassischen Übergänge und deshalb betreiben wir Übergangsforschung. Das kann aber auch natürlich sein, sie sind 66 und sie ahnen schon, im nächsten Jahr war es das. Dann gehen sie in die Rente. Das ist auch ein Übergang. Dann wissen Sie vielleicht, nachdem sie 30 Jahre über Ihren Job geflucht haben, kann es aber sein, dass sie ahnen: Oh, das wird gar nicht so einfach, und ich weiß gar nicht, wie das mit meiner Partnerin, mit meinem Partner ist, wenn wir beide 24/7 zu Hause sind. Auch diesen Übergang, den kann man erforschen. Auch das tun wir.  

A. B: Und das gibt dann quasi so psychologische Komponenten.  

M. R.: Genau, auch soziologische. Das heißt, wir schauen uns dann Lern- und Bildungsprozesse im biografischen Verlauf an, im Lebenslauf. Der Lebenslauf ist für uns deshalb wichtig.  

A. B: Anhand von tatsächlich Fallstudien? 

M. R.: Genau. Vielleicht jetzt schon mal vorab, weil auch einer der Studierenden von Statistik sprach, so nach dem Motto, ein bisschen muss man schon rechnen können. Wenn wir uns jetzt für Lebensläufe interessieren, dann gibt es natürlich ganz unterschiedliche Varianten, die zu erforschen. Eine Variante ist tatsächlich mit Statistiken zu arbeiten und deshalb gibt es bei uns auch eine Ausbildung dazu. Es geht also um Empirische Bildungs- und Sozialforschung. Das heißt, – das ist wieder so Unijargon – man kann das einmal quantitativ erarbeiten, da geht es also um die große Menge und Sie können das qualitativ erarbeiten. Das heißt, in dem einen Fall (qualitative Forschung) führen Sie vielleicht zwei Interviews, sogenannte Experteninterviews oder Narrative-Interviews. Das heißt, Sie nehmen sich viel Zeit, Sie besuchen jemanden oder laden jemanden ein und nehmen sich möglicherweise drei oder vier Stunden Zeit. Das ist wahnsinnig viel, das muss man hinterher alles abschreiben. Man nennt das dann Transkript, sowas zu erstellen und das dann zu interpretieren. Das können Sie genauso interpretieren, wie Sie ein Sonett von Shakespeare interpretieren, einen komplizierten Text von Hegel oder aber auch die Texte von Ihrem Lieblingsrapper. Sie sehen jetzt also, uns interessieren Transformationsprozesse, Lern- und Bildungsprozesse und das auch im Lebenslauf. Wir erforschen das auf unterschiedliche Weise. Jetzt habe ich von der Unterscheidung quantitativ und qualitativ gesprochen. Aber – das machen wir zum Beispiel in der Allgemeinen Erziehungswissenschaft – wir interessieren uns auch für, jetzt mal akademisch formuliert, kulturell Artefakte. Damit sind gemeint: Kinofilme, Romane. Ich nehme das schon mal vorweg, weil Sie mich möglicherweise später mal noch fragen nach Tipps, dich willig geben kann, es gibt einen tollen Kinofilm, Close, von einem belgischen Filmemacher. Da geht es um zwei Jungs, die 13 Jahre alt sind, und eigentlich würden wir sagen, die sind ein Paar, aber das können sie in ihrer Schule nicht sagen. Die werden danach gefragt und dann sagen die: Nein, das sind wir auf keinen Fall. Aber die Kamera ist so nah an denen dran und Sie sehen, die sind auch körperlich so nah, also eigentlich sind sie ein Paar. Und der komplizierte Terminus „Zwangs-Heteronormativität“, das kann man übersetzen nach dem Motto: Normal ist es, wenn Jungs Mädchen lieben und mögen und andersrum. Das andere ist dann deviant – wäre jetzt wieder so ein akademischer Terminus – also es ist abweichend. Wenn Sie jetzt sehen, diese ganzen anderen Mädchen und Jungs in dieser Klasse, niemand von denen will sexistisch sein, niemand will ausgrenzen, niemand hat sich vorgenommen, diskriminierend zu sein, aber sie sind in einer gewissen Hinsicht Akteure einer Gesellschaft, die jene privilegiert, die das andere Geschlecht lieben. Diese beiden mit 13, die haben noch kein Vokabular dafür, aber sie leiden drunter. Und dieser Film nimmt Sie mit auf 90 Minuten, warum es diesen beiden Jungs mit 13 unmöglich ist, sich letztlich zu lieben und eine zärtliche Freundschaft zu entwickeln. Ich hatte ja vorhin gesagt, es gibt keinen exklusiven Gegenstandsbereich, was auch super interessant ist in unserem Fach. Sie denken sich vielleicht gar nicht so viel, denken nicht ständig über die Erziehungswissenschaft nach, sondern Sie gehen nur mit zwei Leuten abends ins Kino und dann auf einmal wird diese Geschichte erzählt. Ich war mit einer Mitarbeiterin drin, beide haben wir irgendwann angefangen zu heulen und zwar relativ spät. Ich habe sie dann gefragt – wir saßen zwar nebeneinander, aber natürlich, jeder hat nach vorne geschaut, jeder war gebannt – und wir haben an derselben Stelle geheult, kam dann hinterher raus. Das heißt also, Sie sitzen möglicherweise nur im Kino in Anführungszeichen und was dort aufgeführt wird, ist ein pädagogisches Drama, weil es darum geht, was heißt Adoleszenz, was heißt es, Jugendlicher zu sein. Was heißt es, ein Begehren zu entdecken. Was heißt es, ein Begehren von einem Jungen zu einem anderen Jungen zu beobachten, die niemanden und was zuleide tun wollen, die nehmen niemandem etwas weg. Aber das Drama besteht darin, dass sie in einer Gesellschaft, die sozusagen gegengeschlechtliche Liebe, so würde man das nennen, prämiert, die darunter leiden, dafür keine Sprache haben und auch kein Repertoire. Die können sich den Freiraum, den sie anfangs hatten, nicht bewahren, den gibt dann der eine Preis, weil er auf keinen Fall als schwul geoutet werden will, sagt sich los zum anderen und leidet darunter. Das alles in ganz präzisen Beobachtungen, mit einer tollen Bildsprache in 90 Minuten. Es geht in Anführungszeichen nur um zwei kleine Jungs, also um Dreizehnjährige, aber es geht auch um die ganz großen Fragen. Das heißt, Sie können als Studierende der Erziehungswissenschaft abends ins Kino gehen und fragen sich vielleicht: Wie kann ich das verstehen, was da passiert? Welche Theorien brauche ich, um die Gewalt zu verstehen, deren Opfer die beiden Jungs werden – und die werden nicht geschlagen, die werden nicht mal richtig gemobbt – und trotzdem würde ich behaupten, sind sie in einer gewissen Hinsicht das Opfer einer Geschlechterordnung. Um dem auf die Spur zu kommen, brauchen wir anspruchsvolle Theorien. Wir brauchen also, wenn wir das erforschen wollen, nicht nur Methoden, quantitative und qualitative Methoden, sondern wir brauchen Theorien. Theorien können uns das Komplizierte, was wir da beobachten, wofür wir aber noch keine Sprache haben, das können Theorien erschließen. Also, Theorien können uns in einer gewissen Hinsicht Instrumente an die Hand geben. Begriffe sind sowas wie Werkzeuge, um zu verstehen, was da passiert, wofür wir aber noch keine Sprache haben.  

A. B.: Ich glaube, das war jetzt gut. Sie haben es auch noch ein bisschen sortiert. Wir haben verschiedene Themenbereiche und verschiedenste Zugänge und eben auch dann die entsprechenden Methoden, die uns erlauben, über eine Theorie einen Zugang zu erhalten. Konkrete Beispiele haben Sie im Prinzip schon genannt und wir sind auch schon an der Schnittstelle zur Psychologie so ein bisschen vorbeigeschrappt. Da tatsächlich wäre noch eine Frage, die mir wichtig erscheint, wie groß der Anteil ist, beziehungsweise sein kann, an psychologischen Ausbildungen an der Universität, wenn man Erziehungswissenschaft studiert.  

M. R.: Also im ganz strengen Sinne müsste man sagen, das sind zwei ganz unterschiedliche Studiengänge, aber unser Gegenstandsbereich macht es notwendig, dass wir auch auf das Wissen von anderen Disziplinen zurückgreifen. Das ist jetzt ein bisschen abstrakt formuliert, aber ich kann das gerne sonst nochmal erläutern. Das heißt also, wenn wir uns für Lernprozesse, Bildungsprozesse im Lebenslauf interessieren und das nicht nur in der Gegenwart, sondern es kann ja auch sein, dass jemand sagt: Ich interessiere mich für die Ausgrenzung, die am Preußischen Gymnasium stattgefunden hat. Man könnte auch sagen – ich sage das mal ein bisschen zynisch jetzt ganz spontan – wie hat es die Schule so lange geschafft, kluge Mädchen auszugrenzen? Es klingt ein bisschen widersinnig die Frage, aber die Schule war super erfolgreich darin und heute ist sie noch immer erfolgreich. Wie schaffen es Deutsche Gymnasien, hochtalentierte junge Menschen mit Migrationshintergrund auszugrenzen? Wie gelingt ihnen das? Ich meine das nicht so zynisch, wie es klingt. Wenn wir das verstehen wollen, dann brauchen wir, man könnte sagen, Support, also Unterstützung, von den Sozialwissenschaften. Wir müssen uns auch für Gewalttheorien interessieren, wir müssen uns historisch kundig machen. Was ist denn die Vorgeschichte des Deutschen Gymnasiums? Das ist, wie soll ich sagen, ein zynisches Alleinstellungsmerkmal, dass wir in Deutschland lange den Eindruck hatten, möglichst früh die Gymnasiast:innen zu separieren von den anderen. Lass die anderen allein spielen Krethi und Plethi, aber sozusagen der Julius und die Friederike, die werden früh aussortiert und dann werden sie an gut ausgestatteten Schulen unterrichtet. Das ist in anderen Ländern anders. Das heißt, um das zu verstehen, brauchen wir einmal Support aus der Soziologie, aus der Geschichtswissenschaft, auch aus der Rechtswissenschaft und aus der Psychologie. Das heißt also, das sind, ich sag jetzt mal so ein bisschen flapsig, befreundete Nachbardisziplinen, auf deren Ergebnisse, auf deren Methoden wir immer wieder mal zurückgreifen. Dann werden die, ich sage es mal flapsig, eingespeist bei uns in das Studium. Man könnte sagen, wir müssen so gewisse Mindeststandards an Kenntnissen, aus der Statistik, aus der Geschichtswissenschaft, der Rechtswissenschaft, die müssen wir haben. Dann war der zweite Teil Ihrer Frage, wie groß könnte der Anteil denn sein. Das sagte auch einer der Studierenden, dass er jetzt noch Seminare in der Soziologie besucht. Das ist auch, würde ich sagen, besonders attraktiv an unserem Studium hier in Tübingen. Es gibt einen Wahlbereich und in diesem Wahlbereich, können Sie sich irgendwie austoben. Deshalb sagt der eine Kommilitone, er besucht ein Seminar zur Anthropologie und zur Ästhetisch-Kulturellen Bildung, die biete ich an, zum Beispiel diese Seminare und meine Kollegin in der Allgemeinen Pädagogik. Das heißt also, wenn Sie – sorry jetzt für die Metaphorik – Blut geleckt haben, dann können Sie sagen: Okay, jetzt will ich dazu noch zwei Seminare besuchen und dafür gibt's die Möglichkeiten.  

A. B.: Das heißt also, wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es einmal ein Lehrangebot innerhalb des Faches, wo die Basics abgedeckt werden, und dann kann man aber auch noch sozusagen zu den Nachbarfächer direkt in die Veranstaltung gehen und da dann seine Vorlieben nochmal vertiefen.  

M. R.: Genau. Man könnte auch sagen, dass es da jetzt schon um so eine Form der Expertise geht, also ein Expertenwissen, das können wir auch selbst gar nicht leisten. Zum Beispiel haben wir eine staatliche Anerkennung jetzt in diesem Studiengang, das ist ganz wichtig. Dann war klar, wir brauchen einen Rechtswissenschaftler oder eine Rechtswissenschaftlerin. Jetzt haben wir einen Juristen, der nur für unsere Studierende eine besondere Vorlesung anbietet. Wir brauchen dann wirklich das Expertenwissen für diese eine Vorlesung. Oder zum Beispiel ein Kollege aus der Empirischen Bildungsforschung, der bietet dann eine Vorlesung an, da geht es auch um Fragen der Statistik und er ist in diesem Falle wirklich ausgewiesen ein Experte dafür und deshalb bietet er das an.  

A. B.: Um das auch noch mal transparent zu machen, wir fragen natürlich auch dezidiert jetzt nach der Psychologie, weil, das wissen Sie auch, das Interesse an dem Studiengang sehr hoch ist und sich dann natürlich auch die Frage stellt: Inwiefern ist, wenn ich ein großes psychologisches Interesse habe, auch das Studium der Erziehungswissenschaft das Richtige für mich, oder wie viel kann ich damit abdecken?  

M. R.: Soll ich kurz etwas dazu sagen?  

A. B.: Ja, gerne! 

M. R.: Das ist eine heikle Frage, weil relativ viele Studierende, die auf die Psychologie schielen, dann feststellen, mein Abischnitt gibt das aber nicht her und dann mit der Hoffnung, in der Erziehungswissenschaft landen, da – was soll ich sagen – so eine Art weichgespültes Psychologiestudium zu absolvieren. Das wird nicht von Erfolg gekrönt sein. Wir sind eine eigenständige Disziplin, mit ganz eigenständigen Studienfächern. Natürlich sind wir jetzt thematisch näher zur Psychologie als zur Tibetologie oder zur Gesteinskunde keine Frage. Aber Sie werden später, wenn es um die sogenannte Berufseinmündung geht, Sie werden mit einem Abschluss in der Erziehungswissenschaft keinen Job in der Psychologie kriegen. Das ist wichtig, das müssen auch die Studierenden wissen.  

A. B.: Das ist auf jeden Fall auch gut, dass Sie das noch mal deutlich sagen. Jetzt hatte ich vorhin auch schon mal gesagt, wir haben den Bachelorstudiengang „Erziehungswissenschaft und Soziale Arbeit bzw. Erwachsenenbildung“ und da würde ich gerne noch mal nachhaken, wie die Anteile sind. Also in welchem Verhältnis studiert man Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt, Soziale Arbeit oder Erwachsenenbildung? Wie viel Raum nehmen diese Schwerpunkte jeweils ein?  

M. R.: Also, ich müsste – mal hier wieder ein Fachterminus – das Modulhandbuch anschauen. Das Modulhandbuch ist so etwas wie die DNA des Studiengangs. Ich müsste mir jetzt das Modulhandbuch anschauen, dann könnte ich Ihnen das ausrechnen. Wichtig ist aber, glaube ich, für unsere Studierenden, die allermeisten Veranstaltungen besuchen sie gemeinsam. Also das heißt, wenn Sie – jetzt das nächste Modewort – eine Identität ausbilden, eine Identität: Ich studiere den Bachelor am „IfE“, das sagen unsere Studierenden für Institut für Erziehungswissenschaft. Wenn Sie in Tübingen in der Innenstadt ankommen und biegen um die Ecke in die Münzgasse, dann studieren 90 Prozent derer, die da unterwegs sind, Erziehungswissenschaft. Es gibt so einen kleinen Innenhof, es gibt ein „IfE-Leuchten“ (Grillveranstaltung der Fachschaft), ein Sommerfest und so weiter. Das heißt sehr schnell, setzt wirklich so etwas identitätsstiftendes ein: „Wir am IfE hier in Tübingen.“ Das ist, glaube ich, das große Gemeinsame. Also es gibt ein gemeinsames Gefühl: Wir sind hier in Tübingen und studieren Erziehungswissenschaft. Und nachrangig ist dann: Welchen Schwerpunkt studierst du denn? Das heißt, es gibt einzelne Veranstaltung, da treffen sich dann diejenigen, die jetzt den Schwerpunkt „Sozialpädagogik“ haben, „Soziale Arbeit“ oder „Erwachsenenbildung/Berufsbildung“. Aber die allermeisten Seminare besucht man gemeinsam und dann gibt's eben die Möglichkeit, den eigenen Schwerpunkt zu vertiefen.  

A. B.: Und können Sie das nochmal ganz kurz auf den Punkt bringen, worin sich dann diese beiden Schwerpunkte unterscheiden?  

M. R.: Es gibt manche, die zum Beispiel mit der Abschlussfahrt in der Schule in Hamburg und in St. Georg unterwegs waren, auf einmal gemerkt haben: Oh, hier gibt's aber ein Drogenproblem, die den Eindruck haben, Streetworker, das wäre was für mich, oder Sozialarbeiterin. Das ist ein anderes Profil, als zu sagen, ich hätte Lust, konzeptionell über Angebote der Erwachsenenbildung nachzudenken. Wie müsste die Volkshochschule im Jahr 2028 aussehen, um die Probleme, die man zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt hat, um darauf schon früh reagieren zu können? Das sind zwei unterschiedliche Berufsfelder und auch der Stil ist ein unterschiedlicher. Häufig würde ich mir zutrauen, am Style der Studierenden zu sagen: Die landet in der Erwachsenenbildung und der landet in der Sozialpädagogik. Das sind auch unterschiedliche Lebensentwürfe. Wollen Sie raus auf die Straße und wollen Sie mit Kindern arbeiten oder wollen Sie sagen, ich fände es interessanter, wenn mein Klientel 35 Jahre ist, schon berufstätig ist und sich vielleicht weiter qualifizieren will oder vielleicht einen neuen Lebensabschnitt, ein ganz neues Berufsfeld sich erarbeitet, Also verstehen Sie, das sind Habitus, würde man auch sagen – das ist auch wieder so ein soziologischer Terminus – das sind unterschiedliche Lebensentwürfe. Das zu spüren, wohin soll die Reise gehen soll, das setzt in den ersten Semestern ein und ich würde sagen, die allermeisten sehen relativ schnell, welcher dieser beiden Studienschwerpunkte es sein soll. 

A. B.: In die Richtung zielt tatsächlich meine Nachfrage. Wenn man sich jetzt für einen dieser beiden Schwerpunkte entschieden hat und entscheidet sich doch nochmal um, wie ist es dann im Master? Kann man jeweils dann auch da noch mal wechseln?  

M. R.: Genau also ganz wichtige Frage. Die Antwort lautet kurz und bündig: ja. Und das ist auch reizvoll im Zweifelsfall. Erst mal ist wichtig, der Bachelor ist allgemein berufsqualifizierend. Das ist anders als zu der Zeit, in der wir beide studierten. Viele haben dann an einem Studienort begonnen und dann hatten sie ihre WG und den Freundeskreis und sind nie wieder weggegangen. Sie haben sich also im strengen Sinne gar nicht spezialisiert. Bei mir war das anders. Ich wusste dann auf einmal, mit Anfang 20, ich will promovieren. Dann habe ich überlegt, wohin gehe ich von Marburg aus. Heute ist es so, nach Bologna (Prozess zur Vereinheitlichung der Studiengänge) nach dem Bachelor müssen Sie sie fragen – weil es nicht automatisch weitergeht, was ich schon gerade gesagt hatte – wohin soll die Reise gehen. Und deshalb können Sie nach diesem Bachelor, den Sie bei uns studieren, einen Master machen. Jetzt kleine Werberunde für Tübingen: Wir sind, wie gesagt, das größte Institut in ganz Baden-Württemberg und wir am Institut bieten vier Master an. Das heißt also, wenn Sie bei uns den Eindruck haben, ich will mich wirklich auf die Schule fokussieren und ich möchte vielleicht Schulsozialarbeit machen, vielleicht interessiere ich mich für Schulleiter, dann gibt‘s bei uns den Master in der Schulpädagogik und Schulforschung. Wenn Sie den Eindruck haben: Das, was ich da in Hamburg gesehen habe, in St. Georg und mit dem Studienschwerpunkt, das ist der richtige Studienschwerpunkt für mich, den will ich jetzt vertiefen. Ich will auch ein Studienprojekt machen, mal ein ganzes Semester mich darauf nur fokussieren, dann könnte man sagen: Dann bleibe ich hier in Tübingen und mache den Master in Sozialpädagogik. Oder aber Sie merken, mein Studienschwerpunkt Erwachsenenbildung war schon richtig, auch dann kann ich in Tübingen bleiben. Dann habe ich die Professoren, die ich vorher vielleicht aus der Ferne gesehen habe, in der Vorlesung, dann habe ich die für mich im Seminar. Denn ein Masterseminar – man nennt das dann Kohorte, also die Generation von Master – das sind kleinere Seminare, es sind kleine Gruppen, das sind so zwischen 15 und 25 Personen. Jede und jeder von uns, von meinen Kolleginnen und mir, wir kennen unsere Masterstudieren sehr gut. Oder Sie haben jetzt Erziehungswissenschaften studiert und haben den Eindruck, keiner dieser beiden Schwerpunkte ist es so richtig und ich habe mich vielleicht so ein bisschen in Theorien verliebt. Wenn Sie anfangen zum Beispiel Freud zu lesen und dann fahren Sie zu Weihnachten nach Hause, dann ist die Familie nicht mehr dieselbe. Dann werden Sie auf einmal einen Konflikt zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter verstehen. Auf einmal verstehen Sie, was da eigentlich passiert. Oder, wenn sie zum Beispiel einen Soziologen wie Pierre Bourdieu lesen, dann werden Sie über Ungerechtigkeit und über Schule völlig anders nachdenken. Das heißt, wenn Sie an solchen Sachfragen interessiert sind, dann sagen Sie vielleicht: Okay, jetzt mache ich den Master in der Allgemeinen Erziehungswissenschaft.  

A. B.: Das ist jetzt auch mir in der Recherche schon so gegangen, dass diese Bandbreite an Angeboten mir sehr aufgefallen ist, was es eben alles für verschiedene Bachelor- und Meisterstudiengänge gibt. Deswegen ist es auch umso wichtiger, dass wir das so ein bisschen sortieren und klären. Eine Frage zur Abgrenzung, und zwar die Reine Sozialpädagogik versus Soziale Arbeit beispielsweise auch an einer Fachhochschule, wie könnte man jetzt dieses Universitätsstudium abgrenzen von Sozialer Arbeit an der Fachhochschule?  

M. R.: Das Studium der Sozialarbeit einer Fachhochschule ist ungleich praxisnäher. Die Kollegen, die dort arbeiten, haben auch eine sehr viel höhere Lehrbelastung. Wir an der Universität haben in der Regel neun Semesterwochenstunden, das heißt, wir haben auch Zeit, um intensiv zu forschen. Das schaffen die Kolleginnen und Kollegen kaum an der Fachhochschule. Ich will jetzt gar kein Bashing der Fachhochschule betreiben, aber dort ist die Lehrbelastung einfach ungleich höher. Das heißt also, wenn Sie daran interessiert sind, Soziale Arbeit zu studieren und vielleicht nicht ganz so viele Texte zu lesen und sich vielleicht nicht unbedingt mit anspruchsvollen Theorien auseinanderzusetzen und Begriffsarbeit zu machen, sondern ganz früh, man könnte sagen, so zwischen Einrichtungen, Praktika und dem Studium zu pendeln, dann sind Sie vielleicht oder wahrscheinlich an der Fachhochschule besser aufgehoben. Wenn Sie aber sagen: Ich bin an dem Praxisfeld interessiert, aber ich brauche auch eine gewisse Form der Distanznahme, um zu verstehen, was da passiert, dann sind Sie an der Universität besser aufgehoben. Das habe ich vorhin schon mal angesprochen, aber ich sag's trotzdem noch mal; es gibt bei uns das Studienprojekt im Master und es gibt vorher ein Praxissemester. Das heißt, im Bachelorstudiengang verbringen unsere Studierenden ein Semester in einem Praktikum, kommen dann zurück, hören dann eine Vorlesung und in der es um das Theorie-Praxis Verhältnis geht. Vor dem Hintergrund ihres Studiums und dieser Praxiserfahrung schreiben sie dann ihre Bachelorarbeit. Das heißt also, es wäre jetzt auch ein Klischee zu glauben, dass man bei uns nur im Elfenbeinturm studiert an der Uni und da gibt es nur Texte, Theorien und Begriffe. Das ist nicht der Fall. Die gibt es, aber es gibt eben auch das Praxissemester. Es gibt auch Lehrbeauftragte, die dann Theaterpädagogik machen oder anderes. Das ist mir auch ein Anliegen, in meiner Vorlesung. Es gibt eine Redeweise nach dem Motto, da ist Theorie, das Gegenüber von der Wirklichkeit und das ist falsch. Wir betreiben Theorie, nicht um uns abzuschotten von der Wirklichkeit, sondern wir betreiben Theorie, um die Wirklichkeit besser zu verstehen. Was ich vorhin erzählt hatte von diesem Kinofilm, von Close, zu verstehen, was da wirklich passiert, dafür brauchen wir Theorien. Und das ist, glaube ich, eine Stärke der Universität, sich nicht von der Welt da draußen in Anführungszeichen abzuwenden, sondern um diese Welt mit all den Brüchen, mit den Verwerfungen, mit den Konflikten zu verstehen, auch mit dem Aufbruch, dem Glück, Leid und Elend alles gleichzeitig bisweilen, um das zu verstehen, brauchen wir eine anspruchsvolle Ausbildung, eine akademische Ausbildung und die gibt's an der Universität Tübingen.  

A. B.: Das ist ein großes Versprechen. Bevor wir zu den persönlichen Voraussetzungen gehen, die man so fürs Studium mitbringt, hören wir uns doch mal an, was die Tübinger Studierenden am Studium denn so begeistert.  

Persönliche Voraussetzungen (46:40) 

Studi 1: Besonders begeistert mich an der Erziehungswissenschaft, dass sie viele angrenzende Disziplinen hat. Man beschäftigt sich zum Beispiel auch mit Geschichte, Philosophie, Psychologie, Soziologie, Wirtschaft und vielem mehr. Insgesamt ist das Fach thematisch sehr breit gefächert.  

Studi 2: Ich glaube, was mich am meisten packt und am meisten begeistert, ist, dass wir die Chance haben, hier kritisch denken zu lernen und zu lernen, uns kritisch eine Meinung zu bilden, kritisch Distanz zu etwas einzunehmen.  

Studi 3: Am Fach begeistert mich vor allem die Interdisziplinarität, die verschiedenen Jobmöglichkeiten und die Verbindung zwischen Forschung, Theorie und Praxis. Der Studiengang gibt einem das Gefühl, man studiert für die Zukunft der Gesellschaft.  

Studi 4: Die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftsrelevanten Themen und der starke Diskurs, der zwischen Kommiliton:innen, aber auch mit den Lehrenden stattfindet und offen am Institut geführt wird.  

Studi 5: Dass man sehr viele unterschiedliche Perspektiven kennenlernt, sich irritieren lassen kann und auch muss, und dass man sehr viel miteinander diskutieren kann. Und außerdem gefällt mir sehr, dass man Praxiserfahrung nebenher sammeln kann.  

Studi 6: Sich mit der Bildung von Erwachsenen zu beschäftigen, daran habe ich einfach Freude. Zum anderen mag ich, dass man wirklich auch eigene Schwerpunkte in diesem Master dann setzen kann, und die Beziehung zu den Lernenden finde ich auch richtig gut, das ist sehr offen.  

Studi 7: Ich finde den größten Mehrwert am Studium, dass ich immer wieder meine Haltung hinterfrage und reflektiere.  

A. B.: Aus ihrer Sicht noch mal, was sind denn wichtige Voraussetzungen, die man als Studienanfänger, -anfängerin mitbringen sollte? Wir haben es hier und da schon mal angerissen.  

M. R.: Also, ich antworte mal ganz spontan und jetzt nicht so sehr als Erziehungswissenschaftler: Neugierde, würde ich sagen. Ein Hunger auf das, was da kommt, auf das, was ich beobachten kann, wenn ich aus dem Fenster schaue, wenn ich Zeitung lese, wenn ich neue Kinofilme sehe oder Netflix-Serien schaue. So eine Art Hunger, das zu verstehen, was da passiert. Und damit zu rechnen, dass die Perspektive, mit der ich bislang auf die Welt blicke, vielleicht nur eine Perspektive ist und dass das Studium, wie eine lange Reise ist. In meiner Vorlesung spreche ich davon, dass Bildung auf zwei Ebenen vorkommt. Einmal ist Bildung ein Gegenstand, also ich kann etwas lernen darüber, was Bildung, was einen anspruchsvollen Bildungsbegriff ausmacht, und das ganze Studium kann ein Bildungsprozess sein. Das heißt also, dass Sie, man könnte sagen, auch so mutig sind, sich darauf einzulassen, zum Beispiel wenn jetzt eine Kommilitonin berichtet, die eigene Haltung immer wieder zu hinterfragen. Dieses Wagnis einzugehen, ohne ganz genau zu wissen, was da auf mich zukommt, so hinreichend interessiert und motiviert zu sein und so mutig zu sein, sich auf dieses Wagnis irgendwie einzulassen, das wären ideale Voraussetzungen. Und auch vielleicht jetzt schon mal – ich weiß nicht, ob Sie noch danach fragen – unsere Studierenden kommen super unter.  

A. B.: Danach fragen wir immer.  

M. R.: Ich finde es erstaunlich zu sehen, das heißt also jetzt noch mal als Kombination dieser Mischung aus Neugierde, Wagnis, Mutig-Sein, Bereitschaft, sich selbst zu verändern, sich zu hinterfragen, dann ist ja auch vom Diskurs die Rede gewesen – ist auch so ein Fachterminus – das heißt, sich wirklich in einem Kräftefeld der Universität zu bewegen. Sie müssen damit rechnen, Sie kommen anders raus, als Sie das Kräftefeld betreten haben. Das Versprechen ist: Gleichzeitig neben dieser man könnte sagen, Persönlichkeitsbildung, werden Sie fachlich so qualifiziert, dass Sie später einen Job finden werden. Und das ist ein Job, wir haben damit begonnen, was mit Menschen zu machen – das ist das typische Klischee – der Sie genau für dieses Berufsfeld irgendwie qualifiziert, auf eine anspruchsvolle Weise.  

A. B.: Und weil Sie das jetzt auch nochmal angesprochen haben, mit Menschen arbeiten, würden Sie sagen, es ist dann wichtig, dass man von der Persönlichkeit her eher offen ist und gut auf Menschen zugehen kann, oder ist das nicht unbedingt nötig, je nachdem, welche Richtung man natürlich einschlägt?  

M. R.: Also, das kann ganz unterschiedlich sein, welche Persönlichkeitsmerkmale später mal gefragt werden. Es könnte auch sein, dass Sie journalistisch arbeiten und dass Sie kein besonders großes Interesse daran haben, eine Bühne zu rocken, einen Hörsaal zu rocken oder ein Klassenzimmer, sondern dass Sie eine kluge, analytische Beobachterin sind, der es gelingt, das, was sie sieht, für ganz feine Nuancen, sprachlich abzubilden und das in einem Text von 3000 Zeichen irgendwie unterzubringen, und, dass Sie es dann vielleicht sogar noch schaffen, zwei Tage später den nächsten Text zu liefern. Wenn Sie das können, dann müssen Sie sich eigentlich nur in der Redaktion bewegen können und im Zweifel Interviews führen. Aber da wird von Ihnen weniger Extrovertiertheit gefragt, sondern dann ist es vielleicht wirklich so eine Gabe, einen eigenen Sound zu finden. Aber wenn Sie auf der anderen Seite eine Leitungsfunktion haben, und viele unserer Studierenden sage ich Ihnen – auch wenn sie das jetzt erst mal gar nicht erwarten, die sitzen im ersten Semester und denken, Herr Rieger-Ladich, ich fange doch gerade erst an – aber viele werden wir für Leitungsaufgaben und -positionen qualifizieren. „In the long run“ führt das bei vielen dazu. Wenn Sie dann den Eindruck haben, ich stelle mir zwar jetzt eine Einrichtung der Schulsozialarbeit vor, mit 15 oder 20 Angestellten, aber so richtig auf Touren komme ich, wenn ich einen Text für die Festschrift schreibe, und ansonsten können Sie mit Personalführung nichts anfangen und Sie scheuen den Kontakt mit Schülerinnen und Kolleginnen, dann würde man auch sagen, da ist er aber irgendwie fehl am Platz.  

A. B.: Was würden Sie von Ihrer Seite aus sagen, was denn das Spannende der Erziehungswissenschaft ist?  

M. R.: Also in einem Satz: Es geht um wahnsinnig viel in unserer Disziplin, weil die großen gesellschaftlichen Fragen sich auch an Bildungs- und Lernfragen entscheiden.  

A. B.: Dann bleiben wir bei dem einen Satz. Wir haben auch schon Zulassungsbeschränkungen angesprochen. Wie sieht das dann aus in Tübingen? Wie gut stehen die Chancen auf einen Studienplatz, wenn man denn gerne Erziehungswissenschaft studieren möchte?  

M. R.: Die Chancen sind weiterhin gut. Wir werden regelmäßig überbucht, sowohl im Bachelor als auch im Master und das ist ein gutes Zeichen. Das heißt, die Nachfrage nach den Plätzen ist hoch. Es relativiert sich dann insofern ein bisschen, als dass die Studierenden sich nicht nur für einen Standort bewerben. Unsere Erfahrung ist – z. B. im Master kann ich das bei uns beobachten, im Master der Allgemeinen Erziehungswissenschaft – dass sich Studierende an drei Standorten bewerben. Wenn Sie dann aber merken, – wir führen noch Auswahlgespräche durch mit Ihnen – dass Sie eine ganz realistische Chance haben, in Tübingen genommen zu werden, dann entscheiden sich viele auch für Tübingen. Das gilt auch für den Bachelor. Also ich würde jetzt nicht einfach aus einem Gehorsam lieber „second best“ wählen. Also schauen Sie sich die Homepage an, schauen Sie sich das, was ich vorhin genannt habe, das Modulhandbuch an, also wie heißen die Vorlesung, wer lehrt dort, welche Forschungsschwerpunkte gibt es. Schreiben Sie der Fachschaft – die klasse ist – eine Mail. Es gibt auch ein autonomes Café – das Café Rosa, also für Rosa Luxemburg – gucken Sie sich um vor Ort. Das habe ich auch so gemacht. Fahren Sie vor Ort, gucken Sie mal, nehmen Sie Witterung auf. Wenn Sie sich dann bewerben, werden die allermeisten tatsächlich einen Platz bekommen.  

A. B.: Gut, dann hören wir doch jetzt mal rein, was die Studierenden so für berufliche Vorstellungen haben.  

Berufsperspektiven (55:08) 

Studi 1: Nach meinem Studium möchte ich in der Medienpädagogik arbeiten, in Bildungseinrichtungen und werde gegebenenfalls auch einen Master oder einen Zweitbachelor anhängen, bei dem ich mich dann auf Medien- und Sexualpädagogik spezialisieren kann. 

Studi 2: Ich kann mir gut vorstellen, selbst in der Erwachsenenbildung tätig zu sein, z. B. als Programmplaner an der Volkshochschule oder vielleicht auch selbstständig als Dozent kann ich mir auch gut vorstellen. Eine andere Perspektive wäre die Wissenschaft, also zu promovieren und an der Uni zu bleiben. Oder natürlich auch eine große Möglichkeit, wäre es eher so in die Personalentwicklung zu gehen, also in die betriebliche Seite, in die Industrie und dort mit den Mitarbeitenden Bildung zu machen.  

Studi 3: Also final habe ich mich noch nicht entschieden, weil es einfach so unfassbar viele Möglichkeiten gibt. Aber aktuell denke ich, dass ich mich danach im systemischen Bereich noch ein bisschen weiterbilden möchte und in die Beratung gehen will oder auch die Weiterbildung zum Kinder- und Jugendpsychotherapeuten mache.  

Studi 4: Wie schon erwähnt, habe ich vor meinem Studium bereits in der offenen Kinder- und Jugendarbeit gearbeitet und während meinem Studium jetzt in meinem Praxissemester in der Jungen- und Männerarbeit und dort in der Beratung und den Schulprojekten mitgearbeitet, was mir beides sehr gut gefallen hat. Ein anderer Punkt, der mich sehr interessiert, wäre auch die Erlebnispädagogik.  

Studi 5: Ich suche eigentlich eine Arbeit, die meine Leidenschaft für Geisteswissenschaft und die Arbeit mit Menschen verbindet. Ich kann mir aber auch sehr gut vorstellen, in einer Kulturinstitution Bildungs- und Vermittlungsarbeit zu leisten. Hier könnte ich nämlich Geisteswissenschaften durch Erwachsenenbildung zugänglicher machen.  

Studi 6: Das Schöne ist, dass mir nach meinem Studium ganz viele verschiedene Richtungen offenstehen, und ich habe drei, die ich gerne verfolgen würde oder auch irgendwie kombinieren würde. Ich würde sehr gerne queere Pädagogik machen, queere Bildungsarbeit machen. Ich würde auch sehr gerne mich sexualpädagogisch weiterbilden und dann in der Sexualpädagogik arbeiten, und als drittes würde ich aber auch gerne im Bereich sexualisierter Gewalt, Prävention sexualisierter Gewalt und Betroffenenarbeit arbeiten.  

A. B.: Ja, wir haben schon ein ganz breites Spektrum gehört, haben auch schon gesprochen über die verschiedenen Bereiche, Erwachsenenbildung und Soziale Arbeit. Dann lassen Sie uns hier noch mal die beruflichen Felder auffächern. Also wo kann man überall arbeiten, mit dem Studium der Erziehungswissenschaft und wo vielleicht nicht? Also wo sind die Grenzen?  

M. R.: Ich kann jetzt mit dem Zitat antworten, das sagte der eine Student: Es ist unfassbar viel. Es gibt unfassbar viele Bereiche, in denen Sie arbeiten können, sehr viele Optionen, das wurde auch genannt. Vielleicht jetzt, um es von außen einzugrenzen: Es gibt Berufsfelder, die sind von einer Disziplin glasklar dominiert. Also, wenn Sie Diplompsychologin werden wollen, dann brauchen Sie ein Diplom in Psychologie. Wenn Sie Zahnärztin werden wollen, müssen Sie Zahnmedizin studieren. Wenn Sie Rechtsanwältin werden wollen, müssen Sie Rechtswissenschaften studieren. Da gibt es die klassischen und Professionen und die grenzen das ein. Für uns, also für unsere Studierenden, ist es der Bereich der Pädagogik. Der kann eben von der Jungen- und Männerarbeit reichen, das ist jetzt ein Bereich. Ich selbst kenne einen Kommilitonen, der bei uns im Master studiert hat und der jetzt – ich sag es mal ein bisschen akademischer – antisexistische Jungenarbeit, macht hier in Tübingen, bei den „Pfunzkerlen e.V.“ – tolle Arbeit, die die machen! Sie können aber auch ganz klassisch – das ist auch genannt worden – Personalentwicklung machen. Also in vielen großen Unternehmen, in Behörden sitzen Personaler:innen, wie man dann so sagt, die z. B. Erwachsenenbildung studiert haben. Schulsozialarbeiter:innen haben im Zweifelsfall in Tübingen studiert. Das heißt, heute werden Lehrerinnen und Lehrer entlastet durch Schulsozialarbeiterinnen, weil das Anforderungsprofil an Schulen immer höher wird. Was anderes, was genannt wurde – da tauchten dann die Geisteswissenschaften immer wieder mal auf – sind kulturelle Einrichtungen. Vorhin habe ich von der Demokratisierung von Schulen gesprochen. Sie könnten auch sagen, Sie wollen sich für die Demokratisierung von Museen einsetzen. Also wie müssten Museen aussehen, damit niemand den Eindruck hat: Hier bin ich fehl am Platz – tolle Herausforderung! Entscheidend wäre, dass Sie – man könnte sagen – kombinieren, also ein Gespür für Organisationen zu haben. Das ist etwas, was lange unterschätzt wurde in der Erziehungswissenschaft. Oder man könnte sagen, mit Blick auf den Beginn in der Pädagogik, über viele Jahre hinweg sind ganz engagierte Absolventinnen der Pädagogik in die Schulen gegangen und dachten: Jetzt reformieren wir die ganze Gesellschaft, die ganze Republik. Sie haben aber nicht damit gerechnet, auf eine Organisation zu treffen, auf ein Kollegium, das nicht auf Sie gewartet hat, dass nach einer ganz eigenen Logik funktioniert. Deshalb müssen wir auch über Organisationen aufklären und das tun wir. Das heißt also, sie können auch sagen: Ich will in einer Organisation arbeiten und vielleicht zu verdecktem Rassismus und Sexismus in Institutionen arbeiten. Ja, oder z. B.  ein anderer Kommilitone sprach auch davon: queere Bildungsarbeit. „Queerness“ als neues Thema, als neue Herausforderung, auch von Bildungseinrichtung. Auch da sind Leute gefragt und dann würde ich sagen, im besten Falle haben sie Erziehungswissenschaft in Tübingen studiert.  

A. B.: Sie haben vorhin schon mal angesprochen, dass es die staatliche Anerkennung für Sozialarbeit gibt. Wie funktioniert das? Bekommt man die automatisch mit dem Abschluss? Oder wann wird die verliehen?  

M. R.: Was Sie jetzt ansprechen, ist ganz wichtig für unser Institut gewesen. Das ist so wichtig gewesen, dass wir gesagt haben, wir reformieren unseren Studiengang. Diese staatliche Anerkennung war daran geknüpft, dass wir z. B. einen höheren Anteil an Rechtswissenschaft vorsehen. Jetzt müssen Sie, meines Wissens, angeben, wenn Sie diesen Studienschwerpunkt Sozialpädagogik/Soziale Arbeit wählen, dass Sie an der staatlichen Anerkennung interessiert sind. Aber wir sprechen ja wahrscheinlich jetzt über Schülerinnen, die sich jetzt für das Wintersemester 2024/25 interessieren, dann ist das längst bei uns alles automatisiert. Im Zweifel ist es ein Häkchen, das sie auf dem Formular machen und dann bekommen Sie am Ende die staatliche Anerkennung.  

A. B.: Das heißt aber, den Master muss man nicht automatisch absolvieren?  

M. R.: Nein, die staatliche Anerkennung erhält man nach dem Bachelor.  

A. B.: Dann die Frage, welche Vorteile bietet das denn?  

M. R.: Diese staatliche Anerkennung ist notwendig geworden. Ich sage es jetzt mal ein bisschen flapsig, weil viele Arbeitgeberinnen den Überblick verloren haben. Die hatten den Eindruck, es gibt so viele Studiengänge im Bereich der Erziehungswissenschaft, der Sozialen Arbeit, der Sozialpädagogik an Universitäten, an Fachhochschulen, an Dualen Hochschulen, dass sie sagten: Ich weiß gar nicht mehr, was ist denn drin, was wird eigentlich dort gelehrt. Dann haben sie gesagt: Okay, wenn manche eine staatliche Anerkennung haben, dann haben das andere wahrscheinlich geprüft und da wird schon was dran sein. Das wurde dann zu einem Nachteil für unsere Studierenden. Also die sind im Zweifelsfall anspruchsvoller ausgebildet, hatten aber nicht diese staatliche Anerkennung. Das war dann ein Nachteil in manchen Bundesländern. Manche Bundesländer sagten dann: Bei unseren Behörden, die können nur dann einstellen, wenn jemand diese staatliche Anerkennung hat. Daraufhin haben wir dann gesagt: Okay, „old school“ formuliert, das Patent bei uns, also das Zertifikat, das ist das Zeugnis. Jetzt gibt es ein Zeugnis und es gibt gleichsam noch mal so ein Siegel obendrauf der staatlichen Anerkennung. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist es nicht wahnsinnig sinnvoll, aber weil der Arbeitsmarkt das verlangt und erwartet, und um zu vermeiden, dass unsere Studierenden daraus einen Nachteil haben, haben wir gesagt: Okay, dann machen wir das auch, wir bauen den Studiengang etwas um, modifizieren ihn und erfüllen dann die Auflagen. Deshalb würde ich sagen, gibt es jetzt den günstigen Fall: Sie haben eine anspruchsvolle, auch theoretische Ausbildung und gleichwohl die staatliche Anerkennung.  
A. B.: Wir haben ja schon auch darüber gesprochen, dass es gerade diese Psychologische Psychotherapie eben nicht abdeckt. Es gibt aber auch beispielsweise Fortbildungen, so im beraterischen oder psychotherapeutischen Feld. Das ist durchaus möglich, auch für andere Berufsgruppen. Gibt es bestimmte Berufsfelder, die nochmal eine spezielle Aufbauausbildung dann erfordern?  

M. R.: Ja, gibt es! Wir haben vorhin schon bei einem der Einspieler davon gehört, dass sich jemand für diesen Bereich der Beratung interessiert. Wir haben eine geschätzte Kollegin, Petra Bauer, die hat sich in ihrer Forschung darauf spezialisiert. Das heißt also, Sie könnten jetzt bei uns in Tübingen im Bachelor studieren oder dann auch im Master und merken: Beratung ist besonders interessant. Es gibt dann verschiedene Konzepte innerhalb der Beratung. Also die Kommilitonin spricht von Systemischer Beratung. Wenn Sie vielleicht von Woody Allen Filmen kennen, dass jemand in eine Analyse geht, dann gibt's immer so eine Zweierkonstellation, also der Analysand, die Analysandin liegt auf dem Sofa und dahinter sitzt der Meister und erklärt oder erläutert dann die Träume. Da hat man immer den Eindruck, es gibt eine Person und diese Person hat ein Problem. Ein systemischer Ansatz würde sagen: Nein, diese Person hat ein Symptom. Das Problem liegt möglicherweise in den Interaktionsmustern zwischen den ganzen Beteiligten und damit ändert sich der Blick auf Problemkonstellation. Das heißt also es kann sein, Sie fangen an im Studium im Bachelor, sich für Beratung zu interessieren und sagen: Ich bleibe hier in Tübingen, ich will bei Petra Bauer und anderen, die das auch lehren, mich noch intensiver mit Beratung beschäftigen. Dann haben Sie aber jetzt nur in Anführungszeichen einen Schwerpunkt in Ihrem Studium. Es kann dann sein, dass sie zum Beispiel sagen: Ich schreibe meine Masterarbeit dazu und erarbeiten Sie sich so ein gewisses Expert:innen-Wissen. Wenn Sie aber dann später auf dem Markt sich als Beraterin qualifizieren wollen oder dort Angebote machen wollen, dann wird man nach Abschlüssen fragen. Dann müssen Sie – genau das, was Sie ansprechen – eine zusätzliche Ausbildung machen, z. B. als Systemische Beraterin. Und das kann jetzt auch nicht jeder anbieten, der mal was von Fritz B. Simon oder von anderen irgendwie was gelesen hat. Sondern es gibt ganz renommierte Einrichtung, in Heidelberg, z. B.  – das ist ja unweit von Tübingen – da gibt es eine bestimmte Schule der Systemischen Beratung. Sowas besucht man in der Regel berufsbegleitend. Die sind meistens relativ teuer diese Ausbildungen. Für jemanden aus der Psychologie ist das ganz unspektakulär, weil da ist völlig klar, Sie studieren erst Psychologie und sehr viele werden dann eine weiterführende, eine Zusatzqualifikation machen. Aber prinzipiell hätten Sie auch bei uns in der Erziehungswissenschaft die Option, danach sich zu spezialisieren und eine solche Zusatzqualifikationen zu erwerben.  

A. B.: Und wir haben ja schon gehört, Kinder- und Jugendarbeit ist ein Thema. Was ist mit Kinder- und Jugendpsychotherapeut oder Psychotherapeutin? Kann man sich damit auch weiter qualifizieren, wenn man Erziehungswissenschaft studiert hat?  

M. R.: Ja, meines Wissens schon. Wir haben selbst eine studentische Mitarbeiterin bei uns in der Allgemeinen Pädagogik, die jetzt in diesem Bereich ihr Praktikum macht. Das ist auch eine interessante Option. Das heißt also, Sie studieren bei uns in Bachelor und können in andere Berufsfelder reinschauen. Sie machen dort mal ein Praktikum und fragen sich, vielleicht: Will ich weiter in diese Richtung gehen oder doch nicht? Das heißt, Sie könnten also bei uns den Bachelor machen und könnten dann sagen: Ich will mich dort in diesem Bereich weiter qualifizieren und das könnte dann ein Studium sein, oder das könnte auch eine Ausbildung sein.  

A. B.: Gut, ich glaube, wir haben eine ganz gute Bandbreite an Berufsperspektive aufgetan und was es noch für Fortbildungswege gibt. Wir haben schon über die Insidertipps gesprochen und Sie haben auch schon den Filmtipp abgegeben. Haben Sie uns noch mehr mitgebracht?  

Insider-Tipps (01:07:48) 

M. R.: Ja, also ich könnte jetzt zwei Stunden Ihnen Romane, Podcast und anderes empfehlen. Wenn ich Ihnen einen Podcast empfehlen sollte, dann wäre das Soziopod, da weiß ich auch, dass ihn viele Studierende hören, auch Mitarbeiter:innen von mir.

A. B.: Ich höre den auch. Tatsächlich kenne ich den auch.  

M. R.: Genau, das wäre eine Variante. Eine Empfehlung wäre, das würde ich auch allen Studierenden im ersten Semester schon sagen – wenig überraschend – Zeitung lesen, wirklich Tageszeitung lesen. Wir haben ausgezeichnete Zeitungen im deutschsprachigen Raum und viele von denen können Sie online lesen, ohne noch etwas bezahlen zu müssen. Tun Sie das. Es geht zum einen darum, ganz schlicht sich auf dem neuesten Stand zu halten. Das andere bedeutet aber auch, Sie werden ihr Vokabular erweitern. Die meisten, die das jetzt hören, sind noch Schülerinnen. Wenn Sie an die Uni kommen, werden Sie auf neue Begriffe stoßen, auf einen Jargon. Das war bei mir auch so. Als ich anfing, hieß es ständig: „Implizit – implizit und explizit.“ Ich wusste gar nicht, was damit gemeint ist. Das habe ich erst mal nachgeschlagen. Dann, wenn heute von Diskurs die Rede ist – also, sie tauchen in so eine neue Begriffswelt ein, und es wäre grandios nebenher Zeitung zu lesen, dass einfach Ihr Vokabular immer größer wird, immer reichhaltiger wird, dass Sie immer mehr Möglichkeiten haben, kleinteilig Dinge zu beschreiben. Davon ist auch die Rede gewesen. Sie sitzen in Vorlesungen, im besten Falle beteiligt Sie sich auch an diesen Vorlesungen, Sie können also Fragen stellen – bei mir können Sie auch Mails schreiben zur Vorlesung – dann besuchen Sie Seminare und in diesen Seminaren sitzen sie nicht nur brav, wie Hühner auf einer Stange, sondern Sie machen dort Referate, Gruppenarbeit und anderes mehr. Und Sie schreiben Texte. In Tübingen Erziehungswissenschaft zu studieren, heißt auch, Texte zu schreiben. Das heißt also, mit Sprache umzugehen und die eigene Sprache zu schulen, das würde ich dringend empfehlen. Das heißt, Tageszeitung zu lesen, aber auch Romane zu lesen. Toben Sie sich intellektuell aus! Dann ist es vielleicht für mich nach wie vor aufregend, ins Kino zu gehen und eigentlich nur einen Film über zwei Jungs mit 13 Jahren – wovon ich vorhin gesprochen hatte – zu schauen. Und dann fällt es Ihnen wie Schuppen von den Augen, was alles daran pädagogisch bedeutsam ist. Ich habe schon viele Texte auch zu Netflix-Serien geschrieben, zu The Wire und Orange is the New Black und andere mehr. Auch da werden grandiose Stoffe verhandelt. Dann wäre es aber vielleicht auch interessant zu sehen, wie werden denn diese Stoffe verhandelt? Also was ist die Dramaturgie von Breaking Bad? Was ist die Dramaturgie von Orange is the New Black? Wie werden bei Orange is the New Black Sexismus, Rassismus und verschiedene Formen der Diskriminierung verhandelt? Also, das ist alles schon da. Das ist fantastisches Material, das letztlich darauf wartet, von uns entdeckt zu werden. Und dann gibt es, würde ich sagen, kein Halten mehr. Was ich jetzt gerade lese, seit zwei Tagen, ist ein Roman eines Autors aus Südkorea. Da geht es um einen Jungen, der auf einer Mülldeponie aufwächst. Das heißt auch, könnte man sagen, unseren privilegierten Lebensentwurf hier im Globalen Norden – so nennen wir das – den zu befremden. Das, was uns normal und vernünftig erscheint, in der Jugend, da denken die meisten, spielt man, und da hat man zwar vielleicht seine ersten Freunde, ein bisschen Stress in der Schule und so weiter, aber Jugend am Stadtrand von Seoul kann was ganz, ganz anderes bedeuten. Dafür brauchen wir z. B. Romane, dafür brauchen wir Netflix-Serien!  

A. B.: Und das heißt, da einfach mit wachem Blick drauf zu schauen und sich diese Fragen zu stellen. Ja, es freut mich, dass Sie heute da waren, Herr Rieger-Ladich, auch nochmal vielen Dank für Ihre Zeit heute hier. Und an unsere Hörerinnen und Hörer: Schickt uns gerne Eure Fragen, schickt uns Kritik oder Anregungen wie immer an hochschulreif@uni-tuebingen.de. Und ich verlinke alle Infos in den Shownotes.  

M. R.: Wunderbar, vielen Dank, war mir ein Vergnügen!  

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Markus Rieger-Ladich über die folgenden Themen:
00:02:27 Persönliche Motivation 
00:16:19 Studieninhalte 
00:46:40 Persönliche Voraussetzungen 
00:55:08 Berufsperspektiven 
01:07:31Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Erziehungswissenschaft:

Im Podcast erwähnte Filme und Serien:

  • Close, Reg. Lukas Dhont, Belgien/Frankreich/Niederlande 2022 (Film).
  • Breaking Bad, Prod. Vince Gilligan/Mark Johnson, USA 2008–2013 (Serie).
  • Orange is the New Black, Prod. Jenji Kohan/Liz Friedman, USA 2013–2019 (Serie).
  • The Wire, Prod. David Simon/Robert F. Colesberry/Nina Kostroff Noble, USA 2002–2008 (Serie).

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #16: Geowissenschaften und Umweltnaturwissenschaften

Was lernt man im Studium der Geowissenschaften und Umweltnaturwissenschaften? Wie unterscheiden sich die beiden Studiengänge voneinander? Welche zusätzlichen Kosten kommen durch Exkursionen auf mich zu? Und wo arbeite ich mit so einem Studienabschluss später? Wir sprechen mit Professor Dr. Olaf Cirpka, Studiendekan und Professor für Hydrogeologie an der Universität Tübingen, über die Studienfächer Geowissenschaften und Umweltnaturwissenschaften. Studierende aus den beiden Fächern beantworten Fragen zum Thema Studienwahl, ihrem Studienalltag und ihren persönlichen Berufswünschen.

Tags #Geowissenschaften #Umweltnaturwissenschaften #Naturwissenschaften #Umwelt #Geologie
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Christoph Jäckle (C. J.): Herzlich willkommen zu einer neuen Folge „hochschulreif“, Eurem Tübinger Podcast zur Studienwahl, indem wir Euch heute wieder ein neues Studienfach vorstellen. Wir haben dazu wie immer einen Gast eingeladen und freuen uns, Professor Doktor Olaf Cirpka zu begrüßen.  

Prof. Dr. Olaf Cirpka (O. C.): Guten Tag!  

C. J.: Wir, das sind wie immer meine liebe Kollegin Alexandra Becker vom Team der Zentralen Studienberatung (ZSB). Hi, Alex!  

Alexandra Becker (A. B.): Hallo.  

C. J.: Und ich bin Christoph aus dem Team, der Hochschulkommunikation. Wie eben schon angekündigt, haben wir heute Professor Doktor Olaf Cirpka bei uns zu Gast. Er ist Lehrstuhlinhaber für Hydrogeologie und wird uns bestimmt auch gleich zusammenfassen, was man sich denn genau unter dem Fach Hydrogeologie vorstellen kann. Vor allem geht es heute aber um die beiden Studienfächer Geo- und Umweltnaturwissenschaften, für die Herr Cirpka auch der Studiendekan ist. Das bedeutet, dass er dafür zuständig ist, zu entscheiden, was in diesen Studiengängen inhaltlich gelehrt wird und wie die Rahmenbedingungen sind. Und genau darum soll es heute gehen. Bevor wir gleich tiefer einsteigen, von Ihnen erfahren, wie Sie zu dem Fach gekommen sind und was es mit Hydrogeologie auf sich hat, hören wir uns einmal kurz an, was denn die Tübinger-Studierenden der Fächer Geo- und Umweltwissenschaften dazu gebracht hat, das jeweilige Fach zu studieren. Hören wir doch mal rein!  

Persönliche Motivation (01:21)  

Studi 1: Ich war immer schon sehr begeistert von physikalischen Phänomenen. Da mich die Natur sehr fasziniert, mit ihren Prozessen und Phänomenen, habe ich mich dann letztendlich für Umweltnaturwissenschaften entschieden, weil es doch ein recht physikalischer Studiengang ist, mit einem stark umweltbezogenen Aspekt.  

Studi 2: Ich habe angefangen Geowissenschaften zu studieren, weil ich verstehen wollte, wieso die Erde so aussieht, wie sie aussieht, wie die Erde die menschliche Evolution beeinflusst hat und wie wir als Menschen auch gleichzeitig die Erde um uns herum beeinflussen. Ich habe das Buch Der Schwarm gelesen und war sehr begeistert von allem, was da so beschrieben wurde.  
Studi 3: Ich hatte mich vor der Entscheidung für den Studiengang Umweltnaturwissenschaften nicht besonders intensiv mit den Inhalten auseinandergesetzt. Mir hat einfach gefallen, dass in dem Studiengang viele Naturwissenschaften kombiniert werden und die Umwelt eine Rolle spielt.  

Studi 4: Ich habe mich für den Bachelorstudiengang Umweltnaturwissenschaften entschieden, weil die Module sehr interessant klangen, der Studiengang an sich sehr interessant schien und die Schwerpunkte vor allem auf Chemie und Physik liegen und mir das in der Schule schon besonders lag und ich sehr viel Spaß daran habe, mich mit Themengebieten der Physik und Chemie auseinanderzusetzen.  

A. B.: Ja, ich glaube, deutlich ist auf jeden Fall, dass die Naturwissenschaften, das System Erde und auch die Erdgeschichte eine Rolle spielen. Spannend fand ich, dass das Buch Der Schwarm genannt wurde. Ich selbst habe es nämlich nicht gelesen. Ist das etwas Einschlägiges in dem Fach?  
O. C.: Also, das Buch, Der Schwarm kenne ich. Das ist sehr spannend geschrieben von dem Autoren Frank Schätzing. Es geht darin darum, dass die Natur zurückschlägt. Ich persönlich würde es nicht empfehlen, um nachher die Prüfung zu bestehen, aber als Motivation ist es sicherlich gut geeignet.  

A. B.: Ich bin schon neugierig, zu erfahren, was Hydrogeologie ist. Können Sie das ganz knapp zusammenfassen? 

O. C.: Ja, das ist relativ einfach. Hydrogeologie ist die Wissenschaft vom Grundwasser. Das ist die Mischung zwischen Hydrologie – der Lehre vom Wasserkreislauf – und Geologie – der Lehre von der Erde und den Gesteinen. Wir interessieren uns für das Wasser im Untergrund, daran hängen zwei Drittel unserer Trinkwasserversorgung. Deswegen ist Hydrogeologie ein wichtiges Thema.  

A. B.: Sind dann auch solche Aspekte wie Privatisierung der Wasserressourcen ein Thema? Oder geht es bei Ihnen nicht so sehr um solche politischen Aspekte?  

O. C.: Wir haben sicherlich Dinge, die politisch wichtig sind. Wir beschäftigen uns aber nicht so sehr mit den ökonomischen Aspekten, sondern wir stehen mit zwei Beinen in den Naturwissenschaften. Da gibt es genug, zu erforschen, zu regeln und zu verstehen. Es gibt dann andere Disziplinen, in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, die auf rechtliche Formen und gesellschaftliche Prozesse spezialisiert sind. Wir sorgen dafür, dass es rationale Entscheidungsgrundlagen gibt.  

A. B.: Sie können dann erklären, warum so etwas wie die Privatisierung von Wasserressourcen eventuell problematisch sein könnte.  

O. C.: Warum bestimmte Maßnahmen problematisch sein könnten, ja. Aber im Wesentlichen geht es auch in der Berufspraxis immer darum, Kompromisse zu finden, die für alle tragbar sind. Dazu brauchen Sie natürlich eine gute, rationale Grundlage. Man braucht in den Behörden und Beratungsbüros Leute, die alle Prozesse gut verstehen, um gute Kompromisse zu finden.  

A. B.: Uns würde tatsächlich auch interessieren, wie Sie da hingekommen sind, wo Sie heute stehen. Warum haben Sie sich für Ihr Fach entschieden?  

O. C.: Ja, das ist ein bisschen kompliziert. Also, nachdem ich Abi gemacht habe, musste ich erst mal 20 Monate Zivildienst leisten. Als ich damit fertig war, war Sommersemester und ich hatte keine Ahnung, was ich studieren soll. Dann habe ich – aus für mich nicht mehr ganz nachvollziehbaren Gründen – Biochemie gewählt und wusste nach einem Semester: Ja, ich will etwas Naturwissenschaftliches studieren und nein, ich möchte nicht die ganze Zeit lang im Labor stehen. In Karlsruhe gab es einen neuen Studiengang, der Geoökologie hieß, den es vorher schon in Bayreuth gab. Das fand ich spannend, da im ersten Jahrgang in Karlsruhe dabei zu sein. Geoökologie habe ich dann bis zum Diplom durchgezogen, wollte aber mehr in Richtung Umweltmodellierung gehen. Ich war dann zehn Jahre unter Ingenieur:innen, habe da meine Doktorarbeit geschrieben, war in Amerika und bin dann wieder in die Naturwissenschaften zurückgekommen. Im Grunde bin ich seit meiner Doktorarbeit ich in der Grundwasserforschung.  

C. J.: Also ein sehr zielstrebiger Berufsweg. Wir hatte auch schon Gäste – und auch eigene Biografien – bei denen der Berufsweg wechselhafter verlief.  

O. C.: Ja und nein. Also, ich kann jetzt nicht sagen, dass das alles immer zu 100 Prozent geplant gewesen ist. Als ich mit meinem Diplom fertig war, hätte ich mir auch vorstellen können, in die Atmosphärenchemie zu gehen oder irgendwie etwas ganz anderes zu machen. Ich bin nach Stuttgart gegangen, weil meine damalige Freundin und jetzige Frau einen Job in Stuttgart angefangen hat. Das war auch kein Fehler. Ich finde das alles ganz normal. Die Leute, die ganz zielstrebig genau wissen, welche Stelle sie in 30 Jahren haben möchten, die sind mir ehrlich gesagt ein bisschen suspekt.  

A. B.: Das kann manchmal ein Stolperstein sein, wenn es denn eben nicht so läuft wie geplant.  

O. C.: Ich glaube für alle, die anfangen wollen zu studieren, ist es wichtig eine gute Basis zu haben. Ich sehe bei ganz vielen Leuten, die im Arbeitsleben sind, dass der Beruf sich im Laufe der Jahre verändert, aber die Grundlagen bleiben dieselben. Deswegen legen wir in unserer Ausbildung am Anfang viel Wert darauf, dass die Studierenden naturwissenschaftliche Grundlagen lernen.  

A. B.: Sie selbst haben Geoökologie studiert. Das ist einer der Studiengänge, um den es heute nicht gehen wird. Das heißt, wir sprechen über die beiden Fächer Geowissenschaften und Umweltnaturwissenschaften. All diese Fächer gehören aber zum größeren Fachbereich Geowissenschaften, also auch die Geoökologie. Aber um das noch mal klarzustellen, dass das ein Anteil ist, den wir heute nicht inhaltlich besprechen. Wie dann tatsächlich so eine Studienwoche aussieht in Geowissenschaft oder Umweltnaturwissenschaft, hören wir uns jetzt mal an.  

Studieninhalte (08:04) 

Studi 1: Während des Semesters haben wir Vorlesungen und Übungen. Wir haben wenig Vorträge, sondern vor allem Hausaufgaben, die wir in den Übungen oder zu Hause machen. Und am Ende des Semesters haben wir Klausuren. In den Semesterferien fahren wir alle zusammen auf Exklusion, teilweise in Deutschland, teilweise aber auch in andere Länder Europas.  

Studi 2: In meinem Studium habe ich vor allem viele Laborpraktika besucht, bin auf vielen Exkursionen gewesen und im Feld draußen. Natürlich habe ich sehr viele Vorlesungen besucht. Eine klassische Woche beinhaltet dann eigentlich auch genau das. Neben Vorlesungen habe ich natürlich noch viel Zeit mit meinen Freunden verbringen können und das schöne Tübingen genießen können.  

Studi 3: Der Wochenablauf ist sehr abhängig davon, in welchem Semester man ist. Grundsätzlich hat man aber immer eine gute Mischung aus theoretischen Vorlesungen, wöchentlichen Abgaben und praktischen Anwendungen.  

Studi 4: Umweltnaturwissenschaften ist ein Vollzeitstudium, das heißt, dass fünf Tage die Woche für das Studium auch aufgebracht werden müssen. Neben zwölf bis 15 Vorlesungen die Woche müssen auch noch Übungsblätter bearbeitet und Protokolle geschrieben werden. Die Freizeit fällt aber dann doch außerhalb der Prüfungsphase nicht zu kurz aus.  

C. J.: Also, was man hier, glaube ich, heraushört, vor allem im Vergleich zu vielen anderen Studiengängen, ist, dass man viele Exkursionen macht und praktisch arbeitet, in den Laboren. Man hat also nicht nur, wie in vielen anderen Studiengängen, Vorlesungen, Übungen, Klausurenphasen, sondern ist scheinbar auch in den Semesterferien viel unterwegs. Aber nochmal einen Schritt zurück; Was lernt man denn inhaltlich alles? Welche inhaltlichen Bereiche umfassen denn die beiden Studiengänge?  

O. C.: Wir fangen mit der mathematischen und naturwissenschaftlichen Grundausbildung an. Wir sehen uns selbst als angewandte Naturwissenschaftlerinnen und angewandte Naturwissenschaftler. Der Schwerpunkt liegt mehr auf Physik und Chemie als auf Biologie. Man braucht Mathematik, um irgendwelche quantitativen Beschreibungen durchführen zu können. Alle beiden Studiengänge haben eine Einführung in die Geowissenschaften, in der man grundlegende Dinge lernt, wie, wie die Erde aufgebaut ist, was es grundsätzlich für Gesteine gibt. Außerdem gibt es eine kleine Einführung in die Biologie – die würde in der Geoökologie eine größere Rolle spielen – eine Einführung in die Modellierung von Geo- und Umweltsystemen und was auch alle Studierenden, dieser beiden Studiengängen machen, ist Geophysik. Da geht es darum, wie man mit physikalischen Methoden den Untergrund erkunden kann. Das ist sehr wichtig, weil man da nicht reinschauen kann. Das sind Vorlesungen und Feldübungen, die man dazu macht. Und dann gibt es tatsächlich die Hydrogeologie, also die Grundwasserlehre und die Wasserchemie. Das kommt in beiden Studienfächern am Anfang. Was sich dann unterscheidet zwischen Umweltnaturwissenschaften und Geowissenschaften ist, dass in den Geowissenschaften ein sehr starker Schwerpunkt darauf liegt, vertiefte Gesteinskunde durchzuführen. Was gibt es denn alles genau für Gesteine? Wie funktionieren die? Mit welchen Methoden kann ich sie untersuchen? In der Erdgeschichte geht es dann um Fragen wie: Was hat unser Planet in den letzten drei Milliarden Jahren alles so erlebt? Wie haben dabei die Entwicklung des Lebens und die Veränderung der Gesteine und der Umweltbedingungen miteinander wechselgewirkt? Und dann gibt es natürlich noch ganz viel Geländeausbildung. Geologie ist etwas, das macht man draußen. Deswegen gibt es Exkursionen. Aber es gibt nicht nur Exkursionen, bei denen jemand etwas erzählt und man sich das dann anschaut, sondern ganz wichtig sind dort auch Kartierkurse, dass man also im Gelände ansprechen kann, wo sich etwas befindet. Dann kann man eine geologische Karte konstruieren, die man für alle möglichen Dinge gebrauchen kann. In den Umweltnaturwissenschaften gibt es nicht so einen starken Schwerpunkt auf den Gesteinen. Dort macht man zum Beispiel physikalische und chemische Umweltmesstechnik und Analysemethoden, auch jeweils mit Praktika im Labor. Es gibt die Umweltphysik, da liegt der Schwerpunkt auf der Atmosphärenforschung. In Umweltnaturwissenschaften gibt es außerdem die Biogeochemie, dabei geht es um Umsätze von natürlichen Stoffen und die Mikrobiologie, das sind Stoffkreisläufe. Als großes Highlight bezüglich Feldaktivitäten und Umwelt gibt es das umweltnaturwissenschaftliche Feldpraktikum. Im fünften Semester ist es so, dass wir grundsätzlich nur Wahlpflichtmodule haben. Das ist auch das eine Semester, in dem es keine Probleme bereitet, wenn man ein Auslandssemester machen möchte. Das haben wir konsequent so durchgezogen. Da kann man aus einem breiten Angebot wählen, von Physik der erneuerbaren Energien über Aufgabenfelder der angewandten Geologie oder zusätzlichen Feldmethoden. Ehrlicherweise muss man sagen, dass man, wenn man dann seine Bachelorarbeit gemacht hat, eigentlich nicht fertig ist, sondern noch mit einem Masterstudium weitermacht. Die Inhalte aus dem Bachelor werden dann vertieft und es kommen noch ein paar zusätzliche Aspekte dazu. Aber man sieht schon im Bachelorstudium, wo es hingeht, also in den Geowissenschaften dreht sich sehr viel um Paläontologie, Gesteine, um Fragen wie: Was hat dieser Planet erlebt? Und es geht um das Klimasystem, also darum, wie sich das Klima in den letzten Hunderten von Millionen Jahren verändert hat. Damit kann man auch die aktuellen Entwicklungen besser einsortieren. Dafür geht es bei den Umweltnaturwissenschaftler:innen sehr viel stärker um anthropogene Einflüsse. Das heißt zum Beispiel, dass man in der Lage ist, Mikroverunreinigung messen zu können. All die Schadstoffe, die ausgestoßen werden, die muss ja schließlich jemand messen und anschließend auch verstehen, was die machen. Und das können dann die Umweltnaturwissenschaftler:innen. Die Geologen können sehr viel besser Ammoniten (ausgestorbene Meerestiere) ansprechen und sind auch bezüglich Georessourcen besser aufgestellt.  

A. B.: Vielleicht können Sie aus beiden Bereichen nochmal so ein konkretes Beispiel nennen. Sie haben auch schon, die spannenden Methoden angesprochen also, nennen Sie gerne ein Beispiel aus diesem Feld.  

O. C.: Wenn man beispielsweise eine Gesteinsprobe hat, dann muss man die erst mal aufbereiten, was gar nicht so einfach ist. Man hat einen Stein, den man z. B. aus einer Wand geschlagen hat und jetzt auflösen will. Das ist ziemlich unangenehm, das geht mit Flusssäure. Dann gibt es chemische Untersuchungsmethoden für Gestein, oder auch Röntgenmethoden. Es gibt auch eine Kombination, bei der man mit einem Elektronenmikroskop draufschaut und dann gezielt an einer bestimmten Stelle einen Strahl reinbringt und dann feststellen kann, was für Elemente sich genau dort befinden. Daraus kann man dann folgern: Was hat dieser Stein alles mitgemacht? Da geht es erst mal um grundlegende forschungsorientierte Dinge. Dahinter stecken aber auch Fragestellungen, die damit zu tun haben, dass man auch Rohstoffe gewinnen möchte und Lagerstätten gut erkunden möchte. Und für all das muss man diese Gesteine gut analysieren können.  

A. B.: Das klingt schon nach einer komplexen und auch instrumentellen Analytik. Hat man als Studierender oder Studierende denn Zugang zu diesen Geräten? Oder gibt es dann eher Fachpersonal, das die entsprechenden Geräte bedient?  

O. C.: Das gehört eigentlich zu den Stärken der Geowissenschaften in Tübingen, dass wir die Studierenden ziemlich früh an Geräte heranlassen, die normalerweise eher Doktoranden vorbehalten sind, da sie ziemlich teuer sind. Das macht man dann nicht allein, aber man kann da schon relativ früh drankommen. Das machen nicht unbedingt alle, es haben ja auch nicht alle die gleichen Interessen. Aber das ist uns wichtig, dass man moderne Analysemethoden kennenlernt. Daneben muss man auch mal klassische Sachen machen wie z. B. sieben. Ein paar von den Analysemethoden sieht man wahrscheinlich in einem normalen Geobüro nicht. Ein Beispiel ist die Isotopenanalyse. Jedes Element hat verschiedene Isotopen und die verändern sich, wenn sie bestimmten Prozessen unterliegen. Wir haben ein sehr, sehr gutes Isotopen-chemisches Labor. Es ist später im Berufsleben nicht so wahrscheinlich, dass man selbst in so einem Labor arbeitet. Aber es ist sehr typisch, dass solche Proben in Auftrag gegeben werden. Dafür ist es sehr wichtig zu wissen, was da eigentlich gemacht wird, was ich daraus lesen kann und wie deren Analytik funktioniert; was überhaupt möglich ist. Da sind wir schon sehr gut aufgestellt, dass die Studierenden da einen direkten Einblick bekommen. In den Umweltnaturwissenschaften ist das Highlight eigentlich immer dieses umweltnaturwissenschaftliche Feldpraktikum im vierten Semester. Da müssen alle aus einem Jahrgang gemeinsam an einer Fragestellung arbeiten. In den letzten Jahren war das immer der Sauerstoffhaushalt von einem Flussabschnitt. Da gibt es dann unteranderem eine Gruppe, die die Strahlung misst und eine, die den Sauerstoff misst, Es gibt welche, die Prozesse messen, also Fotosynthese, oder auch Zehrung, also wie Sauerstoff verbraucht wird. Da wird dann Markierstoff – ein Farbstoff – dem Fluss zugegeben, um herauszubekommen, wie schnell sich etwas bewegt und wie sich das vermischt. Dann wird noch ein anderer Stoff zugegeben, der noch einen Gasaustausch macht. Am Ende muss alles zusammenpassen und ein konsistentes Bild ergeben, was mit einem Modell überprüft wird. Das müssen die Studierenden auch selbst planen. Die normalen Praktika, die man im Grundstudium in der Physik durchführt, bestehen aus Versuchen, die waren vor 40 Jahren auch schon so, so habe ich die auch schon gemacht – ich hoffe, dass die inzwischen die Gerätschaften ausgetauscht haben – da gibt es dann eine Lösung. Wenn man genau das rausbekommt, was die Leute vor 35 Jahren gemessen haben, dann stimmt das. Das ist bei so einer realen Anwendung schon anders. Da muss man vorher abschätzen: Wie könnte es denn sein und wie muss ich das dann auslegen? Wo stellen wir was auf? So ähnlich laufen auch echte Messkampagnen, wenn man eine Umweltanalyse im Feld durchführt. 

C. J.: Das klingt auf jeden Fall, als wäre der praktische Anteil sehr hoch in diesem Studium und als wäre es spannend und vielleicht auch ein bisschen abenteuerlich. Also abenteuerlich, weil man in die Natur kommt und Zeit draußen verbringt, nicht, weil man unvorbereitet wäre. Wie hoch sind die praktischen Anteile? Kann man das ungefähr benennen?  

O. C.: Ja, ich würde mal schätzen, dass man in Geowissenschaften noch mehr draußen ist als in Umweltnaturwissenschaften. In Geowissenschaften ist das ca. ein Viertel und in Umweltnaturwissenschaften es ein bisschen weniger. Dafür macht man dort aber aufwendigere Laborpraktika. In diesen Laborpraktika wird bereits mit realen Proben gearbeitet und nicht nur eine Mischung von ein paar Körnern untersucht und geschaut, welche Elemente da drin sind. Da gehört dann auch ziemlich viel Aufbereitungsarbeit dazu. In den Umweltnaturwissenschaften sind die Exkursionen nicht vorgeschrieben, aber man kann sie mitmachen. Es gibt auch einige Exkursionen, die sind gezielt so, dass sie für Leute, die eher auf der Umweltseite unterwegs sind, sehr interessant sind. Jetzt zu Pfingsten haben wir uns z. B. eine Kiesgrube und einen Gipsbruch angesehen und haben auch gesehen, wie da gesprengt wird. Wir waren auch schon in einem Zementwerk. Wir schauen uns also die Dinge an, wie sie sind. Wir haben aber dann auch noch ein Moor besichtigt und hatten dort eine superschöne Führung. Und so kann man dann auch die unterschiedlichen Aspekte zusammenbringen, weil das eine ist, dass wir die Geo-Ressourcen irgendwie nutzen müssen und das andere ist, dass man das so naturschonend wie nur irgendwie möglich tun muss. Da kriegen wir eine gute Mischung hin. Das muss man sich draußen ansehen, das funktioniert nicht, dass man sich das alles nur in irgendwelchen Lehrbüchern anschaut.  

A. B.: Wenn wir gerade schon bei den Exkursionen sind, wie ist das denn mit den Kosten im Studium? Hat man durch die Exkursionen höhere Kosten in so einem Studium, oder wird das irgendwie unterstützt?  

O. C.: Es gibt einen Unterstützungsschlüssel, das ist klar. Es ist aber auch klar, dass bestimmte Kosten an den Studierenden hängen bleiben. Wir achten aber darauf, dass es nicht nur teure Exkursionen gibt. Es gibt z. B. Exkursionen, bei denen man zeltet, dann ist es auch nicht so teuer. Meistens fährt man auch mit den Unibussen hin, allein schon, weil teilweise über Schotterpisten gefahren wird und das mit einem geliehenen Fahrzeug oder mit einem Reisebus gar nicht geht. Und dadurch sinken die Kosten auch noch einmal. Es gibt immer mal wieder auch Exkursionen, bei denen man wirklich weiter wegfährt, allerdings eher im Master. Aber man kann seine Exkursionstage auf jeden Fall zusammenbekommen, ohne dass man jetzt nach Brasilien mitfährt, denn das ist natürlich ein ganzes Stück teurer.  

C. J.: Wenn wir den Blick noch einmal auf die theoretischen Grundlagen des Fachs werfen, was ist denn, wenn ich in der Oberstufe keine Physik oder Chemie hatte, habe ich dann eine Chance, das Studium trotzdem zu beginnen? Gibt es Vorkurse, in denen ich sowas nochmal lerne, oder ist es wichtig, da schon ein gewisses Fundament an Vorwissen mitzubringen?  

O. C.: Ich kenne die gegenwärtigen Regeln des Abiturs in Baden-Württemberg nicht, und weiß nicht, ob es wirklich möglich ist, keine Chemie und keine Physik zu haben. Man kann natürlich alles nachholen. Vorkurse gibt es in der Mathematik, in der Physik und in der Chemie nicht. Ehrlicherweise ist es aber auch so, dass man in den Grundvorlesungen den Schulstoff am Anfang durchzieht. Das Tempo ist dann halt ein ganz anderes. Also in einem Semester wird die gesamte anorganische Chemie durchgenommen, während man in der Schule mehreren Jahren dafür hatte. Die Einführung in die Physik geht über zwei Semester und ist für alle Naturwissenschaften gleich. Da wird die gesamte klassische Physik, die wir für die Studiengänge brauchen, abgehandelt. Ich würde sagen, es liegt weniger daran, was die Leute konkret an Vorwissen haben, sondern es muss ein Interesse da sein und man muss auch ein gewisses Talent dafür haben. Es sind ja nicht alle dafür gemacht, dass sie nachher Physikcracks sind. Aber wenn einem Mathe, Physik und Chemie von Anfang an überhaupt nicht gelegen haben in der Schule und man immer froh war, wenn diese Fächer rum waren, dann sollte man sich nicht täuschen lassen, dass an einem Studiengang vorne „Umwelt“ dran steht. Hinten steht eben noch „Naturwissenschaften“. Das sind auch so die typischen Studierenden, die dann im ersten Jahr aufhören und feststellen, ich habe das falsch eingeschätzt. Ich finde das auch völlig okay. Ich habe selbst auch ein Semester in den Sand gesetzt. Wenn man merkt, dass das nicht das richtige für einen ist, dann doch bitte im ersten Jahr. Es gibt von der Universität Tübingen, bzw. von der ZSB einen Selbsttest, den man durchführen kann. Den kann ich sehr empfehlen. Da sind auch kleine Komponenten von unseren Lehrveranstaltungen drin. Dann kann man besser einschätzen, ob denn das das richtige ist, für jemanden, der oder die gerne was machen möchte bei dem man viel draußen ist, aber nicht weiß, wie physikalisch es nachher sein soll.  

A. B.: Ja, ich werde den Test auf jeden Fall verlinken. Ich selbst habe Chemie im Abi abgewählt, aber habe dann Chemielaborantin gelernt und habe tatsächlich lange in der Umweltanalytik gearbeitet. Ich bin dann aber am Ende in der Germanistik gelandet, nach vielen Jahren und vielen Umwegen. Aber das nur um zu zeigen, es hat funktioniert. Natürlich ist eine Ausbildung anders als ein Studium, auch was das Tempo angeht. Bei mir lag das mit Chemie tatsächlich weniger am Interesse, sondern, wie das in der Schule manchmal so ist, am Lehrer – ich hatte keine Lust mehr da drauf.  

O. C.: Also, Sie wären natürlich mit einer Ausbildung als Chemielaborantin super geeignet gewesen für unsere Studiengänge. Bei den Studiengängen, die einen NC haben, schauen wir auf solche Dinge. Wenn man da eine Ausbildung hat, z. B. als chemisch-technische Assistentin, gibt das nochmal extra Punkte, wenn das Abi nicht ganz so gut ist.  

A. B.: Ja, mal sehen, vielleicht lasse ich mich ja noch abwerben.  

O. C.:  Das ist vielleicht ein bisschen spät jetzt, aber wir sind natürlich auch ein bisschen weit weg von der Germanistik, das muss ich ganz ehrlich sagen. Wobei ich mich freuen würde, wenn Leute besseres Deutsch schreiben würden.   

A. B.: Damit kann ich dienen.  

O. C.: Ja, denn Berichte schreiben, gehört zum Studium und später auch zum Beruf dazu. Das schätzen einige Leute falsch ein. Bei uns gar nicht so sehr. Meine Frau ist Ingenieurin und die jungen Ingenieure meinen, jetzt müssen sie ja überhaupt nie mehr einen richtigen Satz schreiben und wundern sich dann, dass man ständig Korrespondenz betreiben muss. Die geht halt auf Deutsch, wenn es deutsche Kunden sind, oder auf Englisch, wenn es international ist. Wenn man einen Bericht schreibt oder ein Angebot macht, muss das alles sauber formuliert sein. Wir üben das bei uns natürlich auch. Wenn man Berichte abgeben muss, wird auch drauf geschaut, ob man das denn verstehen kann, was da geschrieben ist. Und sehr häufig ist es so, dass es nicht am Deutsch liegt. Wenn man etwas nicht verstanden hat, dann kann man es auch nicht sauber erklären.  

A. B.: Ja, genau das möglichst einfach zu erklären, ist immer auch eine Sache des Verständnisses. Ich muss tatsächlich interessehalber fragen – ich weiß, man sagt es den Geisteswissenschaftlern im Tal nach, dass die nicht so eine volle Woche haben – aber zwölf bis 15 Vorlesungen in einer Woche, das kommt mir so irre vor von der Dichte. Ist das normal?  

O. C.: Ja, das ist normal, wobei das jetzt nicht nur Vorlesungen sind, sondern die Kontaktstunden.  

A. B.: Okay, insgesamt Semesterwochenstunden.  

O. C.: Ja, Semesterwochenstunden mit direktem Kontakt. Es kommen dann noch Praktika dazu, die wir nur in der vorlesungsfreien Zeit machen können. Und es gibt die Vor- und Nachbereitungszeiten. Wir haben fünf volle Module pro Semester. Wenn man das dann so durchrechnet, dann kommt das schon hin. Studieren ist eigentlich ein Vollzeitjob. Das macht es auch schwierig für Leute, die nebenher noch Geld verdienen müssen. Deswegen gibt es das BAföG. Auf der anderen Seite muss man auch sagen, Leute, die eine Lehre machen, haben auch eine 40 Stunden Woche. Also es gibt welche, die sind der Meinung, Studis sind faul. Das kann ich nicht bestätigen. Das kann man sich nicht leisten. Man muss nicht unbedingt in der Regelstudienzeit fertig werden, aber wir haben einen Stundenplan entwickelt, mit dem es möglich ist in Regelstudienzeit zu studieren.  

A. B.: Es ist möglich. Dann ist die Woche aber auch voll durchgetaktet. Das Selbststudium, das muss man mit reinrechnen, denn das zählt ja auch mit in die Zeit. Das ist dann vielleicht nicht so stark gewichtet, wie in anderen Fächern.  

O. C.: Ich würde sagen, in den Geisteswissenschaften gibt es eine andere Vorstellung, was die Studierenden selbst leisten. Es ist so, dass eine Abschlussarbeit bei uns im Wesentlichen an einem Forschungsprojekt von jemandem dranhängt. Also wenn ein Studierender kommt und sagt, ich würde gerne was in der und der Richtung machen, dann schauen wir, ob das etwas ist, was wir gerade sowieso machen, oder ob wir sagen müssen: „Nein, tut uns leid, das können wir nicht.“ Das ist auch häufig mit echten Kosten verbunden, wenn man Proben zieht und rausgeht. Wenn das im Rahmen von bestehenden Forschungsprojekten mitläuft in der Bachelorarbeit und in der Masterarbeit, dann geht das super. Das ist in den Geisteswissenschaften ganz anders. Da hat jemand die Vorstellung, etwas zum Spätwerk von Franz Kafka zu machen und dann macht der oder die das halt. Die Freiheit hätten wir theoretisch, praktisch haben wir sie nicht, weil man es nicht finanzieren kann.  

A. B.: Wir haben uns auch gefragt, wie eine typische Abschlussarbeit aussehen kann, beispielsweise im Bachelor – im Master ist der Umfang ja noch mal ganz anders. Wie stark greift man da auf vorhandene Daten zurück, bzw. wie viel macht man tatsächlich selbst in dieser Arbeit? 

O. C.: Ja, eine Bachelorarbeit dauert drei Monate, die Masterarbeit sechs Monate. Es gibt so einzelne Fälle, bei denen man das nicht am Stück macht. Das betrifft eher diejenigen, die biologisch arbeiten, weil die eine bestimmte Vegetationsperiode brauchen. Dann macht man da noch mal eine Pause zwischendrin. Eine optimale Arbeit läuft so, dass man selbst ein paar Untersuchungen durchführt, vielleicht eine Probe zieht und diese dann im Labor mit verschiedenen Methoden analysiert. Die Auswertung dazu macht man dann selbst. Es gibt auch Studierende, die gar nicht so viel mit den Händen machen möchten. Die machen dann z. B. eine Simulation am Rechner. Das ist natürlich auch möglich, allerdings eher im Master, weil man da mehr Grundlagen dafür hat. Das kann dann dahin gehen, dass man ein eigenes Programm programmiert oder, dass man etwas weiterentwickelt, was es bereits gibt. In praktisch allen Fällen bedeutet das eine sehr enge Zusammenarbeit mit Doktorand:innen oder anderen wissenschaftlichen Angestellten. Dann muss man natürlich noch einen anständigen Bericht schreiben. Auch dort gibt es Hilfestellungen. Wir lassen da niemanden allein, sondern bieten viel Betreuung an. Das können wir uns aber, weil es genug Forschungsprojekte gibt, auch leisten.  

C. J.: Darum ist es auf jeden Fall gut, dass Deutsch auch in der Oberstufe nicht ganz abwählbar ist, dass es zumindest für einen sachlichen Bericht reicht.  

O. C.: Im Bachelor ist alles auf Deutsch. Im Master sind wir inzwischen eigentlich durchgängig auf Englisch. Das war zu meiner Zeit – da gab es zwar noch keinen Master – noch nicht so vorstellbar. Man muss aber auch sehen, dass der Arbeitsmarkt sehr viel internationaler geworden ist. Wir sind der Meinung, dass es wichtig ist, dass die Studierenden die deutschen Fachbegriffe auch mal gelernt haben, weil das meiste, was man später arbeitet, doch in Deutschland ist. Und mit einer Oberbürgermeisterin einem Bürgermeister, einer kleinen Gemeinde oder Leuten, die eine Kläranlage betreiben, werde ich mich nicht auf Englisch unterhalten. Aber wenn ich in eine etwas größere Firma gehe, ist das völlig normal, dass das auf Englisch geht. Für die heutigen Studierenden ist das alles auch überhaupt kein Thema mehr. Also, das hat sich da schon sehr geändert. – zum Positiven, wie ich finde. Das trägt dann auch zu einer größeren Offenheit bei. Wir haben auch internationale Studierende und für die können wir das ja auch nur auf Englisch machen. 

C. J.: Dann würde ich sagen, wir nähern uns doch mal dem nächsten inhaltlichen Block, bei dem es um die persönlichen Voraussetzungen geht, die die Studieninteressierten mitbringen sollten. Wir hören uns einmal an, was denn die Tübinger Studierenden an ihrem Studium hier so begeistert.  

Persönliche Voraussetzungen (33:30) 

Studi 1: Mich begeistert an dem Studium, dass wir sehr viele verschiedene Bereiche des Systems Erde betrachten und dass wir auch über Wahlpflichtfächer die Möglichkeit haben, in sehr viele verschiedene Bereiche reinzuschnuppern, die uns eben interessieren. Was ich super spannend finde, sind Exklusionen, auf die wir im Sommer fahren können und bei denen wir eben das, was wir theoretisch über das Semester lernen, praktisch anwenden.  

Studi 2: Mich begeistert an meinem Studium, dass inhaltlich viele verschiedene Themengebiete behandelt werden und man so einen guten Einblick bekommt, welche Bereiche man mit den Wahlpflichtmodulen im fünften Semester, im Master oder sogar im Berufsleben vertiefen möchte.  

Studi 3: Mich begeistert vor allem die Aktualität und Relevanz der behandelten Themen. Auch wenn ich nicht die Welt retten werde mit dem, was ich lerne, weiß ich, dass ich auf jeden Fall mit dem Wissen, das ich erlangt habe, sehr viel Gutes in der Welt machen kann und vielen Menschen auch eine Hilfe sein kann.  

Studi 4: Was mich an dem Studiengang Umweltnaturwissenschaften begeistert, ist zum einen der umweltbezogene Aspekt, der sehr breit gefächert ist, der auch eine sehr physikalische und chemische Herangehensweise hat. Und zum anderen aber auch die praktische Komponente in Form von Praktika, Exkursion und Versuchen im Labor.  

A. B.: Ich drehe es mal um. Was begeistert Sie denn heute noch an Ihrem Fach?  

O. C.: An dem, was ich lehre? Mich begeistert eigentlich tatsächlich das Systemverständnis. Das ist für mich das, worum es eigentlich geht. Ich möchte Systeme verstehen, Umweltsysteme verstehen und verstehen, wie die Dinge ineinandergreifen. Man macht eben nicht „nur Chemie“ oder „nur Physik“, sondern schaut, wie die Dinge sich gegenseitig beeinflussen. Ich selbst beschäftige mich viel mit Reaktivem Stofftransport. Da geht es darum, wie Stoffe transportiert werden, weil das Wasser sich bewegt. Das bedingt dann, welche Reaktionen möglich sind. Dann sind da Mikroorganismen, die davon leben. Aber wenn diese Mikroorganismen die Stoffe verbrauchen, dann sind die weg, und weiter Unterstrom (in der unteren Strömungsschicht) gibt es die dann nicht mehr. Solche Sachen herauszubekommen, zu verstehen, wie so ein System funktioniert, das finde ich immer noch total faszinierend.  

C. J.: Wir hatten uns ja vorher schon darüber ausgetauscht, welche inhaltlichen Voraussetzungen man mitbringen sollte, dass es keinen Sinn macht, wenn man in der Schule schon gemerkt hat, dass Mathe, Physik und Chemie einem eigentlich nicht so liegen und man sich jetzt denkt: Okay, hier steht Umwelt drauf, das mache ich jetzt trotzdem. Man braucht also eine gewisse Affinität zu den naturwissenschaftlichen Fächern. Sollte ich denn auch einfach Lust auf Natur und Draußensein haben?   

O. C.: Insbesondere, wenn man Geowissenschaften studieren will: Wenn man nicht wetterfest ist, dann geht das nicht. Also wir haben eigentlich ziemlich häufig Leute, die sind „outdoorsy“ – also gerne in der freien Natur – die muss man vielleicht sogar ein bisschen einbremsen und sagen: Leute, wir müssen uns hier auch noch mal ein bisschen anschauen, was eigentlich die Prozesse sind. Es ist auch so, dass Leute unterschiedliche praktische Fähigkeiten haben. Es gibt in beiden Studiengängen die Möglichkeit sehr praktisch zu arbeiten, für Studierende, die, die Arbeit im Labor lieben und dafür die ausreichende Geduld mitbringen, aber auch für andere, wie mich, die im Studium eine einzige Glasspur von verschiedenen Praktika hinterlassen haben, denen man dann aber andere Aufgaben geben kann, wie z. B. etwas in einer Computersimulation zu untersuchen. Das ist beides möglich. Wenn man weder das eine noch das andere hat, dann wird es irgendwann mal schwer.  

A. B.: Wie ist das denn mit dem Aspekt Nachhaltigkeit? Das ist sicherlich für viele auch ein Motivator bei der Studienwahl. Wie sehr spielt das im Studium eine Rolle? Erlangt man da in irgendeiner Weise auch eine Qualifikation im Studium?  

O. C.: Der Begriff Nachhaltigkeit, wie er ursprünglich mal definiert worden ist, kommt ja aus den Forstwissenschaften und bedeutet, dass man nicht mehr abholzen darf als nachwachsen kann. In diesem Sinne beschäftigen wir uns extrem viel mit Nachhaltigkeit. Das Modul, in dem es um die Modellierung von Umwelt- und Geosystemen geht, ist der Einstieg, den man dahingehend hat, weil das eine quantitative Fragestellung ist. Inzwischen gibt es aus den Sozialwissenschaften einen sehr stark erweiterten Begriff der Nachhaltigkeit, der die ganzen sozialen Aspekte mit einbezieht. Das ist jetzt im naturwissenschaftlichen Studium offensichtlich nicht das, was im Vordergrund steht. Unsere Studierenden sind sehr häufig durch „Fridays for Future“ und ähnliche Dinge angetrieben. Man muss aber nicht die Welt retten wollen, um bei uns anfangen zu können. Wir bringen den Leuten auch nicht bei, wie man die Welt rettet, weil es am Ende auch nicht so einfach geht. Wir probieren aber natürlich, auf diese Dinge immer wieder einzugehen. Das Wichtige ist immer, alles in Kontext zu stellen. Ich glaube, was ganz wichtig ist, dass man, wenn man aus dem Studium rauskommt, eine gewisse Reife erlangt hat und auch gelernt hat: Es gibt persönliche Einschätzung, politische Einschätzung und es gibt Dinge, die sind auf einer objektiven, rationalen Ebene. Wir haben eigentlich den Anspruch, dass wir Leute ausbilden, die am Ende alle Seiten verstehen. Also, es gibt z. B. Leute, die stehen auf der Seite von dem Steinbruchbetreiber, der eine Erweiterung haben möchte. Dann haben wir welche, die sind in der Behörde, die müssen das bewilligen oder auch nicht. Und dann haben wir Leute in Büros, die jetzt diskutieren, dass das doch ganz schlecht wäre für den Grundwasserschutz. Unser Anspruch ist, dass diejenigen, die da dann zusammenkommen, ausreichend gut verstehen, was eigentlich die Prozesse sind, die da eine Rolle spielen. Die Einschätzungen, wie man etwas bewertet, ist dann am Ende irgendwo auch eine politische Einschätzung. Das unterrichten wir nicht. Wir bilden die Leute aus, die die Grundlagen schaffen für solche politischen Entscheidungen, wir bilden nicht die Politiker:innen aus.  

A. B.: Auch wenn das ja bei dem einen Studierenden ein bisschen durchkam, die Möglichkeit, etwas Gutes zu tun, als moralische Kategorie, aber gleichzeitig würde ich auch meinen, wenn man lernt zu differenzieren, was ist faktisch die Sachlage und was ist meine persönliche Überzeugung, ist das sicherlich eine gute Voraussetzung, um überhaupt miteinander im Gespräch zu bleiben, wenn man eben auch mit Leuten spricht, die die andere Seite vertreten, wie Sie schon sagten.  

O. C.: Ich kenne das aus meinem eigenen Studium. Ich war sehr umweltpolitisch und auch parteipolitisch aktiv, als ich Student war. Ich war auch im Gemeinderat und im Kreistag und ich habe das immer sauber getrennt. Ich habe es nie akzeptiert, mit falschen Argumenten in eine politische Diskussion zu gehen. Das funktioniert nie. Es gibt Dinge, die schätzt man auf eine bestimmte Art und Weise ein, dann untersucht man sie und muss feststellen, dass es vielleicht doch nicht so ist, wie man dachte. Ein Beispiel wäre die Diskussion um Mikroplastik, da wurde relativ viel bei uns gemacht. Ich bin jetzt nicht dafür, dass die Leute überall Plastik hinschmeißen. Aber da passiert so was psychologisches, dass Leute – Plastik kann sich jeder vorstellen – denken Mikroplastik klingt irgendwie ganz seltsam, das kann ich nicht sehen, deswegen muss es besonders schlimm sein. Dann macht man da die Untersuchungen dazu und stellt fest: Eigentlich ist das schlimme Plastik das Makroplastik, in dem irgendwelche Schildkröten hängen bleiben. Dann muss ich das als Naturwissenschaftler:in auch zugeben. Das wäre jetzt das falsche Argument. Das heißt deswegen nicht, dass die Leute Plastik verbrauchen sollen, sondern man sollte nur mit den Dingen argumentieren, die auch wirklich nachweisbar sind. Das probieren wir unseren Studis so gut, wie wir es können, beizubringen. Am Ende ist es natürlich immer die Entscheidung von einzelnen Leuten, wie sehr sie dem dann folgen. Aber die Grundlagen dafür, um überhaupt auf so einer sachlichen Ebene diskutieren zu können, die schaffen wir schon.  

A. B.: Können wir nochmal, ganz knapp abklopfen, was im Bachelor Schwerpunkte sein können, weil wir bei den Voraussetzungen waren und den verschiedenen Aspekten, die vielleicht im Studium motivieren? Gibt es da bestimmte Schwerpunkte? Und welche kann ich selbst setzen?  

O. C.: Der Bachelor ist schon relativ stark durchgetaktet in beiden Studiengängen. Die große Wahlpflicht-Möglichkeit, wo man also frei auswählen kann, haben wir eigentlich nur in dem fünften Semester. Das ist dann im Master anders. Da haben wir in den Geowissenschaften eine Vertiefung in die Mineralogie. Da geht es sehr stark um Gesteinskunde und auch Lagerstättenkunde. Dann gibt es eine Vertiefung in die Geophysik und die Geodynamik. Da gehören Dinge dazu, die man sich so gar nicht vorstellen kann. Plattentektonik hat man schon mal gehört, und kann sich etwas darunter vorstellen. Aber es geht zum Beispiel auch darum, wie sich die Landoberfläche verändert hat und wie man das erfassen und beschreiben kann, und natürlich auch um verbesserte Untersuchungsmethoden. Die dritte Vertiefung ist Paläontologie. Das kann man sich auch wieder vorstellen; die meisten denken da wahrscheinlich an Dinosaurier. Aber meistens geht es nicht um die Dinosaurier, sondern um andere Lebewesen, die es nicht mehr gibt, und vor allem auch um einen Ökosystemaspekt, also Wechselwirkungen, die es zwischen Ökosystemen und Umweltbedingungen in der geologischen Vergangenheit gab. Man kann aber im Masterstudiengang Geowissenschaften auch sagen: Ich mache das ohne Vertiefung. Da gibt es bestimmte Fächer, aus denen man was auswählen kann, die man dann mindestens machen muss. Für die Umweltnaturwissenschaften haben wir keinen direkten konsekutiven Studiengang. Wir haben aber einen Masterstudiengang, der genau passt, der heißt „Applied & Environmental Geoscience“ – auf Deutsch: Angewandte Umwelt- und Geowissenschaften. Dort haben wir eine Vertiefung in die Hydrogeologie. Da geht es um alles, was mit dem Grundwasser zu tun hat und um Altlasten, also darum, wie sich Stoffe im Untergrund verhalten und wie ich Strömungen beschreiben kann. Eine weitere Vertiefung ist die Umweltphysik mit einem sehr starken Schwerpunkt auf den Themen Klima und Atmosphäre. Und das dritte sind die Umweltchemie und die Umweltmikrobiologie, also das Verhalten von Stoffen und von Mikroorganismen, die diese Stoffe umsetzen.  

A. B.: Gut, dann würde ich die Schwerpunkte als Aufhänger nehmen, um zu den Berufsperspektiven überzuleiten. Wir hören uns an, was die Berufswünsche unserer Tübinger Studierenden sind.  

Berufsperspektiven (45:09) 

Studi 1: Beruflich könnte ich mir später sehr gut vorstellen, als Meteorologe zu arbeiten, sprich im Bereich der Wetteraufzeichnung, Wettervorhersage oder auch Klimamodellierung.  

Studi 2: Wenn ich mit meinem Master fertig bin, möchte ich auf jeden Fall weiter in der Wissenschaft tätig sein und im Idealfall einen PhD machen und später dann auch an der Uni arbeiten.  

Studi 3: Aktuell könnte ich mir vorstellen, weiter in der Uni zu bleiben oder in einem Forschungsinstitut zu arbeiten. Darüber mache ich mir dann erst am Ende meines Masters so richtig Gedanken.  

Studi 4: Ich habe nicht angefangen zu studieren, weil ich einen konkreten Berufswunsch hatte, sondern eher, um Fragen, die ich selbsthatte, beantworten zu können. Deswegen kann ich ehrlicherweise gar nicht sagen, was ich später beruflich machen möchte.  

C. J.: Einige Berufsvorstellungen wurden bereits genannt. Wir hatten vorhin auch schon ein paar im Gespräch. Fallen Ihnen noch weitere ein, auf die man selbst nicht kommen würden?  

O. C.: Da ist alles dabei. Das würde ich jetzt aber nicht in den Mittelpunkt stellen, wenn Leute auf einmal in die Software-Richtung gegangen sind, weil sie gut programmieren können. Das wäre jetzt für mich nicht so das Typische. Ich glaube, es ist für die Studierenden gar nicht so einfach. Wir haben zwar ein außeruniversitäres Praktikum, das verpflichtend vorgesehen ist im Bachelor, in dem man mal einen Einblick bekommt. Wir haben das auch so organisiert, dass wirklich alle mitbekommen, was die anderen für Praktika machen. Wenn man ehrlich ist, ist der Markt in der Wissenschaft als eine dauerhafte Beschäftigung sehr klein. Eine Doktorarbeit zu machen ist für diejenigen, die gut sind, immer möglich. Aber um dauerhaft in einem Forschungsinstitut zu arbeiten – das kann man durchrechnen, wie viele Stellen es dort gibt. Also der ganz typische Job, den Leute haben, ist in Geo- und Umweltbüros zu arbeiten. Das kann von Sachen losgehen, die erstmal langweilig klingen, wie Baugrunduntersuchung. Auf der anderen Seite ist es auch nicht gerade gut, wenn so ein Haus umfällt. Dann gibt es Umweltgutachten für praktisch alles. Wo in Deutschland irgendwas geplant wird, muss untersucht werden, was das alles für Auswirkungen haben könnte. Dazu braucht man die Spezialisten und die bilden wir aus. Ehrlicherweise muss man sagen, wenn man in den Beruf geht, gibt es die eine Frage, was möchte ich selbst machen, und die andere Frage ist, wofür ist jemand bereit, mir dann Geld zu geben. Das ist nicht unbedingt immer genau das Gleiche. Aber es gibt sehr interessante Fragestellungen, die sich dann eben aus diesen Konflikten ergeben und darum dort die besten Lösungen zu finden. Viele, die sich in Richtung Chemie vertiefen, gehen dann in Analytik-Labore. Die ganzen Proben, von denen man wissen möchten, was da drin ist, muss auch jemanden analysieren können. Das sind auch nicht nur technische Angestellte, die es dort gibt. Da gibt es auch Leute, die einen akademischen Hintergrund haben. Das ist auch sehr gut, wenn das nicht nur Leute sind, die Chemie studiert haben. Die können zwar etwas zu bestimmten Geräten sagen und zu den Analysemethoden, aber sie können das nicht unbedingt in den Kontext stellen. Das ist etwas, um das es bei uns viel geht. Es gibt auch andere Messtechniken, die z. B. in der Windkraftforschung oder in der eigentlichen Implementierung eingesetzt werden, bei der man eher physikalisch misst. Ein wichtiger Arbeitsmarkt sind auch Behörden. Was ich probiert habe, darzustellen, ist, dass es für die ganzen Konflikte, die wir haben, Spezialisten in Beratungsbüros gibt, die dafür Geld bekommen Dinge zu untersuchen, zum Teil auch von den Behörden. Dann werden in den Behörden Entscheidungen getroffen und gehen gar nicht ins Parlament. Dort braucht man natürlich Leute, die nicht nur die Gesetze kennen, sondern die die Prozesse verstehen können, und die bilden wir aus.  

C. J.: Sie hatten schon mehrfach erwähnt, dass der Master auch für ganz viele Bereiche berufsqualifizierend oder nötig ist. Wie viel Prozent der Bachelorstudierenden machen den Master in Tübingen?   

O. C.: 90 Prozent, mit Sicherheit. Ich würde sagen, wer nach dem Bachelor aufhört, für den ist das eher ein „emergency exit“. Die Jobs, die es dann gibt, sind auch meistens nicht die Besten. Natürlich gibt es auch Leute, die an der Baugrube oder am Baggerbiss, die Gesteinsansprache machen müssen. Das ist in den Ingenieurwissenschaften – das gibt es jetzt hier in Tübingen nicht – ein bisschen anders. Insbesondere in den Ingenieurwissenschaften, die an den Fachhochschulen angeboten werden, ist es sehr normal, dass Leute nach dem Bachelor schon einen Job bekommen und vielleicht in ein Trainee-Programmen gehen. Das hat sich weder in den Geowissenschaften noch in den Umweltnaturwissenschaften durchgesetzt. Im Grunde genommen gilt erst der Master als Äquivalent zu dem, was vorher das Diplom war.  

A. B.: Das ist vom Umfang her, was die Studienzeit angeht, auch eigentlich genau das Äquivalent.  

O. C.: Ja, ich bin überhaupt kein Gegner von dem Bachelor- und Master-System. Das hat man eingeführt, dann kann man es machen. Das haben die angloamerikanischen Länder schon immer gehabt. Das ist eine Frage der Organisation. Aber es geht am Anfang eben noch mal viel Zeit für die ganze Grundausbildung in Physik, Chemie und Mathematik weg. Wenn man dann wirklich in das Fachliche rein gehen möchte und sich dort auch vertiefen und vollständig qualifizieren möchte, ist das in drei Jahren – abzüglich von der Bachelor-Arbeit, also letztendlich in fünf Semestern – nicht möglich.  

C. J.: Also ein klares Plädoyer auch für den Master im Anschluss, in diesen beiden Fächern.  

O. C.: Ja. Wir haben natürlich – leider, muss ich sagen – relativ viele, die dann für den Master an eine andere Uni wechseln. Da gibt es durch das Bachelor- und Master-System eine Sollbruchstelle. Es passt natürlich am besten, wenn man bleibt, weil wir die Grundlagen genau dafür legen, was bei uns im Master angeboten wird. Wir haben einen relativ großen Austausch, innerhalb des Studiengangs Geowissenschaften, dass z. B. Leute aus München oder Marburg oder wo auch immer her zu uns kommen und dafür gehen welche von uns nach München. Wenn man z. B. im Verlaufe des Studiums merkt, dass Vulkanologie das ist, was man machen möchte, was bei uns keine Vertiefung ist, dann ist das natürlich vernünftig, zu wechseln. Ein bisschen schwieriger ist es bei denen, die in eine Richtung wechseln möchten, wo ein Bachelorstudium ganz anders aussieht. Einer von den Studierenden möchte gerne in die Meteorologie gehen. Es gibt einen Studiengang Meteorologie, das ist aber ehrlicherweise ein Physik-Studiengang. Das heißt, wenn man das macht, dann bekommt man ziemlich hohe Auflagen, was man noch aus dem Bachelor nachholen muss. Wir haben das auch umgekehrt. Zum Beispiel Studierende der Geographie haben das Problem, dass sie bei uns in den Master „Applied & Environmental Geoscience“ praktisch nicht reinkommen können, weil sie im Bachelor nicht genug Naturwissenschaften gemacht haben. Die Möglichkeiten sind immer da, zu wechseln. Es wird aber je fachfremder man etwas machen möchte, immer schwieriger. Aber auf alle Fälle empfiehlt es sich, wenn man einen guten Job haben möchte, einen Master in diesen Studiengängen zu machen.  

A. B.: Darf ich nochmal nachfragen zu dem Austausch unter den Studierenden? Wie ist das bei den Naturwissenschaften innerhalb des Studiengangs; macht man die Veranstaltungen dann jeweils mit den Leuten, die beispielsweise Chemie, Physik oder Mathe studieren, oder sind das ganz eigene Veranstaltungen?  

O. C.: Das ist unterschiedlich. In der absoluten Grundausbildung ist es so: Da heißt die Veranstaltung Mathematik für Naturwissenschaften und die Mathematik ist auch immer die gleiche. Das gleiche gilt für die allgemeine und anorganische Chemie. Da sitzen alle drin, egal ob die Leute, Biochemie, Nanoscience, Geoökologie oder Umweltnaturwissenschaften und Geowissenschaften studieren. Das wird dann, wenn es spezieller wird, schon anders. In der Veranstaltung Geophysik sitzen nur noch Leute aus den Umweltnaturwissenschaften und aus den Geowissenschaften drin sowie einige aus unserem Master, die das nachholen. Das wird auch auf Englisch angeboten, damit es für die internationalen Studierenden möglich ist daran teilzunehmen. In einem Fach wie Umweltphysik sind dann die Leute der Umweltnaturwissenschaften unter sich. Das hat alles seine Vor- und Nachteile. Es ist irgendwie schön, wenn man so ein netter kleiner Zirkel ist, und alles gemeinsam macht. Ich halte es aber auch für die persönliche Reife für ganz gut, mal zu sehen, dass es auch Leute mit einem anderen Background gibt. Je mehr es dann in die Spezialisierung hineingeht – das fängt relativ früh an im Bachelor – ist es dann auch wichtig zu wissen, was die Leute eigentlich studieren. Also ich würde sagen, so ab dem dritten Semester hat man kaum noch Sachen, bei denen man mit Leuten gemischt wird, die Chemie, Physik, Biochemie oder Nanoscience oder was auch immer wir so alles haben, studieren.  

A. B.: Machen wir die Insiders-Tipps?  

Insider-Tipps (56:36) 

C. J.: Ja, wir haben noch eine letzte Kategorie, unsere sogenannten Insider-Tipps, bei denen wir Sie fragen wollen, was Ihnen vielleicht noch für Recherchetipps in Form von Büchern, Filmen oder Ähnlichem einfallen.  Wir hatten vorhin schon das Buch Der Schwarm von Frank Schätzing, das vielleicht nur so halb geeignet ist als Empfehlung. Was fällt Ihnen da ein, womit sich unsere Hörer und Hörerinnen vielleicht selbst weiter beschäftigen können in Bezug auf die Themen des Studiums?  

O. C.: Also, direkt für das Studium hätte ich gesagt als erstes Mal, die Studiumsseiten des Fachbereichs Geowissenschaften anzuschauen. Da sieht man auch die anderen Studiengänge, die wir auch noch haben. Das ist eine sehr gute Information und sie ist auch besser – sorry, wenn ich das sage – als die zentralen Seiten. Wenn man sich konkret interessiert ist es auch sehr vernünftig, eine persönliche Studienberatung anzufragen. Das machen unsere Studienberater. Das hilft sehr! Viele Leute sind ja unsicher und dann kann man auch die direkten Fragen beantworten.  

A. B.: Die findet man wahrscheinlich dann auch auf den Fachseiten.  

O. C.: Die findet man auch dort natürlich. Dann gibt es den Tübinger-Studienwahl-Test, den ich sehr empfehlen kann. Wenn man jetzt sehr unterschiedliche Interessen hat, kann man sich dort auch verschiedene Sachen anschauen. Für Geowissenschaften habe ich mal nachgeschaut – in Geowissenschaften eher als Umweltnaturwissenschaften, denn das gibt's halt in sehr ähnlicher Form an vielen Standorten – gibt es relativ gute YouTube-Videos, in denen es darum geht, was es heißt, Geowissenschaften zu studieren, zum Teil auch von konkurrierenden Universitäten. Natürlich sind wir der Meinung, dass wir das besser machen. Aber, wenn es darum geht, was beinhaltet denn so ein Studium, ist das sicherlich sehr vernünftig, sich das einfach mal anzusehen, um herauszufinden, ob mich das anspricht oder nicht. Wenn man sich dann für ein Fach interessiert, das an vielen Standorten angeboten wird, dann empfehle ich wirklich gezielt an den einzelnen Unis zu schauen, worin sich die Studiengänge denn dann unterscheiden. Im Grunde genommen ist Geowissenschaften bei uns natürlich nicht so anders als Geowissenschaften in Köln. Aber kleine Unterschiede gibt es dann doch immer. Nachdem man mal so weit ist, dass man sagt, das kann ich mir jetzt wirklich vorstellen, ist es sicherlich gut, sich genauer anzuschauen, ob man das in Tübingen oder in Bonn oder in Freiburg oder wo auch immer machen möchte. Ich weiß natürlich, dass die Studieninteressierten sich auch noch ganz andere Sachen ansehen, z. B. wie das Freizeitleben ist oder wie weit die Alpen weg sind. Spätestens zum Master sollte das aber nicht mehr das maßgebliche sein, sondern dann sollte man schauen, was man inhaltlich machen möchte.  

A. B.: Gut, wir stellen das in den Shownotes dann zusammen.  

C. J.: Und sagen ganz herzlichen Dank.  

O. C.: Ich bedanke mich.  

A. B.: Schön, dass Sie da waren!  

O. C.: Vielen Dank für die Einladung.  

C. J.: Sehr gerne, dann wünschen wir Ihnen noch einen schönen Nachmittag. Weiter gutes Gelingen bei all Ihren Forschungsvorhaben. Bis zum nächsten Mal!  

A. B.: Bis zum nächsten Mal!  

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Professor Dr. Olaf Cirpka über die folgenden Themen: 
01:19 Persönliche Motivation
08:01 Studieninhalte
33:24 Persönliche Voraussetzungen
44:58 Berufsperspektiven
55:35 Insider-Tipps

Insider-Tipps zu den Geowissenschaften:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #15: Economics / Volkswirtschaftslehre

Wie läuft das Studium der Volkswirtschaftslehre (VWL) ab? Was unterscheidet VWL von Betriebswirtschaftslehre? Welche Schwerpunkte kann man setzen und wann stellen sich berufliche Weichen? Und was genau reizt Economics-Studierende an ihrem Studium? Wir sprechen mit Professor Dr. Gernot Müller über das Studium in Tübingen, über aktuelle Lehr- und Forschungsschwerpunkte der Tübinger Wirtschaftswissenschaft und viele weitere Fragen rund ums Studienfach Economics / VWL.

Tags #VWL #Volkswirtschaftslehre #Economics #Wirtschaftswissenschaften
Listen
Christoph Jäckle (C. J.): Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch heute wieder ein neues Studienfach vor, und zwar wird es diesmal um das Fach Volkswirtschaftslehre gehen. Wir, das sind wie immer, meine liebe Kollegin Alexandra Becker vom Team der Zentralen Studienberatung. Schönen guten Morgen, liebe Alex! 

Alexandra Becker (A. B.): Guten Morgen, Christoph!  

C. J.: Und ich bin Christoph Jäckle vom Team der Hochschulkommunikation. Heute haben wir auch wieder einen Gast bei uns. Das ist Professor Dr. Müller. Schönen guten Morgen, Herr Professor Müller! 

Professor Dr. Gernot Müller (G. M.): Hallo!  

C. J.: Sie sind Professor für Macroeconomics and Finance, sprich Professor für Geld und Währung, so kann man es auch sagen, und für das Fach Volkswirtschaftslehre zuständig. Schön, dass Sie heute Morgen bei uns sind. Ich bin schon sehr gespannt, vor allem zu erfahren, was der Unterschied zwischen Volkswirtschaftslehre (VWL) und Betriebswirtschaftslehre (BWL) ist und in welchen Studiengängen in Tübingen welche Inhalte wie vertreten sind. Und was uns natürlich zu Beginn immer sehr interessiert, sind die Hintergründe der eigenen persönlichen Motivation für das Studium und das Studienfach. Wir wollen im Verlauf des Gesprächs darauf rauskommen: Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen? Für welche Personen ist das Studium geeignet? Was sind die inhaltlichen Interessensschwerpunkte, die von Belang sind? Bevor wir damit tiefer einsteigen, hören wir uns einmal an, warum sich die Tübinger Studierenden für das Fach entschieden haben.  

Persönliche Motivation (01:29) 

Studi 1: Ich habe mich fürs Studium entschieden, weil ich mich auch in der Schule schon immer für Politik und gerade volkswirtschaftliche Themen interessiert habe und mir außerdem Mathe immer ganz gut lag und deswegen auch die Methodik, die man so benutzt, eigentlich ganz gut passt.  

Studi 2: Ich habe mich für das Fach Wirtschaftswissenschaft entschieden, da ich die Inhalte interessant und spannend finde. Außerdem hat man später auch vielfältige Möglichkeiten am Arbeitsmarkt.  

Studi 3: Ich war mir nach meinem Abi eigentlich sehr unsicher, wie es weitergehen soll. Aber da ich mich schon immer für die Analyse vom Großen und Ganzen interessiert habe, dachte ich, dass das Studium der Wirtschaftswissenschaft mir fundamentale Kenntnisse und Einsichten über ökonomische Beziehungen und Entwicklungen geben könnte.  

Studi 4: Ich habe mich für das Fach Wirtschaftswissenschaft entschieden, weil Mathe und Sprachen schon immer Lieblingsfächer von mir waren.  

Studi 5: Einfach aufgrund des Interesses an diesen großen Zusammenhängen, die uns mehr oder weniger jeden Tag umgeben, zum Beispiel Inflation und Wechselkurse. Das merkt man gerade heute, mit der Frage warum wird alles teurer.  

Studi 6: Ich habe mich für das Fach Wirtschaftswissenschaften entschieden, da ich in der Oberstufe das Wahlfach Wirtschaft hatte und es mir sehr viel Spaß gemacht hat. Außerdem wollte ich mich zu Beginn meines Studiums noch nicht festlegen, was ich später einmal machen möchte, und wenn man dieses Fach studiert, hat man einfach später eine ganz große Auswahl an verschiedenen Wegen, die man einschlagen kann.  

Studi 7: Ich habe mich für Wirtschaft entschieden, da ich im Laufe meiner Oberstufenzeit in der Schule immer mehr in Kontakt mit wirtschaftlichen Themen kam, weil ich mein Wissen dahingehend gerne vertiefen wollte. Außerdem haben mir die Flexibilität in der Wahl meiner Studienschwerpunkte und die Breite an späteren beruflichen Möglichkeiten sehr zugesagt.  

A.B.: Ich glaube Flexibilität sowohl beruflich als auch im Studium – das kam jetzt schon deutlich raus – ist etwas, was das Studium bieten kann. Mathe spielt in irgendeiner Form eine Rolle. Soweit, glaube ich, kann man das schon mal zusammenfassen. Was sind denn aus Ihrer Sicht Fragen, die man sich als Studieninteressierter oder Studieninteressierte stellen sollte, wenn man mit dem Studium Volkswirtschaftslehre beginnen möchte? 

G. M.: Ich denke, das kam in den Stellungnahmen der Studierenden schon ganz gut raus. Ich würde auch sagen, was das Fach besonders macht, ist, dass wir uns mit großen gesellschaftlichen Fragen beschäftigen. Wie geht es weiter mit der Globalisierung? Wie geht es weiter mit dem Klimawandel? Wie geht es weiter mit dem Wohlstand, mit der Gleichheit von Einkommen und Chancen? Das sind große, wichtige Fragen, die natürlich in verschiedenen Fächern behandelt werden. Wir haben da in der Wirtschaftswissenschaft und insbesondere in der Volkswirtschaftslehre unseren eigenen Zugang. Wir denken natürlich, dass dieser Zugang besonders für die Fragen angemessen ist. Es ist schon so, dass die Wirtschaftswissenschaft sich dadurch auszeichnet, dass quantitative Methoden zur Anwendung kommen, wenn man diese Fragen behandelt. Also da wird dann geschaut, wie entwickeln sich die Zahlen beim Außenhandel, was passiert mit den CO2-Emissionen beim Klimawandel und wie stehen die im exakten Verhältnis zum Wirtschaftswachstum? Also insofern denke ich, Fragen, große Fragen machen das Studium aus, und der Zugang ist eben analytisch und auch quantitativ. Da hilft es dann schon, wenn man keine Angst vor der Mathematik hat. 

A. B.: Es sind ja in der Tat große, wichtige Fragen. Bildet sich das in der Studierendenschaft auch ab, Ihrer Meinung nach, dass die Leute mit dieser Motivation ins Studium kommen? 

G. M.: Nun, dazu muss man vielleicht sagen – das klang auch schon an – dass unsere Studienfächer in den ersten zwei Jahren zusammen mit der Betriebswirtschaftslehre angeboten werden. Wir haben mehrere Studiengänge und wir sind auch als Fachbereich zusammen organisiert, dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaft. Da gibt es dann schon unterschiedliche Motivationen bei den Studierenden je nachdem, wo die Leute am Ende hinwollen. Das kann sich auch ändern im Rahmen des Studiums. Aber es gibt diesen Typ Studierender oder Studierende, die die Welt verändern möchten, und andere wollen vielleicht auch viel Geld verdienen. Das ist auch ein legitimes Interesse in meinen Augen und insofern denke ich, hat man da eine große Bandbreite an Interessen bei den Studierenden. In meinen Vorlesungen – ich mache im ersten Semester die Vorlesung Makroökonomik – da sitzen 200 bis 300 Studierende drin, da weiß ich nicht genau, was jeden oder jede Einzelne bewegt. Aber es gibt dann natürlich Studierende, die sich mehr einbringen in die Vorlesung und da kann man schon sehen, dass sie diese Interessen auch vertreten an diesen Fragen, die wir eben besprochen haben. 

A. B.: Was war Ihr Beweggrund, sich für das Fach zu entscheiden? 

G. M.: Bei mir waren es schon auch ähnliche Fragen. Ich meine, ich habe in den 90er-Jahren Volkswirtschaftslehre studiert, da waren manche Themen noch nicht so präsent. Die Globalisierung wurde damals nicht so heiß diskutiert. Es gab keinen Brexit und keinen Trump. Ökologische Fragen wurden damals schon heiß diskutiert, wenn auch nicht ganz so intensiv und breit wie heute. Das waren schon Fragen, die mich umgetrieben haben. 

C. J.: Das heißt, die Inhalte im Studium selbst sind häufig sehr aktuell? Ich meine, auf der einen Seite lernt man wahrscheinlich auch einen theoretischen Unterbau, um dann empirisch zu arbeiten, um mit Zahlen und Statistiken umzugehen. Aber inhaltlich passen sich dann auch die Fragestellungen an die jeweilige globale Situation an? 

G. M.: Exakt das ist zumindest unser Ziel. Aber, wie Sie schon sagen, es gibt natürlich auch Grundlagen, die vermittelt werden, und je nach Veranstaltung kann es dann mal mehr oder weniger aktuell sein. Ich meine, ich bin vielleicht in einer besonders günstigen Position als Makroökonom, weil die Makroökonomik schon immer sehr nah an diesen aktuellen Themen dran ist. Andere Fächer sind von ihrem Charakter schon eher Grundlagenfächer. Die Mikroökonomik befasst sich zum Beispiel mit elementaren Zusammenhängen und da kann man schon auch mal ein aktuelleres Beispiel in der Vorlesung behandeln, aber man muss auch mehr durch Grundlagen durch. Das sieht man auch in den Evaluationen. Manche Studierenden beklagen an der einen oder anderen Stelle auch einen fehlenden Aktualitätsbezug. Da gibt es sicher Kritik. Oder natürlich in der Statistik. Da kann man auch mal aktuelle Beispiele machen, aber am Ende müssen eben erst mal die Basics vermittelt werden. 

C. J.: Könnten Sie ganz knapp und mit möglichst praktischen Schlagworten erklären, was der Unterschied zwischen Makro- und Mikroökonomik ist? 

G. M.: Wie das Wort schon nahelegt befasst sich die Mikroökonomik mit grundlegenden Überlegungen, darüber wie einzelne Akteure sich verhalten auf Märkten. Wann entscheiden sich Unternehmen für den Markteintritt? Wann lohnt es sich für Unternehmen, neue Produkte zu entwickeln? Und insbesondere ein klassisches Thema in der Mikroökonomik ist auch die Wettbewerbstheorie. Wie bilden sich Monopole heraus und wie interagieren einzelne Unternehmen auf Märkten? Und die Makroökonomik, die befasst sich mit der Frage, wie sich die Ökonomie als Ganzes entwickelt. Das sind dann so klassische Fragen wie: Wirtschaftswachstum, warum wächst das Bruttoinlandsprodukt um 2 Prozent oder um 5 Prozent? Warum gibt es Inflation? In welchem Fall stehen einzelne Länder wieder zueinander? Also insofern, denke ich, ist da das Wort Mikro und Makro schon ganz informativ. 

C. J.: Was unsere Hörerinnen und uns natürlich auch brennend interessiert, ist, welche Studiengänge man in Tübingen studieren kann. Es gibt verschiedene Bachelorstudiengänge. Es gibt die Möglichkeit im Anschluss an ein Bachelorstudium, verschiedene Masterstudiengänge zu studieren – wobei uns heute die Bachelorstudiengänge interessieren und welche Inhalte dort vermittelt werden. Bevor wir uns darauf tiefer einlassen, hören wir uns mal an, wie bei den Studierenden hier in Tübingen eine typische Studienwoche aussieht.  

Studieninhalte (10:27) 

Studi 1: Die Beschreibung einer Studienwoche hängt sehr vom Studierenden, besonders seinen Ansprüchen und seiner Motivation ab.  

Studi 2: Im Bachelor Economic and Business Administration ist es so, dass man die ersten beiden Semester gemischte BWL- und VWL-Module macht, die quasi jeder macht. Dann kann man sich je nachdem, in welcher Richtung man sich vertiefen will, eben entscheiden, ob man eher in Richtung BWL oder VWL geht.  

Studi 3: Unterm Semester ist meine Studienwoche eigentlich noch recht entspannt. Ich besuche natürlich die Vorlesungen und Tutorien. Diese bereitet man optimalerweise vor und nach. Ich hatte noch einen Nebenjob und habe mich außerdem in einer studentischen Unternehmensberatung engagiert. Stressig wird es dann vor allem zum Ende des Semesters. Da war ich dann jeden Tag von morgens bis abends in der Bibliothek und habe gelernt, aber das schafft man auch. Vor allem ist es wichtig, dass man eine gute Lerngruppe hat.  

Studi 4: Dieses Semester besuche ich drei Vorlesungen und ein Seminar, unter anderem Accounting Information, Strategic Cost Management und eine Unternehmenssimulation. Ansonsten engagiere ich mich ehrenamtlich in der freien Fachschaft Wirtschaftswissenschaft.  

Studi 5: Eine typische Studienwoche bestand am Anfang vom Studium vor allem aus Vorlesungen und den dazugehörigen Übungen, die man im Idealfall ein bisschen vorbereitet hat. Inzwischen hat man jetzt im Master kleinere Veranstaltungen und auch viele Abgaben, die man dann regelmäßig zu machen hat.  

Studi 6: Eine typische Studienwoche besteht bei mir vor allem aus Vorlesungen und dazugehörigen Übungsstunden. Hin und wieder müssen dann auch kleinere Projekte abgegeben oder Präsentationen gehalten werden. Aber es bleibt neben dem Studium auf jeden Fall auch noch genug Zeit für Hobbys, soziales Engagement oder um mal mit den Kommilitonen abends ein Bier zu trinken.  

C. J.: Wenn wir mal ein paar Stichworte aufgreifen, die jetzt genannt worden sind, dann sind es im Grundstudium auf jeden Fall einige Vorlesungen. Sie hatten auch selbst schon erwähnt, Sie geben auch Einführungsvorlesungen mit dazugehörigen Übungen. Sie hatten schon gesagt, dass in Ihren Einführungsvorlesungen mehrere 100 Studierende sitzen. Das heißt, es ist klar frontal. Man kann es sich, glaube ich, gut vorstellen, man sitzt im Hörsaal und hört zu. Und die Übungen sind dann deutlich kleiner und dort übe ich dann die gehörten Inhalte ein? 

G. M.: Ja, genau also bei uns heißt es Tutorien. Das variiert ein bisschen von Vorlesung zu Vorlesung, im ersten Semester haben wir eben die Makroökonomik und im zweiten dann die Mikroökonomik. In einem Tutorium – wir haben acht Tutorien für diese Veranstaltung und die bieten wir zu unterschiedlichen Wochen- und Tageszeiten an – sind im Schnitt dann so 20 bis 30 Studierende. Im Tutorium wird dann der Stoff der Vorlesung vertieft und da wird dann auch ein bisschen mehr gerechnet. Also in meiner Vorlesung zum Beispiel, wird die grundsätzliche Thematik vorgestellt und Statistiken und Zahlen und die dazugehörige Idee besprochen. Im Tutorium hat man dann konkrete Beispiele und kann das dann ein bisschen anschaulicher machen. 

C. J.: Und diese Lerngruppe, die da jetzt auch angesprochen wurde, ist, die dann nochmal unabhängig, vermutlich von dem Tutorium? Das sind dann private Zusammenschlüsse von Studierenden, die sagen, wir lernen zusammen und helfen uns gegenseitig? 

G. M.: Genau, da gibt es von unserer Seite aus keine Hilfestellung. Aber nach unserer Erfahrung passiert das automatisch, dass die Studierenden sich finden. An der Stelle ist es eventuell ganz interessant zu wissen, dass unser Hauptgebäude saniert wurde, wir vier Jahre lang in Ausweichquartieren waren. Das war eine harte Zeit, auch für die Studierenden, weil dann so ein zentraler Ort gefehlt hat, wo man zusammenkommen konnte. Das ist jetzt aber vorbei, wir sind im November wieder eingezogen in unser Hauptgebäude. Da sind auch einige Seminarräume und da finden Veranstaltungen statt. Ein Ort, der jetzt noch nicht ganz fertig ist, aber in den nächsten Monaten dann fertig sein müsste, ist der frühere Standort der Seminarbibliothek. Dort werden viele Gruppenarbeitsräume entstehen. Es freut mich zu hören, dass diese Studierendengruppen sich trotzdem gefunden haben. Ich stelle mir vor, dass das noch besser wird, weil wir einige Räume haben, in denen früher Bücher standen, die jetzt als Raum für solche Gruppenarbeiten dienen. 

C. J.: Nochmal ganz zum Beginn: Welche Bachelor-Studiengänge kann man in Tübingen studieren, in denen Volkswirtschaft ein Bestandteil ist? 
 
G. M.: Wir haben im wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereich zusammen mit der BWL drei Bachelorstudiengänge. Einer versteht sich als typischer VWL-Studiengang. Das ist der Studiengang International Economics. Der ist jetzt nicht komplett auf Englisch, aber einige Veranstaltungen sind schon auf Englisch. Man studiert dort auch teilweise Betriebswirtschaftslehre. Im ersten Jahr hat man die Veranstaltung Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, in der Grundlagen der BWL vermittelt werden. Daneben gibt es einen zweiten Bachelorstudiengang, der heißt Economics and Business Administration, und das ist eigentlich ein gemeinsames Produkt, wenn man so will, aus dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, den wir aus der VWL und der BWL gemeinsam bespielen. Der versteht sich als Besonderheit hier in Tübingen, denn man muss sich hier nicht festlegen. Es ist einfach ein Studiengang Wirtschaftswissenschaften, und man hat dann danach alle Möglichkeiten, entweder in die VWL/Economics oder in die Betriebswirtschaftslehre für einen Master zu gehen. Deshalb ist dieser Studiengang auch sehr beliebt. Schon während des Bachelors kann man sich dann durch die Wahl der Schwerpunkte ein bisschen mehr in die eine oder andere Richtung orientieren. Aber im Grunde ist es ein Studiengang Wirtschaftswissenschaft, da ist man sehr flexibel. Dann gibt es daneben noch einen Bachelor, der ist dann eher ein BWL-Studiengang, International Business Administration. 

C. J.: Gibt es bei International Economics zusätzlich zu den englischsprachigen Veranstaltungen noch einen weiteren Sprachanteil? 

G. M: Genau, das ist eine lange Tradition in Tübingen. Früher hieß das Regionalwissenschaften-VWL in den 90ern, und das war immer sehr beliebt. Das haben wir dann auch ein bisschen an die Zeiten angepasst. Was aber geblieben ist, ist diese Sprachausbildung. Da kann man Sprachen dazu wählen aus verschiedenen Weltregionen, angefangen mit Englisch bis hin zu Koreanistik – das machen einige Leute – oder Arabisch. Also je nachdem, was man sich da zutraut, kann man dann studienbegleitet diese Sprachen weiterentwickeln. 

C. J.: Weiterentwickeln? Oder kann ich auch ohne Vorkenntnisse kommen und sagen, ich möchte dann auf einem Anfängerlevel Koreanisch oder Chinesisch lernen? 

G. M.: Genau Letzteres. Man kann damit anfangen. Wir erwarten da keine Vorkenntnisse in Koreanisch.  

A. B.: Das heißt, ich habe dann die Möglichkeit, die VWL mehr unter einem internationalen Blickpunkt als in einem anderen Bachelor zu betrachten?  

G. M.: Nun, wir heißen International Economics. Ich würde sagen, wir haben in Tübingen eine Tradition, bei der wir immer viel über außenwirtschaftliche Zusammenhänge geredet haben, und das schlägt sich auch noch heute in der Lehre wieder. Wir haben viel zu den Themen Internationale Unternehmen, wie agieren die auf globalen Märkten und so weiter, gemacht. Als Makroökonom befasse ich mich viel mit Wechselkurstheorie. Insofern sehen auch die Studierenden diese Studieninhalte, die die globale Wirtschaft befassen, mehr als anderswo. Das wäre dann der Aspekt der internationalen Wirtschaft, der dann überrepräsentiert ist, vielleicht verglichen mit anderen Standorten. Ansonsten haben wir natürlich noch die Sprachen als internationale Themen. 

C. J.: Könnten Sie noch mal abgrenzen, wie sich ein betriebswirtschaftliches Studium von einem volkswirtschaftlichen Studium unterscheidet? 

G. M.: Da gibt's auch fließende Übergänge, muss man sagen, die Unterschiede sind nicht so groß, wie es manchmal unter den Kollegen gewitzelt wird. Aber wir machen ja auch vieles zusammen im Fachbereich. Einige der Kolleg:innen, die jetzt Professor:in für Betriebswirtschaftslehre sind, die haben auch VWL studiert, und die arbeiten auch zusammen in Lehrveranstaltungen und Studiengängen. Aber es gibt natürlich auch Unterschiede. Wenn man es auf den Punkt bringen will, kann man sagen, dass wir in der Volkswirtschaftslehre versuchen, Verhalten zu beschreiben, also wie Konsumenten, Verbraucher und Firmen auf Märkten agieren. Aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive hingegen fragt man sich traditionell, wie möchte ich mich als Unternehmen verhalten, wenn ich jetzt beispielsweise für meine Aktionäre möglichst viel rausholen will. Also, das würde man sagen, ist eher eine normative Perspektive. 

C. J.: Wie hoch ist der Mathematik-Anteil in dem Studium? Sie hatte schon erwähnt, dass auch gerechnet wird. 

G. M.: Es wird auch gerechnet, ja. Im ersten Semester haben wir eine reine Veranstaltung, in der Mathematik aus der Schule wiederholt oder vielleicht auch ein bisschen erweitert wird, je nachdem, welchen Hintergrund man hat. Dann ist die Statistik natürlich auch sehr nah dran an der Mathematik. Also in der Makroökonomik bei mir ist es nicht so viel mit Rechnen, auch keine besonders ausgefeilte Mathematik. 

A. B.: Und wenn wir schon bei Anteilen sind, wie groß ist der Sprachenanteil im Bachelor International Economics? 

G. M.: Wir haben so einen Wahlpflichtbereich, in dem man Lehrveranstaltungen wählen kann, und da kann man dann am Ende auch etwas mehr oder weniger Sprachen machen. Aber ich würde mal schätzen, man kann dann bis zu 20 oder 30 Prozent Sprachen machen. 

A. B.: Man kann das also relativ intensiv betreiben, um die Sprachen zu lernen.  

C. J.: Spielen alternative Wirtschaftstheorien eine Rolle? Also finde ich, wenn ich mich eher dafür interessiere, wie man den globalen Kapitalismus überwinden könnte, auch Denkansätze. 
 
G. M.: Ja, das ist ein spannendes Thema. Wir haben da auch viele Diskussionen, weil es da auch unter den Studierenden immer wieder Gruppen gibt, die sich dazu äußern und da noch mehr fordern, als wir schon machen. Alternative Wirtschaftstheorien werden nicht in dem Umfang unterrichtet, wie sich das vielleicht manche vorstellen. Wir haben eine Vorlesung, die befasst sich mit der Geschichte des ökonomischen Denkens. Da sieht man ein bisschen, wie sich das entwickelt hat zu dem, wo wir heute sind, in der Wirtschaftstheorie. Meine Meinung dazu ist, dass die Wirtschaftstheorie, wie wir sie hier unterrichten, die beste Herangehensweise an bestimmte Themen ist. Wir stehen da im Wettbewerb mit anderen Theorien, und wenn andere Theorien und Alternative Ansätze erfolgreicher sind, weil sie bestimmte Dinge besser erklären können, dann schlägt sich das irgendwann auch bei uns nieder. So ist es in den letzten 15 Jahren geschehen. Die Wirtschaftstheorie, die wird von außen ein bisschen karikiert als kritikresistent, aber wir sind auch eine Wissenschaft, die sich auseinandersetzt, die sehr empirisch ist, die fragt, wie gut funktionieren Theorien. Wir hatten vor 15 Jahren zum Beispiel die Finanzkrise und da haben wir nicht so gut ausgesehen. In der Folge hat sich sehr viel verändert und das ist jetzt gar keine alternative Wirtschaftstheorie, sondern das ist auch im Mainstream angekommen. Wir reden jetzt viel mehr über Versagen von Finanzmärkten. Woran liegt es, dass Finanzmärkte nicht so reibungslos funktionieren? Wir reden viel mehr über Fragen der Verteilung. Was passiert mit den Einkommen? Wie sieht’s aus mit Arm und Reich? Wie sind da aktuelle Entwicklungen? Das sind alles Themen, die in der Standard-Wirtschaftstheorie behandelt werden, in der Forschung und in der Lehre. Von außen heißt es manchmal, man würde alles neoliberal betrachten, aber ich denke das ist eine Karikatur. Wir reden die ganze Zeit über Probleme, warum Märkte nicht so gut funktionieren und welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen deshalb sinnvoll sind, wie man Leute besteuern sollte, ob der Steuersatz höher ausfallen sollte als er ist und so weiter. Diese Diskussionen finden bei uns alle statt und insofern denke ich, dass eine alternative Wirtschaftstheorie schon vertreten ist, nur dass es nicht so alternativ ist, sondern tatsächlich im Mainstream angekommen.   

A. B.: Wir haben jetzt schon von verschiedenen Lehrformaten gehört und auch schon, was es so inhaltlich für Diskussionen im Fach gibt. Wie kann man sich dann konkret eine Lehrveranstaltung vorstellen? Also haben Sie da ein Themenbeispiel, was vielleicht gerade auf dem Lehrplan aktuell ist? 

G. M: Im kommenden Sommersemester gebe ich so ein Seminar, das heißt Economics of Climate Change. Da gibt es dann Referate zu dem Thema. Wie wirkt sich jetzt der Temperaturanstieg auf das Wirtschaftswachstum aus? Wie läuft es mit dem Emissionsrechtehandel, haben wir da einen Rückgang der Emissionen? 

A. B.: Ja, das klingt schon nach komplexen Themen.  

C. J.: Finden dann die Referate auf Englisch statt? Das hängt wahrscheinlich von der Veranstaltung ab, aber kann es auch mal sein? 

G. M.: Ja, das kann durchaus sein. Wir haben diese Bachelor-Veranstaltung auf Englisch gemacht. Mein Eindruck ist, das läuft auch sehr gut. Also, ich denke, da können die Studierenden heute viel, viel besser Englisch als zu meiner Zeit – als auch ich es zu dieser Zeit konnte. Insofern bin ich da immer sehr zufrieden. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Sprache eine Barriere ist. Und weil die Forschungsaufsätze auch auf Englisch geschrieben sind, liegt es fast auf der Hand, dass man dann das Referat auch auf Englisch macht. 

C. J.: Gibt's dazu auch begleitend Business-Englischkurse oder Englischkurse an sich, die optional belegt werden können? 

G. M.: Also, im Rahmen der Sprachausbildung wäre Englisch eine Möglichkeit. Dann könnte man sich darauf spezialisieren. Das macht auch Sinn, wenn man das Gefühl hat, da ein Defizit zu haben. Und andere, die sagen, Englisch ist eben bei mir so gut, die machen dann zum Beispiel Koreanistik oder Arabisch. 
 
A. B.: Ja, dann hören wir mal rein, was so die Studierenden eigentlich an ihrem Studium gut finden. 

Persönliche Voraussetzungen (25:57) 

Studi 1: Am Studium begeistert mich vor allem, dass man sehr viel über Vorgänge und deren Hintergründe erfährt, wie sie in der realen Welt passieren, und man diese Themen dann auch mit dem erworbenen Wissen besser bewerten und auch einschätzen kann, was da eigentlich dahintersteckt.  

Studi 2: Mich begeistern die Inhalte im Studium des Faches, da man vieles auch in der Praxis anwenden kann. Außerdem begeistert mich, dass ein Auslandssemester sehr gut integrierbar ist.  

Studi 3: Ich bin sehr von meinem Studium begeistert, weil es so vielseitig ist und ich im Studium schon so viele Seiten von Wirtschaft kennenlernen konnte und deren jeweiligen Einflüsse. Aber auch der Fakt, dass ich nach dem Abschluss mich nicht nur auf ein Fachgebiet konzentrieren muss oder beschränken muss, sondern dass ich dann in verschiedene Richtungen gehen kann, begeistert mich.  

Studi 4: Also was mich vor allem begeistert an meinem Studium, ist, dass es wirklich total vielseitig ist und vielfältig, wenn man halt je nachdem, wie man seine Schwerpunktbereiche dann später legt und auch, was die Methodik angeht, Einflüsse aus total vielen Bereichen hat. Man macht so ein bisschen Informatik, Politikwissenschaft, natürlich super viel Mathe. Das finde ich eigentlich ganz cool.  

Studi 5: Mich begeistert in diesem Studium vor allem, dass es sehr viele verschiedene Wahlmöglichkeiten gibt. Gerade nach dem dritten Semester kann man seine eigenen Schwerpunkte wählen und auch seine eigenen Module und durch den Schwerpunkt Elective Studies kann man auch noch in andere Bereiche reinschauen. Ich habe zum Beispiel das Modul Psychologie noch belegt.  

A. B.: Ja, das Thema Vielfältigkeit zieht sich auch hier so durch bei den Studierenden. Wenn man das von der anderen Seite her betrachtet, was die Fähigkeiten angeht, dann erfordert Vielseitigkeit ja oft auch eine hohe Flexibilität, die man mitbringen sollte, gerade weil das Angebot es auch erfordert, dass man sich orientiert und vielleicht dann auch selber seinen Weg sucht. Was wären denn so Fähigkeiten, die einem das Studium erleichtern können, wenn man sich dann für das Fach entscheidet? 

G. M.: Das ist eine schwierige Frage. Also ich denke, wenn einen die Dinge interessieren, die jetzt speziell für die Wirtschaft, für die Volkswirtschaftslehre spannend sind, dann hilft natürlich ungemein und eine Offenheit gegenüber aktuellen Themen. Dadurch, dass wir so viel anbieten, können wir vielen Interessen entgegenkommen. Vielleicht da an der Stelle noch die Bemerkung, dass wir auch deshalb so vielseitig sind, weil wir ein relativ großer Fachbereich sind. Also als Fachbereich Wirtschaftswissenschaften sind wir circa 27 Professorinnen und Professoren. Allein dadurch gibt es natürlich ein großes Angebot. Auch in der Lehre stellen sich die Interessen der Forschenden in den Vordergrund. Und was muss ich jetzt mitbringen? Dass mich das Fach interessiert. Wir haben schon gesagt, Mathe hilft natürlich ein bisschen. Ansonsten Neugier und Interesse. Und natürlich so eine gewisse Disziplin, dass man sagt: „Okay, ich muss halt auch rechtzeitig mich mit dem Stoff auseinandersetzen“. Aber ich würde nicht denken, dass das jetzt in der Volkswirtschaftslehre anders ist als in anderen Fächern. 

A. B.: Also, Mathe-Skills sind ja schon mal gefallen, als Stichpunkt. Das ist, glaube ich, aber klar bei dem Fach. Wie viel ist denn vorgegeben, also gerade zum Thema Eigenständigkeit im Studium? Wie viel ist dann im Studienplan vorgegeben und wie viel Freiheit hat man? 

G. M.: Ja, das ist interessant. Da zeichnet sich unser Fach dann schon aus durch eine relativ gut vorgegebene Struktur. Man bekommt einen Studienplan an die Hand und da ist eigentlich relativ klar, was man so in den ersten ein, zwei Jahren im Studium macht. Aber wir haben es gehört, es gibt dann die Vielseitigkeit. Man kann dann teilweise schon ab dem zweiten Semester wählen und dann vor allen Dingen im zweiten Jahr. Aber da wähle ich dann eben aus einer Liste von, sage ich mal, sechs oder acht Lehrveranstaltungen. Ich denke, das hilft. Anders als jetzt in der klassischen Geisteswissenschaft oder so, wo ich dann noch viel freier bin, gibt es bei uns dann auch relativ viel Orientierung. Das heißt also, wenn ich anfange im ersten Semester, dann mache ich vier oder fünf große Lehrveranstaltung und da bin ich schon in relativ klaren Bahnen drin. Ich denke, wir bemühen uns auch schon von den ersten Wochen an, klar zu kommunizieren, was dann am Ende des Semesters in der Klausur erwartet wird. Also, da würde ich nicht sagen, dass man jetzt besonders eigenständig oder diszipliniert sein muss, was die Klausurvorbereitung angeht, relativ zu anderen Fächern zumindest. Auch wenn ich das mit meiner Zeit als Student vergleiche, ist es vielleicht ein Stück weit verschulter. Also vor 20 oder 25 Jahren, da hatten wir noch die Diplomstudiengänge, da hat man länger studiert und war auch dann noch freier in gewisser Weise. 

C. J.: Was begeistert Sie denn selbst nach wie vor an der VWL? 

G. M.: Ich kann es nochmal sagen, dieses Flexible, dass wir auf aktuelle Entwicklungen reagieren und dann zu Themen forschen und lehren können die einen unmittelbar interessieren. Ich habe in den letzten Jahren wirklich ganz extrem immer auf die aktuellen Themen reagiert. Das hat sich so ergeben in verschiedenen Konstellationen mit Forschungskollegen. Das fing eigentlich an mit dem Brexit. Dann haben wir gedacht, das können wir jetzt analysieren und haben eine relativ viel beachtete Studie veröffentlicht. Wir haben damit kurz nach der Abstimmung angefangen und 2019 ist diese Studie dann erschien. Man hat dann schon eine Weile gebraucht, denn der ganze Publikationsprozess zieht sich hin. Aber dann ging es schon weiter mit Corona.  

C. J.: Können Sie das kurz und möglichst anschaulich erklären, was war da die Fragestellung und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? 

G. M.: Genau das ist eine spannende Frage in meinen Augen. Wir haben uns angeschaut, was passiert ist, nachdem die Briten sich in der Abstimmung für den Brexit entschieden haben. Das war eine Überraschung. Und dann ist erst mal zwei, drei Jahre lang gar nichts passiert. Es gab ja dann das lange hin und her, wie der Brexit gestaltet wird, woran sich verschiedene Regierungen vergeblich versucht haben. Unsere Frage war konkret, inwiefern sich schon Effekte abzeichnen, bevor der Brexit überhaupt stattfindet. Das ist auch ein Lieblingsthema von mir. Das, was die Wirtschaftswissenschaft so spannend macht und die Volkswirtschaftslehre insbesondere ist, eben, dass wir mit den Folgen von Entscheidungen zu tun haben, die die Menschen treffen in Erwartung von zukünftigen Entwicklungen. Das macht den Gegenstand auch so schwierig. In meiner Makro-Vorlesung mache ich da immer Witze und sage, in gewisser Weise ist unsere Disziplin viel schwieriger als eine Naturwissenschaft, weil die Menschen, die Entscheidungen treffen – diese Daten, die für unsere Analysen zur Verfügung stehen – sind eben Folge von Entscheidungen unter Unsicherheit im Hinblick von erwarteten Entwicklungen. Das haben wir in ganz verschiedenen Kontexten und ein Kontext war eben der Brexit, bei dem man das gesehen hat. Da hat man abgestimmt für den Brexit. Keiner wusste genau, was passiert, aber es wird was kommen. Und dann haben wir eben versucht zu messen, ab wann man erkennbare Effekte hat. Und was wir dann gesehen haben, ist, dass sich in der Zeit von 2017 bis 2019 nach und nach tatsächlich eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Aktivität abgezeichnet hat, bevor überhaupt der Brexit stattgefunden hat, sodass wir dann am Ende quantifizieren konnten, was schon in den ersten zwei Jahren die Kosten der Brexit Entscheidung waren. Dann finden wir so eine Zahl von circa 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Am Ende unseres Betrachtungszeitraums waren das dann 2 Prozent niedriger, als es andernfalls gewesen wäre.  

C. J.: Welche Daten haben Sie sich da angeschaut?  

G. M.: Im Wesentlichen haben wir mit Daten für das Bruttoinlandsprodukt gearbeitet. Wir haben auch die Investition angeschaut, das Konsumverhalten und haben versucht zu messen, ob der Effekt auf Unsicherheit zurückzuführen ist oder die einfache Erwartung, dass sich die Handelsbeziehungen verschlechtern werden. 

A. B.: Ich stelle mir gerade vor, dass das eigentlich auch – hat das nicht auch eine Studentin oder ein Student gesagt – so eine psychologische Komponente mit sich bringt. Und dann natürlich auch die Frage, welche entsprechenden Akteure handeln wie und was zieht das für Wellen nach sich. Also, ich stelle mir das ganz schwer abzuschätzen vor, aber eben auch, wie gesagt, mit so einem psychologischen Aspekt. 

G. M.: Absolut unter dem Stichwort verhaltensökonomische Forschung findet da viel Psychologie Einzug in die Wirtschaftswissenschaft. Das war früher vielleicht auch so was, was man unter dem Stichwort – wir haben es vorher gehört –alternative Wirtschaftstheorie, besprochen hätte. Und es hat in den letzten 20, 30 Jahren einen Einzug erhalten, erst in die Mikroökonomik, da hat man in Laboren gearbeitet. Der einzige Deutsche Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Reinhard Selten, der hatte als einer der ersten ein Labor gegründet, in dem man das Verhalten der Leute untersucht. Auf diesem Weg ist dann auch die Psychologie in die Mikroökonomik gekommen und zuletzt auch in die Makroökonomik. In einem aktuellen Projekt von mir zu Klimawandelerwartungen habe ich auch verhaltensökonomische Ansätze. Da fragen wir zum Beispiel Leute in einer Onlineumfrage, wie hoch sie die Wahrscheinlichkeit einschätzen, dass in der Folge des Klimawandels verstärkt Naturkatastrophen auftreten. Da kriegen wir ganz hohe Zahlen, wenn wir die Leute fragen, ob sie denken, dass sich im nächsten Jahr eine große Katastrophe ereignet, bei der Kosten in Höhe von 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entstehen, das ist so viel wie der Einbruch während der Finanzkrise vor 15 Jahren. Das ist also so eine Katastrophe in der Größenordnung, wie wir es bisher gar nicht hatten. Trotzdem denken die Leute, das tritt mit 10 Prozent Wahrscheinlichkeit ein. Das ist eine interessante Beobachtung. Man könnte das jetzt abtun und sagen, die Leute haben halt keine Ahnung von Statistik. Man kann aber auch darüber nachdenken, unter welchen Umständen Erwartungen systematisch verzerrt sind. Man spricht da im Englischen von Salience-Effekten. Das heißt, bestimmte Phänomene sind besonders einschlägig. Das ist eben auch aus der Psychologie bekannt, gerade wenn es darum geht, Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen einzuschätzen, die sehr unwahrscheinlich sind oder selten auftreten. Dann kann man fragen, woher kommt das und da gibt es dann Berührungspunkte mit der Psychologie. 

A. B.: Ja, und dann wäre eben sozusagen aus Sicht des Faches gar nicht wichtig, ob das richtig ist und das wirklich eintritt, sondern ob es etwas am Verhalten der Menschen verändert.  

C. J.: Lernen Studierende im Bachelorstudium schon, solche Untersuchungen zum Beispiel mit einer Befragung selbst durchzuführen im Kleinen, um so etwas vielleicht auch als Abschlussarbeit zu machen? 

G. M.: Ja, das ist eine schöne Frage. In der Makroökonomik haben wir das selbst erst in den letzten Jahren vermehrt angewendet. Und bisher hat es noch keinen Einzug in die Lehre gefunden. Ich hoffe aber, dass das passiert. Wir haben diese Reaktion auf aktuelle Entwicklung erst in der Forschung und dann zeigt sich das – mit hoffentlich nicht allzu langer zeitlicher Verzögerung – auch in der Lehre. Was sich auf jeden Fall ganz stark verändert hat im Vergleich zu der Zeit, als ich studiert habe, ist das empirische Arbeiten. Also, ich habe in meinem Studium nie selbst irgendwelche Daten analysiert und heute machen wir das bereits im zweiten oder dritten Studienjahr. Dann lernen die Leute, mit einer Software zu arbeiten, selbst Daten zu generieren und zu analysieren und so weiter. Eine Umfrage durchzuführen, wäre dann sicher auch denkbar in den nächsten Jahren. 

C. J.: Wie sehen Bachelorarbeiten momentan aus im Studium Volkswirtschaftslehre? 

G. M.: Wir machen die Bachelorarbeit im Rahmen eines Seminars, das ist dann relativ überschaubar. Man belegt dann die Veranstaltung, hält eine Präsentation, über die wir vorher auch schon geredet haben, und schreibt das Ganze dann in einer 20-seitigen Arbeit auf. Da sind wir flexibel. Wir ermutigen die Studierenden, eigenständige Analysen, Datenanalysen durchzuführen. Aber das ist natürlich schwierig und deshalb machen wir es meistens so, dass wir sagen, „hier ist eine aktuelle Forschungsarbeit, an die angeknüpft wird“. Erst im Januar hatten wir eine sehr spannende Arbeit von einem Studenten. Der hat sich eine unlängst veröffentlichte Arbeit vorgenommen. Da hat sich erfreulicherweise mittlerweile die Praxis bei uns geändert. Das war auch vor zehn Jahren noch nicht so. Wenn man mittlerweile etwas veröffentlicht, muss man als Autor auch das Replication Package veröffentlichen. Das steht dann im Rahmen der Zeitschrift daneben, sodass es jeder runterladen und mit der entsprechenden Software auch durchlaufen kann. Das ist sehr erfreulich, weil man dann schon mal einen guten Einstieg hat als Student oder Studentin. Man hat es dann selber am Computer und kann die gleichen Ergebnisse wie der Autor erzeugen. 

C. J.: In diesem Package sind die Daten drin, mit denen der Autor gearbeitet hat, oder? 

G. M.: Genau die Daten und die statistischen Analysen oder manchmal auch Modellsimulationen. Dann drücke ich da auf F5, und dann läuft es durch, wenn's gut läuft. Früher hat das dann meistens nicht funktioniert. Aber mittlerweile haben die Zeitschriften, sogenannte Data Editors. Die sind nur darauf spezialisiert, dass diese Replikation auch funktioniert. Die machen dann Testläufe und ich kann meine Arbeit erst veröffentlichen, wenn sichergestellt ist, dass das auch von jemand anderem repliziert werden kann. Also, toller Fortschritt in der Wissenschaft, würde ich sagen, weil früher selbst gut publizierte Arbeiten dafür bekannt waren, dass sie nicht replizierbar waren. Das ist eben auch in der Lehre toll, weil wir sagen können, wir suchen Arbeiten aus, von denen wir wissen, die sind jetzt aktuell und da gibt es diese Replication Codes und Daten, und das ist dann ein erster Einstieg. Wenn es gut läuft, dann kann ich als Studierende oder Studierender hergehen und sagen: „Okay, das ist jetzt drei Jahre alt, da gibt es mittlerweile schon neuere Zahlen, und dann mache ich es mit den neuen Zahlen nochmal und schau, ob sich was verändert.“ Oder ich sage: „Das wurde in USA durchgeführt, jetzt mache ich es in Deutschland.“ In der Bachelorarbeit, muss man auch realistisch sein, da es in einem relativ kurzen Zeitraum laufen soll, kann man da nicht zu viel machen. Ich hatte ja auch eine schöne Präsentation in dieser Veranstaltung da hat eine Studentin über Integrated Assessment Modelle geredet. Da geht es darum, ökonomische Modelle und Klimamodelle zusammenzubringen. Das ist natürlich anspruchsvoll, wenn man aus zwei Disziplinen Sachen zusammenbringt. Sie hat die Modelle in einer Überblicksarbeit vorgestellt und Schwächen und Stärken dieses Ansatzes diskutiert und damit keine eigene Studie durchgeführt. Das kann aber auch eine interessante Bachelorarbeit sein. 

A. B.:  Mit diesem Prinzip der Replikation der Ergebnisse wird auch eine hohe Transparenz geschaffen, da es allen, die es lesen können zugänglich ist. Ich kann mir vorstellen, dass das auch viel in der Forschung verändert. Aber eben, wie Sie gesagt haben, auch für die Studierenden schon mal Einblicke gibt in Forschungen, die man vielleicht vorher nicht hatte. So ähnlich, wie sich das Studium im Laufe der Zeit entwickelt hat – dadurch, dass neue Themen ins Spiel kommen – stelle ich mir das auch auf dem Arbeitsmarkt vor. Wir haben Studierende gefragt, was sie denn so für Berufswünsche haben, und schauen uns gleich noch die Berufsfelder an.  

Berufsperspektiven (43:02) 

Studi 1: Ich bin gerade durch Praktika, die ich unter anderem auch zwischen dem Bachelor und Master absolviert habe, noch auf der Suche nach meinem absoluten Traumjob, würde aber prinzipiell gerne in die Richtung Controlling, Management oder Beratung gehen.  

Studi 2: Wenn ich mein Studium beendet habe, strebe ich an, in der Unternehmensberatung oder in der Wirtschaftsprüfung zu arbeiten.  

Studi 3: Mein berufliches Leben steht erst mal noch in den Sternen. Ich würde gerne mein Bachelorstudium beenden und dann einen Master machen, weil ich das Bedürfnis empfinde, mein Wissen noch weiter zu vertiefen und mich auf einen gewissen Themenbereich zu fokussieren.  

Studi 4: Idealerweise würde ich gerne nach meinem Abschluss in Wirtschaftswissenschaft noch ein Studium in Medienwissenschaft absolvieren, sodass ich dann hoffentlich Artist Manager werden kann.  

Studi 5: Also, bei einer großen Europäischen Institution zu arbeiten, fände ich auf jeden Fall sehr nice. Beispielsweise dann bei der Europäischen Investitionsbank oder natürlich im Idealfall sogar bei der EZB (Europäische Zentralbank), wenn es klappt.  

Studi 6: Da ich mich gerade noch in meinem Bachelor befinde und danach noch einen Master machen möchte, habe ich mich noch nicht zu 100 Prozent festgelegt, was ich später einmal beruflich machen möchte. Aber aktuell tendiere ich in die Richtung Personal oder Accounting.  

Studi 7: Ich weiß leider noch nicht so ganz genau, was ich so längerfristig nach dem Studium dann machen will. Aber ich weiß, dass man die Fähigkeiten, die man im Studium lernt, gerade das analytische Problemlösen auf jeden Fall in vielen Bereichen brauchen kann. Und da wird sich dann sicher was finden.  

C. J.: Ja, ich glaube, die inhaltliche Breite, die wir auch schon im Studium selbst und auch im Fach angesprochen hatten, schlägt sich auch in den beruflichen Perspektiven wieder, die sehr breit gefächert sind. Inwiefern spezialisieren sich denn die Studierenden schon im Lauf ihres Bachelorstudiums? Denn je nachdem welche Bereiche mich interessieren und welche Studieninhalte, Seminare oder Übungen ich auswähle, bereite ich mich auch schon mal spezifischer auf eine bestimmte Arbeit vor. Ob ich dann eher als Artist Manager arbeiten möchte oder in der Europäischen Zentralbank, das sind ja dann schon auch sehr unterschiedliche Aufgaben im täglichen Arbeitsleben, die da bevorstehen. 

G. M.: Ja, gut, aber ich würde sagen, da ist man schon noch relativ frei. Ich denke, der Großteil der Studierenden im Bachelor macht mit einem Master weiter.  

C. J.: Wie viele sind das ungefähr?  

G. M.: Ich denke, es sind so 60 oder 70 Prozent, – wahrscheinlich sogar noch etwas mehr – die mit dem Master weitermachen, sodass man sich während des Bachelors, im Hinblick auf die Berufswahl, nicht zu sehr spezialisieren muss. Ich meine wir haben super Quoten, was den Berufseinstieg angeht. Wir haben vor ein, zwei Jahren Umfragen durchgeführt, die gezeigt haben, dass schon nach kurzer Zeit 90 Prozent in Jobs sind.  Man kann also nicht sagen, ein Unternehmen nimmt mich jetzt nur, weil ich diese eine Veranstaltung gemacht habe. Ich glaube, den Unternehmen ist eben klar, dass wir hier eine gute Ausbildung anbieten. Die Studierenden haben hier eine breite Ausbildung genossen, sie haben sich bewährt, haben sich da durchgebissen und so weiter. Die können sich in einem Job dann relativ schnell die Spezialkenntnisse, die sie dann jeweils brauchen, aneignen. Artist Manager ist ein tolles Beispiel, aber dafür muss man sich nicht während des Studiums durch bestimmte Lehrveranstaltungen spezialisieren, da reicht es, wenn man das Interesse mitbringt. Ähnlich bei der EZB, da muss man sich dann eher durch gute Noten und auch durch Praktika auszeichnen. Aber das findet statt und die Studierenden machen ihre Praktika bei der Bundesbank oder bei der EZB und bereiten sich in dem Sinne vor, knüpfen Kontakte. Es sind also keine einzelnen Lehrveranstaltungen, die man wählen müsste für bestimmte Jobs. 

A. B.: Wir hatten ja schon die Schnittstellen zwischen BWL und VWL im Studium. Wie sieht es denn beruflich aus, also trennen sich da die Wege, oder gibt es da auch ganz viele Überlappungen? 

G. M.: Ich denke eher letzteres. Es gibt viele Überlappungen insofern, als dass viele Absolventinnen und Absolventen aus der VWL am Ende auch in Jobs unterkommen, die vielleicht traditionell eher BWL-Jobs sind. Ich kann mit dem VWL-Abschluss auch Manager Accounter oder Controller werden. Zumal ja unsere Studiengänge so sind, dass ich diese Grundlagenveranstaltungen in den Bereichen auch gehört habe. Dann gibt es natürlich daneben ein paar klassische VWL-Jobs. Wir haben ja zu Beginn besprochen, dass es in der VWL um diese ganz großen Fragen geht. Wenn man dann an denen weiterarbeiten will, gibt es, weniger Jobs. Aber das wären dann die traditionellen VWL-Jobs im Bereich internationaler Organisationen. Das machen ja auch Leute, aber da ist der Wettbewerb natürlich besonders groß, weil es da relativ wenige Jobs gibt und die meist auch noch sehr gut bezahlt sind. Diese Jobs – also bei der Europäischen Zentralbank oder beim Internationalen Währungsfonds z. B. – das wären die traditionellen Jobs, in denen ich diese Fragen weiter in der täglichen Arbeit beackere. Im Unternehmen betreffen die mich natürlich auch, aber ich behandele die Fragen dann nicht analytisch weiter. 

C. J.: Sind denn Praktika verpflichtend im Bachelorstudium? 

G. M.: Verpflichtend nicht, aber es wird viel gemacht und wir haben auch eine Unternehmenskontaktstelle. Da wird dann immer viel angeboten. Wir haben, glaube ich, pro Semester, zehn oder 15 Veranstaltungen, in denen Leute aus der Praxis zu uns kommen und ihre Unternehmen vorstellen, weil auch die Unternehmen interessiert sind, dass Studierende sich im Rahmen von Praktika dort einbringen oder auch als Absolventen. 

C. J.: Klingt so, als wenn man als Absolvent:in von einem solchen Studiengang sehr gefragt ist und keine Probleme hat, relativ schnell auch einen guten Job zu finden, auf den man Lust hat und der dann auch inhaltlich das bringt, was man sich davor vorgestellt hat. 

G. M.: Absolut ja, so ist es. 

C. J.: Ja, ich glaube, wir kommen so langsam auch schon ans Ende. Wir haben noch eine spannende Kategorie, das sind die sogenannten Insider-Tipps. Und zwar fragen wir unsere Gäste immer, ob sie Tipps haben, die sie unseren Hörern und Hörerinnen zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Fach nennen könnten, also irgendein Recherchetipp. Es kann aber auch ein Film sein oder ein Interview mit irgendeiner Person. Fällt Ihnen da irgendwas ein, womit man sich noch weiter beschäftigen könnte, wenn man sich jetzt für VWL interessiert? 

Insider-Tipps (50:04) 

G. M.: Ja, es gibt einen tollen Film zur Finanzkrise, der heißt „The Big Short“. Der wurde, glaube ich, 2015 veröffentlicht. Es ist ein toller Film mit Steve Carell. Da geht es darum, wie sich die Finanzkrise entwickelt hat. Das ist ein Thema, das hat mich sehr geprägt, weil ich da gerade anfing, als Professor meine ersten Lehrveranstaltungen zu machen und wie ich schon vorher sagte, da wurden wir ein bisschen auf dem kalten Fuß erwischt. In diesem Film wird auf faszinierende Weise dargestellt, wie das ablief. Ich zeige, auch immer einen Ausschnitt aus dem Film in meiner Vorlesung. Die Studierenden haben mir dann auch gesagt, es hat Spaß gemacht, das nachzulesen. Also insofern lohnt es sich, da reinzuschauen. Da sieht man, wie ein umtriebiger Bänker dieses Problem frühzeitig erkannt hat, dass die Immobilienpreise so übertrieben waren, weil die Banken bei der Kreditvergabe nicht geschaut haben, ob die Leute in der Lage sind, die Kredite wiederzugeben. Da gibt es eine tolle Szene, in der die nach Florida fahren und sich von den Käufern dieser Immobilien erklären lassen, warum die jetzt schon die dritte Eigentumswohnung gekauft haben und für wie viel Geld und so weiter. Gleichzeitig sind es tolle Schauspieler. Das ist ein spannender Film, aber wirklich sehr ambitioniert, was jetzt die Komplexität des Themas angeht. Also klasse! 

A. B.: Ja, den nehmen wir auf jeden Fall dann auf in die Liste der Shownotes. Dann sag ich schon mal vielen Dank, dass Sie da waren, Herr Müller und danke für das spannende und informative Gespräch zu diesem Feld und die Einblicke. 

G. M.: Ja, gerne, danke auch. 

A. B.: An die Hörerinnen und Hörer, wir wollen immer gerne Feedback haben. Schreibt uns, was Euch besonders interessiert an hochschulreif@uni-tuebingen.de. Dann sage ich bis zum nächsten Mal. Tschüss, Christoph! 

C. J.: Tschüss, Alex. Auf Wiedersehen, Herr Müller.  

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Gernot Müller über die folgenden Themen: 
01:29 Persönliche Motivation 
10:27 Studieninhalte
25:57 Persönliche Voraussetzungen
43:02 Berufsperspektiven 
50:04 Insider-Tipps

Insider-Tipps zu Economics / VWL:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #14: Philosophie

Womit setzt man sich im Philosophie-Studium auseinander? Wie viel Freiheit bietet das Studium und was ist vorgegeben? Und wie geht es mit einem Abschluss in Philosophie beruflich weiter? Für das Studienfach Philosophie haben wir Professor Dr. Klaus Corcilius eingeladen. Mit ihm sprechen wir über die Motivation bei der Studienwahl, über Studieninhalte und berufliche Perspektiven. Studierene geben ebenfalls Einblicke, wie ihr Studium konkret abläuft und was ihnen im und nach dem Studium wichtig ist.

Tags #Philosophie #Ethik #Argumentation
Listen
Alexandra Becker (A. B.): Herzlich willkommen zu „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch heute wieder ein Studienfach vor, damit Ihr wisst, was Euch im Studium erwartet. Diesmal sprechen wir über das Fach Philosophie. Wir, das sind mein Kollege Christoph Jäckle. Hallo, Christoph! Und ich bin Alexandra Beck vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen. Für das Fach Philosophie haben wir Prof. Dr. Klaus Corcilius im Studio. Ein herzliches Willkommen auch an Sie! 

Prof. Dr. Klaus Corcilius (K. C.): Ja, herzlichen Dank! Ich freue mich, hier zu sein. 

A. B.: Herr Corcilius, Sie sind Professor für Philosophie an der Uni Tübingen. Sie lehren und forschen dort zur Antiken Philosophie. Wir lassen in jeder Folge aber immer erst die Studierenden des Faches zu Wort kommen und haben diese vorab gefragt, warum deren Studienwahl auf das Fach Philosophie gefallen ist.  

Persönliche Motivation (00:58) 

Studi 1: Also, mein Grund für das Philosophiestudium war relativ klassisch. Nein, ich hatte keinen Ethikunterricht im Gymnasium. Ich wusste einfach nicht, was ich sonst machen sollte zu dem Zeitpunkt. Philosophie hatte ich da als Studienfach wahrgenommen, indem es um spannende, grundsätzliche Themen wie Gott und die Welt oder, ob wir einen freien Willen haben, geht. 

Studi 2: Ich wusste nicht, was ich studieren will, bin dann zufällig auf Rhetorik gestoßen, braucht aber noch ein Nebenfach. Dann habe ich mir vorgestellt, was wird wohl interessanter sein, ein Wirtschafts- oder ein Philosophie-Buch? Und ich dachte: Natürlich wird auf jeden Fall das Philosophie-Buch interessanter sein und das hat sich bewahrheitet.  

Studi 3: Ich habe mich für das Fach Philosophie entschieden, weil mich das schon immer interessiert hat, aber ich konnte mir noch nicht so ganz vorstellen, was man da im Philosophiestudium so lernt, und deshalb wollte ich es mal ausprobieren.   

Studi 4: Ich habe mich für dieses Fach entschieden, weil ich die Fragestellungen sehr mag. Ich finde, dass die Philosophie genau da anpackt, wo andere Wissenschaften aufgeben, und dass sie uns dann damit hilft, die Welt in ihrem Gesamten, wie sie funktioniert und was sie zusammenhält, zu verstehen.  

Studi 5: Also ich habe mich für Philosophie entschieden, weil Philosophie zulassungsfrei war und ich die Option haben wollte, später noch auf Musik zu wechseln. Das habe ich nicht gemacht, weil Philosophie mir richtig gut gefallen hat, und so bin ich heute Teil dieses Podcast.  

Christoph Jäckle (C. J.): Wir mussten gerade schmunzeln, vor allem bei der sehr pragmatischen Antwort auf die Frage: Warum Philosophie studieren? Mit: Weil es zulassungsfrei war. Die anderen Antworten reichen von sehr vagen, so ist mein Eindruck, bis zu relativ konkreten Vorstellungen von Philosophie als Studienfach. Wie ist Ihr Eindruck, Herr Corcilius? Bewahrheiten sich die Erwartungshaltungen der Studienanfängerinnen und -anfänger in der Regel? Oder, wenn die mit gar keiner Erwartungshaltung konkret kommen, sind die dann überrascht, was sie dort erwartet? Wie ist da Ihr Eindruck, Ihre Erfahrung? 

K. C.: Teilweise führt das schon zu Überraschungen, wenn man dann sieht, was wir machen. Aber es ist grundsätzlich okay, Philosophie zu studieren, wenn man noch gar nicht weiß, warum genau oder, wenn man noch gar nicht weiß, was man eigentlich will. Ich glaube, dass dieser Zustand, nicht zu wissen, was man eigentlich will, gar nicht so schlecht ist für ein Philosophiestudium. Aber manche kommen auch und sind schon kleine Philosophen. Das gibt es alles. Ich würde da jetzt gerne eine grundsätzliche Sache dazu sagen, wenn ich darf. Philosophie ist ein motivationaler Zustand. Philosophie heißt, die Liebe zur Weisheit, das ist die Übersetzung und das bedeutet, man liebt das Wissen, aber man hat es nicht. Das ist schon im Namen angelegt und das kann man auf verschiedenen Niveaus machen. Man kann unheimlich vorgebildet reingehen ins Studium, entweder als Wissenschaftler oder als jemand, der schon alle klassischen Autoren gelesen hat – das geht gar nicht, aber angenommen, das wäre möglich. Entscheidend ist, dass, wenn Sie das mal machen, dass Sie es richtig machen. Wichtig ist nicht, dass Sie de facto kein Überflieger sind. Sie müssen nicht superintelligent sein, was immer das auch heißt, aber Sie müssen es unbedingt wollen. Das hilft meines Erachtens sehr und das ist das Entscheidende. Alles andere ist überwindbar. Es wissen zu wollen, den Dingen auf den Grund gehen zu wollen ist entscheidend. Wie der eine Studierende sagte – meines Erachtens völlig richtig – und mit Platon: Die Philosophie fängt da an, wo die anderen Disziplinen ihre letzten unhinterfragten Dinge haben, die sie voraussetzen. Da fängt die Philosophie an. Wenn einen das interessiert, wenn einen das fasziniert, dann ist man in der Philosophie richtig, und das ist ganz egal, auf welchem Niveau. Sie werden es schon lernen. Das gilt übrigens auch für historische Figuren. Es gab ganz unterschiedliche Philosophen, viele aus Milieus, die, sage ich mal, modern gesprochen nicht bildungsbürgerlich waren. Denken Sie an Sokrates oder an Epiktet, das waren Sklaven. Die Einstiegsbedingungen in die Philosophie sind unklar, formal gesehen. Sie müssen es aber wollen, es muss Ihnen wichtig sein, sonst können Sie noch so schlau sein, Sie werden kein Philosoph. Was auch immer das heißt, ein Philosoph zu sein, das ist eine schwierige Frage. Aber was die Eingangsbedingungen betrifft, finde ich es ganz passend, dass das so heterogen ist. Da waren einige dabei, denen hörte man die Erfahrung an und andere, die sagten: Mein Gott, ich hatte keine Ahnung, aber das ist zulassungsfrei in Tübingen, dann schaue ich da mal rein, ich muss mich nicht entscheiden. Solche Leute sind unter Umständen ganz richtig. 

A. B.: Also die Einstellung macht es und diese innere Motivation, die man dann mitbringen sollte? 

K. C.: Also das denke ich, da haben andere Leute andere Auffassungen, aber das ist meine Ansicht und auch meine Erfahrung.  

C. J.: Wie sind Sie selbst zur Philosophie gekommen?  

K. C.: Bei mir ist es vielleicht etwas unüblich gewesen. Ich komme aus einem landwirtschaftlichen Milieu und für mich war es so, dass ich unter vielen Dingen litt, die ich nicht formulieren konnte. Als ich dann die Erfahrung machte, man kann sie formulieren, hatte ich den Eindruck, ich kann mich von diesem Alpdruck befreien, etwas überdramatisiert ausgedrückt. Wenn Sie die Dinge auf den Begriff bringen, dann stellen Sie diese neben sich und dadurch befreien Sie sich davon. Philosophie hat etwas mit Freiheit zu tun, meiner Ansicht nach. So war es bei mir. Ich habe dann angefangen Soziologie zu studieren und war da unbefriedigt. Also, no offense für die Soziologen, aber ich bin da häufig gescheitert in Seminardiskussionen mit: „Nun lassen Sie doch diese Allgemeinheiten“. Dann habe ich mich ins Philosophische Seminar gesetzt und bin da auf meine Kosten gekommen. 

C. J.: Weil Sie in der Soziologie auch an Grenzen gekommen sind, bei denen Sie gemerkt haben, Sie möchten den Dingen auf einer anderen Ebene auf den Grund gehen, die mit diesen wissenschaftlichen Methoden nicht ergründbar sind? 

K. C.: Ja, wie der Studierende sagte, die Philosophie fängt dort an, wo andere Disziplinen eben aufhören, oder umgekehrt gesagt, dort, wo die anfangen. Wenn Sie zum Beispiel – das ist immer so ein Beispiel, dass Sie in der Antiken Philosophie finden – wenn Sie Arithmetiker sind, dann nützt es Ihnen nicht viel bei Ihren arithmetischen Operationen zu fragen: Was heißt es denn, eine Zahl zu sein? Gibt es Zahlen eigentlich, und wenn, wo sind sie? Solche philosophischen Fragen stören und sind einfach nur obstinat in einem arithmetischen Zusammenhang. Aber der Philosoph der Mathematik, der stellt sich solche Fragen. Das ist in einem harmlosen Sinne gemeint. Ich meine nicht, dass die Soziologen blöd sind, ganz im Gegenteil sie müssen ihre Ausgangspunkte haben, sonst wäre es keine Wissenschaft, und die können sie diskutieren und das machen die Soziologen. Soziologie ist ein schlechtes Beispiel für eine Wissenschaft, weil die ein hohes selbstreflexives Potenzial hat. Ich will diese Selbstreflexivität haben, ich möchte darüber sprechen, über die ganz grundsätzlichen Dinge. Das wollte ich tun und da kommt man in Fachdisziplinen, die sich nicht mit allem befassen, nicht so ganz auf seine Kosten. Das ist dann schon eine Arbeitsbeschreibung, was die Philosophie macht. Die Philosophie hat kein abgegrenztes, bestimmtes Sachgebiet als ihren eigentlichen Gegenstand und das macht sie interessant, aber auch problematisch. Die Philosophie ist sich selbst problematisch. Man muss das mögen und wollen. Wenn ich keinen abgegrenzten Gegenstand habe, dann bin ich sehr allgemein, dann kann ich über alles reden. Das geht gar nicht so richtig oder ist sehr schwierig, aber die Philosophen versuchen das. Wenn wir sagen alles, dann meinen wir nicht nur alle Dinge – hier bin ich und da ist die Welt – sondern dieses alles, das wir erforschen wollen, das umfasst auch uns selbst. Damit sind Sie dann in einer schwierigen und sehr selbstreflexiven Operation, wenn Sie mal so anfangen zu denken. Nicht alle Philosophen machen das. Nicht alle Philosophen gehen aufs Ganze, in dieser Art, wie ich es gerade skizziere. Philosophen streiten sich über alle möglichen Dinge und haben ganz unterschiedliche Ansätze. Aber ich bin der Ansicht – und ich bin heute hier – dass die Philosophie sich mit allem befasst. 

C. J.: Mit welchen Bereichen oder Themen – falls man das überhaupt so einschränken kann – beschäftigt sich denn die Tübinger Philosophie vorwiegend oder ganz speziell? Kann man das benennen? 

K. C.: Ja, wir haben fünf Lehrstühle und eine Juniorprofessur für Fachdidaktik. Meine Kollegen machen einerseits Praktische Philosophie. Das ist Prof. Dr. Sabine Döring. Sie ist Spezialistin und bekannt für Metaethik und Philosophie der Emotionen. Da publiziert sie international und ist eine anerkannte Autorität. 

C. J.: Was könnte da beispielsweise ein Seminarthema sein? 

K. C.: Zum Beispiel habe ich mit ihr zusammen ein Seminar gegeben, vor einem Jahr oder wann das war, da ging es um Emotionen: Antik und Modern. Ich mache hauptsächlich Antike Philosophie. Wir haben über Ansätze in der Philosophie der Emotionen gesprochen und haben antike mit modernen Ansätzen zusammengebracht, oder beides diskutiert. Das habe ich als sehr lohnend empfunden, muss ich sagen. Es ist auch so, dass die Art und Weise, wie ich Antike Philosophie mache, informiert ist darüber, was heutige Philosophie macht, sonst wäre das nur Geschichtenerzählen. Aber man muss versuchen, denke ich, auch die Antiken als Philosophen ernst zu nehmen. Das ist nicht immer ganz einfach. In dem Seminar ging es um die Emotion: Was heißt eigentlich Emotion? 

C. J.: Konkret sieht dann eine Seminar Doppelstunde so aus: Ich bereite davor den Text vor, der sich entweder inhaltlich mit Emotionen beschäftigt oder der Emotionen zeigt und das einmal in einem antiken Setting und einmal in einem moderneren, und darüber diskutiere ich dann in dem Seminar beispielsweise? 
 
K. C.: Das kann immer unterschiedlich sein. In dem Fall war es aber so: Wir haben mit einem systematischen, klassischen Text des zwanzigsten Jahrhunderts angefangen, der sehr klar und brillant geschrieben ist, von Peter Frederick Strawson. Da geht es darum, was es heißt, eine Emotion zu sein. Was hat das mit anderen zu tun? Auf was reagieren wir eigentlich, wenn wir emotional berührt sind? Das ist interessant, was das alles sagt. Wenn ich sauer auf Sie bin, warum bin ich sauer auf Sie? Vielleicht weil Sie mich beleidigt haben. Aber warum können Sie mich eigentlich beleidigen? Weil ich Sie ernst nehme. Weil mir Ihr Urteil etwas wert ist. Ich möchte von Ihnen geschätzt werden. Wenn Sie mir egal wären, dann wäre ich nicht zornig. All diese Dinge des Bewertens schließen auf die Verhältnisse, in denen wir zu anderen stehen. Das ist nur ein Aspekt der Emotion, den Strawson gut herausbringt. Dann sind wir nach einem Überblick über die Situation in die begriffliche Landschaft der Antike gegangen und haben uns da hauptsächlich Aristoteles angeschaut, der explizit Traktate hat, in denen er sich mit Emotionen auseinandersetzt. Dann sind wir zurück in die kontemporäre Diskussion gegangen und hatten noch einen Gast da, der dazu gerade ein Buch publiziert hatte. Das ist eine sehr lohnende Erfahrung, meines Erachtens, wenn man sich dafür interessiert. 

A. B.: Wir waren dabei, jetzt mal so grob den Schwerpunkt des Philosophischen Seminars in Tübingen zu umreißen. Vielleich können wir da noch mal andocken, dass wir das zusammenkriegen. 

K. C.: Genau, es gibt die Praktische Philosophie – da bin ich gerade stehen geblieben. Dann gibt es die Theoretische Philosophie, die macht Prof. Dr. Thomas Sattig, Fachmann für alle Fragen der Metaphysik. Er hat Bücher über die Zeit verfasst und befasst sich auch jetzt wieder mit der Zeit. Aber auch damit, was es heißt, ein Gegenstand zu sein, mit unseren alltäglichen Erfahrungen dieser wohlbekannten dreidimensionalen, mittelgroßen Gegenstände, mit denen wir es zu tun haben. Was heißt das eigentlich, so ein Ding zu sein? Dann haben wir die Philosophie des Geistes, die macht Prof. Dr. Hong Yo Wong. Er ist der Fachmann für – wie sie sich selber nennen – empirisch informierte Philosophie des Geistes. Das bedeutet, er kennt sich auch aus in den Wissenschaften, die dort zur Kenntnis genommen werden müssen.  

C. J.: Was heißt das konkret?  

K. C.: Das bedeutet Cognitive Science, das bedeutet Biologie, und so weiter.  

C. J.: Also dann Philosophie an der Schnittstelle zu Naturwissenschaften? 

K. C.: Genau! Auch Thomas Sattig, der theoretische Philosoph, hat mit Physik zu tun. Wenn Gegenstände wie die Zeit bearbeitet werden, dann setzt das voraus, dass man da auch informiert ist. Jetzt fehlen aber noch zwei Lehrstühle. Dann haben wir den Kollegen Prof. Dr. Ulrich Schlösser, der meines Erachtens der beste lebende Experte überhaupt für Klassische Deutsche Philosophie ist. Das heißt, er weiß alles über Deutsche Philosophie, in die Verästelungen und Korrespondenzen der Philosophen hinein. Es geht über Kant, Hegel bis in die spätere Philosophie. Dann bin ich noch da. Ich mache hauptsächlich Antike Philosophie. 

A. B.: Jetzt haben Sie im Prinzip auch schon formuliert, wie das Philosophische Seminar sich selbst öffentlich präsentiert. Unter anderem steht geschrieben, dass es eines der traditionsreichsten und lebendigsten Institute in Deutschland ist. Ich glaube, das ist jetzt gut klar geworden, warum das so ist und dass das auch heute noch so ist. 

K. C.: Genau, wir sind klein, aber oho, um das mal etwas zuzuspitzen. Ich würde zu dieser Formulierung stehen. Man kann sehr gut Philosophie in Tübingen studieren, eben weil es Tübingen ist. Das heißt, es ist nicht Berlin oder München. Zwei größere Standorte, wo Sie eine weniger intensive Beziehung zu den Studierenden haben, würde ich sagen. Ich weiß nicht genau, wie die Studierenden dazu sehen. 

A. B.: Ja, wir haben die Studierenden gefragt, wie denn ihre typische Studienwoche so aussieht, und haben da auch verschiedene Perspektiven gehört.  

Studieninhalte (17:16) 

Studi 1: Eine typische Woche gibt es im Normalfall nicht. Das vollzieht sich eher nach Phasen. Was ich aber allgemein schön finde, ist, dass es einem freigestellt ist, sich mit Menschen zu unterhalten, Bücher zu lesen, sich vielzeitig zu interessieren, einfach mal überall hier und dort reinzusetzen und mit zuzuhören, mit zu lernen, mit in Resonanz zu gehen und das dann wiederum in Bezug zu setzen auf den Studiengang.  

Studi 2: Das Philosophiestudium besteht eigentlich aus denken, lesen, diskutieren und schreiben, nicht unbedingt immer in dieser Reihenfolge. Aber es ist eigentlich so in den Vorlesungen, dass man da sitzt und man einfach alles auf sich einprasseln und wirken lässt und danach dann verzweifelt versucht, das auch alles zu verstehen. Man tauscht sich mit seinen Kommilitonen aus, in den Seminaren diskutiert man dann und zu Hause versucht man, die Texte zu entschlüsseln.  

Studi 3: Vor allem Seminare und Hausarbeiten. Zur Vorbereitung muss man dementsprechend sehr, sehr viele Texte, sehr, sehr viele Seiten jede Woche lesen.  

Studi 4: Ja, das ist eine gute Frage, was man da so macht in dem Studium. Also, ich bin jetzt im ersten Semester und bis jetzt habe ich mich mit so Fragen beschäftigt, in den Vorlesungen, wie: Gibt es einen Gott? Oder bin ich in 40 Jahren die gleiche Person? Mein Studienalltag sieht ungefähr so aus, dass ich in Vorlesungen zuhöre und anwesend bin und versuche, den Stoff ein bisschen zu verarbeiten, und in den Tutorien wird er dann nochmal vertieft oder auch vertextet.  

Studi 5: Philosophie zu studieren sieht in der Praxis so aus, dass man vor allem Seminare besucht. Es geht um ein spezifisches Thema oder um einen spezifischen Philosophen. Jede Woche wird von einem Text ein bisschen gelesen oder ein spezifischer, kurzer Text und dann im Seminar diskutiert, das geht dann das ganze Semester so weiter. Dann am Ende gibt es einen Essay, entweder groß oder klein, und wenn man noch will, eine Hausarbeit.  

A. B.: Da waren jetzt Antworten dabei, die sehr konkret schon waren, aber auch Perspektiven, die die Freiheit im Studium erläutern. Ich würde, glaube ich, da mal andocken und fragen, was man denn im Studium eigentlich lernt? 

K. C.: Jetzt haben Sie mich. 

C. J.: Die kleinste aller Fragen. 
 
K. C.: Also, die Philosophie ist ein enormes Gebiet und Sie können nicht die Philosophie ganz erlernen. Das ist nicht möglich. Was im Studium passiert, ist, dass wir versuchen, Sie zu orientieren. Das bedeutet, dass wir mit generellen Überblicken anfangen. Sie müssen dann außerdem Logik machen, formale Logik, und dann müssen Sie auch Argumente in nicht formaler Logik analysieren. Das sind Trainingseinheiten, sag ich mal, ein bisschen intellektuelle Gymnastik. 

C. J.: Was macht man denn in formaler Logik? Ich glaube, das kennen die meisten Schülerinnen und Schüler nicht. 

K. C.: Sie lernen dort formale Bedingungen guten Argumentierens. Das bedeutet, dass Sie abstrahieren von Inhalten, und das müssen Sie lernen. Das fällt manchen Studierenden schwer, weil es so wahnsinnig abstrakt ist. Sie gehen also weg vom inhaltlichen Sprechen hin zu Stellvertretern, Symbolen, die Sie dann nutzen zum Beispiel für Aussagen oder für Therme. Dann operieren Sie damit und versuchen anhand von formalen Kriterien – wie verhalten sich die Aussagen zueinander, ohne dass sie wissen, was sie sagen – zu eruieren, herauszufinden, ob das schlüssig ist oder nicht. Das ist sehr abstrakt und manchen Studierenden, die nicht schon formal trainiert sind, zum Beispiel durch mathematische Wissenschaften, denen fällt es manchmal schwer. Das ist aber kein Grund aufzugeben. Das ist ganz normal. Man muss sich dran gewöhnen. Das ist so wie ein Muskel, den man aufbaut. Aber das sind, wie gesagt, nur die Eingangsdinge. Der Wert der Logik, der erschließt sich den Studierenden eigentlich erst später, wenn sie es gebrauchen. 

C. J.: Wenn man damit argumentieren muss. 

K. C.: An die Philosophie – und da fängt es dann auch vielleicht an, bei manchen Leuten zur Frustration zu führen – gibt es die Erwartung, dass man darüber redet, was man meint, was wichtig ist und wie man sich fühlt und das ist eigentlich nicht richtig. In der Philosophie hat man es mit Argumenten zu tun und muss transparent argumentieren. Es gibt keinen Philosophen, der nicht argumentiert. Selbst schweigende Philosophen – die hat's gegeben – machen damit ein Argument. Das ist eine Sache, an die man sich gewöhnen muss. Das haben die Studierenden auch gesagt. Wir lesen Texte im Philosophiestudium, wir versuchen, die zu verstehen. Häufig bringen die uns an unsere Grenzen, weil es um schwierige Dinge geht. Philosophie ist immer schwierig. Wir lesen Texte, versuchen, die Argumente zu verstehen, und dann versuchen wir, diese Argumente zu hinterfragen. Also wir versuchen, die uns anzueignen, und das bringt jeden, auch den Dozierenden, normalerweise an seine Grenzen. Das ist Teil des Studiums. Eine Sache, die Sie lernen, wenn Sie Philosophie studieren – wenn Sie es im Ernst studieren – ist eine Aversion gegen Bullshit. Wenn jemand plappert, wenn jemand Unsinn redet, wenn jemand an der Sache vorbeiredet; das geht Ihnen in Fleisch und Blut über, sich da ablehnend zu verhalten. Sie lernen also auch ein gewisses Ethos, die Dinge ernst zu nehmen oder das, was Frege das philosophische Kleingeld nennt. Details sind wahnsinnig wichtig. Das heißt nicht, dass Philosophen kleinlich sind – Kleinlichkeit ist das Laster des immer kleiner Seins – sondern Details ernst und wichtig zu nehmen. Die fallen Ihnen nicht sofort auf. Es ist die Intensität der Auseinandersetzung, die eine ernste Auseinandersetzung ist. Wenn Sie das mal gemacht haben für sechs Semester, dann entwickeln Sie sofort ein Gespür dafür, wenn jemand nur redet. Das wollen Sie dann nicht mehr, das ist Ihnen dann nicht gut genug. Sie werden anspruchsvoll, was Argumente betrifft. 
 
C. J.: Das ist glaub ich eine wichtige Fertigkeit. 

K. C.: Ja, überall. No Bullshit – das können wir auch gerade heute sehr gut gebrauchen. 

A. B.: Das ist richtig, das ist eine gute Kompetenz. Um das noch einzuschieben, zur Logik: Im Prinzip könnte man sagen, ist das die Grundlage für alle wissenschaftlichen Disziplinen des wissenschaftlichen Argumentierens und Arbeitens. Das ist auch das, mit dem alle Fächer arbeiten, und wenn sie ihre Studierenden gut ausbilden, dann geben sie in irgendeiner Form auch eine Logikeinheit mit. 

K. C.: Ja, da haben Sie ganz Recht. Aber es ist so: Man sagt die Logik, die formale Logik sei eine Entdeckung des Aristoteles gewesen. Vorher gab es aber auch schon Philosophie. Wissen Sie, Sie müssen kein Logiker sein, um ein gutes Argument anzuführen. Hegel sagt: Ich muss nicht die Bewegung des Atmens studieren, um erfolgreich atmen zu können. Ich weiß nicht, ob das ein gutes Beispiel ist. Der Punkt ist, wir argumentieren und wir haben historisch argumentiert, bevor wir eine formale Logik hatten. Warum machen wir  eine formale Logik? Weil wir so fürchterlich selbstreflexiv sind. Wir wollen es auf den Punkt bringen, auf den Begriff bringen und uns klarmachen, was hier die Bedingungen sind. Das ist ein ganz spannendes Gebiet, übrigens auch der Philosophie, die philosophische Logik, in der Sie dann fragen: Stimmen eigentlich die Axiome, stimmen eigentlich die Dinge, die man so lernt im Logik-Einführungskurs? Da wird viel kritisch hinterfragt. Es ist eine Struktur des Studiums, dass Sie anfangen, dieses ganze Orientierungswissen zu bekommen. Wenn Sie das dann aber vertiefen in der zweiten Studienphase und alles läuft gut, dann machen Sie das wieder kaputt. 
 
A. B.: Ich dachte gerade als Sie mit dem Atmen kamen: Sicher, wir atmen alle, wir können aber auch lernen, noch besser zu atmen. 

K. C.: Da haben Sie Recht. Also grob gesagt ist das der Aufbau des Studiums. Für alle fünf Bereiche, die wir haben, machen Sie ein Einführungsmodul. Da geht es darum, dass Sie mal einen Überblick bekommen. Dann beginnt die zweite Studienphase, in der Sie anfangen sich in Vertiefungsmodulen zu spezialisieren. Aber uns ist wichtig, dass Sie einen Rundumblick bekommen, einen Einblick bekommen, was das ist, was Tübingen zu bieten hat. Es gibt eine Philosophie von allem. Aber wir versuchen, das so zu machen, dass Sie sich klassisch orientieren. Das bedeutet nicht, dass Sie dann nur das machen können, sondern es bedeutet nur, dass Sie eine solide Grundlage haben, um sich dann zu spezialisieren. Das heißt, Sie haben eine breite Orientierung, eine formale Ausbildung. Sie können kontextualisieren, was Sie tun. Sie sind kein Fachidiot. Das ist unsere Idee dahinter. 

C. J.: Zusätzlich zu dem Hauptfach Philosophie benötigt man noch ein Nebenfach; es ist ein Kombination-Bachelorstudiengang. Gibt es da bestimmte Nebenfächer, die häufig gewählt werden oder die vielleicht sogar empfohlen werden? 

K. C.: Also, ich wüsste kein Fach, das ungeeignet wäre, um es mit der Philosophie zu verbinden. Bei mir selbst war es so, dass ich Klassische Philologie studiert habe. Das lag aber daran, dass ich dachte, ich muss das machen, weil ich unbedingt die alten Lektüren lesen wollte, weil ich zu viel Schopenhauer gelesen hatte. Der sagt das auf jeder Seite: Man muss die Alten unbedingt lesen, sonst wird man ewig ein Wicht bleiben. Ich denke überhaupt nicht mehr so, aber das war einer der Gründe. Hinzu kam auch, dass ich schon früh davon fasziniert war, dass eigentlich gar nicht klar ist, was die Antiken sagen, sondern es bedarf der philosophischen Auslegung und die ist etwas sehr Spannendes. Das ist nichts Altes, Abgetanes, sondern das spricht uns direkt an und deswegen habe ich das gemacht. Aber ich wüsste keine Fächerkombination, die per se ungeeignet wäre, um sie mit der Philosophie zu kombinieren. 
 
A. B.: Mich springt jetzt tatsächlich gerade, wo Sie schon in der Antiken Philosophie sind, die Frage an: Man hat ja dann auch noch mit Übersetzungen zu kämpfen, wenn wir dann schon bei der Interpretation sind? Wie geht man denn an die Texte ran? Ist es denn gefordert, dass man alles im Original liest? Oder wie macht man es im Studium, und was braucht man dafür? 

K. C.: Ja, das ist eine gute Frage. Wir lesen viel fremdsprachige Literatur, hauptsächlich auf Englisch. Man sollte Englisch können, wenn man in Tübingen Philosophie studiert. Man muss es nicht unbedingt, man kann auch ohne Englisch durchs Studium kommen, aber das sollte man eigentlich können. Andere Sprachen werden auch gelesen, aber die haben nicht so eine Bedeutung. Was mich betrifft, da ist es so, dass Sie natürlich kein Griechisch oder Latein können müssen, um bei mir eine Hausarbeit zu schreiben oder um mir folgen zu können, wenn ich eine Vorlesung gebe. Aber meine Masterstudenten und vor allen Dingen meine Doktoranden versuche ich, falls sie es nicht schon können, zu ermutigen, sich mit Griechisch bekannt zu machen. Wir haben hier eine ausgezeichnete Gräzistik, in der Sie Griechisch auch wirklich lernen. Das ist mit den geltenden, auf Bologna zurückzuführenden Bachelor-Regulierungen ein sogenanntes akademisches Risiko, weil Sie da eine Regelstudienzeit von sechs Semestern haben. Wenn Sie aber kein Griechisch können und sich für die Antike Philosophie begeistern, zum Beispiel für Epikur oder so, dann sollten Sie Griechisch lernen. Dann würde ich Ihnen immer raten, machen Sie es, egal, ob das Ihren Lebenslauf kaputt macht, denn da stimmt etwas mit der Studienordnung nicht, wenn das nicht möglich ist. Von meinen Doktoranden erwarte ich, dass sie Griechisch ordentlich lernen, sonst können sie nicht zur Forschung beitragen. 

A. B: Wie Sie es jetzt ausgedrückt haben, verstehe ich das so, dass es keine Pflicht ist, Griechisch oder Latein machen zu müssen. 

K. C.: Doch, aber es ist abgeschwächt worden. Das Latinum oder das Graecum sind Eingangsvoraussetzung, aber nicht mehr im Sinne der Schulbehörde. Sondern Sie können, falls Sie kein Latinum oder Graecum haben, aber Philosophie studieren wollen, Leistungen erbringen im Sinne des Latinums. Das ist ein zweisemestriger Kurs. Das sind nicht mehr Ciceros Reden oder so etwas, die Sie als Literatur bearbeiten müssen. Das wurde von manchen Studierenden als eine bloße Folter wahrgenommen, was natürlich gemein ist, aber wenn Sie das nicht freiwillig machen, dann kann ich das verstehen, dass es als Folter wahrgenommen wird. In dem Kurs lesen Sie philosophische Texte. Sie lernen dann die sprachlichen Voraussetzungen anhand von philosophischen Texten. Das empfinden die Studierenden als besser und angenehmer, weil sie es nicht als eine bloße Hürde empfinden, die sie jetzt nehmen müssen. 

A. B.: Sondern es ist näher am Studium und hat vielleicht im besten Fall auch noch einen Zweck erfüllt für das Studium. 

K. C.: Das das Studium des Lateinischen ist für Philosophie eigentlich super. Und zwar deswegen, weil gerade dann, wenn Sie es lernen – wenn Sie es schon können, vielleicht nicht mehr so – dann trainiert es Sie, in einer komplexen Situation, die Sie nicht überblicken, nach Ordnung zu suchen. Und das ist das, was Philosophen eigentlich sowieso die ganze Zeit machen. 

A. B.: Ja, das klingt schon so, als könnte man selbst dem Latein Kurs Begeisterung abgewinnen. Wir haben unsere Tübinger Studierenden gefragt, was sie denn so am Studium begeistert. 

Persönliche Voraussetzungen (33:08)   

Studi 1: Was mich an Philosophie begeistert in meinem Studium ist, dass man eigentlich jede Woche ein neues Rätsel hat, dem man sich widmen kann. Man hat es mit verwirrenden und schwierigen und komplexen Sachlagen zu tun, aber wenn man sich da wirklich durch fuchst, dann kommt man zu diesen kleinen Heureka-Momenten, und das macht es dann alles wieder wert.  

Studi 2: Ich liebe es zu denken, das Philosophiestudium hat mein Denken geschult und mir gleichzeitig auch irgendwie geholfen, mit mir selbst zufrieden zu sein oder ein besserer Mensch zu werden, dadurch, dass ich gelernt habe, zu schwierigen ethischen Fragen wie Tierethik, Abtreibung, Sterbehilfe eine Überzeugung zu finden und mir eine Meinung zu bilden.  

Studi 3: Mich begeistert am Philosophiestudium, dass ich mich mit Fragen vertieft beschäftigen darf, über die ich schon vor dem Studium sehr viel nachgedacht habe.  

Studi 4: Mich begeistert vor allem hier an der Uni Tübingen am Studium, dass man sehr frei ist. Man kann sich mehr oder weniger selbst aussuchen, welche Kurse man im Semester besuchen will und wie der Stundenplan aussehen soll.  

Studi 5: Dass man immer wieder zu ganz anderem Denken angeregt wird, auch Grundsätzliches zu bedenken. Denn ich bin der Auffassung, dass alle Menschen nach philosophischen Antworten leben, doch meistens, ohne die dazugehörigen Fragen gestellt zu haben. Und man kontrastiert gerne das Philosophische mit dem Handfesten. Aber die philosophischen Fragen, also auch das, was überhaupt vertretbar ist, das, was es wert ist, dass ich meine Hand daranlege, das sind alles grundsätzliche Fragen. Insofern gehen sie alle dem sogenannten Handfesten voraus.  

C. J.: Wir haben jetzt schon ein paar ganz große und wichtige Themen gerade in den Statements gehört, mit denen sich die Studierenden unter anderem beschäftigt haben, Themen wie Abtreibung, ethische Fragen, Tierethik, Sterbehilfe. Welche Themen – so ganz schlagwortartig – werden dann in Seminaren beispielsweise behandelt und diskutiert, zu den bereits genannten? 

K. C.: Ich fand zunächst einmal die Aussagen der Studierenden sehr treffend. Mir geht es genauso wie jedem einzelnen der Genannten. Was die Themen betrifft: Man unterscheidet ganz grob in praktische und theoretische Philosophie. Die praktische Philosophie hat mit uns zu tun in Hinblick auf die Fragen: Was sollen wir tun, wie sollen wir handeln? Das macht sie praktisch. Die theoretische Philosophie hat mit der Frage zu tun: Was ist eigentlich der Fall? Die sind nicht voneinander zu trennen. Viele Philosophen, Platon zum Beispiel, haben meiner Ansicht nach mit Absicht gar nicht unterschieden zwischen theoretischer und praktischer Philosophie. Das ist eine Unterscheidung, die sie erst bei Aristoteles finden. Wir stellen solche spezifischen Fragen, wie: Was für einen moralischen Status haben Tiere? Das ist eine beliebte Frage bei Studierenden. Aber wir stellen auch viel grundsätzlichere Fragen, wie: Was heißt es eigentlich zu handeln? Also immer: Was heißt es zu…? Was bedeutet etwas überhaupt? Was ist das Wesen der Dinge? Jetzt können Sie sagen, selbst dann, wenn Sie feststellen, ein Wesen der Dinge gibt es nicht oder das hat gar kein Wesen, dann ist auch das eine Antwort darauf, was es denn heißt, dieses zu sein. Das ist eine typische philosophische Frage und da können Sie eigentlich alles reinsetzen. Aber natürlich sind klassische philosophische Evergreens solche Fragen wie: Was heißt es, gut zu handeln? Was ist der Mensch? Was ist eine Person? Ist Gott ein Gegenstand der menschlichen Erkenntnis? Was ist die Seele? Was ist der Geist? Was heißt es überhaupt, ein Ding zu sein? Solche basalen, grundsätzlichen Fragen. Dann Fragen der Epistemologie: Kann ich eigentlich überhaupt etwas erkennen? Was heißt es, etwas zu erkennen? Was heißt es, einen kognitiven Zustand zu haben? Also diese „Was-heißt-es-Fragen“, die stellen wir gerne und die stellen wir gerne so, dass wir versuchen, nach Kriterien zu suchen, die uns eine Antwort erlauben. Das ist dann schon ein Fortschritt in der Philosophie, wenn ich solche Kriterien finde, die mir erlauben zu sagen, das wäre ein Kriterium für eine Antwort. So arbeiten sich dann die Philosophen vor. Dabei geht es um Transparenz der Argumentation und wie der eine Kommilitone auch gesagt hat: Es gibt eine transformatorische Qualität des Philosophiestudium. Was heißt das? Das heißt, dass einen das Philosophiestudium irgendwie verändert. Natürlich verändert jedes Studium einen – das ist klar – einfach, weil es eine Anstrengung ist, die über mehrere Jahre geht und die einem bestimmten Sachgebiet gewidmet ist. Aber in der Philosophie ist es aufgrund ihrer selbstreflexiven Qualität nahe an unserer Person und das verändert uns. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, es kann uns glücklich machen, denn indem wir Dinge in der philosophischen Weise hinterfragen, erkennen wir uns selbst zumindest ein Stück weit. Das ist natürlich eine Qualität, die dazu führen kann, dass man sich verändert und bewusster wird, und das ist eine unmittelbare Folge des ehrlichen, intensiven Philosophiestudiums. Das ist ein Gewinn, den haben Sie unmittelbar. Philosophie sollte man auch gar nicht studieren, um was anderes damit machen zu wollen. 

C. J.: Was schon mehrfach genannt wurde, auch jetzt in den letzten Statements, war die Möglichkeit, sich frei für Themen, für Seminare, für Lehrveranstaltungen zu entscheiden im Studium. Ich glaube, von früher haben vielleicht noch manche das Klischee des endlos Studierenden im Kopf, der dann nach vielen, vielen Semestern irgendwann immer noch nicht fertig wird. Wie ist es heute? Ich meine, wir haben es heute mit einem modularisierten Studiengang zu tun, wie bei allen anderen Studiengängen auch. Durch die Bachelor Struktur ist ein zeitlicher Rahmen vorgegeben. Aber innerhalb von diesen großen Fragen könnte man die Gefahr sehen, sich zu verlieren. Wie ist es? Wie ist das in einem Bachelorstudium? 

K. C.: Da haben sie völlig Recht. Es gibt einen inhärenten Widerspruch zwischen der sehr begrenzten Zeit im Studium, die als Ausbildung gedacht ist – die ganze Logik des Bachelorstudiums ist die einer Berufsausbildung – und das steht in einem Widerspruch zur Idee, dass man – was ich eigentlich sehr wichtig finde, wenn man Philosophie studiert – auch mal einen ganzen Autor zur Kenntnis nimmt. Wenn Sie Hegel lesen, dann sind Sie damit nicht in einem Semester fertig. Das ist eine immense Anstrengung des Geistes, das zu tun. Da gibt es einen Widerspruch. Wir versuchen, den dahingehend zu lösen, – mehr schlecht als Recht, aber immerhin bewusst – indem wir am Anfang in unserer Studienordnung versuchen, grob zu orientieren, Überblick zu verschaffen, um dann Gelegenheit zu geben, sich wirklich intensiv in einen philosophischen Autor oder in ein philosophisches Gebiet einzulesen, sodass man da eine Frage kriterienbasiert, bewusst behandeln kann. Dann machen Sie Ihre Bachelorarbeit und das ist meines Erachtens richtig so. Sie sind noch kein großer Philosoph, wenn Sie Ihre Bachelorarbeit geschrieben haben. Wer ist das schon? Ich bin das auch nicht. Das ist nach der Regelstudienzeit, glaube ich, nach sechs oder sieben Semestern. So schnell geht das nicht, aber wenn Sie es machen, dann sind Sie auf einem sehr guten Weg. Das ist unsere Idee dabei. 

C. J.: Ja, man hat die wichtigsten ersten Handwerkszeuge, in Anführungszeichen, die ersten Methoden gelernt. 

K. C.: Es ist sogar so: Sie können tatsächlich Fragen beantworten. Das sind kleine Fragen, aber die Befriedigung ist sehr groß, sowie der andere Kommilitone sagte: Es gibt diese Heureka-Momente. Die gibt es, die gibt es auch im Kleinen. Dann haben wir auch noch ein Masterstudium. Das ist bei uns frei. Wenn Sie in Tübingen den Bachelor erworben haben, dann haben Sie totale Freiheit, eine Sache zu machen und an einem diskussionsbasierten Graduiertenseminar teilzunehmen und wirklich sich mit der Forschung des Gebietes, auf das Sie sich kaprizieren wollen, auseinanderzusetzen. Sie können sich auch noch umgucken, aber Sie können dann wirklich nahe an der philosophischen Forschung arbeiten. 

C. J.: Das ist außergewöhnlich für ein Masterstudium, auch in der Geisteswissenschaft. Bei den meisten ist es so, dass dort noch ein gewisses Curriculum vorgeschrieben ist und gewisse Seminare. 

K. C.: Ja, richtig, bei uns sind natürlich auch Module vorgeschrieben, aber die sind frei wählbar zwischen den verschiedenen Modulen, die wir anbieten. Was Ihr ganzes Masterstudium eigentlich regiert, ist die Absprache Ihres Interesses mit den Dozierenden. Das machen wir tatsächlich in Ergänzung, in Kombination mit unserer Bachelor-Studienordnung, weil die im Verhältnis zu früher mehr vorgibt, was gemacht werden muss. Das dient aber nur ihrer Freiheit, weil Sie sich dann als ein informierter Mensch entscheiden können, was Sie machen wollen. Es ist keine reine Sympathie mit irgendeiner Zufallsfigur, die Sie treffen, die Sie irgendwie anspricht. Der macht jetzt gerade Epikur und dann sind Sie jetzt Epikureer, ganz einfach nur aus Zufall, weil sie dieser Person begegnet sind. Ich meine, das Leben geht ohne solche Zufälle nicht und die sind ganz wichtig, aber die können nicht systematisch zum Prinzip des Studiums eines Faches erhoben werden. Um diese anfängliche inhaltlich vorgegebene Paketierung der Studieninhalte zu kompensieren, haben wir diesen Master ganz frei angelegt. 

A. B.: Also, ich finde dieses Versprechen der großen Freiheit nach dem Bachelorstudium großartig und vor allem großartig, wenn wir jetzt gleich noch über die Berufsmöglichkeiten sprechen wollen. Ich würde sagen, wir hören zuerst rein, wie die Tübinger Studierenden geantwortet haben.  

Berufsperspektiven (44:47) 

Studi 1: Das weiß ich noch nicht genau. Taxifahrer möchte ich jetzt nicht unbedingt werden, aber das ist auch gar nicht so schlimm, denn entgegen den Vorurteilen ist es durchaus möglich, auch mit einem Philosophiestudium auf dem Arbeitsmarkt anzukommen.  

Studi 2: Nach dem Studium werde ich Philosophielehrer, und vor allem dabei ist mir wichtig, den Schülern nicht ethische und philosophische Inhalte und Meinungen zu vermitteln, sondern sie darin zu schulen, philosophisch zu denken und diese Meinungen für sich selbst zu entwickeln.  

Studi 3: Ich habe mir tatsächlich noch nicht viele Gedanken gemacht, was ich in meinem Philosophiestudium beruflich anfangen möchte, aber ich glaube, Philosophie kann für mehr als nur für die spätere Berufswahl interessant sein.  

Studi 4: Für mich gibt es tatsächlich zwei mögliche Optionen. Ich habe tatsächlich einen eigenen Podcast namens „Philosophie für zwischendurch“, wenn ich das kurz erwähnen darf. Da habe ich große Fragestellungen in der Philosophie, wie, was ist der Sinn des Lebens, die ich simpel erklären will, und wenn es klappt, will ich damit natürlich irgendwann vielleicht Geld verdienen können. Aber wenn das nichts wird, würde ich einfach gerne weiter in der Philosophie forschen, irgendwann einen Doktor machen, dann, wenn ich es schaffe, vielleicht sogar noch promovieren, und dann einfach lehren und forschen, weil mich das einfach sehr interessiert.  

Studi 5: Als Philosoph und Rhetoriker ist mir kein Weg vorgezeichnet wie beispielsweise einer Lehrerin, und was ich demnach oder überhaupt verfolgen möchte, ist, mündig zu werden und dann zur allgemeinen Aufklärung beizutragen und in irgendeiner Form auf jeden Fall etwas Sinnvolles zu tun, was in meinem persönlichen Fall darin bestehen könnte, künstlerische, schriftstellerische Projekte zu verfolgen. Aber auch als Dienstleister da zu sein, auch aus Geldgründen. Gerne dann zu dem letzten Drittel, körperlich aktiv zu sein und überhaupt, um wiederum was großes idealistisches, fernes, aber doch so nah wie überhaupt möglich liegendes Ziel zu verfolgen: An der Revolution des Herzens mitzuwirken.  

A. B.: Ja, ich glaube, das war Christophs Lieblingsaussage, also gebe ich das Wort an dich.  

C. J.: Ich glaube, in allen elf Folgen, die wir bisher aufgezeichnet haben, fand ich noch keinen Berufswunsch oder -ideal, so wundervoll wie die Mitwirkung an der Revolution des Herzens. Von daher drücke ich dem Kommilitonen auf jeden Fall ganz fest die Daumen, dass das klappt. Ich glaube, ansonsten hatten wir ein paar klassische, in Anführungszeichen, berufliche Optionen jetzt schon gehört, also vom Philosophielehrer, der -Lehrerin, die das schon relativ früh für sich entscheidet mit einem Lehramtsstudium, der wissenschaftlichen Karriere, die möglich ist, und dem Nicht-Wunsch zum Taxifahrer, dem Beruf der ein Stereotyp ist für viele Geisteswissenschaften, sich glücklicherweise aber bei den allerwenigsten Absolventinnen danach bewahrheitet. Ich glaube, die Möglichkeit nach dem geisteswissenschaftlichen Studium einen guten Berufseinstieg zu vollziehen, ist durchaus gegeben, glücklicherweise. Wie gelingt denn ein guter Berufseinstieg, wenn der nicht so vorgezeichnet ist, wie vielleicht bei den gerade genannten Optionen? 

K. C.: Was die Berufsaussichten betrifft: Ich habe im Laufe meiner Zeit im Studium und danach sehr viele Philosophen kennengelernt, die Unternehmensberater geworden sind. Das war früher mal Mode. Jetzt höre ich das weniger, gibt's aber immer noch. Ich glaube grundsätzlich – wie ich das ja auch schon sagte – dass Philosophie für sich selber denken ist. Es ist selbst denken und das ermächtigt Sie oder befähigt Sie, je nachdem, wie gut Sie darin sind, alles zu machen, vor allen Dingen etwas zu tun, was Sie selbst wollen. Alle Antworten, die wir gehört haben, waren so, dass sie gar nicht auf die Idee kamen, etwas zu tun, was eine entfremdete Tätigkeit wäre, wo man also nur arbeitet, ohne innerlich als ganze Person sich einzubringen in das, was man arbeitet. Das, glaube ich, ist vereinbar mit allen möglichen Tätigkeiten. Es geht um Selbstbestimmung und das ist Freiheit. Was heißt das konkret? Viele Philosophen haben eine Ausbildung darin, – die das Studium mit sich bringt – Strukturen zu durchschauen, logische Muster zu identifizieren, harte Texte zu analysieren, Dinge zu formulieren, die nicht offensichtlich bereits als fertige Formulierungspackungen allgemein zugänglich sind, sondern Dinge auf den Punkt, auf den Begriff zu bringen, den Dingen auf den Grund gehen zu wollen. Das sind Eigenschaften, die sich überall gut machen und es gibt dementsprechend viele Philosophen – wenn sie nicht kreative Berufe haben, als Philosophen – tatsächlich in Verlagen arbeiten, wie gesagt, in der Unternehmensberatung und so weiter. Also ich glaube, selbst dann, wenn Sie jetzt Gärtner werden, werden Sie eben Gärtner, als jemand, der oder die voll und ganz Gärtnerin sein will. 

A. B.: Ich glaube, Konditor habe ich tatsächlich als Beispiel. Jemand, Absolvent der Tübinger Philosophie, der jetzt Konditor wird mit ganzem Herzen. Vielleicht ist das die Revolution des Herzens für ihn. Journalismus ist, glaube ich, auch nochmal ein großes Feld, da kenne ich einige, die da gelandet sind. 

K. C.: Philosophie hat mit Argumenten zu tun und überall da, wo es um Sprache, um Argumente geht, ist es naheliegend. Aber wie gesagt, es ist inhaltlich nicht festgelegt. Philosophie hat mit allem zu tun und das ist auch richtig und gut so. Die Frage, was mache ich mal später damit, ist eine Frage, die nicht unbedingt die Studierenden zum Studium motiviert, sondern die Studierende interessiert in dem Rechtfertigungsdialog, den sie mit ihren Eltern haben oder mit ihrem Umfeld. Mir war es immer peinlich, als ich Student war, wenn ich gefragt wurde: Was machen Sie denn eigentlich? Wenn ich dann gesagt habe Philosophie, waren die Reaktionen: „Ich war auch mal Taxifahrer“, oder „Tut mir leid“. 

A. B.: Ich wollte das umdrehen. Mein Großvater war Taxifahrer, hat nie Philosophie studiert und hätte sicherlich von sich selbst gesagt, dass er der größte Philosoph ist. 

K. C.: Es ist in der Tat auch so, dass der Vater eines Freundes von mir ein wirklich sehr philosophischer Mann war, den ich sehr bewundert habe, und der war Taxifahrer. Es sagt überhaupt nichts aus, was sie tun, was Sie für ein Mensch sind. Man ist vielleicht leicht beeindruckt als Kind. Das habe ich so empfunden. Ich glaube, dass die Frage, „Was mache ich denn mal damit?“, „Wie viel Geld bringt denn das?“, keine Frage ist, die Sie, wenn Sie sich überlegen, ob Sie Philosophie studieren, stellen sollten. Dann sind Sie falsch. Philosophie macht nur da Sinn, wo Sie es als Philosophie betreiben. Das heißt, Sie möchten das einfach wissen. Sie möchten selber denken. Sie möchten philosophische Fragen untersuchen, die nicht eindeutig beantwortbar sind, weil nicht immer klar ist, was die Kriterien einer guten Beantwortung sind. Sie möchten das und wenn Sie das möchten, dann ist das hinreichend. Wenn Sie das mit Hingabe tun, dann können Sie meiner Ansicht nach auch sehr vieles andere. 

A. B.: Ich möchte das Klischee vom Taxifahrer gar nicht so sehr bedienen, aber ich glaube, die große Freiheit, von der wir schon gehört haben, die steckt da ein bisschen drin. Sein eigener Herr oder seine eigene Herrin zu sein, das könnte ich mir sogar vorstellen, dass es eine Lebenseinstellung ist, die sich in diesem Beruf – auch wenn es jetzt ein Klischee bedient – widerspiegelt, vielleicht auch in ähnlichen Berufen. Was meinen Sie denn, wie der Berufseinstieg gut gelingen kann? Wir haben jetzt noch nicht über Praktika gesprochen. Wie sieht es denn da aus? Wird dafür Raum eingeräumt im Studium oder wie organisiert man das am besten? 

K. C.: Ja, man kann das im Studium machen. Das kommt darauf an, was Sie studieren. Wenn Sie das Lehramt anstreben, dann können Sie schon frühzeitig mal in der Schule schauen, wie es aussieht. Das ist übrigens ein sehr gern gewähltes Berufsfeld für Studierende. Das finden wir auch super, denn wir halten das für ungemein wichtig und es ist nicht so, dass wir der Ansicht sind, dass das eine fremdbestimmte Verwendung der im Philosophiestudium erworbenen Fähigkeiten ist, wenn man damit an die Schule geht. Ganz im Gegenteil, das ist eine sehr wertvolle Aufgabe. Ansonsten haben wir keine berufsvorbereitenden Maßnahmen, weil das Berufsbild, das sich daraus ergibt, eben auch nicht genau bestimmt ist. Es geht in viele Richtungen, aber typischerweise ist es eben durch die Qualifikation, die Sie sich erwerben, sprachlich, formal, inhaltlich so, dass Sie für alles Mögliche präpariert sind. 

A. B.: Wenn man ein Praktikum machen möchte, dann braucht man eigentlich selbst schon eine Idee, wo es für einen hingehen könnte, weil es eben nicht diesen Rahmen gibt, inhaltlich, in dem man zum Beispiel ein Praktikum machen kann, wahrscheinlich auch wieder überall und nirgends. Also das muss man sich wahrscheinlich dann selbst überlegen und ausprobieren? 

K. C.: Ja, das sehe ich auch so. Philosophieren ist nicht etwas so wie die Heilkunst, was Sie erlernen, um es anzuwenden, sondern das Philosophieren ist selbst die Anwendung. Da gibt es ein Argument des Aristoteles, der sagt: Philosophie ist nutzlos, und zwar in dem Sinne, dass es selbst ein Zweck ist. Es ist selbst eine Erfüllung. Das heißt, wenn Sie fragen: Was dient mir das, was nützt mir das, dann sind Sie ein bisschen schief gewickelt. Aber das ist jetzt, glaube ich, der falsche Sprachakt in dieser Situation, in der wir uns befinden. Sie können damit unheimlich viel machen. Sie erwerben da unheimlich viele Fähigkeiten. Denken Sie historisch, dann sehen Sie, wie die Philosophie am Anfang sehr vieler Wissenschaften steht, die heute separate Fächer sind. Das können Sie alles als Anwendung der Philosophie auffassen, wenn Sie wollen. 

A. B.: Ich glaube, wir, wir kommen so langsam in Richtung Abschluss-Rubrik: Unsere Insider Tipps. Haben Sie uns da was mitgebracht, Herr Corcilius? 

Insider-Tipps (56:35) 

K. C.: Nein, ich habe nur eine ganz allgemeine Empfehlung: Wenn Sie wissen wollen und mal sehen wollen, was Philosophen so machen, gehen Sie ins Internet und suchen Sie Interviews mit Philosophen oder Gespräche zwischen Philosophen. Das sind eigentlich ziemlich spannende Gespräche und die sind in großer Quantität verfügbar im Internet. Schauen Sie sich das mal an, die dauern kürzer oder länger. Nicht, wenn Leute sich vorstellen, solche Präsentationen haben den Charakter von Werbeveranstaltungen. Nein, ich meine Diskussionen. Sie können zum Beispiel Hans-Georg Gadamer sehen, wie er die Geschichte der Philosophie in so einem etwas märchenhaften Ton Revue passieren lässt. 

A. B.: Da gibt es Vorlesungen aus der Zeit noch online, oder? 

K. C.: Das ist keine Vorlesung, sondern ein Interview. Da erzählt er, was er für die Highlights der Philosophiegeschichte hält. Schauen Sie sich das an, das ist schön. Aber vor allen Dingen schauen Sie sich an, wie Philosophen argumentieren. Das ist interessanter als Vorlesungen, die online zugänglich sind, aber die können Sie sich auch anschauen. Sie werden sehen, Philosophen sind sehr verschieden voneinander. Sie haben große Schwierigkeiten darin, sich zu einigen, inhaltlich, auf irgendetwas. Aber vor allen Dingen sehen Sie am Stil der Diskussion, was wir so machen. 

A. B.: Ich glaube das ist ein schöner Tipp, in die Richtung zu recherchieren, auch mit einer gewissen Eigenverantwortung.  

C. J.: Klasse! Ja, dann sind wir am Ende unseres Gesprächs angekommen. Herr Corcilius, vielen herzlichen Dank, dass Sie da waren und dass Sie uns so einen breiten Einblick in das Fach der Philosophie gegeben haben.  

A. B.: Vielen Dank auch von mir! 

K. C.: Ja, ich danke Ihnen, es war mir eine Freude. 

C. J.: Und an unsere Zuhörerschaft: Wir hoffen, wir konnten Euch gut informieren und haben Euch bei Eurer Studienwahl etwas weitergebracht. Wenn Euch unser Podcast gefällt, dann freuen wir uns über ein Abo, und falls Ihr Fragen oder Kritik oder sonstige Infos für uns habt, schreibt uns eine E-Mail an hochschulreif@uni-tuebingen.de. Alle weiterführenden Infos, die wir gerade schon angesprochen haben, die stellen wir Euch in die Shownotes.

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Klaus Corcilius über die folgenden Themen: 
00:58 Persönliche Motivation 
17:16 Studieninhalte
33:08 Persönliche Voraussetzungen
44:47 Berufsperspektiven
56:35 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Philosophie:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #13: Medizintechnik

Die Medizintechnik führt die Fächer Medizin, Naturwissenschaften und Technik in einem Studiengang zusammen. Was bringt ein so breit aufgestelltes Studium? Was genau lernt man da – und was nicht? Wie funktioniert das Bachelor-Studium an den beiden Studienorten Stuttgart und Tübingen? Wie stehen die Chancen auf einen Studienplatz und welche Berufsaussichten gibt es? Mit Professorin Dr. Katja Schenke-Layland sprechen wir über das interuniversitäre Studium der Medizintechnik an den Universitäten Stuttgart und Tübingen, über Inhalte, Voraussetzungen und Berufsaussichten im Fach. Studierende der Medizintechnik berichten ebenfalls zu verschiedenen Themen rund um ihr Studium.

Tags #Medizintechnik #Biomedizin #BiomedicalTechnologies #Biotechnologie
Listen
Christoph Jäckle (C. J.): Herzlich Willkommen zu „hochschulreif“, dem Podcast zur Studienwahl der Universität Tübingen. Wir stellen euch heute wieder ein neues Studienfach vor. Heute geht es um das Fach Medizintechnik. Dazu haben wir auch wieder einen Gast bei uns im Studio: Professorin Doktor Katja Schenke-Layland. Schön, dass Sie bei uns sind. 
 
Prof. Dr. Katja Schenke-Layland (K. S. -L.): Vielen Dank, dass ich bei Ihnen sein darf. 

C. J.: Hallo! Und auch meine liebe Kollegin vom Team der Zentralen Studienberatung, Alexandra Becker, ist natürlich wieder hier. Hallo, Alex! 

Alexandra Becker (A. B.): Guten Morgen! 

C. J.: Schönen, guten Morgen! Wir haben es heute mit einem sehr modernen und interuniversitären Studiengang zu tun. Ich bin sehr gespannt, was uns da alles erwartet. Frau Schenke-Layland, ich darf Sie ganz kurz vorstellen. Sie sind sehr beschäftigt, wie ich recherchiert habe. Sie sind Direktorin des Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Instituts in Reutlingen. Sie sind Professorin für Medizintechnik und Regenerative Medizin am Institut für Biomedical Engineering der Medizinischen Fakultät an der Universität Tübingen. Sie sind Forschungsgruppenleiterin am iFIT (Image-guided and Functionally Instructed Tumor Therapies) Exzellenzcluster der Universität Tübingen, einem Forschungsverbund, in dem internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fächern dabei sind, individualisierte Krebstherapien zu entwickeln. Da wird uns gleich auch noch interessieren, ob da eine Schnittmenge mit dem Studiengang der Medizintechnik vorhanden ist. Ich habe gelesen, Sie selbst hatten gar nicht ursprünglich geplant, in dem Bereich der Medizintechnik zu arbeiten und zu forschen, sondern als Sie selbst noch Schülerin waren, hatten Sie ursprünglich einen ganz anderen Berufswunsch, nämlich Tierärztin. Könnten Sie uns kurz erzählen, wie Sie ausgehend von Ihrem ursprünglichen Berufswunsch Tierärztin, eine so renommierte Medizintechnikerin und Forscherin geworden sind? 

K. S. -L.: Jedes kleine Mädchen möchte, glaube ich, Tierärztin werden. So war es bei mir auch. Zumindest hatte ich eine große Liebe für Tiere. Es hat sich auch angeboten. Bei mir, in dem kleinen Dorf, wo ich groß geworden bin, gab es damals eine Tierärztin, die frisch ihre Praxis eröffnet hat. Sie ist eine gute Bekannte gewesen von meiner Familie und sie brauchte eine Hilfe, konnte sich das damals aber nicht leisten. Ich war in der 7. oder 8. Klasse ungefähr und hatte nicht wirklich nachmittags etwas zu tun. Da war ich froh, dass ich sie unterstützen konnte. Ich habe viel dabei gelernt. Da hat sich auch der Wunsch noch vertieft. Aber ich habe dann über die Zeit gemerkt, immer, vor allem bei Katzen OPs, ging es mir hinterher nicht so gut. Da hat sich dann herausgestellt, dass ich leider eine Katzenhaarallergie entwickelt habe. Das ist nicht von Vorteil, wenn man den Beruf Tierärztin oder Tierarzt hat. 

C. J.: Ein ganz handfester Grund, der dann gegen den Berufswunsch, das Berufsziel gesprochen hat. 
 
K. S. -L.: Genau. Dann musste eine Alternative her. 

A. B.: Gab es dann schon direkt diesen Einstieg in Medizintechnik? 

K. S.-L.: Den gab es damals noch nicht. Ich habe in Jena studiert. Auch damals gab es Einschreibefristen, so wie das jetzt auch ist. Die Frist für andere Fächer mit Numerus Clausus, wie Biologie war zu dem Zeitpunkt auch schon um. Juli war vorbei, es war Ende Juli, Anfang August. Was konnte ich jetzt noch machen, dass ich direkt starten konnte? Ich wollte nicht warten. Da gab es damals das erste Mal einen Versuch, einen Magisterstudiengang aufzusetzen für die Naturwissenschaften. Sie hatten das mit dem Hauptfach Biologie dort ausgeschrieben und man konnte komplett frei wählen, welche anderen Fächer, das konnten ein bis zwei weitere Fächer sein, man belegen will. Da dachte ich, so schlecht ist das gar nicht. Also Biologie ist auch irgendwo in der Nähe der Tiermedizin. Ich habe dann einfach gewählt, was mich interessiert hat, das war die Soziologie und die Psychologie. Ich habe das als Dreierstudium gestartet und habe es auch beendet. 

C. J.:  Und haben Sie dann danach den biologischen, den biomedizinischen und medizintechnischen Weg eingeschlagen? 

K. S.-L.: Richtig. Nach Abschluss des Studiums habe ich auch kurzzeitig tatsächlich überlegt, ob ich noch mal mit Humanmedizin anfange von vorne. Ich habe mehrere Jobs angenommen in der Wissenschaft. Ich habe beim Max-Planck-Institut für Ökologie gearbeitet, in Jena. Ich habe parallel dazu aber auch ein Pflegepraktikum gemacht in der Klinik, um zu schauen, ist das etwas für mich. Ich bin dort auf der Intensivstation gelandet und habe dort meinen zukünftigen Doktorvater kennengelernt. Der war Herzchirurg und meinte: „Du kannst auch Menschen helfen, indem du promovierst. Mache eine Doktorarbeit, eine wissenschaftliche Doktorarbeit und danach schauen wir weiter.“ Ich dachte, das probiere ich aus, das mache ich. Das hat auch Spaß gemacht. 

C. J.:  Die Beweggründe für die Studienfachwahl oder auch den beruflichen Werdegang sind dann doch immer sehr unterschiedlich.  
 
A. B.: Ich bin beeindruckt von der Aussage, dass man Menschen helfen kann, indem man promoviert. Das hört man, glaube ich, als Geisteswissenschaftler:in nie. 

K. S.-L.: Das sind immer so Stufen. Das sind so sage ich mal, Mittel zum Zweck. Der Titel hilft einem nicht dabei, Menschen zu helfen. Aber er öffnet die Tür, um wiederum anderen Menschen Türen zu öffnen, in die Forschung zu kommen oder auch eben Studierende zu betreuen, Studierende zu inspirieren, nicht nur anzuleiten, sondern auch inspirierend zu motivieren. Da ist ganz viel Motivation auch dabei. Ich kann mir vorstellen, in jedem Fach macht man: “you can make a change in any subject”. Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man für etwas brennt. Aber es sind dann auch solche Karriereschritte notwendig, wie beispielsweise die Promotion: Das ist der nächste notwendige Schritt, um dann in die Richtung gehen zu können, um Türen öffnen zu können oder auch, dass einem die Türen geöffnet werden. Das war einfach der notwendige nächste Schritt. 

C. J.: Wir haben auch wieder Tübinger Studierende, diesmal natürlich Medizintechnikstudierende befragt, was dann deren Motivationsgründe waren, sich für das Medizintechnikstudium zu immatrikulieren. Hören wir doch da mal rein. 

Persönliche Motivation (06:14) 

Studi 1: Ehrlich gesagt wusste ich nach dem Abi noch gar nicht so genau, was ich eigentlich studieren möchte. Mir war nur klar, gerne was Technisches oder was Naturwissenschaftliches. Und dann wurde ich früher oder später aufmerksam auf den Studiengang Medizintechnik.  

Studi 2: Während meines FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) im Krankenhaus habe ich gemerkt, wie viel Medizintechnik eigentlich in unserem Gesundheitssystem steckt. Ob es bei der Diagnose über das Blutdruckmessgerät oder das Ultraschallgerät ist, überall steckt die Medizintechnik drin. Das hat mich begeistert. 

Studi 3: Ich habe mich für das Studium der Medizintechnik entschieden, weil es für mich die perfekte Kombination zwischen Ingenieurwesen und Medizin bzw. dem Helfen von Menschen dargestellt hat. Das ist sehr zukunftsgewandt und ein relativ neuer Studiengang. 

Studi 4: Ich habe mich für das Fach Medizintechnik entschieden, weil ich eine Ingenieurswissenschaft mit Anwendungsbereich studieren wollte. Oft werden klassische Fächer wie Maschinenbau oder Elektrotechnik erst sehr spät im Studium konkret. Das ist bei Medizintechnik anders. 

Studi 5: Ich habe mich für den Studiengang Medizintechnik entschieden, weil mich bereits in der Schule die Kombination zwischen Medizin und Technik sehr fasziniert hat. So war ich zum einen im Schulsanitätsdienst aktiv und zum anderen auch in der Veranstaltungstechnik der Schule. 

A. B.: Was ich jetzt spannend finde, auch wie die Studierenden das berichten, dass die eine ganz konkrete Vorstellung haben, diese zwei Bereiche Technik und Naturwissenschaften mit Medizin zusammenzubringen. So setzt sich der Studiengang auch zusammen. Das heißt, sie kommen schon mit einer konkreten Vorstellung ins Studium. Ist das so Ihre Erfahrung? Sind die gut vorbereitet? 

K. S.-L.: Auf jeden Fall wissen sie, was sie wollen. Das ist für den Studiengang auch sehr von Vorteil, weil es ist nicht unbedingt der leichteste Studiengang aufgrund dessen, dass wir uns dazu entschieden haben, das auch interuniversitär zu gestalten: Stuttgart und Tübingen. Da scheitert man manchmal schon an den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Austauschen. Deswegen ist es sehr gut, dass da die Studierenden von Anfang an mit einem festen Willen, mit dem Wunsch reingehen, das möchte ich, das interessiert mich. Sie sehen vor allem auch den Benefit, das in diesen Standorten zu gestalten, also Stuttgart mit den sehr starken Ingenieurwissenschaften und Tübingen mit den Naturwissenschaften und der Medizin. Eine einzelne Universität hätte das so wahrscheinlich auch unterrichten können, aber nicht in dieser Qualität, wie wir es haben, weil wir wirklich die Experten auf beiden Seiten zusammenbringen, anstelle, dass man alles versucht, allein zu machen. Das ist wirklich ein ganz großer Zugewinn für den Studiengang. Das gab es vorher auch nicht. Das war damals der erste Studiengang, der so universitär gestaltet wurde in der Medizintechnik. Mittlerweile gibt es ein paar mehr Studiengänge, auch interuniversitär. Wir sind aus Dozierendensicht sehr eng mit den Kollegen in Stuttgart zusammengewachsen und die auch mit uns, gehe ich davon aus. Die Studierenden überkommen diese Hürde der örtlichen Distanz, dass man immer mal wieder fahren muss, was wir ja selbst kennen, nicht immer einfach ist. Aber eben dieser Wille wirklich, dass auch zu lernen von diesen beiden Seiten, der ist schon sehr stark und sehr ausgeprägt. Das hilft natürlich im Studium dranzubleiben, dabei zu bleiben, auch wenn es nicht nur inhaltlich schwer wird, sondern eben auch physisch aufgrund der zwei Lokalitäten. Da ist ein sehr starker Wille. Das sehe ich auch in den Zahlen von den Studierenden, die abbrechen, die ist sehr gering. Ich habe da keine Zahlen für Sie da, aber das ist im einstelligen Bereich, was wir da jedes Jahr sehen. 

A. B.: Ich könnte mir vorstellen, dass auch ein wichtiger Faktor ist – zumindest klingt das jetzt so, wie Sie das erläutern – dass die beiden Universitäten auch eng miteinander zusammenarbeiten und dass es eben nicht zwei Orte sind, die allein vor sich hin funktionieren und die Studierenden nur pendeln. Das ist sicherlich auch eine wichtige Unterstützung im Studium, dass dann beide Seiten wissen, was auf der anderen Seite läuft und den Studierenden so auch vielleicht ihr Studium dadurch erleichtern können. 
 
K. S.-L.: Wir sind da genauso mitgewachsen wie der Studiengang, wie die Studierenden im Studiengang mitwachsen. Es gab Initiativen ganz am Anfang zu Beginn, als der Studiengang initiiert wurde, auch auf der Forschungsseite. Wir sagen immer, Forschung und Lehre gehen sehr stark miteinander her und verbinden sich. Es ist das Beste, wenn eben aktive Forscherinnen und Forscher dann auch die Lehre unterstützen und ihre Forschungsthemen platzieren. So war das bei der Medizintechnik. Man hat in der Exzellenzinitiative eine Plattform Medizintechnik geschaffen. Es gab sogenannte Industrie- und Campusprojekte, wo die Verbindung zwischen Stuttgart und Tübingen zusammen mit Industriepartnern in Forschungsprojekten forciert wurde. Das ist parallel zu Beginn des Studiengangs gelaufen. Man entwickelte den Studiengang auf der einen Seite und man hat die gemeinsamen Forschungsprojekte auch von Leuten, die vorher nie miteinander gesprochen oder gearbeitet haben. So konnte man sich entwickeln. Und aus diesen Einzelprojekten, aus diesem Bachelorstudiengang sind wirklich sehr schöne Forschungsergebnisse geworden. Wir sind jetzt mittlerweile sogar an dem Punkt, dass wir auch ein Promotionskolleg haben auf der Forschungsseite, Medizintechnik in Stuttgart und Tübingen. Das merkt man einfach auch in der Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen und das merken die Studierenden auch. 

A. B.: Weil wir schon so nah bei der Forschung sind und das Christoph auch eben schon anmoderiert hat, Sie sind ja auch Forschungsgruppenleiterinnen vom iFIT Exzellenzcluster. Können wir das auch vielleicht mal in Zusammenhang mit der Medizintechnik im Studium bringen? Sie haben gerade schon gesagt, es ist nah an der Forschung und das ist ein sehr spannendes Feld. Ist das jetzt auch etwas, was sich im Studium widerspiegelt? Also gerade jetzt dieses spezielle Cluster? 

K. S.-L.: Ja, dieses Cluster ist wirklich sehr speziell, weil wir haben drei Fachrichtungen, die zusammenkommen. Wir haben einmal das Imaging, also die Mikroskopie oder auch Imaging aus der Klinik, was zusammenkommt mit der Onkologie und der Immunologie. Das sind drei unterschiedliche Fächer, die hier zusammenfinden. Das ist einzigartig. Das hat die DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) auch so gesehen. Deswegen ist das Exzellenzcluster gefördert worden. Hier können wir wirklich von den Stärken der unterschiedlichen Akteure profitieren. Es sind vor allem auch Themen, die hier zusammengebracht werden – wenn man jetzt wieder aufs Studium schaut – die nicht nur für die Medizintechnik interessant sind, sondern auch für die Molekulare Medizin. Da haben wir den Studiengang im Bachelor und Master. Es gibt auch ein Promotionskolleg: Molekulare Medizin, also Molecular Medicin ist das. Und wir haben die Medizin. Hier haben wir unterschiedlichste Themen innerhalb dieses iFIT Exzellenzclusters, die genau diese Themengebiete bespielen. In meinen Bereich: Wir arbeiten an der Entwicklung von neuen Diagnostikmethoden: Wie kann man frühzeitig Krebs erkennen? Wie kann man auch innerhalb von Patienten abgeleitete In-vitro-Testsysteme (zellbasierte Biotestverfahren in einer künstlichen Umgebung), also nicht Tierversuche, sondern In-vitro-Testsysteme als Alternative nutzen? Wie kann man personalisierte Medizin von Patientinnen und Patienten vorantreiben? Wie kann man visualisieren, wie sich Zellen verändern, wie sich Krebsarten entwickeln, wie auch Resistenzen beispielsweise begegnet werden kann mit neuen Therapieansätzen? Das ist von der Forschung, von den Forschungsinhalten das, was wir auch im Studium, in der Medizintechnik, behandeln. Im Aufbaustudium sind das Themen, die bei uns derzeit in dem Modul Vitale Implantate im Bachelorstudiengang, aber dann vor allem auch im Masterstudiengang Biomedical Technologies, der bei uns hier in Tübingen läuft, im Modul Implantologie unterrichtet werden. Und da ist man wirklich „hands on” ganz nah dran, auch an der Forschung. 
 
A. B.: Ich glaube, wenn wir jetzt auch schon so relativ nah am Studium sind, hören wir mal rein, wie die Studierenden so ihre typische Studienwoche beschrieben haben. 

Studieninhalte (14:42) 

Studi 1: Gerade im Grundstudium ist Medizintechnik doch recht zeitintensiv. Also das sollte man auf jeden Fall nicht unterschätzen. Es gibt wöchentliche Abgaben. Die habe ich in den besten Fällen immer zusammen mit meinen Kommilitonen direkt noch am selben Tag vom Tutorium bearbeitet. Dann hatte ich wochenends und abends Zeit für mich. Und dann darf man auch nicht vergessen, dass das Pendeln zwischen Stuttgart und Tübingen auch recht viel Zeit schluckt. 
 
Studi 2: Eine Studienwoche ist bei mir sehr durchmischt, da es eine Kooperation zwischen den beiden Universitäten Stuttgart und Tübingen ist. Und ich so zwischendurch pendle. Das ist aber immer machbar, viel ist tageweise gelegt. Ansonsten gehe ich auch gerne in den Hochschulsport oder treffe mich in der Freizeit mit Kommilitonen. 

Studi 3: Eine typische Studienwoche sieht zum Beispiel so aus, dass man vormittags Vorlesungen in Stuttgart hat oder nachmittags in Tübingen, zwischendurch dann zwischen den beiden Orten unter Umständen auch pendeln muss und dann in der freien Zeit zum Beispiel seine Matheaufgaben mit den Kommilitonen löst oder auch mal ein bisschen Freizeit genießt. 

Studi 4: Ein Tag im Grundstudium ist in der Regel sehr abwechslungsreich, weil man sehr unterschiedliche Fächer hört, beispielsweise Mathematik und Biologie. Ab dem fünften Semester kann man sich dann je nach Interesse spezialisieren und sich mit nur wenigen Fächern tiefer auseinandersetzen. 

C. J.: Das Außergewöhnlichste oder eine Besonderheit, die jetzt schon mehrfach genannt wurde, ist auf jeden Fall, dass man an zwei Standorten studiert. Wie sieht es dann konkret in einer Studienwoche oder in dem Semester aus? Studiere ich dann am Montag in Tübingen und am Dienstag in Stuttgart, oder ist das wochenweise? Wahrscheinlich nicht, denn das wurde gerade schon genannt, dass das Pendeln auch Zeit in Anspruch nimmt. Wie muss ich mir das vorstellen? 
 
K. S.-L.: Der Studiengang ist so konzipiert, dass vor allem im ersten Semester sehr viele Inhalte noch in Stuttgart gelehrt werden. Das verschiebt sich dann auch so ein bisschen mit der Spezialisierung, die eben angesprochen wurde, im Aufbaustudium gewählt wird. Das ist dann vor allem im 5. und 6. Semester. Da entscheidet man sich dann für Inhalte. Zwei Inhalte muss man belegen. Man kann einen aus Tübingen und einen aus Stuttgart wählen. Da ist es dann so, dass man sich im Rahmen des Schwerpunkts auf jeweils einen Inhalt in den beiden Städten fokussiert. Oder man konzentriert sich komplett auf Tübingen oder eben komplett auf die Ingenieurswissenschaften in Stuttgart. Also da ist das Pendeln, ich sage mal, weniger intensiv, ganz am Anfang, im ersten Semester ebenfalls. Da haben wir eher so tagesweise, dass man pendelt. Aber zwischendrin kann das schon so sein, wie wir das eben auch im Beitrag gehört haben, dass man früh in Stuttgart ist und abends in Tübingen, manchmal auch zwischendrin. Das ist, wie ich es vorhin schon angesprochen habe, eine harte Nuss für die Studierenden. Das weiß ich. Wenn ich noch zurückdenke an mein Studium: Der größte Benefit in Jena war, das war alles erlaufbar, trotz meiner drei Fächer. Das haben wir hier nicht. Das ist schon eine Belastung. Da sind wir auch unserer Leitung, unserem Dekanat hier in Tübingen sehr dankbar, dass wir die Lerninsel haben. Das ist ein Ort, wo unsere Studierenden sich treffen können. Das gibt es in Stuttgart nicht. Wir haben das hier in Tübingen. Das sind Räume und da kann man rund um die Uhr, 24 Stunden, sieben Tage die Woche mit der Studienkarte rein. Man hat dort die Möglichkeit, Computer zu benutzen, sich einfach auszutauschen. Oder, eben haben wir es gehört, dass die Hausarbeiten da auch angefertigt werden können. Dann hat man zumindest einen Ort, wo man sich begegnen kann, wo man ein bisschen zur Ruhe kommt, wo man sich auch findet, wo man gemeinsam ist. Das ist wirklich sehr wichtig gewesen und immer noch sehr wichtig. Bei all den Bauvorhaben, die es in Tübingen gerade gibt, ist uns das auch wichtig, dass wir das erhalten können für unsere Studierenden. 
 
C. J.: Wo wohnen denn dann die meisten Studierenden? 

K. S.-L.: Das ist oft eine Frage, die wir bekommen, gerade am Anfang: Wo soll ich hinziehen? Das ist sehr unterschiedlich, denn die Städte sind auch so unterschiedlich. Wenn man nicht von hier kommt und von weit weg herzieht, gebe ich dann meistens immer den Tipp, gerade weil ich weiß, dass im ersten Semester schon ein höherer Schwerpunkt in Stuttgart ist, fangt doch mal in Stuttgart an, sucht euch da was. In beiden Städten ist es nicht einfach, Wohnungen zu finden. Das ist schon mal eine Hürde. Aber wenn man in Stuttgart vielleicht beginnt, hat dort die meisten Vorlesungen und dann schaut man mal, was bin ich für ein Typ. Ich glaube, das kommt auf den Typ drauf an. Ich meine, das, wissen wir auch, Stuttgart ist schon ganz anders vom Feeling, vom Flair. Da wo man wohnt, studiert man nicht nur, sondern man lebt auch. Und da gibt es schon größere Unterschiede zwischen den beiden Städten. 

A. B.: Sicherlich die Präferenzen. Vielleicht auch ein bisschen die Frage, wenn ich viel nach Hause fahren möchte, Familie, Freunde besuchen, dann ist Stuttgart eventuell ein bisschen praktischer. Wenn ich mehr am Studienort sein will, vielleicht hier auch mein soziales Umfeld habe, dann spielt das sicherlich eine kleinere Rolle. 

K. S.-L.: Genau. Und wir haben auch nicht wenige Studierende, die aus dem Umfeld kommen, die einfach noch zu Hause wohnen und dann pendeln. 

C. J.: Könnten Sie noch mal kurz knapp zusammenfassen, welche Fächer in Stuttgart gelehrt werden und welche in Tübingen? 

K. S. -L.: Kurz ist sehr schwierig. 

C.  J.:  Dann nicht kurz. 

K. S.-L.: Wir haben vorhin gehört: Die Ingenieurswissenschaften – wenn man es runterbrechen kann – zum Beispiel Maschinenbau, Festigkeitslehre, Strömungstechnik, das sind so diese klassischen Ingenieurswissenschaften, die werden in Stuttgart gelehrt. Mathematik, das immer nicht so ganz beliebte Fach – auch bei mir, ich kann es komplett nachvollziehen – ist ebenfalls in Stuttgart. Dann haben wir Tübingen, wo wir die Naturwissenschaften haben. Wir haben hier beispielsweise in den ersten Semestern Humanbiologie sehr ausgeprägt, aber auch die Anatomie, sehr wichtig Histologie, die Gewebelehre, bis hin zu unterschiedlichen medizinischen Fächern, wo man auch bis zu Neuroimplantaten beispielsweise etwas mitbekommt. Mit welchen neuen Technologien werden Patientinnen und Patienten behandelt und was sind da die Vor- und Nachteile? 
 
C. J.: Und jetzt mal noch so in Abgrenzung zum Medizinstudium beispielsweise oder zu einem reinen Ingenieursstudium inwiefern positioniert sich da der Medizintechnik Studiengang? Also was lerne ich dort dann nicht mehr, im Vergleich zu einem reinen Medizinstudium oder zu einem Ingenieursstudiengang? 

K. S.-L.: Man kann natürlich nicht ganz so sehr in die Tiefe gehen. In den Ingenieurswissenschaften und bei der Medizin haben wir sehr viele Lehrgebiete, gerade in den grundständigen Curricula, nicht. Also man hat nicht vier Semester zum Beispiel die Anatomie bis ins Detail. Das haben wir nicht. Wir haben Anatomie für Medizintechnik. Da hat Professor Bernhard Hirt die entscheidenden Einblicke, wo wir wirklich sehr nah dran sind, auch mit den Medizintechnik Unternehmen, Geräte an den Körpern zu haben. Man sieht, wo werden welche Implantate gesetzt, wo sind welche extrakorporalen Systeme, Unterstützersysteme, beispielsweise und wie kann man die besser entwickeln in der Zukunft. Da werden Akzente gesetzt, Highlights, aber man kann nicht komplett in die Tiefe gehen dafür. Ich denke, das ist auch der größte Benefit von diesem Studiengang: Man lernt die Sprache voneinander. Das ist die größte Hürde, wenn man dann in den Beruf geht, wenn man weitergeht über Masterarbeit und Promotion hinaus, dass unsere Studierenden auch gegenseitig lernen, was meint jetzt der andere. Das ist nicht trivial. Das hat man in der Vergangenheit ganz klar gesehen. Das war auch ein Wunsch von den Firmen, diesen Studiengang zu entwickeln. In Baden-Württemberg haben wir eine sehr starke Medizintechnik-Branche, Medizin- und Medizintechnik Unternehmen. Die sagten, wir wollen gut ausgebildete zukünftige Angestellte haben. Da ist es auch eine Hürde, wenn man eine Technologie entwickelt, aber für den Einsatz im Körper. Man muss hier beide Seiten verstehen können: Körper und Technologie. Wie gesagt, das ist manchmal gar nicht so trivial.  

A. B.: Ich frage mich jetzt auch gerade bei den Ingenieurswissenschaften, bei den technischen Fächern habe ich so die Vorstellung, dass die auch stärker anwendungsorientiert sein können und vielleicht weniger theoretisch. Ist das so? Und wie sieht das mit den praktischen Anteilen im Studium aus? 

K. S.-L.: Im Master haben wir einen sehr hohen praktischen Anteil. Im Bachelor muss man einfach auch die Theorie sich aneignen. Deswegen haben wir hier zum Beispiel keine Pflichtpraktika im Bachelorstudiengang, was ein bisschen schade ist. Ich würde mich schon freuen, wenn man das auch noch ein bisschen mehr unterbringen könnte. Aber das ist dem Aufbau des Studiums einfach geschuldet. An irgendeinem Punkt muss man dann sagen, was passt jetzt hier noch rein in diese sechs Semester. Es ist auch kein acht Semester Bachelorstudiengang, sondern ein sechs Semester. Da sind die Anteile von Theorie schon höher als zum Beispiel in dem weiterführenden Master, wo man dann auch auf die Theorie aufbauen kann. Also man hat im Master vier Semester und ein Semester davon, ist rein praktisch, also zwei Pflichtpraktika und dann die Masterarbeit. Im Bachelor haben wir wie gesagt keine Pflichtpraktika. 
 
C. J.: Passt ein Auslandsaufenthalt in das Studium rein, machen viele ein Auslandssemester? 

K. S.-L.: Viele machen das momentan noch nicht, weil man muss sich dafür auch die Zeit nehmen können. Im Studium ist es nicht vorgesehen, aber man kann sich natürlich ein Freisemester nehmen, kann ins Ausland gehen. Das haben in der Vergangenheit sehr Wenige nur gemacht. Wir haben jetzt die Änderung seit diesem Jahr, dass man auch von den Modulen, wenn man jetzt ins Ausland möchte, sich in den Modulen die ECTS anerkennen lassen kann. Wenn man zum Beispiel für dieses Modul, das nicht bei uns belegt hat, aber man ist ins Ausland gegangen und hat Äquivalente belegt. Wenn das dann zum Beispiel in meinem Fach ist, schaue ich mir das an, was ist dort unterrichtet worden, was hat man belegt, welche ECTS konnte man dort sammeln und ist das äquivalent. Dann wird das ganz einfach bestätigt durch das Studiendekanat. Da ist schon eine Vereinfachung drin, weil wir eben auch unterstützen möchten, dass unsere Studierenden ins Ausland gehen können. 

A. B.: Darf ich noch mal zu den verschiedenen Themen im Studium fragen, wie man sich jetzt nur an einem oder zwei Beispielen, wie man sich jetzt so eine Lehrveranstaltung vorstellen kann. Also was sind da so aktuelle Themen, die gelehrt werden und was macht man da ganz konkret im Studium? 

K. S.-L.: Also das ist sehr unterschiedlich von aktuellen Themen. Wir haben zum Beispiel auch ein Modul, das nennt sich aktuelle Aspekte. Das sind aktuelle Aspekte von der Medizintechnik, aber auch von dem großen und ganzen Feld der Biomedical Technologies, sag ich jetzt mal. Biomedical Engineering geht da auch mit rein. Da haben wir eine Ringvorlesung von verschiedenen Kolleg:innen. Jede Woche gibt es eine 90-minütige Veranstaltung, wo Kolleginnen und Kollegen aus der Industrie, aus dem Aufbaustudium ihre Inhalte kurz präsentieren und dazu dann auch Beispiele bringen, dass sich die Studierenden auch vorstellen können, was kommt jetzt im fünften, sechsten Semester, wenn ich das eine Modul oder wenn ich das andere belege. Das sind diese aktuellen Aspekte. Wenn man dann im Kompetenzfeld, also im Aufbaustudium im 5. bis 6. Semester ist, und belegt beispielsweise die digitalen Implantate, wo ich für das Modul zuständig bin, hat man eine Mischung zwischen Vorlesung, Seminar und Übungen. Es gibt etwas, was wir Journal Club nennen, wo man auch aktuelle Fachbeiträge aus Fachzeitschriften präsentiert, versteht und auch manchmal kritisch hinterfragt. Wir haben auch praktische Inhalte, dass man wirklich ins Labor geht, Pipetten anfasst, Materialien sich anschaut, implantierbare Materialien beispielsweise. Man lernt von Geweben, wie sind die aufgebaut. Man kann selbst auch diese Objekte dann diese Präparate bearbeiten, dass man so ein Handling und Feeling dafür bekommt. Ja, das ist sehr unterschiedlich und sehr stark auch abhängig vom Fach. 

C. J.: Verbringen dann die Studierenden auch schon immer wieder Zeiten im Labor? 

K. S.-L.: Ja, beispielsweise in diesem Kompetenzfeld, da sind Laborzeiten drin. Aber es sind halt keine Projekte im Sinne von einem Praktikum. Das kommt dann in der Bachelorarbeit. Da sind Sie dann auch ausschließlich im Labor, wenn Sie sich ein entsprechendes Thema ausgesucht haben. Es gibt auch Themen, die zunehmend von Relevanz sind, wie Regulatoriken. Gerade diese ganzen regulatorischen Regelungen, wie werden Medizinprodukte zugelassen, da gab es jetzt auch Änderungen in der Gesetzgebung. Das ist ganz wichtig für Firmen. Wenn man zum Beispiel auch den Wunsch hat, hinterher in die Arbeitswelt zu gehen, in eine Firma zu gehen, da wird sehr großen Wert daraufgelegt. Das werden wir jetzt auch. Wir sind gerade in der Reakkreditierung und wir werden diesen Abschnitt Regulatorik zukünftig vom Wahlfach zum Pflichtfach auch machen, dass das jeder und jede mitbekommt. Hier ist man nicht unbedingt im Labor, sondern da gibt es den Rechtsraum, mit dem man sich beschäftigt, die Auslegung. Die Regulatorik stellt uns vor neue Herausforderungen, dass beispielsweise Tests gemacht werden müssen von Funktionen, die die Firma beispielsweise bewirbt, von einem Implantat, dass man nachweisen muss, dass diese Funktion auch wirklich da ist. Das gab es früher nicht. Es gibt teilweise gar keine zugelassenen Messmethoden. Das heißt, man muss nicht nur selbst messen, sondern man muss die Messmethoden auch selbst entwickeln. Das ist eine andere Art von experimentaler Arbeit. Das ist nicht unbedingt etwas, was immer im Labor stattfindet, sondern da muss man eben auch Bücher wälzen, Gesetze kennen. Manchmal ist es ein bisschen trocken. Aber auf der anderen Seite auch wieder hochinteressant, weil es ist, trotzdem gestalterisch, weil man diese Methoden mitentwickelt und auch teilweise mit den Zulassungsbehörden verhandeln muss. Erkennen Sie das jetzt an? Warum sollen sie es anerkennen? Dass man dann so ein bisschen sein Plädoyer gibt, das sind die Fakten und deswegen sollte man es anerkennen. Ich glaube, das ist schon sehr vielseitig. 

C. J.: Ja, definitiv. Hören wir doch mal rein, was Tübinger Studierende sonst noch so alles begeistert an dem Studium. 

Persönliche Voraussetzungen (29:11) 

Studi 1: Mich begeistert in der Medizintechnik, dass meine Arbeit, einen Purpose, einen Sinn hat. Wenn ich ein neues Medizingerät entwickle, wird damit nicht nur Geld verdient, sondern in allererster Linie kann ich damit Menschen helfen. Durch eine angepasste Prothese kann man wieder laufen und mit neuen Bildgebungsverfahren kann Krebs besser entdeckt und behandelt werden. 

Studi 2: Durch die klare Anwendung der Medizintechnik, sprich Ingenieurswesen in der Medizin, weiß man, wofür man eigentlich studiert. Ich denke, dass das nicht nur Spaß macht, sondern auch die Motivation hochhält. 

Studi 3: Mich begeistert an meinem Studium die aktuelle Relevanz, aber auch, dass wir die Grundlagen aller Naturwissenschaften lernen, da wir später einen Überblick haben müssen, dass alles an unseren Geräten, Implantaten oder Sonstiges stimmt. 

Studi 4: Mich begeistert am Studium Medizintechnik, dass wir zum einen in Stuttgart den technischen Hintergrund gelehrt bekommen, zum Beispiel durch die Konstruktion, die Festigkeitslehre oder die Optik. Und dann in Tübingen den medizinischen Hintergrund lernen, zum Beispiel durch die Humanbiologie oder auch die Physik, die Chemie oder die Biochemie. 

Studi 5: Am allermeisten fasziniert mich an der Medizintechnik die Tatsache, dass die Branche sich so krass schnell entwickelt. Also da kommen immer neue Innovationen zu Tage, neue Therapieansätze und neue Medizinprodukte, die den Menschen dann eben eventuell noch besser helfen können. Ein Teil davon zu sein und am Ende vielleicht sogar einen Unterschied machen zu können, ist schon ziemlich beeindruckend für mich. 

A. B.: Ich habe glaube ich, so ein bisschen ähnliche Motivationen herausgehört, die Sie auch schon beschrieben haben für Ihre Studienwahl, würde ich sagen. Also Menschen helfen, eine Arbeit, die für einen selbst einen Sinn hat, für die man brennt. Dann haben manche die aktuelle Relevanz und auch die Anwendungsbezogenheit hervorgehoben. Was sind denn zusammengefasst persönliche Voraussetzungen, die man mitbringen sollte, wenn man Studienanfänger:in in der Medizintechnik werden möchte? 

K. S.-L.: Ich glaube, die wichtigste Voraussetzung ist Interesse an diesen breiten Fächergebieten, dass man sich eben nicht nur von vornherein auf ein Gebiet fokussiert. Es muss Interesse da sein an Technikwissenschaften, aber eben auch an den Naturwissenschaften und der Medizin. Also diese Brücke ist ganz wichtig. Ich glaube, wenn man nur das eine oder das andere bevorzugt, wird es schwierig im Studium, weil halt beides auch bespielt werden muss. Man muss in beiden Sachen erfolgreich sein. Man muss natürlich die Punkte bekommen, dass man dann wiederum die Kompetenzfelder wählen kann, die einen auch interessieren, wo es dann auch weitergeht. Das geht dann schon auch so ein bisschen nach Beschränkungen, also manche haben Zulassungsbeschränkungen von Zahlen her. Da kommt es darauf an, wie gut habe ich vorher auch in meinen Fächern abgeschlossen, dass man dann die erste Wahl hat. Ich glaube, das ist die beste Voraussetzung dafür: Das Interesse. Es ist immer schwierig. Wir sprechen immer darüber, wie motiviert man Studierende? Das kann man nicht wirklich tun, wenn sie nicht selbst motiviert sind. Also einen unmotivierten Studierenden kriegen wir nicht motiviert. Da kann man machen, was man will. Und ich glaube, so eine Grundmotivation muss da sein. Und dann muss man schauen, wenn etwas nicht klappt, warum klappt was nicht. Das liegt dann meistens nicht an der Motivation, das liegt dann an anderen Sachen. Aber ich glaube, das ist das A und O, das Interesse und dass man wirklich motiviert ist, in diese Richtung auch abzuschließen. 
 
A. B.: Und eben diese technische oder praktische Begabung ein bisschen mitbringt. Das kann ich mir schon vorstellen. 

K. S -L.: Und so ein bisschen Grundwissen. Aus Erfahrung kann ich sagen, wenn wir jetzt zum Beispiel Abgänger aus dem Gymnasium bekommen, die in der zehnten Klasse Mathe, Chemie, Physik abgewählt haben, dann ist das ungünstig für das Studium, denn die müssen viel nachholen, um wieder da reinzukommen. Das ist sehr schwer zu schaffen. 

A. B.: Ja, da muss man zu viel aufholen. Ist es dann so, dass man auch viel auswendig lernen muss? 

K. S.-L.: Es kommt, glaube ich, eher darauf an, dass man es versteht. Also man hat einen bestimmten Grundstamm natürlich, was man lernen muss. Aber Auswendiglernen hilft einem eigentlich weniger im Studium, vielleicht in den in den ersten Anfängen vom Grundstudium, aber spätestens in den Kompetenzfeldern muss man es anwenden. Also diese Anwendbarkeit des Wissens, was man erlernt hat, der Fähigkeiten, die man erlernt hat, das ist schon auch Schwerpunkt des Studiums. Ich glaube, wenn man was nicht verstanden hat, dann kann man das auswendig gelernt haben und man kann es aber trotzdem nicht einbringen. 

A. B.: Das sogenannte Transferwissen. 

K. S.-L.: Richtig, genau. Da legen wir schon großen Wert auch im Studium, im Bachelorstudium, drauf. Das merken wir dann einfach auch, wenn wir in den Master gehen. Unsere Studierenden sind da sehr gut vorbereitet inhaltlich. Das ist bei uns der Biomedical Technologies, der internationale Studiengang im Master. Da haben wir 24 Plätze jedes Jahr. Während Corona war, sage ich mal, die Hälfte von unseren eigenen Studierenden, aber im Normalfall sind es so 1/3. Die schließen immer sehr gut ab. Die gehen auch sehr gut vorbereitet in dieses Studium rein, weil sie eben schon im Bachelor lernen, dass sie das Wissen anwenden müssen, und dazu muss man es verstehen. Im Master ist es halt weniger diese Wiederholung und Auswendiglernen, sondern da heißt es „lernt jetzt oder wendet das mal an, was ihr gelernt habt im Bachelor“. Da sieht man Unterschiede zwischen den Studierenden, die von außerhalb kommen, die jetzt nicht durch das Bachelorstudium gegangen sind, die das vielleicht nicht so hatten. Das ist auch eine Lernkurve dann, wenn man da jetzt nicht nur auswendig lernt.  

A. B.: Mit welchen Bachelorstudiengängen kann man dann auch in den Medizintechnik Master gehen? 

K. S.-L.: Da gibt es eine breite, unterschiedliche Ausbildung. Wir haben von den Hochschulen, von den Universities of Applied Sciences, sehr viele Bewerberinnen und Bewerber auch die beispielsweise Bioengineering studiert haben. Wir hatten auch von Reutlingen das heißt – ich weiß, dass der Studiengang jetzt anders heißt – die Angewandte Chemie. Da hat man auch eine gute Vorbereitung. Selbst, wenn man Physik, jetzt sag ich mal nur studiert hat, aber hat andere Qualitäten im Bachelorstudiengang als Zusatz vielleicht dazu gemacht, hat man auch gute Chancen oder auch wenn man Biologie studiert hat oder auch Medizin. Letzteres haben wir sehr selten. Wir haben eher die Variante, dass man Medizintechnik studiert und dann in die Medizin geht. Aber wir hatten auch schon ein, zwei oder drei Mediziner drin, die die Medizintechnik dann nochmal studieren wollten im Master. 

A. B.:  Funktioniert es auch andersherum gut? Also die Absolventen von Medizintechnik im Bachelor? Jetzt haben wir diesen Medizintechnik Master in Tübingen, was gibt es da noch für Möglichkeiten? Bietet jetzt zum Beispiel Stuttgart dann etwas anderes an? 

K. S.-L.: Also Stuttgart bietet auch Medizintechnik an. Das ist dann ein deutscher Studiengang, der auch nicht zulassungsbeschränkt ist, weil die einfach auch die räumlichen Möglichkeiten haben, mit starker Ausrichtung auf die Ingenieurwissenschaften. Da geht es dann eher um Medizingerätetechnik. Bei uns sind dann mehr die Implantate und die In-vitro-Diagnostik-Entwicklung. In dieser Medizinschiene, so wie wir es auch im Prinzip im Bachelor schon haben. Das ist dann ausgeprägt im Master. In Tübingen haben wir noch zusätzlich dazu die Strahlenwissenschaften, was man dann auch im weitergehenden Studium studieren kann. Da haben wir dann auch die Besonderheit, dass wir Strahlenwissenschaften mit dem Medizinphysikexperten, mit der Ausbildung dazu machen können. Überall da, wo Röntgengeräte im Betrieb sind, braucht man einen Medizinphysikexperten. Während des Studiums macht man diese Zusatzausbildung, bekommt das Zertifikat und kann dann dort auch als Medizinphysikexperte am Ende arbeiten. Dass ist so ein bisschen eine Arbeitssicherheit, weil man bekommt da auf jeden Fall einen Job hinterher. Das ist zu 100 Prozent gesichert. Da haben wir zu wenig von diesen Expert:innen in Deutschland. Jetzt ganz neu seit diesem Winter haben wir auch noch einen neuen Studiengang in den Strahlenwissenschaften mit Ausrichtung auf künstliche Intelligenz. Das ist auch ein toller Studiengang. Da haben wir alle, die das konzipiert haben, gesagt: „Ach, das würde ich jetzt auch studieren“. 

A. B.: Ja, das ist der große Renner gerade. 

K. S.-L.: Genau. Gerade für dieses Feld Strahlenwissenschaften, da sind ja die ganzen bildgebenden Verfahren, und daher macht natürlich künstliche Intelligenz in der Anwendung absolut Sinn. Das ist auch schon in der Anwendung in der Medizin in der Schnelldiagnose über die Images, die Bilder, die man dort bekommt. Wo sitzt der Tumor, was ist das für ein Tumor? Da ist teilweise eine künstliche Intelligenz intelligenter, schlauer und schneller, als der Mensch das sein kann. Da ist wirklich ein Zukunftsfeld. 

A. B.: Wie stehen denn die Chancen, wenn man sich jetzt für so ein Studium interessiert, auch einen Studienplatz zu bekommen? 

K. S.-L.: Die stehen eigentlich sehr gut. Ich muss eigentlich sagen, weil, es kommt natürlich ein bisschen drauf an, was man für Voraussetzungen mitbringt, was der Notendurchschnitt ist. Wir haben offiziell keinen Numerus Clausus, aber von der Zulassung, in der letzten oder jetzt in dieser Runde, die jetzt eingelassen worden sind, ist, glaube ich, 2,0 der Mindestdurchschnitt gewesen. Wenn man dann einen schlechteren Abschluss hat vom Gymnasium, ist es schon nicht so einfach reinzukommen, weil wir in der Regel eigentlich immer überzeichnet sind. Wir haben 100 Plätze zu füllen für den Bachelor jedes Jahr. Wir hatten jetzt eine Quote –, ich glaube, das waren über 300, die sich beworben haben – von eins zu drei. Im Master in Tübingen für Biomedical Technology sieht es ein bisschen schwieriger aus, weil wir hier nur 24 Plätze immer haben. Da haben wir meistens so zwischen eins zu sechs und eins zu acht als Rate von Bewerber:innen, weil das ist ein internationales Studium, wo wir auch von der gesamten, von der ganzen Welt mittlerweile Bewerbungen haben. Da schauen wir immer, dass es eine gute Mischung ist. Natürlich die eigenen Studierenden, die super vorbereitet sind aus dem Bachelor, haben so ein bisschen dann auch einen Vorteil, wenn man die ECTS anguckt, weil sie einfach alle Inhalte erfüllen. Wir schauen aber auch, dass wir sehr gut verteilt Diversität, aber auch Internationalität vertreten haben von allen Kontinenten. 

A. B.: Ich sag es immer noch dazu, wenn wir aufzeichnen, weil der Podcast dann eine Weile online sein soll, dass das, was so an Zahlen und Fakten kommt, gilt jetzt fürs laufende Wintersemester 2022/23, nur dass wir das noch mal als Datumsmarke drin haben. Dann würde ich tatsächlich schauen, wie es mit den Berufsperspektiven aussieht. Wir haben da vorab Studierende gefragt, wie denn ihre Berufswünsche aussehen. 

Berufsperspektiven (40:26) 

Studi 1: Nach meinem Studium würde ich gerne im Bereich der roboterassistierten Chirurgie arbeiten, weil ich das nicht nur für eine zukunftsrelevante Technologie halte, sondern weil ich denke, dass man hier seine Stärken aus dem Medizintechnik Studium, sprich die Interdisziplinarität, besonders gut ausspielen kann. 

Studi 2: Jetzt nach dem Bachelorstudium mache ich erst mal den Master in Tübingen, aber was ich dann im Anschluss mache, halte ich mir noch offen. Also ich könnte in die Forschung gehen oder in die Industrie. Das könnte ich mir ehrlich gesagt beides recht gut vorstellen. 

Studi 3: Nach meinem Studium möchte ich in der Wirtschaft im Bereich Konstruktion und Entwicklung arbeiten. Deswegen studiere ich den Master in Stuttgart und habe dort den Schwerpunkt Konstruktion in der Medizingerätetechnik gewählt. 

Studi 4: Nach meinem Studium möchte ich eine Stelle als Forschungsingenieur antreten. Dabei hilft mir, dass ich schon während des Studiums als Werkstudent in einem Unternehmen im Medizintechnikbereich arbeiten kann. Und damit schon mal einen Einblick in die industrielle Forschung bekommen konnte. 

Studi 5: Ich möchte nach dem Studium gerne in die Forschung oder Entwicklung und möchte dort Projekte haben und anleiten. 

C. J.: Wir hatten ja gerade auch schon über die Möglichkeiten der Masterstudiengänge gesprochen. Brauche ich den denn überhaupt? 

K. S.-L.: Das kommt darauf an, was sie hinterher machen wollen. Also wenn man promovieren möchte, ist es bei uns derzeit immer noch so, dass man auch den Master braucht. In seltenen Fällen reicht ein Bachelor. Das ist ein bisschen anders, wenn man gerade in die anglosächsischen Länder schaut: Großbritannien, England, Australien, etc. da haben viele gar keinen Master. Aber da ist auch der PhD (Philosophical Doctorate), das Doktorandenprogramm, länger und auch noch ein bisschen unterrichtslastiger mit ECTS, die man absolvieren muss. Das ist bei uns anders. Ich habe vorhin erzählt, der Bachelorstudiengang ist vor allem für eine Einführung gedacht. Man bekommt einen Einblick, man bekommt die Fähigkeiten, einander zu verstehen, fächerübergreifend in den Ingenieurswissenschaften, in der Medizin, den Naturwissenschaften. Aber man geht nicht so sehr in die Tiefe, wie man das vielleicht in einem rein ingenieurswissenschaftlichen Studium machen würde. Deswegen hat man auch eben bestimmte Informationen nicht, man hat die Tiefe nicht. Bei vielen Unternehmen ist es so, dass sie schon bevorzugen, wenn man auch noch mit einem Masterabschluss kommt. Also man kann auch mit dem Bachelor in die Industrie gehen, aber es kommt immer drauf an, was man dann hinterher erreichen möchte. Vorhin hatten wir uns drüber unterhalten, wie ich meine Doktorarbeit angefangen habe. Das habe ich nicht gemacht, weil ich eine Doktorarbeit machen wollte, sondern weil ich eben wusste, nur damit kann man dann irgendwann eigenständig die Forschung betreiben, die man selbst machen möchte. Nicht immer nur unter Anleitung, nicht immer nur mit Vorgaben. Genauso ist es im Prinzip mit Bachelor, Master und einer Promotion. Ich denke, das ist sehr abhängig von den eigenen Karrierewünschen, von den Zielen. Aber ein Master ist für das Wissen und das, was man vermittelt bekommt und die Fähigkeiten natürlich immer von Vorteil. Man lernt nicht schlechte Sachen dazu, sondern man lernt einfach dazu. Man kann dann in einem Master, je nachdem, in welche Richtung man dann geht, Stuttgart oder Tübingen – die unterschiedlichen Ausrichtungen habe ich vorhin auch angesprochen – natürlich auch Schwerpunkte setzen und sich vertiefen. 

C. J.: Um dann natürlich auch, sich für bestimmte Berufsfelder noch weiter zu qualifizieren. 

K. S.-L.: Richtig, genau da geht es dann immer sehr viel auch um Eigenständigkeit. Was kann ich selbstbestimmt hinterher machen in der Forschung, in der Akademie, also in der Universität, oder in Forschungsinstituten oder in der Forschung in der Industrie. Industrie bedeutet nicht immer nur „Ich stehe am Band“, sage ich jetzt mal so ganz salopp, sondern da gibt es ganz tolle Forschungsmöglichkeiten, immer natürlich im Fokus des Unternehmens. Aber da kann man ganz tolle Forschung betreiben in der Industrie. Dazu braucht man aber auch höhere Qualifikationen, wie beispielsweise den Master. 

C. J.: In welchen Bereichen arbeiten die Medizintechnikabsolventen sonst noch so? Können Sie da einen kleinen Ausblick geben? 

K. S.-L.: Wir haben angefangen, Umfragen durchzuführen mit unseren Alumni. Das ist gar nicht so einfach, wenn sie einmal weg sind. Deswegen haben wir das jetzt gekoppelt, dass wenn Sie Ihr Zeugnis abholen bei uns im Prüfungsamt, dann fragt unsere Frau King vom Prüfungsamt immer: „Na, was gibt es dann? Was ist der nächste Schritt?“. Dann haben wir so ein bisschen eine Statistik für uns auch gemacht, haben das erhoben. Das ist sehr unterschiedlich. Also es gehen schon viele nach dem Bachelor erst mal arbeiten. Es gibt auch einige, die dann wieder zurückkommen irgendwann und machen den Master. Es gibt ganz unterschiedliche Branchen. Die Medizintechnik-Branche natürlich ist mit dabei, aber auch Biotech. Das ist sehr stark im Kommen. Auch hier in Tübingen gibt es sehr viele tolle Unternehmen, Möglichkeiten und Forschungsinstitute, die außeruniversitär sind, wo man einen Job annehmen kann. Da sehe ich auch unsere Studierende, dass sie da hingehen. Wir haben aber auch andere Fälle, dass zum Beispiel jemand in eine Unternehmensberatung geht. Das gibt es durchaus, weil auch da sind die Qualitäten wichtig. Wenn man eine naturwissenschaftliche, ingenieurswissenschaftliche Grundausbildung hat, wird das dort gerne genommen. Also sehr unterschiedlich, sehr divers, genauso wie unsere Studierenden auch sind. Das macht Spaß, weil das so unterschiedliche Blickwinkel sind, mit denen man dann in Berührung kommt. Das ist toll für uns als Dozierende, aber auch für die Studierenden selber. 

C. J.: Ja, auf jeden Fall einen Studiengang, mit dem man sich keine Sorgen machen muss, ganz offensichtlich, dass man danach einen guten und auch einen sinnvollen Job finden kann. 

K. S. -L.: Auf jeden Fall. 

A. B.: Kommen wir zum Abschluss, oder? 

C. J.: Ja, mir fall gerade gar keine weiteren Fragen ein. Alex, hast du noch Fragen? 

Insider-Tipps (46:25)

A. B.: Nein. Ich bin jetzt in Gedanken schon tatsächlich auch so bei den Insidertipps. Also wenn ich jetzt kurz vorm Abi stehe oder kurz vorm Studium stehe, in der Phase, in der ich mich orientiere, ob das etwas für mich sein könnte, was wären zum Beispiel Tipps zur weiteren Information oder wo man vielleicht so ein paar Einblicke noch mal mehr bekommt, die Sie mitgeben würden? 

K. S.-L.: Man kann sich natürlich sehr gerne jederzeit ans Studiendekanat wenden. Da haben wir ganz tolle Mitarbeiter:innen, die hier beraten und das auch sehr gerne machen. Gerade die Absolventinnen und Absolventen, die gerade frisch fertig werden, wo sie nicht so genau wissen, oder kurz vor dem Fertigwerden sind, können sich sehr gerne dort melden. Das kommunizieren wir auch immer in den unterschiedlichen Kanälen, die wir gerade zur Verfügung haben, wenn wir den Studiengang vorstellen können. Das findet man alles auch auf der Homepage der Universität, die Ansprechpartner:innen. Da kann man sich zusätzlich informieren. Es gibt natürlich Informationen auf der Webseite selber, auf der Homepage zum Studiengang, zu den Inhalten. Eine gute Quelle sind auch unsere Fachschaften. Da hat man dann auch direkt die Information von Studierenden. Ich sehe es natürlich manchmal anders, als wenn man selbst im Studium drinsteckt. Das ist ein anderer Blickwinkel. Ich glaube, das ist eine gute Quelle, die man anzapfen kann. Auch die Informationen von der Fachschaft, wie man zu der Fachschaft kommt, findet man auf der Webseite. 

A. B.: Also direkt schon in die Kommunikation gehen. 

K. S. -L.: Am besten nicht scheuen, unbedingt viele Fragen stellen. Das ist immer besser.  

A. B.:  Dann sage ich schon mal vielen Dank, dass Sie da waren. Es war ein sehr spannendes Gespräch, auch für mich. Tolle Einblicke. An unsere Hörerinnen und Hörer die Bitte schreibt uns Euer Feedback. Also gerne, was immer Euch einfällt, das, was Euch besonders interessiert oder auch was Euch fehlt an: hochschulreif@uni-tuebingen.de. Da freuen wir uns sehr, wenn wir von Euch hören. Ansonsten werden wir alle weiterführenden Infos in den Shownotes verlinken. Dann sage ich, bis zum nächsten Mal! 

C. J.: Bis zum nächsten Mal! 

K. S.-L.: Vielen Dank. 

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Katja Schenke-Layland über die folgenden Themen: 
06:14 Persönliche Motivation
14:42 Studieninhalte
29:11 Persönliche Voraussetzungen
40:26 Berufsperspektiven 
46:25 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Medizintechnik:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #12: Altorientalische Philologie

Womit beschäftigt man sich in der Altorientalischen Philologie? Was können wir aus jahrtausendealten Texten heute noch lernen? Was kann man mit dem Studienabschluss beruflich anfangen? Und wie sieht der Studienalltag in Altorientalischer Philologie aus? Diese Fragen und viele mehr beantwortet Professor Dr. Andreas Fuchs uns für Euch im Studiogespräch. Auch unsere Tübinger Studierenden geben Einblicke zu Fragen rund ums Altorientalische-Philologie-Studium.

Tags #AltorientalischePhilologie #Mesopotamien #Akkadisch #Sumerisch #Keilschrift
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Alexandra Becker (A. B.): Herzlich Willkommen zur „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch auch heute wieder ein Studienfach vor, damit Ihr wisst, was Euch im Studium so erwartet. Diesmal sprechen wir über das Fach Altorientalische Philologie. Wir, das sind mein lieber Kollege Christoph Jäckle. Hallo Christoph! 

Christoph Jäckle (C. J.): Hallo, Alex! 

A. B.: Und ich bin Alexandra Becker vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen. Für das Fach Altorientalische Philologie haben wir uns Professor Dr. Andreas Fuchs eingeladen. Schön, dass Sie da sind und herzlich Willkommen, Herr Fuchs! 

Prof. Dr. Andreas Fuchs (A. F.): Vielen Dank. 

A. B.: Herr Fuchs, ich stelle Sie kurz vor. Sie sind Professor und Studienfachberater für Altorientalische Philologie. Ihr Fach gehört zusammen mit der Ägyptologie und der Vorderasiatischen Archäologie und Palästina-Archäologie zum Institut für die Kulturen des Alten Orients, kurz IANES. Darüber hören wir gleich sicher auch noch mehr. Ich bin schon sehr gespannt. Lassen wir aber zunächst die Studierenden des Faches zu Wort kommen. Wie immer haben wir vorab gefragt, warum deren Studienwahl auf das Fach Altorientalische Philologie gefallen ist. 

Persönliche Motivation (01:05) 

Studi 1: Wenn man sich für die gesamte erste Hälfte der Weltgeschichte interessiert, dann hat man durch die Altorientalische Philologie den allerbesten Zugriff und kann sich damit das gesamte Geschichtsmaterial für diese Zeit erarbeiten. 

Studi 2: Ich habe damit angefangen, Vorderasiatische Archäologie und Palästina-Archäologie zu studieren und habe dann nebenher angefangen, Akkadisch zu lernen. Das hat mir sehr Spaß gemacht, weil man eben bereits früh auch anfangen konnte, kleinere Texte zu übersetzen, die einem die Alltagswelt und Gesellschaftsstruktur auf eine ganz andere Weise gezeigt haben, wie es der Archäologie gar nicht möglich ist. 

Studi 3: Ich bin ein ganz begeisterter Leser des Alten Testamentes. Das Studium der Altorientalischen Philologie hat mir jetzt geholfen, auch historisch, kulturell da meinen Horizont zu erweitern und viele Dinge auch noch besser zu verstehen und besser einzuordnen. 

Studi 4: Ich habe mich für das Fach Altorientalische Philologie entschieden, weil ich eigentlich angefangen habe, Archäologie zu studieren und gerade in der Vorderasiatischen Archäologie mir immer die zweite Seite, quasi neben der materiellen Kultur, die Textfunde gefehlt haben. Das hat im Grunde das Bild vom Alten Orient so komplementiert, dass ich irgendwann auch die Philologie als Studienfach mit dazu genommen habe, um wirklich den Alten Orient von beiden Seiten verstehen zu können. 

Studi 5: Eine einzigartige Möglichkeit, in die faszinierende Welt der mesopotamischen, also der sumerischen und akkadischen oder auch der hethitischen und der britischen Geschichte und Literatur einzutauchen. 

C. J.: Wenn man den Studierenden hier zuhört, bekommt man schnell den Eindruck, dass das auf jeden Fall schon angehende Experten und Expertinnen auf dem Feld der Vorderasiatischen Archäologie und der Altorientalischen Philologie sind. Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, muss ich gestehen: Ich glaube, ich konnte mit dem Begriff der Altorientalischen Philologie wahrscheinlich zur Abizeit gar nicht so viel anfangen, weil es auch kein Fach ist, das man aus der Schule direkt kennt. Vom Alten Orient hat man vielleicht schon mal was gehört und manche wissen vielleicht auch, was die Philologie ist. Aber wie sind denn so die die Erwartungshaltungen der angehenden Studierenden, die mit dem Fach anfangen? Haben Sie den Eindruck, dass die meisten auch schon wissen, was sie da erwartet? 

A. F.: Bei vielen würde ich sagen, die wissen das schon. Aber bei einigen habe ich auch das Gefühl, dass sie einfach mal sehen wollen, was das so ist. Wenn ich von mir selbst ausgehe: Ich habe mich in meiner Schulzeit schon für alte Kulturen interessiert. Ich bin aber auch erst so im Laufe der Zeit darauf gekommen, dass es so was wie die Altorientalistik überhaupt gibt. Bei mir war das einfach so, dass ich gemerkt habe, dass Ägyptologie, Sinologie, Indologie interessant sind, aber die größte Vielfalt und die größte Buntheit, das bietet doch die Altorientalische Philologie. Und außerdem, wie der eine Student schon gesagt hat, diese Nähe zu unserer eigenen Kultur, die ist bei aller Andersartigkeit eben doch auch gegeben. Das macht noch mal den besonderen Reiz aus. 

C. J.: Wir hatten jetzt auch schon einem Studenten gehört, der auch erwähnt hat, dass er über die Klassische Archäologie zur Altorientalischen Philologie gekommen ist. Kommt es häufig vor, wenn Sie auch sagen, Sie hatten sich zuerst auch noch mit anderen Fächern beschäftigt, die auch am Rande mit der Altorientalischen Philologie zu tun hatten? 

A. F.: Ja, es ist so: Unser Fach bildet zusammen mit der Vorderasiatischen Archäologie im Grunde genommen eine Einheit. Das Archäologische, das Materielle, das ist hauptsächlich Sache der Vorderasiatischen Archäologie. Wir beschäftigen uns mit den schriftlichen Hinterlassenschaften. Aber beides gehört eigentlich zusammen. Wenn jemand zum Beispiel ein Studium der Altorientalischen Philologie beginnt und dann fragt, was für ein Nebenfach er wählen könnte, dann ist die natürliche Antwort, dass man dann sagt, die Vorderasiatische Archäologie, wäre die erste Wahl. 

C. J.: Weil ich natürlich auch das Knowhow haben muss: Wie komme ich überhaupt an diese fragmentarischen Schriftstücke, an die Überlieferungen? Und dann aber wahrscheinlich auch häufig das Interesse besteht, das Ganze zu entschlüsseln und kulturell einzuordnen. 

A. F.: Und die Archäologie ist natürlich berühmter, bekannter. Also viele unserer Student:innen, die fangen erst mal mit der Archäologie an und kommen dadurch dann überhaupt erst darauf, dass es uns gibt. Deswegen sind wir der Archäologie schon aus diesem Grund immer sehr dankbar. 

C. J.: Ja, ich glaube, bevor wir weiter einsteigen, sollten wir ganz bald damit beginnen, auch die wichtigsten Begriffe und Zeiträume zu klären, mit denen wir uns in der Altorientalischen Philologie beschäftigen. Und wir hören uns dafür einmal an, wie eine typische Studienwoche von Bachelor-Studierenden aussieht und mit welchen Inhalten, die sich so beschäftigen. 

Studieninhalte (05:50) 

Studi 1: Ja, eine typische Woche, wenn man Altorientalische Philologie studiert: Am Anfang des Studiums stehen erst mal die Sprachkurse, also Akkadisch und Sumerisch. Sobald man da Grundkenntnisse letztendlich erlangt hat, besteht das Studium neben einzelnen Vorlesungen vor allem aus Lektürekursen. Also man bereitet Texte vor, indem man sie zu Hause übersetzt, die Keilschrift umschreibt und das Ganze dann im Kurs eben bespricht. Es werden Fragen geklärt, man kann den Text noch mal interpretieren und in größeren Zusammenhang setzen.  

Studi 2: In den ersten Semestern muss man natürlich zunächst die Sprachen erlernen, die grundlegend für das Studium der Altorientalischen Philologie sind. Bei uns in Tübingen liegen die Schwerpunkte zum Beispiel beim Sumerischen, der ältesten überhaupt schriftlich belegten Sprache, und dem Akkadischen. In den folgenden Semestern belegt man dann Lektürekurse, in denen man die erlernten Sprachen anwendet, und Originaltexte aus verschiedenen Epochen und verschiedener Art liest. Seien es zum Beispiel literarische Texte, Verwaltungs- und Rechtstexte oder astronomische Texte. Da in jedem Semester mehrere solcher Kurse angeboten werden, kann man dann auch seinen eigenen Interessen folgen und immer die Kurse belegen, die einen wirklich interessieren. 

Studi 3: In den ersten Semestern geht es vor allem auch darum, die grundlegenden Sprachen zu erlernen und dann gibt es eine enorme Möglichkeit, sich zu entfalten. Man kann viele Wünsche auch einbringen. Die Woche besteht dann daraus, in den verschiedenen Kursen Texte vorzubereiten, seien es sumerische Gesetzestexte, die schon 4000 Jahre alt sind, seien es historische Annalen aus Babylonien, sei es der Kyros-Zylinder, seien es literarische Werke der Weltliteratur, die man dann Woche für Woche vorbereitet, übersetzt und entsprechend sich erarbeitet. 

A. B.: Ich glaube, man hat jetzt schon mal einen guten Eindruck bekommen, wie viel Arbeit darin steckt, erst mal diese Sprachen zu lernen, damit man dann die Originaltexte überhaupt lesen kann. Für den Überblick, dass wir das ein bisschen abstecken, um welche Zeitspanne und um welche Regionen geht es denn genau in dem Fach? 

A. F.: Also von der Zeitspanne her ist die sehr, sehr lang: So etwa 3000 vor Christus bis um Christi Geburt. Deswegen bezeichnet es einer der Studenten als die erste Hälfte der Menschheitsgeschichte. Das stimmt auch. Es geht eigentlich um den gesamten Raum des Vorderen Orients, also ausgenommen Ägypten, denn Ägypten wird ja von einem eigenen Fach, der Ägyptologie betreut. Bei uns steht dann Mesopotamien, also der heutige Irak, im Mittelpunkt. Dazu gehören aber auch die benachbarten Länder. Interessant ist für uns natürlich auch der Iran, die Türkei, Syrien, Libanon bis hin nach Israel, das aber dann wiederum von der Biblischen Archäologie und den Alttestamentlern eher behandelt wird als von uns. 

A. B.: Und mit welchen thematischen Bereichen beschäftigen sich die Studierenden dann, also innerhalb dieser Bereiche? 
 
A. F.: Bei der Frage müsste ich Sie jetzt eigentlich fragen, wie viel Zeit wir überhaupt haben, weil das extrem viel ist. Es kommt immer darauf an, was für Interessenschwerpunkte man selbst hat. Also die Religionsgeschichte ist natürlich eine sehr wichtige Sache. Gerade diejenigen, die von der Theologie her zu uns kommen, die sind natürlich daran interessiert. Aber es gibt unendlich viel Anderes. Die Ereignisgeschichte ist natürlich ein wesentlicher Schwerpunkt. Das ist zum Beispiel meiner. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich mit der Gesellschaft, also mit der Gesellschaftsgeschichte zu beschäftigen. Rechtshistoriker sind an uns interessiert, weil wir die ältesten Rechtstexte überhaupt haben. Wirtschaft und Verwaltung stehen auch im Vordergrund, vor allem schon deswegen, weil die meisten Texte, die wir haben, aus diesem Bereich stammen, aus dem Alltag. Man kann aber auch Literaturgeschichte betreiben. Die meisten haben schon mal was vom Gilgamesch Epos und von ähnlichen Texten gehört. Das sind natürlich die absoluten Highlights. Solche Texte werden nur selten gefunden, aber dann ist die Begeisterung doppelt so groß. Dann gibt es noch die Wissenschaften, auch das ist etwas sehr Spezielles. Also wenn Sie zum Beispiel jetzt sich für Astronomie interessieren und astronomische Texte bei uns lesen wollen, müssten Sie eigentlich schon wieder Vorkenntnisse über die Astronomie mitbringen. Bei Mathematik ist es genauso. Da gebe ich offen zu: Die Babylonier haben von Mathematik leider sehr viel mehr verstanden als zum Beispiel ich. Es gibt also sehr viele Bereiche, mit denen man sich beschäftigen kann. Damals war es so, dass zur Wissenschaft auch so was wie Magie, Zukunftsforschung, Astrologie und solche Sachen gehört haben. 

C. J.: Wie muss man sich das denn vorstellen? In welcher Form liegen denn diese 3000 Jahre alten Texte vor? 

A. F.: Das sind Keilschrifttexte. Das ist die Art von Texten, mit denen wir uns beschäftigen. Das sind Tontafeln oder auch Steine, auf die dann ein Keilschrifttext eingemeißelt worden ist. Die Tontafeln selbst sind so etwa Streichholzschachtelgroß meistens und da ist in relativ winziger Schrift dann der Text in Keilschrift eingedrückt. Also man schrieb nicht mit Tinte oder so etwas, wie wir das heute tun, sondern man hat die verschiedenen Zeichen in den Ton eingedrückt. Da muss man dann auch schon wieder sehr spezialisiert sein, weil in jeder einzelnen Epoche etwas anders geschrieben wird – man hatte etwas andere Schreibgewohnheiten. Wenn Sie jetzt zum Beispiel einen Altorientalisten haben, der sich für das dritte Jahrtausend interessiert, sich da spezialisiert hat, der könnte nicht einfach einen Text aus dem ersten Jahrtausend nehmen und das wie eine Zeitung runterlesen. 

C. J.: Und lerne ich dann als Bachelorstudent:in die wichtigsten Schriftzeichen oder wie muss ich mir das vorstellen? Gibt es eine Grammatik? 

A. F.: Ja, selbstverständlich. Also Sie lernen immer zweierlei Dinge gleichzeitig. Das geht immer parallel. Einerseits lernen sie die Sprachen, das wurde auch schon angesprochen, das Akkadische, also die Sprache der Babylonier und Assyrer, und das Sumerische, die Sprache der Sumerer. Daneben muss man immer die Schrift erlernen. Die Sprache allein nützt nichts, die Schrift allein natürlich auch nicht. Diese Schrift ist recht kompliziert. Es ist keine Buchstabenschrift. Das ist eine Mischung aus Wortzeichen und Silbenzeichen. Die Zeichen verändern sich auch im Laufe der Zeit. Also man muss dann bei jeder einzelnen Epoche sich das Ganze noch mal neu anschauen. Deswegen besteht das Studium daraus – also mindestens das Bachelor-, aber auch das Masterstudium – den Studierenden möglichst viele unterschiedliche Epochen, möglichst viele Textgattungen zu zeigen, das vorzuführen, damit man natürlich dann erst einmal weiß, worauf man sich spezialisieren kann oder möchte. Das kann man erst dann sinnvoll tun, wenn man schon viel über diese Dinge weiß. 

A. B.: Das klingt schon auch sehr zeitaufwendig. Wie viel Raum nimmt denn das Sprachenstudium ein? 

A. F.: Es ist eine philologische Wissenschaft. Das heißt, dass natürlich die Sprache im Vordergrund steht. Das ist das Handwerkszeug, die Sprache und die Schrift, das man braucht, um die Texte überhaupt erschließen zu können. Wenn man das dann geschafft hat, dann kommt der zweite Schritt, in dem man dann versucht, das, was man da gelesen hat, zu deuten, daraus etwas zu machen, das in Beziehung zu setzen zu anderen Informationen, die man hat. Aber die Sprache und Schrift sind von existenzieller Bedeutung. Diese beiden Elemente sind es, mit denen man sich in den ersten drei Semestern des Studiums hauptsächlich befasst, also das reine Erlernen dieser Stimme. Danach braucht man es aber. Um da überhaupt hineinzukommen, muss man die Sprachen lernen. Es ist aufwendig, das stimmt schon. Also so einfach mal nebenbei macht man das nicht. 

A. B.: Nach den drei Semestern kann man dann aber auch schon die Texte im Original ansatzweise lesen? 

A. F.: Das kommt auf die Texte selbst an. Aber das ist tatsächlich so, dass wir unsere Student:innen so ausbilden, dass die nach dem zweiten Semester relativ gut etwa mit dem Gesetzestext des Königs Hammurabi von Babylon auskommen. Da hat man dann ein Zeichenrepertoire erworben, mit dem man schon recht gut klarkommt. Es ist so, dass ein berühmter altdeutscher Philologe mal gesagt hat, dass man Keilschrifttexte eigentlich nie wirklich liest, sondern sie immer nur entziffern kann. Daran sehen Sie ungefähr schon, wie sich das dann etwa anlässt. Aber wenn man zum Beispiel auf eine bestimmte Textgattung in einer bestimmten Epoche spezialisiert ist, dann ist das durchaus so, dass man einen Text auch mal hernehmen kann. So: Ach ja, das ist das und das. Die Person, die kenne ich. Das geht dann schon. Aber ganz einfach ist es eigentlich nie. Das ist auch die Herausforderung. 

C. J.: Ist da ein Großteil von den überlieferten Funden, die häufig wahrscheinlich auch nicht mehr so gut erhalten sind, schon übersetzt und wird mit den Übersetzungen gearbeitet? Oder wird da auch noch ganz viel Pionierarbeit geleistet und werden nach wie vor Funde entdeckt, die dann erst mal auch noch übersetzt werden müssen? 

A. F.: Also Funde gibt es immer wieder. Ich würde mal sagen, fast die wenigsten Keilschrifttexte sind so bearbeitet und publiziert, dass jemand, der außenstehend ist, also nicht zum Fach gehört, einfach gleich damit arbeiten kann. Ein Altorientalist würde das sowieso niemals machen, einfach nur mit der Übersetzung zu arbeiten. Das ist selbstverständlich, dass man natürlich dann in den Text schaut, weil es natürlich auch um das Vokabular, um die Spezialbegriffe und diese Dinge geht. Aber es ist ein sehr forschungsintensives Fach, das muss man sagen. Das ist auch das Schöne. Man wird dann als Student:in relativ früh in diese Forschung mit einbezogen. Der Sinn der Veranstaltung ist nicht, dass man wie in der Schule dann einfach das dann so runterbetet und immer wieder dasselbe macht, sondern dass man sich an die Forschung an klinkt und da auch die neueren Sachen vorstellt, die jetzt gerade erschienen sind, herausgebracht worden sind. Also da ist noch sehr viel zu tun. Da gibt es sicher noch in vielen Museen Kisten mit Tontafeln, die überhaupt noch gar nie ausgepackt worden sind. Also an Arbeit fehlt es nicht. 

A. B.: Sie haben gerade schon gesagt, wie man sich diese eigentlichen Texte auch vorstellen kann mit diesen streichholzschachtelgroßen Tontafeln. Jetzt stelle ich mir vor, dass die Studierenden nicht über diesen Tontafeln sitzen, sondern wahrscheinlich mit Digitalisaten von diesen Sachen arbeiten. Oder hat man tatsächlich auch mit den Quellenfunden zu tun? 

A. F.: Die meisten Quellenfunde liegen natürlich in Museen. Wir haben aber hier in der Universität Tübingen eine kleine eigene Keilschrifttafelsammlung, wo die Studierenden, die etwas weiter sind, so etwas auch mal direkt in die Hand nehmen dürfen. Das geht dann schon. Aber in den ersten Semestern geht es erst einmal darum, nur die Schrift und die Sprache zu erlernen. Das geht dann mit normalen Kopien, also in Papierform oder eben digital. Die Digitalisierung hat da natürlich Hervorragendes für uns bewirkt. Also man kann auf diese Weise sogar dreidimensional Tontafeln darstellen. Das kann man jetzt in einer Weise machen, wie das noch vor 15 Jahren oder so vollkommen unvorstellbar gewesen wäre. Die Sache ist natürlich die: Ich meine, darauf müsste man auch hinweisen, dass die meisten Texte, die wir haben, kaputt sind. Selbst bei so etwas wie das Gilgamesch-Epos, da haben wir nur einen Teil dessen, was es gab. Das sind alles Zufallsfunde. Das liegt dann zwei- bis dreitausend Jahre im Boden. Wenn da jemand durchgräbt oder eine Überschwemmung kommt, oder was auch immer, geht unendlich viel kaputt. Also das, was wir haben, ist nur das, was zufällig erhalten geblieben ist von etwas, was viel, viel umfangreicher, viel, viel größer war. Da muss man immer dankbar sein. Aber man sieht eben dann auch, was fehlt. Das Schwierige sind die kaputten Texte und das Zusammenfügen der Fragmente. Das Britische Museum, zum Beispiel, ist voll mit Tausenden von Textfragmenten, die man immer noch nicht zusammengefügt hat. Bei einigen wird es nie möglich sein, wenn von dem Text nur ein Fragment übrig ist. Da gibt es immer wieder Überraschungen. Das ist das Schöne. Das hört nicht auf. 

A. B.: Ja, ich kenne das auch aus der Altgermanistik. Da hat man auch teilweise die Sachen auseinandergenommen und dann als Buchdeckel verwendet für andere Sachen. Heute freut sich jemand, wenn wir noch mal so ein Fragment irgendwo finden, von der Handschrift, die eigentlich schon längst nicht mehr existiert. 

A. F.: Ja, bei uns ist der Vorteil, dass man die Tontafeln für nichts mehr gebrauchen kann. Man hat die weggeworfen, man kann sie aber nicht recyceln. Also das, was man im Mittelalter mit Pergament zum Teil gemacht hat, dass man das abschabt und wiederverwendet, das geht gar nicht. Deswegen wurden unsere Texte immer ganz weggeworfen, so wie sie waren. Dann liegen die irgendwo. Und wenn dann nichts passiert und niemand sie absichtlich kaputt macht, darauf trampelt oder so, dann sind die eben noch da. Das sind – das vergisst man immer – die Originaltexte, die wir haben. Aus vielen Bereichen der Geschichte haben wir nur Texte von Historikern, die Jahrhunderte nach den Ereignissen das mal geschrieben haben, aber die das gar nicht mehr selbst erlebt haben. Wir haben zum Teil die Originalbefehle von Königen, die Originalberichte über Dinge, die passiert sind. Das ist das, was die Leute damals an Briefen, an Mitteilungen direkt bekommen haben. Man schaut sozusagen dann dem König über die Schulter und liest das, was der damals gelesen oder vorgelesen bekommen hat. 

A. B.: Ist das eigentlich so elitär gewesen, dass die Schriftlichkeit nur in bestimmten gebildeten Gruppen existiert hat? Und das, was man dann als Text erhalten hat, ist auch wieder nur aus einer bestimmten Bevölkerungsschicht, die selbst schreiben kann oder schreiben lässt? 

A. F.: Ja, das ist so. Es ist nicht klar, wie groß der Anteil der Bevölkerung war, der lesen und schreiben konnte. Wahrscheinlich sind das weniger als 2 % gewesen, wenn das überhaupt so ist. Damals war es so: Wenn Sie lesen und schreiben konnten, waren Sie Spezialist, im Grunde ein Spezialhandwerker. Und nicht alle, die lesen und schreiben konnten, konnten alles lesen und schreiben. Der Codex Hammurabi ist zum Beispiel in einer Schrift geschrieben, die auf alt getrimmt ist. Ein normaler Schreiber, der auf dem Markt irgendwelche Verträge aufgesetzt hat für Leute, konnte das gar nicht lesen, da musste man eine spezielle Ausbildung haben. Man sagt, wenn man damals eine vollständige Ausbildung als Schreiber haben wollte mit allem, da war man genauso lange beschäftigt wie heute, wenn man das Abitur macht. Und wer konnte sich damals das schon erlauben? Die Phasen sind unterschiedlich. Also es gibt auch Zeiten, in denen man dann sieht, dass normale Leute selbst Briefe schreiben, zum Teil sogar die Frauen von Kaufleuten und so. Da war dann die Keilschrift relativ weitverbreitet. Aber Kaufleute waren auch nicht alle. In anderen Zeiten war es so, dass man Schreiberfamilien hat, also die das Wissen nur in der eigenen Familie möglichst weitergeben wollten. 

C. J.: Wie muss ich mir den Schreibvorgang vorstellen? Ich habe dann eine nicht gebrannte Tonplatte und drücke dort mit verschiedenen Quellen dann die einzelnen Zeichen hinein, wie mit der Druckmaschine später, oder wurde das geritzt? 

A. F.: Ja, es wird eingedrückt, das stimmt schon. Man hat das in der Hand, so wie wir etwa einen Stift halten. Dann drückt man immer mit der Spitze dieses Griffels auf den Ton. Dadurch entsteht eben durch dieses Eindrücken diese Keilform. Aber man drückt nicht das ganze Zeichen ein, sondern durch die verschiedenen Eindrücke nacheinander kommt dann das Bild des Zeichens. Aber man zieht den Stift nicht und man kann auch keine Kreise oder so etwas auf Ton machen. Das sieht furchtbar aus. Also man kann es nur drücken. Das geht aber sehr schnell. 

A. B.: Gibt es da eigentlich auch Verzierungen? 

A. F.: Weniger. Das ist eigentlich alles recht spartanisch. Das ist der Unterschied zu den Hieroglyphen, in denen dann Männlein und Vögel und alles über das Bild laufen. Das sieht dann lebendig aus. Bei uns ist das alles ausgesprochen abstrakt, was natürlich genau damit zu tun hat, dass man auf Ton nicht wirklich gut zeichnen kann. Man kann modellieren. 

C. J.: Haben Sie das selbst schon mal versucht?  

A. F.: Ja.  

A. B.: Aber da braucht man wahrscheinlich eine Brennerei? Oder muss man den Ton nur trocknen lassen? 

A. F.: Nein, eine Brennerei brauchen Sie gar nicht. Die meisten Tontafeln sind nicht gebrannt. Das ist ein Holzmangelgebiet, Mesopotamien. Nur ganz wichtige Texte hat man gebrannt. Der Rest ist ungebrannt. Das ist das Problem, wenn man die findet. Wenn man da keinen Spezialisten dabei hat von einem Museum, der dann eine solche Tafel behandeln kann, dann gibt das böse Überraschungen. Wenn Sie da einfach mal zugreifen, dann haben Sie sehr wahrscheinlich nur noch Sand in der Hand. Das muss man vorher alles nachbrennen, damit das dann erhalten bleibt. Auch das ist nicht so einfach. Steininschriften sind natürlich schön. Wenn das in Stein gemeißelt ist, da kann dann nichts passieren. Aber das meiste, was wir haben, sind Tontafeln. Auf Leder hat man auch geschrieben. Pläne, Stadtpläne oder so etwas hat man auf Leder dann gezeichnet und auch beschriftet. Aber das ist natürlich nicht erhalten geblieben. 

A. B.: Also das meiste ist dann Ton und dann hat man Leder gehabt und Stein.  

A. F.: Metall auch. Wir haben sogar Gold-Täfelchen. In meiner Dissertation habe ich sogar einen Hinweis auf einen Lapislazuli-Täfelchen thematisiert. Also Edelsteine kann man auch beschriften, Halbedelsteine sowieso. 

C. J.: Das muss man sich nur leisten können. 

A. F.: Ja, so ist es. Das sind immer Königsinschriften dann natürlich. 

C. J.: Spannend. Wenn wir noch mal auf die Inhaltsseite schauen. Es wurde jetzt schon von Ihnen erwähnt – und auch in dem Einspieler kam es vor – dass der inhaltliche Korpus, mit dem sich das Fach beschäftigt, extrem groß ist. Also es geht um literarische Texte, um juristische Texte, um welterklärende Texte, religiöse Texte. Gibt es in Tübingen einen Schwerpunkt, mit dem Sie sich hier beschäftigen und mit dem sich auch die Studierenden beschäftigen? Oder von was hängt es da letztlich ab, mit welcher Art von Texten, die Studierenden sich beschäftigen in ihrem Studium? 

A. F.: Man muss da unterscheiden zwischen dem Forschungsschwerpunkt an einer Universität und dem, was gelehrt wird. Man muss natürlich den Student:innen eine möglichst große Vielfalt unterschiedlicher Themen bieten. Das ist die eine Sache. Aber natürlich ist jeder Altorientalist irgendwie spezialisiert. Das war, glaube ich, um die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, als es noch Altorientalisten gab, die von sich sagen konnten, dass sie das gesamte Fach beherrschen, anders. Das ist schon längst nicht mehr so. Also hier in Tübingen haben wir dann schon unsere eigenen Schwerpunkte: Gesellschaftsgeschichte, Rechtsgeschichte. Ich mache hauptsächlich Ereignisgeschichte. Das erste Jahrtausend, das Neuassyrische Reich, das ist mein spezieller Schwerpunkt, aber auch noch durchaus anderes. Für das Studium kommt es aber wie gesagt darauf an, dass man möglichst eine große Vielfalt vorstellt, weil jeder Student oder jede Studentin auch unterschiedlich ist. Jeder hat andere Interessenschwerpunkte und darauf muss man eingehen. Das machen wir bei uns dadurch, dass unser Studienprogramm auch sogenannte Wahlmodule enthält. Da kann man sich in anderen Fächern mal so umschauen, was die so machen, wenn man da etwas Interessantes findet. Jemand, der sich für Sprachen interessiert, der kann noch, sagen wir mal, Hebräisch oder Arabisch dazu machen. Jemand, der sich, sagen wir mal, für die Ereignisgeschichte interessiert, kann zu den Historikern gehen, sich da Handwerkszeug erwerben. Also wir wollten da so ein bisschen weg von diesem Korsett des Bachelor- und Mastersystems, in dem dann alles verschult ist und alles vorgeschrieben ist von Anfang bis Ende. 

A. B.: Und mich interessiert tatsächlich auch noch, wie jetzt zum Beispiel so ein Lektürekurs ganz konkret aussehen kann. Haben Sie da noch ein Beispiel, was ein Thema in einem Seminar sein könnte? Was sind das dann zum Beispiel für Perspektiven? 

A. F.: Das kommt natürlich dann auf den Text jeweils an. Wenn es ein historischer Text ist, kann das natürlich ein Ereignis sein. Es kann eine bestimmte Person sein, um die es geht, ein König oder so. Wenn das ein Wirtschaftstext ist, kann es sein, dass man sich mit einer bestimmten Struktur, mit bestimmten Verwaltungsabläufen beschäftigt. Wenn es um so etwas wie Zukunftsdeutung geht, muss man sich anschauen, wie das entsprechende Prozedere ist, bei dem man die entsprechenden Rituale dann durchführt, um zu einem Ergebnis zu kommen. Das kann man so allgemein nicht sagen. Das Wesentliche ist aber, dass man das Sprachliche und auch die Schrift selbst, dass man das so weit erschließt bei der Vorbereitung, dass man dann eben folgen kann und dass man darauf aufbauend dann darüber sprechen kann. Denn nur dann kann man mitreden. 

C. J.: Und es wurde jetzt auch schon erwähnt, dass häufig auch die Archäologie als Nebenfach empfohlen wird. Was sind sonst noch gängige Nebenfächer, die die Studierenden wählen? 

A. F.: Wenn ich von unserem Institut ausgehe, ist das natürlich noch die Ägyptologie. Das ist die Kultur, die parallel zu den Kulturen existiert hat, mit denen wir uns beschäftigen. Davon abgesehen gibt es noch verschiedene andere Archäologien, die man auch wählen kann. Die Ur- und Frühgeschichte zum Beispiel, die hat und vermittelt eben hervorragende technische Mittel, technische Kenntnisse, die ganz ausgezeichnet sind. Davon abgesehen kommt es eben wieder auf die Interessensschwerpunkte an. Sprachwissenschaften aller Art sind natürlich auch sehr praktisch, wenn man die Altorientalische Philologie eher über die sprachliche Schiene betreiben will. Es gibt auch Leute bei unseren Student:innen, die interessieren sich jetzt gar nicht unbedingt für Geschichte oder Religionsgeschichte, sondern für die ist es die Sprache selbst, die im Vordergrund steht. Die sammeln dann regelrecht Altorientalische und sonstige Sprachen. Es gibt auch mehr Sprachen als die, die wir hier anbieten können. Welche Sprachen man studieren kann, hängt immer auch von dem Studienort ab. Das ist sehr unterschiedlich. Das ist immer auch die Spezialisierung der Dozenten, die dann so etwas erlaubt oder auch nicht. 

A. B.: Viele wählen ihr Nebenfach tatsächlich auch nach ihren individuellen Interessen. Und wir haben unter anderem die Studierenden auch gefragt, was sie denn am Studium so begeistert. Hören wir da mal rein. 

Persönliche Voraussetzungen (29:40) 

Studi 1: Was ich am Fach mag, ist vor allem, dass es einen Einblick letztendlich von Innen in den Alten Orient, in die verschiedenen Epochen und die verschiedenen Regionen gibt anhand der Schriftzeugnisse. Also es ist möglich, zum Teil nachzuempfinden, wie Leute letztendlich vor 4000 Jahren zum Beispiel gelebt haben und wie sie den Alltag gesehen haben, wie sie miteinander gehandelt haben, wie sie auch Religion verstanden und praktiziert haben. Das ist total spannend, wenn man das im Original lesen und verstehen kann und das dann auch vergleichen kann. 

Studi 2: Was mich begeistert an der Altorientalischen Philologie ist, dass man von Beginn an so ein bisschen schon Teil der Forschung ist, denn alles, was man lernt, ist immer noch zum Teil offen. Es gibt ungelöste Probleme in der Grammatik, man findet immer wieder in Texten Dinge, die auch in den maßgeblichen Bearbeitungen vielleicht noch gar nicht richtig sind, wo man Dinge korrigieren kann. Man hat also ganz viele Möglichkeiten, wenn man so einen Pioniergeist hat, sich einzubringen, zu hinterfragen, mitzuarbeiten an der weiteren Erschließung der Texte. 

Studi 3: Ich finde es faszinierend, alte Sprachen zu studieren, die keiner mehr sprechen kann und die teilweise noch gar nicht ganz entziffert sind. Vor allem, wenn man sich darüber bewusst wird, dass es sich dabei um die ältesten Sprachen handelt, die wir überhaupt noch nachvollziehen können. Einfach deswegen, weil sie die Ältesten sind, die schriftlich bekannt sind. Und gerade diese ältesten Schriftzeichen, die Keilschrift zu erlernen, die kaum jemand lesen kann und in der man die Entstehung der Schrift einen der wichtigsten Schritte in der Entwicklung der Menschheit nachvollziehen kann, zu erlernen, ist wirklich sehr spannend. 

Studi 4: Solch ein intensives, historisch und sprachwissenschaftlich orientiertes Studium ist zwar nicht mühelos, aber es ist auf jeden Fall der Mühe wert. 

C. J.: Das ist doch eine schöne Zusammenfassung. Man merkt den Studierenden auf jeden Fall ihre Begeisterung an und merkt auch, für welche unterschiedlichen Bereiche sie sich begeistern. Es sind auch einige Begrifflichkeiten gefallen, die wir im Verlauf unseres Gesprächs auch schon hatten. Also zum einen, dass Sie sich schon früh als Forschende begreifen, auch einen gewissen Pioniergeist spüren oder entwickeln. Haben viele Studierende auch ein ganz starkes historisches Interesse? Das kam mehrfach auf. 

A. F.: Ja, wenn man das nicht hätte, würde man so ein Fach wahrscheinlich nicht studieren. Das sind Sprachen, die längst nicht mehr gesprochen werden. Das ist alles historisch. Wobei man natürlich immer eines sagen muss: Die Kultur, die Zivilisation ist sehr viel älter als der Bereich, mit dem wir uns beschäftigen. Nur bei uns ist es eben so, dass wir durch die Texte auch Namen haben. Also wir wissen, wer da agiert hat, was da passiert ist, wie Menschen miteinander umgegangen sind, was sie gedacht und geglaubt haben. Das ist das, was bei den Kulturen, vor Erfindung der Schrift, eben noch nicht möglich ist. 

C. J.: Wir haben uns gefragt bei der Recherche für die Folge, warum denn neben Englisch auch sehr gute Französischkenntnisse gefordert werden. Ist da viel auf Französisch geforscht worden oder was ist da der Grund? 

A. F.: Das Problem ist, dass dieses Fach sehr klein ist. Also in Deutschland haben wir eine ziemlich große Dichte an Altorientalischen Philologen. Die größte weltweit, muss man sogar sagen. Aber es kommt immer drauf an, welche Nation es war, deren Archäologen im Vorderen Orient das eine oder das andere ausgegraben haben. Und dann ist es natürlich so, dass das immer die eigenen Leute sind, die das dann auswerten. Es gab französische Archäologen, die wichtigen Dinge, also wichtige Grabungsstätten hatten und ausgegraben haben. Alles, was da publiziert wird, und alles, was da philologisch ausgewertet wird, ist natürlich dann Französisch. Also wenn man das dann nicht kann, dann sollte man sich vielleicht nicht gerade auf diesen Bereich spezialisieren. Also das Englische ist natürlich die bei weitem wichtigste Sprache, also ohne die geht es gar nicht. Aber Französisch ist natürlich auch wichtig. Auch Italienisch ist kein Fehler, wenn man es kann. Eine Zeit lang war sogar auch Russisch gar nicht mal so uninteressant. Das kommt immer drauf an, was man da genau macht, in welcher Epoche man ist. Bestimmte Epochen sind eben bestimmten Nationen fast schon vorbehalten. 

C. J.: Machen dann viele Studierende auch einen Auslandsaufenthalt, ein Auslandssemester im englischsprachigen oder französischsprachigen Ausland? 

A. F.: Ja, das kann man machen. Aber das ist natürlich in den letzten Jahren auch durch Corona und durch diese ganzen Verwicklungen dann nichts geworden. Am besten macht man es aber eigentlich erst nach dem Masterstudium, also wenn man das Ganze dann abgeschlossen hat. Das wäre eigentlich anzuraten. Damit man dann das Studium also zügig auch beendet und dann bereit ist für andere Dinge. Also bei uns ist das Studium auf eine bestimmte Art aufgebaut, die schon bedingt, dass man es dann auch der Reihe nach so absolviert, wie das vorgesehen ist. Also ich würde jedem erstmal raten, das Grundstudium, bis zum Master sogar, oder mindestens mal bis zum Bachelor, an einem Ort erst mal zu machen. Es ist auch nicht viel Zeit. Sie müssen bedenken: In den ersten drei Semestern machen wir gar nichts anderes, als die Grundlagen zu legen. Und dann fangen wir an, uns mit den eigentlichen Dingen zu beschäftigen. Dann wird das eingeübt. Dieses Einüben, das sollte man auch abgeschlossen haben, bevor man etwas Neues anfängt. Dann kommt bald schon die Bachelorarbeit. Das ist jetzt ja gar nicht mal so weit von den Grundlagen entfernt und auch das Masterstudium ist nicht wirklich lang. Das sind gerade mal zwei Jahre und das letzte Semester ist schon wieder der Masterarbeit gewidmet. 

A. B.: Wenn wir jetzt gerade schon bei den Abschlussarbeiten sind, die dann immer auch aktuelle kleine Forschungsprojekte über eine Epoche, die den ersten Teil unserer Menschheitsgeschichte beschreibt, sind: Wie könnte man den Bogen zu uns heute schlagen? Also was sind zum Beispiel Bereiche, die für uns heute bereichernd sind? Warum sollte man die Altorientalische Literatur erforschen? 

A. F.: Wenn Sie sich für die Literatur interessieren, das sind natürlich Probleme, die da angesprochen werden, die allgemein menschlich sind. Die Frage nach der Sterblichkeit des Menschen zum Beispiel im Gilgamesch Epos, die Entstehung der Welt und vieles andere mehr. Wenn Sie sich mit historischen Fragestellungen beschäftigen, dann können Sie natürlich das, was Sie in den Texten haben, sehr gut schon mal in Beziehung setzen mit dem, was heutzutage im Nahen Osten an Kriegen und Ähnlichem passiert. So können Sie das eigentlich mit all diesen Dingen tun. Das ist im Grunde eine andere Welt, das ist schon richtig. Aber diese Welt ist nicht irgendwo auf dem Mars, sondern das ist immer noch die Welt des Menschen. Viele Probleme hatten die Menschen damals auch, genauso wie wir. Sie haben sie vielleicht in anderer Weise gelöst. Sie hatten weniger Technik als wir, aber die Ähnlichkeiten sind schon da. Sie haben sozusagen eine andere Perspektive auf die Dinge, wenn sie sich mit diesen alten Texten beschäftigen. Aber Sie kommen natürlich auf die gleichen Probleme, auf die gleichen Fragestellungen, die wir heute auch haben. Diese andere Perspektive verschafft Ihnen dann auch eine gewisse Flexibilität mit den Dingen umzugehen. Sie lernen dann oder sehen sehr schnell, dass die Art, wie wir die Dinge behandeln, nicht unbedingt die einzig mögliche sein muss und dass man zu anderen Zeiten zu vollkommen anderen Ergebnissen gekommen ist. Auch wenn wir jetzt nicht unbedingt alle diese Ergebnisse von damals aus unserer Sicht vielleicht toll finden, überlegen oder großartig. Aber man sieht, dass es auch ganz anders geht. 

A. B.: Danke für die tolle Antwort. Ich finde die Frage selbst immer sehr spannend, insbesondere für Fächer, die eben historisch arbeiten. Gerade die werden auch oft hinterfragt. Jetzt haben wir noch das Feld: Was mache ich denn nach Bachelor und Master mit diesem Studium? Wir haben dazu auch unsere Tübinger Studierenden befragt, was denn deren Ideen und Vorstellungen sind und hören uns das zuerst an. 

Berufsperspektiven (38:24) 

Studi 1: Obwohl es unzählige Tontafeln auf der ganzen Welt in verschiedenen Museen gibt, die noch darauf warten, entziffert zu werden, ist das Stellenangebot bei uns im Fach leider sehr begrenzt. Trotzdem hoffe ich, irgendwann eine Stelle in der Vorderasiatischen Archäologie ergattern zu können, in der ich eigene Projekte leiten und organisieren kann. Dabei werden mir die Kenntnisse, die ich durch mein Studium der Altorientalischen Sprachen erlernt habe, mit Sicherheit weiterhelfen. 

Studi 2: Ich bin bereits beruflich tätig und arbeite als Evangelist. Da gibt es sehr viele Möglichkeiten: Studieninhalte, Dinge, die ich gelernt habe, in meinem Beruf direkt anzuwenden. Wenn ich insbesondere über Texte des Alten Testaments spreche und dort historische, kulturelle, sprachliche Parallelen und Hintergründe hinzuziehen kann. 

Studi 3: Nach dem Studium möchte ich weiter in dem Bereich arbeiten. Also ich möchte im Grunde weiter archäologisch arbeiten und die Philologie sehr zentral einbinden, um letztendlich aus diesen beiden Sichtweisen der Archäologie und der Philologie ein möglichst komplexes Bild zu gewinnen von einzelnen Zeiten und Regionen im Alten Orient. 

A. B.: Ja, ich denke, ein Punkt, der jetzt schon ersichtlich geworden ist, dass sich einige vorstellen oder wünschen, relativ nah an der Forschung zu bleiben, gegebenenfalls das auch mit der Archäologie zu kombinieren. Das wären die engeren Berufsfelder. Wo können denn Altorientalische Philolog:innen arbeiten? 

A. F.: Was man natürlich als erstes dann immer anführen kann, sind zum Beispiel Museen, aber es sind natürlich nicht so viele. Ich muss ganz ehrlich sagen, es gibt eigentlich an den Universitäten mehr Stellen für Altorientalische Philologen als an Museen in Deutschland. Das ist also eindeutig so. Hinzuzufügen ist außerdem, dass wir in Deutschland eine sehr große Vielzahl an Instituten in verschiedenen Universitäten haben, wo Stellen angeboten werden, immer wieder. Das heißt also, wer wirklich gut ist und sich da sehr engagiert – das ist natürlich dann die unbedingte Voraussetzung – hat eigentlich eine recht gute Chance, zumindest in Deutschland, eine Stelle zu finden. Das gelingt natürlich nicht jedem. Aber es gibt noch nebenberufliche Teilbereiche, in denen man auch unterkommen kann oder wo man vielleicht sogar von Anfang an hinwill. Es will nicht jeder und jede unbedingt in die Forschung, der so etwas studiert. Da wäre zum Beispiel der ganze Bereich der Kulturvermittlung, des Kulturmanagements zu nennen. Auch im Medienbereich gibt es da etliches. Man muss natürlich sehen: Wir vermitteln auch andere Fähigkeiten, als nur die Keilschrift und irgendwelche Sprachen zu beherrschen. Um dieses Studium erfolgreich abzuschließen, muss man eine ganze Reihe an Fähigkeiten entwickeln, wenn man sie nicht schon mitbekommt. Man muss natürlich entsprechend flexibel sein. Man muss zu Problemlösungen in der Lage sein. Man muss eigene Texte verfassen können, nicht nur die der anderen lesen, sondern man muss natürlich auch sich dann verständlich darstellen können für andere. In allen Tätigkeiten, in denen es um Sprache geht und in denen eigenständiges Denken erforderlich ist, ist man recht gut aufgestellt, wenn man ein Studium der Altorientalischen Philologie bewältigt hat. Man muss es auch so sehen: Das ist ein Fach, in dem Sie wieder ganz neu anfangen müssen. Sie müssen eine gewisse Flexibilität mitbringen und die Fähigkeit, sich auf etwas einzulassen, was Sie vorher noch nie so gemacht haben. Und diese Fähigkeit, das ist auch etwas, was man dann im Berufsleben in jedem Falle gut gebrauchen kann. 

C. J.: Kann man sich während des Masterstudiums oder auch während des Bachelorstudiums schon für eine bestimmte Forschungsrichtung spezialisieren? Sodass man dann, wenn man zum Beispiel merkt, dass man sich – nehmen wir jetzt mal nicht die Literatur – vielleicht für die Ereignisgeschichte begeistert, dann die Möglichkeit hat, seine Bachelorarbeit oder die Masterarbeit auch in diese Richtung bereits zu gestalten oder sich ein Thema auszusuchen? 

A. F.: Das Beste, was man sich vorstellen kann, ist wenn ein Student oder eine Studentin sowieso schon weiß, was er will und sich sogar schon ein entsprechendes Thema aussuchen kann. Wir haben, das ist der Vorteil, nur eine recht begrenzte Anzahl von Student:innen und da ist es keine Schwierigkeit, auf den Einzelnen dann auch einzugehen und sich dann auch intensiver mit solchen Dingen zu befassen. 

C. J.: Der Studiengang ist wahrscheinlich auch relativ familiär hier in Tübingen und die einzelnen Dozent:innen und Studierenden kennen sich mit der Zeit? 

A. F.: Ja, das kann man genau so sagen. Wir haben Kurse, die sind nie wirklich groß, da weiß man schon genau, was der Einzelne macht. Das ist manchmal vielleicht auch für die Student:innen nicht so angenehm, weil sie natürlich genau wissen, dass der Dozent, die Dozentin sehr genau weiß, was sie gemacht haben und was nicht. Also verstecken kann man sich da nicht. Das ging mir auch in meinem Studium so. Wenn Sie dann, was weiß ich, mal vielleicht nur zu dritt in einer Veranstaltung sitzen und Sie sind dann nicht vorbereitet, das ist gar nicht angenehm. 

C. J.: Da fällt man schneller auf, als wenn man in einer Vorlesung im Audimax mit 500 anderen Personen sitzt. Also das ist schon ein bedeutender Unterschied, auch für den Studienalltag: Bin ich einer von ganz vielen und kann mich verstecken, kann aber wahrscheinlich auch schneller verloren gehen in Anführungszeichen, wenn ich mich nicht selbst dahinterklemme oder bin ich in einer kleinen Gruppe. 

A. F.: Das ist ein sehr intensives Studium. Auch deshalb, weil man natürlich die Student:innen kennt und sie nicht nur einmal die Woche, sondern mehrfach sieht in den Veranstaltungen. Und weil man im Grunde die Leistungen auch schon ohne Klausuren, ohne Prüfungen, sehr gut abschätzen kann. Dieser enge Kontakt, der bringt das eigentlich schon mit sich. 

C. J.: Wie zeitintensiv ist das Studium dann? Haben die Studierenden zum Beispiel noch Zeit nebenher mal einem Nebenjob nachzugehen, um sich das Studium zu finanzieren? 

A. F.: Ja, das kommt eben auf das eigene Zeitmanagement an, wie man das macht und wie viel man dann selbst investiert, welche unterschiedlichen Bereiche man dann kennenlernen will. Aber das geht schon. Also es gibt auch Student:innen, die sich dann noch was daneben verdienen oder zum Teil auch verdienen müssen. Das ist durchaus möglich. Außerdem sieht das Studium sowieso, also zumindest das Bachelorstudium, ein Nebenfach vor. Um das muss man sich natürlich auch noch kümmern. Das geht, das ist schon so eingerichtet, dass es keine Unmöglichkeit ist.  

A. B.: Jetzt wäre tatsächlich meine Frage: Haben wir einen Bereich, der Ihnen wichtig erscheint, noch nicht angesprochen? 

A. F.: Also vielleicht eine Sache, nämlich wie es dann nach dem Studium weitergeht, wenn man in der Forschung bleiben will. Da muss man auf jeden Fall promovieren, also diese beiden Buchstaben vor dem Vornamen, Doktor:in (Dr.) und Professor:in (Prof.), die muss man sich dann schon erwerben, sonst geht es nicht. 

Insider-Tipps (45:28) 

A. B.: Ja, dann kommen wir doch zur letzten Rubrik: Unseren Insidertipps. Herr Fuchs, haben Sie zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Fach noch irgendwelche Tipps mitgebracht, wo man ein bisschen weiter mal reinschauen kann oder recherchieren könnte? 

A. F.: Es gibt eine ganze Reihe von populärwissenschaftlichen Darstellungen über den Alten Orient. Wenn man erstmal nur reinschauen will, ohne dass man jetzt gleich riesige Bücherberge vertilgen möchte: Da wäre zum Beispiel von Karen Radner, das ist eine Kollegin in München, das Buch: Mesopotamien: Die frühen Hochkulturen an Euphrat und Tigris. Das ist aus der Beck-Wissen-Reihe ein kleines Büchlein, das ist sehr anzuraten. Aus der gleichen Reihe, von unserem Wiener Kollegen Michael Jursa: Die Babylonier. Das mag ich besonders, weil das auf eine sehr nette Art geschrieben ist, so ein bisschen speziell. Oder aber auch wieder ein Gesamtüberblick wäre von Eckart Frahm: Geschichte des alten Mesopotamiens, bei Reclam erschienen. Wenn Sie eines auch nur von diesen Büchern lesen, haben Sie eigentlich schon einen recht guten Einblick, über das, womit wir uns beschäftigen und um was es so in diesem Fach geht. 

A. B.: Ich glaube, Die Babylonier stehen ungelesen in meinem Bücherregal. Vielleicht ist das jetzt der Anstoß. Die Weihnachtslektüre wird: Die Babylonier. 

C. J.: Dann würde ich sagen, nehmen wir doch diese Hinweise alle bei uns in die Shownotes, auf und verlinken die für Euch. Und ich sage auf jeden Fall ganz lieben Dank für Ihren Besuch, Herr Dr. Fuchs! 

A. F.: Ja, ich bedanke mich auch. 

A. B.: Schön, dass Sie da waren! 

C. J.: Spannende Einblicke in ein besonderes Studienfach. Und falls Ihr, liebe Hörerinnen und Hörer, Fragen an uns habt oder Kommentare, dann schickt uns die gerne per E-Mail wie immer an hochschulreif@uni-tuebingen.de und wir freuen uns, wenn Ihr auch in unsere anderen Folgen rein hört. 

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Andreas Fuchs über die folgenden Themen: 
01:15 Persönliche Motivation
05:53 Studieninhalte 
29:44 Persönliche Voraussetzungen
38:23 Berufsperspektiven
45:28 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Altorientalischen Philologie:

  • Frahm, Eckart: Geschichte des alten Mesopotamien, Stuttgart 2013.
  • Jursa, Michael: Die Babylonier. Geschichte, Gesellschaft, Kultur, München 2004.
  • Radner, Karen: Mesopotamien. Die frühen Hochkulturen an Euphrat und Tigris, München 2017.

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #11: Koreanistik

Was macht die Koreanistik als Studienfach so attraktiv? Wie läuft eine typische Studienwoche ab und was unterscheidet den Unialltag in Tübingen von dem an einer koreanischen Universität? Warum ist ein ganzes Auslandsjahr in Korea während des Studiums so wichtig? Und wo arbeiten Korea-Expertinnen und Experten später? Über diese und viele weitere spannende Fragen sprechen wir mit Professor Dr. You Jae Lee. Außerdem verraten Tübinger Koreanistik-Studierende unter anderem, was sie zum Studium bewegt hat und was sie daran so begeistert.

Tags #Koreanistik #Koreanologie #Hangeul #Korea #Ostasien
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Christoph Jäckle (C. J.): Herzlich Willkommen zu „hochschulreif“, Eurem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir haben wieder ein neues Studienfach für Euch vorbereitet und freuen uns, Euch heute die Koreanistik vorzustellen. Wir, das sind wieder meine liebe Kollegin Alexandra Becker und ich, Christoph Jäckle. Hallo Alex! 

Alexandra Becker (A. B.): Hallo Christoph! 

C. J.: Wir sitzen uns heute zum ersten Mal live im Studio gegenüber. Das war bisher wegen der Coronapandemie noch nicht möglich gewesen. Deshalb freuen wir uns, dass wir heute auch unseren Gast aus dem Fach Koreanistik hier in einem normalen Livegespräch gegenüber von uns sitzen haben. Herzlich Willkommen Herr Prof. Dr. You Jae Lee. 

You Jae Lee (Y. J. L.): Guten Morgen, Herr Jäckle. 

C. J.: Hallo! Schön, dass Sie es zu uns geschafft haben. Wir haben in der Vorbereitung schon gemerkt, Sie haben einen sehr vollen Terminkalender und von daher freuen wir uns, dass es jetzt geklappt hat. Sie sind Professor hier an der Universität Tübingen für Koreanistik und Sie leiten das Center for Korean Studies und das King Sejong Institute Tübingen. Ich hoffe, ich habe das richtig ausgesprochen. Der Daumen von Ihnen geht hoch. Das ist das richtige Signal. Bevor wir gleich Näheres zum Studium der Koreanistik erfahren, hören wir uns mal an, warum Tübinger Studierende sich für das Fach Koreanistik entschieden haben. 

Persönliche Motivation (01:21) 

Studi 1: Ich war nach meinem Abitur neun Monate als Au-pair in Südkorea und das mag sich jetzt vielleicht kitschig anhören, aber ich habe mich in diesem Zeitraum einfach in das Land und die Kultur verliebt. Und die Koreanistik war natürlich dann als Studienfach sehr ansprechend für mich.  

Studi 2: Ich hatte schon immer Interesse an Asien und das Interesse an Südkorea kam eigentlich dadurch, dass in meinem Umfeld Südkoreaner lebten und ich viel mit ihnen unternahm. Außerdem habe ich in der Schule zum Beispiel auch über den koreanischen Krieg gelernt und habe mir schon selbst die Sprache etwas beigebracht. 

Studi 3: Ich habe mich für das Fach Koreanistik entschieden, weil ich vorher schon einige Erfahrungen mit Korea gemacht habe und mich vor allem die Kultur, Sprache und Geschichte Koreas interessiert. 

Studi 4: In meiner Schulzeit schon hat mich die koreanische Sprache sehr interessiert. Ich hatte damals schon versucht, Koreanisch auf eigene Faust zu lernen, habe dann aber schnell gemerkt, dass es mit einem Lehrer dann doch einfacher wäre. Und damit zusammenhängend habe ich mich mit dem Land schon sehr viel beschäftigt. Ich finde die koreanische Kultur und wie sie sich auch gerade in der modernen Zeit entwickelt hat, super interessant und damals wusste ich noch nicht so wirklich wohin mit mir. Ich dachte, warum dann nicht einfach meine Interessen mit meinem beruflichen Werdegang verknüpfen. 

A. B.: Ja, Herr Lee, uns ist bei der Vorbereitung aufgefallen, dass tatsächlich das persönliche Interesse und auch die emotionale Verbindung zu Korea bei den Studierenden sehr hoch ist. Und da haben wir uns gefragt, da sich so viele junge Menschen für Korea interessieren, was macht denn die Koreanistik aus Ihrer Sicht so interessant? 

Y. J. L.: Ja, das stimmt. Unsere Studierenden sind alle hoch motiviert und bleiben auch dran bis zum bitteren Ende. Ich vermute, dass mehrere Dinge hier zusammenspielen. Als erstes könnte man sagen, dass die Populärkultur in Korea sehr beliebt ist. Da sind koreanische Fernsehdramen, Filme, die auch inzwischen internationale Auszeichnungen erhalten, aber auch Popmusik. Und das kommt vor allem bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen sehr gut an und ist meistens auch der erste Kontakt mit Korea. Es bleibt aber nicht nur bei der Populärkultur. Korea gehört zu den zehn stärksten Volkswirtschaften der Welt. Das zeigt welche Positionen Korea in der Welt einnimmt und wie sehr Korea sichtbar ist. Was für ein Auto wir fahren, welche Handys wir benutzen. Wir begegnen immer wieder koreanischen Produkten und das zeigt sich in der Wirtschaft und in der Kultur. Und ich glaube, das macht Korea und Koreanistik auch attraktiv. 

A. B.: Dass es einfach auch schon so sichtbar ist für junge Menschen. Welche Vorstellungen bringen denn diese jungen Menschen mit, wenn sie ins Studium kommen? 

Y. J. L.: Ich glaube, die meisten hatten ja schon einen ersten Kontakt mit Korea durch verschiedene Produkte, aber auch durch persönlichen Besuch, Urlaub, Schüleraustausch oder ein freiwilliges Jahr nach dem Abitur. Also die meisten kommen mit einer bestimmten Vorerfahrung und Vorstellungen, die mit dem Studium verbunden sind, nämlich, dass sie Korea und koreanische Geschichte und Kultur näher kennenlernen wollen. Bei den Studienanfängerinnen und -anfängern ist das noch nicht ganz so ausgeprägt, mit welchem Ziel sie das Fach studieren, also mit welchem Beruf das verbunden sein soll, sondern sie studieren aus der Liebe zum Land. Und das ist eine sehr gute Voraussetzung. Und ich habe sehr zufriedene Studierende. 

A. B.: Ja, das ist schön zu hören. Und jetzt interessiert uns natürlich auch, wie denn bei Ihnen der Weg war. Wie kamen Sie selbst zu der Entscheidung Koreanistik zu studieren? 

Y. J. L.: Bei mir ist es jetzt ganz untypisch und ganz anders als bei unseren Studierenden. Ich habe ursprünglich etwas anderes studiert, nämlich Geschichtswissenschaften, Philosophie und Politologie. Meine Eltern kommen aus Korea. Und ich selbst komme auch aus Korea, bin in Korea geboren, aber in jungen Jahren nach Deutschland migriert. Und als ich studierte, hatte ich in Geschichtsseminaren sowohl von Kommilitonen, aber auch von Professoren Fragen wie: Wie ist das eigentlich in Korea? Und dazu konnte ich nicht viel sagen. Ich wusste mehr über deutsche Geschichte als über die koreanische Geschichte und hatte mich dann entschlossen, ein Austauschjahr zu machen und nach Korea zu gehen und habe sehr intensiv koreanische Geschichte studiert. Als ich zurückkam, wollte ich das weiter vertiefen und habe noch Koreanistik als Parallelstudium angeschlossen. Zunächst habe ich aus reinem Interesse einfach als Gasthörer Seminare besucht. Aber irgendwann hatte ich zu viele Scheine und wusste nicht, was ich damit anfangen konnte, und dann hieß es, das kann man dann anerkennen lassen als Zweitstudium oder zweites Hauptfach. Und so bin ich in die Koreanistik reingekommen. 

C. J.: Wie lange gibt es denn die Koreanistik in Tübingen schon?  

Y. J. L.: Die Koreanistik in Tübingen hat eine lange Tradition. Ich habe jetzt im Uniarchiv mal nachgeschaut und die ersten Kurse wurden 1964 schon angeboten und das ist ein früher Zeitpunkt, auch im europäischen Vergleich. 

C. J.: Okay, das heißt das Fach der Koreanistik ist ein noch verhältnismäßig junges Fach, im Vergleich zu den theologischen oder juristischen Fakultäten, aber dafür in Tübingen schon sehr etabliert. 

Y. J. L.: Ja, und zudem ist es das einzige Fach in Süddeutschland, also in Baden-Württemberg und Bayern gibt es kein weiteres Fach Koreanistik. 

C. J.: Ah ja. Das heißt, wenn ihr Koreanistik studieren wollt, dann dürft ihr ins schöne Tübingen kommen. 

A. B.: Ja dann würde ich sagen hören wir uns doch mal an, wie das Studium aussieht. Da haben wir Studierende gefragt, die von ihrer Studienwoche berichten. 

Studieninhalte (07:56) 

Studi 1: Man wird auf jeden Fall sprachlich sehr gut ausgebildet, hat sehr viele Sprachkurse, diverse Inhaltskurse von Geschichte über Kultur bis hin zu Wirtschaft und Politik und geht für ein Jahr auch nach Korea, um diese Erfahrungen zu sammeln, um seine Kompetenzen zu verbessern und das Gelernte anzuwenden.  

Studi 2: Bis zum fünften Semester ist der Fokus sehr stark auf das Erlernen der Sprache gesetzt. Man besucht also jeden Tag für zwei Stunden einen Sprachkurs und muss dementsprechend auch viel Arbeit reinstecken. Aber auch jetzt im sechsten Semester gibt es für mich noch viele Inhaltskurse zu belegen, für die ich dann auch wöchentlich viel Literatur lesen muss, sogenannte Response Paper schreiben muss und mich für Referate vorbereiten muss. 

Studi 3: Im Studium lernt man vor allem über die Geschichte, Gesellschaft, Kultur und Sprache von Korea, die eben wöchentlich aufgearbeitet werden durch Seminare, Vorlesungen oder Sprachkurse. 

Studi 4: Als Masterstudierende besteht mein Studienalltag eigentlich hauptsächlich aus Selbststudium. Wir haben natürlich trotzdem auch noch ein paar Seminare und Vorlesungen pro Woche. Aber generell besteht eine typische Studienwoche bei mir vor allem aus lesen, lesen, lesen und kurze schriftliche Antworten darüber verfassen, was man gelesen hat. 

C. J.: Das ist eine schöne Zusammenfassung: Lesen, lesen, lesen und das dann kurz zusammenfassen. Es ist ein sehr vielfältiges Studium, das haben wir ja gerade schon erfahren. Können Sie noch mal so ganz grob zusammenfassen, aus welchen Bereichen das Koreanistikstudium besteht? 

Y. J. L.: Also die Koreanistik in Tübingen konzentriert sich auf das moderne Korea. Das ist so die erste Entscheidung, die wir damals festgelegt haben. Korea hat eine sehr reiche, vormoderne Geschichte und auch Kultur. Die behandeln wir aber nur in Einführungsseminaren und -vorlesungen. Und wir konzentrieren uns aber im Folgenden auf das moderne Korea, auf die moderne Geschichte, Kultur und Gesellschaft. Wir konzentrieren uns auch sehr intensiv auf eine sehr gute Sprachausbildung. Dazu gehört, dass die Studierenden im vierten und fünften Semester ein Jahr nach Korea gehen müssen. Das Programm in Korea ist integriert in unser Bachelorstudium. Und die Studierenden in Korea werden betreut von unserem Center for Korean Studies at Korea University, abgekürzt TUCKU. Und dort haben sie die Möglichkeit, auch zusätzlich Praktika zu machen, Land und Leuten kennenzulernen, Freunde zu gewinnen. Und das ist natürlich ein sehr attraktives Programm für unsere Studierenden. 

C. J.: Aber das heißt, die sprachliche Ausbildung findet auch schon in Tübingen ab dem ersten Semester statt? 

Y. J. L.: Genau, vom ersten Semester bis zum dritten Semester schafft man es meistens, die Grundstufe abzuschließen. In Korea sollte man die Mittelstufe abgeschlossen haben. Aber viele schaffen auch Teile der Oberstufe, wenn sie zurückkommen. 

A. B.: Ich habe mich da gefragt: Erfolgen denn auch die Studienleistungen ab einem gewissen Level in der Landessprache und -schrift? 

Y. J. L.: Im Bachelorstudium nicht. Unsere Studierenden können in Korea neben den intensiven Sprachkursen auch Inhaltskurse besuchen. Allerdings sind die in englischer Sprache. Koreanischsprachige Kurse bieten wir ab dem Masterstudium an und da bieten wir regelmäßig mindestens einen Kurs im Original, also in koreanischer Sprache, an. 

C. J.: Wie viel Zeit nehmen dann die Sprachkurse jede Woche ungefähr bei den Bachelorstudierenden ein? 

Y. J. L.: Bei uns zehn Stunden ungefähr.  

C. J.: Ein großer Anteil. 

Y. J. L.: Genau. Und in Korea sind das wöchentlich 20 Stunden. 

C. J.: Und welche Anteile nehmen dann die anderen Aspekte des Studiums ein, also die gesellschaftlichen, kulturwissenschaftlichen oder wirtschaftswissenschaftlichen? 

Y. J. L.: Da bieten wir pro Semester immer zwei Kurse an und das sind dann vier Stunden insgesamt. 

C. J.: Und wie muss ich mir das dann methodisch vorstellen? Habe ich dann auch wirklich einen wirtschaftswissenschaftlichen Kurs? Oder ist es eigentlich eine kulturwissenschaftliche Vorlesung, in der es dann um wirtschaftliche Aspekte geht? 

Y. J. L.: Die Wirtschaft hat keinen Schwerpunkt bei uns. Wir bieten Geschichtskurse, Gesellschaftskurse und Kulturkurse an. Und diese Kurse sind inhaltlich natürlich immer auch sehr verschieden und variieren ein wenig.  

A. B.: Also das ist dann auch von der Methodik wahrscheinlich vielfältig, dass man sich dann aus der historischen Perspektive auch an deren Methoden bedient. Und bei den kulturwissenschaftlichen Fragen holt man sich dann das Werkzeug aus diesem Feld, um bestimmte Fragestellungen zu bearbeiten. So stelle ich mir das jetzt vor. 

Y. J. L.: Ja, das ist richtig. Und Koreanistik ist ja ein regionalwissenschaftliches Fach. Und wir können die Theorien und Methoden der Regionalwissenschaft nicht auf eine Fachdisziplin reduzieren wie Geschichtswissenschaft oder Soziologie, sondern wir müssen interdisziplinär arbeiten. Und das lernen unsere Studierenden schon vom ersten Semester an, dass wir uns geschichtswissenschaftliches, kulturwissenschaftliches oder literaturwissenschaftliches und soziologisches Werkzeug aneignen müssen. Im dritten Semester haben wir extra einen Kurs angeboten, einen Methodenkurs, in dem wir Wissen, auch über den inhaltlichen Punkt hinaus, methodisch theoretisch vermitteln und uns mit solchen Fragen befassen. Wenn wir als Soziologe auf Korea schauen: Welche Methoden sind wichtig? Oder wenn Sie als Literaturwissenschaftler auf koreanische Literatur schauen? Welche Theorien gibt es dazu? Und so weiter. 

A. B.: Und haben Sie da so ein konkretes Beispiel, vielleicht eine aktuelle Lehrveranstaltung? 

Y. J. L.: Im dritten Semester zum Beispiel, also im letzten Wintersemester, habe ich einen Kurs angeboten, der „Alltagsgeschichte in Korea“ hieß. Da diskutieren wir, wie Alltagsgeschichte in den 70er und 80er Jahren entstanden ist, womit sich Alltagsgeschichte befasst, warum Alltag in der Geschichte wichtig ist und warum die Akteure kleine Leute, die sonst in der Geschichte nicht als Helden und große Männer und Frauen vorkommen, mehr sagen können, als wir bis jetzt wussten. Wir erfassen sozusagen histographisch die Entwicklung solcher Theorien und Methoden und gucken, welche Forschungsergebnisse es in Korea dazu gibt. Und was können wir uns alltagsgeschichtlich in Korea anschauen, wenn wir mit alten Leuten vom Lande Interviews haben, Oral-History-Interviews haben, wie können wir daraus die Moderne Geschichte Koreas entnehmen? Und wie können wir uns dem methodisch nähern? 

A. B.: Also anhand von Fallbeispielen dann im Prinzip, ja. 

Y. J. L.: Das ist uns wichtig, dass wir sehr konkret, trotz Theorie und Methode, empirisch an den Fallbeispielen bleiben, damit das plastisch wird. 

C. J.: Das heißt, je nach Seminar und auch je nach Inhalt habe ich es dann eher mit einer empirischen Herangehensweise zu tun. Wohingegen man  in einem Seminar, in dem es um Filmanalyse oder eine literaturwissenschaftliche Herangehensweise geht, dann eher einen geisteswissenschaftlich, vielleicht hermeneutische oder textwissenschaftliche Zugang hat. 

Y. J. L.: Genau. Wir hatten auch Filmseminare. Dann lesen wir natürlich Texte über Visual Cultures oder Film Studies allgemein, aber wir gucken uns in der Analyse natürlich koreanische Filme genau an, und besprechen, was die dann sagen. Und auch in der Literaturwissenschaft ist das ähnlich. 

C. J.: Kann man sich da im Bachelor schon spezialisieren oder ein Profil wählen? Oder hat Koreanistik als Bachelor erst einmal für alle ungefähr dieselbe inhaltliche Ausrichtung? 

Y. J. L.: Es ist inhaltlich fast dieselbe Ausrichtung, weil wir diese Kurse in Geschichte, Kultur und Gesellschaft paritätisch anbieten. Allerdings haben die Studies die Möglichkeit einen Schwerpunkt zu setzen, wenn sie von Anfang an wissen: Mich interessiert die koreanische Gesellschaft einfach viel mehr, diese Megacities, die Urbanität und Leben und Lifestyle in der Stadt. Dann haben sie die Möglichkeit in Gesellschaftskursen mehr Hausarbeiten zu schreiben und in den anderen Kursen dann weniger. So kann man einen Schwerpunkt setzen. Allerdings müssen sie natürlich die anderen Kurse auch besuchen. Aber durch die Beschäftigung mit einem Thema in einer Hausarbeit vertieft man sich ein bisschen.  

A. B.: Sie haben schon gesagt, dass man auch zum Teil die neuere Geschichte Koreas betrachtet. Wird dann auch der Konflikt zwischen Süd- und Nordkorea thematisiert? Und hat man Vergleichswerte? Ich könnte mir vorstellen, dass auch diese kulturellen Unterschiede, die sicherlich dann auch durch die Zeit gewachsen sind, ein interessantes Feld bieten. Ist das auch ein Thema? 

Y. J. L.: Nordkorea ist auch ein wichtiges Thema in unserem Studium. Wir bieten auch manchmal ein ganzes Seminar zu Nordkorea an. Im zweiten Semester bieten wir zum Beispiel Seminare, zur Geschichte der beiden Koreas an. Und da gibt es verschiedene Ansätze, wie man die Teilung des Landes darstellen kann. Man kann natürlich Südkorea erst mal abhandeln und dann kommt Nordkorea. Aber in meinen Seminaren versuche ich, Nord- und Südkorea gleichzeitig anzuschauen und so parallel auch chronologisch die Entwicklung anzuschauen und zu gucken, wie diese in den ersten Jahren nach der Befreiung auch sehr eng verflochten waren und welchen Einfluss die Entwicklungen des eigenen Landes in den 70er, 80er Jahren auf die des anderen Teilstaates hatten. Das ist ein sehr interessantes Seminar, in dem man guckt, wie diese beiden Länder sich auseinanderentwickelten in den Jahren. 

C. J.: Jetzt ist Koreanistik ein Kombinationsbachelorstudiengang. Sprich wenn ich Koreanistik im Hauptfach studiere, benötige ich ein Nebenfach dazu und umgekehrt. Welche Fächer kann man passenderweise zu Koreanistik kombinieren oder gibt es Fächer, die besonders häufig oder gern gewählt werden? 

Y. J. L.: Ja, prinzipiell sind die Kombinationsmöglichkeiten sehr weit und offen. Das liegt an den Interessen der Studierenden, welche Kombination sie wählen. Wir haben Studierende, die Koreanistik mit Informatik verbinden, oder mit Jura oder BWL. Wir raten eine Kombination zu wählen, wo Sie sich im Nebenfach auch disziplinär stark verankern können. Wenn sich zum Beispiel jemand für die koreanische Geschichte interessiert, dann kann man Koreanistik als Hauptfach nehmen und als Nebenfach Geschichtswissenschaften, um sich da die Methoden und Theorien zu holen. Natürlich bekommt man da auch sehr viele Inhalte über die allgemeine Geschichte, insbesondere die deutsche Geschichte, aber das ist dann sehr hilfreich, weil wir in einem Seminar nicht die ganzen Methoden und Theorien der Geschichtswissenschaften vermitteln können. Das kaufen wir sozusagen ein. Oder wenn man sich für konkrete Literatur oder Kultur interessiert, dann könnte man Anglistik oder Germanistik oder solche literaturwissenschaftlichen Fächer studieren oder zum Beispiel empirische Kulturwissenschaft oder Ethnologie in Kombination mit Koreanistik. Auch Soziologie und Politikwissenschaft wären Optionen. Und so raten wir, dass man Koreanistik mit einem Methodenfach im Nebenfach kombiniert, damit man sich im Nebenfach auch Sachen aneignen kann, die man im Hauptfach in der Intensität und Tiefe nicht angeboten bekommt. 

A. B.: Ja, also dass man sich dann schon mal im Vorfeld auch fragt, welcher Aspekt einen ganz besonders interessiert und danach das Nebenfach auswählt. Das ist ein hilfreicher Tipp, um sich bei dem großen Angebot an Nebenfächern zu entscheiden. 

Y. J. L.: Und wir sagen im Vorfeld an Studieninfoveranstaltungen, dass sie unbedingt in die Fachstudienberatung für die Nebenfächern gehen sollen und sich vorher informieren sollen. Wir haben den Eindruck, dass unsere Studierenden Überzeugungstäter sind. Also wenn sie Koreanistik studieren, machen sie das wirklich aus Überzeugung. Bei der Nebenfachwahl habe ich oft den Eindruck, sie haben sich nicht so gut informiert. So kommt es vor, dass es in höheren Semestern auch zu Nebenfachwechseln kommt. Und das verzögert natürlich das ganze Studium, weil wir mittendrin ein Jahr nach Korea gehen müssen. Und in der Zeit können sie dann das Nebenfach nicht machen. Daher sagen wir zu unseren Studierenden, dass eine Fachberatung für die Nebenfächer sehr wichtig ist, bevor sie sich einschreiben. 

A. B.: Ja, das ist besonders wichtig, weil dann das Nebenfach ruhen muss, wenn sie im Auslandsjahr sind. 

Y. J. L.: Bei den meisten Nebenfächern ist es so, dass man auch in vier Semestern fertig werden kann. Und unsere Studierenden sind ja in den ersten drei Semestern hier und dann gehen die im vierten und fünften Semester nach Korea und wenn sie zurückkommen, haben sie noch ein Semester. Also kann man regulär das Nebenfach in vier Semestern abschließen. Es gibt auch einige Studierenden, die in Korea Fächer, die nebenfachbezogen sind, zusätzlich belegen. Da muss man aber vorher mit dem Nebenfach mal abklären, ob diese Fächer auch dort anerkannt werden. 

A. B.: Ja, das ist auch gut zu wissen, ob es diese Möglichkeit gibt. Aber klar, die Anerkennung muss man dann auf jeden Fall vorher klären. 

C. J.: Dann würde ich sagen, wir hören uns doch mal an, was die Tübinger Studierenden an ihrem Studium so begeistert und sprechen dann über die persönlichen Voraussetzungen. 

Persönliche Voraussetzungen (24:03) 

Studi 1: Die Möglichkeiten, mit Koreanern auf ihrer Sprache zu reden, mehr über das Volk zu lernen und kritisch zu reflektieren, wie sich das Land entwickelt hat, sind für mich wirklich sehr wichtige Punkte gewesen, die mich dafür begeistert haben, dieses Fach zu studieren. Auch das Auslandsjahr hat mich wirklich sehr viel gelehrt. 

Studi 2: Mich begeistert am Koreanistik-Studium die Vielfalt der Themen, vor allem was Geschichte und Kultur angeht, aber natürlich auch die umfangreichen Sprachkurse, in denen man auch die moderne Sprache Koreas lernt. 

Studi 3: Mich begeistert an der Koreanistik vor allen Dingen, dass wir Einblicke in ganz unterschiedliche Fachbereiche bekommen, in dem Fall nämlich der Geschichte, der Kultur und der Gesellschaft. Und natürlich auch, dass wir ein super Netzwerk an verschiedenen Universitäten haben.  

Studi 4: Was mir an der Koreanistik in Tübingen tatsächlich am meisten gefällt, ist der enge Kontakt zu meinen Mitstudierenden und Professoren. Da wir im Gegensatz zu anderen Studiengängen recht klein sind, kennt hier einfach jeder jeden und das schweißt zusammen, wenn man mal anstrengende Wochen hat oder schwierige Themen zu bewältigen hat. Und ein weiteres Highlight sind die zwei verpflichtenden Auslandssemester in Südkorea. Also ich glaube da freut sich jeder Koreanistiker am meisten drauf, da man dann all das Gelernte selbst anwenden und auch neu beobachten kann. 

A. B.: Ja, das Auslandsjahr ist jetzt auch einige Male gefallen. Wir haben auch schon davon gehört und ich glaube, es wäre jetzt ganz schön, noch mal ein bisschen mehr davon zu erfahren. So grundsätzlich die Frage: Warum ein ganzes Jahr, also zwei Semester, im Ausland? 

Y. J. L.: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Als ich 2010 nach Tübingen kam und mir aufgetragen wurde, ich soll ein neues Koreanistik Bachelorstudium aufbauen, hatte ich überlegt, was man unbedingt hier konstitutionell Grundlage festmachen sollte. Und der Gedanke war dann schon früh fixiert, dass wenn man Regionalwissenschaften studiert, man auch während des Studiums in diese Region gehen muss. Ich habe mir damals das bildlich so vorgestellt: Man kann nicht schwimmen lernen, ohne ins Wasser zu springen. Und sicher ist das Auslandsjahr auch sehr herausfordernd. Aber man muss mit diesen Herausforderungen umgehen können und das für sich selbst in irgendeiner Weise meistern. Und dann hat man einen persönlichen Bezug zur Region aufgebaut. Natürlich kann man vieles nur lernen, wenn man vor Ort ist, durch Menschen, Leute, Regionen, Reisen. Und das kann man nicht über YouTube und Chats machen. Die persönlichen Ebenen sind enorm wichtig in Regionalwissenschaften, dass Sie die Region nicht nur über Schriften oder durch Hörensagen kennen, sondern selbst erleben, erfahren und sie für sich aneignen. 

C. J.: Weil Sie es gerade schon angesprochen haben: Was sind denn Herausforderungen, die die Studierenden dort in ihrem Studienalltag oder im Alltag allgemein so meistern müssen? Fallen Ihnen dazu Geschichten ein, die da vielleicht immer wieder auftauchen. 

Y. J. L.: Erstens ist Korea ein bisschen weiter weg von Deutschland, also es ist eher eine ferne Kultur, obwohl man vorher durch Populärkultur natürlich einen Bezug dazu aufgebaut hat. Nichtsdestotrotz ist Korea einfach weit weg von Deutschland. Da kommt die erste Herausforderung des Heimwehs. Zum ersten Mal weg vom Elternhaus oder zum ersten Mal ganz auf sich allein gestellt. Also diese persönlichen Herausforderungen in der Persönlichkeitsentwicklung könnte man als erstes nehmen. Zweitens – obwohl man hier denkt, dass man landeskundlich gut vorbereitet ist, sich auch die Grundlagen in der Sprache angeeignet hat – ist die Fremdheit natürlich eine große Herausforderung. Der Umgang mit Menschen, kulturellen Unterschieden, das ist natürlich auch ein großes Problem. Darüber habe ich mir vorher keine Gedanken gemacht, aber was viele sagen, ist: In Korea habe ich weniger einen Kulturschock, sondern vielmehr einen Großstadtschock. Seoul hat 10 Millionen Einwohner. Mit den Satellitenstädten um Seoul herum lebt dort fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung Südkoreas. Sobald man aus dem Haus geht, trifft man immer jemanden. Und wenn man aus kleineren Dörfern oder Städten aus dem Schwäbischen kommt, dann ist das natürlich auch eine große Herausforderung. Dann habe ich auch öfters gehört, dass man, wenn man vor Ort ist, mit dem Geld ganz anders umgehen muss als zum Beispiel in Tübingen, weil die Koreaner eine andere Ausgehkultur haben. Viele sagen, dass das Geld schnell verloren geht. Da lernen sie, wie sie dann haushalten müssen. Und das sind natürlich auch Herausforderungen, weil dieser finanzielle Aspekt natürlich auch nicht zu unterschätzen ist. 

A. B.: Ja, das ist auch vielleicht was, was wir ansprechen könnten. Welche Kosten kommen denn auf einen zu? 

Y. J. L.: Bei unseren Austauschstudierenden ist es grundsätzlich so, dass wir unseren Studierenden die Studiengebühren erlassen und die Studiengebühren unserer Partneruniversitäten sind ja relativ teuer. Allerdings müssen sie natürlich für die Miete und Lebenshaltungskosten selber aufkommen. Einige bekommen dafür Stipendien bei koreanischen Stiftungen. Wir sagen, dass man in Korea auch mit dem Geld, was man in Tübingen zur Verfügung hat zurechtkommen sollte. Allerdings, wie gesagt, die Jugendkultur und Ausgehkultur in Korea ist ein bisschen ausgiebiger. Ich habe den Eindruck, dass die jungen Leute viel mehr gemeinsam unternehmen in Korea. Man geht gemeinsam essen, trinken und dann wird es nicht bei der ersten Runde belassen. Dann kommt noch eine zweite Runde. Und wenn man sich draußen trifft in Cafés, dann muss man immer natürlich Kaffee trinken. Und so weiter. Und ich glaube, diese Dinge kommen in Korea noch dazu. 

A. B.: Ich habe mich gerade gefragt, ob das damit zu tun hat, dass man sich nicht so schnell zu Hause trifft? Also ist das ein kultureller Unterschied, dass man sich erst mal eher draußen trifft und nicht direkt im WG-Zimmer zu Hause? 

Y. J. L.: Ja, das ist ein guter Punkt. Denn erstens leben unsere Studierenden natürlich in Wohnheimen oder in kleineren Zimmern, wo man nicht viele Leute einladen und gemeinsam kochen kann. Bei koreanischen Studierenden kann es sein, dass sie noch bei ihren Eltern wohnen und ihre Freunde nicht immer einladen wollen. Und daher ist das bei jungen Erwachsenen oft der Fall, dass sie sich draußen treffen. Das ist dann für alle erleichternd. Da trägt keiner eine besondere Belastung. Und ich glaube das ist in der Tat ein guter Punkt. 

A. B.: Jetzt haben Sie das Thema Wohnen ja schon angesprochen. Muss man sich dann, wenn man nach Korea geht, auch selbst darum kümmern oder gibt es da Unterstützung bei der Vermittlung, wie man da überhaupt wohnt und wo? 

Y. J. L.: Ja, in erster Linie haben unsere Studierenden die Möglichkeit sich bei Wohnheimen an den jeweiligen Universitäten zu bewerben. Das hat man in den ersten Jahren sehr oft gemacht. Allerdings sind die Hausordnungen in den Wohnheimen sehr restriktiv und das stimmt mit dem Freiheitswillen unserer Studierenden nicht immer ganz überein. Bei Männern gibt es da Regelungen für Damenbesuche und umgekehrt. Ab 10:00 Uhr nachts darf man nicht raus oder rein und solche Dinge. Und daher suchen sich viele privat ein Zimmer oder eine Wohnung. Inzwischen gibt es auch viele, die zu zweit oder zu dritt eine WG gründen in Korea. Und ich habe mir von unseren Studierenden sagen lassen, dass diese WGs, die gut funktioniert haben, auch tradiert werden, für die, die in den nächsten Jahren kommen und das finde ich eine gute Tradition, dass da auch so intern autonom solche Dinge geregelt werden. 

A. B.: Die eine Studierende sagte ja schon: Man kennt sich untereinander. Das heißt, dann hat man vielleicht schon den Kontakt zu den Leuten, die vorher da waren. Ist das Studium an einer koreanischen Universität denn sehr anders als das Studium, wie man es jetzt beispielsweise aus Tübingen kennt? Gibt es da Unterschiede? 

Y. J. L.: Unsere Studierenden konzentrieren sich in erster Linie auf die Sprachausbildung. Also man kann es sich so vorstellen: Von 9 bis 13 Uhr habe ich jeden Tag Sprachunterricht. Und nachmittags habe ich dann ein oder zwei Kurse, aber nicht an jedem Wochentag. Bei den Seminaren ist es so, dass die erst mal in Englisch ablaufen. Und die thematischen Vermittlungen sind ähnlich wie an westlichen Universitäten. Da gibt es keine allzu großen Unterschiede. Aber in der Praxis zeigt sich, dass man in Korea weniger Raum für Diskussionen hat. Das sagen unsere Studierenden. Man hat weniger Raum für Diskussionen und wenn Diskussionen eingefordert werden, sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer weniger offen als zum Beispiel in unseren Seminarräumen in Tübingen. 

C. J.: Welche sprachlichen Voraussetzungen sollte ich denn als Studienanfänger mitbringen? Also die wenigsten können ja wahrscheinlich Koreanisch. Das wird vermutlich nicht vorausgesetzt, aber es ist so ein gewisses Talent für Sprachen zum Beispiel eine Voraussetzung? 

Y. J. L.: Ja, in der Tat. Wir haben überhaupt keine formale Voraussetzung für das Studium der Koreanistik. Wir sagen, wir fangen mit blutigen Anfängern gemeinsam an und machen aus denen Experten. Wir haben eine Woche vor Semesterbeginn ein Propädeutikum, in dem wir die koreanische Sprache in einem Crashkurs sozusagen beibringen. Und dann fangen wir mit dem Studium richtig an. 
 
A. B.: Und das ist Pflicht, oder? 

Y. J. L.: Das machen wir zur Pflicht, damit dann alle auf dem gleichen Level sind, weil einige schon privat gelernt haben und andere nicht, weil das keine Voraussetzung ist. Deshalb bieten wir diesen Kurs für die, die die koreanische Schrift noch nicht beherrschen an. Aber man kann das innerhalb einer Woche spielerisch erlernen. 

A. B.: Und im allgemeinen Bachelorstudiengang sind dann alle Kurse auf Englisch oder gibt es auch deutsche Kurse? Das ist mir noch nicht ganz klar geworden. 
 
Y. J. L.: Ja, prinzipiell ist unser Studiengang eigentlich auf Deutsch, aber wir haben Lehrkräfte, Professor:innen, die wir aus dem Anglistischen hierhin berufen haben und die des Deutschen noch nicht ganz mächtig sind. Und wissenschaftliche Sprache ist bei denen in erster Linie Englisch und daher bieten die die Kurse auch vom ersten Semester auf Englisch an. Daher wäre es gut, wenn unsere Studierenden sehr gute Englischkenntnisse von der Schule mitbringen. Sonst ist das schwierig, weil auch die Texte, die wir lesen, meist auf Englisch sind. 

A. B.: Ja, das ist, glaube ich, gut sich das in der Vorbereitung klarzumachen. Aber ich könnte mir auch vorstellen, dass man sich auch langsam dem Wissenschaftsenglisch und auch dieser Diskussionskultur auf Englisch annähert. Da wächst man dann ja wahrscheinlich auch rein mit der Zeit. 

Y. J. L.: Ja, den Eindruck habe ich auch. Und zum Ende sagen unsere Studierenden, es fällt mir viel leichter, auf Englisch zu schreiben als auf Deutsch, weil die Textgrundlage, die Sekundärliteratur mehr auf Englisch ist. Und wenn Sie das auf Deutsch schreiben, dann müssen Sie noch so viel übersetzen und die passenden Wörter im Deutschen finden. Wenn man auf Englisch schreibt, dann muss man diese Leistungen nicht mehr erbringen. 

A. B.: Und gerade in den ersten Semestern, machen das ja dann alle zum ersten Mal auf Englisch. Überhaupt diese ganzen Herausforderungen und Leistungen, die man an der Uni so bringen muss, sind ja erst einmal für alle neu. 

Y. J. L.: Genau. Also die ersten Hausarbeiten, die sind natürlich sehr aufregend, aber da gibt es auch sehr viel gegenseitige Hilfen. Und in den Sprechstunden helfen ja die Professoren. Und wir haben in der Koreanistik sehr früh ein Mentorensystem eingeführt, bei dem den Erstsemestern Mentoren zugeordnet werden. Da gibt es pro Jahr mindestens zwei separate Mentorengespräche, in denen die Studierenden mit ihren Problemen, aber auch mit ihren Freuden kommen können und ihre persönliche Entwicklung in der Koreanistik mitteilen können. So können wir die Entwicklung auf dieser persönlichen Ebene mit begleiten. 

A. B.: Wir haben es ja auch schon angesprochen, dass es ein großes Interesse bei den jungen Menschen an Korea gibt. Jetzt haben wir ja eine Zulassungsbeschränkung im Studiengang. Wie gut stehen denn so die Chancen auf einen Studienplatz, wenn man sich bewirbt? 

Y. J. L.: Ja, ich muss vorausschicken, dass diese Entscheidung uns nicht leichtgefallen ist. Als wir den Bachelorstudiengang in dieser Form 2010 neu eingeführt haben, hatten wir im Wintersemester acht Hauptfachstudierende. 2019 hatten wir fast 400 Studierende mit einem Haupt- oder Nebenfach insgesamt gezählt. Da sehen Sie innerhalb von zehn Jahren von null auf 400, das ist natürlich ein riesiges Wachstum, worüber wir uns sehr gefreut haben. Allerdings steigt die Zahl der Lehrkräfte nicht entsprechend schnell und zurzeit nehmen wir 50 Hauptfächer und 70 Nebenfächer auf bei über 200 Bewerbungen. Bei den Bewerbungen vergeben wir Bonuspunkte. Die Kriterien sind so, dass wenn die Studieninteressierten in den schulischen oder außerschulische Aktivitäten Dinge nachweisen können, die für das Studium nützlich sind, Bonuspunkte vergeben werden. Oder wenn Sie vorher schon in Korea waren und ein Praktikum bei einer NGO gemacht haben, was sehr großen Einblick in die Gesellschaft erlaubt, dann geben wir dafür Bonuspunkte. Wenn Sie vorher Koreanistik Kurse belegt haben und bestimmte Stundenzahlen zusammen haben, dann erkennen wir das auch als Vorleistung an und vergeben Bonuspunkte. Wenn Sie in der Schule eine Projektarbeit hatten zum Koreakrieg und ein Essay oder einen Bericht geschrieben habe über zehn Seiten, dann honorieren wir das auch. Ja, und so kann man mit den Bonuspunkten, auch die Abiturnote sozusagen für die Aufnahme in die Community ein bisschen aufbessern. 

A. B.: Diese Kriterien, gerade auch was den Notendurchschnitt angeht, können sich von Semester zu Semester verändern. Das sind ja keine festen Zahlen. Deshalb würde ich gerne noch mal darauf verweisen, dass wir von der Studienberatung Infoveranstaltungen über das universitäre Bewerbungsverfahren anbieten. Und natürlich auch den Verweis, dass man  sich an die Studienfachberatung wenden kann. Wenn ich das an dieser Stelle so noch mal sagen darf, einfach damit man da auch aktuelle Infos hat, beispielsweise wenn die Podcastfolge dann ein bisschen länger her ist.  

C. J.: Kommen wir gleich noch zu einem ganz wichtigen Aspekt, nämlich den Berufsfeldern, die den Studierenden nach ihrem Studium offenstehen. Da hören wir uns doch gleich mal an, welche Vorstellungen die Tübinger Studierenden da im Studium bereits davon haben, was sie später mal machen möchten. 

Berufsperspektiven (43:15) 

Studi 1: Ich möchte nach meinem Studium eigentlich gerne akademisch weiter machen. Und ja, wir werden in der Koreanistik ja zu sogenannten Koreaexperten ausgebildet und ich hoffe, dass ich dann später als ein solcher Experte einfach meinen Teil dazu beitragen kann, die internationalen Beziehungen zu stärken. 

Studi 2: Ich habe vor, nach dem Studium in einer koreanischen Firma zu arbeiten, wie zum Beispiel Samsung oder LG, wahrscheinlich in dem Marketingbereich. 

Studi 3: Ich möchte meinen Master in Korea machen, um später an der Universität Doktorand zu sein und selber Vorlesungen oder Seminare zu geben, um andere Menschen zu faszinieren und auch Interesse bei ihnen für das Koreanistikstudium zu wecken.  

Studi 4: Freunde und Familie haben oft gefragt: Was macht man denn mit einem Koreanistikstudium später? Anfangs wusste ich das auch noch nicht so genau, aber durch diverse Praktika und Stellenangebote der Koreanistik hat man dann doch schon einen guten Überblick bekommen. Und da ich selbst im Nebenfach zusätzlich Medienwissenschaft studiere, würde ich sehr gerne im Marketing oder Social Media Bereich für Firmen arbeiten, die mit dem koreanischen Markt eng in Verbindung stehen. 

C. J.: Ja, Sie hatten ja vorhin auch schon erwähnt, dass mit dieser Nebenfachauswahl bereits ein wenig Profilierung stattfindet. Und das hört man jetzt ja auch wieder raus und merkt auch schon so eine Tendenz eben zum einen das Interesse auch in der Wissenschaft zu bleiben und weiter im Bereich der Koreanistik zu arbeiten. Oder eben die vielfältigen Berufsmöglichkeiten, die auch außerhalb der Uni, in der freien Wirtschaft, den Absolvent:innen offenstehen. In welchen Bereichen arbeiten die ausgebildeten Koreaexpert:innen aus Ihrer Erfahrung denn sonst noch? 

Y. J. L.: Ich sage zu unseren Studierenden, Deutschland hat zu wenig Koreaexperten, es gibt auch zu wenig Koreanistikinstitute insgesamt. Und das ist der Grund, warum wir eine so hohe Nachfrage haben, sei es in der Wirtschaft, in der Kultur, in den Medien, in der Politik, oder im Journalismus. Überall gibt es zu wenig Koreaexperten. Korea wird häufig von anderen Wirtschaftsleuten, von China- und Japanexperten, abgedeckt. Und deshalb steht uns das alles offen und die Möglichkeiten sind sehr offen. Konkret sehe ich jetzt in den letzten zehn Jahren, dass viele unserer Absolventinnen und Absolventen bei koreanischen Großkonzernen sehr gut unterkommen. Und diese Großkonzerne haben ihre Niederlassungen meistens in Frankfurt und der Umgebung. Dort sind die Europazentralen solcher Firmen und ich bekomme sehr oft Anfragen von diesen Firmen, von Personalabteilungen, ob ich Leute empfehlen kann. Und wenn man sich deren Ausschreibung anschaut, dann ist das sehr formal und da wird irgendwie Berufserfahrung vorausgesetzt oder ein Studium in Ingenieurwissenschaften oder Betriebswirtschaft. Und die sagen aber: Die Ausschreibung ist zwar so rausgegangen, aber wir suchen Ihre Absolventinnen und Absolventen. 

A. B.: Das ist ein guter Insider-Tipp. 

Y. J. L.: Inzwischen arbeiten da sehr viele Leute im Marketing, in Sales, in Personalabteilungen, oder in Planungsteams. Wichtig ist, dass Sie diese kulturelle Kompetenz mitbringen. Dieses eine Jahr in Korea ist ihnen sehr wichtig, weil Sie die Codes in koreanischen Firmen lesen und entziffern können und Sie auch als Vermittler gut funktionieren zwischen dem Headquarter in Korea und den Angestellten vor Ort. Und bis jetzt habe ich nur Lob gehört und es spricht sich schnell rum, dass die Absolvent:innen aus Tübingen gute Arbeit leisten. Und so geht das auch durch interne Empfehlungen von einer Firma in die nächste. Und so weiter. Und ich erzähle unseren Studierenden, dass sie gerade in einer goldenen Zeit leben. Aber das ist vor allem in der Wirtschaft und auch in Übersetzungsbereichen. Vor allem, wenn man Dramen, und koreanische Fernsehserien hat, dass man auch Untertitelung macht, dort übersetzt. Dolmetschen ist eine Kompetenz, die auch heute noch sehr viel gefragt ist. Und auch deutsche Firmen, vor allem in unserer Gegend, die viel mit Korea zu tun haben, vor allem nach Korea exportieren, suchen Leute, die sich mit Korea auskennen. Und da kommen viele auch unter. Inzwischen haben wir auch im Auswärtigen Amt für den höheren Dienst in der Diplomatie Leute. Da sage ich auch wir haben viele Chinaexperten, aber im Auswärtigen Amt gibt es einfach zu wenig Koreaexperten. Inzwischen sind zwei, drei Leute dort aufgenommen worden und bei Alumni-Treffen laden wir sie extra ein, damit sie unseren Studierenden erklären, was sie damals richtig gemacht haben. Einige sind in den großen Tageszeitungen untergekommen, in Radios. Viele unserer Studierenden finden auch einen Job in Korea und arbeiten in verschiedenen Sektoren, zum Teil auch bei deutschen Firmen, die sich in Korea niedergelassen haben. Und ich weiß nicht, wie das später so klingen wird, aber jetzt und heute sind diese Jobaussichten sehr gut. 

A. B.: Und sehr vielfältig, wenn wir das jetzt auch mal so überblicken, vom Journalismus über Wirtschaftsunternehmen bis hin zu Einrichtungen, die politisch aktiv sind oder vielleicht sogar auch dann in der Forschung und universitären Lehre. Das ist ja schon mal ein breites Bild. 

Y. J. L.: Ja. 

C. J.: Ist denn für viele von den genannten Berufen ein weiterführender Master nötig? Oder schließen viele nach ihrem Bachelorstudium auch ab und gehen direkt ins Berufsleben? 

Y. J. L.: Also ich erzähl unseren Studierenden, dass sie nach diesen drei Jahren Bachelor unbedingt den Master Koreanistik anschließen sollen. Im Master haben wir einen Doppelmaster mit der Seoul National University, das ist eine der renommiertesten Universitäten in Korea. Und dann bekommen Sie zwei Abschlüsse, einen Tübinger Abschluss und einen von der Seoul National University. Und Sie müssen ein Jahr in der Zeit auch in Korea studieren. Wenn man Bachelor und Master abgeschlossen hat, sind das idealerweise fünf Jahre. Davon waren Sie zwei Jahre in Korea und haben drei Abschlüsse. Und dann kann man Sie wirklich als Koreaexperten bezeichnen. Und ich denke, die können überall in der Welt sehr gut zurechtkommen. Allerdings ist die Situation zurzeit die – und das macht mir ein bisschen Sorgen – dass die Wirtschaft unsere Studierenden auch mit Bachelorabschluss schon sehr gerne nimmt. 
 
C. J.: Und die werden dann zu früh abgeworben 

A. B.: Und was wären so die Proargumente für den Master aus Ihrer Sicht? 

Y. J. L.: Das Proargument für den Master ist, dass Sie in dem Bachelor die Grundlagen gelernt haben, was die Landeskunde betrifft und auch sprachlich gut ausgebildet sind, mindestens in so einem B2 oder C1 Niveau. Aber wenn Sie einen Master machen, dann können Sie sich wirklich in einem Feld spezialisieren. Mit dem Auslandsjahr in Korea, mit einem Doppelmaster, schreiben Sie Arbeiten auf Koreanisch und können danach sagen: „Ich kann koreanische Texte ohne Probleme lesen, ich kann das auch auf Koreanisch zusammenfassen, ich kann auch Texte schreiben und inhaltlich bin ich auch Experte in einem Bereich.“ Und das kann ein Bachelorstudent oder -studentin von sich natürlich nicht behaupten. 

Insider-Tipps (52:11) 

A. B.: Gut, ich glaube wir können so langsam zu unserer Abschlussrubrik kommen, oder? Wir haben ja im Vorfeld schon angesprochen, dass wir uns für die weitere Auseinandersetzung mit dem Fach, für ein paar Stichworte zur weiteren Recherche interessieren, also Literaturtipps oder Filme und Dokus. 

Y. J. L.: Was ich als Lektüre empfehlen kann, ist der Länderbericht Korea. Das ist ein Sammelband, herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung. Das deckt sehr vielfältig die Themen ab, mit denen wir uns in der Koreanistik beschäftigen. Da kommt Nordkorea vor, Südkorea und auch Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft. Und wenn man da einmal hineingelesen hat, bevor man angefangen hat zu studieren, bekommt man, glaube ich, ein sehr gutes Bild und ein gutes Vorwissen. Es gibt auch eine Buchverfilmung: „Pachinko“. Die fängt in der Kolonialzeit an: es geht um eine Familie, die nach Japan auswandert. Man sieht das Leben in Japan in der Kolonialzeit und die übernächste Generation geht in die USA und baut dort eine Existenz auf. Ich denke das Buch und auch der Film oder die Dramaserien zeigen die verschiedenen Aspekte des modernen Koreas mit Kolonialismus, Kaltem Krieg und Diaspora sehr gut. Das kann ich empfehlen, das ist sehr interessant. 

C. J.: Klingt spannend. Schaue ich mir auch an! 

A. B.: Ja gut, dann vielen Dank für die Tipps. Herr Lee, vielen Dank, dass Sie da waren. Wir haben uns sehr gefreut, dass Sie Zeit hatten, hierher zu finden. 

Y. J. L.: Vielen Dank für die Einladung und die Möglichkeit die Koreanistik vorzustellen. 

A. B.: Dann sage ich von meiner Seite aus an unsere Hörerinnen und Hörer bis zur nächsten Folge. Wenn Ihr Feedback, Kritik oder auch Wünsche habt, welche Fragen wir für Euch an unsere Experten und Expertinnen richten sollen, dann schreibt uns doch bitte an hochschulreif@uni-tuebingen.de. Ansonsten findet Ihr alle weiterführenden Infos in den Shownotes, wie gehabt. Ja, wir hören uns beim nächsten Mal. 

C. J.: Bis dann. Tschüss. 

Y. J. L.: Danke. Tschüss. 

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. You Jae Lee über die folgenden Themen: 
01:21 Persönliche Motivation
07:56 Studieninhalte
24:03 Persönliche Voraussetzungen
43:15 Berufsperspektiven
52:11 Insider-Tipps

Informationen zum Auslandstudium findet ihr am Tuebingen Center for Korean Studies at Korea University (TUCKU).
Aktuelle Termine zur Infoveranstaltung über die Bewerbung an der Universität Tübingen stehen hier.

Insider-Tipps Koreanistik:

  • Der Länderbericht Korea ist bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) leider nicht mehr erhältlich. Ihr findet ihn aber noch antiquarisch, z.B. über das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher (zvab). Eine alternative Empfehlung ist folgendes Buch von Bruce Cumings: Korea's Place in the Sun. A Modern History Taschenbuch, New York/London 2005.
  • Min Jin Lee: Pachinko, US 2017 (Buch).
  • Kogonada/Justin Chon (Regie): Pachinko, USA 2022 (Serie).

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #10: Allgemeine Rhetorik

Muss man für ein Studium in Allgemeiner Rhetorik gerne auf der Bühne stehen oder sehr viel reden? Wie theoretisch und wie praktisch ist das Studium? Was hat künstliche Intelligenz eigentlich mit Allgemeiner Rhetorik zu tun? Und inwiefern kann Rhetorik auch manipulativ sein? Das Studienfach Allgemeine Rhetorik gibt es deutschlandweit nur in Tübingen. Was das Studium zu bieten hat, was man alles in Theorie und Praxis lernt und wohin es nach dem Studienabschluss beruflich gehen kann, erklärt unser Gast Professor Dr. Olaf Kramer. Und auch unsere Tübinger Rhetorik-Studierenden melden sich zu Wort.

Tags #Rhetorik #Kommunikation #Reden #Überzeugen #SocialMedia #Medienforschung #KünstlicheIntelligenz
Listen
Christoph Jäckle: (C. J.) Herzlich Willkommen zu „hochschulreif“, Eurem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen euch auch heute wieder ein neues Studienfach vor. Und zwar geht es um die Allgemeine Rhetorik. Wir, das sind mal wieder meine liebe Kollegin Alexandra Becker und ich Christoph Jäckle. Hallo, Alex. Schönen guten Morgen!

Alexandra Becker (A. B.): Guten Morgen, Christoph!

C. J.: Hi. Heute haben wir auch wieder einen Gast. Und zwar ist heute Professor Dr. Olaf Kramer vom Seminar für Allgemeine Rhetorik bei uns. Aktuell ist Olaf Kramer zudem der Sprecher des RHET AI, dem Zentrum für rhetorische Wissenschaftskommunikationsforschung zur künstlichen Intelligenz. Gar kein so einfacher Name, aber ich habe es halbwegs hinbekommen, glaube ich. Hallo, Herr Kramer, schönen guten Morgen. Schön, dass Sie bei uns sind.

Prof. Dr. Olaf Kramer (O. K.): Hallo, guten Morgen!

C. J.: Ich bin schon gespannt auf die Folge und bin auch sehr gespannt, ob wir in unserem Gespräch dann auch viele Hörerinnen und Hörer von dem Studienfach – das man auch nur in Tübingen studieren kann, das kann man schon mal hier vorwegnehmen – überzeugen können. Um das Stichwort Überzeugung wird es, glaube, ich heute noch öfters gehen, denn auch dafür steht – man vermutet es zumindest – die Allgemeine Rhetorik. Wir haben auch diesmal wieder einige Tübinger Studierende zu verschiedenen Themen rund um das Studium befragt, die Rhetorik studieren. Wir hören uns jetzt gleich mal an, warum die Tübinger Studierenden sich für das Studium der Allgemeinen Rhetorik entschieden haben, was da ihre persönlichen Motivationsgründe waren.

Persönliche Motivation (01:26)

Studi 1: Ich habe mich für den Studiengang Allgemeine Rhetorik entschieden, weil ich mich in der Schule sehr für die beiden Fächer Geschichte und Deutsch interessiert habe. Und als ich dann vom Studiengang Allgemeine Rhetorik in Tübingen gehört habe, fand ich das sehr spannend, weil ich das Gefühl hatte, dass er beide Seiten sehr gut vereint, einmal diesen kommunikationswissenschaftlichen Aspekt und andererseits aber auch diese historische Perspektive.

Studi 2: Ich dachte am Anfang wirklich noch ganz naiv, dass ich im Fach Allgemeine Rhetorik einfach lerne, wie ich eine gute Rede halten kann. Letztendlich habe ich schon nach ein paar Wochen gemerkt, dass die Rhetorik als Wissenschaft wesentlich philosophisch und gesellschaftlich relevanter ist als das bloße Halten von guten Reden.

Studi 3: Ich habe mich für das Studium der Allgemeinen Rhetorik in Tübingen entschieden, da ich Kommunikation im Generellen schon immer sehr spannend finde. Und Rhetorik hat mich deswegen am meisten gecatched, weil es eine unglaublich interessante Schwerpunktsetzung hat. Der Schwerpunkt der Rhetorik liegt nämlich auf der Überzeugung und die Fragestellung der Rhetorik lautet: Was überzeugt andere Personen? Wie kann man andere Personen überzeugen? Und das hat mich so sehr interessiert, dass ich hier in Tübingen gelandet bin.

Studi 4: Ich habe mich für das Fach Allgemeine Rhetorik entschieden, weil ich es schon immer faszinierend fand, dass man mit Sprache andere Menschen bewegen kann und auch zu etwas bewegen kann.

A. B.: Herr Kramer, wir sind jetzt schon mittendrin. Wir haben gehört es geht um, die kommunikationswissenschaftlichen Aspekte, die historische Perspektive, aber auch die Vorstellung einer guten Rede und die Überzeugung. Ist das so die übliche Vorstellung, oder mit welcher Vorstellung kommen die Studierenden?

O. K.: Ich denke, das ist eine Vorstellung, die schon ein bisschen durch das Rhetorikstudium geprägt ist. Da sind schon viele richtige und wichtige Elemente genannt worden, die in der Rhetorik eine Rolle spielen. Also wenn man ganz basismäßig definieren will, kann man sagen, in der Rhetorik geht es um Persuasion, es geht darum, andere Menschen zu überzeugen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist für uns dann, dass wir uns nicht nur mit Reden auseinandersetzen, sondern dass man diese Frage nach der Persuasion, also die Frage, wie man Einfluss auf andere ausüben kann, in den unterschiedlichsten medialen Kontexten stellen kann. So gibt es die Möglichkeit, sich rhetorisch mit Reden oder Gesprächen auseinanderzusetzen, genauso wie man sich mit Social Media Auftritten beschäftigen kann und auch der Frage nachgehen kann, inwieweit gelingt auf Instagram oder bei TikTok so etwas wie Persuasion.

A. B.: Und jetzt heißt das Studienfach in Tübingen Allgemeine Rhetorik. Da haben wir uns gefragt, warum heißt es denn nicht nur einfach Rhetorik?

O. K.: Darauf gibt es eine wissenschaftliche und eine anekdotische Antwort. Die wissenschaftliche Antwort ist, Allgemeine Rhetorik ist ein Begriff, der in den 60er Jahren aufkam im Kontext einer Renaissance von Rhetorik. Da gibt es eine Bewegung, die als Nouvelle Rhétorique im französischsprachigen Raum und New Rhetoric im internationalen Raum bezeichnet wird. Im Kontext dieser Bewegung entsteht dann die Idee einer Allgemeinen Rhetorik, wo man versucht, im Grunde eine Verbindung von Rhetorik und Linguistik herzustellen. Das ist die wissenschaftliche Antwort darauf. Die anekdotische ist, Walter Jens hat 1967 die Neugründung dieses Instituts auf den Weg gebracht und er wollte einen Namen, der auch sicherstellt, dass dieses wunderbare Fach vorne auf den Listen steht. Mit Allgemeiner Rhetorik ist man viel besser positioniert als mit Rhetorik.

A. B.: Das ist richtig. Da ist die Allgemeine Rhetorik ganz weit oben in der alphabetischen Liste. Herr Kramer, Ihr eigener Weg in die Allgemeine Rhetorik wie war der? Wie kamen Sie da hin?

O. K.: Eigentlich durch einen großen Zufall. Ich wusste nicht, was ich studieren wollte, und hatte am Ende drei sehr unterschiedliche Angebote. Ich hatte mich in Heidelberg für Jura beworben und da einen Platz bekommen. Irgendwo im Ruhrgebiet, ich weiß gar nicht mehr wo, habe ich mich für Verfahrenstechnik, also ein eher ingenieurwissenschaftliches Thema, beworben und in Tübingen für die Rhetorik. Alle drei Angebote lagen auf dem Tisch und dann habe ich mich im letzten Moment für die Rhetorik entschieden. Dass ich überhaupt auf die Rhetorik aufmerksam geworden bin und dass sie sozusagen eine dieser drei Varianten war, die für mich in Frage kam, lag an einem Text, den der damalige Institutsgründer Gert Ueding geschrieben hat. Es gab einen Studienführer Deutschland, so hieß das, und darin war ein sehr überzeugender und rhetorisch sehr gelungener Text, der diesen Studiengang vorgestellt hat. So kam ich überhaupt auf die Idee, mich aufzumachen nach Tübingen und hier Rhetorik zu studieren.

C. J.: Das heißt, da waren die Rhetoriker schon sehr erfolgreich mit dem Schreiben dieser Texte, sowohl beim Studiengangsnamen als auch bei diesem Infotext.

O. K.: Genau.

A. B.: Sie sind ja auch dabeigeblieben. Also hat das Fach dann offenbar die Erwartungen erfüllt.

O. K.: Ja, das Tolle an der Rhetorik ist, dass man wirklich sehr viele Möglichkeiten hat und dass es sehr offen ist, womit Sie sich beschäftigen. Diese Frage nach der Persuasion, nach den Überzeugungstechniken, können Sie in den unterschiedlichsten Kontexten stellen. Das macht es sehr spannend, weil es genauso möglich ist zu sagen, ich habe ein historisches Interesse und gehe der Frage nach der Überzeugung mit Blick auf das 18. Jahrhundert nach, wie Sie auch sagen können, mich interessiert eine neue mediale Entwicklung und ich will mir die anschauen. Oder ich interessiere mich für die Rhetorik des Bildes. Das macht dieses Fach einfach sehr spannend.

A. B.: Jetzt hat Christoph vorhin schon angekündigt, Sie sind auch Sprecher des RHET AI Centers in Tübingen. Können Sie da noch mal kurz umreißen, was das genau ist und was da gemacht wird?

O. K.: Das RHET AI Center ist eins von vier nationalen Zentren für Wissenschaftskommunikationsforschung, das wir erfreulicherweise nach Tübingen holen konnten. Und diese Zentren sind so ausgerichtet, dass sie sich mit einem Forschungsthema auseinandersetzen. Das ist für Tübingen das Thema künstliche Intelligenz (KI). Und an diesem Forschungszentrum interessiert uns die Frage, wie wir zu einem informierten, gesellschaftlichen Diskurs über künstliche Intelligenz kommen können. Das Zentrum verbindet dabei theoretische Forschung mit praktischen Kommunikationsaktivitäten und der Ausbildung von Forschenden im Bereich kommunikativer Kompetenz. Das heißt, wir setzen eigentlich damit an, erst mal zu analysieren, was sind die Narrative, die unsere Vorstellung von künstlicher Intelligenz beeinflussen. Sobald ich das Wort abrufe, haben viele Leute Roboter im Kopf oder haben irgendwelche dystopischen und utopischen Visionen aus Science- Fiction Filmen, an die sie denken. Und das beeinflusst sehr unsere Wahrnehmung von künstlicher Intelligenz. Insofern nehmen wir diesen Teil sehr ernst und versuchen zu analysieren, was ist der Begriffsrahmen, in dem Menschen dieses Thema künstliche Intelligenz aufnehmen. Wie kann man auf dieser Grundlage dazu kommen, dass man einen informierten Diskurs erreicht? Denn KI-Forschung und KI-Prozesse sind eben doch etwas anderes als das, was diese Fixierung auf den humanoiden Roboter nahelegt. Insofern spielen diese Diskurse eine große Rolle. Aber wir schauen eben auch in die aktuelle Forschung in diesem Bereich künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und so weiter hinein und versuchen, das zusammenzubringen. Das Ganze verbunden mit Trainingsaktivitäten, um Forschende fit zu machen, diese Rolle auch ernst zu nehmen, in der Gesellschaft über künstliche Intelligenz zu sprechen.

A. B.: Und in welcher Weise haben Studierende damit auch Berührungspunkte oder haben die das gar nicht?

O. K.: Doch, sie haben zum Beispiel gerade in diesem Semester Berührungspunkte, weil ich eine Vorlesung halte, beziehungsweise wir haben sogar eine Ringvorlesung daraus gemacht, die dieses Thema Rhetorik und künstliche Intelligenz aufnimmt. Da haben wir uns zum Beispiel gerade aktuell mit dem Thema fairer Algorithmen auseinandergesetzt, mit der Frage, wie man Algorithmen gestalten kann, dass so etwas wie gesellschaftliche Verantwortung in ihnen präsent ist. Auf diese Weise kommen Studierende damit in Berührung und dann ist es ein ziemlich großes Forschungszentrum. Insofern gibt es da auch viele HiWi-Möglichkeiten, also die Möglichkeit, als studentischer Mitarbeitender in diese Welt in ganz unterschiedlicher Art und Weise hineinzukommen. Das kann theoretisch, literaturwissenschaftlich sein, wenn man sich für diese Narrative interessiert. Das kann sehr praktisch sein, wenn man sich dafür interessiert, Menschen zu trainieren und weiterzubilden. Oder es kann sehr technisch sein, wenn man sich in die sogenannte Future Perspectives Units bewegt, wo es darum geht, wie auch künstliche Intelligenz rhetorische Forschung selbst verändern kann.

A. B.: Dann würde ich vorschlagen, wir werfen den Blick jetzt auf die Inhalte des Studiums und haben dafür im Vorfeld Studierende gefragt, wie deren typische Studienwoche so aussieht.

Studieninhalte (10:09)

Studi 1: Das Tolle ist, dass wirklich jeder Kurs und jeder Tag anders ist. Das bedeutet, dass ich so gesehen eigentlich gar keine richtig typische Woche habe. An einem Tag lerne ich in einem Seminar etwas über die Debatten rund um künstliche Intelligenz. Und am nächsten Tag kann ich in einem Seminar eine Social Media Strategie entwickeln. Oder ich beschäftige mich morgens mal mit antiker Philosophie und nachmittags besuche ich mit einem Seminar eine Bundestagswahlkampfveranstaltung.

Studi 2: In einer typischen Studienwoche im Fach Allgemeine Rhetorik hat man gar nicht so viel mit Vorlesungen zu tun, wie man vielleicht im ersten Moment denken würde, sondern viel mehr mit Seminaren und Proseminaren, wo man nur in Klassengrößen mit ungefähr 20 Leuten zusammensitzt, was ganz entspannt ist und wo man auch intensiver noch mal über Themen reden kann, sich austauschen kann, diskutieren kann. Dann gibt es auch Praxisseminare, wo ich meistens auch so eins pro Semester belege, wo man, wie der Name schon sagt, so ein bisschen die Theorie, was man lernt, ausprobieren kann und auch noch mal in Kontakt tritt mit Leuten, die selber Rhetorik studiert haben und jetzt schon arbeiten.

Studi 3: Ganz viel Verschiedenes eigentlich. Natürlich schaut man sich die theoretischen Grundlagen an, aber dann schaut man sich auch Beispiele aus der Praxis an, verschiedene Seminare und Vorlesungen und dann kommt aber natürlich noch viel Selbststudium dazu.

Studi 4: Ja, das Studium an sich ist eine Mischung aus Theorie und Praxis. Theoretischen Input bekommt man durch Vorlesungen und Hauptseminare. Da geht es dann meistens um die Geschichte und die Theorie der Rhetorik, aber auch um die Textanalyse oder Textinterpretation. Und der praktische Anteil des Studiums wird durch sogenannte Praxisseminare vermittelt. Da ist wirklich von A bis Z alles dabei. Da kann man sich auf jeden Fall jedes Semester was Neues raussuchen, was einen interessiert.

C. J.: Also, dass das Studium inhaltlich sehr abwechslungsreich ist, das haben wir jetzt schon mehrfach gehört. Aber Herr Kramer, wie ist es denn damit was die Wahlmöglichkeiten angeht, kann ich mir sehr viel Themen selbst aussuchen? Kann ich mir Veranstaltungen selbst aussuchen oder ist auch sehr viel vorgeschrieben? Wie muss ich mir das vorstellen?

O. K.: Es ist eine Kombination aus festen Elementen und Wahlmöglichkeiten. Insgesamt haben die Bachelorstudiengänge dazu geführt, einen stärker verschulten Ansatz an die Universitäten zu bringen. Wir haben aber versucht, auch innerhalb dieses Bachelorsystems Freiräume zu wahren, damit Studierende die Chance haben, individuellen Interessen zu folgen, unterschiedliche Schwerpunkte in verschiedene Richtungen zu legen. Und insofern sorgen wir dafür, dass eine gute Basisausbildung stattfindet, sodass sie das rhetorische System, die Geschichte der Rhetorik und zentrale Forschungsfelder kennenlernen. Dazu haben sie die Möglichkeit, viele Wahlentscheidungen zu treffen. Dabei greifen wir gerne aktuelle, gesellschaftliche Themen auf. Das ist auch etwas, was dieses Studium auszeichnet. Und Sie haben eben und das gehört zur DNA des Rhetorikinstituts dazu, die Verbindung von Theorie und Praxis. Das heißt, anders als in den allermeisten Universitätsstudiengängen sitzen sie nicht nur in Theorieseminaren, sondern sie haben auch Praxisseminare, wo sie praktisch lernen, Reden zu halten, Radiosendungen zu produzieren oder einen Social Media Auftritt strategisch zu planen. Das ist auch etwas, was unsere Studierenden, glaube ich, sehr schätzen. Diese Praxisseminare, die finden in sehr kleinen Gruppen statt. Da lassen wir nie mehr als 15 Leute zu, sodass man wirklich die Möglichkeit hat, ganz intensiv zu arbeiten. Und eine Besonderheit ist dann auch noch, dass wir da viele Lehrbeauftragte haben, die selbst aus der Praxis kommen. Also das sind Journalisten und Journalistinnen von großen Medienhäusern wie der „ZEIT”. Es sind Unternehmensberater und Unternehmensberaterinnen, die bei großen Beratungsfirmen tätig sind, sodass man da sehr nah an die Praxis herankommen kann.

C. J.: Sie haben jetzt auch noch mal die aktuellen Themen angesprochen, die unter anderem behandelt werden. Können Sie da schlaglichtartig ein paar nennen, die momentan zum Beispiel im Bachelorstudium behandelt werden oder die vorkommen?

O. K.: Ja, zum Beispiel habe ich ganz früh in der Coronakrise beschlossen, meine Vorlesung über Bord zu werfen, die ich eigentlich geplant hatte, die sich mit Wirtschaftsrhetorik auseinandersetzen sollte, und habe ein Seminar zur Rhetorik der Coronakrise angeboten oder eine Vorlesung zur Rhetorik der Coronakrise. Also ich habe versucht, dieses sehr aktuelle Geschehen, bei dem Kommunikation auch eine ganz große Rolle spielte, um Verhaltensänderung in der Bevölkerung zu erreichen, ein Semester lang sozusagen tagesaktuell in dieser Vorlesung zu analysieren. Dann gibt es Veranstaltungen zu politischen Themen wie Populismus, mit denen wir uns immer wieder beschäftigt haben. Im Moment spielt gesellschaftliche Polarisierung eine große Rolle, auch dazu hat es etwa im letzten Semester ein Seminar gegeben. Insofern ist es immer ein sehr aktuelles Seminarprogramm.

C. J.: Was jetzt auch schon häufig gefallen ist, ist das Stichwort der Persuasion, dass es darum geht, für Überzeugung zu sorgen. Kann man der Rhetorik vorwerfen, dass man da auch lernt, wie man andere Menschen rhetorisch manipuliert und von Sachen oder von Inhalten überzeugt, von denen die eigentlich nicht überzeugt werden sollten?

O. K.: Zunächst mal geht es ja Rhetorik um das Überzeugen und nicht um das Überreden. Das heißt, der Idealfall der Rhetorik ist, Menschen zur Einsicht zu führen. Also sie sollen aus eigener Überzeugung einer Sache zustimmen. Das ist das, was man versucht. Und nach der rhetorischen Theorie hängt diese Art Zustimmung an rationaler Einsicht, an Argumenten, die man anbietet und sozusagen an einem vernünftigen Erkennen der Gültigkeit von Argumenten. Aber wir gestehen ein und das spielt in der Rhetorik auch eine gewisse Rolle, dass Menschen ebenfalls immer emotional reagieren, dass ihre Einstellungen, ihre Überzeugungen Einfluss darauf haben, wie sie auf Argumente reagieren. Das ist das, was wir uns in diesem Persuasionsgeschehen anschauen. Und insofern läuft Rhetorik auf Persuasion, auf Überzeugung hinaus, die Sachargumente mit einbezieht, die aber auch die emotionalen und affektiven Aspekte von Kommunikation mitberücksichtigt. Es geht darum, eine freie Zustimmung zu erreichen und wir können Rhetorik damit abgrenzen von Kommunikationsformen, die manipulativ funktionieren. Wenn ich etwa ein Ausmaß an Emotionalität aufbaue, das dazu führt, dass Menschen keinen klaren Gedanken mehr fassen können, dann bin ich nicht mehr im Paradigma der Rhetorik. Das ist zum Beispiel eine Technik des Populismus. Die besteht darin, Menschen Angst zu machen, Angst zu machen vor Fremden, vor Zuwanderung, vor verschiedenen Formen von Bedrohung und sie in dieser Angst zu halten, weil sie dann gar nicht dahin kommen, Argumente rational zu überprüfen. Das wäre eine Kommunikationsform, die manipulativ ist, die auch destruktive Anteile enthält. Das analysieren wir in der Rhetorik. Das ist ein spannender Punkt, zu sagen, was passiert da eigentlich kommunikativ, wie funktioniert diese Form von Kommunikation. Und insofern ist es ein Thema, das uns analytisch interessiert. Wie immer, wenn man etwas technisch verstanden hat, kann man es natürlich auch manipulativ einsetzen. Wie Sie Medizin studieren können, um Menschen zu heilen, sich damit aber auch ein Wissen aneignen, wie sie Menschen potenziell schaden können. Genau das gleiche gilt in der Rhetorik. Aber das Ziel der Ausbildung ist, Menschen dahin zu bringen, andere zu überzeugen und fähig zu sein, einen kritischen, analytischen Blick auf Kommunikationen zu werfen.

A. B.: Und darf ich fragen, wie nähert man sich denn methodisch diesen Sachverhalten an? Also was sind so typische Methoden der Rhetorik?

O. K.: Zunächst mal war Rhetorik, so wie sie in Tübingen betrieben wurde, lange Zeit sehr geisteswissenschaftlich geprägt, also ein hermeneutischer Zugriff im Grunde. Das heißt, zunächst mal gibt es die Ebene, man liest Texte, man versucht Strukturen in diesen Texten zu analysieren und zu finden und dann zu interpretieren. Arbeit mit Texten ist auch heute noch etwas, woran man Freude haben sollte, wenn man sich mit Rhetorik beschäftigt. Dann kommen aber weitere Verfahren hinzu. In den letzten Jahren hat sich die Rhetorik stärker in eine psychologische Richtung entwickelt, stärker in die sozialwissenschaftliche Richtung. Das ändert zum Teil auch die Forschungsmethoden. Es spielt jetzt eine Rolle, auch empirisch, quantitativ auf Kommunikation zu schauen. Da bietet auch das RHET-AI-Center neue Möglichkeiten in der Art und Weise, wie man eine große Textmengen analysieren kann. Wir haben die Forschungsstelle Präsentationskompetenz, die auch zum Seminar für Allgemeine Rhetorik gehört. Die ist stark sozialwissenschaftlich-psychologisch ausgerichtet. Da haben wir zum Beispiel Forschungen dazu gemacht, wie kann man eigentlich so was wie Präsentationskompetenz messen. Wie kann es gelingen, dass Menschen zu einer einheitlichen Einschätzung kommen, ob es eine gute oder eine schlechte Präsentation war? Das lässt sich eher mit sozialwissenschaftlich-psychologisch inspirierten Methoden klären.

C. J.: Ist es dann unter Umständen sinnvoll, sich auch strategisch schon im Vorfeld zu überlegen, was für ein Nebenfach ich zu dem Bachelorhauptfach nehme? Wenn ich jetzt beispielsweise im Hauptfach Allgemeine Rhetorik studiere, dann brauche ich ein Nebenfach dazu und da dann vielleicht Psychologie oder irgendwas Sozialwissenschaftliches zu nehmen, dass auch in diese Richtung geht, oder was empfehlen Sie da?

O. K.: Natürlich sollte man schon im ersten Moment oder am Anfang entscheiden, was soll mein Nebenfach sein, und darüber nachdenken. In der Tat kann man damit gewisse Akzente setzen und sich eher in eine literaturwissenschaftliche, historische Richtung aufstellen oder eher in eine sozialwissenschaftliche, quantitative Richtung. Wobei ich immer sage, fangen Sie mal mit dem Studium an, wenn man nach einem Semester entscheidet, das hat doch nicht so ganz gepasst, dann ist das, finde ich, immer noch ein Zeitpunkt, wo man auch ein Studienfach ändern und eine neue Kombination wählen kann, weil man oft aus der Distanz auch gar nicht weiß, was einen interessiert und was man dann im Studium wirklich spannend findet. Ich neige immer dazu, Studierenden zu raten, ein bisschen Druck rauszunehmen aus dieser Entscheidung, sich erst mal eine sinnfällige Kombination zu überlegen und sich da auch beraten zu lassen. Dann sieht man, funktioniert das oder funktioniert das nicht und kann dann noch mal neue Entscheidungen treffen. Da ist es auch manchmal so, dass man Haupt- und Nebenfach tauscht. Das ist eine Option, die möglich ist. Da freuen wir uns immer besonders über Bekehrte, die mit Rhetorik als Nebenfach begonnen haben und dann mit Rhetorik als Hauptfach weitermachen, was gar nicht so selten vorkommt.

C. J.: Weil die dann so begeistert sind. Dann kommen wir auch zum Thema, was begeistert denn die Studierenden an ihrem Studium und hören uns da mal an, was die Tübinger Studierenden uns dazu gesagt haben.

Persönliche Voraussetzungen (20:48)

Studi 1: Am Studium der Allgemeinen Rhetorik begeistert mich eigentlich am meisten, dass Rhetorik einem überall begegnet und dass man sowohl geschichtlich auf Rhetorik schauen kann als auch sehr aktuell.

Studi 2: Am meisten fasziniert mich die vielfältige Anwendbarkeit und Relevanz der Rhetorik in diesen ganzen unterschiedlichen Bereichen, also sei es jetzt Politik, sei es Wirtschaft, Journalismus, Marketing oder eben auch Literatur.

Studi 3: Mir wird mit jedem Text und jeder Theorie mehr in der Rhetorik bewusster, wie fundamental wichtig und relevant die Rhetorik für unser Leben ist. Rhetorik prägt oder erzeugt vielmehr unsere Meinungen über die Welt und prägt und gestaltet auch die Diskurse, die wir in der Gesellschaft führen. Und dass sich diese Form gesellschaftlicher Macht im Studium zu entdecken und zu analysieren lerne, fasziniert mich mit jedem Semester mehr.

Studi 4: Am Fach Rhetorik begeistert mich zum einen, wie aktuell das Wissen aus der Antike beispielsweise noch ist, wie aktuelles es über die Jahrhunderte war und auch heute noch angewendet werden kann. Und zum anderen begeistert mich vor allem an der Rhetorik, wie sehr man auch im Alltag dieses rhetorische Wissen gebrauchen kann oder anwenden kann. Immer wenn jemand auf eine Bühne tritt und anfängt zu reden, schaut man da, wenn man Rhetorik studiert, jetzt immer ein bisschen anders drauf.

A. B.: Nun haben wir schon einige Einblicke bekommen. Die Aktualität wurde öfter genannt und die Anwendung im Alltag genauso wie die Relevanz für unser Leben. Was sind denn, Herr Kramer, so Voraussetzungen, die man als Studienanfänger oder -anfängerin mitbringen sollte, wenn man sich auf das Fach einlässt?

O. K.: Wenn man die Kommentare hört, muss man übrigens sagen, dass wir wirklich tolle Studierende haben, weil da ganz zentrale und wichtige Dinge genannt wurden. Das will ich noch mal unterstreichen. Was muss man mitbringen? Also man sollte auf jeden Fall Interesse, Freude, Spaß an Texten haben. Daran, Texte zu lesen und Texte zu schreiben, denn das ist die Basis für jede Form von Rhetorik. Auch, wenn sie am Ende einen Instagram-Post produzieren, brauchen Sie diese Textebene. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung, Freude am Umgang mit Texten und auch an der sprachlichen Gestaltung. Das scheint mir im Grunde noch wichtiger zu sein als Freude an der Performance, also am Auftritt. Das ist natürlich etwas, was hinzukommen kann, aber es ist auch durchaus möglich, dass sich das vielleicht im Studium entwickelt, und es muss sich auch gar nicht notwendig entwickeln. Es kann durchaus passieren, dass man sagt: „Ich bin eher an Analyse interessiert und nehme Rhetorik als eine kritisch analytische Disziplin, die sich gesellschaftliche Phänomene anschaut." Damit sind Sie auch in dem Studium sehr gut aufgestellt, wobei wir schon versuchen, jede/jeden der Rhetorik, die/der Rhetorik studiert, dahin zu bringen, einen souveränen öffentlichen Auftritt hinzulegen und in unterschiedlichen Kommunikationssituation zu bestehen. Das ist eine Aufgabe dieser Praxisseminare. Aber unter den Studierenden gibt es dann Menschen, die nehmen diesen performativen Teil sehr stark für sich wahr und finden den sehr wichtig. Aber es ist eben auch möglich, sehr textbezogen sich mit diesem Fach auseinanderzusetzen.

C. J.: Ist das eine große Herausforderung für manche Studierenden, sich dann auch vor eine Gruppe von Kommilitonen und Kommilitoninnen vielleicht erst einmal im Seminar hinzustellen, um vielleicht auch später dann vor einer größeren Gruppe so eine Rede zu halten?

O. K.: Natürlich bedeutet es, eine Rede zu halten, eine Präsentation zu halten oder in irgendeinem Social-Media-Kanal aufzutreten, immer sich als Person zu exponieren. Insofern macht das etwas mit Menschen. Wir haben aber jetzt, wenn wir die Praxisseminare anschauen, sehr erfahrene Dozierende, wo es auch gelingt, eine Atmosphäre herzustellen, wo man sich ausprobieren kann, was ich immer ganz wichtig finde. Es geht auch im Studium darum, eine eigene Kommunikationsform für sich zu finden. Rhetorikkurse, Rhetoriktraining sind immer dann schlecht, wenn sie versuchen, Menschen mit einem Standardmuster zu versehen und irgendwelche Standardgesten und -haltungen anzutrainieren. Das machen wir nicht, sondern wir schauen sehr genau die Personen an, versuchen zu identifizieren, was sind Stärken dieser Person, um diese Stärken dann weiter herauszuarbeiten. Dann gibt man ein paar Tipps, was man vielleicht vermeiden kann, aber es geht sehr darum, an einer Redehaltung zu arbeiten, die zur Person passt, die Authentizität ausstrahlt, in der sich eine Rednerin, ein Redner wohlfühlt. So wird in diesen Praxisseminaren gearbeitet und insofern besteht da, glaube ich, eine Atmosphäre, die für die Studierenden sehr positiv ist und die, die auch so aufnehmen.

C. J.: Ist es dann etwas, dass die Studierenden über mehrere Semester auch begleitet oder ist es eher so, dass ich einmal ein Seminar, ein Proseminar oder ein Praxisseminar habe, in dem ich dann mit einem Dozenten oder einer Dozentin das beispielsweise geschult bekomme?

O. K.: Da kommen wir wieder dazu, dass sie die Möglichkeit haben, das Studium insgesamt sehr individuell zu gestalten. Es ist durchaus möglich zu sagen, mich interessiert vor allen Dingen diese Weiterentwicklung als Sprecherin oder als Sprecher und dann kann man entsprechenden Fokus setzen und macht mal ein Seminar – das ist für viele so ein Anfangsseminar, das heißt „Reden, Überzeugen, Gewinnen”– wo man die absoluten Basics kennenlernt. Man macht weiter mit einem Stimm- und Sprechseminar und macht dann vielleicht ein Körpersprache- Intensivseminar und setzt ganz seinen Fokus in diese Richtung. Das kann man machen, muss man aber nicht. Man kann sich genauso gut sagen: „Mein Ding ist eher schreiben und ich besuche Praxisseminare, in denen ich lerne, Hörfunk Features zu schreiben, Kurzgeschichten zu schreiben oder journalistische Texte einzuüben. Das ist eine individuelle Entscheidung. Eine gewisse Basisausbildung im Bereich des Schreibens und im Bereich des Auftritts ist aber für alle im Studium verbindlich angelegt.

A. B.: Das wäre jetzt auch so eine Frage von mir noch gewesen. Ist es denn zwingend notwendig, dass man eine stark ausgeprägte kommunikative Ader hat für das Studium?

O. K.: Nicht unbedingt. Also ich sage manchmal auch, das Rhetorikstudium läuft eher darauf hinaus Schweigen zu lernen, als Reden zu lernen. Menschen zu überzeugen, Menschen zu erreichen, hängt sehr daran, dass ich fähig bin zuzuhören, aufzunehmen, welche Signale mir jemand sendet, zu analysieren, was Argumente sein könnten, die verfangen. Insofern hat Rhetorik sehr viel damit zu tun, zuzuhören. Im Grunde kann niemand ein besserer Redner als Zuhörer sein und das ist sehr wichtig. Es geht keinesfalls darum, Dampfplauderer auszubilden, sondern insofern hat Rhetorik durchaus in der Ausbildung etwas damit zu tun, Zuhören zu lernen, Schweigen zu lernen und dann im richtigen Moment in ein Gespräch, in eine Diskussion, in eine Debatte einzusteigen.

A. B.: Das kann gerade in Stresssituationen schwierig sein, wirklich auch noch mit offenen Ohren zuzuhören. Also das kann ich völlig unterschreiben.

O. K.: Man braucht auch ein Repertoire an kommunikativen Möglichkeiten. Also wer die Vorstellung hat, Rhetorik hat mit der großen Bühne zu tun, das ist eine Möglichkeit, diesen großen Auftritt zu lernen. Aber wir haben auch viele Kommunikationssituationen, wie zum Beispiel diejenige, in der wir jetzt gerade uns befinden, ein Podcast, der eher damit arbeitet, Nähe herzustellen. Wenn ich jetzt mit großem Gestus – jetzt erschreckt sich der Tonmann – hier spreche, ist das völlig unangemessen. Das hier ist Nähe. Das ist eher eine intime Situation, die ich habe, wenn ich einen Podcast anhöre. Und insofern geht es auch darum, dieses Repertoire an kommunikativen Möglichkeiten kennenzulernen. Auch in der Online- Präsentation in dieser Online-Kollaboration, die jetzt in der Coronakrise in den Berufsalltag vieler Menschen eingezogen ist, auch das ist nicht große Bühne, sondern das ist das Herstellen von Nähe, kommunikativ.

A. B.: Sodass ich dann relativ schnell in verschiedene Situationen schlüpfen kann. Das wäre sozusagen auch eine praktische Methodik, wenn ich das mal so nennen darf. Muss man auch viele alte oder ältere Texte im Original lesen oder welche Sprachen sind so relevant?

O. K.: Also das Besondere an der Rhetorik ist, dass sie auf 2500 Jahre Geschichte zurückblickt. Das kann kaum ein Fach von sich sagen. Und diese 2500 Jahre Geschichte nehmen wir ernst. Also antike Rhetorik spielt eine Rolle. Sie lesen aber alle Texte, um Sie gleich zu beruhigen, in Übersetzungen. Also wir lesen die nicht auf Latein oder Griechisch, sondern benutzen in aller Regel Übersetzungen. Diese antike Rhetorik ist aber sehr interessant, weil sie schon empirisch fundiert ist. Das ist anders als viele andere Wissenstatbestände, die wir aus der Antike heute haben. Sie können heute nicht Biologie betreiben und sich dabei auf die Antike beziehen, weil da sehr viel spekuliert wurde. Zum Beispiel glaubte man, Frauen haben weniger Zähne als Männer und kamen über Jahrhunderte nicht auf die Idee nachzuzählen. Das funktioniert nicht. Rhetorik ist ganz anders. Rhetorik ist nämlich in der Antike nicht spekulativ, sie ist empirisch geerdet. Sie müssen sich vorstellen, Rhetorik entsteht vor Gericht aus dem Bedürfnis, Menschen anzuklagen oder zu verteidigen. Und sie entsteht im Kontext politischer Rede, wo man versucht – und das ist in einem Stadtstaat, wie Athen einer ist, wirklich ganz konkret – die Bürger, die man vor sich hat, versucht, zu überzeugen. Das bedeutet, Sie haben jeweils direkte Rückmeldung, ob eine rhetorische Technik, die Sie einsetzen, funktioniert oder nicht funktioniert. Wenn Sie vor Gericht scheitern, ist Ihr Mandant im Zweifelsfall am Ende einen Kopf kürzer, weil er das nicht überlebt. Wenn es Ihnen gelingt, den Richter des Gerichts zu überzeugen, ist das Ergebnis ein ganz anderes. Also insofern hat man eine unmittelbare Rückmeldung darüber, ob eine Technik, die man einsetzt, funktioniert oder nicht funktioniert. Und insofern ist die antike Rhetorik sehr stark empirisch gesättigt. Das, was sie in der antiken Rhetorik lernen, ist auch heute noch in der Kommunikation in vielerlei Hinsicht maßgeblich. Das zeigt sich, wenn wir zwei, drei konkrete Beispiele benennen. Ein Klassiker ist etwa Aristoteles mit dieser Vorstellung „Logos, Ethos, Pathos”. Menschen reagieren nicht nur auf der Sachebene, sondern wie sie auf Kommunikation reagieren, hängt immer auch von ihren eigenen Interessenlagen und eigenen Emotionen ab und hängt auch immer von der Figur des Kommunikators ab, ob man den als vertrauenswürdig, glaubwürdig usw. wahrnimmt. Das gilt auch heute noch. Sie können sich im Kontext von Twitter Postings fragen, wie wird da eigentlich Glaubwürdigkeit hergestellt? Welcher emotionale Aspekt ist in einem Post enthalten? Welche Sachinformation wird übermittelt? Das heißt, Sie haben dann ein Grundkonzept von Kommunikation verstanden, das Sie in den unterschiedlichsten Kontexten anwenden können. Adaptivität ist ein weiterer Punkt. Also zu sagen, Kommunikation muss man immer von den Adressat:innen her denken. Das ist die Instanz, die letztlich entscheidet. Ich muss Kommunikation anpassen an das Vorwissen der Adressat:innen, an ihre Interessen und ihre Motivationen, nur dann kann Kommunikation gelingen. Das sind Grundkonzepte von Rhetorik, die man in der Antike schon entwickelt hat. Das gilt auch für die Formen von Textproduktion. Da gibt es ein Fünfstufenmodell, wie man von der ersten Ideenentwicklung zur Performance kommt. Das gilt heute noch in den unterschiedlichsten kommunikativen Kontexten. Deshalb ist es so spannend, in die antike Rhetorik hineinzuschauen.

C. J.: Wir hatten uns als eine der Fragen im Vorfeld notiert, was denn das Spannende an der allgemeinen Rhetorik aus Ihrer Sicht ist. Ich glaube, die Frage können wir uns sparen, weil das haben Sie gerade schon mit so viel Begeisterung vorgetragen. Was ganz wichtig ist, was mache ich denn später mit diesem Studium, wenn ich es abgeschlossen habe? Wir haben da wieder Studierende gefragt, was denn so ihre Vorstellungen sind, wo sie später mal beruflich landen möchten. Die hören wir uns mal an und sprechen danach darüber.

Berufsperspektiven (32:37)

Studi 1: Ja, was möchte ich später mal machen? Das ist eine gute Frage. Es gibt zwei Berufsbilder, die mich besonders interessieren. Einmal kann ich mir vorstellen, in der Erwachsenenbildung als Rhetoriktrainer tätig zu werden. Aber ich kann mir auch vorstellen, im Marketing tätig zu werden bzw. tätig zu bleiben. Denn ich habe mich vor acht Monaten mit einem Freund aus dem Studium selbstständig gemacht. Wir haben eine Social Media Agentur gegründet und das macht mir auch super viel Spaß.

Studi 2: Also zum einen kann ich mir gut vorstellen, im Journalismus tätig zu sein. Zum anderen könnte ich mir aber auch vorstellen, dass ich eine andere Leidenschaft von mir, die Leidenschaft für die Musik mit der Rhetorik in dem Sinne verbinden kann, indem ich zum Beispiel im Musikmanagement oder generell im Kulturmanagement arbeite.

Studi 3: Was ich nach meinem Rhetorikstudium machen will, weiß ich tatsächlich noch gar nicht so genau. Für mich steht nur fest, dass ich in meinem Beruf auf jeden Fall viel im Austausch mit anderen Menschen sein will, um Leuten zu helfen, noch besser, noch wirkungsvoller kommunizieren zu können.

Studi 4: Nach dem Studium gibt es verschiedene Wege, die ich spannend fände. Zum einen könnte ich mir vorstellen, im Verlagswesen zu arbeiten oder beim Fernsehen, aber auch so was wie Wissenschaftskommunikation oder Trainings, aber auch durchaus in der Forschung weiter zu bleiben. So richtig steht das jetzt noch nicht fest. Aber das sind alles Bereiche, die ich für mich sehen kann. Und ich glaube, mit Rhetorik kann es durchaus auch passieren, dass man irgendwo sehr zufällig landet. Von daher bin ich da auch recht offen.

C. J.: Ich glaube, die anfangs angesprochene Vielfalt in den Inhalten des Studiums zeigt sich jetzt auch bei den Berufsvorstellungen und dann wahrscheinlich auch in den Berufsfeldern, in dem die Absolventen und Absolventinnen landen. Was häufig ganz spannend ist, ist vor allem auch diese Übergangsphase kurz nach dem Studium. Wie gelingt da der Berufseinstieg? Ist es etwas, mit dem man sich auch schon während des Studiums beschäftigen sollte? Gibt es zum Beispiel Praktika während des Studiums?

O. K.: Zunächst mal kann man sagen, Rhetoriker:innen kommen eigentlich sehr gut unter, was damit zusammenhängt, dass es ja gar nicht so viele gibt. Wenn Sie Rhetorik studiert haben und sich irgendwo bewerben, haben Sie dadurch auch eine gewisse Auffälligkeit. Es macht aber schon Sinn natürlich, sich im Laufe des Studiums zu überlegen, was ist die Richtung, in die ich gehen will und entsprechende Schwerpunkte zu setzen. Wenn Sie jetzt sagen, mich interessiert, was sehr klassisch rhetorisch ist, nämlich dieser Bereich Rhetoriktraining, sollte man natürlich auch im Studium entsprechende Schwerpunkte setzen. Oder wenn Sie sagen, Redenschreiber ist etwas, was ich mir gut vorstellen kann, was auch eine ganz klassische rhetorische Aufgabe ist, entsprechende Seminare zu besuchen. Darüber hinaus gibt es viele weitere Felder, in denen Rhetoriker beruflich tätig werden und die man im Studium etwas vorbereiten kann. Wissenschaftskommunikation ist ein ganz großes Feld, dass jetzt in den letzten Jahren in Tübingen stark geworden ist, wo ein riesiger Bedarf inzwischen auch da ist. Das hat die Coronakrise und der Klimawandel noch mal deutlich gemacht. Große Organisationen betreiben inzwischen sehr unterschiedliche Formen von Wissenschaftskommunikation und dafür können Sie sich in Tübingen zu einer Expertin oder einem Experten ausbilden lassen. Dann erschließen sich viele Berufe dadurch, dass Rhetorik viel mit strategischem Denken zu tun hat. Also wenn wir in Richtung Unternehmensberatungen schauen, da ist dieser Strategieansatz der Rhetorik etwas, was eine wichtige Rolle spielt. Oder wenn Sie in Richtung von Werbung, PR und so weiter schauen, sind Sie auch wieder bei den Strategien und sind Sie bei den Fähigkeiten von Rhetoriker:innen Texte zu produzieren. Insofern erschließen sich sehr unterschiedliche Berufsfelder und wir empfehlen immer, im Laufe des Studiums Praktika zu belegen. Die können Sie auch zum Teil bei uns ins Studium integrieren, um auf diese Weise praktische Erfahrungen zu sammeln und dann entsprechende inhaltliche Schwerpunkte zu setzen. Im Laufe des Studiums wird den Leuten einfach klar, dass sich wirklich ein großes Repertoire an Möglichkeiten erschließt. Am Anfang kommen viele mit der Idee, Journalist werden zu wollen, weil das ein Beruf ist, den man kennt. Diesen ganzen Wissenschaftskommunikationsbereich haben die nicht auf dem Schirm. Das ist also eine neue Perspektive, die sich dann erschließt. Dieser ganze Bereich Training ist nicht nur der klassische Rhetoriktrainer, sondern in einer modernen Wissenschaftsgesellschaft, in der wir heute leben, spielt natürlich berufliche Weiterbildung in sehr komplexer Weise eine Rolle. Da geht es darum, die Ressource Mensch wachsen zu lassen und sich weiterentwickeln zu lassen in Unternehmen. Auch das ist ein Feld, in dem man als Rhetorikerin oder als Rhetoriker sehr gut aktiv werden kann.

C. J.: Wie viele Rhetoriker:Innen werden denn jedes Jahr ausgebildet? Also wie viele Studierende gibt es in dem Studiengang jedes Semester oder jedes Jahr neu?

O. K.: Wir haben insgesamt ungefähr 400 Studierende oder 450 Studierende, das schwankt immer so ein bisschen hin und her und wir lassen im Bereich der Bachelorstudiengänge jeweils nur im Winter zu. Im Winter fängt dann so eine Kohorte an, die in der Stärke so zwischen, sagen wir mal 90 und 120 B.A.-Studierenden liegt. Mit dem Masterstudiengang Rhetorik kann man sowohl im Winter als auch im Sommer anfangen. Da hat man jeweils so eine Gruppe, die ist vielleicht 10 oder 15 Leute groß.

C. J.: Wie schwer ist es da reinzukommen, in den Bachelor jetzt erst mal?

O. K.: Ich sage zunächst mal, bewerben Sie sich einfach mal und dann sieht man, was passiert. Man hat auf jeden Fall Chancen, einen Platz zu bekommen und insofern einfach mal versuchen.

A. B.: Darf ich etwas dazwischenfragen? Die Qualifikation nach den verschiedenen Studiengängen wie sieht es denn da aus? Also inwiefern ist man nach dem Bachelor schon qualifiziert direkt in den Beruf einzusteigen? Wie sieht es nach dem Master aus? Und ist man dann tatsächlich auch fertig ausgebildet? Oder sind dann vielleicht in manchen Berufsfeldern auch noch weitere Schritte nötig, um da reinzukommen?

O. K.: Man kann natürlich immer weiter lernen und lebenslanges Lernen ist ein Stichwort, das auch in unsere Zeit gehört. Nach dem Studium lernen Sie natürlich weiter und entwickeln sich weiter, je nachdem in welchem Feld Sie sich bewegen. Aber auch ein Bachelorabschluss ist etwas, was berufsqualifizierend ist. Ich hatte gerade vor zwei oder drei Wochen eine Bachelorprüfung bei einer Kandidatin, die jetzt schon ihren Job hatte. Die arbeitet bei einer großen Schweizer Bank. Auch so einen Weg kann aus dem Rhetorikstudium entstehen und sie macht das mit einem Bachelorstudiengang. Es gibt eben viele Bereiche, wo man sagt, das funktioniert gut. Wir freuen uns immer, wenn Leute in Richtung des Masterstudiengangs weitermachen und insofern mehr noch in die Wissenschaft einsteigen. Natürlich ergeben sich daraus weitere Möglichkeiten, weil man einfach einen besseren Überblick über dieses Fach hat. Und auch promovieren kann man in der Rhetorik, wenn man das möchte, wenn man sich die wissenschaftliche Arbeit zum Ziel setzt. Und insofern kann man immer weitermachen. Aber auch nach dem Bachelorstudiengang kann man in den Beruf einsteigen. Wir erleben durchaus, dass schon während des Studiums viele Studierende in einem rhetorischen Kontext berufstätig werden, weil zum Beispiel nach Trainings, nach Rhetoriktrainings gibt es eine große Nachfrage. Man wird natürlich jetzt nicht gleich im dritten Semester oder vierten Semester als Spitzentrainer einsteigen. Aber schon da finden viele Studierende in ihrem Umfeld bei verschiedenen sozialen Organisationen die Möglichkeit, in diesem Trainingsbereich Erfahrungen zu sammeln. Wir haben auch jetzt, das gehört zu unserem Jugend-präsentiert-Projekt, eine sogenannte Junior Trainer Academy, wo Studierende während des Studiums sehr gründlich ausgebildet werden für diesen Trainingsbereich und dann innerhalb dieses bundesweiten Jugend-präsentiert-Projekts tätig werden, da bezahlt Trainings anbieten können. So wächst man zum Beispiel in dieses Feld hinein.

A. B.: Ich hake jetzt noch mal nach. Es gibt einige Bereiche wie PR, Journalismus, wo es verbreitet ist, dass man ein Volontariat macht. Ist es denn, wenn man jetzt aus einem Rhetorikstudium kommt, wo man schon relativ viel Praxisanteile hat, trotzdem nötig für solche Bereiche ein Volontariat zu absolvieren oder kommt man mit dem Studiengang da schon ohne Volontariat rein?

O. K.: Die Wege sind sehr unterschiedlich. Es gibt klassische Zeitungen, die diesen Volontariatsweg beschreiten. Aber oft, gerade im Journalismus, gibt es auch Situationen, wo Leute in fester, freier Mitarbeit tätig sind. Und insofern ist das sehr variantenreich, was da passiert und etwa beim Journalismus nicht so ganz zu kalkulieren, welchen Einstieg man da am Ende findet.

C. J.: Was mich persönlich noch interessiert, ist, wenn ich mich für einen Master interessieren würde, ist der Master nur konsekutiv studierbar, also muss ich davor einen Bachelor in Allgemeiner Rhetorik gemacht haben? Oder kann ich beispielsweise, wenn ich im Bachelor Medienwissenschaft studiert habe und dann merke diese Allgemeine Rhetorik würde mich interessieren, auch da eine Möglichkeit finden, den Master zu studieren?

O. K.: Ja, Sie können in den Master aus allen möglichen Studiengängen im Grunde einsteigen. Wir schauen uns dann immer die Affinität an, also die Frage, erkennt man innerhalb des Studiums, dass sich jemand für Kommunikation interessiert? Dann können Sie aus unterschiedlichen Studiengängen zu uns kommen. Wir haben oft Leute, die aus der Betriebswirtschaft kommen. Da schaut man dann, haben die etwas Richtung PR oder Marketing gemacht, dann passt das sehr gut. Manchmal sortiert man aus, wenn man sagt, nein, die haben gar keinen Kommunikationsfokus, das ist zu weit weg. Aber ansonsten ist ganz viel möglich, zum Beispiel aus den Literaturwissenschaften, aus verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, wie der Politikwissenschaft, zu kommen. Auch aus der Philosophie kann man in die Rhetorik kommen, wenn man sagt Argumentationstheorie ist etwas, was mich in besonderer Weise interessiert. Wir schauen gerade bei den Masterkandidaten immer in die individuelle Studienbiographie hinein und schauen dann, ist plausibel zu machen, warum diejenige oder derjenige zu uns kommen möchte und lassen dann aus den unterschiedlichen Fächern die Leute zu.

C. J.: Klasse, also ich bin überzeugt und habe keine Fragen mehr.

A. B.: Ich schreibe mich auch gleich ein.

C. J.: Okay, ich glaube, dann kommen wir auch schon langsam zu unserer letzten Kategorie. Und zwar würden wir von Ihnen gerne noch wissen, Herr Kramer, ob Sie unseren Hörer:innen irgendwelche Insidertipps empfehlen könnten, also beispielsweise Literaturtipps oder irgendeinen Film, eine Doku oder ein spannendes Interview, dass Sie sich selbst zu Hause anschauen, lesen oder hören können und das Sie empfehlen würden, das mit dem Fach Allgemeine Rhetorik zu tun hat.

Insider-Tipps (43:49)

O. K.: Zunächst empfehle ich mit offenem Blick durch die Welt gehen. Wir selbst, die Mitarbeitenden des Instituts, artikulieren und äußern uns immer wieder zu aktuellen politischen Ereignissen. Insofern gibt es da immer mal wieder Gelegenheit, Interviews von Mitarbeitenden des Instituts zu aktuellen Problemen und Phänomenen, die man rhetorisch analysieren kann, anzuhören. Ich glaube, das kann ein ganz guter Einstieg sein, um zu erkennen, wie aktuell und interessant dieses Fach ist. Wenn Sie sich für das Feld Wissenschaftskommunikation interessieren, ist ein Lesetipp das Science Notes Magazin. Das könnten Sie auch verlinken, denn das ist ein Versuch, wo wir selbst umsetzen, wie wir uns eigentlich gute Wissenschaftskommunikation vorstellen. Das ist sehr designorientiert, sehr darauf ausgerichtet, Wissenschaft als Prozess zugänglich und verständlich zu machen. Insofern ist es glaube ich ein ganz gutes Beispiel, um zu erkennen, wo Rhetorik praktisch hinführen kann.

C. J.: Und das ist eine Publikation vom Tübinger Lehrstuhl?

O. K.: Genau, das Science Magazin wird an der Forschungsstelle Präsentationskompetenz gemacht, die zu meinem Lehrstuhl dazugehört und ist eine bundesweit erhältliche Zeitschrift und auch eine Veranstaltungsreihe übrigens, die bundesweit stattfindet. Insofern kann man auch mal schauen, wenn man in einer größeren Stadt wohnt, ob da ein Science Notes Event ist. Das Ziel der Science Notes ist, Wissenschaft in die Gesellschaft zu bringen, aktuelle wissenschaftliche Forschung in zugänglicher Weise zu kommunizieren.

A. B.: Das ist ein guter Tipp. Dann werde ich das in die Shownotes aufnehmen.

O. K.: Genau. Sie können dann auch noch unseren Podcast, der heißt Sound of Science, verlinken. Der ist glaube ich ebenfalls interessant. Den haben wir mit der Deutschen Journalistenschule gerade vor einem Monat neu begonnen.

A. B.: Werden wir gerne. Gut, dann würde ich sagen, haben wir es für heute. Ich sage vielen Dank Herr Kramer, dass Sie da waren, hat uns sehr gefreut.

O. K.: Gerne. Danke für die Einladung.

A. B.: Und dann auch schon mal Tschüss Christoph.

C. J.: Tschau.

A. B.: Und an die Hörerinnen und Hörer bis zum nächsten Mal. Wir würden gerne von Euch Wissen, ob Euch etwas fehlt oder was Euch besonders gefällt und was wir beibehalten sollen. Wir freuen uns immer über Feedback. Also schreibt uns, damit wir für Euch dann die richtigen Fragen stellen können an hochschulreif@uni-tuebingen.de

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Olaf Kramer über die folgenden Themen: 
01:26 Persönliche Motivation
10:09 Studieninhalte
20:48 Persönliche Voraussetzungen 
32:37 Berufsperspektiven
43:49 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Allgemeinen Rhetorik:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #09: Bioinformatik

Was genau ist eigentlich Bioinformatik? Was kann die Bioinformatik aktuell beitragen? Und wie denkt man „bioinformatisch“? Zu Gast für das Studienfach Bioinformatik ist Professorin Dr. Kay Nieselt. Sie gibt Einblicke in verschiedene Bereiche der Bioinformatik, in die Inhalte und Herausforderungen des Studiums sowie in mögliche Berufsperspektiven. Außerdem verraten Studierende, was ihnen an der Bioinformatik am besten gefällt und wie ihre Berufswünsche aussehen.

Tags #Bioinformatik #Mathematik #Informatik #Programmieren #Biologie #Chemie #Biochemie
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Alexandra Becker (A. B.): Herzlich Willkommen zu „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch auch heute wieder ein Studienfach vor, damit Ihr gut informiert seid, was Euch im Studium so erwartet. Diesmal sprechen wir über das Fach Bioinformatik. Wir, das sind bekanntermaßen mein Kollege Christoph Jäckle. Hi Christoph!

Christoph Jäckle (C. J.): Hallo Alex!

A.B.: Und ich bin Alexandra Becker vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen. Für das Fach Bioinformatik haben wir Professorin Dr. Kay Nieselt im Studio. Ein herzliches Willkommen auch an Sie!

Kay Nieselt (K. N.): Ja, herzlichen Dank, Frau Becker. Ich freue mich sehr, hier zu sein.

A. B.: Frau Nieselt, ich stelle Sie kurz vor: Sie sind Professorin für Bioinformatik an der Uni Tübingen und Sie leiten die Arbeitsgruppe „Integrative Transkriptomik“. Das müssen Sie uns gleich auch noch näher erklären. Wir lassen aber traditionell in jeder Folge zuallererst unsere Studierenden zu Wort kommen. Vorab haben wir sie gefragt, warum sie das Fach Bioinformatik gewählt haben.

Persönliche Motivation (01:09)

Studi 1: Ich habe mich für Bioinformatik entschieden, weil ich im Bachelor gemerkt habe, dass mir in Informatik diese strukturierte Denkweise unglaublich viel Spaß macht, aber ich dafür noch einen Anwendungsfach haben wollte. Und da hat mir Genetik einfach immer sehr viel Spaß gemacht und das kann man beides in Bioinformatik super verbinden.

Studi 2: Mir lag das mathematische immer schon relativ gut und als ich die Ausbildung zum Notarzt gemacht habe und da nicht so wirklich Erfüllung gefunden habe, wollte ich was mehr Mathe-lastiges machen, was gleichzeitig auch so ein bisschen den Menschen hilft und habe Bioinformatik darüber entdeckt.

Studi 3: Ich bin über den Studieninfotag auf die Bioinformatik aufmerksam geworden und habe mich letztendlich dafür entschieden, weil Bioinformatik eine tolle Mischung aus Naturwissenschaften und Informatik ist, und mich sowohl Naturwissenschaften als auch Informatik sehr interessieren.

C. J.: Frau Nieselt, wir haben jetzt in dem Einspieler gerade schon verschiedene Erwartungshaltungen gehört, sowohl von einer Masterstudierenden, die davor schon im Bachelor eine bestimmte Erfahrung gemacht hat, aber auch von Bachelorstudierenden, die vermutlich noch relativ unvoreingenommen in das Studium reingegangen sind. Was sind denn Ihre Eindrücke? Welche Vorstellungen vom Studium haben viele Erstsemesterstudierende und erfüllen sich diese?

K. N.: Ja, das ist tatsächlich eine sehr spannende Frage. Vor allem deswegen, weil das Studienfach, an der Schule nicht gelehrt wird. Es ist ja schon schwierig, überhaupt einen Informatikunterricht zu haben, geschweige denn Bioinformatik. Es gibt ein paar Gymnasien, sogenannte biotechnologische Gymnasien, die bieten das ab der Oberstufe als eigenes Fach an und oft haben wir tatsächlich auch diese Studierenden, die dann ihren Weg zu uns finden. Die sind schon sehr gut vorbereitet und mit ihren Erwartungshaltungen trifft das sehr gut zu, was wir ihnen dann hier anbieten. Studierende, die das Studienfach wählen, finden es sehr spannend und motivierend, genau an dieser Schnittstelle zwischen, allgemein gesprochen, Informationstechnologie und den Lebenswissenschaften zu lernen und zu arbeiten, vielleicht auch später sogar zu forschen. Die Einspieler von den verschiedenen Studierenden haben das ein bisschen widergespiegelt. Es ist ein sehr interdisziplinäres Studienfach und tatsächlich glaube ich, haben das die meisten bei der Wahl beachtet und genau deswegen gewählt, weil sie verschiedene Naturwissenschaften geboten bekommen und dazu noch Mathematik. Im Vordergrund stehen Informatik und Mathematik. Also interessanterweise ist das Suffix, also das Wort, was hinten steht, entscheidend: „Informatik“, die hauptsächliche Ausrichtung des Studiengangs, und vorne „Bio“. Das meint aber nicht nur Biologie, sondern auch Chemie und Biochemie, was im Studium auch gelernt wird. Die verschiedenen Anteile, wie viel Prozent sozusagen dann die Informatik, Mathematik und die Lebenswissenschaften ausmachen, hängt sehr von den Universitäten ab. Wir haben einen sehr hohen Anteil an Informatik und Mathematik, also genau das, was eine Studierende erwähnt hat, dass wir sehr strukturiertes Lernen vermitteln. Das ist in diesen beiden Fächern gegeben. Das ist aber teilweise nicht allen klar, wenn sie das Studium beginnen. Das muss man auch ganz ehrlich sagen. Die Erstsemesterstudierenden haben sich vielleicht gar nicht so viel darunter vorstellen können und sind dann doch überrascht oder manche vielleicht ein bisschen überfordert mit Informatik und Mathematik.

C. J.: Was würden Sie denn den Studieninteressierten raten? Welche Fragen sollten die sich stellen, wenn sie mit dem Gedanken spielen, Bioinformatik zu studieren?

K. N.: Sie sollten sich die Frage stellen, ob sie wirklich gewillt sind. Wir betreten hier mit diesem Studienfach eigentlich zwei Kulturen, zwei Welten, mit ihrer Art zu denken. Einerseits das strukturiert abstrakte logische Denken auf Seiten der Informatik und auf der anderen Seite Mathematik, das Auswendiglernen. Zumindest in den ersten zwei Jahren des Studiums zentriert man sehr viel das Faktenlernen im wissenschaftlichen Bereich also Biologie, Biochemie und Chemie. Und beides muss man von der ersten Minute des Studiums an gleichzeitig durchziehen. Und das ist etwas, was man sich gleich am Anfang fragen muss: Bin ich bereit viel auswendig zu lernen und gleichzeitig aber auch sehr stark abstrakt und logisch denken zu lernen? Das bringen wir natürlich auch bei. Aber man muss sich dem schon auch öffnen und stellen wollen.

C .J.: Ja, das ist schon eine eher außergewöhnliche Kombination für den Studiengang, dass man tatsächlich zwei sich eigentlich sehr gegenüberstehende Fach- und Lernkulturen mitbringen sollte.

K. N.: Richtig, aber das ist auch genau das, was die Studierenden, die dann wirklich sehr erfolgreich sind, als das sehen, was sie so begeistert. Die eine Studierende sagte es schon: Es begeisterte sie im Bachelor – sie hat erst einen anderen Bachelor gemacht – abstrakt zu lernen. Aber sie wollte etwas, was konkret anwendungsorientiert ist auf biologische Fragestellungen, das abstrakt Gelernte anwenden wollen. Und daher hat sie dann auch mit dieser Mischung mit großem Erfolg und auch großer Begeisterung im Master studiert.

C. J.: Wie sind Sie denn selbst zur Bioinformatik gekommen? Wussten Sie im Vorfeld schon, welche verschiedenen Lernkulturen Sie da erwarten würden?

K. N.: Ich bin ein bisschen älter und als ich angefangen habe zu studieren, gab es das Fach gar nicht. Wir hatten nicht mal ein Informatikstudium. Also als ich begann mit dem Studium – ich habe Mathematik studiert – musste ich noch ein zweites Fach wählen und an der Uni, an der ich studiert habe, gab es nur eins zur Wahl, nämlich Physik. Das war jetzt nicht mein Lieblingsfach in der Schule und ich war darüber etwas unglücklich und habe dann einen Antrag gestellt, ob ich als Zweitfach stattdessen Biologie wählen könnte. Also ich habe da schon so eine Idee gehabt. Ich fand das sehr spannend, aber das wurde nicht genehmigt. Das ging nur, wenn man Lehrerin werden wollte, haben sie gesagt, denn das sind ja zwei Fächer, die nichts miteinander zu tun haben. Ich wollte aber keine Lehrerin für die Schulen werden. Ich habe dann notgedrungen erst mal Physik weitergemacht und habe dann aber, nachdem ich das Studium beendet hatte, am Max-Planck-Institut in Göttingen bei Professor Eigen erst eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin bekommen und ein Jahr später eine Promotion bei ihm begonnen. Er nannte es Theoretische Biologie. Es gibt ja auch den englischen Begriff Computational Biology. Im Deutschen würde man sagen computergestützte Biologie. Und es gibt nach wie vor so ein bisschen Unklarheiten, wie sich diese beiden Begriffe Bioinformatik und Computational Biology oder computergestützte Biologie voneinander abgrenzen. Die einen sagen, das eine ist ein Subgebiet des anderen, aber in die Richtung geht es nicht. Damals hat mich Professor Eigen gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte in meiner Promotion, mit computergestützten Methoden biologische Fragestellungen zu bearbeiten. Und so begann meine eigene Karriere damals als theoretische Biologin. Ich habe auch in der Mathematik promoviert, das heißt, ich habe einen Dr. math. Titel und nicht einen Dr. rer. nat. Aber ich habe damals schon relativ zeitgemäß zur Evolution von Viren als Mathematikerin geforscht. Und das auch mit Daten, und zwar damals zum HIV, also Humanes Immundefizienz-Virus, was für AIDS verantwortlich ist. Ähnlich wie vor zwei Jahren mit dem Corona Virus war damals auch die Frage: Wo kommt denn das Virus her, wie alt ist es, wie ansteckend ist es? Und wir haben das mathematisch modelliert und so begann dann meine eigene Bioinformatikkarriere.

A. B.: Spannend. Das ist ein tolles Beispiel, wie sich denn überhaupt neue Forschungszweige entwickeln und wie man den Weg mitgeht als eine derjenigen, die es in der Gründung miterlebt.

C. J.: Jetzt kam vorher schon auf, dass Sie, Frau Nieselt, heute unter anderem in dem Bereich „Integrative Transkriptomik“ arbeiten und forschen. Das sagt mir und wahrscheinlich auch den meisten unserer Hörer:innen erst mal nichts. Könnten Sie erklären, was es damit auf sich hat?

K. N.: Ja, das ist eine schwierige Definitionsfrage, das muss ich zugeben. Wir kürzen es ab mit IT. Darunter verstehen die meisten was anderes. Aber es ist vielleicht nicht schlecht, weil wir tatsächlich ja auch wirklich sehr informatisch arbeiten. Wir schauen uns die verschiedenen Bereiche an, wie sich genetische Information ausdrückt. Wir alle wissen hoffentlich noch aus der Schule, dass wir eine genetische Blaupause in jeder Zelle haben, nämlich die DNA. Das ist unsere genetische Information, in Form eines Genoms gespeichert. Die liegt aber nicht einfach als Information vor, sondern die muss abgelesen werden. Abgelesen im Sinne von: Proteine werden produziert, in dem die genetische Information umgeschrieben bzw. dann translatiert, d.h. übersetzt, wird und daher kommt dieses „Transkriptomik“. Übersetzt wird in die Spieler im zeitlichen Sinne, also zu welcher Zeit welches Protein bzw. Gen aktiv ist. Und das ist Transkriptomik. Wir untersuchen, wie aus den Genomen die Proteine oder auch andere Gene – es gibt nämlich nicht nur Proteine – sich zu welchem Zeitpunkt, unter welchen Bedingungen ausdrücken. Und das integrativ. Und zwar, weil wir uns angucken: Wie ist das Genom beschaffen? Wir studieren sehr viele Mikroorganismen, also Bakterien. Jeder von uns hat zum Beispiel ganz viel Escherichia coli, das Darmbakterium, und das ist auch wunderbar so, das macht uns gesund. Aber es gibt auch sehr pathogene, also sehr gefährliche Escherichia coli. Vielleicht hat das der eine oder die andere noch im Kopf: EHEC war so eine pathogene Variante von Escherichia coli. Wie unterscheiden sich diese beiden Bakterien, die eigentlich beide Escherichia coli sind, voneinander? Dieser Unterschied entsteht schon auf genomischer Ebene. Wir sehen auch den Unterschied, welche Proteinmoleküle bzw. Gene zu welchem Zeitpunkt exprimiert werden, dazu sagen wir auch transkribiert. Das ist ein gleiches Wort für diesen Zustand und das kann man studieren, um vielleicht Mittel dagegen zu entwickeln, Medikamente. Oder auch, um es zu verhindern, dass so etwas wie so ein pathogenes Escherichia coli entsteht. Das ist ein Teil der Forschungsaufgaben meiner Gruppe.

C. J.: Ist das auch ein Bereich, der eine Schnittmenge mit dem Studium der Bioinformatik, beispielsweise bei Bachelorstudierenden hat? Oder ist es dann schon so spezifisch, dass zwar bestimmte Grundlagen ähnlich sind, aber, dass es inhaltlich noch recht weit weg ist für die Studierenden?

K. N.: Ja. Tatsächlich gebe ich im dritten Studienjahr des Bachelors eine Vorlesung zu diesem Thema und das können die Studierenden wunderbar schon im Bachelor verstehen. Sie brauchen die Grundlagen von den ersten beiden Jahren. Aber dann können wir schon sehr gut dieses Thema gemeinsam während eines Semesters bearbeiten. Und das ist auch eine sehr beliebte Vorlesung, weil das wirklich spannende Forschungsthemen schon auf Bachelor-Level zugänglich macht. Also da lege ich auch großen Wert drauf.

C. J.: Dann würde ich gleich mal das Schlagwort Vorlesungen nutzen, um zum nächsten Bereich überzuleiten. Und zwar wollen wir uns anschauen, wie denn eigentlich das Studium aufgebaut ist, wie die einzelnen Studienanteile sind. Dafür haben wir wieder Tübinger Studierende befragt, wie bei ihnen denn eine typische Stundenwoche aussieht.

Studieninhalte (14:19)

Studi 1: Das Studium ist sehr abwechslungsreich. In den Lebenswissenschaften, also in Biologie und Chemie, hat man meistens Vorlesungen im Semester und in den Ferien, dann Laborpraktika und in den Informatik-, Mathematik- und Bioinformatik-Modulen hat man meistens Vorlesungen, Übungsgruppen und zusätzlich noch Übungsblätter, die bearbeitet werden müssen.

Studi 2: Ich habe tatsächlich den großen Luxus, dass ich montags frei habe. Dienstag und Mittwoch sind die Tage mit den meisten synchronen Vorlesungen und Donnerstag, Freitag und Samstag nutze ich eigentlich immer zum Programmieren und vielleicht zum Wiederholen von Stoff.

Studi 3: Man startet das Bioinformatikstudium mit reinen Informatik- und Biologie-Veranstaltungen, die dann übers Studium immer mehr miteinander kombiniert werden. Und man lernt dann zum Beispiel Möglichkeiten kennen, DNA-Sequenzen miteinander zu vergleichen und so Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Individuen festzustellen oder auch Organismen zu modellieren und zu schauen, wie sich bestimmte Umweltfaktoren auf diesen Organismus auswirken. Und das bekommt man in den Veranstaltungen dann theoretisch beigebracht und hat dann über die Woche eine Art Hausaufgaben auf, mit denen man das dann immer selbst noch mal üben muss.

A. B.: Ja, wir haben jetzt von den Studierenden gehört, dass es sehr abwechslungsreich ist und es sind auch die verschiedenen Felder angeklungen, wie die Biologie, Chemie in Theorie und Praxis, Informatik und Mathematik. Sie haben ja auch gerade schon gesagt, Frau Nieselt: Es ist ein interdisziplinärer Studiengang, also ein Studiengang, der sich aus verschiedenen Disziplinen zusammensetzt, und verschiedene Fächer beinhaltet. Können wir das im Überblick noch mal zusammenfassen? Welche Fachanteile sind in diesem Studiengang immer drin?

K. N.: Wir sprechen jetzt vom Bachelorstudium, würde ich sagen. Und das habe ich tatsächlich mal genau ausgerechnet. Also der Anteil der Informatik, nimmt für die Kernbereiche der Informatik 33% des gesamten Studiums ein. Dann haben wir einen großen Anteil, an Mathematik, den die Bioinformatiker:innen belegen, genau wie alle anderen Kerninformatikstudierenden. Vier Semester Mathematikvorlesungen, das ist ungefähr 18% am Ende des Studiums. Und natürlich auch die Bioinformatik selbst. Die nimmt auch 18 % ein. Das wirkt jetzt vielleicht ein bisschen wenig, aber wie gesagt: Das sind die Kernvorlesungen der Bioinformatik selbst. Die nehmen also genau den gleichen Umfang wie die Mathematik ein. Das heißt 70 % sind diesen drei zentralen Fächern geschuldet, dann sind noch 25 % den Lebenswissenschaften, also eben Biologie und Chemie gewidmet. Und dann haben wir noch 5 % übrig und das sind die sogenannten überfachlichen und beruflichen Kompetenzen – die gibt es an der Universität Tübingen für alle Studienfächer. Da können Studierende sich überlegen, was sie machen wollen, z. B. eine Sprache verbessern oder eine neue Sprache lernen. Manche machen auch einen Rhetorikkurs, um zu lernen sich besser auszudrücken. Das sind überfachliche Dinge, außerhalb des eigentlichen zentralen Studiums.

C. J.: Ich finde es ganz großartig, dass sie auf das Prozent genau ausgerechnet haben, wie die Anteile sind. Das hatten wir noch nie. Damit sind Sie Spitzenreiterin in dieser Kategorie.

K. N.: Sie sehen meinen Hintergrund: Die Mathematik.

A. B.: Nehmen die Studierenden dann mit anderen Mathestudierenden, Biologiestudierenden oder Chemiestudierenden an den jeweiligen fachspezifischen Veranstaltungen teil?

K. N.: Ja, das ist eine super Frage. Das ist zum Teil so. Zum Beispiel in den Informatikveranstaltungen. Da sitzen unsere Studierenden zusammen mit allen anderen Informatikstudierenden und der Kerninformatik. Wir haben ja auch einen Bachelor, der Informatik heißt. In diesen Anfangsveranstaltungen sitzen alle zusammen im Hörsaal. Deswegen sind das auch immer viele. Wir haben im Moment in den sogenannten Anfängerveranstaltungen ungefähr 600 Studierende. In der Mathematik ist das auch so. Das nennt sich Mathematik für Informatiker:innen. Das heißt, da sind auch alle Bioinformatiker:innen drin. Es gibt nicht eine spezielle Mathematik-Veranstaltung für Bioinformatik. Die Bioinformatik, ist klar, das ist nur für unsere Bioinformatik. In den Lebenswissenschaften teilt sich das auf. Die Biologie wird von unseren Studierenden zusammen mit den Biologiestudierenden besucht. In Chemie gibt es spezielle Vorlesungen, die heißen zum Beispiel Anorganische und Organische Chemie für Naturwissenschaftler:innen oder auch Biochemie für Naturwissenschaftler:innen. Da sitzen dann nicht die Chemiestudierenden, sondern unsere Bioinformatiker:innen aber auch Nano-Science-Studierende oder Studierende anderer Naturwissenschaften.

A. B.: Also alle, die diese Chemie Schnittstelle haben.

K. N.: Ganz genau.

A. B.: Ich glaube, das ist schon mal hilfreich, um sich vorstellen zu können, wie man dann vernetzt ist im Studium. Wenn wir uns jetzt mal die Informatik genauer angucken: Was macht man denn im Bereich Informatik ganz konkret in diesem Studium?

K. N.: Man beginnt zunächst einmal mit den Grundlagen: Was heißt überhaupt Informatik? Das bekommt man von verschiedenen Seiten erläutert. In diesen Grundvorlesungen konzentrieren sich die Studierenden erst mal auf das so genannte computergestützte Lernen oder Denken. Dabei beginnt man mit einer zentralen Fragestellung. Sie kriegen zum Beispiel einen großen Text, nehmen wir die Bibel, und Sie sollen dort alle Stellen finden – und das, sodass es möglichst schnell auf dem Computer erscheint – und mit möglichst schnell meinen wir wirklich sehr schnell. Zum Beispiel an denen das Wort Paulus auftaucht; solche Suchmethoden. So kann man zum Beispiel ein Problem formulieren. Und jetzt gilt es – das ist der Prozess, den man in der Informatik wirklich von der Pike auf lernt – dieses zu abstrahieren und eine Methode zu finden. Also es auf ein Level zu bringen, das man programmieren kann, sodass man einer Maschine beibringen kann, diese Suche für einen zu übernehmen. Das ist der zweite Schritt. Als dritten Schritt lernt man, das zu programmieren. Nicht nur irgendeinen abstrakten Code zu schreiben, sondern das muss dann auch wirklich programmiert werden. Dafür lernt man erst mal eine ganz allgemeine Sprache, damit man nicht abhängig ist von einer bestimmten Programmiersprache, und lernt das auch praktisch anzuwenden. Das klang bei den Studierenden auch an. In den Vorlesungen, geht es um den Prozess, vom Problem zur Abstraktion. Wir nennen das auch Pseudocode. Und dann in den Übungen, die parallel jede Woche stattfinden, werden genau diese Dinge aktiv programmiert. Und dann geht es natürlich um Fragen wie: Was ist überhaupt ein Algorithmus? Eine klare Anweisung von immer wieder nachvollziehbaren Schritten, die, wenn man das Programm ein zweites Mal startet, hoffentlich zum selben Ergebnis führt. Dabei lernt man auch, welche Komplexität ein Problem haben kann. Vielleicht kann ich ein Problem identifizieren und auch formulieren, aber stelle fest: Wenn ich das jetzt programmiere, dann dauert das so lange, wie, bis die Sonne verbrannt ist. Das würde ja niemandem etwas nützen. Dann habe ich es zwar identifiziert, aber ich kann es nicht gebrauchen. Und dann lernt man, was man machen kann, damit es in etwas schnellerer Zeit, also vielleicht sogar innerhalb von Sekunden oder Millisekunden geht. Genau diese Grundvoraussetzungen sind für alle Informatikstudiengänge dieselben. Deswegen kriegen das auch alle in den ersten Semestern beigebracht. Der zweite Anteil ist, dann die Hardware, die allerdings im Bioinformatikstudium nicht im Vordergrund steht. Computer bestehen ja auch aus Hardware; das lernen nur die Kerninformatiker:innen, die dann auch wissen, wie so ein Computer aufgebaut ist und wie das im Inneren einer solchen Maschine funktioniert.

A. B.: Sehr gut. Dann haben wir die Abgrenzung zum Fach. Und das hat sich jetzt auch so angehört, dass eigentlich Theorie und Praxis im Studium schon ganz eng verknüpft sind durch diese Übungen. Gibt es noch andere praktische Anteile in den verschiedenen Feldern?

K. N.: Ja, in den Lebenswissenschaften auf jeden Fall. In den ersten fünf Semestern haben sie in den verschiedenen Vorlesungen, sei es Biomoleküle oder Zelle, jeweils ein Praktikum. Sie haben in den Chemievorlesungen, Anorganische und Organische Chemie, ein Praktikum. Sie haben in der sogenannten Physikalischen Chemie ein Praktikum, sowie in der Neurobiologie. Erst kommt also immer die Vorlesung und im Anschluss daran gehen alle in ein Labor. Da nehmen die Studierenden dann auch eine Pipette in die Hand, und sind auch wirklich entsprechend ein Biologe, eine Biologin oder Chemiker:in oder Neurobiolog:in.

C. J.: Sind das dann Labore an der Uni, in Forschungseinrichtungen oder sind die in der freien Wirtschaft oder in Kliniken?

K. N.: Nein, die sind bei uns oben auf der Morgenstelle. Das sind die Labore, die wir hier an der Uni haben, die besucht werden.

C. J.: Das heißt, im Studium können alle Praxisanteile, die ganzen Labore, direkt in den Laboren der Uni absolviert werden.
K.N.: So ist es.

C. J.: Wird geraten, dann außerhalb der Uni noch irgendwelche Praktika zu machen oder gibt es ein weiteres Pflichtpraktikum, um sich mögliche Berufsfelder zu erschließen oder zu schauen, wo man später auch eine Stelle finden kann?

K. N.: In unserem Studium gibt es kein Pflichtpraktikum. Die Studierenden haben dennoch großes Interesse mal in die Praxis reinzuschnuppern. Uns das unterstützen wir natürlich sehr. Dafür kann man auch mal ein Freisemester nehmen. Das machen viele Studierenden aber dann eher nach dem Bachelorstudium, z. B. um herauszufinden, ob sie weitermachen wollen mit dem Master. Dann nehmen sie sich ein Semester Zeit und überlegen, mal irgendwo reinzuschnuppern. In seltenen Fällen kommt es auch vor, dass Studierende ihre Abschlussarbeit, also die sogenannte Bachelorarbeit, im Anschluss an ein Praktikum im Zusammenhang mit einem Unternehmen schreiben.

A. B.: Sie haben gerade schon gesagt, dass diese Laborarbeit in den Lebenswissenschaften innerhalb des Studiums stattfinden. Ich habe mich gefragt – das kann ja für viele auch wichtig sein bei der Entscheidung – Muss man zum Beispiel auch Tierpräparate anfertigen als Bioinformatiker:in?

K. N.: Es gibt einen Versuch in der Neurobiologie, bei dem man mit einem Teil eines Frosches arbeitet, um die Nervenleitung zu charakterisieren. Natürlich muss man den Frosch dafür aber nicht selber töten. Aber tatsächlich ist die Neurobiologie da nicht „vegan“. Also man muss es tatsächlich am Objekt lernen, damit man wirklich die Nervenableitung praktisch erfährt. Das ist aber der einzige Bereich, wo das stattfindet.

A. B.: Gut, es ist glaube ich hilfreich, einfach vorher zu wissen, was auf einen zukommt. Jetzt haben Sie ja schon gut erklärt, wie es in der Informatik zugeht. Wir haben aber zwei Bereiche, die auch zu diesem Kernbereich zählen: Mathe und Bioinformatik. Dazu würde ich auch ganz gerne noch wissen, wie das im Studium genau aussieht, was man da lernt.

K. N.: Die Mathematik ist ganz ähnlich wie die Informatik, auch der Bereich, der in der Vorlesung selbst sehr theoretisch ist. Man lernt nicht zu rechnen, sondern man lernt mathematisch abstrakt zu denken. Und das ist hier wirklich auf einem, ich sage mal einem Mathematiker äquivalenten Niveau, zumindest in den ersten zwei Jahren, zu erfahren, um da auch sehr gut ausgebildet zu sein. Denn wie ich es ja eben angedeutet habe: Das Formulieren von Problemen in der Informatik, bei der Abstraktion, das geht nicht ohne Mathematik, ohne mathematische Kenntnisse, und zwar sehr gute Kenntnisse. Und das ist eben nicht Rechnen, sondern Mathematik. Also wirklich abstraktes, logisches Denken. Dafür gibt es verschiedenste Teilbereiche, die kennt man schon aus der Schule. Analysis und Lineare Algebra nehmen da jeweils ein Semester einen zentralen Teil ein und dann gibt es noch die Höheren, Funktionale Analysis oder höher Dimensionale Analysis im dritten Semester. Ein weiteres Teilgebiet heißt Kombinatorik, also wie sich verschiedenste Sachen kombinieren lassen und sogenannte Graphentheorie. Also das sind eben auch Abstraktionen, bei denen es darum geht, wie man etwas modellieren kann, um später sogenannte Netzwerke modellieren zu können. Das ist ein wichtiger Bereich für die Bioinformatik, weil in der Zelle alles vernetzt ist. Wenn wir das verstehen wollen, dann müssen wir das irgendwie auch modellieren können. Und dafür brauchen wir diese Objekte der Mathematik, die sogenannten Graphen, die spielen eine sehr zentrale Rolle in der Ausbildung. Und auch hier wird die Vorlesung gehalten und dann gibt es jede Woche ein Aufgabenblatt, mit dem man übt, mathematisch zu denken: Man bekommt eine Aufgabe und die muss man lösen. Meistens sind das Beweisaufgaben oder Anwendungsaufgaben. Anwendung bedeutet zu gucken: Für was haben wir das gelernt und können wir das auf das nächste Problem übertragen? Haben wir zum Beispiel für ein bestimmtes Graphenmodell schon eine Lösung? Wenn dann eine zweite Frage gestellt wird, muss der Studierende zeigen, dass er gelernt hat, das zu übertragen.

A. B.: Ja, wir haben das so ähnlich schon in unserer Folge zur Mathematik gehört also an dieser Stelle der Verweis, es gibt auch eine eigene Folge zum Mathestudium in Tübingen.

K. N.: Ja, in die Bioinformatik steigt man etwas später im Studium ein, weil wir für die Bioinformatik schon die Grundvoraussetzungen brauchen. Wir brauchen schon eine Grundausbildung in der Informatik, um das dann zusammenzubringen. Man braucht auch schon Grundwissen aus der Biologie und Chemie, um sich dann konkrete Algorithmen der Bioinformatik, so heißt das auch, anzuschauen und zu sehen, wie man diese lösen könnte.

A. B.: Also das der Punkt, an dem dann alles zusammenläuft und der, wenn ich es richtig gehört hab, kommt auch ein bisschen später im Studium als die Grundlagen.

K. N.: Ja, wir beginnen im zweiten Semester mit einer Einführungsveranstaltung. Das ist eine Ringvorlesung, bei der die Studierenden einfach mal unsere Dozent:innen und deren Themengebiete kennenlernen. Wir nennen es immer eine „Teaservorstellung“, bei der man sieht, wie spannend unser Gebiet ist und wie vielfältig und wie viele tolle Fragestellungen dieses Gebiet mit sich bringt. Dann sind alle ganz aufgeregt und ein Jahr später machen wir dann die formal wichtigste Vorlesung des Studiums.

A. B.: Haben Sie da vielleicht mal so ein konkretes Beispiel, was vielleicht so eine Überlegung oder eine Fragestellung ist, die dann aus der Bioinformatik in der Verschränkung dieser Fächer durchdacht wird?

K. N.: Ja, vielleicht können wir die Fragen anhand der vergangenen zwei Jahre an der Coronapandemie festmachen, denn tatsächlich ist die Bioinformatik da, glaube ich, ziemlich berühmt geworden. Vor allem auch in Tübingen über die Entwicklung eines Impfstoffes, der über RNA läuft. Ich hatte ja am Anfang schon gesagt, eine RNA ist auch ein wichtiges Molekül in der Zelle und das zu studieren ist Teil der Bioinformatik. Wir sagen vorher, welche RNA-Moleküle wann aktiv sind. Und in der Firma CureVac haben wir gesehen, wie viel Bioinformatik da vonnöten ist. Natürlich haben wir nicht so viel Einblick bekommen, wie jetzt genau so ein Impfstoff entwickelt wird, das ist ja auch ein bisschen Firmengeheimnis gewesen. Wo wir es aber sehr deutlich fast jeden Tag gesehen haben, war daran, wie diese Varianten entstehen. Jeder weiß noch, dass alles mit der Wuhan-Variante anfing. Da war dann die Alpha- und die Beta-Variante und derzeit wütet Omikron auf der Welt. Wie wurden denn diese Varianten überhaupt charakterisiert? Das ist pure Bioinformatik. Da wird nämlich die sogenannte Blaupause, also das Genom des Virus, entschlüsselt. Das geschieht im Labor, aber danach ist alles Bioinformatik. Dann werden bestimmte Algorithmen eingesetzt und man vergleicht das, was man da entschlüsselt hat, von der ganz aktuellen Variante mit dem, was man schon vorher entschlüsselt hatte. Und diese Verfahren, die dazu eingesetzt werden, sind Algorithmen, die wir bei uns in unseren Grundvorlesungen beibringen. So kann man dann feststellen: Sind sich die Genome ähnlich? Nein, sie sind sich nicht ähnlich. Wir haben also eine neue Variante und dann gilt es daran, dieses zu charakterisieren. Diese Variante, die wir jetzt sehen zum Beispiel, Omikron, hat ganz viele Mutationen im Vergleich zur ersten Ausgangsvariante, die wir aus Wuhan kannten. Das wird zum Beispiel auf bestimmte Proteine mit ihren Spikes übertragen, so verändert das dann gewisse Antikörper, die jetzt nicht mehr so aktiv sein können und deswegen hat sich das Virus im Menschen dann auch durchgesetzt. Das ist nämlich jetzt noch fitter mit seinem Infektionsverhalten. Dazu war dann eben auch ein Bioinformatiker, Professor Richard Neher, der übrigens in Tübingen auch mal eine Zeit lang geforscht hat, sehr oft in den Medien zu sehen. Er hat auch eine Software vorgestellt, die reine Bioinformatiksoftware ist. Die heißt Next Strain und zeigt diese unterschiedlichen Varianten. Auf der Webseite kann man auch gucken, wo auf der Welt gerade welche Variante vorherrschend ist und so weiter. Und das sind bioinformatische Methoden, die da eingesetzt werden und nichts anderes.

A. B.: Ja, das ist auf jeden Fall ein sehr anschauliches Beispiel.

C. J.: Ich habe noch eine Frage.

A. B.: Okay, mach du mal weiter.

C. J.: Wir hatten jetzt ja gerade inhaltlich einen sehr tiefen Einblick und davor auch schon einen Überblick über die verschiedenen Anteile der Inhalte im Studium selbst. Aber was auch immer interessant ist, ist zu wissen, wie groß denn insgesamt der Workload bei einem solchen Bioinformatikstudium ist. Wie viel Zeit müssen die Studierenden ungefähr jede Woche investieren? Haben die da noch Zeit nebenher einen Nebenjob zu machen, um sich das zu finanzieren? Ist es so zeitaufwändig sich mit all diesen Fächern zu beschäftigen und all die Übungen und Vorlesungen zu absolvieren, dass da eigentlich gar keine Zeit mehr bleibt? Wie schätzen Sie das ein?

K. N.: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Tatsächlich bekomme ich da auch sehr viele Rückmeldungen von Studierenden, die zu mir in meine Studienfachberatung kommen, weil sie zum Beispiel wirklich darauf angewiesen sind, parallel zu arbeiten, und dann mit mir gucken, wie sie das Studium gleichzeitig noch schaffen. Es ist ein anstrengendes Studium, das muss ich wirklich klar sagen, denn wir haben in der laufenden Vorlesungszeit alles, was absolviert werden muss, sehr dicht gedrängt. Es wird zwar auch ein bisschen was ausgelagert in die vorlesungsfreie Zeit, diese Praktika zum Beispiel, aber die Hauptlernzeit ist wirklich in diesen 14 Wochen Vorlesungszeit. Und da erwarten wir von den Studierenden wahrscheinlich mehr als eine 40 Stunden Woche, da muss ich ganz ehrlich sein. Wir ermöglichen es dennoch, das Studium gut durchzuziehen und parallel noch arbeiten zu können. Da haben wir auch Beratungsangebote. Und sehr viele Studierende von uns arbeiten auch regelmäßig entweder als Tutor:innen ab dem dritten Semester oder als hilfswissenschaftliche Mitarbeiter:innen oder auch natürlich außerhalb der Universität. Und die meisten bekommen das wirklich gut hin. Vielleicht verzögert sich damit das Studium um ein Semester.

A. B.: Dann würde ich sagen: Hören wir doch mal rein, was die Tübinger Studierenden an ihrem Studium denn begeistert, denn das ist ja auch ein wichtiger Faktor, um das durchzuhalten.

Persönliche Voraussetzungen (36:02)

Studi 1: Mich begeistert, dass die Bioinformatik sehr interdisziplinär ist und auch sehr abwechslungsreich. Das heißt, man kann sich mit sehr vielen unterschiedlichen Fragestellungen beschäftigen.

Studi 2: Ich muss leider sagen, dass ich nicht so gut im Auswendiglernen bin, weswegen mir die ganzen Biomodule nicht so gut gefallen. Mit Ausnahme, wenn es wirklich Themen gibt, die interessant sind wie momentan Molekularbio 2 mit Bakterien, Viren und Makrophagen. Insgesamt mag ich das Analytische sehr und das Programmieren macht einfach Spaß.

Studi 3: Was ich an Bioinformatik unglaublich spannend finde, ist, dass man damit ganz viel Evolutionsforschung machen kann, aber nicht darauf beschränkt ist, sich nur die Vergangenheit anzugucken, sondern aufgrund der Daten, die man gesammelt hat, auch versuchen kann vorherzusagen, was passieren wird und zum Beispiel Antibiotikaresistenzen bei Bakterien zu untersuchen.

C. J.: Ja, mein Eindruck von diesen Aussagen ist eigentlich, dass alles, was wir jetzt gerade schon erfahren haben, dort bestätigt wird. Man muss auswendig lernen und dazu sollte man vielleicht auch irgendwie ein Talent mitbringen oder zumindest gut durchhalten können. Dafür ist es sehr interdisziplinär. Man forscht an sehr relevanten und spannenden Fragestellungen. In dem Fall wurde die Antibiotikaresistenzforschung genannt. Vielleicht nochmal ganz kurz zusammengefasst: Welche Voraussetzungen sollte ich mitbringen, wenn ich mich jetzt auf das Studium einlasse?

K. N.: Ja, also ich denke mal, die persönliche Voraussetzung ist, dass man wirklich großen Spaß hat an dieser Interdisziplinarität, dass man wirklich aus diesen beiden Kulturen der Informatik und Mathematik sowie den Lebenswissenschaften gemeinsam etwas schöpfen möchte. Dann hat man beste Voraussetzungen, einen großen Gefallen bei uns zu finden. Tatsächlich sind aber, das sollte man sich wirklich klar machen, gute Mathematikfähigkeiten zentrale Voraussetzungen, denn es nimmt einen zentralen Platz ein, sowohl im Studium, als auch später. Ich empfehle außerdem sehr gute Englischkenntnisse. Es wird jetzt nicht in den ersten Wochen oder Jahren auf Englisch gelehrt, aber die meiste Fachliteratur liegt nur auf Englisch vor. Und natürlich ist das Fach Informatik ja schon mit ihrer gesamten Begrifflichkeit ein englisches Fach und von daher legen wir da großen Wert drauf. Außerdem sollte man nicht denken, dass die Informatik ein Einzelplayer-Ding ist. Ganz im Gegenteil: Es ist eine Teamarbeit und somit sind gute Kommunikationsfähigkeiten wirklich ein Plus.

C. J.: Habe ich eine Chance, das auch zu bestehen, wenn ich davor noch keine Informatik in der Schule hatte?

K. N.: Ja, unbedingt. Das ist zwar unsere Herausforderung, aber auch unsere Anforderung an uns selbst, dass wir wirklich von Null beginnen. Natürlich gibt es immer Schüler:innen, die schon mit Programmierkenntnisse kommen, aber das sind nicht diejenigen, die dann alleine bedient werden und bei den anderen heißt es: „Sieh zu, wie Du fertig wirst“, sondern wir fangen bei Null an und nehmen jeden mit.

C. J.: Ja, dann würde ich sagen, wir schauen uns gleich mal an, was man nach diesem Studium so alles machen kann. Dafür haben wir die Studierenden gefragt, ob sie selbst schon eine Vorstellung davon haben.

Berufsperspektiven (38:56)

Studi 1: Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, was ich später beruflich machen möchte. Im Bachelorstudium lernt man vor allem viele Grundlagen. Das heißt, wenn ich im Master einen tieferen Einblick bekomme, sehe ich dann, welcher Teilbereich mich besonders interessiert und welche beruflichen Perspektiven sich daraus ergeben.

Studi 2: Ich denke, ich werde bei der Bioinformatik bleiben und vielleicht noch ein bisschen mehr in Richtung Machine Learning gucken, was es da so gibt.

Studi 3: Im Moment kann ich mir gut vorstellen, nach meinem Studium an der Uni zu arbeiten, da ich es auf der einen Seite unglaublich wichtig finde, dass existierendes Wissen in die nächste Generation weitergegeben wird, aber es auch selbst unglaublich spannend finde, wie die Bioinformatik sich im Moment entwickelt und dort gerne in der Forschung arbeiten würde.

A. B.: Schließen wir gleich mal daran an, wie man die berufliche Richtung vorbereiten kann. Worauf kann man sich denn spezialisieren? Welche Wege bereitet das Studium vor?

K. N.: Die Berufsfelder sind so divers, wie das Fach interdisziplinär ist. Und das ist auch wieder die Chance, die man hier mit diesem Fach hat, weil man seine Stärken wirklich auch in den beruflichen Feldern ausbauen kann. Also ein Beispiel: Ein Studierender hat eben im O-Ton gesagt: Also mit dem Auswendiglernen, das war nicht so mein Ding, aber ich programmiere total gerne. Der kann in Richtung Software Engineering gehen, die beruflichen Möglichkeiten sind dort grandios. Auch für die Bioinformatik, da muss viel programmiert werden. Gleichzeitig gibt es aber auch welche, die sagen: Ich bin näher an der Biologie dran. Softwareentwicklung finde ich jetzt zwar okay, aber ist nicht so meine Stärke. Die sind zum Beispiel in Biotechnologieunternehmen gefragt. Dort arbeitet man dann direkt mit Biolog:innen und Biotechnolog:innen zusammen. Man muss deren Sprache und die Fragestellungen, zu dem was dort erforscht wird, verstehen und dort als Bioinformatiker:innen mehr praktisch angewandte Bioinformatik machen. Also das ist eine tolle Ausgangssituation, denn damit hat jeder Studierende auch mit seinen eigenen Stärken und Interessen die Möglichkeit, sich im späteren Berufsleben zu spezialisieren. Tatsächlich ist es aber so, dass ich für unser Fach erst mal rate nach dem Bachelor- ein Masterstudium anzuschließen. Natürlich rate ich immer zu Tübingen, denn ich finde, wir haben hier ein ganz tolles Studium. Natürlich kann man auch sagen, ich geh woanders hin. Das ist ja auch eine tolle Erfahrung. Aber ein Masterstudium sollte eigentlich schon der Standardabschluss sein. Die Studierenden finden oft in Biotechnologie- und Pharmazieunternehmen nach dem Master ihre Unterkunft. Es gibt natürlich – wie die Studierende andeutete – auch Möglichkeiten in der Forschung zu bleiben. Sehr viele promovieren erst mal nach dem Master und bleiben in der Forschung an den verschiedensten universitären, aber auch außeruniversitären Einrichtungen. Insgesamt, muss ich sagen, sind die Berufsaussichten mehr als hervorragend derzeit, denn wir sind ja auch nach wie vor ein kleines Fach. Also in Tübingen beginnen zum Beispiel im Jahr zirka 50 Studierende mit dem Bachelorstudium und circa 30 bis 40 mit dem Masterstudium. Die Nachfrage nach Bioinformatik ist aber um ein Vielfaches höher. Nach wie vor ist ein Fachkräftemangel zu verzeichnen.

C. J.: Da hätte ich zwei Fragen. Erstens: Warum raten Sie zu dem Masterstudium? In vielen Studiengängen ist das gar nicht so nötig. Und zweitens: Ist es schwer einen Platz zu bekommen für den Bioinformatik Bachelor?

K. N.: Zu Erstens: Tatsächlich finde ich, dadurch, dass wir im Bachelor großen Wert auf die Grundausbildung gelegt haben, den Anteil der reinen Bioinformatik noch nicht groß genug. Also wir haben im Master dann praktisch nur noch Bioinformatik. Hat man einen Bachelor in Bioinformatik, kann man wahrscheinlich sehr gut irgendwo als Informatiker arbeiten, aber nicht als Bioinformatiker. Da braucht es einfach noch mehr Wissen. Zu Zweitens: Ja, sie brauchen einen guten Bachelorabschluss, aber dann kriegen sie auf jeden Fall einen Platz bei uns für den Master. Ich kann nicht für andere Universitäten sprechen, aber bei uns muss man derzeit einen Bachelorabschluss mit der Note 2,5 oder besser absolviert haben und dann bekommt man auf jeden Fall einen Platz.

C. J.: Für das Masterstudium?

K. N.: Genau fürs Masterstudium.

C. J.: Und um einen Platz für das Bachelorstudium zu bekommen?

K. N.: Ja, da gibt es ein Auswahlverfahren. Wir haben 60 Plätze und derzeit ist es so, dass das Fach wahrscheinlich auch noch ein bisschen unbekannter ist, dadurch dass es in der Schule eben kein Fach ist. Wir haben so um die 100 Bewerber:innen pro Jahr und können eigentlich alle zulassen, weil sich dann nicht alle am Ende dafür entscheiden. Und so können wir im Moment sagen, jeder, der bei uns wirklich studieren möchte, hat auch immer einen Platz bekommen. Das ist die Situation derzeit. Ich kann nicht sagen, ob das jetzt vielleicht mit diesem Podcast in Zukunft anders wird.

A. B.: Bestimmt.

C.J.: Wenn ich mich dann für einen Master entscheide nach dem Bachelorstudium, gibt es dann in Tübingen den einen Bioinformatikmasterstudiengang oder gibt es da verschiedene Profile, zwischen denen man wählen kann?
K. N.: Wir haben drei Profile, aber das liegt nicht daran, dass sich der Studierende das aussuchen kann, sondern das liegt an einer Besonderheit, auf die wir auch in Tübingen sehr stolz sind, nämlich dass wir den Master auch aufmachen, für Informatiker:innen bzw. die Biologiestudiengänge. Das heißt, wenn man selber zum Beispiel in seinem Bachelorstudiengang Biologie gemacht hat und sich danach entscheidet, doch auch was mit Bioinformatik machen zu wollen, dann kann man sich bei uns bewerben auf das Profil B. Wenn man Informatik studiert hat und wie die eine Studierende gesagt ha, eine Anwendung sehen will, dann kommt man in die Profillinie C. Alle anderen mit einem Bachelor Bioinformatik sind die Profillinie A und das ist dann vorgegeben, was man da jeweils macht.

A. B.: Ja, also von meiner Seite aus, Christoph, habe ich keine offenen Fragen mehr. Wie sieht es bei dir aus?

C. J.: Ich auch nicht mehr.

K. N.: Ich hätte noch etwas.

A. B.: Ja, gerne.

Insider Tipps (45:18)

K. N.: Sie wollten ja noch einen Insidertipp von mir wissen.

A. B.: Genau! Das käme jetzt. Dann schießen Sie los.

K. N.: Ich habe ein paar Insidertipps mitbekommen. Für diejenigen, die auch gerne mal auf YouTube unterwegs sind, gibt es ein Video, das im Rahmen der 3sat-Scobel-Sendung gedreht wurde zum Thema: Was ist Bioinformatik? Das ist zwar schon ein paar Jahre alt, aber ich habe es mir selbst noch mal angeguckt und muss sagen, das ist völlig aktuell und wirklich ein sehr schöner Einstieg in das Fach. Man findet auch auf YouTube ein Video von der Covid-19-Ringvorlesung, die hier an der Uni Tübingen gedreht wurde letztes Jahr. Und einer meiner Kollegen, Herr Professor Kohlbacher, hat einen tollen, niederschwelligen Einblick gegeben, welche Bedeutung die Bioinformatik in der Erforschung, insbesondere natürlich von Viruserkrankungen, ganz aktuell am Beispiel von Corona hat. Dann habe ich noch den Richard Neher am Anfang erwähnt, der eben auch das Fach wirklich auf der ganzen Welt prominent gemacht hat. Und auch von ihm gibt es tolle YouTube-Videos, alle Interviews, alle Vorträge, meistens auf Englisch. Er hat am 1. Februar zum Beispiel ein Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gegeben und hier ganz viele Fragen zu Corona beantwortet. Wenn man da mal genau zuhört, dann lernt man wirklich viele Hinweise, wie viel Bioinformatik hier für die Erforschung während der Coronapandemie von Bedeutung und vonnöten war. Ansonsten www.bioinformatik.de, da finden sich viele weitere Informationen zur Bioinformatik. Zum Beispiel auch eine übersichtliche Liste aller Studienorte in Deutschland, hoffentlich dann trotzdem mit der Entscheidung nach Tübingen kommen zu wollen. Aber dort findet man auch noch mal mehr an Informationen und Kurzbeschreibungen.

A. B.: Ja, toll das verlinken wir alles in den Shownotes.

C. J.: Klasse. Dann bedanke ich mich bei Ihnen, Frau Nieselt, dass Sie bei uns zu Gast waren. Schön, dass es heute geklappt hat und Sie uns so detailliert aus dem Studium der Bioinformatik berichtet haben. Alex, auch danke Dir. An euch, Ihr lieben Hörerinnen und Hörer, würden wir gerne die Frage stellen, ob Ihr eigentlich in dieser Folge oder vielleicht auch in vergangenen, irgendwas vermisst habt. Also irgendwelche Fragen, die wir vielleicht noch hätten stellen können oder irgendwelche Themen, die wir noch anreißen könnten. Falls Euch da irgendwas einfällt, schreibt uns gerne an die hochschulreif@uni-tuebingen.de oder auch wenn Ihr sonst Feedback und Kritik habt oder uns einfach nur zujubeln wollt. Ansonsten bis zum nächsten Mal und macht's gut.

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Kay Nieselt über die folgenden Themen: 
01:05 Persönliche Motivation
14:19 Studieninhalte
36:00 Persönliche Voraussetzungen
38:56 Berufsperspektiven 
45:20 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Bioinformatik:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #08: Pharmazie

Wie läuft der pharmazeutische Studieneignungstest ab? Mit welchen Themen setzt man sich im Studium auseinander? Was kann man mit einem Pharmaziestudium alles beruflich machen? Und muss man wirklich so viel Auswendiglernen? Die wichtigen Fragen zum Pharmaziestudium in Tübingen klärt Professor Dr. Frank Böckler in dieser Folge von „hochschulreif“. Dazu berichten Tübinger Pharmaziestudierende aus ihrem Studium.

Listen
Christoph Jäckle (C. J.): Hallo liebe Hörerinnen und Hörer und herzlich Willkommen zu einer neuen Folge ‚hochschulreif‘ eurem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Meine liebe Kollegin Alexandra Becker und ich dürfen euch auch heute wieder ein neues Studienfach vorstellen. Hallo Alex, schön dich wieder im Studio zu sehen und zu hören.

Alexandra Becker (A. B.): Ja, hallo. Ebenso.

C. J.: Heute wird es bei uns um das Studienfach Pharmazie gehen. Also ein ziemlich bekanntes und beliebtes Studienfach, von dem wahrscheinlich auch jeder von euch schon so seine eigenen Vorstellungen hat. Mich selbst eingeschlossen. Von daher bin ich auch selbst ziemlich neugierig und gespannt, was ich alles noch Neues beim Studienfach Pharmazie entdecken werde. Und natürlich haben wir auch heute wieder einen Gast bei uns im Studio: Wir dürfen heute Professor Dr. Frank Böckler bei uns willkommen heißen. Frank Böckler ist Apotheker und Professor für Pharmazeutische Chemie und lehrt am Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Bereiche Molekulares Design und Pharmazeutische Biophysik. Herzlich willkommen, Herr Böckler. Schön, dass Sie heute bei uns zu Gast sind.

Prof. Dr. Frank Böckler (F .B.): Ja, hallo. Schön, bei Ihnen zu sein.

C. J.: Ich hoffe, ich habe alles halbwegs richtig gesagt.

F. B.: Wunderbar.

C. J.: Sehr gut, das freut mich. Bevor wir gleich tiefer einsteigen und das Fach Pharmazie und Sie kennenlernen, hören wir uns kurz an, warum Tübinger Studierende sich für ihr Studium entschieden haben. Die haben wir nämlich dazu befragt.

Persönliche Motivation (01:25)

Studi 1: Also für mich war direkt klar, dass ich was Naturwissenschaftliches studieren möchte, am besten was Chemisches. Und bei Pharmazie fand ich super interessant, dass es was mit dem menschlichen Körper zu tun hat und man auch zum Beispiel die Funktionsweise von Arzneimitteln lernt.

Studi 2: Ich habe mich für das Fach Pharmazie entschieden, weil ich mich für keine der vielen Naturwissenschaften richtig entscheiden konnte und so ein bisschen das Beste aus allen Welten habe. Und danach habe ich ein super breites Berufsfeld und auf jeden Fall einen sicheren Job, in dem man nie auslernen wird.

Studi 3: Ich habe mich damals nach der Schule für Pharmazie entschieden, weil ich in der Oberstufe gemerkt habe, dass mir die Fächer Biologie und Chemie einfach super viel Spaß machen und ich mein Wissen in dem Bereich weiter vertiefen wollte. Und da bietet Pharmazie eine gute Möglichkeit und eine super Kombination aus den beiden Bereichen.

Studi 4: Bei mir war es so, ich wollte schon immer was Naturwissenschaftliches studieren und vor allem dann auch die Verknüpfung mit der Medizin hat mich eben sehr gereizt, mich dann auch für Pharmazie zu entscheiden.

Studi 5: Ich habe mich für das Studium der Pharmazie entschieden, weil ich das Gefühl hatte, es ist ein Studium mit einem breitgefächerten Profil an Naturwissenschaften, ohne dass ich direkt eine Naturwissenschaft komplett studieren muss und dass ich dann auch tatsächlich später eine bessere Anwendbarkeit im Arbeitsleben habe, indem ich von jeder Naturwissenschaft ein bisschen was mitbekomme.

A. B.: Ja, das fand ich jetzt schon ganz spannend, was die Studierenden alles genannt haben, Herr Böckler, nämlich das breite Profil und auch die Verknüpfungen zu anderen Fächern. Also die erste Frage, die ich mir stelle ist: Mit welcher Erwartungshaltung kommen die Studierenden aus Ihrer Erfahrung in das Studium und wird das in der Regel erfüllt?

F. B.: Also unsere Studierenden haben das eigentlich schon perfekt zusammengefasst. Es gibt tatsächlich eine statistische Befragung unter über 450 Studierende in Deutschland. Und da sagen tatsächlich über 85 % der Befragten, dass sie den Studiengang gewählt haben, weil sie sich nicht wirklich für ein naturwissenschaftliches Fach per se interessiert haben, sondern für das Schnittfeld aus verschiedenen Naturwissenschaften. Und natürlich auch sehr stark für die biomedizinische Anwendung. Das ist schon ein extrem starker Motivator für den Studiengang und ist natürlich auch ein ganz logischer Zugang aus der Schule, in der man eben die klassischen Fächer Chemie, Biologie, Mathematik, Physik, eben die MINT Fächer, als Grundlage hat. Man kann in der Schule nicht ins Fach Pharmazie reinschnuppern. Das ist aber eben wie gesagt als Querschnitt zwischen den Fächern eine ganz hervorragende Wahl. Und meine Studierenden, die ich so im Laufe der letzten 25 Semester hier in Tübingen beobachtet habe, sind nach wie vor von der Kombination begeistert. Natürlich hat jeder so seine Schwerpunkte und auch seine persönlichen Neigungen, aber dafür gibt es ja eben auch ein sehr breites, diverses Feld an fachlichen Aspekten zwischen Naturwissenschaft, Biomedizin, technischen Aspekten bis hin sogar ins Rechtliche hinein. Das heißt also: Es ist für jeden was dabei.

A. B.: Ja, dann klingt das schon so, dass das erfüllt wird, was die Studierenden so an Vorstellungen mitbringen. Zumindest von dem, was wir jetzt gehört haben. Wie war es denn bei Ihnen? Wie sind Sie denn selbst zur Pharmazie gekommen? Was war Ihre Motivation?

F. B.: Ja, manchmal sind Personen prägender als Ereignisse oder Überlegungen. Und mich hat sehr früh, ein niedergelassener Apotheker beeindruckt, der auch promoviert war und mit großer Geduld und großer Kompetenz die Kunden/die Patienten in seiner Apotheke beraten hat. Und das hat so ein bisschen abgefärbt. Ich konnte mir damals sehr gut vorstellen, dass eine Kombination aus Selbstständigkeit, Wissenschaft und eben der Patientenzuwendung – mit stark kommunikativen Elementen – für mich ein spannendes Berufsbild abgeben würden. In der Mittel- und Oberstufe kamen dann in der Familie Krankheit und auch ein Todesfall dazu. Das war ein sehr starker Motivatorfür mich in die Wissenschaft zu gehen. Da bin ich dann noch mal abgebogen von der ökonomischen Tätigkeit, von der Selbstständigkeit, in die Wissenschaft und wie ich jetzt hinzufügen muss, natürlich neben Forschung auch in die Lehre, was sehr viel Spaß macht. Ich habe es nie bereut.

C. J.: Das sind auf jeden Fall sehr persönliche und starke Motivationsgründe. Ich glaube viele Studierende rutschen auch manchmal eher in irgendwelche Studiengänge rein, haben vielleicht gar keine so konkreten Vorstellungen, aber Sie waren da biografisch schon stark geprägt und sind offensichtlich auch immer noch sehr begeistert von ihrem Fach?

F. B.: Auf jeden Fall. Was mir persönlich auch wichtig ist zu betonen – weil wir gerade das Thema Schnittfeld an Naturwissenschaften hatten – das klingt alles recht technisch, recht neutral, aber ein extrem starker Motivator im Studiengang ist natürlich entweder später mit Patienten zu arbeiten oder zumindest für Patienten zu arbeiten. Und ich glaube, das ist eine emotionale Verbindung zum Studiengang, die vielleicht etwas größer ist als in anderen naturwissenschaftlichen Studiengängen und deshalb auch den Heilberuf der/des Apothekerin/Apothekers ausmacht und prägt. Die Vielfalt an Möglichkeiten ist eben exorbitant und klang ja auch gerade schon als Motivation an, das teilen auch viele Studierende: Es ist fast mit einer Beschäftigungsgarantie versehen. Also wenn Sie Pharmazie zu Ende studieren, Ihre Approbation in der Tasche haben, haben Sie eigentlich fast eine lebenslange Beschäftigungsgarantie und gleichzeitig eine sehr breite Auswahl an Tätigkeiten. Aber da kommen wir sicher später noch dazu.

A. B.: Ja, ich glaube dann brennen viele jetzt auch schon darauf zu erfahren, wie denn so ein Studium aussieht. Wir haben auch einige der Studierenden gefragt, wie denn ihre typische Stundenwoche so verläuft.

Studieninhalte (07:32)

Studi 1: Also normalerweise sind Vormittags Vorlesungen und Nachmittags dann Laborpraktika und dann hat man noch abends Zeit um Protokolle zu schreiben oder in die Bib zu gehen.

Studi 2: Eine typische Studienwoche sieht bei mir so aus, dass ich morgens Vorlesungen und Seminare habe, mittags dann Labor und abends bin ich dann am Protokolle schreiben für diese Labore oder am Nachbereiten der Vorlesungen. Danach trifft man sich meistens mit seinen Kommilitonen irgendwo. Also Pharmazie ist da relativ verschult, das heißt es ist eigentlich ein sehr geregelter Wochenablauf, was durchaus angenehm ist.

Studi 3: Ja, also so eine typische Woche besteht aus vielen Vorlesungen und auch viel Labor. Deswegen ist man wirklich meistens den ganzen Tag an der Uni.

Studi 4: Ich bin gerade im achten Semester und wir haben die Fächer Klinische Pharmazie und Arzneimittelanalytik. In der Klinischen Pharmazie bekommen wir Patientenfälle und diskutieren zum Beispiel Medikationspläne und in der Arzneimittelanalytik haben wir ein chemisches Praktikum, bei dem wir in Proben Arzneimittel nachweisen müssen.

Studi 5: Wir haben natürlich ganz normal Vorlesungen und Seminare, aber wir haben eben auch ganz viel Labor, was meiner Meinung nach das Semester sehr abwechslungsreich macht. Ich habe jetzt zum Beispiel das dritte Fachsemester hinter mir, da hatten wir ein Labor der Organischen Chemie und da durfte man eben auch einige Wirkstoffe oder zum Beispiel Farbstoffe herstellen, was wirklich sehr interessant ist, weil man dann eben die Theorie der Vorlesung auch das erste Mal praktisch umsetzen kann.

C. J.: Also was jetzt ja ganz klar herausgekommen ist, ist: Das Studium ist sehr abwechslungsreich, es ist verschult, man hat klare Wochenpläne und es klingt aber auch so, als gäbe es viel zu tun. Man hat, glaube ich, eine sehr volle Woche. Wie anspruchsvoll und wie zeitintensiv ist denn das Studium der Pharmazie?

F. B.: Also man muss ganz klar sagen, das Studium ist verschult, was positive und negative Aspekte hat, aber daherkommt, dass es ein Staatsexamenstudiengang ist. Der Staat nimmt sich hier die Freiheit durch die Approbationsordnung sehr stark regulativ und standardisierend einzugreifen und Dinge festzulegen. Das ist also die rechtliche Grundlage, warum der Studiengang als verschult gilt. Das bedeutet aber auch, dass man sehr viele Garantien hat, wenn man auf alle Anweisungen achtet. Wenn man die Sachen fleißig verfolgt, hat man die Möglichkeit, das Studium in der Regelstudienzeit von acht Semestern Hochschulstudium abzuschließen. Und das ist, glaube ich, schon im Verhältnis zu anderen Studiengängen, in denen man viel selbst organisieren muss ein Vorteil. In anderen Studiengängen hört man auch mal: In diesem Semester können wir leider den Praktikumsplatz oder das Seminar nicht anbieten. Also der Aspekt verschult stimmt in der Pharmazie schon, hat aber Vor- und Nachteile. Auf der anderen Seite ist völlig richtig, dass es ein intensives Studium ist, weil man das Ganze nur so überhaupt in acht Semestern Regelstudienzeit durchziehen kann. Die Frage, wie lange das Studium dauern sollte, ist seit langem eine offene Diskussion. Wir hätten auch gerne mehr Zeit, um das Ganze mit mehr Teilaspekten mit den Studierenden besprechen zu können. Aber das ist eben auch wieder eine staatliche Vorgabe, an die wir uns halten müssen. Dementsprechend sind die Intensitäten auch anders als in einem Bachelor-Master-Studiengang. Aber ich glaube der hohe praktische Anteil und die Möglichkeit gemeinsam das Lernen zu gestalten, hilft den Leuten hier sehr. Vieles läuft parallel, weil viele Studierende das Gleiche machen und man sich da auch gut im Team organisieren kann. Und Teamfähigkeit ist letzten Endes, egal in welcher pharmazeutischen Tätigkeit man sich später wiederfindet, eine ganz wesentliche Eigenschaft.

A. B.: Ja. Sie haben gerade auch schon den praktischen Anteil genannt. Wie hoch ist denn dieser praktische Anteil im Studium?

F. B.: Also statistisch gesehen beträgt er tatsächlich zwischen Haupt- und Grundstudium gemischt etwa 60 %. Wobei ein gewisser Anteil auch als Seminare stattfindet, die praktikumsbegleitend sind. Aber der Hauptteil, also mehr als 50 %, kann man sagen, ist praktische Tätigkeit. Und das ist auch wieder was, was von sehr vielen Studierenden, etwa 40% in der vorhin schon zitierten Befragung, als echter Vorteil genannt wird. Also das sind nicht nur gerade die O-Töne unserer Studierenden, sondern auch viele Studierenden bundesweit, die sagen, dass diese sehr praktische Orientierung von Vorteil ist. Man sieht, wie die Theorie zur Anwendung kommt. Das ist etwas, was sehr ansprechend ist und auch eine gewisse Abwechslung im Alltag beschert.

C. J.: Und ja auch elementar wichtig für ganz viele Berufsfelder, in denen man tätig sein wird. In manchen bräuchte man vielleicht diesen praktischen Anteil nicht mehr, aber in den Allermeisten.

F. B.: Auf jeden Fall. Also allein die Vertiefung des theoretisch Gelernten ist immer hilfreich. Und dann ist natürlich klar: Wenn ich mich für eine sehr spezifische Ausprägung einer pharmazeutischen Tätigkeit entscheide, kann es sein, dass ich bestimmte Tätigkeiten, die ich im Studium hatte, sehr viel häufiger brauche als andere. Wenn Sie Qualitätssicherung machen in der pharmazeutischen Industrie, werden Sie eben sehr viel stärker auf die analytischen Praktika zurückkommen. Wenn Sie aber beispielsweise in der Apotheke die Leute beraten, dann wird das gerade angesprochene Medikationsmanagement zusätzlich zum Arzt wichtig: Mit den Leuten Pläne durchzugehen, eventuell auch aufzuklären, wenn Leute verschiedene Ärzte aufsuchen, ohne dass die Ärzte von der gegenseitigen Medikation wissen. Das läuft dann sehr häufig in der Apotheke zusammen und ist dort beispielsweise ein wesentlicher Punkt der pharmazeutischen Kommunikation, sodass am Ende nicht nur eine gut gemeinte Therapie, sondern auch eine erfolgreiche Therapie steht.

C. J.: Um nochmal auf den Inhalt des Studiums einzugehen. Mit welchen Bereichen und inhaltlichen Fachdisziplinen beschäftigt man sich dann im Pharmaziestudium?

F. B.: Also wenn ich es in Grund- und Hauptstudium erst mal untergliedern darf, dann ist im Grundstudium der mathematisch-naturwissenschaftliche Anteil sehr hoch. Man kann also sagen Chemie stellt etwa so rund 50 % der Studiengegenstände dar. Wobei es eben nicht nur reine Chemie ist, sondern auch die Analytik, bei der die Anwendung, als analytische Disziplin sehr wichtig ist. Pharmazeuten sind ja wesentlich in der Analytik tätig und da gibt es natürlich sehr grundlegende Fragestellungen zum Beispiel erst mal chemische wie: Wie sind Moleküle aufgebaut? Wie bewegen sie sich, wie dynamisch sind sie? Welche Struktur nehmen sie ein? Was ist die Besonderheit dieser Struktur? Oder auch: Wie können sie hergestellt werden? Welche einfachen chemischen Reaktionen sind dafür notwendig, um bestimmte pharmazeutisch interessante Moleküle herstellen zu können? Damit beschäftigt man sich im Grundstudium erst mal, um die Grundlagen zu legen, um reinzukommen. Und im Hauptstudium sieht man dann die genaue Anwendung, wenn es um moderne Arzneistoffe geht, die natürlich viel komplizierter in der Herstellung und Analytik aussehen. Grundsätzlich ist in der Analytik immer die Frage, wenn man es ganz einfach formulieren will: Was, wie viel und eventuell noch was zusätzlich? Das heißt, es geht darum zu identifizieren, was an Molekülen in einer bestimmten Substanz enthalten ist. Das können Arzneistoffe sein, das können Hilfsstoffe sein, das können aber auch Schadstoffe oder Giftstoffe sein, bis hin in die Toxikologie. Und auch kleinste Mengen an Rückständen zu analysieren ist Bestandteil dessen, was man hier lernen soll. Natürlich auch unter Einsatz von sowohl sehr einfachen, händischen Tools und Glasgeräten, ganz konventionell, wie man es aus alten Laboren kennt. Bis hin zu modernen technischen Verfahren und Instrumenten, die man einsetzt, um Fragestellungen der Analytik, der Qualitätssicherung, zum Beispiel von Medikamenten, verfolgen zu können. Daneben ist die Biologie eine wichtige Grundlagendisziplin. Da interessiert uns natürlich, in welchen Pflanzen, in welchen Mikroorganismen oder in welchen Pilzen Arzneistoffe wachsen, ganz natürlich als Naturstoffe entstehen und gebildet werden. Aber auch, wie solche Naturstoffe als Toxine, also als Giftstoffe wirken können. Daneben ist natürlich auch klar, dass man Mikroorganismen genau betrachtet, also Mikrobiologie und Hygiene beispielsweise lernen muss: Was sind nützliche Mikroorganismen und wie unterscheide ich diese von pharmazeutisch und medizinisch gefährlichen Mikroorganismen? Also Biologie hat eine Seite, die in Richtung Pflanzen und Mikroorganismenbiologie geht und natürlich in Richtung Humanbiologie. Und das ist natürlich auch für die Pharmazeuten immer gerade die Verbindung zur Medizin. Da geht es um die Frage, wie die Organe im Körper funktionieren, wie sie arrangiert sind, welche Funktionen sie wahrnehmen, aber auch eben wie intrazelluläre Botenstoffe, elektrische Impulse, Neurotransmitter, Hormone und so weiter den Organismus steuern. Sie sehen: Das ist alles sehr grundlegend, aber eben eine ganz wichtige Plattform, um dann im Hauptstudium so richtig in die Frage: „Wie funktionieren Arzneistoffe?“ einsteigen zu können.

A. B.: Darf ich da kurz dazwischen fragen? Hat man das Grundstudium dann entsprechend mit den Studierenden der anderen Fächer zusammen? Also kommt man dann im Studium mit den Mediziner*Innen oder mit denjenigen, die Biologie oder Chemie studieren zusammen?

F. B.: Partiell ja. Wir sind hier in Tübingen in der glücklichen Lage, sehr viele der Grundlagen selbst anzubieten, weil uns natürlich sehr wichtig ist, bei aller Wertschätzung für die Kollegen aus den anderen Disziplinen, möglichst früh auch die pharmazeutischen Komponenten der Grundlagenfächer herausstellen. Ich habe in meinem Leben als Studienberater gelernt, dass die Leute, gerade im Grundstudium, manchmal ein bisschen frustriert sind, weil sie geglaubt haben, dass es am ersten Tag bereits mitten in die Komplexität der Arzneistoffe geht und darum wie diese wirken. Und deshalb ist uns schon sehr wichtig, dass man die Leute früh an pharmazeutische Fragestellungen heranführt. Natürlich ist das einfacher möglich, wenn man selber die Veranstaltungen macht, als wenn man gemeinsam mit anderen naturwissenschaftliche Chemie oder andere naturwissenschaftliche Grundlagenfächer belegt. In der Mathematik haben wir zum Beispiel eine eigene Veranstaltung, weil die Statistik eine ganz wesentliche Grundlage fürs Verständnis der Pharmazie ist. Wie funktioniert eine Arzneimittelstudie? Wie muss ich bei der Qualitätssicherung auf eine Veränderung in dem Trend der Analytik reagieren? Ab wann ist eine Warngrenze überschritten und wie muss ich in den Herstellungsprozess eingreifen? Für diese Fragen ist die Statistik eine ganz wesentliche Grundlage. Darum machen wir das auch sehr gerne selbst für die Leute, weil wir eben sehr früh die Leitplanken schon einschlagen wollen für das, was für die Pharmazeuten am Ende wichtig ist.

A. B.: Ja gut, danke.

F. B.: Sehr gerne.

C. J.: Gibt es denn bei den Inhalten die Möglichkeit, selbst Inhalte zu wählen oder ist das meiste vorgegeben?

F. B.: Es ist tatsächlich so, dass wir an jeder Universität eine gewisse Freiheit von Forschung und Lehre haben, bestimmte Dinge auszugestalten. Aber es sind sowohl Stundenzahl, als auch Fächer, als auch Gegenstandskataloge sehr präzise festgelegt. Man hat also leichte Freiheitsgrade, aber grundsätzlich ist das, was an Stoff durchgenommen wird für alle verbindlich definiert. Ein Freiheitsgrad, der in der letzten Änderung der Approbationsordnung im Hauptstudium eingeschlagen wurde, ist das sogenannte Wahlpflichtfach. Und das ist auch eine hervorragende Möglichkeit für die Leute, so ab dem sechsten und siebten Semester dann mal in die forschungsnahen Bereiche reinzuschnuppern. Wir haben hier in Tübingen eine sogenannte Vollpharmazie. Das heißt also wirklich jegliche Art von Forschungsrichtung, die pharmazeutisch vorkommt, ist vertreten. Und das nutzen die Leute natürlich sehr gerne, um sich zu überlegen, ob ein weiterführendes Studium, neben der Approbation auch noch spannend für sie ist. Wir haben auch einen Masterstudiengang: „Pharmaceuticals Sciences and Technologies“, in den man mit der Approbation mit nur wenig Aufwand wechseln kann. Damit kann man in das wissenschaftliche Arbeiten einsteigen, eine eigene Master-Thesis schreiben, also einen wissenschaftlichen Abschluss zusätzlich zur Approbation erhalten. Und es ist relativ zeiteffizient für die Leute durchführbar, die sich im Wahlpflichtfach schon für die Forschungsrichtung entscheiden. Und dann kann man natürlich auch noch eine Promotion anschließen und sagen: Jetzt verschreibe ich mich ganz der Wissenschaft, jetzt möchte ich es wirklich wissen, das ist mein Lebensziel. Das ist ab dem Hauptstudium möglich, aber immer noch nicht zu spät. Man kann immer noch an der Stelle recht flexibel in Tübingen entscheiden: Was ist meine Ambition, was möchte ich mit meinem Leben anstellen? Und ich glaube, dass das durchaus ein faires Angebot für die Leute ist.

A. B.: Sie haben jetzt schon ein paar Mal einen Begriff fallen lassen: Die Approbation. Können wir das einmal kurz erklären, dass es auch klar ist, um was es sich da handelt?

F. B.: Also in bestimmten Berufen, zum Beispiel bei den Pharmazeuten oder auch bei den Medizinern, regelt der Staat die Ausbildung, erlässt also eine sogenannte Approbationsordnung. Und in dieser Approbationsordnung sind dann bestimmte Prüfungsteile vorgesehen. Bei den Pharmazeuten sind das drei Abschnitte: das Grundstudium, das dann mit dem ersten Abschnitt der pharmazeutischen Prüfung abgeschlossen wird, das Hauptstudium mit dem zweiten Abschnitt der pharmazeutischen Prüfung, und dann, nach einem praktischen Jahr, das hälftig in Offizinpharmazie und alternativ auch in Forschung, Industrie oder anderen Bereichen absolviert werden kann, gibt es dann noch die dritte pharmazeutische Staatsprüfung. Erst wenn alle diese drei erfolgreich absolviert sind und ausschließlich in einem Staatsexamenstudiengang Pharmazie, kann man die Approbation erhalten. Und die ist Voraussetzung dafür, dass ich zum Beispiel in einer Apotheke als Apothekerin und Apotheker tätig werden oder selbstständig eine eröffnen kann. Es gibt natürlich auch pharmazeutische Tätigkeiten, für die die Approbation nicht automatisch Voraussetzung ist, zum Beispiel in der Industrie.

C. J.: Bis man in der Wissenschaft oder auch in der Industrie landet, ist es ein langer Weg. Zumindest dauert es einige Semester und man sollte verschiedene Skills mitbringen um so ein Pharmaziestudium durchzuziehen. Dazu haben wir Tübinger Studierende gefragt, was sie selbst am Studium begeistert und wollen uns danach auch noch ein bisschen ausführlicher über die persönlichen Voraussetzungen unterhalten, die man so mitbringen sollte.

Persönliche Voraussetzungen (22:14)

Studi 1: Also besonders cool finde ich am Studium tatsächlich, dass wir sehr viel Labor haben und es in der Hinsicht dadurch dann auch sehr praxisorientiert ist, was meiner Meinung nach sehr viel Abwechslung in den Alltag bringt. Und außerdem finde ich es sehr interessant, dass wir so ein breit gefächertes Wissen uns aneignen können, von Chemie über Physiologie und die ganzen Verknüpfungen. Das macht das Studium auf jeden Fall super interessant.

Studi 2: Ja, die Tage sind eben super abwechslungsreich, gerade durch diese Mischung aus Theorie und Praxis. Es gibt natürlich immer Themen, die einen mehr oder weniger interessieren, aber das ist ja im Endeffekt auch ganz normal. Ich selbst habe jetzt zum Beispiel gerade das fünfte Semester abgeschlossen und letzte Woche dann noch mal eine Klausur auch in Pharmakologie geschrieben. Da lernt man dann zum Beispiel 20 verschiedene Krankheiten kennen und deren Behandlung auch mit den verschiedenen Arzneimitteln. Jetzt hat man echt das Gefühl, man kann so wirklich mitreden und hat jetzt echt ein gutes Verständnis, wie die Arzneimittel dann im Körper wirken.

Studi 3: Was mich am Studienfach der Pharmazie einfach extrem begeistert, ist diese enorme Vielfältigkeit. Wir haben Vorlesungen im Bereich der Biologie, der Chemie und der Medizin. Aber es ist jetzt nicht nur so, dass wir den ganzen Tag nur in Vorlesungen sitzen. Wir haben auch viele Praktika. Wir haben auch einen hohen Praxisanteil. Wir sitzen also im Labor und können unser Gelerntes halt auch direkt anwenden. Und das ist halt einfach enorm motivierend.

Studi 4: Mich begeistert am Pharmaziestudium die Vielfalt der Themen, die man behandelt und lernt. Die viele Laborarbeit macht total viel Spaß und ist auch ein super Ausgleich zu den sehr theoretischen Vorlesungen, die man hat. Und beides zusammen macht für mich die perfekte Mischung aus.

A. B.: Ja, die Vielfalt und das Abwechslungsreiche sorgen für Begeisterung bei den Studierenden, wie wir gehört haben. Jetzt würde ich gerne wissen, was man denn aus Ihrer Sicht als Voraussetzung braucht, wenn man Pharmazie studieren möchte.

F. B.: Also was natürlich schon angeklungen ist, ist diese Breite an naturwissenschaftlichem Interesse auch gepaart mit einer gewissen Anwendungsorientierung. Das heißt also, wer sagt: Ich möchte das nicht nur alles verstehen und lernen, sondern ich möchte auch ein ganz klares Ziel vor Augen haben, für was ich das lerne, der ist sicher im Pharmaziestudiengang richtig. Die Bandbreite reicht von den breiten Naturwissenschaften, über biomedizinische Anwendungen, aber auch technischen Anwendungen, zum Beispiel, wie bestimmte Arzneimittel und Arzneiformen hergestellt werden, oder wie eine Tablette verpresst wird. Das sind durchaus technische Aspekte, die auch eine Rolle spielen können. Darüber hinaus gibt es auch noch rechtliche Aspekte, eventuell in der Zulassung von Arzneimitteln. Da geht es sehr stark um Recht. Auch im Betrieb von einer Apotheke können rechtliche Aspekte eine Rolle spielen. Das heißt also, ein sehr breit aufgestelltes, gefächertes, vielfältiges Interesse spielt hier schon eine große Rolle. Was außerdem gut für den Studiengang ist, ist wie schon vorhin angeklungen, Teamfähigkeit, auch für den Beruf später. Das würde ich jedem empfehlen. Gerade für die Offizinpharmazie sollte jede:r eine gewisse kommunikative Ader haben. Also gerne mit Menschen sprechen und eine Hinwendung zu Menschen haben. Wenn man nicht gerne mit seinen Kunden, mit seinen Patienten jeden Tag redet, wird man sicher kein guter Offizinapotheker/ keine gute Offizinapothekerin werden. Daneben ist für die wissenschaftlichen Bereiche ein analytisches logisches Denken wichtig. Grundsätzlich auch eine hohe Konzentrationsfähigkeit, eine hohe Hingabe zur Richtigkeit und Präzision. Genauigkeit spielt auch eine Rolle. Man hat eine hohe Verantwortung. Man ist verantwortlich für das Leben von Menschen, zum Beispiel in der Herstellung von Arzneimitteln. Man hat auch gewisse Privilegien, die der Staat vorsieht, aber damit auch eine hohe Verantwortung. Wenn Sie zum Beispiel Betäubungsmittel abgeben müssen – Substanzen, die andere Leute süchtig machen können – und dabei gewährleisten müssen, dass das alles richtig vonstattengeht. Also es ist eine Tätigkeit, bei der sie auch Verantwortung für andere Menschen übernehmen können müssen und damit natürlich auch ein hohes Maß an Verlässlichkeit an den Tag legen müssen. Ob das der Herstellungsprozess ist, ob das die Qualitätssicherung ist oder ob das der tägliche Job in der Offizinpharmazie ist, von Krankenhauspharmazie gar nicht zu reden, bei der sie zum Beispiel für Patienten in der Tumortherapie Zytostatika herstellen müssen, also Medikamente, die dann frisch verabreicht werden.

A. B.: Ja, toll, dass Sie das ansprechen. Das wird sicherlich dann auch im Studium betont; das Thema Verlässlichkeit und vertrauensvolles Arbeiten.

F. B.: Auf jeden Fall. Dafür sind ja auch gerade die vielen praktischen Tätigkeiten da. Das klang vorhin auch schon mal im O-Ton unserer Studierenden an; dass man zum Beispiel auch in der Protokollierung der Tätigkeit verlässlich sein muss, dass Prozesse nachvollziehbar sind, dass man eben jederzeit für das Ergebnis seiner Arbeit einstehen können muss.

C. J.: Braucht man für die Arbeit im Labor ein gewisses handwerkliches Geschick?

F. B.: Ist sicher von Vorteil. Also ich sage mal so, ich habe noch niemanden mit lauter linken Daumen an beiden Händen erlebt. Aber es gibt natürlich Leute, die erst mal nicht den theoretischen Zugang haben, sich aber dafür in der Laborsituation sehr wohlfühlen und sehr gut zurechtkommen. Also es sind schon zwei unterschiedliche Skillsets, die hier trainiert werden müssen. Und auch da gibt es taktile Leute, die eben ein bisschen steilere Lernkurve erst durchlaufen müssen, bis es alles gut und reibungslos klappt. Aber meistens ist schon das Verständnis für die Grundlage dessen, was man tut, ganz wichtig und für die Richtigkeit und Präzision am Ende entscheidend. Das heißt also ohne theoretischen Unterbau kann auch keine praktische Tätigkeit sehr erfolgreich sein.

A. B.: Eine Sache haben Sie auch schon vorhin genannt bei den Voraussetzungen, nämlichKonzentrationsfähigkeit, da habe ich mich gefragt, wie es mit dem Auswendiglernen ist? Muss man nicht auch unheimlich viel auswendig lernen in dem Feld?

F. B.: Das ist schon richtig. Es gibt natürlich sehr viel vernetztes Wissen. Wir hatten ja vorhin übers Grundstudium gesprochen. Im Hauptstudium ist es natürlich so, dass wir aus einer chemischen Richtung, aus einer pharmakologischen Richtung, aus einer klinisch pharmazeutischen Richtung, aus einer technologischen Richtung, aus einer biologischen Richtung, also aus verschiedenen Perspektiven auf ganz ähnliche Zusammenhänge schauen. Deshalb ist auch das vernetzte Lernen von Wissen wichtig. Nur so kann man das beispielsweise dem Kunden plausibel und möglichst einfach in der Apotheke wiedergeben oder es in einem anderen Berufsbild, in der Analytik zum Beispiel, entsprechend vernetzt anwenden. Das ist ganz wichtig. Es ist sicher so, dass man vieles auswendig lernen muss. Ich bin immer der Meinung, je mehr man versteht, desto sparsamer muss man mit den Ressourcen dessen, was man einfach ins Gehirn reinstopft, umgehen. Und sind wir ehrlich, dass kennt sicher jeder Schüler, jede Schülerin: DasBulimielernen kurz vor der Klausur oder kurz vorm Abitur hat noch keinem was gebracht. Es geht schon darum, es tiefer verwurzelt und strukturiert ins Gedächtnis zu bringen und dann auf diesen Grundlagen wieder die Vielfalt dessen, was jeden Tag an neuem Wissen dazukommt, einordnen zu können. Das Spannende sind ja nicht die Klassiker, die wir im Studiengang lehren, sondern das, was jeden Tag, jedes Jahr an neuen Wirkstoffen dazukommt und dann in der Apotheke genau so kompetent beraten werden muss wie das, was vielleicht vor 50 Jahren schon mal in den Markt eingeführt wurde.

A. B.: Wir haben jetzt mit Pharmazie ein Studienfach, das in einem bundesweiten zentralen Vergabeverfahren, und zwar im DOSV, dem Dialogorientierten Serviceverfahren, vergeben wird. Das Verfahren ist für die Pharmazie bundesweit und dieses DOSV ist noch mal an bestimmte Auswahlkriterien geknüpft, die ich jetzt ganz kurz benenne. Wir wollen nicht auf die Details eingehen, aber die Kriterien beinhalten natürlich die Abiturnote, und den Pharmaziestudieneignungstest. Sie können auch, wie hier in Tübingen, Dienste, Berufsausbildungen, Berufserfahrung und auch bestimmte Preise beinhalten. Wir haben zu diesem Verfahren von der Zentralen Studienberatung aus Informationsveranstaltungen. Ich werde da die Webseite später in den Shownotes verlinken und man findet auch einige Informationen auf hochschulstart.de, die werde ich auch verlinken. Jetzt wollten wir aber Sie gerne noch zum pharmazeutischen Studieneignungstest befragen. Können Sie dazu was sagen, was das für Vorteile bringt und wie das abläuft?

F. B.: Ja, sehr gerne. Wir sind ja auch nicht unschuldig an dem pharmazeutischen Studieneignungstest, kurz PhaST genannt, weil wir nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil 2017/18, für die Pharmazie einen fachspezifischen Test entwickelt haben und uns dafür sehr genau angeschaut haben, was für Eigenschaften, was für Fähigkeiten, was für Kernkompetenzen braucht man denn im Studiengang und wie können wir das in Form von solchen Fragen abbilden? Wir haben einen Testlauf des Tests, also Sie können sich jederzeit online auf den Seiten der Firma ITB auf das Fragenkonzept, anhand einer Testbroschüre einstimmen. Da gibt es jeweils Beispielfragen, die zeigen welche Fragenformate es gibt und worauf es bei den Fragen ankommt. Wir sind auch gerade dabei zu überlegen, ob es vielleicht auch andere Literatur dazu geben sollte, die wir in den nächsten, ein, zwei Jahren auflegen werden als Vorbereitungsmaterial. Es ist also durchaus so, dass das stark nachgefragt wird und man auch angeschrieben wird, wie man sich optimal auf den Test vorbereiten kann. Ich bin der Meinung, man braucht gar nicht so eine intensive Vorbereitung. Sich ein paar Wochen mal in Ruhe mit dem Format zu beschäftigen, sich Gedanken über die Fragen zu machen, sich auch Gedanken drüber zu machen: Was wird dabei geprüft, das ist eigentlich die Kernauseinandersetzung. Das sollte ausreichen. Letzten Endes sind bei den Fähigkeiten zum Beispiel räumliches Denken mit dabei. Auch die gerade schon angesprochene memorative Kapazität: Sich komplexe Datenstrukturen einzuprägen und Fragen dazu zu beantworten. Aber auch Elemente wie Textverständnis spielen eine Rolle. Die Frage, ob Sie mit Diagrammen umgehen können, ob Sie mathematische, quantitative Zusammenhänge zum Beispiel in Formeln erkennen können? Aber auch, ob Sie konzentrationsfähig sind, ob Sie in sehr kurzer Zeit innerhalb einer sehr komplexen Fragestellung, die Sie so noch nie präsentiert bekommen haben, zu einer sinnvollen Selektion einer Antwort kommen können? Das wird hier alles geprüft. Ich bin der Meinung, es ist für jeden ein sehr faires Angebot, zusätzlich zu Abiturleistung. Die Teilnahme an PhaST, lohnt sich auf jeden Fall, weil Sie hier etwa 1/4 der maximal möglichen Punktzahl aus dem Abitur schon mit einer durchschnittlichen PhaST-Teilnahme erreichen können. Wenn Sie natürlich ganz schlecht sind, sind es weniger Punkte, ist klar, aber die statistische Chance, sich zu verbessern im Ranking ist gegeben und ich glaube, dass das auch einen spannenden Zugang zum Studiengang eröffnet. Übrigens haben wir für das kommende Wintersemester, also 2022/23, zum Ersten Mal Studienplätze, die nur nach dem PhaST vergeben werden und ab dann natürlich dauerhaft.

A. B.: Das heißt also, um das auch noch mal konkret zu machen: Das ist keine Pflicht, aber es ist empfehlenswert? Und wie und wann wird er dann durchgeführt? Können Sie das noch kurz umreißen?

F. B.: Sehr gerne. Also wir haben momentan vier Testtermine pro Jahr. Drei davon im Frühjahr/Sommer. Das heißt also typischerweise Ende April, Ende Mai, Ende Juni, sodass es für alte Abiturienten, die sich bis Ende Mai bewerben müssen, aber auch für neue Abiturienten, die dann vielleicht gerade noch im Abitur stecken, Termine gibt, am Test teilzunehmen. Mittlerweile gibt es so zwischen acht und zwölf Standorte, an denen der Test absolvierbar ist. Der Test wird an dem Computer, also digital, durchgeführt, aber in einem Testzentrum überwacht und unter standardisierten Bedingungen, damit eben eine echte Vergleichbarkeit gegeben ist. Und am Ende bekommen Sie Ihr Testzertifikat mit einer Nummer verschlüsselt, sodass Sie sich Ihre Punktzahl nicht frei aussuchen können, die sie dann bei hochschulstart eingeben. Und mit diesem Testzertifikat gehen Sie in den Bewerbungsprozess. Im Winter/Spätherbst haben wir dann typischerweise noch mal einen Termin, das heißt Ende November/Anfang Dezember ist noch mal einer. Der ist für Tübingen jetzt nicht ganz so relevant, weil wir nur einmal im Jahr, also nur zum Wintersemester zulassen. Aber es kann ja durchaus auch Leute geben, die zum Beispiel in einem Dienst stecken und sagen für die nächste Bewerbungskampagne fürs darauffolgende Wintersemester möchte ich schon mal im November oder Dezember teilnehmen, wenn ich gerade eben keine andere Belastung habe, sondern mich darauf einstellen kann, mich vorbereiten kann.

C. J.: Kann man den Test mehrfach machen?

F. B.: Man darf den Test einmal pro Kalenderjahr machen. Das haben wir extra so konzipiert, damit es fair zugeht und nicht derjenige, der sich die Testgebühr von 75€ pro Testteilnahme mehrfach leisten kann, einen Vorteil hat. Wir möchten, dass man einmal pro Bewerbung teilnimmt. Allerdings ist uns auch klar, dass es sein kann, dass jemand mal eine ganz schlechte Tagesform hat, vielleicht Kopfschmerzen oder ähnliches und dann danach mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist. Und sollte der in dieser Bewerbungsrunde nicht zum Zug kommen, hat er auch für das nächste Jahr wieder eine neue Chance.

A. B.: Gut, ich glaube, dann sind wir da ganz gut im Bilde. Wenn man dann das Studium begonnen und absolviert hat, dann bleibt noch die Frage: Wo möchte ich denn damit hin? Wir haben unsere Tübinger Studierenden natürlich auch gefragt, was sie denn so für Berufsvorstellungen haben.

Berufsperspektiven (37:16)

Studi 1: Was ich nach dem Studium beruflich machen möchte, weiß ich noch gar nicht genau. Eigentlich stehen einem alle Türen offen. Ich kann mir sehr gut eine Krankenhausapotheke vorstellen. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, noch den Master „Pharmaceutical Sciences and Technologies“ an der Uni Tübingen zu machen.

Studi 2: Also persönlich finde ich die Forschung sehr interessant. Während der Famulatur – das sind zweimal jeweils vier Wochen im Grundstudium, in denen man ein bisschen Berufserfahrung sammeln kann – war ich vier Wochen in der Krankenhausapotheke und das hat mich auch wirklich sehr interessiert. Also da wurden zum Beispiel auch Zytostatika hergestellt für Krebspatienten und Krebspatientinnen. Und ja, wer weiß, vielleicht zieht es mich ja auch in die Richtung.

Studi 3: Was ich nach meinem Studienabschluss machen will, weiß ich noch nicht so ganz. Ich würde am liebsten erst mal an der Uni bleiben, vielleicht in die Forschung gehen, weil ich das universitäre Flair einfach extrem angenehm finde. Aber Pharmazie bietet einem natürlich viele Möglichkeiten von der öffentlichen Apotheke über das Krankenhaus, in die Pharmaindustrie bis hin zur Forensik. Also da kommt es eigentlich nur auf die eigenen Ambitionen an.

Studi 4: Das weiß ich noch nicht ganz genau, aber das macht mir keine Sorgen. Was ich mir aber vorstellen kann, ist, dass ich weiterhin mit Köpfchen an naturwissenschaftlichen oder medizinischen Themen arbeite, wie beispielsweise in der Klinikapotheke, wo ich in der Arzneimittelinformation Probleme bei der Dosierung und Applikation von Medikamenten lösen muss oder im „Antibiotic Stewardship“, wo ich für jeweilige Erreger dann geeignete Therapien finden müsste.

Studi 5: Ja, ich muss ehrlich sagen, dass ich noch gar nicht ganz genau weiß, was ich danach machen möchte. Man hat ja echt viele Möglichkeiten. Also viele wollen ja auch zum Beispiel in die Apotheke. Ich muss ehrlich sagen, dass ich da noch gar nicht ganz genau weiß, ob ich das möchte. Wir haben ja auch die Möglichkeit, im Anschluss noch den Master „Pharmaceuticals Science and Technologies“ zu machen. Man könnte auch promovieren oder im Anschluss dann auch in die Industrie gehen. Wie gesagt, die Türen stehen einem ja weit offen. Ich bin echt gespannt, wo ich dann in ein paar Jahren landen werde.

C. J.: Wir haben jetzt im Verlauf unseres Gesprächs glaube ich schon von sehr vielen Berufsfeldern gehört und jetzt gerade auch noch mal. Haben Sie denn persönlich den Eindruck, dass es Bereiche gibt, in die überdurchschnittlich viele Studierende gehen wollen?

F. B.: Also es gibt natürlich einen sehr aktiven Markt, die Offizinpharmazie, in den die Leute aufgrund des dritten Abschnitts der pharmazeutischen Prüfungen mindestens ein halbes Jahr im Praktikum rein müssen.

C. J.: Ganz kurz, weil der Begriff jetzt schon so oft gefallen ist, könnten Sie noch einmal kurz definieren, was denn die Offizinpharmazie genau ist?

F. B.: Eine normale niedergelassene Apotheke, die jeder so im Stadtbild kennt, in die man reingeht, beraten wird, in der auch bestimmte Dienstleistungen angeboten werden und vor allen Dingen die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sichergestellt wird. Bei der Krankenhauspharmazie hingegen lernt man die Leute meist nicht selbst kennen, sondern entwickelt im Kontakt mit den Ärzten in den jeweiligen Abteilungen, zum Beispiel Therapiepläne, oder muss die Versorgung in den Kliniken sicherstellt, oder die Herstellung von komplexeren Arzneimitteln für die klinische Anwendung übernehmen. Also Offizin heißt immer niedergelassene Apotheke, so wie man es im Stadtbild kennt. Da ist statistisch die Offizinpharmazie natürlich ein Schwamm, kann man sagen, der unsere Absolventen gerne aufsaugt, weil ein sehr großer Bedarf da ist. Aber man sieht auch, gerade in den letzten Jahren, etwa wenn man die letzten fünf Jahre nimmt, dass es im Bereich der pharmazeutischen Industrie, im Bereich von Behörden, Körperschaften, von Lehranstalten, Berufsschulen, von Universitäten ein sehr viel größeres Stellenangebot gibt, als nur in der Offizinpharmazie. Das heißt, es gibt hier auch eine sehr große Nachfrage nach Absolventinnen und Absolventen. Natürlich ist man in einer Spezialisierung etwas stärker gefragt, wenn man vielleicht noch den Master – oder in manchen Tätigkeitsfeldern eine Promotion vorzuweisen – hat. Das heißt, das ist dann natürlich auch eventuell ein gewisses Commitment von zusätzlichen Jahren, die man in seine akademische Ausbildung investiert, um in den einen oder anderen spezialisierten Beruf zu kommen.

C. J.: Für welche konkreten Berufsfelder bräuchte ich beispielsweise einen Master oder eine abgeschlossene Promotion?

F. B.: Für Tätigkeit in der Industrie, in der Forschung, in der Herstellung, natürlich alles, was mit Lehre zu tun hat. Es ist mit Sicherheit auch in der Krankenhauspharmazie nicht schädlich nicht nur den Master, sondern dann auch noch die Promotion dranzuhängen. Genauso wie natürlich in der Forschung grundsätzlich.

A. B.: Geht die Promotion in der Pharmazie gar nicht direkt nach dem Staatsexamen?

F. B.: Wir empfehlen dringend den Master zwischenzuschalten. Das zusätzliche zeitliche Investment, das man hat, ist sehr klein. Man vertieft sehr stark, weil einem eben ein Jahr Grundstudium im Master bereits anrechenbar ist, weil man – mit dem Staatsexamen in Pharmazie – einen 4-jährigen Abschluss statt einem 3-jährigen Bachelorabschluss hat. Dementsprechend spart man sich das Grundstudium im Master, kann direkt in die Vertiefung einsteigen und damit natürlich auch das nachholen, was viele an Wahlfreiheit zum Teil dann im Hauptstudium und im Grundstudium vermissen. Man kann sich dann in eine bestimmte Richtung spezialisieren und lernt in der Masterarbeit eben das wissenschaftliche Arbeiten selbst kennen: Auch alle Höhen und Tiefen, die das wissenschaftliche Arbeiten mit sich bringt, auch alle Frustrationen, die es haben kann. Aber eben auch die Freude, wenn was funktioniert. Und das ist eigentlich wie eine hervorragende Generalprobe für eine Promotion, bei der man sich dann eben drei, vier Jahre auf ein wissenschaftliches Thema einlässt. Von daher ist sowohl für den, der die Promotion anbietet, als auch für den, der sie nachfragt, eigentlich eine Masterarbeit eine hervorragende Generalprobe.

C. J.: Fallen Ihnen ein paar eher außergewöhnliche Berufsfelder oder auch konkrete Jobs ein, in denen beispielsweise Tübinger Pharmaziestudierende, oder Leute aus Ihrem Netwerk, bereits gelandet sind?

F. B.: Auf jeden Fall, zum Beispiel in der Verwaltung, in Ministerien oder beispielsweise in der Unternehmensberatung, in Wissenschaftsredaktionen, oder im Verlagswesen. Nicht nur bei den klassischen pharmazeutischen Printmedien, sondern auch, wenn es um Bücher geht – nicht nur Lehrbücher. Die Bundeswehr ist natürlich ein Thema, das immer schon für den Sanitätsdienst ein wichtiges Anwendungsfeld ist, auch für Pharmazeuten. Und darüber hinaus gibt es natürlich sehr viele Spielarten der Tätigkeiten in der pharmazeutischen Industrie. Pharmazeutische Industrie ist mit Sicherheit eines der Wachstumsfelder, in dem viele neue Jobs angeboten werden und Pharmazeuten auch dringend gesucht werden.

A. B.: Nach wie vor ja.

C. J.: Klingt alles so, als wäre man, was die Berufsoption angeht breit aufgestellt und auf der sicheren Seite, wenn man das Pharmaziestudium abgeschlossen hat.

F. B.: Und das ist eben das schöne an der Kombination von Approbation und dem Master. Man hat alle flexiblen Möglichkeiten auch noch zu einem sehr späten Zeitpunkt und man hat es gerade bei den Studierenden ja auch gehört, manche Leute sind im Hauptstudium und sagen: Ich überlege mir jetzt, was ich gerne mit meinem Leben anfangen will. Und ich glaube, das ist ein sehr hohes Gut zu sagen: Man hat immer noch die Flexibilität, sich später für einen bestimmten Vertiefungsweg zu entscheiden und das dann zum eigenen Beruf zu machen. Und sind wir ehrlich, die Zufriedenheit im Beruf ist das Entscheidende für die Berufswahl.

C. J.: Definitiv.

A. B.: Das sehe ich auch so, ja.

C. J.: Ich glaube, dann habe ich eigentlich erst mal keine Fragen mehr soweit. Alex, wie ist es bei dir?

Insider-Tipps (45:03)

A. B.: Nein, ich habe jetzt eigentlich nur noch unsere Rubrik „Insider-Tipps“ auf dem Plan. Herr Böckler, haben Sie noch irgendwelche Tipps für diejenigen, die sich jetzt ganz besonders für das Fach interessieren, um da weiter einzusteigen?

F. B.: Ich nenne da sehr gerne die Sachen, die sehr leicht von den Zuhörerinnen und Zuhörern tatsächlich realisierbar sind. Ich bin der Meinung, es ist auf jeden Fall hilfreich, mal in der lokalen Apotheke vorbeizuschauen und mit der Apothekerin/dem Apotheker zu reden, sich anzuschauen, wie dort das Berufsfeld in der Offizin aussieht. Andere Tätigkeitsbereiche sind natürlich ein bisschen schwieriger einzusehen, aber vielleicht gibt es auch Leute, die hier Kontakte haben. Bezüglich des Studiums rate ich sehr gerne dazu, mit unserer Fachschaft Kontakt aufzunehmen. Ich bin der Meinung, Studierende können viel authentischer wiedergeben – wie sie es ja in den O-Tönen auch gezeigt haben – was das Studium wirklich ausmacht. Das sind Kontakte, die wir sehr gerne herstellen. Gerade unsere Tübinger Fachschaft ist da im höchsten Maße engagiert und dafür sind wir auch sehr dankbar. Daneben darf ich auch noch darauf hinweisen, dass wir gerade dabei sind in Tübingen ein Online Self-Assessment zu gestalten, das unter osa-farm.de in wahrscheinlich zwei, drei Monaten online gehen wird. Momentan ist es noch nicht verfügbar, aber ab Sommer 2022 sollte es dann verfügbar sein. Und da werden auch Ihnen, den Zuhörerinnen, Zuhörern, die sich dafür interessieren, die grundsätzlichen Fragestellungen des Pharmaziestudiengangs präsentiert. Sie können selbst ihre Neigungsfelder identifizieren, auch welche Inhalte wie stark im Studiengang vertreten sind. Das, was wir hier zum Teil ja nur anreißen konnten, selbst noch mal für sich erlebbar machen. Und auch das wäre eine Möglichkeit, sich dem Studiengang und seinen Inhalten anzunähern.

A. B.: Das sind ganz hilfreiche und sicherlich auch praktikable Tipps. Haben Sie noch irgendwas, was Sie jetzt den Hörerinnen und Hörern mit auf den Weg geben möchten?

F. B.: Wenn Sie Freude an Naturwissenschaften haben und das ganze mit einer Anwendungsorientierung für oder am Patienten verbinden möchten, ist das Pharmaziestudium mit Sicherheit die richtige Wahl. Dann freuen wir uns auf Sie als Bewerberinnen und Bewerber und Studierende in Zukunft hier in Tübingen.

C. J.: Das ist ein schönes Schlusswort.

A. B.: Genau das nehmen wir als solches. Und dann bleibt mir nur noch, Ihnen ganz herzlich zu danken, dass Sie hier waren, Herr Böckler.

F. B.: Sehr gerne. Es war eine große Freude. Und auch ich stehe natürlich gerne für Fragen von Zuhörerinnen und Zuhörern unter der Emailadresse, die Sie sicher auch in den Podcast mit integrieren werden, zur Verfügung.

A. B.: Gut, mache ich gerne. Ja, dann vielen Dank, Herr Böckler. An die Hörerinnen und Hörer, wenn ihr euch gerne zurückmelden möchtet mit Kritik, mit Feedback oder Fragen, dann schreibt uns gerne an hochschulreif@uni-tueningen.de. Und ansonsten bis zur nächsten Folge.

C. J.: Tschüss und bis zum nächsten Mal.

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Frank Böckler über die folgenden Themen: 
01:25 Persönliche Motivation
07:32 Studieninhalte
22:14 Persönliche Voraussetzungen
37:16 Berufsperspektiven
45:03 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Pharmazie:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #07: Empirische Kulturwissenschaft

Was ist Kultur und wie kann man sie wissenschaftlich untersuchen? Wie gelingt der Blick hinter unseren Alltag? Welchen Beitrag kann die Kulturwissenschaft für eine moderne Gesellschaft leisten? Und wo arbeiten Kulturwissenschaftlerinnen ganz konkret? Diese und viele weitere Fragen rund ums Studium der Empirischen Kulturwissenschaft beantwortet Dr. Gesa Ingendahl in unserer siebten Folge von „hochschulreif“. Und auch Tübinger Studierende verraten, was ihnen am besten am Fach gefällt und wie ihre Berufswünsche aussehen.

Listen
Alexandra Becker (A. B.): Herzlich Willkommen bei „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch auch heute wieder ein Studienfach vor, damit Ihr wisst, was Euch in diesem Studium erwartet. Diesmal geht es um das Fach Empirische Kulturwissenschaft. Dafür sitze ich heute nicht mit meinem Kollegen Christoph Jäckle hier, denn Christoph ist zurzeit leider ohne Stimme. Da wir in den letzten Wochen aber wirklich Pech hatten mit unserer Terminfindung, haben wir uns entschlossen, dass wir heute trotzdem eine Folge für Euch aufzeichnen. Dafür habe ich eine Fachexpertin hier im Studio, nämlich Frau Dr. Gesa Ingendahl. Frau Ingendahl ist akademische Oberrätin am Ludwig Uhland Institut hier in Tübingen und zudem Studienfachberaterin für Empirische Kulturwissenschaft. Guten Morgen, Frau Ingendahl!

Dr. Gesa Ingendahl (G. I.): Schönen guten Morgen, Frau Becker!

A. B.: Ich freue mich sehr, dass Sie heute da sind. Ich würde sagen, wir steigen mit der Frage ein, die wir im Vorfeld immer an die Studierenden richten, nämlich mit der Frage, warum deren Studienwahl auf die Empirische Kulturwissenschaft gefallen ist.

Persönliche Motivation (00:53)

Studi 1: Ich habe mich für das Fach entschieden, weil ich es unglaublich spannend finde, unser gesellschaftliches Zusammenleben, unseren Alltag, der uns so selbstverständlich erscheint, aus einer wissenschaftlichen Perspektive zu hinterfragen.

Studi 2: Ich habe mich für die Empirische Kulturwissenschaft als Studiengang entschieden, da ich mich schon immer sehr für Themen wie Mode, Musik oder Subkulturen interessiert habe und was das mit uns als Gesellschaft macht.

Studi 3: Ich bin eher zufällig zu dem Studienfach gekommen. Ich brauchte zu Beginn meines Studiums noch ein Nebenfach und war dann das erste Semester über erstmal irritiert. Ich habe dann aber im zweiten Semester gemerkt, dass diese Irritation eine totale Bereicherung für mein Weltbild ist und mich dann entschieden, die EKW ins Hauptfach zu nehmen.

Studi 4: Entschieden habe ich mich für das Fach, weil das Fach, als ich es am Studieninfotag kennengelernt habe, spannend klang. Ich konnte mir aber nicht so viel darunter vorstellen. Ich war dann so neugierig, dass ich wissen wollte, was genau sich dahinter verbirgt.

Studi 5: Ich habe mir nach dem Abi echt lange überlegt, was ich machen soll, und habe erstmal einen Freiwilligendienst gemacht und gemerkt, meine Interessen sind breit gefächert. Da ist die Kulturwissenschaft perfekt als ein Fach, das den Alltag untersucht.

A. B.: Wir haben ganz unterschiedliche Motivationen gehört. Frau Ingendahl, mit welcher Vorstellung kommen denn die meisten Erstsemesterstudierenden Ihrer Erfahrung nach in das Fach und wird das dann in der Regel eingelöst oder eher gebrochen?

G. I.: „In der Regel“ und „die meisten“, das ist schon der Punkt, wo es eigentlich keine Regeln und die meisten gibt. Die Zugänge zur EKW – EKW heißt Empirische Kulturwissenschaft, ich werde wahrscheinlich in dem Gespräch öfters EKW sagen, das ist die gängige Abkürzung – sind fast so vielfältig wie das, was man dann damit machen kann. Klar gibt es die Vorstellung, das ist irgendetwas mit Kultur. Oder es gibt auch schon den Wunsch, dass es ein Studienfach ist, in dem man Kulturmanagementtechniken erlernt. Der häufigste Wunsch, warum man zur EKW kommt, ist tatsächlich, weil Wörter wie Kultur, Alltag und Diversität eine ganz große Rolle spielen, aber in der Regel noch nicht genau gewusst und verstanden wird, wie das denn jetzt wissenschaftlich erforscht werden kann.

A. B.: Was sind denn Fragen, die man sich aus ihrer Sicht stellen sollte, bevor man sich für das Studium entscheidet? Also gibt es da etwas, was man für sich klären sollte?

G. I.: Nein. Also das Fach EKW ist ein Fach, in dem man neugierig sein sollte. Das ist eine wichtige Voraussetzung. Und zwar neugierig sein auf etwas, von dem man noch keine Ahnung hat, was es sein kann. Offen sein ist auch von Bedeutung. Wenn man dann ein bisschen verstanden hat, was Alltag überhaupt ist, nämlich Alltag als Gewohnheiten, als Routinen, als das, worüber man im Normalfall überhaupt gar nicht nachdenkt. Und wenn man versteht, dass man dazu forschen und studieren kann, dann ist das, glaube ich, die größte Überwindung oder die größte Hürde. Wie wichtig Alltag und das Selbstverständliche ist, das haben wir während Corona massiv gemerkt, weil das eine Einschränkung, eine Veränderung war, die tief in unseren Alltag eingegriffen hat. Zum Beispiel, dass man alles nur noch digital machen musste und dann bei sich erst mal im Körper gemerkt hat, wie wichtig es ist, tatsächlich körperlich miteinander in einem Raum zu sitzen. Wie jetzt auch. Ja, das merke ich immer noch.

A. B.: Ja, das ist korrekt. Wir sitzen immer noch in getrennten Räumen. Das heißt, das ist natürlich anders, als wirklich eins zu eins gegenüber miteinander zu sprechen. Für uns auch. Da sind wir mit dieser Situation mitten in der Empirischen Kulturwissenschaft, wie ich schon höre. Wie ist es denn bei Ihnen gewesen, wie kamen Sie denn zur Empirischen Kulturwissenschaft?

G. I.: Ich gehöre zu denen, die Quereinsteiger:innen sind. Das gibt es bei uns sehr häufig. Dadurch, dass wir kein Schulfach sind, kennen viele Leute das Fach nicht, wenn sie anfangen zu studieren. Und bei mir war es auch so, dass ich nach der Schule meine zwei Leistungskurse studieren wollte, Geschichte und Französisch. Dann habe ich schnell gemerkt, dass das Fach Französisch für mich nicht in Frage kam, war dann bei der Studienfachberatung und die haben mich gefragt, was mich denn so interessiert. Dann habe ich gesagt: „Naja alles, was mit Alltag zu tun hat und mit Vergangenheit und wie das überhaupt dazu kommt, dass wir heute so einen Alltag haben, wie wir ihn haben”. Ich war damals in Münster, da hieß das Fach Empirische Kulturwissenschaft noch Volkskunde. Und die haben gesagt: „Dann gehen Sie doch mal zur Volkskunde“. Das war der Anfang einer großen Liebe, die mich nach Tübingen geführt hat, ans Ludwig-Uhland-Institut, was damals und auch heute noch einen guten Ruf in unserer Fächerlandschaft hat. Unser Fach heißt Empirische Kulturwissenschaft hier in Tübingen, aber zum Beispiel in Göttingen Kulturanthropologie oder in Berlin Europäische Ethnologie. Es ist aber alles diese spezifische Art von Alltagskulturwissenschaft, die sich darum bemüht, unsere eigene Gesellschaft und unseren Alltag, unsere Selbstverständlichkeiten und Routinen zu hinterfragen, wo die herkommen. Das ist einfach das, was mich fasziniert hat von Anfang an. Diese Möglichkeit zu verstehen, dass alles, was in unserer Gesellschaft passiert und wie wir miteinander umgehen als Menschen – jetzt nicht nur in Deutschland, sondern das ist dann weltweit Kultur – dass dieses Phänomen Kultur nicht vom Himmel fällt, sondern gemacht ist, und zwar durch das Zutun und miteinander Tun von den Menschen. Kultur, sagt man im ganz Kurzen, ist das, wie Menschen was machen, wenn sie was machen. Es geht um Alltagshandlungen: Wie wir uns miteinander verbinden und kommunizieren, wie wir uns abgrenzen voneinander, wie wir versuchen, eigene Gruppen zu bilden und uns miteinander in irgendeiner Form zu verhalten.

A. B.: Da haben wir jetzt eigentlich schon einen guten Einblick in die erste Definition, wie Kultur verstanden wird im Fach. Jetzt heißt der Studiengang Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen. Was heißt denn empirisch? Was an dem Studienfach ist empirisch?

G. I.: Also das Wort empirisch hat in letzter Zeit eine sehr einseitige Karriere gemacht, weil es manche Fächer gibt, die empirisch ausschließlich mit statistischen Erhebungen in Verbindung bringen. Auch da geht man zu den Menschen, erhebt Material mit ihnen zusammen, indem man sie was fragt, abfragt, Fragebögen erstellt oder etwas zählt.

A. B.: Da muss ich gestehen, das war auch so meine erste Idee von empirisch.

G. I.: Genau. Und das ist auch eine Form von empirisch, aber eben nicht die einzige. Die andere Form von empirisch ist diese Art von Erfahrung nicht über Standardisierung und über Statistik zu erreichen, sondern über qualitative Sozialforschung, indem wir mit den Menschen reden, sie reden lassen vor allen Dingen, sie beobachten bei ihrem Alltagshandeln. Sie reden lassen, möglichst breit und möglichst ausführlich, aus dem Grund, weil im ausführlichen Reden, wenn sie uns etwas erzählen, dann beginnen sie, uns ihre Weltsicht zu erläutern. In dieser Weltsicht ist immer die Perspektive enthalten, wie soll etwas sein, wie macht etwas Sinn, wenn ich mich so verhalte, wie ich mich verhalte, wenn ich so denke, wie ich denke. Diese Sinnhorizonte, so nennen wir das, die geben Aufschluss auf kulturelle Ordnungen. Auf jeden Fall ist das eine Art von Empirie, die erfahrungsgeleitet ist. Aus dieser erfahrungsgeleiteten Sichtweise, die wir darauf haben und die, die Menschen, die wir fragen, haben, daraus generieren wir dann Theorien.

A. B.: Da schauen wir uns auf jeden Fall nochmal konkrete Beispiele an. Und damit man sich so ein bisschen vorstellen kann, wie denn das Studium des Faches aussieht, haben wir Studierende gefragt, wie denn deren typische Studienwoche so abläuft. Da hören wir mal rein.

Studieninhalte (10:27)

Studi 1: Eine typische Stundenwoche verbringe ich eigentlich im LUI. Das ist unser Institut, das Ludwig-Uhland-Institut und in der Wilhelmstraße, weil da die Neue Aula ist, in der Vorlesungen stattfinden und die Bibliothek.

Studi 2: Eine typische Woche besteht aus mehreren Seminaren zu Themen, die einen interessieren und außerdem so ein bis zwei Vorlesungen. Wir lesen recht viel, teilweise auch anspruchsvolle Texte, dann als Vorbereitung für kleinere empirische Forschungen. Und in manchen Seminaren geht man auch auf Exkursionen.

Studi 3: Im Vergleich zur Schulzeit habe ich relativ wenig Wochenstunden, im Schnitt vielleicht so 8 bis 12. Dafür habe ich einiges zu lesen, um die Seminare gut vorzubereiten. Das kann mitunter auch sehr anstrengend sein, ist aber meistens sehr lohnend, weil dadurch die Seminardiskussionen sehr spannend sind und natürlich auch der Austausch mit den KommilitonInnen davor und danach.

Studi 4: Eine typische Studienwoche heißt bei uns, dass man gar nicht so viel Zeit in Vorlesungen verbringt, aber viel Zeit im Selbststudium. Das heißt, dass man Texte liest, dass man mal in der Bibliothek ist, dass man eigene Forschung macht und zum Beispiel Leute interviewt und beobachtet oder auch mal ins Archiv geht und da forscht.

A. B.: Da haben wir schon einen ganz schönen Einblick bekommen. Aber einmal für den Überblick, Frau Ingendahl, mit welchen Bereichen beschäftigt man sich im Studium, so grob erst mal?

G. I.: Also die Themen, die wir anbieten in den Modulen – also ich nenne jetzt einfach mal die Modultitel – das sind: Kulturanalyse, das sind die kulturtheoretischen und methodischen Einblicke, dann die Kulturen Europas und der Regionen, jüdische Lebenswelten und Populärkultur. Es geht viel um sammeln und präsentieren. Das sind so die Oberthemen.

A. B.: Und haben Sie Beispiele, was man da so macht? Wie ich das rausgehört habe, gibt es einmal Bereiche, wo man sich erst mal Überblickswissen aneignet, wo man auch die Methoden erlernt, aber auch ganz regionale Einteilungen. Sie haben einmal den europäischen Raum genannt. Haben Sie da konkrete Einzelbeispiele, wie man sich das dann vorstellen kann in diesen Bereichen?

G. I.: Also ich probiere es mal jetzt vom Lehrprogramm des Sommersemester 2022 ausgehend. Da gibt es Seminare, zum Beispiel wird es ein Exkursionsseminar geben nach Oberammergau. Das ist dieser Passionsfestspiel-Wallfahrtsort, in dem alle paar Jahre die ganze Dorfbevölkerung aufgerufen ist, an einem Passionsfestspiel teilzunehmen.

A. B.: Ja, alle zehn Jahre. Und ich habe Karten für diesen Sommer.

G. I.: Das ist das Spannende, wie im Jahre 2022 das Mittelalter aufgeführt wird. Das heißt, was für eine Perspektive man von heute auf das Mittelalter hat oder was man denkt und meint, was man mit diesem Passionsfestspiel in die Welt tragen will. Das ist das Eine, also wie wird das praktisch übersetzt ins Heute. Und das andere ist, wie die ganze Bevölkerung sozusagen zehn Jahre darauf hinlebt. Angefangen dabei, dass Männer ihre Bärte wachsen lassen müssen, aber auch die Arten und Weisen, wie da Gemeinschaften entstehen, indem klar ist, dass 25 Menschen aus dem Dorf irgendeine Gruppe spielen und das schon seit Jahren üben. Dieses Festspiel strukturiert die gesamte Dorfgemeinschaft und das wird untersucht werden. Da werden die Studierenden mit den Verantwortlichen, mit den Schauspielenden in Kontakt treten. Sie werden auch selbst dabei sein und schauen, wie das Publikum sich verhält. Das wird alles in diesem Exkursionsseminar untersucht werden. Das ist zum Beispiel ein Seminar. Dann gibt es ein ganz anderes, das beschäftigt sich mit der Tübinger Technikgeschichte, also tatsächlich im Großen mit diesem Thema Cyber Valley bei uns in Tübingen mit der KI (künstliche Intelligenz). Was passiert in einer Stadt, wenn technische Instrumente in die Stadtgesellschaft eingreifen? Ob das jetzt Ampeln sind oder Telefone.

A. B.: Geht es in der EKW um ganz aktuelle Entwicklungen auch innerhalb von Tübingen? Das wäre dann regional.

G. I.: Die EKW schaut immer von heute, immer von aktuellen Themen aus und versucht da einen Zugang zu finden, um diese aktuellen Themen erforschen zu können. Da muss man praktisch am Fall anfangen.

A. B.: Da habe ich tatsächlich eine Nachfrage. Wie kommt man denn dann an historisch vergangene Zeiten? Also das ist oder kann, wenn ich das richtig verstanden habe, auch ein Untersuchungsgegenstand sein. Wie funktioniert das denn?

G. I.: Das kann ich auch an einem Seminarbeispiel erläutern. Da geht es um 50 Jahre Club Voltaire, das ist das lokale soziokulturelle Zentrum.

A. B.: Mitten in der Altstadt, hier in Tübingen.

G. I.: Ein kleiner Club, der aber wirklich seit 50 Jahren Kleinkunst macht und das lokale Leben, das lokale Kulturleben prägt. Da wird so vorgegangen werden, dass die vielen schriftlichen Dokumente, die es seit 50 Jahren gibt, untersucht werden, ob das jetzt Plakate sind oder Aufschriebe von Diskussionen, von Vereinsorganisationen oder vom Plenum. Diese archivalischen Dokumente werden als Material genommen. Es wird geschaut, wie die aussehen, was da drinsteht, aber eben nicht nur auf der inhaltlichen Ebene, sondern immer auch auf der Ebene, wie sind sie gestaltet und an wen sind sie gerichtet. Dann werden aber auch die Menschen, es gibt noch viele Menschen, die seit der Gründung dabei sind, befragt. Die werden in sogenannten biografischen Interviews befragt, damit sie möglichst viel aus diesen ganzen 50 Jahren aus ihrer Sicht erzählen. Und diese vielen verschiedenen Perspektiven von den Quellen und von den verschiedenen Menschen werden dann zusammengeführt und daraus wird dann eine Analyse entwickelt.

A. B.: Darf ich noch mal auf die Methoden zurückkommen? Ich habe schon notiert, Interviews sind eine der Methoden, die man sich konkret vorstellen kann für qualitative Analysen, das haben Sie schon gesagt. Dann auch Materialsichtung und Beobachtung als Methoden. Können wir noch mal zusammenfassen, was die Kernmethoden sind des Faches?

G. I.: Genau, Interviews sind eine wichtige Geschichte in alle möglichen Richtungen. Also da gibt es die unterschiedlichsten Untergruppen von Interviews, ich habe biografische Interviews schon genannt. Es gibt aber auch sogenannte nur narrative oder situationsgebundene Interviews. Das lernt man alles ab dem ersten Semester, die Unterschiede und wie man die dann entwickelt. Das Wichtigste ist immer die Eingangsfrage, also wie kriegt man die Leute zum Reden, so wie Sie auch heute versuchen, mich zum Reden zu bekommen.

A. B.: Ja, ich sehe. Ich reflektiere gerade schon.

G. I.: Beobachten, das nennt man teilnehmende oder auch stille Beobachter, da gibt es verschiedene Formate. Die teilnehmende Beobachtung, das ist diejenige, die wir aus der Ethnologie und aus der Sozialanthropologie abgeschaut haben. Von der Ethnologie her sind sie gerne in Völker und Gesellschaften gegangen, die sie gar nicht kannten, die so fremd waren wie nur irgendwie möglich. Auf jeden Fall haben wir das von der Ethnologie abgeschaut, dass wir „going native” sozusagen in die Gesellschaft reingehen. Das ist die teilnehmende Beobachtung, dass wir also zum Beispiel Teil einer Gruppe, die wir untersuchen möchten, sind. Beim Club Voltaire, was ich eben angesprochen habe, wenn wir da jetzt eine teilnehmende Beobachtung machen wollten, dann müssten wir uns mindestens ein halbes Jahr in deren Plenumsveranstaltungen, Versammlungen, in die Kommunikation im Büro, in die Art wie der Club Voltaire funktioniert, praktisch hineinhören oder bei Oberammergau müssten wir praktisch mitspielen. Das ist teilnehmende Beobachtung. Man kann aber auch eine stille Beobachtung machen, indem man sich zum Beispiel für ein anderes Thema, wie Fahrradfahren in Tübingen, interessiert. Da kann man sich wunderbar an den Anfang der Fahrradstraße in der Innenstadt stellen, an die Karlstraße und einfach stundenlang schauen, wer da mit wem wie zusammentrifft und auseinanderfällt, während da ein Fahrrad durch die Straße fährt. Die Straße ist ein Shared Space. Die Fußgänger zum Beispiel finden, diese Straße ist ihre Straße und die Fahrradfahrenden empfinden das aber auch. Was dann passiert, das kann man sich einfach mal ein paar Stunden anschauen. Das wären andere Formen von Beobachtung. Und die dritte Methode ist die Dokumentenanalyse. Das ist, ins Archiv zu gehen und nach bestimmten Kriterien dort Inhalte zu erheben und zu schauen, wie alles mit einem Sinn versehen wird. Das sind die drei hauptsächlichen Methoden.

A. B.: Da lassen sich auch schon gut die Schnittstellen zu anderen Fächern erkennen. Ethnologie haben Sie gerade schon genannt. Ich muss da auch an die Soziologie denken. Das wäre auch interessant zu wissen, was machen die anders? Wie kann man die Fächer abgrenzen von der Empirischen Kulturwissenschaft?

G. I.: Sie haben gerade die Soziologie genannt. Das ist ein Fach, mit dem wir viel zu tun haben. Wir haben auch öfters Kooperationsveranstaltungen. Viele von den Sozialtheorien, die in der Soziologie entwickelt worden sind, können wir auch verwenden als Werkzeuge für unsere Interpretation. Die Soziologie forscht mittlerweile auch sehr viel häufiger mikroperspektivisch, wie wir das machen. Unser Königsweg ist, vom Fall auszugehen, von der kleinen Gruppe auszugehen und da dann uns mit den Menschen, die diese Gruppe bilden, zu beschäftigen. Bei der Soziologie ist der Fokus auf der Gruppe. Die gehen mehr von der Struktur her, von der schon etwas abstrakteren Ebene einer Gesellschaft aus und da dann auf die Gruppenstruktur und Gruppenfunktionen. Wir nehmen die Erkenntnisse, die sie haben, über diese Gruppenfunktionen und wie das alles miteinander zusammenhängt und wir schauen, wie ist der Umgang der einzelnen Menschen wiederum mit diesen Strukturen.

A. B.: Also die Perspektive ist einfach eine andere. Und in der Ethnologie?

G. I.: Die Ethnologie, muss ich sagen, die hat sich auch verändert. Also dieses „möglichst weit weg“ ist immer noch ein großes Thema, aber die Ethnologie schaut auch öfters “at home”. Die sind mittlerweile häufiger in Gruppen und sozialen Strukturen unterwegs, zum Beispiel in migrantischen Strukturen, die hier in Deutschland stattfinden. Das machen wir auch, aber wir untersuchen die dann nicht als Fremde an, sondern sie sind einfach Teil unserer Gesellschaft. Und wir müssen nicht erst mal eine Abgrenzung herstellen, eine Distanzierung, wir sehen die Vielfalt. Wir sind eine moderne Gesellschaft in Vielfalt und in Diversität. Das ist der Fokus und die Perspektive, von denen aus wir anfangen. Die Geschichtswissenschaft, die schaut in die Vergangenheit, weil sie da ist, weil sie eine Vergangenheit ist. Wir schauen aus der Gegenwart und was wir brauchen aus der Vergangenheit, um die Gegenwart zu verstehen.

A. B.: Das ist in dem Beispiel vorhin glaube ich schon ganz gut klar geworden, wie man den historischen Blick aus der Kulturwissenschaft auf die Dinge richten kann. Hat man dann auch bestimmte Schwerpunkte im Studium, die man setzen kann oder auf die man sich beispielsweise im aufbauenden Studium später spezialisiert?

G. I.: Im Bachelor ist man breit aufgestellt, man kann aber für sich in den Wahlmodulen Schwerpunkte setzen. Wenn es dann ans Masterstudium geht, da ist es so, dass das Masterstudium ausgestattet ist mit einem Stamm-EKW-Studiengang mit drei Profillinien. Und diese drei Profillinien sind einmal „Museum und Sammlung”, dann einmal „Diversität” als Thema und einmal „Kulturanalyse des Alltags”. Das ist mehr so der theoretisch-methodische Arm.

A. B.: Dann gehen wir mal an die Praxisfrage. Wir haben schon gehört, dass es beispielsweise Exkursionen gibt. Was sind da noch praktische Anteile? Also wo können die Studierenden schon richtig praktische Erfahrungen sammeln?

G. I.: Naja, praktische Erfahrungen sammeln die Studierenden tatsächlich ab dem ersten Semester in der Einführung in empirische Methoden. Da wird es zum ersten Mal kleine Feldstudien geben. So etwas, was ich eben gesagt habe, Fahrradfahren auf der Fahrradstraße zum Beispiel. Da werden die ersten Bausteine gelegt.

A. B.: Und das machen die Studierenden dann selbstständig?

G. I.: Wir schauen zusammen, was sie gerne untersuchen möchten zu einem bestimmten Thema, ob das jetzt Fahrradfahren in Tübingen ist oder Nachtgeschichten. Dann können sie sich selbst aussuchen, wo sie gerne forschen möchten. In dem anderen Einführungsseminar „Einführung in die kulturwissenschaftlichen Arbeitsfelder”, da gibt es viele beispielhafte Lektüretexte zu lesen, was Fallstudien erzählen. Aber man macht auch eine Exkursion in eine andere große Stadt. Da gibt es dann kleine Shortcuts zur Stadtforschung. Es werden sich Gruppen zusammenfinden und zu verschiedenen Themen der Stadtforschung kleine Feldstudien machen. Das geht im ersten Semester los und so geht es dann durchs weitere Studium. Es gibt immer Seminare, die neben und mit der Lektüre kleine Feldstudien machen.

A. B.: Also gleich von Anfang an.

G. I.: Genau, gleich von Anfang an wird es mitgenommen. Dann ist es verpflichtend ein Praktikum in einer Einrichtung zu machen, die eines dieser vielen Kulturarbeitsfelder abbildet – wir kommen vielleicht gleich noch zu den Berufsfeldern – das ist ein verpflichtendes Praktikum. Im Masterstudiengang haben wir ein Studienprojekt, das ist ein dreisemestriges Projekt. Das nimmt sehr viel Zeit dieses Masterstudiengangs in Anspruch. Da wird nach einem großen, breiten Oberthema, das ist gesetzt, gearbeitet und da sucht sich dann die ganze Gruppe eigene Themen aus, wie man dieses Oberthema bespielen kann. Das ist jetzt im Moment gerade KI in Tübingen. Bei KI in Tübingen sind sowohl ganz technische Fragestellungen möglich wie: Was machen die da eigentlich und was gibt es für Möglichkeiten? Aber es sind eben auch Fragen zu, wie verändert sich die Stadtgesellschaft und an welchen Gruppen macht man das fest? An den Protestgruppen, an den Arbeitnehmenden, die alle in die Stadt ziehen wollen, an der Stadtplanung, an den Menschen, die dahinziehen und ihre Arbeit erklären oder auch einfach nur in Ruhe forschen wollen? Also da gibt es ein breites Feld, was man untersuchen kann.

A. B.: Also hat man schon eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten. Wenn wir jetzt schon bei den Inhalten und auch in der Praxis des Studiums sind. Wir haben unsere Tübinger Studierenden gefragt, was sie denn an ihrem Studiengang begeistert.

Persönliche Voraussetzungen (27:46)

Studi 1: Mich begeistert an diesem Fach, dass wir uns mit den Dingen beschäftigen, die wir eigentlich für selbstverständlich halten und dadurch auf ganz neue Perspektiven kommen und neue Dinge immer wieder neu betrachten können.

Studi 2: Mich begeistert, dass das Fach anwendungsbezogen ist. In jeglichen Situationen in meinem tagtäglichen Leben denke ich: „Oh, das wäre spannend zu erforschen, oder hier kann ich eine Verknüpfung zu einem Seminar herstellen“.

Studi 3: Also begeistern kann ich mich für einiges. Da wäre einmal die familiäre Stimmung am Institut und die vielen DozentInnen, die Bock haben, gute Lehrangebote zu machen. Aber begeistern kann ich mich genauso für die Forschung, die sehr nah an dem Alltagsleben der Menschen dran ist. Und ich finde, dass auf diese Weise ein Verständnis davon zu entwickeln, wie Menschen mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, die sie hineingeboren wurden, umgehen, ziemlich interessant.

Studi 4: Mich begeistert vor allem der offene Umgang und die thematische Vielfältigkeit im Institut. Egal, was man für Interessen hat, man bekommt immer ein sehr breites Spektrum an Themen, mit denen man sich auseinandersetzen kann.

Studi 5: Was mich am Fach begeistert ist, dass es immer wieder neue Einblicke und Perspektiven aufbringt und ich die Welt wirklich in einem anderen Blickwinkel sehe. Auf einmal wird sogar eine Werbepause spannend, weil ich mir überlege, was sagt diese Werbung aus und wie hat sie sich verändert? Und was sagt das vielleicht auch über unsere Gesellschaft?

A. B.: In den Studierendenbeiträgen, wie ich finde, bildet sich gut ab, was wir schon über das Fach gehört haben. Was sind denn Voraussetzungen, die Ihrer Ansicht nach hilfreich sind, wenn man in das Studium geht? Wir haben am Anfang schon etwas dazu gehört. Vielleicht können wir das noch mal benennen.

G. I.: Also neugierig sein und offen bleiben ist eine Kernkompetenz. Und dieses neugierig sein, dann aber auch mit harter Arbeit des Lesens versuchen zu befriedigen, das ist eine andere Kompetenz. Wirklich etwas durchdringen wollen, also Texte durchdringen wollen, auch schwierige Texte. Den Blick über den Tellerrand interessant finden und sich immer wieder irritieren lassen wollen. Das kann auch manchmal nervig sein. Da sollte sich eine Bereitschaft zeigen, wissen zu wollen, wie Kultur funktioniert. Diese Art von Hinterfragung, das muss man mögen, dass es gut sein kann, dass man dasitzt und sich versucht zu entspannen und dann gleichzeitig anfängt zu überlegen, wieso reden die da im Podcast so miteinander und wieso ist das hier so ausgestattet?

A. B.: Das klingt ein bisschen nach der EKW-Brille, die man dann irgendwann aufhat. Sie haben schon gesagt, viel lesen. Wie ist es mit Fremdsprachen? Also gibt es in der Fachkultur viel Literatur auf Englisch, ist das eine wichtige Voraussetzung?

G. I.: Englisch sollte man auf jeden Fall gut lesen können, gut verstehen können und auch zunehmend sich gut darin ausdrücken können. Also das wird auf jeden Fall geübt bei uns im Studium. Wir bemühen uns gerade mehr und mehr, Seminare auf Englisch anzubieten, was eine Herausforderung ist, finde ich, weil für diese Art von Tiefeninterpretation muss man schon einen sehr guten englischen Sprachzusammenhang haben. Aber zumindest die Art und Weise, wie englische Literatur zu verstehen sein kann, das sollte man sich erarbeiten, wenn man das studiert. Das kann man auch währenddessen. Das wächst dann auch mit der Literatur, die man liest.

A. B.: Da hilft es manchmal, einen Teil des Studiums im Ausland zu verbringen. Wie ist das in der EKW? Kann man da ins Ausland, ist das erwünscht?

G. I.: Also die EKW unterstützt alle Menschen darin ins Ausland zu gehen, denn es erweitert nochmal die EKW-Brille und die Möglichkeiten zu verstehen, wie unterschiedlich das menschliche Zusammenleben sein kann und trotzdem alle das für ganz normal halten. Wir unterstützen das sehr. Wir haben eine eigene Auslandsstudienberatung. Wenn sie dann wiederkommen, werden sie auch in der Regel alles anrechnen können für den Studiengang hier, weil das immer kulturanthropologische Themenschwerpunkte sind, die dann mitgebracht werden.

A. B.: Das ist ja schon mal gut zu wissen. Dann ist die EKW ein Fach, das entweder als Hauptfach oder Nebenfach studiert werden kann, das heißt, es braucht ein Kombinationsfach. Schauen wir da rein, was es überhaupt für mögliche Fächer gibt. Gibt es Fächerkombinationen, die sich gut anbieten oder die sehr häufig auftreten?

G. I.: Also das mit dem häufig Auftreten muss ich erst mal wieder verneinen. Das ist wahnsinnig vielfältig, gute Nebenfächer für die EKW sind alle Fächer aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, also auch aus den Theologien. Das ist frei wählbar und es wird auch konjunkturmäßig von den Studierenden sehr unterschiedlich gewählt. Ich sag in den Beratungssitzungen meistens, dass das ein bisschen die eigene persönliche Farbe in der EKW ist, was man zusätzlich noch stark für sich selbst mitnehmen will. Ob man mehr in der Sprachenrichtung ist, ob man die Gesellschaftsanalyse noch auf anderen Ebenen untersuchen will durch Politik oder Soziologie. Ob man jetzt schon weiß, dass man sich häufig im interkulturellen Zusammenhang aufhalten will, dann ist ein mögliches Nebenfach von Sinologie über Arabistik bis Englisch, also Anglistik. Es gibt auch die Möglichkeit, evangelische Theologie oder Jura als Nebenfach dazu zu studieren, weil das immer andere Facetten unserer Gesellschaft sind, die wiederum eine Perspektive darauf zeigen und eröffnen, wie eine Gesellschaft funktioniert.

A. B.: Das heißt, das ist oft die Qual der Wahl, weil man so viele Möglichkeiten hat. Aber das sind auf jeden Fall ganz gute Hinweise, wie man bei der Auswahl vorgehen kann, wenn man da noch nicht ganz festgelegt ist, in welche Richtung es gehen soll. Das kann auch schon ein bisschen die berufliche Richtung vorbereiten, wenn man dann weiß, wo es hingehen soll. Und wir haben unsere Tübinger Studierenden natürlich auch gefragt, was sie für Berufswünsche haben.

Berufsperspektiven (34:38)

Studi 1: Beruflich kann ich mir vorstellen, in der politischen Bildung zu arbeiten. Ich habe über ein Praktikum bei der Landeszentrale für politische Bildung diese Arbeit kennengelernt und dabei festgestellt, dass mir das Organisieren von Veranstaltungen und das Aufbereiten von Wissen sehr viel Spaß macht.

Studi 2: Ich interessiere mich mittlerweile sehr für den Medienbereich und möchte entweder redaktionell zum Beispiel im Radio arbeiten oder auch zum Beispiel in der Filmproduktion in der Requisite. Aber mit EKW kann man eigentlich so gut wie alles machen.

Studi 3: Im Studium konnte ich meinen Blick für das Erkennen von sozialen Ungleichheiten schärfen und habe dabei gleichzeitig gelernt, mich sprachlich und schriftlich gut auszudrücken. Und da ich während des Studiums glücklicherweise Zeit für politische Arbeit hatte, konnte ich beides direkt in unsere Gesellschaft einbringen, beispielsweise beim Organisieren von Bildungsveranstaltungen, Demonstrationen und beim Schreiben von Positionspapieren. Genau das ist es auch, was ich nach meinem Studium tun möchte, um die Welt ein Stück weit zu einem lebensfreundlichen Ort zu machen.

Studi 4: Ich möchte nach dem Studium gerne im Museumsbereich arbeiten und da fasziniert mich, dass man einerseits Ausstellungen inszenieren kann, andererseits weiterhin in der Forschung drin ist, sich mit Inhalten befasst und gleichzeitig die Inhalte so aufarbeitet, dass sie auch für andere Menschen interessant sind und sie sich das gerne anschauen und vielleicht auch was mitnehmen.

A. B.: Ja, da sind jetzt schon so Stichworte gefallen wie Medienbereich, Radio oder Film, der Museumsbereich, die politische Arbeit und Bildung. Was sind denn mögliche Berufe oder Berufsfelder?

G. I.: Ich will gerade vielleicht doch die ganz große Überschrift darüber fassen, weil sich das schon ein bisschen disparat anhört: Was EKW einfach sehr gut kann, ist vermitteln. Den Leuten etwas vermitteln, etwas erklären. Weil wir verschiedenste Perspektiven verstehen können, können wir das wiederum vermitteln. Das ist so eine Kulturvermittlungsfunktion letztlich und da sind wir in sehr vielen Bereichen tätig. Und das kann eben eine Art von Vermittlung sein, wie es schon gesagt worden ist, im Museum, in dem etwas präsentiert wird, ein Thema mit Objekten und Erklärtexten. Das kann auch sein über Veranstaltungsformate, indem man etwas anbietet und das so aufbereitet, dass Menschen damit zurechtkommen, verschiedene soziale Gruppen. Das ist dann immer zielgruppenspezifisch. Das kann genauso gut eben im Journalismus sein, in allen Formaten des Journalismus, das ist auch schon angeklungen. Das ist auch im Bereich der Kulturverwaltung nichts anderes. Die Behörden auf den verschiedenen Ebenen von der Kommune bis zum Bund, stellen Räume, Themen und Gelder bereit, um wiederum Gesellschaft zu erklären und Gesellschaft erklärbar zu machen auf den verschiedensten Ebenen. Dann Kulturinstitutionen in jede Richtung, also NGOs (Nichtregierungsorganisationen), Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen nach innen und nach außen kommunizieren, wie man gesehen werden möchte. Da ist auch ein neues Feld entstanden, wie Diversity-Management, die Vielfalt in Unternehmen, sich fruchtbar zu machen. Ein großes Spektrum.

A. B.: Das ist ein großes Spektrum. Wie ist es denn mit dem Berufseinstieg? Wie gelingt der nach dem Abschluss?

G. I.: Ja, das ist natürlich immer ein bisschen Aufschneiderei kann man sagen. Wir haben aber selbst öfters Befragungen gemacht von unseren AbsolventInnen und wir machen auch jedes Jahr im Winter ein sogenanntes Berufsfeldkolloquium, wo Absolventinnen und Absolventen des Fachs von ihren Einstiegen in den Beruf erzählen. Wir können zumindest sagen, dass der Einstieg sehr gut gelingt, und zwar immer schneller. Mittlerweile ist es tatsächlich so, dass sehr viele AbsolventInnen des Masters schon vor dem Ende der Masterprüfung ihre erste Stelle haben. Dadurch, dass diese Schnittstellenfunktion, diese Kulturvermittlung, immer wichtiger werden in unserer großen, unübersichtlichen Welt, gibt es auch immer mehr Stellen, die dafür geschaffen werden und deshalb gibt es auch immer mehr Bedarf für die EKW.

A. B.: Sie haben es gerade schon gesagt, der Masterabschluss und der Einstieg danach gelingt ganz gut. Jetzt ist der Master der weiterführende Studiengang von dem, wo jetzt unsere Hörerinnen und Hörer anfangen. Also diejenigen, die jetzt gerade Abitur machen, werden erst mal in den Bachelor einsteigen. Ist der Master notwendig oder kann man auch schon nach dem Bachelor in den Beruf?

G. I.: Man kann auf jeden Fall auch nach dem Bachelor in den Beruf. Das sind auch spannende Stellen. Es ist tatsächlich aber so, in diesem Kulturvermittlungsbereich arbeitet man häufig konzeptionell. Man muss neue Dinge entwickeln und man kann nicht etwas abarbeiten. Das hat was mit unserer deutschen Struktur, der Berufsstruktur zu tun. Deshalb ist dieser Bereich als Einstieg eine gute Sache. Aber für das, was die EKW leisten kann und was die meisten dann wahrscheinlich möchten, ist es wichtig, den Master zu machen. Einfach damit man an diese Stellen kommt, in denen man selbst etwas entwickeln kann. Ich würde sagen, dass man mit dem Masterstudiengang bei uns auf jeden Fall eine tiefergehende Qualität an kulturwissenschaftlicher Expertise gewinnt. Aber, dass man auch im Bachelor schon Bereiche und Wissen erreicht hat, dass man sehr gut was planen und entwickeln kann. Das wird aber dann häufig einfach von unserer Struktur her, von der Arbeitstätigkeitsstruktur, noch nicht so gesehen.

A. B.: Tipps zur weiteren Auseinandersetzung. Wenn ich jetzt die Folge hier gehört habe „Empirische Kulturwissenschaft“ und mir denke, könnte ich mir vorstellen zu studieren, würde ich mich aber gerne noch ein bisschen tiefergehend mit beschäftigen. Was kann man sich dann noch anschauen?

Insider-Tipps (41:01)

G. I.: Also was ich jetzt gerade echt ganz spannend finde, dass es dieses Podcast-Format gibt. Das scheint auch in unserem Fach ein sehr schönes mediales Format zu sein, um zu vermitteln, wie Kultur funktioniert. Deshalb kann ich wirklich empfehlen, dass man unter so einem Stichwort wie „Podcast Empirische Kulturwissenschaften“ sucht. Da gibt es nämlich jetzt mittlerweile eine ganze Menge an spannenden Podcasts von Studierenden aus ihren Projekten heraus, die mithilfe dieses Formats die Ergebnisse ihrer Forschungen zu den verschiedensten Themen des Alltags und der Alltagskultur veröffentlicht haben. Das kann ich auf jeden Fall empfehlen.

A. B.: Guter Tipp.

G. I.: Und ansonsten, mir fällt dann immer zuerst „Kitchen Stories” ein. Das hatte der Kollege aus der Soziologie schon genannt. Das ist das absolute Gegenbeispiel, wo man sehen kann, wie empirische Forschung eben tatsächlich in echt funktioniert, obwohl man denkt, sie würde anders funktionieren, weil man da sieht, was Forschung ist und was Forschung aber auch macht in einem Feld, wenn sie da ist, dass sie nämlich sehr wohl das Feld auch verändert, was sie untersucht. Und was ich auch einen wirklich interessanten Film für die EKW finde, auch wenn sich das gerade nicht so anhört, es gibt einen älteren Film, der heißt „Die Götter müssen verrückt sein“. Da fällt aus einem Flugzeug irgendwo in einem afrikanischen Land eine Colaflasche auf den Boden. Und die Menschen, die diese Colaflasche finden, die fangen an sich zu überlegen, was der Grund sein könnte und versuchen, irgendwas mit dieser Flasche zu machen, was sie denken, was damit gemeint war. Und das ist ein Film, der schön zeigt, wie Dinge, Objekte und der Blick darauf unterschiedlich sind, je nachdem aus welcher Perspektive und Sinndeutung man darauf schaut.

A. B.: Hm, also das heißt, er ist wahrscheinlich unfreiwillig dann interessant.

G. I.: Nein, der ist schon extra so gemacht. Also wenn, dann kann man jetzt denken, das war einfach ein Film, der hat die westliche Welt karikiert und das hat es sehr schön auf den Punkt gebracht.

A. B.: Von meiner Seite aus ist alles gesagt. Haben Sie noch etwas, was Sie gerne mit auf den Weg geben möchten?

G. I.: Ich finde wirklich, dass das das ein Fach ist, was einen überrascht. Und deshalb würde ich alle Leute einladen. Das Fach bietet so viel. Probieren Sie es aus!

A. B.: Dann sage ich mal vielen Dank für Ihre Antworten und Einblicke in das Fach.

G. I.: Ich bedanke mich sehr, dass ich heute dabei sein konnte. Ich hoffe, dass Sie auch auf unserer Homepage und bei dem Film – wir haben einen kleinen Imagefilm zur EKW gedreht – vielleicht noch ein paar Antworten mehr auf Fragen finden können. Unsere Studienfachberatung ist offen für Fragen.

A. B.: Alle weiterführenden Infos werden wir in den Shownotes verlinken und ansonsten bei Fragen, Feedback, Kritik schreibt uns gerne an hochschulreif@uni-tuebingen.de

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Dr. Gesa Ingendahl über die folgenden Themen: 
00:53 Persönliche Motivation
10:27 Studieninhalte
27:46 Persönliche Voraussetzungen
34:38 Berufsperspektiven 
41:01 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur EKW:

Hier geht es zum Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft, dort findet ihr auch den erwähnten Image-Film der Tübinger Kulturwissenschaft "Dem Alltag auf der Spur". Weitere Einblicke in kulturwissenschaftliche Forschungsgebiete und Erinnerungsberichte ehemaliger Studierender gibt es im LUI-Podcast. Für Fragen rund ums Studium der EKW in Tübingen steht die Studienfachberatung zur Verfügung.

Zitierte Filme:

  • Bergmark, Jörgen/Hamer, Bent (Produktion), Hamer, Bent (Regie): Kitchen Stories (Salmer fra kjøkkenet), Norwegen/Schweden 2003.
  • Uys, Jamie (Poduktion und Regie): Die Götter müssen verrückt sein (The Gods Must Be Crazy), Südafrika/Botswana 1980.

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #06: Pflege

Was unterscheidet ein Pflegestudium von einer Ausbildung? In welchen Bereichen arbeiten Absolventinnen und Absolventen? Und welche Chancen bietet die Akademisierung des Fachs? Über die Inhalte, Besonderheiten und Berufswege, die ein Pflegestudium eröffnet, sprechen wir mit Professorin Dr. Cornelia Mahler, Direktorin der Abteilung Pflegewissenschaft und Studiendekanin am Campus für Gesundheitswissenschaften Tübingen-Esslingen. Neben unserem Gast berichten auch wieder Tübinger Studierende über ihr Studium.

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Christoph Jäckle (C. J.): Herzlich Willkommen zu „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch auch heute wieder ein Studienfach vor, damit ihr Euch bei eurer Studienwahl gut orientieren könnt. Wir, das sind meine Kollegin Alexandra Becker und ich, Christoph Jäckle. Hallo Alex!

Alexandra Becker (A. B.): Hallo Christoph!

C. J.: Heute haben wir uns Frau Professorin Dr. Cornelia Mahler ins Studio eingeladen. Frau Mahler, Sie sind die Studiendekanin des Studiengangs Pflege am Campus für Gesundheitswissenschaften Tübingen-Esslingen. Hallo Frau Mahler, schön, dass Sie zu uns gefunden haben.

Prof. Dr. Cornelia Mahler (C. M.): Hallo, danke für die Einladung. Hat mich sehr gefreut.

C. J.: Ich muss gestehen, ich wusste selbst bis vor kurzem noch gar nicht, dass man Pflege auch studieren kann. Für mich war Pflege bisher vor allem ein Ausbildungsberuf. Von daher bin ich auch persönlich sehr interessiert, was Sie uns heute alles aus Ihrem Alltag erzählen können, was wir von den Studierenden hören werden und was es dann letztlich mit dem Studium der Pflege im Unterschied zur Ausbildung auf sich hat. Zunächst hören wir uns mal an, warum sich Tübinger Studierende für das Pflegestudium hier entschieden haben.

Persönliche Motivation (1:06)

Studi 1: Mir war schon relativ früh klar, dass mir die Pflege sehr viel Spaß macht, habe dann ein paar Praktika gemacht, habe mit vielen Fachkräften geredet, die mir Tipps gegeben haben.

Studi 2: Ich habe erst relativ spät gemerkt, dass Pflege das ist, was ich später als Beruf machen möchte. Bei einem Sozialpraktikum hat mir die Arbeit mit den Menschen sehr viel Spaß gemacht.

Studi 3: Dann dachte ich mir, wenn ich jetzt schon zwei Jahre länger in der Schule saß, könnte ich ja auch einfach studieren und die tieferen Einblicke in jedem Bereich mitnehmen. Nicht bloß die Pflege, sondern auch das wissenschaftliche Arbeiten, was dahinter steckt.

Studi 4: Und zwar habe ich damals gesehen, als ich mich beworben habe, dass man sehr viel tiefer und sehr fachspezifisch in die Materie reingeht. Das hat mich damals sehr angesprochen, weil man nicht nur das Thema Pflege an sich behandelt, sondern man kann ein bisschen in die Medizin reinschnuppern, man kann in die Psychiatrie reinschnuppern.

A. B.: Frau Mahler, jetzt haben wir schon gehört, es ging um die Qualifikation und auch um inhaltliche Ausrichtung des Studiums. Wird das denn eingelöst, wie die Studierenden das berichtet haben?

C. M.: Ja, auf jeden Fall wird es eingelöst, wie es berichtet wird. Das Studium ist sehr praxisorientiert, aber auch sehr theorieorientiert. Also es findet ein großer Anteil an berufsqualifizierenden Aspekten statt, die sowohl in der Theorie wie auch in der Praxis stattfinden, sodass die Studierenden, wenn sie fertig sind, die staatliche Berufszulassung haben, um als Pflegefachmann/Pflegefachfrau, so heißt das jetzt seit 2000, einen Abschluss zu haben, wie auch einen akademischen Abschluss. Mit einem akademischen Abschluss geht man tiefer in die Materie rein, so wie es die Studierenden schon berichtet haben. Es freut mich, dass sie das wirklich so erleben und so sehen. Und auch das wissenschaftliche Arbeiten ist für uns ein wichtiger Aspekt. Denn wenn man eine Disziplin, einen Beruf weiterentwickeln will, dann braucht man auch wissenschaftliche Erkenntnisse, Forschungserkenntnisse aus dem Fachbereich.

A. B.: Und wenn man sich jetzt tatsächlich für ein Studium der Pflege entscheidet, was für Fragen sollte man sich vorher stellen oder sollte man für sich vorher klären?

C. M: Wichtig ist natürlich immer das Arbeiten mit Menschen. Tatsächlich darf ich niemand sein, der Angst hat auf Menschen zuzugehen oder eher zurückgezogen ist. Ich brauche eine gewisse Freude, mich mit Menschen in Verbindung zu setzen, denn Pflege ist ein Beruf, der sehr stark von der Beziehung abhängt. Die Beziehung, die ich zu allen möglichen Personen lerne aufzubauen, ob das ältere Menschen sind, ob das Kinder sind, ob das Angehörige sind oder Personen, die in anderen Gesundheitsfachberufen arbeiten. Denn wir arbeiten in einem Team. Auch das ist etwas, was wichtig ist, dass ich gerne im Team arbeite und ein Interesse habe, nicht nur an krankheitsbezogenen Aspekten, sondern an gesundheitswissenschaftlichen Aspekten. Was hält mich gesund? Was sind Aspekte, die wichtig sind, damit ich gesund bleibe? Und die aktuelle Situation zeigt uns ja, wie wichtig diese Aspekte sind.

A. B.: Für uns war das auch ein Teil der Motivation, weil das ein sehr aktuelles Thema ist, dass immer wieder über Pflege und die Bedingungen im Beruf Pflege diskutiert wird.

C. M.: Ja, das ist wichtig und richtig, was Sie sagen, über die Bedingungen wird gesprochen. Aber ich glaube, die Pandemie hat auch gezeigt, dass dieser Beruf ein sehr zukunftsträchtiger Beruf ist. Sie brauchen nie Angst haben, wenn Sie sich in diesem Beruf qualifizieren, dass Sie keinen Job kriegen werden. Sie werden auf jeden Fall einen Job kriegen, egal wo, egal in welchem Bereich. Pflege ist so ein vielfältiger Beruf. Ich glaube, das ist den meisten Leuten gar nicht bewusst, was alles dahintersteckt. Man hat so sein Bild im Kopf, Pflege im Krankenhaus, momentan noch in der Intensivpflege. Das sind die Bilder, die momentan sehr stark über die Medien transportiert werden, auch in den Altenpflegeheimen, wo ältere Menschen versorgt werden. Aber es gibt natürlich auch Kinder, Jugendliche, die betreut werden müssen. Das ist der eine Bereich. Aber es gibt vielfältige Arbeitsbereiche: Ob das im Gesundheitsamt ist, Prävention, gesundheitsfördernde Aspekte, die notwendig sind. In anderen Ländern sind Pflegende in Schulen, sogenannte Schoolnurses, tätig, um die Gesundheitskompetenz zu stärken. Das sind alles wichtige Bereiche, die vielen Personen einfach gar nicht bewusst sind, wo Pflege überall notwendig ist.

C. J.: Sie hatten ja vorher schon erwähnt, dass man mit dem Abschluss des Studiums sowohl den Abschluss Bachelor of Science als akademischen Grad erhält, aber gleichzeitig auch die staatliche Berufszulassung als Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann. Das wiederum vereint die Bereiche Kinderkrankenpflege, Altenpflege, Gesundheitspflege, was davor die einzelnen Ausbildungsberufe waren.

C. M.: Genau bis vor kurzem, also bis 2000, gab es die. Und da muss man sagen, wir sind das einzige Land weltweit, die sich drei Grundqualifikationen geleistet hat. In jedem anderen Land ist das eine einheitliche Qualifikation. Wir nennen das eine generalistische Ausbildung, wo Menschen aller Altersgruppen versorgt werden oder wo man lernt, Menschen aus allen Altersgruppen und in allen Settings zu versorgen. Also erst die Grundqualifikation und anschließend eine Spezifizierung und Fokussierung stattfindet. Das ist eines der großen Neuerungen seit 2020.

A. B.: Das haben wir auch recherchieren müssen, weil wir uns in der Vorbereitung natürlich gefragt haben, wie man das von den einzelnen Berufen oder Berufsbildern abgrenzen kann, die es vorher gab.

C. M.: Ich möchte an dieser Stelle erwähnen: Pflege ist ein Beruf, der sich auch ständig weiterentwickelt. Sie würden nicht erwarten, dass der Mediziner, der vor 50 Jahren sich entwickelt hat, dass der genau das Gleiche macht. So ist es auch in der Pflege. Auch wir, unsere Kompetenzen, müssen sich ständig weiterentwickeln, sind ständig mit komplexeren Situationen konfrontiert. Die Patienten unterlaufen sehr komplexe Behandlungen, die sehr differenziert sind. Da muss sich auch die Pflege darauf einstellen. Auch auf die Personen, die anschließend mit diesen chronischen Erkrankungen leben, ob das neue Herzklappen sind, ob das andere Verfahren sind im Bereich der Transplantation, sodass da eine Unterstützung im Alltag natürlich notwendig ist. Das ist eine zentrale pflegerische Aufgabe, diese Person in ihrem Alltag zu unterstützen.

A. B.: Sie haben schon einige Male angesprochen, dass es ein Berufsfeld ist, das ständig in der Veränderung ist. Wir haben uns gefragt, wie sind Sie in die Pflege kommen? Können Sie das einmal umreißen als Beispiel?

C. M.: Ja, sehr gerne. Also als Beispiel, ich habe Abitur gemacht vor vielen, vielen Jahren. Und mein Wunsch war seinerzeit, mit Menschen zu arbeiten, in einem sozialen Umfeld zu arbeiten. Aber ich wollte nicht Ärztin werden. Mir war relativ klar, dass ich da nicht nah genug am Menschen bin. Und als ich damals die Ausbildung zur Krankenschwester, wie es damals noch hieß, begonnen habe, haben insbesondere meine Eltern gesagt: „Was, du hast doch Abitur, du musst doch dann Medizin studieren!“ und ich sagte „Nein!“ Ich wollte das nicht. Es wurde nicht gesagt, wenn man Abi hat, dass man dann in die Pflege geht. Ich hatte das Glück, an einer Schule zu lernen, die eine Modellschule war, die nur Abiturienten genommen hat, und habe so meinen Weg letztendlich über die Ausbildung gemacht, habe anschließend zu einer Zeit, wo Teilzeitarbeit nicht möglich war und ich Kinder hatte, angefangen zu studieren. Damals gab es noch keine Pflegestudiengänge, sodass ich den normalen akademischen Weg der Uni gegangen bin, nach meiner Ausbildung und Berufserfahrung noch mal 5 Jahre studiert habe, um einen Masterstudiengang abzuschließen und bin über viele verschiedene Umwege, weil ich eigentlich immer die Pflege weiterentwickeln wollte, zu einer Lehrstuhlinhaberin einer neuen Abteilung geworden. Wenn mir jemand das vor 20 Jahren gesagt hätte, hätte ich gesagt, du spinnst! Ja, das gibt es hier in Deutschland? Ich hatte aber immer das Ausland vor Augen, wo schon seit vielen Jahren die Pflege ein akademischer Beruf ist, wo es ganz selbstverständlich ist, dass man diesen Beruf an einer Hochschule lernt, studiert, sowohl die Theorie und wie auch die Praxis absolviert. Sodass es für mich immer klar war: Es muss sich auch hier in Deutschland irgendwann mal weiterentwickeln. Deshalb bin ich sehr froh, dass es in Tübingen seit 2018 den Studiengang Pflege gibt, um damit ein Zeichen zu setzen, dass die Gesundheitsversorgung sich weiterentwickelt.

Studieninhalte (12:11)

A. B.: Dann lassen Sie uns doch tiefer einsteigen, wie die Ausbildung an der Uni heute aussieht. Wir haben vorab Studierende gefragt, wie ihre typische Studienwoche so aussieht. Hören wir da mal rein!

Studi 1: Eine typische Studienwoche bei mir ist relativ voll. Viel Selbststudium, auch viele Vorlesungen. Dann haben wir einmal in der Woche eine Gruppenanleitung, wo wir die Tätigkeiten, die wir später in der Pflege ausüben wollen, erlernen. Entweder an uns selber oder auch an Puppen. Da werden ganz praktische Dinge gelernt, wie beispielsweise die Körperpflege und Blutabnehmen zum Beispiel. Und einmal in der Woche einen Tag, an dem wir arbeiten sind.

Studi 2: Momentan sieht eine typische Studienwoche so aus, dass man drei Tage die Woche Vorlesungen hat und einen Tag Praxis. Dann hat man noch praktische Seminare, wo man die Theorie anwenden kann.

C. J.: Ja, es ist eine abwechslungsreiche Ausbildung bzw. Studium mit Vorlesungen und praktischen Anteilen. Aber kurz zusammengefasst, welches sind die Kerninhalte, die im Studium erlernt werden?

C. M.: Kerninhalte, da muss man tatsächlich Theorie und Praxis trennen. Praktisch, das haben die Studierenden schon gesagt, geht es viel darum, in der Praxis Fähigkeiten einzuüben, die einzelnen Schritte zu lernen. In der Theorie, so einen umfassenden Studiengang wie Pflege findet man selten, weil Sie sowohl medizinische Grundlagen, pädagogische Grundlagen, psychologische Grundlagen, aber auch pflegewissenschaftliche Grundlagen benötigen, um die Personen umfassend zu betreuen. Aus allen Bereichen bekommen sie theoretischen Input. Im ersten Teil vom Studium geht es um den gesunden Menschen. Denn erst wenn wir uns mit dem gesunden Menschen auseinandersetzen, wissen wir und können abschätzen, was es bedeutet, wenn man Einschränkungen hat oder beeinträchtigt ist an unterschiedlichen Stellen. Und dann im zweiten, dritten Semester sind ein großer Schwerpunkt die medizinischen Themen, die medizinischen Diagnosen und Therapien, gepaart mit dem, was man aus pflegerischer Perspektive macht. Und wenn medizinische Grundlagen vorhanden sind, geht es wesentlich stärker in eine pflegewissenschaftliche Orientierung, Auseinandersetzung mit den sogenannten Interventionen, mit den pflegerischen Maßnahmen, die man bei bestimmten Phänomenen anwenden kann.

C. J.: Wie ist ungefähr das Verhältnis von praktischen und theoretischen Anteilen im Studium?

C. M.: Vielleicht ein bisschen ungewöhnlich für ein Studium, da ein sehr hoher Praxisanteil vorhanden ist. Wir müssen natürlich all das absolvieren, was man in der Ausbildung macht, aber wir haben den theoretischen Teil erhöht, um auch dem Studium gerecht zu werden. Das Verhältnis von Theorie und Praxis entspricht etwa zwei zu eins, also zwei Teile Theorie zu einem Teil Praxis.

C. J.: Sie haben erwähnt, dass man im Bereich der Medizin inhaltlich mit dem wissenschaftlichen Teil zu tun hat. Wie eng sind die Berührungspunkte zum Medizinstudium? Sitzt man teilweise in gleichen Veranstaltungen?

C. M.: Leider noch nicht so viel, wie wir es gerne hätten. Die Berührungspunkte sind so, dass wir auf dem gleichen Campus sind. Wir sind an der medizinischen Fakultät und so sind enge Verbindungen zwischen den Studierenden da. Gerade hat sich die Fachschaft gegründet, sodass auch zwischen den unterschiedlichen Fachschaften eine enge Verbindung besteht. Wir fangen an mit einzelnen Vorlesungen, wo an der einen oder anderen Stelle Pflegende und Medizinstudierende gemeinsam lernen und lernen gemeinsam zu arbeiten. Das Thema interprofessionelles Arbeiten ist tatsächlich ein neuer Aspekt im Bereich der Gesundheitsversorgung, dass man zunehmend darauf Wert legt. Nicht erst, wenn man fertig und in einer beruflichen Tätigkeit ist, sondern sich schon zu einem frühen Zeitpunkt während der Ausbildung besser kennenlernt, weil wir häufig viel zu wenig von den anderen Gesundheitsberufen wissen.

A. B.: Und wenn ich mir vorstelle, jemand möchte eigentlich gern Medizin studieren, anders als es bei Ihnen war, möchte eigentlich in diesen Beruf und überlegt sich: „Dann mache ich erst mal eine Pflegestudium und bin damit inhaltlich schon relativ nah dran.“ Was würden Sie diesen Leuten raten?

C. M.: Die Frage ist, wieso sie dann ein Pflegestudium machen wollen. Was nicht geht ist, vom Pflegestudium ins Medizinstudium zu wechseln und sich dann gewisse Sachen anrechnen zu lassen. Das ist eine Überlegung für manche. Das funktioniert nicht, nur Pflege zu studieren, weil man nicht ins Medizinstudium reinkommt.

A. B.: Der Hinweis, Anrechnen lassen ist nicht möglich, ist ein wichtiger Hinweis!

C. M.: Unbedingt. Ich glaube, man muss einfach sehen, die Pflege wird zunehmend zu einem akademischen Beruf. Auch im Anschluss an ein Pflegestudium kann man noch Masterstudiengänge machen, sich akademisch weiterentwickeln, promovieren, sogar einen Lehrstuhl einnehmen. Wer weiß, was in den nächsten 20 Jahren noch möglich ist. Ich sehe um mich rum, dass an vielen Universitäten Abteilungen für Pflegewissenschaft entstehen. Es ist ein Bereich, der sich stark weiterentwickelt, sodass es da auch gute Möglichkeiten gibt weiter voranzukommen.

C. J.: Wenn wir auf den Tübinger Studiengang schauen, ist auch eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Studiengängen, dass man an zwei verschiedenen Standorten studiert, in Tübingen und in Esslingen. Warum ist das so?

C. M.: Tübingen und Esslingen haben sich zusammengeschlossen, um das Beste aus zwei Welten herzuholen. In Esslingen gibt es schon seit 20 Jahren Pflegestudiengänge, die sich allerdings eher auf weiterqualifizierende Studiengänge wie Pflegemanagement, Pflegepädagogik konzentriert haben. Erst jetzt mit der Möglichkeit, grundständig in der Pflege zu qualifizieren, war für Esslingen klar, dass sie brauchen eine medizinische Fakultät mit im Boot brauchen. Da haben wir das Beste aus beiden Welten dabei!

C. J.: Und vermutlich ist das auch im Studienalltag so organisiert, dass es machbar ist, da hin und her zu pendeln? Man ist einen Tag hier und einen Tag woanders?

C. M.: Auf jeden Fall ist es machbar. Die ersten Semester sind vorwiegend in Tübingen. Das heißt, dass mal ein Tag in Esslingen ist. Zum Ende des Studiums ist man mehr in Esslingen und hat einzelne Tage in Tübingen.

A. B.: Dann darf ich da noch mal nachfragen? Das heißt, jetzt sind die Studierenden schon an beiden Studienstandorten. Wenn man noch einen Master machen möchte, dann kann man das in Esslingen fortführen? In Tübingen haben wir ja aktuell nicht die Möglichkeit, noch einen Masterstudiengang in der Pflege draufzusetzen. Esslingen bietet das aber an, so wie ich das gehört habe?

C. M.: Genau, Esslingen bietet es an, auch in Kooperation mit uns. Der Studiengang ist zwar in Esslingen verortet, aber ich bin zum Teil in Esslingen als sogenannte Brückenprofessorin tätig. Wir arbeiten da eng zusammen. Nicht nur im Bachelor, auch zukünftig im Master.

A. B.: Das ist wieder ein ganz neuer Begriff, „Brückenprofessorin“ habe ich noch nicht gehört.

Persönliche Voraussetzungen (21:37)

C. J.: Da tut sich viel auf dem Gebiet der Lehre in der Pflege, definitiv! Ich würde sagen, wir hören mal rein, was die Tübinger Studierenden denn an ihrem Pflegestudium begeistert.

Studi 1: Mich begeistert am Studium Pflege der Umgang untereinander mit meinen Kommilitonen. Wir sind uns alle sehr nah. Aber auch, dass wir sehr tief in alles reinschauen können. Wir bekommen viel Medizinisches immer erklärt und das ist total spannend und vielfältig. Und natürlich der Umgang mit den Menschen und mit den Patienten.

Studi 2: Was mich persönlich so begeistert ist, dass es so praxisnah ist. Und ich glaube, das macht den Studiengang auch so besonders.

A. B.: Ja, wir hören das Thema Praxisnähe, man kennt sich untereinander, wurde hervorgehoben. Was sind aus Ihrer Sicht Voraussetzungen, die man als Studienanfänger/-anfängerin mitbringen sollte?

C. M.: Als Studienanfänger, klar Abi, als Person die Lust und die Freude, sich auf andere Situationen einzulassen, mit Menschen umzugehen. Wichtig ist, Dinge hinterfragen zu wollen, Dinge nicht immer so anzusehen: „So ist es heute so wird es immer sein.“ Sondern zu fragen, muss das immer so sein? Bestes Beispiel, was unser Pflegedirektor schon bei der ersten Begrüßung erzählt hat: Warum müssen eigentlich die Blumen abends immer raus gestellt werden? Er hatte noch in Erinnerung, dass er während seiner Ausbildung er immer abends die Blumen aus dem Zimmer rausstellen musste auf den Flur. Gibt es da eine Begründung? Machen wir Dinge, bloß weil man sie immer schon so gemacht hat? Ein gesundes, kritisches Hinterfragen an bestimmten Stellen ist etwas, was wirklich wichtig ist. Man muss auch ein bisschen… Frustrationstoleranz klingt da sehr negativ, aber man muss, schon manchmal…

C. J.: …wahrscheinlich auch ein robuster Mensch sein oder so eine Persönlichkeit? Pflege ist ja auch ein sehr fordernder Beruf.

C. M.: Ja, es ist ein sehr fordernder Beruf. Aber ich glaube auch, man kann das zu einem gewissen Grad lernen, wie man mit solchen Situationen umgeht. Da bieten wir unseren Studierenden die entsprechenden Lehrveranstaltung an, sowohl um das aus einer theoretischen Perspektive zu beleuchten, als auch um praktisch mit solchen Situationen umzugehen. Zum Beispiel im Rollenspiel – wir haben auch inzwischen ein Supervisionsangebot für unsere Studierenden, gerade weil sie immer wieder mit krisenhaften Situationen konfrontiert werden, da aber aufgefangen werden können. Es gibt nichts Schlimmeres als plötzlich alleine dazustehen, ohne zu wissen, was man machen soll.

C. J.: Würden Sie sagen, dass einer der Vorteile des Studiums im Vergleich zur Ausbildung ist, dass man noch mehr kritisch reflektiert, was ansonsten „nur“ erlernt wird für die Praxis?

C. M.: Unbedingt! Selbst das, was in Lehrbüchern steht! Einfach auch mal gucken, was in unterschiedlichen Lehrbüchern steht. Manchmal stehen da andere Dinge. Also Dinge, die man sieht, Abläufe, die man sieht, kritisch hinterfragen. Auf die Praxis bezogen: Wenn ich Kolleginnen und Kollegen sehe, wie sie bestimmte – ich spreche mal nur Hygiene an, weil das momentan ein Thema ist – hygienische Handlungen durchführen; diese noch mal zu hinterfragen: Ist das jetzt korrekt, so wie sie das macht? Oder warum macht die das anders? Welche Prinzipien stehen da dahinter? Um auch zu sagen: „Nein, so ist es richtig und ich mach's so wie es korrekt ist.“ Und spreche vielleicht auch die Kollegin drauf an oder frag sie: „Wieso machst du das so?“ Durchaus da mit einem kritischen Auge drauf schauen. Da höre ich auch aus der Praxis von unseren Kooperationspartnern, dass unsere Studierende anders fragen, Dinge hinterfragen, kritisch und neugierig sind auf viele Dinge, die erstaunen.

C. J.: Und ansonsten erstmal als gesetzt wahrgenommen werden würden?

A. B.: Man ist nah dran an der Forschung und an den Veränderungsprozessen. Dann frage ich mich, wenn man sagt, „okay, so ein Pflegestudium hört sich nach genau dem Richtigen an für mich“, wie gut stehen die Chancen auf den Studienplatz? Wie gut kommt man in den Studiengang rein?

C. M.: Wir haben hier in Tübingen-Esslingen 60 Studienplätze. Wir sind ein Studiengang, der im Aufbau ist. Daher kommt man momentan noch gut rein. Aber ich muss sagen, ich bin schon relativ gespannt, wie es nächstes Jahr wird. Wir sehen, es ist inzwischen durchaus attraktiv, Pflege zu studieren. Insbesondere natürlich, wenn man Abitur hat. Man hat anschließend andere Weiterqualifikationsmöglichkeiten, als wenn man eine Ausbildung macht.

Berufsperspektiven (27:38)

C. J.: Dann würde ich sagen, wir hören mal rein, wo sich Tübinger Studierende später beruflich sehen und sprechen dann darüber, welche Möglichkeiten einem offenstehen.

Studi 1: Ich möchte nach meinem Studium eventuell noch einen Masterstudiengang machen und ansonsten werde ich definitiv in der Pflege arbeiten. Mein Fokus liegt bei dem Studiengang auf der Ausbildung, die ich danach habe, meine abgeschlossene Ausbildung zur Pflegefachfrau.

Studi 2: Ich möchte tatsächlich nach meinem Studium gerne in der Pflege bleiben. Ich würde gerne noch eine Fachweiterbildung machen. Mich reizt das Thema Intensivpflege sehr, was ja aktuell auch ein sehr großes Thema ist. Aber ich muss sagen, dass das Studium natürlich auch viele andere Möglichkeiten bietet.

C. J.: Sie hatten es vorher schon erwähnt, das Studium und die Ausbildung sind eine generalistische Ausbildung. Eine Grundausbildung, mit der ich bewegt bin, bereits im Beruf Fuß zu fassen, zu arbeiten und mich aber auch fachlich weiterbilden kann. In welchen Spezialisierungen kann man sich weiterbilden? Vielleicht ein paar Ausblicke.

C. M.: Es gibt jetzt zunehmend Masterstudiengänge, die für die berufliche Praxis qualifizieren. Ob das im Bereich der Versorgung chronisch kranker Patienten ist, onkologische Patienten oder auch im Bereich Anästhesie und Intensivpflege. Momentan sind das noch vorwiegend Fachweiterbildungen, aber es wird zunehmend Masterstudiengänge in diesem Bereich geben. Die bauen sich auf, auch in der Primärversorgung, das nennt sich neudeutsch Community Health Nursing, um quasi erweiterte Rollen zu haben, um mit einem Hausarzt zusammen Patienten gemeinsam zu versorgen in der Häuslichkeit. Das ist der eine Bereich, wenn man klinisch-praktisch weiterdenkt, um in der Versorgung zu bleiben. Aber natürlich brauchen wir langfristig auch Personen, die sich in anderen Bereichen qualifizieren. Ob das Lehrende für die Studiengänge sind, Personen, die dort unterstützen oder Personen, die in der Praxis unsere Studierende begleiten, sogenannte Praxisanleiter. Das sind Pflegende mit einer zusätzlichen pflegepädagogischen Qualifikation, die diese praktischen Skills systematisch vermitteln können. Also Möglichkeiten ohne Ende!

C. J.: Wenn ich nach dem Studium erst in der klassischen klinischen Versorgung der Pflege arbeiten möchte, hat man da irgendwie Vor- oder Nachteile im Vergleich zu einer Person, die nur die Ausbildung gemacht hat, ohne Studium?

C. M.: Ich persönlich würde sagen, nur Vorteile. Meine Erfahrung ist, dass eine Person mit einem Studium sich deutlich schneller weiterentwickeln kann, entweder dass sie ihren Fachbereich weiterentwickeln, aber auch zunehmend eigenständige Aufgaben übertragen werden, wo ihre wissenschaftliche Qualifikation eine gute Grundlage ist, um Konzepte mit zu erarbeiten, um an der Entwicklung von neuen Konzepten, Verfahren beteiligt zu werden. Weiterentwicklung von Innovationen in der Gesundheitsversorgung, da werden diese Kompetenzen natürlich gebraucht. Wenn man ein bisschen out of the box denken kann, ein bisschen breiter. Neulich hat eine Studentin zu mir gesagt „Menschenskinder, das ist so klasse, wir kriegen hier so viel übers gesamte Gesundheitssystem vermittelt!“ Krankenpflege findet ja nicht nur im Krankenhaus statt, sondern im gesamten Gesundheitssystem. Da einen Überblick zu bekommen, was es überall für gesetzliche Grundlagen gibt, das ist schon sehr vielfältig.

A. B.: Jetzt muss man ja sagen, während einer dualen Berufsausbildung bekommt man eine Ausbildungsvergütung. Die Lage im Studium ist anders. Wie sieht es denn da aus?

C. M.: Also während des Studiums studiert man, da gibt es keine Ausbildungsvergütung. Es kann sein, dass einem die Kooperationseinrichtungen für die Praktika eine Aufwandsentschädigung bezahlen können. Aber das ist nicht gesetzt, dass es da etwas gibt. Wir haben momentan die glückliche Lage, dass es funktioniert. Aber das ist nichts, was gesetzlich vorgeschrieben ist wie bei den Hebammen. Bei den Hebammen ist es ins neue Hebammenreformgesetz mit aufgenommen worden, in der Pflege ist das nicht passiert. Ja, da hoffen wir darauf, dass sich das langfristig ändert. Die Politik weiß darum. Und wir haben jetzt eine neue Regierung. Mal gucken, ob sich da was tut.

A. B.: Inhaltlich haben wir die Vorteile im Studium herausgestellt. Es ist natürlich gut zu wissen, wie die finanziellen Bedingungen sind. Wie sieht das nach dem Studium aus? Stehen einem da bestimmte Türen offen mit einem Studium, die man in der Ausbildung nicht so leicht erreicht?

C. M.: Das ist auch ein sich entwickelnder Bereich. Natürlich stehen einem andere Wege offen. Wenn man in die Stellenanzeigen guckt, werden zunehmend Leute mit einem Studienabschluss gesucht. Insbesondere deshalb, wir wissen das aus Studien, weil da, wo Personen mit einem akademischen Abschluss in der Pflege eingestellt sind, die Qualität der Versorgung eine bessere ist. Dazu gibt es internationale Studien, die das festgestellt haben, sodass insbesondere die großen Kliniken, aber auch kleinere Kliniken, schauen, dass sie akademisch qualifiziertes Personal haben, das sie natürlich auch für konzeptionelle Arbeit, für Qualitätssicherung der Arbeit beauftragen können.

A. B.: Für die es dann auch mehr Geld gibt?

C. M.: Für die es dann auch mehr Geld gibt! Da entwickelt sich momentan tatsächlich tarifrechtlich einiges weiter. Ja, da tut sich was. Da muss sich was tun und da wird sich auch was tun. Das ist ganz klar!

C. J.: Klingt für mich auf jeden Fall so, als würde es sich definitiv lohnen, dieses Studium auch einer Ausbildung vorzuziehen, wenn man Lust hat auf Studieren. Wenn man sagt, ich bin der Praktiker, die Praktikerin, ich muss nicht sechs Semester lang Vorlesungen besuchen und sehr viel theoretisches Wissen lernen, das muss man in der Berufsschule mit Sicherheit auch! Aber ansonsten überwiegen, so klingt es für mich, die Vorteile, das Potenzial, das man danach im Beruf haben wird.

A. B.: Also wer Lust hat, an Veränderungsprozessen teilzuhaben, so klingt es ganz stark, ist im Studium gut aufgehoben.

C. M.: Unbedingt! Auch wieder ein Zitat einer Studentin von mir, die hat mal zu mir gesagt „Frau Mahler, also meine Cousine, die macht die ganz normale Ausbildung und ich verstehe das nicht. Wir haben immer total viel Lust in die Praxis zu gehen und wenn sie in die Praxis geht, da hat die gar keine Lust drauf.“ Das ist ein bisschen paradox, weil man immer sagt, die Leute aus dem Studium, die sind so verkopft, die wollen eigentlich gar nicht in die Praxis, die wissen gar nicht, wie das geht. Das Gegenteil ist der Fall! Die brennen darauf, ihre Kenntnisse und Fertigkeiten anzuwenden, weil sie eben Lernende sind und keine Arbeitenden. Ich glaube, das ist der große Unterschied zwischen Studium und Ausbildung. Das eine sind Lernende, die sich auch als lernende Studierende verstehen, klar während des Praktikums arbeiten sie. Aber diejenigen, die eine Ausbildung machen, die sind in einem Ausbildungsverhältnis mit einem Arbeitgeber. Und das ist das, wo ich immer denke, wir haben über das Studium deutlich mehr Freiheiten, das Studium zu gestalten.

C. J.: Und eine andere Haltung.

A. B.: Die Freiheiten im Studium, das glaube ich, ist eine sehr andere Bedingung als die vertragliche Bindung an einen bestimmten Arbeitgeber, eine Arbeitgeberin, die doch ein ganz anderes Setting mitgeben in diesem Lernprozess.

Insider-Tipps (37:35)

A. B: Ja, wir haben jetzt eine neue Kategorie zum Abschluss eingeführt. Frau Mahler, nämlich bitten wir unsere Gäste, ob sie Tipps haben zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Fach. Das können Stichworte zur Recherche sein, es kann ein Literaturtipp sein. Haben Sie da noch die eine oder andere Idee?

C. M.: Da geben Sie mir jetzt eine harte Nuss zu knacken. Ins Ausland zu schauen, kann ich einfach jedem empfehlen! Das englischsprachige Ausland auf jeden Fall, aber auch im europäischen Ausland. Ob das in Dänemark, in Schweden ist, in fast jedem Land ist es eigentlich normal, Pflege zu studieren und nicht eine Ausbildung zu machen. Über einen Berufsverband der Pflegeberufe gibt es auch viele Informationen, die die Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Bereich aufzeigen oder auch die Vielfältigkeit des Pflegeberufs.

A. B.: Haben Sie sonst noch was, was Sie den Hörerinnen und Hörer mit auf den Weg geben möchten?

C. M.: Einfach ein Ausspruch: Pflege ist ein krisensicherer Beruf!

A. B.: Gut, dann nehmen wir das doch so als Schlusswort. Vielen Dank, dass Sie heute unser Gast waren! An die Hörerinnen und Hörer da draußen: Wenn Ihr Anregungen oder auch Fragen habt, schreibt uns gerne unter hochschulreif@uni-tuebingen.de und ansonsten findet Ihr weitere Links und Infos in den Shownotes.

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Cornelia Mahler über die folgenden Themen: 
01:06 Persönliche Motivation
12:11 Studieninhalte
21:37 Persönliche Voraussetzungen
27:38 Berufsperspektiven
37:35 Insider-Tipps

Insider-Tipps zum Studienfach Pflege:

Zum Berufsverband für Pflegeberufe geht es hier: https://www.dbfk.de

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #05: Soziologie

Womit beschäftigt man sich im Soziologiestudium? Welche Kompetenzen sind wichtig im Studium? Und in welchen Bereichen arbeiten Soziologinnen und Soziologen? Für unsere Folge zum Studienfach Soziologie haben wir Professor Dr. Jörg Strübing eingeladen. Er erklärt, was genau Soziologinnen und Soziologen untersuchen, wie soziologische Erkenntnisse gewonnen werden und für welche Zwecke sie praktisch nützlich sind. Wie immer berichten auch Studierende über ihre Erfahrungen rund ums Studium.

Listen
Alexandra Becker (A. B.): Herzlich Willkommen bei „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch auch heute wieder ein Studienfach vor und informieren, was Euch im Studium so erwartet. Wir, das sind mein Kollege Christoph Jäckle und ich, Alexandra Becker. Hallo Christoph!

Christoph Jäckle (C. J.): Hallo Alexandra!

A. B.: Wir sind vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen und haben auch diesmal wieder einen Gast für euch im Studio. Heute wird sich alles um das Fach Soziologie drehen. Dazu haben wir uns Professor Jörg Strübing eingeladen. Jörg Strübing lehrt am Institut für Soziologie und ist dort auch Studienfachberater. Er kennt sich also bestens mit allem rund um das Fach Soziologie aus. Hallo Herr Strübing!

Prof. Dr. Jörg Strübing (J. S.): Hallo!

A. B.: Hallo, schönen guten Morgen! Herr Strübing, wir lassen an dieser Stelle immer zuallererst die Studierenden des Faches zu Wort kommen. Und die haben wir gefragt, warum sie sich für das Fach Soziologie entschieden haben.

Persönliche Motivation (1:00)

Studi 1: Für ein Studium der Soziologie habe ich mich entschieden, weil ich mich für Menschen interessiere, und zwar vor allem für gesellschaftliche Strukturen und Veränderungsprozesse. Besonders spannend finde ich, dass die Soziologie Teil der gesellschaftlichen Verhältnisse ist, die sie erforscht.

Studi 2: Ich habe nach dem Abi im Zivildienst den Eindruck gewonnen, dass es in einer Gesellschaft bestimmte Strukturen gibt, die auf die Handlungsspielräume der Individuen wirken. Und es kam mir so vor, als wäre die Soziologie eine gute Art und Weise, diese Strukturen zu untersuchen, weil sie immer das Individuum in ihrem Kontext sieht.

Studi 3: Ich habe damals vor dem Abitur schon sehr gern Editorials, Meinungen über Politik und Gesellschaft in den Medien gelesen und hatte nur eine ganz grobe Idee, dass ich so etwas gern lernen möchte. Aber welches Studienfach mir solche Inhalte beibringen würde, wusste ich überhaupt nicht. Und erst nach ein paar Semestern war ich mir sicher, dass ich das richtige Fach gewählt habe.

C. J.: Ja, Herr Strübing, die persönlichen Gründe, die wir hier gerade von den Tübinger Studierenden gehört haben, waren ja sehr unterschiedlich. Wie war denn Ihr erster spontaner Eindruck? Werden sich diese Erwartungshaltungen im Studium so bewähren?

J. S.: Ja, es ist interessant, wenn wir Menschen hören, die am Anfang dieses Weges in die Soziologie stehen. Dann kommen die oft mit dieser Idee: Da sind so Strukturen. Und dann sind da die Individuen und die Strukturen, die prägen die Individuen. Das ist schon mal ein schöner Startpunkt. Aber vor allen Dingen, weil wir dann in der Lage sind, sie auch nachhaltig zu irritieren in diesem Studium, weil das die Voraussetzung für Erkenntnis ist. Und sie werden dann im Studium vielleicht lernen, dass die Strukturen nicht irgendwelche Dinger sind, die da oben wie Gerüste über uns schweben und uns dann in einer bestimmten Weise formen, sondern dass Strukturen vielleicht doch etwas sind, was wir permanent in Interaktion miteinander tun. Und dann wird die Sache auch für uns soziologisch besonders spannend.

C. J.: Das ist quasi schon die allererste kurze Definition, was diese Strukturen eigentlich sind? Ein ständiger Interaktionsprozess zwischen Menschen?

J. S.: Zumindest ist das eine Sichtweise, die in der Soziologie vertreten wird. Die Soziologie ist, das muss man vielleicht immer gleich vorwegsagen, nicht so einfach wie manche Naturwissenschaft, wo es eine große Theorie gibt. Die wird gelehrt und dann weiß man das und alle wissen das Gleiche. Sondern die Soziologie hat eine Reihe unterschiedlicher Theorieperspektiven, die manchmal gegeneinander stehen, manchmal nebeneinander stehen, aber wenn alles gut läuft in einem fruchtbaren Austausch miteinander kommen. Und das macht das Fach spannend. Wir haben nicht die eine Meinung, das eine Wissen über Gesellschaft oder über Soziales, sondern wir haben unterschiedliche Blickwinkel, die jeweils theoretisch ausgeprägt sind und können von diesen unterschiedlichen Blickwinkeln Unterschiedliches sehen. Das macht das Fach, finde ich, sehr attraktiv.

C. J.: Zu den verschiedenen Blickwinkeln und Theorien kommen wir bestimmt noch. Aber noch mal zurück zur Studienwahl und die Motivationsgründe. Wenn wir jetzt schon gemerkt haben, vielleicht waren nicht alle Erwartungshaltungen, die genannt werden, schon perfekt zutreffend. Welche Fragen sollte man sich denn, wenn man jetzt gerade sein Abitur gemacht hat oder demnächst macht, stellen, um für sich selbst herauszufinden, ob Soziologie vielleicht das Richtige für einen ist?

J. S.: Das erste was man sich fragen muss ist, bin ich auf diesen Gegenstand, auf Soziales, die Gesellschaft, eigentlich hinreichend neugierig? Will ich das wissen? Wenn ich keine Neugierde für mein Fach habe, dann brauche ich gar nicht anfangen zu studieren. Wenn ich mich nicht für Menschen und für Interaktion, für soziale Prozesse und Strukturen interessiere, nachhaltig, dann macht es auch keinen Sinn.

A. B.: Und war es das, was Sie selber auch bewegt hat, dass Sie sich für das Fach entschieden haben? Oder was war Ihre Motivation? Wie sind Sie dazu gekommen?

J. S.: Also bei mir war es ein bisschen untypisch. Es war in den späten 70er-Jahren, schon eine Weile her, und damals in der Oberstufe wollte ich Sozialarbeiter werden. Ich wollte die Welt verändern, das wollte man so, da war Klimawandel nicht das Thema, aber soziale Ungerechtigkeiten waren wichtige Themen. Da wollte ich den Menschen helfen. Diese Helfermotivation hat mich nicht in die Soziologie getrieben, sondern in die Sozialpädagogik. Das habe ich angefangen und auch zu Ende studiert, aber irgendwie wuchs so ein Unbehagen, weil man immer so ein bisschen von der Hand in den Mund gelebt hat. Es ging immer gleich um praktische Maßnahmen, bevor man eigentlich verstanden hat, wie eigentlich so eine Gesellschaft funktioniert. Wie geht das eigentlich, dass man arm wird? Wie lebt es sich eigentlich, wenn man sogenannt „behindert“ ist? Oder all solche Fragen. Die wurden eigentlich gar nicht wirklich zu Ende bearbeitet. Es gab kaum theoretischen Hintergrund, nichts, was irgendwie kohärent war. Deswegen habe ich nach dem Studium entschieden, dass ich nicht in den Beruf einsteige, sondern noch mal ein Soziologiestudium anhänge.

C. J.: Da würd ich sagen, wir hören uns doch gleich mal von den Tübinger Studierenden an, wie so eine Studienwoche momentan bei ihnen aussieht, was sie da alles erwartet.

Studieninhalte (5:57)

Studi 1: Es ist so, dass man die Veranstaltungen besucht, dass man die Vorlesungen und Seminare vor- und nachbereitet. Das bedeutet eben vor allem viel zu lesen.

Studi 2: Typischerweise liest man jede Woche vor einer Seminarstunde einen bestimmten Text, dann wird im Seminar darüber diskutiert. Am Ende des Semesters schreibt man eine Hausarbeit dazu.

Studi 3: Zunächst mache ich mir einen Plan, was ich zu machen habe in dieser spezifischen Woche. Dann bereite ich die verschiedenen Kurse und Vorlesungen vor, also Texte lesen. Und dann sind die Kurse, die Nachbereitung der Kurse und zwischendurch immer wieder mal Gespräche und Diskussionen mit KommilitonInnen.

Studi 4: Grundsätzlich ist es so, dass man in Soziologie viel lesen muss, auf Deutsch und auf Englisch. Ich habe mich dazu dann oft mit anderen Studierenden ausgetauscht. Wir haben uns getroffen, über die Texte diskutiert, gemeinsam gelernt auf Klausuren, uns gegenseitig unsere Hausarbeiten korrekturgelesen.

A. B.: Wir haben jetzt schon gehört, das viele Lesen und auch der Austausch scheinen ganz wichtig zu sein. Wenn wir uns das Studium genauer anschauen, was lernen denn Studierende tatsächlich im Studium? Wie sieht das inhaltlich aus?

J. S.: Vielleicht knüpfen wir kurz beim Lesen an. Das ist in der Tat so, dass die Soziologie ein Fach ist, was viel mit Text umgeht, aber nicht nur rezeptiv. Also nicht nur, wir lesen und streichen an oder so etwas, sondern wir schreiben auch und sprechen natürlich viel. Sprache spielt eine wichtige Rolle in diesem Fach. Und dann, wenn es in die Inhalte geht, lernen wir natürlich auf allen Dimensionen, was den Gegenstand und die Erschließung des Gegenstands ausmacht. Wenn wir über Gesellschaft reden, dann müssen wir in der Tat über das reden, was schon als Strukturen anklang, aber natürlich auch über das, was als Individuum benannt wird. Wie kommt es eigentlich zu Individuen? Sind die einfach immer schon da? Also haben wir den handelnden Akteur oder so etwas immer schon? Oder muss der erst hervorgebracht werden? Und die Gesellschaft, ist die immer schon da? Oder muss die vielleicht auch permanent reproduziert werden, damit sie bleibt, damit sie existiert? Und wie macht man das eigentlich? Das sind alles inhaltliche Fragen, die wir uns erschließen. Wie können wir diese verschiedenen Aspekte von Gesellschaftlichkeit, über die wir im Alltag sprechen, ein bisschen systematisch verfügbar machen? Dabei hilft uns Theorie. Also das heißt, wir müssen auch wissen, was die Alten gedacht haben.

A. B.: Das ist quasi die Frage danach, wie die Studierenden eigentlich lernen. Das heißt das, was hinter dem vielen Lesen steckt. Erst mal zu schauen, was es so an Ansichten, an Gedanken gab?

J. S.: Ja, das ist aber nur der eine Teil. Man muss natürlich lesen. Die Theorie, wie sie sich aufgeschichtet hat über Jahrzehnte in der Soziologie, damit man ein Verständnis hat dafür, wie welche Probleme wo auftauchten, welche wissenschaftlichen Probleme aufgetaucht sind und wie man sie gelöst hat. Aber es geht auch um gegenstandsbezogenes Lesen. Also wir lesen über soziale Ungleichheit oder wir lesen über die Soziologie des Körpers. Oder wir lesen über die Konstruktion von sozialem Geschlecht. Da haben wir dann empirische Texte, auch Texte, die also Aspekte von Wirklichkeit methodisch einfangen, bearbeiten und dann präsentieren.

A. B.: Das heißt, das sind auch Fragen, die eventuell später die Studierenden auch selber bearbeiten, empirisch oder auch theoretisch?

J. S.: Ja, wer Soziologie in die Richtung betreibt, dort zu forschen, wird sich in einem dieser Themen oder in mehreren dieser Themenfelder wiederfinden und sich für irgendwas auch entscheiden müssen. Und Soziologie ist ein sehr großes Fach. Ich bin im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und wir haben 35 Sektionen, die alle unterschiedliche Gegenstandsbereiche unseres Faches abdecken. Es ist schon sehr breit und da findet sozusagen jede und jeder irgendetwas, worin er sich vertiefen kann. Das passiert natürlich über die Bildungsbiographie im Fach, nicht gleich am Anfang. Man muss sich nicht gleich im ersten Semester entscheiden „Ich mache jetzt Soziologie des Körpers“ oder so, sondern man entwickelt langsam ein Interesse für alles und arbeitet sich dann ein in diesen Bereich.

A. B.: Ja, vielleicht können wir die mal grob umreißen. Was sind denn so die großen Felder, die es gibt in der Soziologie?

J. S.: Na ja, ein großes Feld ist auf jeden Fall mal die Sozialstrukturanalyse, also dass wir uns und vor allem der Gesellschaft immer wieder klar machen, wie unsere Gesellschaft in großen Aggregaten geschichtet, sortiert und organisiert ist. Dass wir wissen, welche Milieus wo zu verorten sind, wie sie sich typischerweise verhalten, wie ihr Konsumverhalten ist. All solche Dinge interessieren uns natürlich. Das macht die Sozialstrukturanalyse. Die ist sehr oft verbunden mit Kompetenzen, vor allem im Bereich der standardisierten quantifizierenden Methoden also, wo man viel rechnet, viel Statistik macht und große Datensätze bewegt. Dann haben wir aber auch die Soziologie der Interaktion, wo wir uns sehr mikroskopisch, sehr detailliert und genau darauf beziehen, wie Menschen miteinander handeln. Das heißt, wie das eine Handeln an das andere anschließt. Woher weiß man eigentlich, wann man wie anschließen kann oder sollte? All solche Dinge wollen erforscht sein und das ist ein sehr spannendes Gebiet. Erving Goffman ist ein großer Name in dem Zusammenhang oder Harold Garfinkel. Das sind die Extrempole, könnte man fast sagen, in der Größendimension einmal makrostrukturell auf die Gesellschaft zu blicken, Sozialstrukturanalyse. Oder mikrosoziologisch drauf zu schauen, wie einzelne Prozesse verlaufen, wie Praktiken des miteinander Handelns aussehen, auch zum Beispiel wie man mit Dingen handelt und ob eventuell Dinge mithandeln. Wenn wir über künstliche Intelligenz reden, über selbstfahrende Autos, auch das sind soziologische Fragen, unter anderem wie eigentlich das Interaktionsverhältnis oder Interaktivitätsverhältnis zwischen Menschen und Dingen aussieht und was das für einen Einfluss wiederum auf die Gesellschaft haben kann.

A. B.: Wie man in der Soziologie arbeitet, haben Sie schon angerissen. Haben Sie da Beispiele, was typische Methoden sind, die man im Studium lernt oder wie man an bestimmte Sachen herangeht?

J. S.: Ja, die Soziologie ist, wie einer unserer Altvorderen Max Weber formuliert hat, eine Wirklichkeitswissenschaft. Abgrenzend gegenüber Philosophie, Logik oder solchen Fächern, haben wir immer einen empirischen Bezug auf einen bestimmten empirischen Gegenstand, die Gesellschaft, das Soziale, die Menschen und ihr Handeln miteinander. Und das heißt notwendig, wir brauchen Methoden, mit denen wir uns diese Wirklichkeit zugänglich machen können. Das ist gar nicht so einfach. Wir haben es, wie Alfred Schütz gesagt hat, mit Konstruktionen zweiter Ordnung zu tun. Das Ding, das wir erforschen, das erforscht sich oder deutet sich auf eine gewisse Art immer schon selbst. Wir haben als Alltagsmenschen immer schon ein Bild von uns und von den anderen und handeln auch auf der Basis dieses Bildes, das wir haben. Und das macht natürlich den Zugang schwieriger. Denn so positivistisch Herangehen im Sinne von „die Fakten sind die Fakten, so wie ich sie jetzt eingesammelt habe“, das funktioniert nicht. Sondern wir müssen uns immer fragen, was bedeuten diese scheinbaren Fakten, diese Daten, die wir da gesammelt haben? Dafür gibt es unterschiedliche Verfahren. Ich habe vorhin schon angedeutet, quantitativ und qualitativ ist eine große Unterscheidung. Wir lernen in unterschiedlicher Weise verbale, d.h. sprachliche Daten, zu produzieren oder einzusammeln, wie immer man das dann betrachtet. Sie kennen das von standardisierten Fragebögen, die man manchmal bekommt, meistens online heutzutage. Auch aus Interviews, wo wir wirklich hingehen und mit Leuten sprechen, die Leute zum Sprechen bringen, Leute ganze Biografien von sich erzählen lassen zum Beispiel. Oder wir lauschen Gruppendiskussionen, die wir angezettelt haben und gucken, wie die Leute da miteinander umgehen, wie sie ihre Argumente aufbauen und so weiter. Das sind solche Verfahren. Das Beobachten ist sehr wichtig bis hin zur Ethnographie. Das heißt, wir gehen teilweise für längere Zeit in irgendwelche Milieus, Organisationen, Bereiche der Gesellschaft und versuchen uns dort aus der Binnenperspektive zu erschließen, wie das eigentlich funktioniert. Wie es eigentlich ist, dass ich obdachlos sei. Das kann sich eigentlich keiner von uns vorstellen. Wenn man nicht hingeht, mit den Leuten redet, mit ihnen mitgeht, nicht auch unter der Brücke schläft, ohne sich anzubiedern, nur um zu sehen, wie das funktioniert, dann lernt man Dinge, die man anders nicht lernen kann. Und das ist auch ein wichtiger Bereich unserer Methoden, die wir zu vermitteln versuchen.

C. J.: Welche verschiedenen Arten von Prüfungsleistungen gibt es denn am Schluss, die Studierende erbringen müssen?

J. S.: Nun, im Laufe des Studiums haben wir unterschiedliche Prüfungsleistungen. Das reicht von Multiple-Choice-Klausuren nach großen Vorlesungen, über Hausarbeiten, über Essays, also kürzere Texte zu bestimmten Themen, und manchmal auch Arbeit mit Daten in einzelnen Veranstaltungen. Da macht man auch mal ein Stück Datenauswertung, was ein Teil der Prüfungsleistungen sein kann. Bis dahin geht das.

A. B.: Das führt mich zu einer Frage, die sicherlich wichtig ist: Wie viel Mathe muss ich denn können? Ist das ein wichtiger Teil im Studium der Soziologie?

J. S.: Es gibt zwei Bereiche neben der Lust an Sprache und Schreiben, die wichtige Kompetenzen sind oder Bereitschaften, die man mitbringen sollte. Wir brauchen keine Matheasse, die sind vielleicht sogar fast fehl am Platz. Aber wir brauchen Menschen, die keine Angst vor Zahlen haben. Manche haben eine hohe Affinität dazu, die machen vielleicht später eher standardisierte Sozialforschung, und manche haben da mehr eine passive Kompetenz. Man muss natürlich jede Statistik lesen können und verstehen, was gemeint ist. Nicht jeder muss jedes statistische Verfahren können. Dafür ist es wichtig, auch andere Verfahren zu erlernen, wie das Auswerten von qualitativen Daten, d.h. von Beobachtungsprotokollen und Interviewabschriften und so etwas. Das ist eine eigene Wissenschaft für sich.

A. B.: Sie haben auch schon einige Schnittstellen genannt zur Soziologie, beispielsweise Soziale Arbeit. Ich dachte auch an Politikwissenschaft oder Erziehungswissenschaft, Philosophie. Wir haben schon einiges gehört. Wie kann man denn die Soziologie klar davon abgrenzen?

J. S.: Noch ein kleiner Schlenker zurück. Historisch gesehen haben diese Fächer sich auseinander entwickelt oder so eine Art Ursuppe von wissenschaftlicher Neugier entwickelt, die zunehmend auf Gesellschaftliches bezogen war. Wenn man das aus der heutigen Perspektive sortieren will, kann man so viel sagen: Die Soziologie ist aus meiner Sicht immer die Grundlagenwissenschaft für alles Gesellschaftliche. Wenn ich verstehen will, wie Gesellschaft aber auch ihre Teilbereiche funktionieren, dann brauche ich soziologisches Grundwissen. Das brauchen Erziehungswissenschaftlerinnen genauso wie Politikwissenschaftlerinnen. Auch Sportwissenschaftler brauchen das interessanterweise für bestimmte Aspekte ihres Faches. Überall, wo Gesellschaftlichkeit in einem wichtigen Maße eine Rolle spielt, ist das wichtig.

A. B.: Man kann vielleicht festhalten, dass die Grenze nicht immer ganz klar zu ziehen ist und dass es Schnittstellen zwischen den Fächern gibt. Das sind ja oft auch die interessanten Zusammenstöße.

J. S.: Das ist auch, wenn ich das noch einwerfen darf, später wichtig für die Perspektive der Berufswahl. Wenn wir sehen, dass die Fächer gar nicht so scharf gegeneinander abzugrenzen sind, dann heißt das, dass auch die Berufsbilder nicht vollkommen klar gegeneinander abgegrenzt sind. Soziologie qualifiziert für ein relativ breites Berufsfeld, aber nicht für ein spezifisches.

Persönliche Voraussetzungen (19:06)

A. B.: Wir haben Studierende unter anderem gefragt, was sie denn am Studium so begeistert in ihrem Fach.

Studi 1: Was mich besonders begeistert am Studium der Soziologie ist, dass es sehr vielfältig und sehr spannend ist. Und man hat sowohl die Möglichkeit sehr große Fragen zu stellen, aber auch sich auf ganz kleine Fragestellungen zu stürzen und darin Expertin zu werden.

Studi 2: Vor allem gefällt mir, dass man lernt mit unterschiedlichen Perspektiven und Methoden umzugehen. Es gibt keinen festgelegten Kanon, was gelesen und gelernt werden muss. Man wird dazu angeregt, kritisch zu denken und zu hinterfragen. Auch in Seminaren wird viel diskutiert. Man lernt Alltagswissen zu hinterfragen. Wissen, von dem man dachte, das sehen doch alle so, ist doch klar, wie das ist.

Studi 3: Was mich am meisten begeistert ist, dass man theoretisch unbegrenzte Themenbereiche zu entdecken hat. Und man kann sich immer ein neues Thema aussuchen, was einen begeistert.

C. J.: Wir haben es gerade in den Aussagen der Studierenden gehört und von Ihnen vorhin auch schon in die Richtung: Die Themenvielfalt ist enorm groß. Ich stelle mir dabei die Frage, ob das zwar eine Chance für viele Studierende und für viele Forscher:innen bietet, aber bietet es auch die Gefahr für Studierende, sich irgendwann im Studium verlieren zu können?

J. S.: Die Vielfalt der Themen darf man nicht so denken, dass man alles wissen muss, sondern es geht eigentlich darum, dass man exemplarisch an bestimmten Feldern der Soziologie die Arbeitsweise des Faches kennenlernt, methodisch und theoretisch. Dann muss man sich natürlich auf die Bereiche beschränken, die das jeweilige Institut bietet. Jedes Institut in Deutschland hat einen unterschiedlichen fachlichen Zuschnitt. Sie finden immer irgendwo etwas nicht, aber irgendwo anders dann schon, was sie hier vielleicht vermissen würden. Man hat hier eine überschaubare Zahl von Feldern, die einem aufgetan werden, das reicht für ein Studium vollständig. Man lernt daran alles, was man lernen können sollte. Und man kann immer noch entscheiden, wenn man im Master studiert, ob man noch andere Bereiche der Soziologie kennenlernen will, die woanders geboten werden, oder ob man Bereiche von hier vertiefen will. Es ist nicht die Gefahr, sich zu verlaufen, aber man muss verstehen, dass man die Gegenstandsbereiche, die man hier anpackt, erst mal in der Ausbildung im Studium exemplarisch lernt. Dass es nicht darum geht, darin gleich die Expertin zu sein, sondern daran zu lernen, wie es funktioniert. Dann hat man ein Rüstzeug, mit dem man sich auch andere Felder gut erschließen kann.

C. J.: Wir hatten es vorher schon von der Mathematik als eine Voraussetzung, die man mitbringen sollte. Gibt es noch weitere?

J. S.: Ja, Lesen, Schreiben habe ich schon erwähnt und das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es ist wirklich wichtig, dass man Sprachen mag, dass man liest, auch neben dem Studium. Wenn man viel liest, auch Belletristik, dann kriegt man ein anderes Sprachgefühl. Das gilt übrigens auch für den anderen Bereich, der noch sehr wichtig ist für dieses Studium, Englisch. Sie brauchen Englischkompetenz! Von der Schule bringen Sie etwas mit, mehr oder weniger, aber Sie sollten die Neugier und die Bereitschaft haben, diese Englischkompetenz auch im Praktischen auszubauen. Also: Reden und Schreiben und Lesen. Das heißt zum Beispiel, man liest auch mal einen Roman auf Englisch, nur um das Sprachgefühl zu kriegen, und sperrt sich nicht, wenn eine Hausarbeit in Englisch geschrieben werden soll und übt daran einfach. Niemand ist am Anfang perfekt, aber die Bereitschaft sich mit der Sprache auseinanderzusetzen, ist wichtig.

C. J.: Wenn man Soziologie beispielsweise als Hauptfach studiert, muss man sich auch ein Nebenfach aussuchen im Bachelorstudium. Welche Nebenfachkombinationen sind da sinnvoll oder werden häufig gewählt?

J. S.: Sehr häufig sind natürlich die Nachbarfächer Politikwissenschaft und Erziehungswissenschaft. Wir haben noch die Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen als eine Spezialität, die es nur ganz selten in Deutschland gibt. Auch das ist eine beliebte Kombination. Dann gibt es auch Menschen, die andere Kombis wählen, weil sie noch was anderes im Blick haben. Leute, die in den Journalismus wollen, machen vielleicht im Nebenfach Medienwissenschaften. Es gibt Leute, die naturwissenschaftliche Nebenfächer haben, weil sie irgendwas im Blick haben, was sie interessiert. Andere machen Theologie. Man sollte ja meinen, dass Theologie und Soziologie gar nicht zusammengehen, wenn wir Marx lesen und der sagt, Religion ist Opium des Volkes oder so etwas. Dann meint man, das geht nicht, aber es geht sehr gut zusammen. Genauso geht sehr gut zusammen Religionswissenschaften, wenn man aus einer wissenschaftlichen Perspektive auf Religiosität schaut. Das ist eigentlich ein Bereich soziologischen Denkens über Glauben und Religiosität. Da gibt es spannende Kombinationen. Wir haben hier in Tübingen eine große Vielzahl von Nebenfachmöglichkeiten und man ist damit nicht hundertprozentig festgelegt, wenn man dieses oder jenes Nebenfach belegt. Aber wenn man schon eine Idee hat, in welche Richtung man sich interessiert, ist es klug, ein Fach in diese Richtung zu wählen.

A. B.: Zur Evangelischen Theologie haben wir tatsächlich schon eine Folge aufgenommen. Also wen es interessiert oder wer da neugierig ist: Hört da gerne mal rein!

C. J.: Bei uns geht es in erster Linie um die Bachelor-Studiengänge und die bestmögliche Studienwahl dazu, aber das Thema Master ist natürlich auch wichtig und sinnvoll gleich mitzudenken. Würden Sie sagen, es ist wichtig, einen Master in Soziologie zu machen? Oder es ist für bestimmte Berufsfelder nötig?

J. S.: Grundsätzlich gilt wie in fast jedem Fach: Wenn man einen Master hat, dann kann man beruflich in der Regel höher einsteigen. Aber wir haben durchaus viele, die aus dem Bachelor nicht weitermachen mit dem Master. Es macht wahrscheinlich ein bisschen mehr als die Hälfte, die in Richtung Master geht, aber es geht auch ein nennenswerter Teil direkt in Beruf. Beruf, das heißt nicht in die Wissenschaft, dafür bräuchte man den Master. Beruf heißt zum Beispiel, dass man in Organisations- oder Personalabteilungen von Firmen wechselt oder in die Sozialadministration, also im Staat irgendwo aktiv ist. Oder dass man in Bildungseinrichtungen Bildungsarbeit macht, Fortbildungsgeschäft, Beratung all so etwas. Da gibt es eine große Vielzahl. Man kann auch von dort Richtung Journalismus loslaufen, muss vielleicht noch ein bisschen nachqualifizieren, praktisch und theoretisch. Da geht es schon los, aber in dieser großen Breite, die ich angedeutet habe. Der Master ist erforderlich, wenn man in Richtung Wissenschaft gehen will, eine Promotion anstrebt oder etwas in die Richtung, weil man im Master viel stärker die Forschungsmethoden lernt. Erst wenn man den Master gemacht hat, kann man wirklich auch selbstständig forschen, würde ich behaupten, und dann zum Beispiel eine Promotion angehen.

Berufsperspektiven (26:21)

C. J.: Dann würde ich sagen, widmen wir uns doch weiter dem Thema Berufsfelder, die nach dem Studium offen stehen, und hören uns an, was Tübinger Studierende für Vorstellungen haben, wo sie beruflich später landen könnten.

Studi 1: Danach kann ich mir zwei Richtungen vorstellen. Das eine wäre eher in Richtung Bildung, zum Beispiel als Referentin für Diversität. Ich habe auch schon ein Praktikum gemacht an der Landeszentrale für politische Bildung im Bereich Frauenpolitik. Oder ich gehe eher in Richtung Sozialforschung. Da habe ich auch schon ein Praktikum in einem Sozialforschungsinstitut gemacht.

Studi 2: Für mich ist es sehr spannend, das Fachwissen in Soziologie und vor allem in Ethnologie im journalistischen Bereich in der Berichterstattung anwenden zu können. Deswegen will ich mich in dem Bereich gern weiterentwickeln.

Studi 3: Ich möchte nach dem Studium in der Wissenschaft bleiben, möglicherweise als ein Sozial- oder Meinungsforscher in einem Institut oder an der Universität. Und ich fände die Arbeit mit Studierenden sehr spannend und die darin entstehende Atmosphäre des Austauschs. Deswegen fände ich das ziemlich cool.

A. B.: Gibt es im Studium viele, die sich innerhalb des Studiums erst orientieren? Diese diesen Zeitraum, diese Möglichkeit hat man?

J. S.: Ja, es kommen selten Menschen zu uns ins Studium, die am Anfang wissen, was sie wollen. Die erste Mühe besteht eigentlich darin, erst einmal deutlich zu machen, für was man sich eigentlich entschieden hat. Die Unterscheidung Sozialarbeit vs. Soziologie ist so eine stehende Redewendung bei uns. Wir haben am Anfang oft noch Studierende, die sagen: „Ja, ich studiere Soziologie, weil ich den Menschen helfen will." Das ist natürlich ein gutes Motiv, Menschen helfen zu wollen, aber das ist nicht primär das Anliegen der Soziologie. Die Soziologie versucht zu analysieren, wie Soziales, wie gesellschaftliche Prozesse verlaufen. Das ist hilfreich für die Gesellschaft und andere, die helfen wollen. Zum Beispiel in der Sozialarbeit oder in anderen Feldern, die brauchen dieses Wissen. Aber das ist nicht primär die Aufgabe der Soziologie, der Soziologinnen und Soziologen, praktische Hilfe zu leisten. Man muss die Orientierung klarkriegen. Dann kommen die Studierenden in Kontakt mit den verschiedenen Gegenstandsbereichen unseres Faches und finden in der Regel Dinge, die sie interessieren. Nach drei Jahren hat man in der Regel schon eine Vorstellung, wo man es spannend fände.

A. B.: Und wie kann zum Beispiel ganz konkret so eine Orientierung aussehen, wenn ich noch auf der Suche bin im Studium? Gibt es die Möglichkeit, Praxiserfahrung zu sammeln und wenn ja, in welchem Rahmen?

J. S.: Unser Studiengang hat ein Pflichtpraktikum. Man macht typischerweise so ungefähr im fünften Semester, wenn man schon ein bisschen Soziologie kann, ein mehrwöchiges Praktikum. Das ist verpflichtend. Man reflektiert das hinterher und schreibt einen Praktikumsbericht. Das ist für viele ein entscheidender Schritt, eine Verortung zu finden. Oft versuchen Leute, da wo sie ein Praktikum gemacht haben, die Richtung, die sie da ausprobiert haben, weiterzuentwickeln. Dann haben sie schon Anknüpfungspunkte für ein berufliches Netzwerk, erste zumindest. Das vereinfacht die Sache natürlich.
A.B: Wo Sie das jetzt schon anklingen lassen: Wie sind denn die Berufschancen? Wie leicht kommt man nach dem Studium in die Praxis?

J. S.: Mein Eindruck ist, von drohender Arbeitslosigkeit sollte man sich wirklich überhaupt nicht beeindrucken lassen. Das ist einfach nicht mehr der Fall. Wenn man sein Studium halbwegs ordentlich absolviert hat, dann stehen einem zwar nicht alle Türen offen, aber es stehen einem auf jeden Fall Türen offen. Es gibt keine nennenswerte Arbeitslosigkeit in unserem Feld, das war früher mal. Es gab Zeiten, da war es nicht so ganz einfach, als Soziologin oder Soziologe unterzukommen. Aber mittlerweile ist es aus meiner Wahrnehmung kein Problem mehr. Ein Problem ist eher, dass man in diesen drei Jahren seine Orientierung findet, wo man hin will und sich mit dem entsprechenden Nachdruck in dieses Feld hineinbegibt.

A. B.: Da Orientierung tatsächlich auch schon so ein Thema ist – das ist jetzt ein Experiment, diese Kategorie haben wir noch nicht gehabt – haben Sie, sagen wir, drei Stichworte für eine weitere Recherche? Das können Berufsorientierungssachen sein oder praktische Sachen oder auch ein Filmtitel oder irgendein Literaturtipp?

Insider-Tipps (31:04)

J. S.: Ja, da gibt es ganz Verschiedenes. Ich finde zum Beispiel für mich sehr inspirierend, einen alten Roman von Upton Sinclair, „Der Dschungel" heißt er. Und da geht es um die Zustände in der Fleischindustrie im Chicago der Boomzeiten, Al Capone Zeit und davor, als Chicago massiv gewachsen ist, unendliche Migrantenströme in die Stadt hineinströmten, es große Slums gab und riesige Fleischfabriken. In diesen Fabriken ging es ziemlich übel zu und Upton Sinclair hat es in Form eines Sozialreportage-Romans beschrieben. Ein Roman, der auch Wirklichkeitseffekte hatte, weil die Gesetzeslage in Chicago angepasst wurde und die Restriktionen für die Fleischindustrie massiv verschärft wurden, mit Hygienevorschriften und so. Das ist ein richtiger fullflashed Blick in die Mitte der Gesellschaft. Was passiert da eigentlich? Das finde ich interessant. Und wenn man sich angucken will, wie Soziologen und Soziologen arbeiten, könnte man auch etwas Altes angucken, nämlich einen Film, der heißt „Einstweilen wird es Mittag" von Karin Brandauer. Ein österreichischer Film. Da geht es um eine berühmte klassische Studie aus der Soziologie, die Marienthal-Studie, wo es um Arbeitslosigkeit geht. Ein ganzes Dorf wird plötzlich arbeitslos. Was passiert da eigentlich? Wie verändert sich die kleine Gesellschaft dieser kleinen Stadt im Angesicht einer plötzlich auftretenden allumfassenden Erwerbslosigkeit, weil alle Fabrikarbeiter auf einen Schlag entlassen werden? Hochgradig interessant, nicht nur was das Phänomen betrifft, sondern auch wie das Forscherinnen Team dort arbeitet. Daran kann man vieles lernen. Natürlich machen wir es heute nicht mehr so wie damals, aber man kann viele Grundprobleme der soziologischen Forschungsarbeit kennenlernen. Das finde ich sehr inspirierend.

C. J.: Das klingt spannend, den werde ich mir auf jeden Fall auch anschauen, den kenne ich noch nicht. Ich bin selber großer Filmfan.

J. S.: Ach so, dann natürlich noch Kitchen Stories, den vielleicht einige kennen. Kitchen Stories ist ein Film, der in Schweden und Norwegen spielt. Da geht es um einen schwedischen Küchenproduzenten, um eine Firma. Die wollen rausfinden, wie sie sich den Markt der alleinlebenden Männer erschließen können. Sie wissen aber nicht, was alleinlebende Männer in Küchen so treiben. Also rüsten sie ein großes Expeditionsteam aus, lauter Forscher. Die fahren mit einem Wagen, mit Caravan und einem Tennishochstuhl rüber nach Norwegen, vom Linksverkehr nach Rechtsverkehr nach Norwegen, und besuchen dort auf dem Land lebende einsame Männer in ihren dörflichen Häusern. Die bauen den Tennishochstuhl in der Küche auf, sitzen da oben und spielen sozusagen den neutralen Beobachter. Ja, sie gucken von oben nach unten, was die alle so machen, beobachten das, schreiben alles auf. Und dann kommt es natürlich zu Verwicklungen. Eigentlich sollen die ja keinen Kontakt haben mit „denen da unten“.

C. J.: Aber sitzen in der Küche.

J. S.: Aber natürlich gibt es dann Kontakt und es geht auch andersherum. Dann geht der Mann unten aus der Küche irgendwann in den ersten Stock bohrt ein Loch in die Decke und beobachtet jetzt den Beobachter. Faszinierend, ein wirklich toller Film, den wir auch immer gerne für unsere Studierenden zeigen.

A. B.: Ich hätte ja gedacht, dass auch Loriot noch mit drin ist, ich bin ja ein großer Fan und habe auch gesehen, dass Vicco von Bülow sogar Ehrenmitglied des Soziologieverbandes ist.

J. S.: Ich werde nicht müde das zu betonen, weil Vicco von Bülow tatsächlich jemand war, der einen hochgradig soziologischen Blick auf Gesellschaft hatte. Leider ist Loriot in der aktuellen Studierendengeneration nicht mehr ganz so bekannt. Aber es lohnt sich, unbedingt! Ich habe auch in jeder meiner Einführungen „Was ist Soziologie?“ für den Studientag immer einen Clip drin, von Loriot in der Badewanne. Meine Kollegin Maren Müller hat auch immer was von Loriot dabei, weil man daran so gut sehen kann, gerade auf dieser Mikroebene, wie Interaktion funktioniert, wie eins ins anders greift, wie bestimmte Vorurteile, die Kommunikation beeinflussen, welche Absurditäten dann auch daraus entstehen. Und dann ja, jetzt komme ich, glaube ich, schon mit diesem Zitat, das mir noch am Herzen liegt. Es passt nämlich hier sehr schön rein. Wenn man sich Loriot intensiv angeschaut hat, kann man eigentlich schon etwas erringen, was Peter L. Berger, ein Soziologe, die erste Stufe der Weisheit genannt hat. Die erste Stufe der Weisheit in der Soziologie ist, sagt er, dass die Dinge nicht sind, was sie scheinen. Und das finde ich, das kann man bei Loriot immer sehr schön sehen, weil es immer irgendwann umkippt und ins Absurde dreht.

C. J.: Dann würde ich sagen, wir nehmen das als schönes Schlusswort für diese Frage. Außer Alex, hast du noch eine Frage?

A. B.: Ich habe keine Fragen mehr und werde auf jeden Fall mit diesem Blick demnächst auch mal auf Loriot schauen.

C. J.: Und ich freue mich schon auf die Kitchen Stories und andere Filmvorschläge, die sie uns genannt haben. Und ich bedanke mich ganz herzlich, Herr Strübing, fürs Kommen und dass Sie uns und unseren Zuhörerinnen und Zuhörern Rede und Antwort gestanden haben und uns viel über Ihr Fach Soziologie erzählt haben.

J. S.: Ja, herzlichen Dank auch von meiner Seite. Ich würde alle, die sich für Soziologie interessieren, einladen unserem Instagram-Kanal zu folgen, wo wir immer wieder was Neues über das Fach Soziologie und über das Institut bringen. Da kann man, glaube ich, auch ein gutes Gefühl dafür kriegen, was Soziologie eigentlich ist.

A. B.: Können wir in den Shownotes verlinken.

C. J.: Wunderbar! Falls Ihr ansonsten noch weitere Infos zu unserem Podcast oder zur Uni Tübingen und den Studienmöglichkeiten benötigt, geht auf www.uni-tuebingen.de/hoschulreif
Da findet Ihr Infos zu unserem Podcast. Ansonsten, falls Ihr Fragen oder Anregungen habt, schreibt uns eine E-Mail an hochschulreif@uni-tuebingen.de

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Jörg Strübing über die folgenden Themen: 
01:00 Persönliche Motivation
05:57 Studieninhalte
19:06 Persönliche Voraussetzungen
26:21 Berufsperspektiven
31:04 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Soziologie:

Hier geht es zum Instagram-Kanal der Tübinger Soziologie: https://www.instagram.com/inside.soziologie/ und zur Seite der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Weitere zitierte Titel:

  • Brandauer, Karin (Regie): Einstweilen wird es Mittag, Österreich 1988.
  • Hamer, Bent (Regie): Kitchen Stories (Salmer fra kjøkkenet), Norwegen/Schweden 2003.
  • Sinclair, Upton: Der Dschungel (Originaltitel: The Jungle), erschienen 1905/06.
  • Loriot (Künstlerpseudonym), Filme und Bücher siehe auch unter dem Klarnamen Vicco von Bülow.

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an:


Folge #04: Mathematik

Was unterscheidet die Hochschulmathematik von Mathe in der Schule? Welche Herausforderungen gibt es im Mathestudium? Und wie kreativ kann so ein Studium sein? Zu Gast für unsere Folge über das Studienfach Mathematik ist Professor Dr. Thomas Markwig. Er gibt Einblicke in die verschiedenen Bereiche der Mathematik, in Vorzüge und Herausforderungen des Studiums sowie in mögliche Berufsperspektiven. Außerdem verraten Studierende, was ihnen am Mathestudium am besten gefällt und wie ihre Berufswünsche aussehen.

Listen
Christoph Jäckle (C. J.): Herzlich Willkommen bei „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. In unserem Podcast stellen wir Euch in jeder Folge ein Studienfach vor, damit Ihr wisst, was Euch im Studium dieses Faches so erwarten wird. Wir, das sind meine liebe Kollegin Alexandra Becker und ich, Christoph Jäckle. Hallo Alex!

Alexandra Becker (A. B.): Hallo Christoph!

C. J.: Alex und ich sind beide vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen und haben auch heute wieder einen Gast bei uns im Studio. Heute wird sich alles um das Fach Mathematik drehen. Dazu haben wir uns Prof. Dr. Thomas Markwig eingeladen. Thomas Markwig ist Studiendekan des Fachbereichs Mathematik und kennt sich daher bestens mit allem aus, was das Studienfach Mathematik betrifft. Hallo Herr Markwig!

Prof. Dr. Thomas Markwig (T. M.): Hallo!

C. J.: Herr Markwig, bevor wir gleich von Ihnen selbst hören werden, warum Sie sich für das Fach Mathematik entschieden haben, lassen wir wie immer erst mal einige Tübinger Studierende zu Wort kommen.

Persönliche Motivation (00:57)

Studi 1: Mir hat Mathe einfach schon immer richtig Spaß gemacht, auch in der Schule. Dann hatte ich auch noch den Vorteil, dass ich durch den Vertiefungskurs Mathe schon ein bisschen Einblick in das Uni-Mathe kriegen konnte. Deswegen habe ich mich für Mathe entschieden.

Studi 2: Ich muss sagen, ich habe absolut keine Ahnung mehr, wie ich auf die Idee kam, Mathe zu studieren. Aber das war die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können.

Studi 3: Zum einen habe ich mich für ein Mathe Studium entschieden, weil Mathe mir in der Schule immer ganz gut gelegen hat und zum anderen wusste ich nach der Schule einfach nicht, was überhaupt tun. Es war also ein ziemliches Einfach-mal-Ausprobieren.

Studi 4: Ich habe mich für Mathe auf Lehramt entschieden, weil ich in der Schule immer den Teil spannend gefunden hätte, zu dem mein Lehrer gesagt hat: „Das lernt ihr dann in der Uni“. Und weil Mathe wahnsinnig faszinierend ist.

A. B.: Herr Markwig, wir haben schon gehört, Mathe in der Schule hat Spaß gemacht oder da war die Neugier ganz groß. Wie war es denn bei Ihnen? Warum haben Sie sich für die Mathematik entschieden?

T. M.: Also, dass mir Mathematik sehr viel Spaß gemacht hat in der Schule, das kann ich sicherlich unterstreichen. Ich wollte Lehrer werden, wahrscheinlich einfach, weil es das Berufsfeld war, das ich aus der langen Schulzeit am besten kannte. Ich habe mir dann überlegt, dass ich am besten die Fächer studiere, die mir am meisten Spaß machen. Das waren Mathematik, Geschichte und Biologie. Und das habe ich gemacht. Dann habe ich erst während des Studiums gemerkt, um wie viel mehr Spaß mir Mathematik macht im Vergleich mit allem anderen. Ich bin bei dem Wunsch geblieben, zu unterrichten. Allerdings wollte ich dann doch nicht an die Schule zurück, sondern lieber an der Universität bleiben. Ich habe diesen Weg eingeschlagen und ich hatte das große Glück, die notwendige Unterstützung zu finden, um das am Ende auch erfolgreich machen und an der Universität bleiben zu können und dort Mathematik unterrichten zu dürfen.

A. B.: Also Mathematik sticht Geschichte und Biologie bei Ihnen. Gab es denn bei der Studienwahl Kriterien, die Sie berücksichtigt haben? Sie haben gesagt, Sie wollten Lehrer werden. War das einfach alles klar für Sie? Oder hatten Sie auch bestimmte Strategien zu entscheiden, warum es jetzt tatsächlich Mathematik auf Lehramt werden soll?

T. M.: In der Tat habe ich mir keine Gedanken darum gemacht, was Alternativen sein könnten. Das ist ganz anders als bei meiner Frau, die auch Mathematikprofessorin hier in Tübingen ist. Die hat sich sehr genau überlegt, was sie machen möchte. Das war allerdings nicht Professorin für Mathematik zu werden. Es ist auch bei ihr letzten Endes das, was sie überlegt hat, nicht wirklich zum Zug gekommen, sondern sie hat sich dann davon leiten lassen, was das Studium bringt. Und ich glaube, diese Offenheit muss man mitbringen. Aber ich würde trotzdem jedem angehenden Studierenden empfehlen, sich ein bisschen besser zu informieren, als ich es meinerzeit gemacht habe, was man eigentlich mit den Fächern, für die man sich interessiert, später machen kann, was für Berufsfelder einem da offenstehen. Ich hatte offen gestanden überhaupt keine Ahnung davon, was außer dem Lehramt aus einem Mathematikstudium erwachsen könnte.

A.B.: Ja, das werden wir heute bestimmt auch noch hören. Dann schauen wir uns doch mal ein bisschen genauer an, was man im Studium inhaltlich so macht. Da haben wir auch Studierende gefragt, wie denn eine ganz typische Studienwoche bei ihnen aussieht.

Studieninhalte (04:10)

Studi 1: Im Masterstudium hört man vor allem Vorlesungen und bearbeitet Übungsaufgaben. Dazu gibt es dann Fragestunden und Übungsgruppen, in denen Probleme mit den Inhalten und auch die Übungsaufgaben besprochen werden.

Studi 2: Das Mathestudium besteht im Prinzip aus Vorlesungen, wie zum Beispiel Geometrie, Stochastik, Algebra und Ähnlichem.

Studi 3: Also normalerweise sind es im Vergleich zu anderen Fächern wahrscheinlich eher wenige, aber dafür sehr komplexe und intensive Vorlesungen. Und was man die meiste Zeit tatsächlich macht, ist wahrscheinlich Übungsblätter lösen, weil die Übungsblätter sehr zeitintensiv sind.

Studi 4: Die typische Studienwoche besteht im Endeffekt aus sehr viel Knobeln, versuchen zu verstehen. Daran verzweifeln, es verstehen zu wollen. Wenn man Glück hat, es dann doch noch verstehen und sich dann sehr darüber freuen, dass man es verstanden hat.

Studi 5: Ich glaube, die Hauptarbeit besteht darin, das Skript nachzuarbeiten. Das heißt, das zu verstehen, was in der Vorlesung neu gemacht wurde. Und dann auf jeden Fall die Übungsblätter zu bearbeiten. Das heißt, alleine oder auch mit anderen Leuten über die Aufgaben zu diskutieren und damit den Stoff aus der Vorlesung zu festigen.

C. J.: Also das Studium der Mathematik klingt auf jeden Fall nach immer wieder auftretenden Hochs und Tiefs und vielen Emotionen, einem sich freuen, wenn man etwas verstanden hat und daran verzweifeln, wenn man stundenlang einen Lösungsweg sucht oder etwas zu verstehen versucht und einfach nicht darauf kommt. Aber noch mal einen Schritt zurück. Herr Markwig, was ist der grundlegende Unterschied zwischen Mathe in der Schule und Mathe an der Uni?

T. M.: Mathematik in der Schule, da wird es in aller Regel darum gehen, Rechenverfahren zu lernen und diese anzuwenden. Natürlich wird auch erklärt, wozu die Rechenverfahren gut sind und es wird auch oft versucht zu begründen, weshalb man diese Verfahren gewählt hat und nicht andere. Aber letzten Endes, wenn man eine gute Schulnote haben möchte, dann muss man die Rechenverfahren anwenden können. Man wird natürlich auch im Mathematikstudium Rechenverfahren lernen und die Rechenverfahren der Schule wiederholen. Man wird auch da wissen müssen, wie man eine Ableitung von der Funktion ausrechnet. Aber uns interessiert eigentlich gar nicht so sehr, wie man für eine konkrete Funktion auf die Ableitung kommt, sondern uns interessiert vielmehr, was denn die Ableitung eigentlich ist, wie diese über einen Grenzwertprozess definiert wird, was ein Grenzwertprozess in diesem Zusammenhang überhaupt ist. Das wollen wir verstehen. Und dann wollen wir natürlich beweisen, dass bestimmte Aussagen, die wir treffen, auch wirklich richtig sind. Weshalb ist die Ableitung von xn [x hoch n] einfach n mal xn-1 [x hoch n minus 1]? Weshalb ist das so? Nicht, wie wende ich das an, sondern weshalb ist das eigentlich richtig? Das Weshalb, das steht hinter allem und das ist sozusagen das, was den Alltag des Mathematikers auch ausmacht. Wir werden immer wieder neue Theorien entwickeln. Wir werden dabei immer auf die Frage stoßen, wieso sollte dieses oder jenes gelten.

C. J.: Ich habe da eine Parallele oder einen schönen Vergleich gelesen, dass man sich es auch so vorstellen kann, dass man in der Schule im Endeffekt das Rezeptbuch bereits vor sich hat, wie bei einem Kochvorgang und die Gerichte nachkocht. Wohingegen wenn man Mathematik studiert, man eher zu einem Koch ausgebildet wird, der dann auch selbst neue Rezepte entdecken kann und mit den verschiedenen Elementen, die in der Küche benutzt werden, in der Mathematik arbeiten kann. Ist es also auch ein kreatives Studium, eine kreative Arbeit?

T. M.: Ja, definitiv. Da wird sehr viel Kreativität verlangt. Jetzt vielleicht eine andere Kreativität, als sie im Kunstsektor benötigt wird, aber definitiv. Wenn Sie neue Ergebnisse erzielen wollen, dann brauchen Sie die Ideen, was gelten kann. Ich selbst arbeite zurzeit im Bereich der tropischen Geometrie und wenn wir zwanzig Jahre zurückgehen, dann hätte Ihnen niemand sagen können, was tropische Geometrie sein sollte. Das ist ein sehr junges Gebiet, bei dem man versucht, Methoden aus unterschiedlichen Bereichen der Mathematik zusammenzubringen, um interessante Fragen zu beantworten.

C. J.: Was könnte so eine Frage zum Beispiel sein? Fällt Ihnen ein Beispiel ein, dass ich mir als Nicht-Mathematiker vorstellen kann, was man mit tropischer Geometrie machen kann, welche Fragen man da beantworten kann?

T. M.: Wir könnten eine sehr simple Frage stellen: Wie viele Geraden durch zwei Punkte in der Ebene gibt es? Und jeder wird sehr schnell sehen, dass wenn man zwei Punkte in der Ebene festlegt, dann gibt es genau eine Gerade dadurch. Das ist eine Kurve vom Grad 1. Nun kann man auch Kurven vom höheren Grad betrachten, etwa Kurven vom Grad 3 und da kann man sich fragen, wie viele Kurven vom Grad 3 gibt es durch 8 Punkte, die vielleicht noch eine Zusatzbedingung erfüllen, dass sie rational sind. Diese Zahl ist 12, eine andere Zahl. Und da kann man fragen, wie geht das weiter, wenn man höhere Grade nimmt und eine Punktzahl festlegt, sodass die Zahl endlich wird. Diese Zahlen steigen sehr schnell. Die kommen letzten Endes aus Anwendungen der Physik heraus – wenn man sich dafür interessiert. Das sind die kromophyten Invarianten, wofür Mathematiker die Fields-Medaille bekommen haben – das ist die höchste Auszeichnung, die es in der Mathematik gibt – für die Entwicklungen, die dazu geführt haben. Heute kann man mithilfe von Methoden der tropischen Geometrie auf viel einfachere Art und Weise zeigen, dass diese Zahlen korrekt sind. Dahinter stehen tiefe Verbindungen zwischen den, man nennt sie algebraischen Kurven, mit denen man angefangen hat, und diesen Objekten, den tropischen Kurven der diskreten Mathematik. Diese Verbindung, die ist schwierig, aber innerhalb der tropischen Geometrie diese Zahlen zu beweisen, ist ein ganzes Stück einfacher.

A. B.: Ich musste tatsächlich noch gerade an die Rhetorik denken und an den philosophischen Hintergrund. Da würde ich sagen, kann man sicherlich beide Fächer wieder zusammenführen in ihrer Geschichte. Dann ist es auch eine sehr lange Tradition, die dahintersteckt. Würden Sie auch sagen, dass es hochgradig philosophisch sein kann oder hergehen kann in der Mathematik?

T. M.: Also es gibt sicherlich eine sehr interessante Beziehung zwischen der Philosophie und der Mathematik, vor allen Dingen in den Denkstrukturen. Letzten Endes das, was die Mathematik ausmacht, ist das wir es lernen, Probleme zu analysieren und Lösungsstrategien zu entwickeln. Das geht aber nur deswegen effizient, weil wir eine sehr formale, verkürzte Sprechweise haben, mit der wir in der Lage sind, uns sehr präzise auszudrücken. Und das ist letzten Endes etwas, was die Philosophen in der gleichen Art und Weise brauchen. Meine Frau hat sich übrigens seinerzeit im Hauptstudium dazu entschieden, im Nebenfach auf die Philosophie zu wechseln, weil sie genau diese Beziehungen sehr gereizt haben.

C. J.: Jetzt kam ja in den in den O-Tönen von den Studierenden schon mehrfach auch zum Ausdruck, dass der eine Bereich im Studium Vorlesungen sind, in denen dann relativ knapp zusammenfassend die neuen Themen eingeführt werden. Danach muss man aber auch viel in eigenverantwortlicher Arbeit in Lerngruppen sich selbst erschließen. Ist es eine große Herausforderung für viele Studierende, diese eigenverantwortliche Herangehensweise?

T. M.: Also die erste Herausforderung an die Studierenden ist, in der Hochschulmathematik anzukommen. Und da gehört dazu, die mathematische Fachsprache zu lernen. Man hat das Gefühl, dass man in der Mathematik Deutsch redet. Das ist so. Aber wie ich eben gesagt habe, benutzt man in der Mathematik, um sich effizient zu verständigen, eine sehr formale, verkürzte Sprechweise. Und diese muss man in den ersten Semestern lernen. Das ist ein durchaus harter Weg. Meine ersten Übungsblätter, auf denen ich Lösungen aufgeschrieben habe, als die zurückkamen, die waren von vorn bis hinten rot. Das hat ein ganzes Jahr lang gedauert bis ich einigermaßen sattelfest darin war, mich sauber in der Mathematik auszudrücken. Das ist die erste große Herausforderung. Eine zweite Herausforderung ist natürlich, dass man bereit sein muss, sich mit Fragen zu beschäftigen, zu versuchen, Lösungen zu entwickeln und zu akzeptieren, dass man die eventuell nicht herausbekommt. Es ist keine Seltenheit, dass man allein und auch mit anderen zusammen drei, vier Stunden an einer Aufgabe sitzt, versucht eine Lösung zu finden und keine hat. Und das kann frustrieren. Dann kommt irgendwann die Übungsstunde, man bekommt die Lösung gezeigt und dann sagt man: „Eigentlich gar nicht so schwer, aber ich bin nicht drauf gekommen“. Aber diese drei, vier Stunden, das war keine verlorene Zeit, denn in den drei, vier Stunden hat man alle Inhalte wiederholt, die in der Vorlesung waren. Man hat alle Methoden versucht anzuwenden, die man in den Beweisen in der Vorlesung gelernt hat. Und auch wenn das für das konkrete Problem vielleicht nicht erfolgreich war, ist das ein enormer Lernprozess, das probiert zu haben. Aber es verlangt eine hohe Frustrationstoleranz. Damit muss man leben.

C. J.: Jetzt hatten wir es und Sie hatten schon über die die tropische Geometrie gesprochen. Sie haben über diese mathematisch formale Sprache gesprochen. Welche Methoden, welche Bereiche werden sonst noch im Studium der Mathematik, vor allem auch im grundständigen Bachelorstudium, vermittelt?

T. M.: Also man steigt ein mit zwei Bereichen. Das ist zum einen die Analysis, bei der es um die Untersuchung von Grenzwertprozessen und von Funktionen geht. Und zum anderen mit der linearen Algebra, bei der es um die Untersuchung von algebraischen Strukturen geht und vor allen Dingen um lineare Strukturen, die einfacher sind als die meisten Funktionen, die man betrachtet, die eben nicht linear sind. Das ist der Einstieg. Dann nach einem Jahr, wenn man die Grundlagen der Mathematik, die man für alle weiteren Vorlesungen benötigt gelernt hat – da gehört zum einen die mathematische Sprache dazu und zum anderen aber eben auch die Grundlagen der Analysis und der linearen Algebra – dann wird das Ganze ein bisschen aufgefächert. Dann hat man Vorlesungen zur Stochastik und zu Numerik. Das sind eher angewandte Bereiche der Mathematik, aber eben auch vertiefende Vorlesungen zur Algebra oder zur komplexen Funktionentheorie. Das sind dann eher reine Bereiche der Mathematik. Das ist ein fester Kanon. Da kann man sagen, den lernt man im Prinzip an jeder Universität in Deutschland in den ersten zwei Jahren in der Mathematik, wenn man einen Bachelor of Science Studiengang einschlägt. Erst danach, ab dem dritten Jahr und im Master vertieft man sich. Und das macht dann schon einen wesentlichen Unterschied, an welcher Universität man ist, was eben gerade die Forschungsbereiche sind, die durch die dortigen Professoren vertreten sind, weil über die Forschungsbereiche kann man dann etwas erfahren.

C. J.: Würden Sie allen Studierenden raten, auch ein Masterstudium an das Bachelorstudium anzuschließen?

T.M.: Ja, definitiv. Also zum einen, man kommt damit erheblich weiter. Man lernt dann wirklich neue Fragestellungen in der Mathematik kennen, an die man im Bachelor nur sehr schwer herankommt. Und zum anderen glaube ich, dass es nach wie vor für den Arbeitsmarkt, wenn wir jetzt von den Science Studenten sprechen, wesentlich besser ist, wenn man einen Master-Abschluss hat, wie wenn man einen Bachelor-Abschluss hat. Im Lehramt ist es sowieso keine Frage. Sie werden als Lehrer nicht eingestellt, wenn Sie keinen Master of Education Abschluss haben, sondern einen Bachelor of Education.

A.B.: Und wie lange dauert das Studium dann so im Schnitt? Haben Sie da eine Einschätzung, was ist die Regelstudienzeit oder was ist der Schnitt des Studiums in etwa?

T.M.: Also die Regelstudienzeit für den Bachelorstudiengang ist 6 Semester und für den Masterstudiengang 4 Semester. In Tübingen sind die Zeiten meist ein bisschen länger. Es ist nicht hundertprozentig klar, woran das liegt. Im Lehramtsstudium würde ich sagen, ist einer der Gründe sicherlich die hohen Überschneidungen zwischen den Fächern. Das hat auch damit zu tun, dass die Mathematik im Wesentlichen mit jedem anderen Lehramtsfach an der Universität kombinierbar ist und bilaterale Absprachen, was die Lehrveranstaltung betrifft, da sehr schwer sind. Das bedeutet, dass Studierende häufig Überschneidungen haben, die dazu führen, dass sich das Studium verlängert. Dann ist es aber natürlich auch so, dass wenn man mit dem Mathematikstudium beginnt, es einfach ganz anders ist als die Schulmathematik. Das führt dazu, dass man am Anfang vielleicht falsch einsteigt, dass man vielleicht mit dem Gefühl herangeht, in der Schule musste ich immer nur vor den Klassenarbeiten 2 Tage lernen und dann hat das vollkommen gereicht. Und das ist im Mathematikstudium fatal. Die Fülle an Neuem, die man lernt – an neuen Inhalten und an neuen Methoden – die ist so groß, dass wenn man das Ganze mal zwei Wochen hat liegen lassen, man in aller Regel so weit hinten dran ist, dass man in der Vorlesung nicht mehr folgen kann und dass man dann auch nicht mehr in der Lage ist, die Übungsaufgaben zu bearbeiten. Das führt durchaus dazu, dass man unter Umständen nach dem ersten Semester feststellt, ich hätte anders anfangen müssen beim Lernen. Das weiß ich jetzt, jetzt kann ich es machen. Aber dann muss man eben noch mal neu beginnen.

C.J.: Also wirklich von Anfang an dranbleiben und mitlernen.

T.M.: Ja, was wir in Tübingen bieten, ist den sogenannten Sommereinstieg und der bedingt, dass die Anfängerveranstaltungen bei uns in jedem Semester angeboten werden. Das heißt, es ist erst mal egal, ob man im Winter- oder im Sommersemester beginnt. Aber vor allen Dingen, wenn man ein Semester verpasst hat, kann man einfach im nächsten Semester mit den Anfängervorlesungen nochmal anfangen und man verliert nur dieses eine Semester und nicht mehr. Das ist sicherlich etwas, was dazu beiträgt, dass die Studienzeiten bei manchen Studierenden länger sind. Aber dann ist es auch so, dass wir ein reichhaltiges Angebot haben. Und der eine oder andere Student, der entscheidet sich halt, ein bisschen mehr zu machen und dafür lieber etwas länger zu studieren.

C.J.: Ja, das schadet häufig nicht. Dann lieber ein halbes Jahr oder ein Semester oder zwei Semester länger zu brauchen, aber dafür dann auch das Studium so abzuschließen, sodass man selbst damit zufrieden ist und auch alles gelernt hat, was nötig war.

T.M.: Was kein Problem ist, das sollte man vielleicht erwähnen, ist in die Kurse hereinzukommen in der Mathematik. Manchmal, wenn man eine Wissenschaft studiert, wie Biologie, wo man Praktika besuchen muss, dann ist die Zahl der Praktikumsplätze unter Umständen beschränkt. Das ist bei uns in der Mathematik nicht so. Egal wie viele Studenten bei uns anfangen, wir haben immer genug Übungsgruppen für die Leute. Und wir haben keine festen Praktika, die zahlenmäßig beschränkt werden. Das heißt, man kommt immer in die Lehrveranstaltung rein, in die man rein möchte. Das einzige Problem, dass man haben kann ist, dass man eine Überschneidung mit einer Pflichtveranstaltung im zweiten Fach hat, wenn man im Lehramtsstudium unterwegs ist.

C.J.: Dann würde ich sagen, wir hören uns mal an, warum Tübinger Mathematikstudierende so begeistert sind vom Mathestudium.

Persönliche Voraussetzungen (18:22)

Studi 1: Da gibt es wirklich sehr viel. Also ich bin einfach so ein Fan von Logik und die Mathematik ist einfach sehr genau und sehr strukturiert. Es gibt nicht so viel Platz für ungenaue Interpretationen oder so, sondern entweder etwas gilt oder etwas gilt eben nicht.

Studi 2: Mich begeistert an Mathe vor allem das abstrakte Denken.

Studi 3: Also faszinierend am Mathematikstudium finde ich immer wieder, wie nah die Gedanken „Ich bin unfassbar dumm“ und „Wow, bin ich genial“ liegen können.

Studi 4: So gern man im Studium manchmal verzweifeln könnte, so sehr gibt es auch einfach Momente, in denen man die Fragen, auf die man dachte, das werde ich nie verstehen oder die Aufgaben, bei denen man denkt, wie soll ich das jemals schaffen, wenn man das plötzlich schafft.

Studi 5: Also was ich am besten am Mathestudium finde, sind diese Aha-Momente. Wenn man seit Ewigkeiten über einer Sache gebrütet hat und etwas, was man vor ein paar Wochen oder vielleicht sogar Monaten noch überhaupt nicht verstanden hat, dann irgendwann endlich Klick macht. Das ist der beste Moment.

A.B.: Ja, also die Höhenflüge der Studierenden kommen doch sehr leidenschaftlich rüber. Wir haben schon gehört, es reicht eben nicht, nur gut rechnen zu können. Was wären denn so Voraussetzungen, die Sie Studierenden oder Studieninteressierten noch mitgeben würden? Was erleichtert einem das Mathestudium?

T.M.: Also man sollte definitiv einfach Spaß daran haben, sich mit Problemen zu beschäftigen, lange darüber nachzudenken, zu knobeln. Ich sage mal jemand, der sehr gerne Sudokus löst – das ist vielleicht ein bisschen verkürzt, es darauf zu reduzieren – aber wenn man Spaß an solchen Rätseln hat, dann wird man auch Spaß daran haben, sich mit mathematischen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Wie schon gesagt, man braucht eine gewisse Kreativität, wenn man neue Dinge in der Mathematik entwickeln möchte. Also langfristig, wenn man nicht nur das Studium machen möchte, sondern vielleicht bei der Mathematik bleiben will, dann braucht man eine gewisse Kreativität und man braucht auch eine gewisse Frustrationstoleranz. Das habe ich auch schon mal gesagt, denn es wird immer wieder Höhen und Tiefen geben. Und was ich definitiv unterstreichen kann, ist das, was die Studierenden vorhin gesagt haben. Wenn man sich mit einem Problem beschäftigt, lange beschäftigt, und man hat dann endlich eine Lösung dafür gefunden. Das ist ein wirkliches Glücksgefühl, das dabei aufkommt. Wenn man sich dann hinsetzen kann, das aufschreiben kann und das so zu Papier bringen kann, dass man findet, so muss man das genau sagen, das ist richtig schön. Das ist auch später so. Das ist nicht nur im Studium so. Das hält dauerhaft an.

A.B.: Also ich kann es schon beinahe nachempfinden. Ich würde sagen, auch diese Klischees, die man so hört, dass man im Mathestudium alleine vor sich hin brütet, das kam jetzt schon zur Geltung, dass das durchaus nicht so ist, also dass man durchaus auch in Lerngruppen arbeitet. Ist das etwas, was wirklich Usus ist? Würden Sie sagen, es ist ganz wichtig teamfähig zu sein und sich auch auszutauschen in der Mathematik? Oder funktioniert es auch für sich allein?

T.M.: Also es ist eine wichtige Sache, dass man Mathematik im Gespräch mit anderen betreibt. Mathematik für sich allein zu machen, ist sehr schwer. Es gibt sicherlich auch Mathematiker, die so herausragend sind, dass sie niemand anderen brauchen und die genialsten Ideen allein haben und dann auch allein für sich entwickeln können. Aber wenn man in der Mathematik etwas erreichen will, dann muss man über die Mathematik mit anderen reden und das auch schon im Studium. Wir stellen jede Woche Übungsaufgaben und die Erwartung ist nicht, dass die Studenten sich zu Hause hinsetzen und diese Übungsaufgaben komplett allein lösen und dann Lösungen einreichen. Sondern die Idee ist, dass sie sich hinsetzen und sich austauschen, dass wenn einer die Idee hat, dass jemand anderes die aufgreift und ebenfalls versucht, diese Idee weiterzuentwickeln. Am Ende sollte man versuchen, das, was man verstanden hat, selbst zu Papier zu bringen. Das ist am Anfang des Studiums wichtig, damit man lernt, die mathematische Sprache zu benutzen und Rückmeldung dazu bekommt, wie man selbst sie benutzt hat. Aber Arbeit im Team ist essenziell.

A.B.: Und was jetzt natürlich auch noch spannend ist, wenn man all das mitbringt und sich für ein Mathestudium entscheidet, wo soll es denn damit hingehen? Und auch da haben wir Studierende in Tübingen gefragt, was die denn so für Ideen haben oder Wünsche, was sie später mal machen möchten.

Berufsperspektiven (22:42)

Studi 1: Ich studiere Mathe auf Lehramt und habe auch vor in die Schule zu gehen und dort Lehrer zu werden für Mathe.

Studi 2: Also das ändert sich bei mir alle paar Monate. Ich habe eine Zeit lang überlegt, noch irgendwie in Richtung Medizintechnik zu gehen. Gerade bin ich eher so auf dem Zweig Machine Learning, das heißt ich höre im Nebenfach Machine-Learning-Vorlesungen.

Studi 3: Nach dem Studium könnte ich mir vorstellen, irgendwas in Richtung KI (künstliche Intelligenz) bzw. maschinelles Lernen zu machen, weil das Thema an sich einfach sehr spannend ist und natürlich auch unglaublich viel Zukunftspotenzial besitzt. Und Mathematiker sind dort auch sehr gefragt.

Studi 4: Was ich nach dem Studium mache, steht bei mir durch den angestrebten Abschluss schon fest. Ich werde Lehrerin. Ich persönlich kann mir vorstellen, neben der Schullaufbahn auch in die Schulbuchentwicklung oder in die Erwachsenenbildung zu gehen.

Studi 5: Also ich bin gerade sogar fertig geworden mit dem Studium und jetzt promoviere ich erst mal. Und danach würde ich gerne entweder in der Forschung bleiben oder in die Wirtschaft gehen und mich zum Beispiel mit Themen wie Machine Learning beschäftigen.

C.J.: Jetzt ist mehrfach der Begriff Machine Learning als mögliches Berufsfeld gefallen und auch KI. Herr Markwig, können Sie ganz kurz versuchen zusammenzufassen, was Machine Learning ist und warum man dafür Mathematikstudierende oder -absolvent:innen braucht?

T.M.: Also Machine Learning ist ein Bereich, der in der Informatik angesiedelt ist. Das, was ich offen gestanden nicht weiß, ist, was am Ende wirklich die Kollegen des Machine Learning machen. Das, was ich sagen kann, ist, Machine Learning ist ein Bereich, der in der Informatik im Augenblick sehr stark ausgebaut wird. Und gerade in Tübingen ist ein großes Zentrum dafür entwickelt worden, mit mehreren Professuren in der Informatik. Das Ziel ist letzten Endes, dass man möchte, dass zum Beispiel autonomes Fahren funktioniert und dass man Maschinen entwickelt, die in der Lage sind, Situationen einzuschätzen und darauf zu reagieren. In der künstlichen Intelligenz geht man noch ein Stück weiter. Da möchte man, dass die Maschinen selbst lernen, dass die in Zukunft auch neue Situationen erfassen können, die sie bisher nicht erfassen konnten. Inwieweit das im Machine Learning gemacht wird, weiß ich nicht. Aber Big Data ist ein Schlagwort, dass da mit herein gehört, dass man enorme Datenmengen hat, die verarbeitet werden müssen. Das ist eine Herausforderung, weil diese Daten dann unter Umständen in sehr kurzer Zeit verarbeitet werden müssen.

C.J.: Aber das heißt, da arbeiten dann auch Mathematiker:innen sehr eng mit Informatiker:innen zusammen, oder?

T.M: Klar. Ich meine erst mal ist die Unterscheidung zwischen Informatik und Mathematik ein Stück weit eine künstliche. Letzten Endes die Strukturen, die man dem Computer versucht beizubringen, die dort abgebildet werden, die Algorithmen, die implementiert werden, das ist dasselbe, was wir in der Mathematik auch machen, algorithmisch zu arbeiten und zu denken. Die Gebiete sind sehr nah beieinander. Und dann ist es so, dass letzten Endes in der Informatik viele Bereiche, wie zum Beispiel das Machine Learning, stark mathematisch geprägt sind, dass da viele tiefliegende mathematische Methoden benötigt werden, die dann eingehen und die dort Anwendung finden.

C.J.: Welche anderen Berufsfelder vielleicht klassische oder eher auch schon Berufsfelder, die es schon früher gab, sind für Mathematiker:innen vorstellbar?

T.M.: Also wir haben vor einiger Zeit eine Vortragsreihe ins Leben gerufen, die heißt „Mathematiker:innen im Beruf“. Das Ziel der Vortragsreihe ist unseren Studierenden zu zeigen, was man alles machen kann. Das wird übrigens von den Studierenden selbst organisiert. Die suchen sich ehemalige Absolventen oder Berufsfelder, die sie interessieren, und laden dann Vortragende ein. Wir hatten in dieser Vortragsreihe Leute vom Deutschen Wetterdienst da, wir hatten Besuch vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt. Wir haben ein Engineering Director von Google eingeladen und Leute, die in Banken oder bei Versicherungen arbeiten. Wir hatten auch von Ditch Silent jemanden da, die modellieren die elektrischen Netzwerke – wie der Strom in ganz Europa geleitet wird. Zudem hatten wir Gäste aus der Entwicklungsabteilung von Daimler bei der Vortragsreihe. Es gibt enorm viele Bereiche, wo Mathematiker eingesetzt werden und nicht, weil sie irgendeinen bestimmten Inhalt in der Mathematik gelernt haben, sondern weil sie eben Problemlösestrategien gelernt haben, auf eine sehr effiziente Art und Weise.

A.B.: Also was ich da raus höre, ist auch, dass es noch genug Raum im Studium gibt, sich zu orientieren. Sie haben selber aus ihrer eigenen Erfahrung erzählt, dass Sie sich noch mal umentschieden haben mit ihrem ursprünglichen Berufswunsch. Sprich, man muss vielleicht nicht von Anfang an eine genaue Vorstellung haben. Manche haben das, aber es gibt auch noch genügend Zeit, sich im Studium zurechtzufinden.

T.M.: Auf alle Fälle! Ich selbst bin in einem Gebiet der reinen Mathematik unterwegs. Ich habe eben tropische Geometrie genannt. Das ist nicht der einzige Teil. Algebraische Geometrie, Computeralgebra, tropische Geometrie – das ist das Spannungsfeld, in dem ich mich bewege. Das sind reine mathematische Fragestellungen. Wir haben zunächst keinerlei Anwendung im Blick. Alle Absolventen, die ich über die Jahre hinweg begleitet habe, hatten binnen von spätestens einem halben Jahr nach ihrem Abschluss eine Arbeitsstelle, die sie haben wollten und die ihnen Spaß gemacht hat. Viele hatten schon Angebote, bevor sie überhaupt weggegangen sind. Und das auch bei Unternehmen wie Banken oder Versicherungen, wo der Wunsch besteht, dass die Leute eine spezielle mathematische Ausbildung mitbringen. Das war egal. Sie sind einfach extrem gut qualifiziert gewesen und das hat gereicht.

A.B.: Vielleicht können wir auch noch mal ganz kurz den Blick auf das Lehramt werfen. Wie sind da die Chancen mit dem Fach Mathematik als Kombinationsfach?

T.M.: Gleich vorweg, dass aus meiner Sicht unsere besten Absolventen an die Schulen gehören! Also ich würde mir wünschen, dass die besten Mathematiker, die wir ausbilden, an die Schulen gehen, weil wir einfach gut qualifizierte Lehrer brauchen. Natürlich brauchen Lehrer auch didaktische und pädagogische Fähigkeiten. Man braucht auch ein zweites Fach hier in Deutschland. Aber neben diesen Fähigkeiten ist es ganz wichtig, dass man in seinem Fach sehr solide ausgebildet und davon begeistert ist. Deswegen wünsche ich mir die besten Absolventen an den Schulen. Mathematik ist in vielen Bundesländern immer noch ein Mangelfach. In Baden-Württemberg offiziell nicht, da sind die Mangelfächer Physik und Informatik. Aber trotzdem, die Mathematik ist ein Fach, wo Lehrer gebraucht werden und wo man in aller Regel kein allzu großes Problem hat, eine Anstellung zu finden.

C.J.: Mangelfach bedeutet, dass es grundsätzlich momentan einfach zu wenig Lehrpersonal in dem Bereich gibt?

T.M.: Dass es meistens weniger Bewerber als offene Stellen gibt.

A.B.: Gut, das sind doch alles in allem gute Aussichten. Und insofern glaube ich, haben wir einen guten Rundumschlag geschafft heute. Hast du noch Fragen, Christoph?

C.J.: Ich glaube nicht. Mein Eindruck ist, wenn man sich einmal durchgequält und auch durchgehalten hat bei dem Studium und natürlich auch ganz viel Erfolgserlebnisse gehabt hat, wird man am Schluss auf jeden Fall dafür belohnt und kann dann mit der mathematischen Brille, die man auf hat und mit den ganzen Skills, die man erworben hat, auf jeden Fall überall spannende Berufsmöglichkeiten entdecken.

A.B.: Herr Markwig, haben Sie noch abschließende Worte?

T.M.: Ja, ich würde jeden, der sich für Mathematik interessiert, dazu anhalten wollen, sich mit Mathematik zu beschäftigen. Und ich möchte sagen, man kann auch in jungen Jahren sehr erfolgreiche Dinge erreichen. Ein Gebiet, das man aus der Schulmathematik kennt, ist sicherlich die Ebene der Elementargeometrie, wo man sich mit der Lage von Geraden zueinander, mit Aussagen über Winkel in Dreiecken beschäftigt. Und das sind Fragestellungen, die haben schon die alten Griechen beschäftigt. Das Lehrbuch von Euklid ist bis ins 19. Jahrhundert hinein das Standardwerk gewesen, nach dem Geometrie an den Schulen unterrichtet wurde. Da sind Fragen dabei wie, wie teile ich denn eigentlich einen Winkel mit Zirkel und Lineal in zwei gleich große Winkel? Jeder Schüler lernt das in der Schule. Man lernt nicht in der Schule, wie man einen Winkel mit Zirkel und Lineal in drei Teile zerlegt. Jetzt könnte man sich fragen, ob denn die Dreiteilung weniger interessant ist als die Halbierung. Und das ist es nicht, sondern die Aussage ist, man kann das nicht. Die Griechen wussten, dass sie es nicht hinbekommen haben. Sie wussten aber nicht, dass es nicht geht. Die Frage, weshalb das nicht geht – das ist das Faszinierende an der Mathematik – das ist eine geometrische Fragestellung. Will man die beantworten, braucht man die Algebra. Es gibt algebraische Methoden, mithilfe derer man beweisen kann, dass die Winkeldreiteilung nicht möglich ist. Diese algebraischen Methoden wurden von zwei Mathematikern entwickelt: Évariste Galois und Niels Henrik Abel. Abel ist, glaube ich, 26 Jahre alt geworden ist. Évariste Galois ist 21 geworden. Die hatten diese fundamentalen Theorien in jungen Jahren bereits entwickelt und haben damit eine Mathematik begründet, die heute jeder Lehramtsstudierende und jeder Bachelor-of-Science-Studierende in seinem zweiten Studienjahr kennenlernt, die Galois-Theorie. Ich will nur sagen, man kann in jungen Jahren sehr schöne Sachen machen. Und das Faszinierende bei der Mathematik ist immer, wie Dinge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, auf einmal zueinander in Beziehung gesetzt werden. Das ist auch etwas, wofür Mathematiker später eingestellt werden, weil sie in Unternehmen unter Umständen Strukturen entdecken, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, die aber Gemeinsamkeiten haben und dann dazu beitragen können, dass die effizienter verwaltet werden.

A.B.: Das ist doch ein schönes Schlusswort. Dann schließen wir ab mit den vielversprechenden Perspektiven und bedanken uns bei Ihnen, Herr Markwig, dass Sie heute da waren, dass Sie Zeit hatten, alle Fragen zu beantworten.

T.M.: Ja, ich bin gern hier gewesen. Danke.

A.B.: Dann gibt es nur noch zu sagen: weiterführende Infos gibt es auf der Webseite bzw. wenn Fragen, Rückmeldungen, Kritik anstehen, dann schreibt uns gerne unter hochschulreif@uni-tuebingen.de. Und wir sagen Tschüss und bis zum nächsten Mal!

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Thomas Markwig über die folgenden Themen: 
00:57 Persönliche Motivation
04:10 Studieninhalte
18:22 Persönliche Voraussetzungen
22:42 Berufsperspektiven

Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer der Uni Tübingen bieten ein Orientierungsangebot speziell für MINT-Fächer an, bei dem MINT-Studierende Deine Schule besuchen und von ihren Studieneindrücken berichten.

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreif@uni-tuebingen.de


Folge #03: Jura / Rechtswissenschaft

Stimmt es, dass man mit einem Abschluss in Jura beruflich später alles machen kann? Wie lange dauert so ein Studium eigentlich? Und wie sieht eine typische Woche im Jurastudium aus? Über alle Fragen rund ums Jurastudium sprechen wir mit dem Tübinger Studienfachberater Daniel Höfer. Im Vorfeld haben wir Studierende für euch gefragt, warum sie sich für ein Jurastudium entschieden haben, was sie in ihrem Studienalltag so machen und welche Berufswünsche sie haben.

Listen
Christoph Jäckle (C. J.): Herzlich Willkommen bei "hochschulreif", dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. In unserem Podcast stellen wir Euch in jeder Folge ein Studienfach vor, damit Ihr wisst, was Euch im Studium dieses Faches so erwartet. Wir, das sind meine liebe Kollegin Alexandra Becker und ich Christoph Jäckle. Hallo Alex!

Alexandra Becker (A. B.): Hallo Christoph!

C. J.: Alex und ich sind beide vom Team der Zentralen Studienberatung, der Uni Tübingen, und wir haben auch heute wieder einen Gast bei uns im Studio. Heute wird sich alles um das Fach Jura drehen. Dazu haben wir uns Daniel Höfer eingeladen. Daniel Höfer ist Mitarbeiter an der Juristischen Fakultät in Tübingen und dort Studienfachberater. Also für uns der perfekte Experte für alle Fragen, rund um das Jurastudium in Tübingen. Hallo Herr Höfer!

Daniel Höfer (D. H.): Guten Tag, Herr Jäckle, guten Tag Frau Becker, ich freue mich, dass ich heute da sein darf.

C. J.: Schön, dass Sie es geschafft haben. Wir freuen uns auch sehr, Sie als Gast hier zu haben.

A. B.:  Schön, dass Sie da sind.

C. J.: Herr Höfer, Sie haben selbst auch Jura studiert. Und wir interessieren uns brennend dafür, warum Sie das damals getan haben. Und bevor Sie uns das gleich erzählen, hören wir uns mal an, warum sich aktuelle Tübinger Studierende für ihr Studienfach entschieden haben.

Persönliche Motivation (01:12)

Studi 1: Ja, man lernt unser Staatswesen ganz wunderbar kennen. Und ich habe in der Schule schon immer ein Faible gehabt für Politik, für Gesellschaft, für Geschichte. Und da passt Jura einfach, weil es sehr, sehr viele Bereiche abdeckt von meinen Interessen.

Studi 2: Weil ich bei einem Girls‘ Day mitgemacht habe, im Gericht, und das sehr spannend fand und deswegen ein Praktikum, in der Schule, bei einer Anwaltskanzlei gemacht habe.

Studi 3: Das war mehr so ein Schuss ins Blaue, wenn ich ehrlich bin. So die richtige Berufung hatte ich nicht, aber das war so eine Art Experiment. Und bisher ist es geglückt.

Studi 4: Nach meinem Abitur stand für mich eigentlich fest, dass ich Lehramt studieren möchte. Von daher war der Wechsel zum Jurastudium tatsächlich ein mehr oder minder spontaner Wechsel. Ich habe mich sehr spontan in die Materie verliebt und fand die Logik dahinter, und die Möglichkeit zu argumentieren, so unglaublich spannend. Aber auch, dass Jura nie an Aktualität verliert.

A. B.: Ja, Herr Höfer, wie war das bei Ihnen? Wie haben Sie sich denn für Ihr Studium entschieden?

D. H.: Nun, bei mir war das so, dass ich zunächst mal davon ausgegangen bin, was mir an Fächern in der Schule besonders Spaß gemacht hat, was mich besonders interessiert hat. Und das waren neben Kunst, man denkt es nicht, vor allen Dingen die Fächer Gemeinschaftskunde und Geschichte. Und dann habe ich zunächst mit dem Gedanken gespielt, dass ich vielleicht Lehrer werden könnte für Geschichte. Und im Laufe der Zeit, das hat vielleicht so in der 12. und 13. Klasse angefangen, war der Gedanke auch, wie sieht es denn mit Jura aus? Denn damit kann man ja eigentlich alles machen, heißt es immer. Wir werden auch sehen: Das stimmt zwar nicht, operieren darf man damit nicht. Aber sonst ist doch relativ viel möglich. Und daher habe ich mich am Ende entschieden, da ich einfach kein zweites Fach gefunden habe, was gut gepasst hätte, jetzt einfach mal Jura zu studieren. Das war natürlich auch ein bisschen blauäugig, da es sich ein relativ langes Studium handelt. Aber ich habe gedacht, ich probiere das mal aus und bin dabei sozusagen einfach hängengeblieben.

A. B.: Und gab es da etwas, das Sie in der Entscheidung bestärkt oder motiviert hat, als Sie es ausprobiert haben?

D. H.: Ja klar, sonst wäre ich nicht dabeigeblieben. Ja und was waren das für Punkte? Also zum einen ist es eben eine besondere Art zu denken und zu argumentieren, die man lernt. Das ist eine sehr analytische Herangehensweise, da wir ja immer – dazu kommen wir später vielleicht noch – unsere spezielle juristische Methodik und Arbeitsweise anwenden müssen. Und die erlauben es einem einfach einen sehr nüchternen Blick auf die Dinge einzunehmen und Dinge logisch zu strukturieren. Wobei man Jura natürlich nicht mit Mathematik oder so vergleichen kann. Aber es hat schon sehr starke logische Regeln, die da im Hintergrund stehen und das hat mir gefallen. Ich meine, wofür haben wir Recht? Recht ist für die Menschen. Recht ist dazu da, unser gesellschaftliches Zusammenleben zu regeln, Konflikte zu lösen. Und zu verstehen, wie gesellschaftliches Zusammenleben funktioniert und wie Konflikte etwa auch in der Politik, aber auch im Kleinen gelöst werden. Und welche Verfahrensweisen es da gibt. Das fand ich sehr spannend.

A. B.: Jetzt haben Sie schon ein paar Einblicke über die Inhalte gegeben. Wir haben Studierende gefragt, was man denn so macht im Jurastudium und wie in etwa so eine typische Studienwoche bei ihnen aussieht. Da hören wir jetzt mal rein.

Studieninhalte (04:43)

Studi 1: Eine typische Studienwoche existiert bei mir eigentlich nicht. Es kommt immer darauf an, ob gerade eine Hausarbeit oder eine Klausur ansteht.

Studi 2: Also im Studium wird man natürlich in vielen Vorlesungen sitzen. Wobei einem da mehr die Theorie beigebracht wird.

Studi 3: Momentan, jetzt mal die Semesterferien ausgenommen, sitze ich am Rechner von morgens um 8.30 Uhr meistens bis irgendwann mittags und hab meine Vorlesungen. Und dann mache ich gerne Fälle oder übe mit Altklausuren.

Studi 4: In den Semesterferien, schreibe ich Hausarbeiten oder im jetzigen Fall eine Seminararbeit. Und das verdeutlicht, finde ich, auch ganz gut, wie das Jurastudium ist. Man hat eigentlich immer viel zu tun.

C. J.: Also im Endeffekt kann ich es mir so vorstellen: Es gibt einen theoretischen Unterbau, den lerne ich in Vorlesungen oder bekomme ihn dort vermittelt. Und dann muss ich über logisches Schließen anhand von Gesetzestexten das Ganze in Fällen versuchen anzuwenden. Kann man sich das so vorstellen?

D. H.: Ja. Also Ausgangspunkt einer jeglichen rechtlichen Lösung eines Falles, oder einer Konfliktsituation, ist natürlich immer das Gesetz. Und das Gesetz, also die Normen des Gesetzes, die sind verschiedentlich strukturiert. Viele davon sind Normen, die wir als Rechtsfolgen anordnende Normen bezeichnen. Das sind Vorschriften im Gesetz, die sagen: Wenn A und B, das sind die Tatbestandsmerkale, dann tritt eine bestimmte Rechtsfolge ein. Das ist dann C. Und dann frage ich mich: Ist denn C passiert? Ist C eingetreten? Und dafür muss ich eben prüfen, ob A und B erfüllt sind. Also ein einfaches Beispiel wäre etwa der Paragraf 985 BGB. Dort heißt es: Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen. Jetzt frage ich mich, ob der Eigentümer oder eine bestimmte Person, eine Person A, von einer Person B die Herausgabe einer Sache verlangen kann. Und dann muss ich eben prüfen, ist die Person A Eigentümer und ist die Person B der Besitzer der Sache. Das wären mein Merkmal A und mein Merkmal B. Und dann tritt die Rechtsfolge ein, dass eben Person A von Person B die Herausgabe der Sache verlangen kann.

C. J.: Sie haben ja jetzt gerade ein Beispiel genannt, bei dem es um Eigentumsverhältnisse ging. Welche anderen gesetzlichen Bereiche lernt man in einem Jurastudium kennen?

D. H.: Naja, das, was wir eben hatten, die Frage, ob der Eigentümer von einer bestimmten Person die Sache herausfordern kann, das ist Zivilrecht. Zivilrecht regelt die Rechtsverhältnisse zwischen gleichgeordneten Privatrechtssubjekten, sagen wir als Juristen. Und damit ist im Prinzip gemeint, zwischen jedem von uns, wenn wir miteinander agieren. Also wenn Sie, Herr Jäckle, morgens beim Bäcker Ihre Brötchen kaufen, dann ist das Zivilrecht. Und wenn Sie, Frau Becker, eine neue Wohnung anmieten, dann ist das auch Zivilrecht.

A. B.: Dann sind wir in dem Fall jeweils die Subjekte, die handeln.

D. H.: Genau. Und dann geht es immer um die Fragen, im Verhältnis zum Beispiel zu Ihrem Vermieter: Was können Sie verlangen, wenn Sie jetzt meinetwegen Wasser in der Wohnung haben? Wenn da eine Wand undicht ist oder so etwas. Oder Herr Jäckle, Sie beißen in Ihrem Brötchen auf eine Scherbe und verletzen sich. Können Sie Schadensersatz verlangen für die Behandlungskosten? Das wäre Zivilrecht. Das ist der Bereich des Arbeitsrechtes. Es ist aber auch der Bereich des Gesellschaftsrechts, also zum Beispiel wie läuft eine Aktionärsversammlung bei einer großen Aktiengesellschaft ab? Das ist auch Zivilrecht oder Arbeitsrecht ist Zivilrecht. Und das unterscheidet sich vom öffentlichen Recht dadurch, dass das öffentliche Recht, vereinfacht gesagt, ein Subordinationsverhältnis regelt. Da kommt der Staat und sagt dem Bürger, was er zu tun hat oder gewährt dem Bürger etwas. Aber wir haben dabei eine andere Rollenverteilung. Und da ist eben der Staat involviert. Beispielsweise wenn man vom Staat Bafög möchte und das beantragt oder umgekehrt, wenn der Staat von Ihnen, Herr Jäckle, Steuern möchte. Oder, Frau Becker, Ihr Auto abschleppt, weil Sie im Parkverbot stehen.

C. J.: Also immer ein Rechtsfall, bei dem dann ein persönliches Subjekt im Endeffekt mit dem Staat in Aktion tritt.

D. H.: Ja, das ist der weite Bereich des öffentlichen Rechts. Es gehören tatsächlich zum öffentlichen Recht noch andere Dinge. Wie zum Beispiel die innere Verfasstheit unseres Staates. Also wie das alles so läuft, wie Gesetze gemacht werden, was man aus der Gemeinschaftskunde kennt. Das ist der Bereich des Staatsrechts, das gehört auch zum öffentlichen Recht. Und dann gehören noch das internationale und das supranationale Recht dazu, also insbesondere das Europarecht. Das ist auch öffentliches Recht. Also immer, wenn der Staat irgendwie dabei ist.

A. B.: Und das sind jetzt die zwei großen Fachbereiche, in die das Studium unterteilt ist, oder gibt es noch angrenzende Felder?


D. H.: Es gibt tatsächlich noch einen dritten Bereich, das ist das Strafrecht. Das Strafrecht ist im Prinzip auch öffentliches Recht, weil der Staat einen Bürger bestrafen möchte. Auf der anderen Seite hat sich das zu einer Sondermaterie entwickelt, denn man hat das schon früh bei den ordentlichen Gerichten angeknüpft. Und es hat sich auch dogmatisch einfach zu einer Sondermaterie entwickelt, sodass wir heute im Studium von drei großen Rechtsgebieten ausgehen können. Das ist das Zivilrecht, das Strafrecht und das öffentliche Recht, die gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Diese drei Bereiche, machen die Inhalte im Studium aus.

C. J.: Wie lange dauert denn das Studium bis zum Staatsexamen beziehungsweise bis man beide Staatsexamina in der Tasche hat? Wenn alles klappt.

D. H.: Also das Studium endet durch die erste juristische Prüfung und die besteht aus der Staatsprüfung im Pflichtfachbereich und aus der universitären Schwerpunktbereichsprüfung im Schwerpunktbereich. Die bilden dann zusammen im Verhältnis 70/30 die Note in der ersten juristischen Prüfung, durch die das Studium abgeschlossen wird. Und dieser Ausbildungsabschnitt, der dauert im Durchschnitt 11,3 Semester. Wobei die Regelstudienzeit vom Gesetzgeber auf 10 Semester angesetzt wurde. Erst 2019 hat er das erhöht von 9 auf 10 Semestern. Man muss aber tatsächlich im Schnitt mit 11,3 rechnen. Wenn man nun diese erste juristische Prüfung bestanden hat, dann hat man die Berechtigung in den juristischen Vorbereitungsdienst zu gehen, das Rechtsreferendariat. Das dauert nochmal zwei Jahre und wird mit der zweiten juristischen Staatsprüfung abgeschlossen. Und wenn man die zweite juristische Staatsprüfung bestanden hat, dann hat man die Befähigung zum Richteramt. Dann kann man Richterin, Rechtsanwältin, Staatsanwältin werden, also diese klassischen juristischen Berufe ergreifen. Man kann auch noch eine ganze Reihe mehr Berufe ausüben, die auch in gewisser Weise an diese Befähigung zum Richteramt geknüpft sind.

A. B.: Ich würde gerne nochmal zurückgehen auf einen Bereich, den sie ganz am Anfang genannt haben, inhaltlich, nämlich das Argumentieren und die Logik. Ist das denn etwas, was auch eine eigene Ausbildung erfährt im Studium oder lernt man das einfach nebenbei mit?

D. H.: Also die juristische Methodenlehre wird im Wesentlichen eigentlich in den Vorlesungen und den Fallbesprechungen mitvermittelt. Um da nochmal zurückzukommen auf eine Frage, die der Herr Jäckle vorhin gestellt hat, auf die ich noch gar nicht so richtig eingegangen bin. Und zwar ist es tatsächlich so, dass wir zunächst Vorlesungen haben, in denen der Stoff und die Dogmatik mehr oder minder abstrakt vermittelt werden. Begleitend zu diesen Vorlesungen gibt es Fallbesprechungen. Das sind Arbeitsgemeinschaften, in denen man dann übt, das konkret auf Fälle anzuwenden. Das ist so ein bisschen eine Zweiteilung. Einmal die Vorlesungen, die von den Professorinnen und Professoren gehalten werden und dann die Fallbesprechungen, die von akademischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehalten werden. Und dann gibt's noch ein Drittes, das sind die Übungen. Die Übungen haben den großen Rahmen einer Vorlesung, wohingegen dann aber der Stoff nicht mehr abstrakt vermittelt wird, sondern man auch konkrete Fälle löst. Und die Übungen sind dann auch unser Format, in dem Prüfungsleistungen, das sind die bereits von den Studierenden angesprochenen Hausarbeiten, aber auch die Klausuren, geschrieben werden.

C. J.: Was ich mich gerade noch gefragt habe, war, wie viele Studierende, das denn so im Schnitt durchhalten? Gibt's da viele, die irgendwann abbrechen, weil es einfach doch ein sehr, sehr anspruchsvolles und langes Studium ist?

D. H.: Also diese Frage kann man gar nicht so einfach beantworten. Jedenfalls haben wir keine Statistiken dazu und erheben das nicht. Das wird nämlich erschwert durch Verschiedenes. Wir können feststellen, dass gerade nach dem zweiten, vielleicht auch schon nach dem ersten Semester, und nach dem dritten Semester viele Studierende das Studium nicht mehr wirklich vorantreiben und Fristen verstreichen lassen oder einfach gehen. Und wenn die gehen, dann ist das manchmal ein Studienortwechsel. Manchmal ist es die endgültige Aufgabe des Studiums. Es gibt aber auch immer wieder Fälle, das habe ich alle paar Wochen mal, dass jemand wieder einsteigen möchte in das Studium. Gerade auch der Studienortwechsel findet, da das Studium relativ lang ist, doch immer wieder mal statt. Wir können das gar nicht auseinanderhalten. Von daher ist das wirklich schwer zu beantworten. Ich müsste jetzt einfach eine Zahl raten und das wäre relativ unseriös, deswegen würde ich es lieber lassen.

C. J.: Gehen wir mal auf die andere Seite. Nämlich, was die Studierenden am Studium hält, was sie begeistert. Auch dazu haben wir Studierende gefragt und hören da jetzt rein.

Persönliche Voraussetzungen (14:12)

Studi 1: Am Jurastudium begeistert mich das logische und systematische Arbeiten, das Argumentieren.

Studi 2: Die Art, Fälle zu lösen. Dass das sehr systematisch ist, dass man immer genau weiß, wo man ist, was man machen muss und wie man vorgeht.

Studi 3: Manchmal geht es um Kriminalfälle, quasi im Strafrecht. Dann geht‘s wieder um die großen Fragen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens im Staatsrecht. Und dann geht's wieder um Dinge, die wir jeden Tag machen, nämlich Verträge abschließen im Zivilrecht.

Studi 4: Alle haben dieselbe Grundlage, das Gesetz. Und Fälle sind ja nicht immer eindeutig. Und dann musst du eben mit dieser Grundlage versuchen, das Ganze zu lösen.

Studi 5: Fachmäßig mag ich besonders gerne Völkerrecht. Und ich glaube, es ist wichtig, dass man möglichst schnell den Bereich findet, den man spannend findet als Motivation für das weitere Studium.

A. B.: Wie die Studierenden jetzt über ihr Fach berichten, klingt das ja sehr lebendig. Jetzt gibt es aber das Vorurteil, dass Jura doch ein recht trockenes Fach sei. Was bedeutet das denn Herr Höfer, vielleicht haben Sie ein Beispiel aus dem Fälle-Lösen dazu, woran man das festmachen kann.

D. H.: Naja, da ist zunächst einmal zu überlegen, was ist mit trocken gemeint? Das kann alles Mögliche bedeuten und damit können verschiedene Vorstellungen verknüpft sein. Was ich gerne zugebe, ist, dass Jura ein Fach ist, bei dem man durchaus auch auswendig lernen muss. Aber das ist in anderen Fächern vielleicht noch mehr. Sie sitzen nicht jeden Tag nur da und lernen auswendig, aber Sie müssen immer wieder Dinge auswendig lernen. Beispielsweise sprach ich vorhin schon an, dass wir oft Begriffe im Gesetz haben, da besteht die Frage: Welche Vorstellung verbindet der Gesetzgeber damit? Was meint er damit? Und das ist oft schon durch Gerichte und höchst richterlich, das heißt etwa vom BGH (Bundesgerichtshof), entschieden worden, was unter einem gewissen Begriff zu verstehen ist. Dann wird das oftmals nicht mehr in Frage gestellt, weil alle damit einverstanden sind. Und eben solche Definitionen muss man im Idealfall auch auswendig können. Das macht natürlich einen deutlichen Teil des Studiums aus, diese Dinge auswendig zu lernen, aber das kann man nicht für alle Normen leisten. Ich sprach auch schon an, dass man viele gesetzliche Vorschriften im Laufe des Studiums nicht kennenlernen wird oder jedenfalls mal nicht auswendig können muss, sodass die wesentliche Arbeit immer noch bleibt: Wenn man eine Norm aufgefunden hat und denkt, dass die zur Lösung des Falles beiträgt, selbst zu erörtern, was diese Begriffe bedeuten könnten. Da ist sehr viel Argumentation gefragt. Damit ist die Frage verbunden: Was soll denn diese Vorschrift erreichen? Wie war das denn früher? Man hat eine historische Perspektive: Was genau, welchen Zweck hat der Gesetzgeber verfolgt? Wie fügt sich das denn in die Gesamtheit der gesetzlichen Vorschriften ein? Das Verfassungsrecht, das Europarecht, wie stehen die dazu? Und so, durch ein Hin und Her, durch ein Betrachten dieses Begriffes aus verschiedenen Blickwinkeln, entwickelt man eine Lösung, was nun unter diesem Begriff zu verstehen sein soll. Das empfinde ich alles andere als trocken, sondern es ist ein wunderbares Argumentieren. Zunächst einmal mit sich selbst; aber auch das kann sehr viel Freude bereiten, wenn man an einem Begriff so viel arbeiten kann. Das wiederum mag anderen als Klein-Klein erscheinen, aber ich denke, das macht einen großen Reiz der juristischen Arbeit aus. Diesen Reiz muss man nachempfinden können.

A. B.: Wenn man also für sich schon entschieden hat: Das Jurastudium ist genau das Richtige für mich. Kann man denn dann damit rechnen, dass man auch einen Platz bekommt? Der Studiengang ist ja in Tübingen zulassungsbeschränkt. Oder sollte man sich lieber einen Plan B zurechtlegen?

D. H.: Na, das kommt drauf an, ob man zur Not bereit ist, auch ein paar Semester zu warten, denn wir haben ja im Wintersemester immer 288 und im Sommer so rund 140 Studienplätze zu vergeben. Davon gehen immer ein paar ab für besondere Fälle: Nicht-EU-Ausländer, Härtefälle, Spitzensportler, Zweitstudierende. Und der Rest wird zu 90 Prozent nach einem Auswahlverfahren vergeben. Und da ist für die Verfahrensnote, also die Note, mit der man an diesem Verfahren teilnimmt, im Wesentlichen die Abinote relevant. Da hängt es dann davon ab, wie das Bewerberfeld aufgestellt ist. Wenn wir jetzt sehr viele gute Abiturientinnen und Abiturienten haben, die sich mit einem Einser-Schnitt bewerben, dann tut man sich mit einer 2,1 schwer, denn es wird letztlich zunächst diejenige oder derjenige mit der besten Note bedient, dann die Person mit der zweitbesten Note, dann die drittbesten und so weiter und so fort. So hängt es letztlich vom Bewerberfeld ab. Natürlich gibt es da gewisse Erfahrungswerte. Zum Wintersemester kann man sagen: Da liegt der Grenzwert immer so zwischen 2,0 und 2,3, aber da gibt es auch mal Ausreißer. Und wenn man es über die Verfahrensnote nicht schafft, dann kann man es gegebenenfalls über Wartesemester schaffen. Da reden wir so von zwei bis drei Wartesemestern.

A. B.: Und dann wäre für den Fall ein Plan B, zumindest für diese Zeit, schon mal nicht schlecht. Wir haben auch Studierende gefragt, ob sie schon eine Idee haben, was sie denn nach dem Studium beruflich machen wollen und hören uns jetzt mal an, was die Studierenden darauf geantwortet haben.

Berufsperspektiven (19:48)

Studi 1: Ich weiß noch nicht genau, was ich nach dem Studium machen möchte, weil ich gerne etwas im Völkerrecht machen würde und das schwierig ist. Das sind nicht die typischen juristischen Berufe.

Studi 2: Was in Betracht käme, wäre natürlich ein Richteramt oder Staatsanwalt. Das wäre dann schon wieder mehr die Richtung Strafrecht. Generell als Anwalt oder Richter ins Familienrecht zu gehen wäre eine Option. Was ich auch überlege, ist: Es gibt den Schwerpunkt Kriminologie, der mir sehr gut gefällt. Dass man eher in die Richtung geht und doch viel weniger in die, sagen wir mal traditionelle, juristische Richtung.

Studi 3: Wenn ich mir aussuchen dürfte, was ich nach dem Studium beruflich machen wollen würde, würde ich ganz klar sagen, dass ich eine Notarstätigkeit nachgehen wollen würde. Ich sehe mich aber auch sehr im Bereich des Erb- oder Familienrechts, weil das die Bereiche waren, die ich bisher am allerspannendsten fand.

Studi 4: Als Jurist kann man beispielsweise auch als Geschäftsführer in Verbänden oder in Unternehmen arbeiten und dort in der Rechtsabteilung. Also ich kann mir vorstellen, unterschiedliche Rollen zu begleiten. Aber wenn man mich momentan fragt, was meine größte Leidenschaft ist, dann vermutlich für den Anwaltsberuf.

C. J.: Das waren schon einige sehr unterschiedliche Berufsfelder, die genannt worden sind. Vielleicht gehen wir gleich mal auf die nicht ganz klassischen Berufsfelder ein. Jeder kennt den Beruf des Rechtsanwalts und des Richters. Und auch was ein Notar macht, haben wahrscheinlich viele mal gehört. Aber in welchen abwegigeren, Berufsfeldern kommen denn auch Absolventen und Absolventinnen unter?

D. H.: Vielleicht doch noch ganz kurz auf diese Klassischen eingehend: die überwiegende Anzahl der Absolventen und Absolventinnen geht in den Anwaltsberuf. Das muss man sagen. Wenn man von diesen klassischen Berufen absieht, gibt es sehr viele Möglichkeiten. Die sind auch schon angeklungen. Da war die Rede von Verbandstätigkeit. Wir haben beispielsweise in den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, z.B. bei Südwestmetall und bei der IG Metall, Juristinnen und Juristen, die dort einerseits Unternehmen oder Gewerkschaftsmitglieder beraten und auf der anderen Seite auch in der Leitung dieser Verbände tätig sind; dann auch vielleicht eher politisch. Wir haben darüber hinaus in anderen privatrechtlichen Organisationen Juristinnen und Juristen. Das können sein, was man sich so unter NGOs vorstellt, Amnesty International beispielsweise oder andere Menschenrechtsorganisationen, Umweltschutzverbände oder Verbraucherschutzverbände. Die beschäftigen auch Juristinnen und Juristen. In dieser Verbands- und NGO-Schiene kann man beruflich tätig werden. Man kann auch im Verwaltungsdienst tätig werden. Ganz klassisch auf dem Landratsamt beispielsweise oder auf dem Finanzamt als Sachgebietsleiterin oder -leiter etwa. Das heißt, da steigt man oftmals schon mit Personalverantwortung in den Beruf ein. Und neben dieser klassischen Verwaltungsschiene, wie ich es nennen möchte, also in der Innenverwaltung, Landratsamt, Regierungspräsidium oder in der Steuerverwaltung, gibt es eine Vielzahl von Behörden in Deutschland. Um ein paar zu nennen: die Agentur für Arbeit, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Landesämter für Verfassungsschutz, auch Polizeibehörden. Die Bundeswehr beschäftigt Juristinnen und Juristen, die verschiedenen Ministerien beschäftigen Juristinnen und Juristen. Da gibt es ein sehr breites Spektrum. Auch im Staatsdienst und im privatwirtschaftlichen Bereich kann man viele Dinge nennen. Schon angeklungen sind Unternehmensleitungen etwa. Man sagte früher: Was eine ordentliche Aktiengesellschaft ist, hat mindestens einen Juristen – und damals sagte man eben noch Juristen - im Vorstand. Aber natürlich beschäftigen Unternehmen nicht nur Juristinnen und Juristen in der Führungsebene, sondern vor allen Dingen auch in ihren Rechtsabteilungen, in ihren Compliance Abteilungen, in ihren Steuerabteilungen, in ihren HR-Abteilungen, bei Versicherungen, auch in der Schadensregulierung, bei Banken, im Forderungsmanagement. Da finden wir überall Juristinnen und Juristen. Und wir finden sie natürlich auch noch in Bereichen, die wir gar nicht so auf dem Schirm haben, z.B. im Bereich des Journalismus, nicht unbedingt nur als Gerichtsreporterin oder Gerichtsreporter, sondern auch als politische Korrespondenten etwa.

A. B.: Also da klingt dann doch ein bisschen durch, dass alle Türen offenstehen, wenn auch nicht die OP-Tür, um nochmal darauf zurückzukommen. Ich habe mich jetzt noch gefragt, wir sind schon so weit durch das Studium gegangen, dass wir von einem ersten und einem zweiten Staatsexamen sprechen: Braucht es denn für alle dieser Berufe auch das zweite Staatsexamen? Oder wäre man für einen Teilbereich auch schon nach dem ersten Staatsexamen fertig?

D. H.: Das ist so, dass die erste juristische Prüfung kein berufsqualifizierender Abschluss ist. Die gibt einem letztlich erstmal nur die Möglichkeit, in den Vorbereitungsdienst zu gehen. Und erst wenn man den abgeschlossen hat, hat man die Befähigung zum Richteramt. Und die ist Voraussetzung für die Tätigkeit als Rechtsanwältin, als Staatsanwältin, als Richterin, als Notarin. Sie eröffnet darüber hinaus, wenn es auch nicht der einzige Weg ist, die Möglichkeit, in den höheren allgemeinen Verwaltungsdienst zu gehen. Darüber hinaus, wenn man jetzt nur das erste Staatsexamen hat, gibt es auch Möglichkeiten tätig zu werden, z.B. bei Versicherungen oder bei Banken, vielleicht auch in Unternehmen in einer HR-Abteilung oder so etwas. Nur muss man immer wissen, dass man dort auch mit Volljuristinnen und Volljuristen, also mit denen, die das zweite Staatsexamen haben, konkurriert und letztlich dann doch die schlechteren Karten hat.

C. J.: Kann oder muss man dann auch während des Studiums schon Praxiserfahrungen sammeln?

D. H.: Ja, in gewissem Umfang ist es so, dass man für die Zulassung zur Staatsprüfung in der ersten juristischen Prüfung tatsächlich drei Monate Praktika in der vorlesungsfreien Zeit nachweisen muss. Darüber hinaus kann man auch mehr machen, aber das ist oftmals schwer unterzukriegen. Denn wie wir schon erfahren haben, ist es ein Studium, das einen auch zeitlich gesehen relativ in Anspruch nimmt.

C. J.: Ja wow, das war ein ganz schön großer Blumenstrauß an verschiedenen Berufsmöglichkeiten. Da muss wahrscheinlich jeder für sich selbst seinen Schwerpunkt irgendwie finden oder seine Leidenschaft. Sie hatten schon gesagt, dass die meisten oder sehr viele als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt tätig werden, auch da in verschiedenen Bereichen. Da brauche ich wahrscheinlich irgendwann eine Expertise in einer bestimmten Fachrichtung.

A. B.: Welche Voraussetzungen sollte man denn als Studienanfänger:in mitbringen? Also welche Kompetenzen und Fähigkeiten sind wichtig für ein Jurastudium?

D. H. Für das Studium sollte man, zunächst mal, und das sollte an allererster Stelle stehen, ein entsprechendes Interesse gerade an politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen mitbringen. Man sollte auch ein logisches Denkvermögen mitbringen, das kann man sich an guten Noten in Mathematik und Physik herleiten, die könnten dafür ein Indikator sein. Ob sie es sind oder nicht: zwingend sicherlich nicht, aber es gibt jedenfalls eine gewisse Koinzidenz, sag ich mal. Und man sollte Sprachgefühl mitbringen. Das heißt, man sollte schreiben können, keine blumigen Texte, nichts Ausschweifendes, sondern man soll kurz, präzise und knapp formulieren können. Und man soll auf der anderen Seite auch mit Texten, die einem selbst vorliegen, umgehen können, die Bedeutungen des Textes ergründen können. Das heißt ein Gefühl dafür zu haben, für Sprache. Das sind, denke ich, die drei am besten beschreibbaren Voraussetzungen. Darüber hinaus benötigt man aber sicherlich noch eine weitere oder eine Reihe weiterer Kompetenzen. Also man benötigt ein gewisses Sitzfleisch. Man muss auch in der Lage sein, mal acht Stunden am Tag, oder regelmäßig acht Stunden am Tag, am Schreibtisch sitzen zu können und sich konzentrieren zu können. Das kann man zu einem gewissen Grad auch lernen. Man sollte ein gewisses Durchhaltevermögen, eine gewisse Ausdauer mitbringen. Und man sollte auch die Fähigkeit mitbringen, auch mit Rückschlägen umgehen zu können.

A. B.: Ja, das war soweit ein ganz guter Rundumschlag rund um das Jurastudium. Christoph, hast du noch irgendwelche Fragen offen?

C. J.: Ich glaube momentan nicht. Nein.

A. B.: Gut, dann sage ich: Vielen Dank, Herr Höfer, dass Sie da waren und sich Zeit genommen haben, alle Fragen zu beantworten.

D. H.: Ja, ich bedanke mich auch ganz herzlich, dass ich heute hier sein durfte und mit Ihnen sprechen durfte und die Gelegenheit hatte, Studieninteressierte Schülerinnen und Schüler über das Jurastudium zu informieren. Das ist uns immer ein sehr großes Anliegen, denn das ist eine wichtige Entscheidung, die in diesem Lebensabschnitt man zu treffen hat. Die sollte man möglichst gut informiert treffen. Gerade wenn es darum geht, ein Studium wie das Jurastudium aufzunehmen, was doch, wie wir gehört haben, relativ lange dauert.

A. B.: Ja, da sind sie dann auch ein guter Ansprechpartner. Ansonsten an alle Hörerinnen und Hörer, wenn es noch weitere Fragen gibt, oder Anregungen und Kritik: Wir verlinken unseren Kontakt in den Shownotes und auch weitere Informationen sind dort zu finden. Und wir hören uns beim nächsten Mal!

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Daniel Höfer über die folgenden Themen: 
01:12 Persönliche Motivation
04:43 Studieninhalte
14:12 Persönliche Voraussetzungen
19:48 Berufsperspektiven

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen oder direkt bei der Studienfachberatung für Jura. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #02: Evangelische Theologie

Wie viele alte Sprachen muss ich im Theologiestudium lernen? Und wie wichtig ist mein Glaube für das Studium? Über diese und andere Fragen sprechen wir mit unserem Studiogast Professor Dr. Volker Leppin zum Studienfach Evangelische Theologie. Außerdem berichten Tübinger Studierende über ihre Beweggründe für ein Theologiestudium, was sie an ihrem Studium begeistert und wohin sie beruflich damit möchten.

Listen
Alexandra Becker (A. B.): Herzlich Willkommen bei „hochschulreif", dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch hier in jeder Folge ein Studienfach vor, damit Ihr Euch vorstellen könnt, was Euch im Studium etwa erwartet. Wir, das sind mein Kollege Christoph Jäckle und ich, Alexandra Becker. Hallo Christoph!

Christoph Jäckle (C. J.): Hallo Alex!

A. B.: Wir beide sind vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen und laden uns in jeder Folge einen Gast ein, mit dem wir über das jeweilige Fach sprechen. Heute dreht sich alles um das Fach Evangelische Theologie. Dazu haben wir uns Professor Volker Leppin eingeladen. Volker Leppin lehrt am Institut für Spätmittelalter und Reformation den Bereich Kirchengeschichte. Damit ist er also genau richtig hier bei uns. Hallo Herr Leppin!

Prof. Dr. Volker Leppin (V. L.): Hallo, vielen Dank für die Einladung!

A. B.: Schön, dass Sie heute da sind! Herr Leppin, wir sind schon wahnsinnig gespannt, warum Sie sich damals für Evangelische Theologie entschieden haben. Lassen Sie uns aber zunächst hören, was Studierende auf diese Frage geantwortet haben.

Persönliche Motivation (01:05)

Studi 1: Ich habe mich schon immer für Philosophie, alte Kulturen und christliche Bräuche interessiert und ich habe mich gerne mit biblischen Texten beschäftigt.

Studi 2: Der Hauptgrund ist mein Glaube. Er macht einen großen Teil von meinem Leben aus. Das war für mich eine Motivation und ein Grund, dieses Fach zu studieren, dass ich einfach noch mehr darüber lernen kann.

Studi 3: Mein Religionslehrer hat mir damals eine Informationsbroschüre für die Abi-Info-Tagung des Evangelischen Stifts gegeben. Dort war ich absolut begeistert von dem Studiengang.

Studi 4: Ich war schon immer sehr engagiert, beispielsweise in der Kinderkirche bei uns in der Gemeinde. Auch in der Schule war Religion immer mein Lieblingsfach. Außerdem kam unser Pfarrer in der Gemeinde auf mich zu und hat nachgefragt, ob das nicht etwas für mich wäre.

C. J.: Das waren schon ein paar spannende, persönliche Beweggründe für das Studium. Herr Leppin, können Sie sich noch daran erinnern, was bei Ihnen den Ausschlag gegeben hat? Warum haben Sie sich für das Studienfach Evangelische Theologie entschieden?

V. L.: Das fängt erst einmal ganz langweilig an. Ich bin Pfarrerssohn. Es lag nahe, an die Theologie zu denken. Das war aber nicht der einzige Grund. Ich bin in Marburg aufgewachsen. In einer Stadt, die damals in den 80er Jahren eine sehr starke intellektuelle Präsenz von atheistisch denkenden Menschen hatte. Viele meiner Mitschüler und Mitschülerinnen waren selbst ausdrücklich Atheisten. Wir sind in sehr intensive, interessante Diskussionen gekommen. Dann dachte ich mir, ich will es jetzt genauer wissen. Ich will wissen, stimmt das: Wissenschaftlich kann man nicht glauben? Oder ist nicht vielleicht doch etwas dran? Nach ein paar Jahren Theologiestudium würde ich sagen, es ist etwas dran.

C. J.: Wären für Sie damals auch noch andere Fächer infrage gekommen? Denn man hätte auch sagen können, ich schaue mir diesen Gegenstand von einer anderen Perspektive aus an und studiere Philosophie.

V. L.: Tatsächlich wäre die andere Möglichkeit ganz weit weg gewesen. Ich habe viel über Mathematik nachgedacht. Ich hatte Mathe im Leistungskurs. Dann habe ich überlegt: In welchem Studiengang lerne ich Dinge oder beschäftige ich mich mit Dingen, die viel mit mir zu tun haben? Ich dachte, das ist in der Theologie eher der Fall als in Mathematik.

C. J.: Sie haben, wenn ich das richtig weiß, selbst während Ihres Studiums auch Zeit im Ausland verbracht. Ist das denn üblich bei einem Studium der Evangelischen Theologie?

V. L.: Gerade bei uns in Tübingen gibt es viele Studierende, die das machen. Wir haben auch sehr viele Austauschprogramme über unterschiedliche Institutionen. Die Fakultät, auch das vorhin genannte Evangelische Stift vermitteln Auslandsstudiengänge und das weitet den Horizont. Wir lernen dann in anderen Kontexten kennen, wie die Dinge, mit denen man sich hier beschäftigt, auch mal ganz anders angeschaut werden können.

A. B.: Da bin ich jetzt aber auch neugierig, wo Sie waren. Erzählen Sie doch mal!

V. L.: Ich war ein Jahr in Jerusalem. Das war dort eine Institution, ein Kloster, die Dormitio Abtei, das deutschsprachig besetzt ist, und einen Studiengang für deutsche Studierende ermöglicht hat. So hatten wir nicht den Aufwand, wie es bei anderen Studiengängen in Israel der Fall ist, modernes Hebräisch lernen zu müssen. Wir hatten aber viele Kontakte im Land und haben das Land durch viele Reisen erkundet. Es war ein unglaublich inspirierendes Jahr.

C. J.: Es wurde jetzt auch schon zweimal das Evangelische Stift genannt und ich kann mir vorstellen, dass viele unsere Zuhörerinnen und Zuhörer das gar nicht kennen. Können Sie uns kurz etwas dazu sagen?

V. L.: Das Evangelische Stift ist eine Einrichtung mit fast 500 jähriger Geschichte. In der Zeit der Reformation für den Nachwuchs, insbesondere von Theologen – damals noch nicht für Theologinnen, inzwischen aber auch für Theologinnen – im damaligen Herzogtum Württemberg gegründet. Diese Institution hat durchgehalten und wird heute von der Landeskirche Württemberg finanziert und getragen. Sie gibt Stipendien aus für Studierende, die in Württemberg Pfarrer/Pfarrerinnen oder Lehrer/Lehrerinnen werden wollen. Es ist nicht das einzige Wohnheim, dass sehr stark auf Theologie ausgerichtet ist. Es gibt auch das Albrecht-Bengel-Haus. Das ist ein Wohnheim, das mit einem sogenannten evangelikalen Hintergrund gegründet worden ist. Also mit einer bestimmten Haltung, die das Verhältnis zu der akademischen Theologie in den eigenen Einrichtungen des Albrecht-Bengel-Hauses noch einmal diskutiert und da Studierende aus ganz Deutschland in diesem Haus sammelt.

C. J.: Und wie muss ich mir das vorstellen, wenn ich da als Studierender wohne? Ist es dann ein reines miteinander Wohnen oder werden dort auch Gesprächsrunden angeboten? Gibt es dort auch Lehreinheiten? Oder es ist tatsächlich einfach nur gemeinschaftliches Wohnen von Studierenden der Theologie?

V. L.: In beiden Häusern gibt es noch eigene Lehrveranstaltungen, die zusammen mit den anderen, die dort wohnen, besucht werden können. Ein eigenes Programm. Dazu kommt auch: die Leute, die dort studieren, die treffen von morgens bis abends Studierende, die am selben Thema sitzen. Das merken wir in der Fakultät. Das sind Menschen, die legen die Theologie nicht ab, wenn das Seminar beendet ist, sondern sie sind weiter im Gespräch und tragen die Frage weiter, wie es jetzt eigentlich mit den theologischen Themen steht.

C. J.: Also ein schönes, besonderes Angebot in Tübingen, wenn man Theologie studiert und die Möglichkeit hat, dort auch zu wohnen.

V. L.: Da ist Tübingen wirklich ausgezeichnet aufgestellt mit diesen Wohnhäusern. Und dazu gibt es natürlich auch viele, die in der Stadt verteilt sind. Es kann auch sein, dass man sagt, ich möchte mal andere Menschen treffen. Ich möchte vielleicht mal Mathematiker und Juristinnen treffen. Dazu ist die Möglichkeit in Tübingen genauso da.

C. J.: Wir haben Studierende auch gefragt, wie denn ihr Studienalltag so aussieht. Hören wir uns das doch mal an.

Studieninhalte (06:31)

Studi 1: Ich bin im ersten Semester bzw. ich fange jetzt mein zweites an, deshalb sieht bei mir der Studienalltag noch nach sehr viel Sprachenlernen aus.

Studi 2: Eine typische Studienwoche sieht bei mir so aus, dass ich die meisten Veranstaltungen zwischen Montag und Donnerstag habe. Die Vorlesungen finden in der Regel vormittags statt, während die Seminare und Übungen nachmittags stattfinden. Im Gegensatz zum Schulunterricht, ist es im Studium so, dass man sich genug Zeit einplanen sollte, um vor- und nachzubereiten.

Studi 3: Insgesamt finde ich, steckt meine Studienwoche in der evangelischen Theologie voller Austausch, teilweise persönlichem Austausch in Lerngruppen oder Vorbereitungsgruppen mit anderen Studenten.

A. B.: Jetzt haben wir gehört, wie Studierende hier ihren Studienalltag organisieren. Und da stellt sich natürlich die Frage: Was ist das inhaltlich? Welche Fachbereiche gibt es, wenn man mit der evangelischen Theologie beginnt?

V. L.: Der Beginn, das wurde schon eben von der einen Kommilitonin angesprochen, besteht meistens erst einmal darin, sich die alten Sprachen anzueignen. Es wird kaum jemanden geben, der oder die Latein, Griechisch und Hebräisch vom Abitur mitbringt. Manche bringen Latein mit, ganz wenige noch zusätzlich Griechisch, sodass erstmal diese Sprachen nachgeholt werden müssen, um dann vorbereitet zu sein auf diese unterschiedlichen Fachbereiche. Wir haben zum einen zwei Fachbereiche im Feld der biblischen Wissenschaft: Altes und Neues Testament. Da geht es darum, diese Texte im Original und in ihrem religionsgeschichtlichen Kontext kennenzulernen. Also zu schauen: Was steckt dahinter, dass es die Sinnflutgeschichte gibt und schon eine viel ältere mesopotamische Geschichte, in der auch so etwas Ähnliches vorkommt wie die Sintflut? Wie kommt das? Wie rutscht das in die Bibel hinein? Dann gibt es den Bereich, den ich selbst vertrete, die Kirchengeschichte, wo es darum geht, die zweitausend Jahre Entwicklung des Christentums seit den Anfängen verstehend nachzuvollziehen. Unter anderem auch die Frage, warum haben wir heute unterschiedliche Konfessionen? Warum haben wir in Tübingen nebeneinander eine evangelische und eine katholische Fakultät? Das hat historische Hintergründe. Und natürlich hat das auch aktuelle Gründe. Da sind wir im Bereich der systematischen Theologie, wo es darum geht zu sehen: Wie steht das Christentum eigentlich heute da? Wie kann man heute das Christentum verstehend wissenschaftlich erklären und durchbuchstabieren? Eine Studentin hatte vorhin gesagt: „Ich habe mich schon immer für Philosophie interessiert." Die wird wahrscheinlich viel Spaß an der systematischen Theologie haben, wo es auch darum geht, Theologie philosophisch zu reflektieren. Und dann gibt es noch den Bereich der Praktischen Theologie, in dem darüber nachgedacht wird, wie sind die Arbeitsfelder – die klassischen Arbeitsfelder Pfarramt und Lehramt – in der heutigen Gesellschaft? Auch, was bedeutet es heutzutage, am Sonntagvormittag Verkündigung zu betreiben, wenn man vielleicht in Sachsen oder Thüringen in einem Umfeld ist, in dem den allermeisten Menschen dieser Sonntag nichts Religiöses mehr sagt?

A. B.: Sie haben schon die Sprachen angesprochen. Das ist auch ein Feld, das nach sehr viel Arbeit klingt. Und man könnte ja fragen, wozu denn diese ganzen alten Sprachen, die niemand mehr spricht, wenn doch eigentlich alles schon übersetzt ist? Was würden Sie sagen, warum ist es wichtig, diese Sprachen zu können?

V. L.: Ich beobachte gerade an der jetzigen Generation, die jetzt ins Studium kommt, dass sie beneidenswerterweise über Sprachen verfügen, wenn es beispielsweise darum geht, Filme zu gucken. Ich sehe das bei vielen jungen Menschen. Wenn die wissen, da ist ein Film ursprünglich auf Englisch gedreht, dann gucken sie den auch lieber auf Englisch, weil da mehr Geschmack des Originals drin ist, weil man mehr mitkriegt, wie das ursprünglich tatsächlich gedacht und gefühlt worden ist, obwohl es den Film auch synchronisiert gibt. Diese Synchronisation kann meistens das Original nicht wirklich voll wiedergeben. Und so ähnlich ist es mit dem biblischen Text auch, ganz besonders beim Alten Testament. Die hebräische Sprache funktioniert ganz anders als die deutsche Sprache, ist in der grammatischen Struktur ganz anders. Aber auch beim Neuen Testament; das Griechische hat andere Möglichkeiten zu differenzieren. Wenn ich also ganz genau verstehen will, worum es geht, dann kann ich mich auf keine Übersetzung, sie mag noch so gut sein, verlassen, sondern dann muss ich in das Original schauen. Im Lateinischen gilt dann sogar, dass viele der lateinischen Texte nicht übersetzt sind. Und natürlich gilt genauso für das Lateinische, das ich genauer verstehe, wenn ich in das Original hineinschaue.

A. B.: Das war ein schönes Beispiel mit dem Film. Vielleicht kennt das der ein oder andere auch, dass man manchmal merkt, wenn Ironie so ganz seltsam ins Deutsche übersetzt ist und im Englischen, wie Sie das auch als Beispiel genannt haben, das nochmal ganz andere Bedeutungsnuancen hat. So kann ich mir das auch gut vorstellen.

C. J.: Schön, Sie hatten ja verschiedene Fachbereiche, verschiedene Disziplinen schon genannt, wie einen historischen Zugang, einen philosophischen Zugang. Können Sie an ein, zwei kleinen Beispielen – vielleicht ein Seminar, ein Thema oder eine konkrete Fragestellung – kurz erklären, wie so ein methodischer Zugang ist? Mit welchen konkreten Fragen beschäftige ich mich zum Beispiel, wenn ich kirchenhistorisch ein Seminar besuche oder philosophisch in dem Bereich unterwegs bin?

V. L.: Also kirchenhistorisch kann ein Thema sein: Die Mystik von Frauen im Mittelalter. Was sind das für Texte, was sind das für Gestalten, die davon ausgehen, es gibt eine intensive Einigung mit Gott? Gott kommt in mein Leben, kommt sogar in meinen Körper hinein, kommt in meine Seele hinein. Wie drücken diese Frauen sich aus? Das kann ein Seminarthema sein. Ein ganz anderes Seminarthema im Bereich Systematische Theologie am Übergang zur Religionsphilosophie kann sein: Gottesbeweise. Kann ich überhaupt die Existenz Gottes beweisen? Wie hat das Anselm von Canterbury versucht? Wieso hat Immanuel Kant gesagt, mit dem Gottesbeweis sieht es eher schwierig aus? Wie kommt es, dass trotzdem noch im 20. und 21. Jahrhundert Religionsphilosophen sagen, es gibt die Möglichkeit, Gott zu beweisen? Das wird dann jeweils anhand der entsprechenden Texte durchdiskutiert. Und um vielleicht dann doch noch das dritte Feld mit der Exegese, mit den biblischen Fächern, zu öffnen. Da kann ein Thema etwa sein: Wie ist das Verhältnis des Apostels Paulus zu seinen Gemeinden? Wir kennen aus der Bibel einen Römerbrief, wir kennen zwei Korintherbriefe. Wie sieht das in den Gemeinden aus, wenn Paulus schildert, da wird auf eine bestimmte Weise das Abendmahl gefeiert? Was steht sozial dahinter, dass die Leute offensichtlich Schwierigkeiten damit haben, ihr Essen irgendwo hinzubringen und gemeinsam zu essen? Da sind Arme und Reiche beieinander. Daraus kann man Rückschlüsse auf die soziale Situation der Gemeinden ziehen.

C. J.: Zusammengefasst, im Endeffekt sind es dann textwissenschaftliche Zugänge, es sind gesellschaftliche Zugänge, historische Zugänge. Je nachdem eben, aus welchem Bereich man sich das jeweilige Thema genau erschließt?

V. L.: Das Methodenspektrum ist tatsächlich sehr, sehr breit. Auch das Feld, was man abschreitet. Es geht vom Alten Orient im zweiten, dritten Jahrtausend vor Christus bis in die unmittelbare Gegenwart mit soziologischen Theorien der Gegenwart. Es ist schon – nicht ein Rundumschlag, das klingt ein bisschen blöd – es ist eine Tour, die durch viele, viele Wissensfelder hindurchführt.

A. B.: Wie ist das denn, wenn man sich so ganz wissenschaftlich der Theologie annähert? Sie haben schon angesprochen, der eigene Glaube spielt auch eine Rolle bei den meisten Studierenden, vielleicht auch bei allen. Was passiert, wenn man mit seinem Glauben ins Hadern kommt? Passiert das vielen? Haben Sie, das schon miterlebt?

V. L.: Das passiert jedenfalls einigen, gehört vielleicht in gewisser Weise insgesamt dazu, dass man mindestens kleine Krisen hat. Und bei manchen wächst es sich zu großen Krisen aus, die dann auch ganz unterschiedlich ausgehen könnten. Das Erste, was passieren sollte, ist natürlich, dass man sich an Freunde, Freundinnen, vielleicht Lehrende an der Fakultät wendet und offen das Gespräch sucht und sagt, hier und da habe ich Schwierigkeiten. Mit einem selbst, kann es den Weg finden, – das habe ich leider erlebt – dass Menschen sagen, ich kann jetzt nicht mehr hinter dem Theologiestudium stehen. Das ist dann persönlich schwierig für die Personen, oft muss man aber sagen, auch ein Stück Persönlichkeitsentwicklung. Die Menschen sagen sich dann, jetzt habe ich eine Position gefunden, wenn auch eine andere, als ich vor ein paar Jahren dachte. Bei den allermeisten ist es der Fall, dass der eigene Glaube reift. Wenn ich in der Lage bin, Dinge genauer zu verstehen, genauer zu begründen und merke mein Glaube sitzt doch noch einmal tiefer als etwa die Frage, ist jetzt dieser Brief tatsächlich vom Apostel Paulus geschrieben oder nicht. Wir gehen heute davon aus, dass etwa die Briefe an Timotheus, die auf Paulus zurückgeführt werden, biblisch tatsächlich nicht von ihm stammen. Das kann manche sehr irritieren. Die Frage ist aber, hängt mein Glaube daran fest? Ist das wirklich die Frage? Und wenn ich dazu dränge zu sehen, mein Glaube sitzt noch einmal tiefer, dann ist das ein ganz wichtiges Stück der eigenen Entwicklung.

C. J.: Wir haben auch Studierende gefragt, welche persönlichen Voraussetzungen sie mitbringen beziehungsweise was sie am Studium so begeistert. Vielleicht hören wir da mal kurz herein.

Persönliche Voraussetzungen (15:42)

Studi 1: Mich begeistert, dass man sich in seinem Studium mit der Bibel beschäftigen kann und da einfach so viel drüber lernen kann und sich mit so vielen wichtigen zentralen Lebensfragen auseinandersetzt.

Studi 2: Ich habe evangelische Theologie online angefangen zu studieren und habe im Vergleich zu meinen anderen Lehramtsfächern sehr schnell gemerkt, dass in der evangelischen Theologie doch die größte Offenheit unter den Studierenden da ist und ich sehr viele neue Leute kennengelernt habe, auch online.

Studi 3: Ich finde, es ist ein echt schönes Studium für mich, weil ich meinen Interessen nachgehen kann. Theologie ist außerdem sehr vielfältig, also von der Kirchengeschichte hin bis zur Auslegung und Übersetzung der Bibel ist wirklich alles mit dabei.

Studi 4: Zusammengefasst kann man sagen, wenn man evangelische Theologie studiert, hat man ein sehr abwechslungsreiches, ein sehr freies, aber auch ein sehr wissenschaftliches Studium und man sich auf jeden Fall mit kritischen Fragen auseinandersetzen wird.

C. J.: Also was ich bei all den Aussagen von Studierenden raushöre, ist, dass ganz viele einen sehr persönlichen Zugang zu diesem Studium haben und sich das von anderen Studienfächern unterscheidet. Ich glaube, weil viele sich durch diesen gemeinsamen Glauben und auch das gemeinsame Diskutieren mit ganz persönlichen Fragen auseinandersetzen.

V. L.: Das ist definitiv so. Und wir hatten ja eben schon das Thema, was macht das mit mir? Haben von der Krise her gedacht. Aber es gibt den großen, breiten, normalen Weg, in dem jede wissenschaftliche Frage und jede wissenschaftliche Antwort in irgendeiner Weise doch etwas mit meinem Glauben zu tun hat und ich mich persönlich dazu stellen muss. Das macht dieses Studium faszinierend. Das macht das wirklich zu einer Reise der eigenen Lebensentwicklung.

C. J.: Es ist vermutlich nicht zwingend nötig, selbst evangelisch zu sein und selbst einen starken Glauben zu haben. Aber wahrscheinlich haben es die meisten Studierenden, oder?

V. L.: Formalrechtlich ist es tatsächlich so, dass man für die Abschlüsse Mitglied einer evangelischen Kirche sein muss. So sind die Regelungen in Deutschland. Was das Inhaltliche angeht, gibt es eben auch unter denjenigen, die Mitglieder in der Kirche sind, natürlich diejenigen, die näher dran sind, und diejenigen, die mehr Distanz haben. Und diejenigen, die mehr Distanz haben, das sind nicht die schlechtesten.

C. J.: Muss ich mich schon ganz früh festlegen, ob ich Richtung Lehramt gehen möchte oder ob ich mir eventuell auch eine Arbeit als Pfarrer vorstellen kann oder in einem ganz anderen Bereich?

V. L.: Es gibt immer Wechsel und Wechselmöglichkeiten. Viele Veranstaltungen sind für beide Studiengänge nutzbar. Den größten Unterschied macht wahrscheinlich das Lernen des Hebräischen aus. Für das Lehramt muss man nicht Hebräisch lernen. Das heißt, man hat dann auch alttestamentliche Veranstaltungen, die auf den deutschen Text zurückgreifen und nicht auf den hebräischen. Das müsste man dann, wenn man vom Lehramt Richtung Pfarramt wechselt, noch einmal ändern.

A. B.: Jetzt haben wir schon durch die verschiedenen Studiengänge, die es in dem Fach gibt, das ein oder andere berufliche Feld kennengelernt. Vielleicht können wir uns da anhören, was Studierende denn so für Pläne haben, was sie nach dem Studium machen möchten.

Berufsperspektiven (18:56)

Studi 1: Ich möchte vor allem Religionslehrerin werden. Ich finde es so schön, wenn man in das Klassenzimmer reingehen kann und die Schüler erst einmal ankommen dürfen. Das ist ein Fach, wo es wirklich um die Schüler geht und gar nicht groß um die Leistungen.

Studi 2: Nach dem Studium möchte ich gern in das Vikariat gehen. Das ist eine praktische Ausbildung für angehende Pfarrerinnen. Ich möchte Pfarrerin werden seit meiner Konfirmation.

Studi 3: Eine Möglichkeit, die ich mir eventuell auch vorstellen kann, ist, eine Weiterbildung zur Schulseelsorge zu machen. Das heißt, da noch tiefer zu gehen.

A. B.: Man merkt schon an den Tönen, dass Pfarrer/Pfarrerin oder Lehrer/Lehrerin wohl überwiegt. Was kann man denn außerhalb dieser Bereiche noch machen?

V. L.: Das sind im Grunde dann individuelle Entwicklungen, die auf diesen klassischen Berufsfeldausbildungen aufbauen. Es sind viele Theologinnen und Theologen etwa in den Bereich von Stiftungen gegangen, wo es um gesellschaftliche Betrachtung geht. Es gibt viele, die im Verlagswesen arbeiten. Es gibt tatsächlich auch Personen, die in der freien Wirtschaft im Personalmanagement arbeiten. Auch deswegen, weil Theologie als ein Fach gilt, in dem man relativ viele unterschiedliche Horizonte wahrnimmt, und das hilft im Personalmanagement. Insofern gilt Theologie auch von der Arbeitgeberseite als ein Studium, das für relativ viele Kompetenzen ausbildet, ohne, dass man sagen kann, von Theologie her ist, außerhalb von Kirche und Schule, genau das das Feld, in dem man arbeiten kann.

C. J.: Ist es verpflichtend, während des eigenen Studiums schon Praxiserfahrung zu sammeln? Muss man Praktika machen?

V. L.: Also im Lehramt ist es sogar so, dass wir in Tübingen ein Praxissemester haben, in dem die Studierenden tatsächlich intensive Erfahrungen mit der Schule machen. Im Pfarramt ist es auch so, dass ein Praktikum mindestens in einer Gemeinde erwartet wird. Dazu wird gerade vonseiten der württembergischen Landeskirche erwartet, dass in der Regel schon vor dem Studium praktische Erfahrungen im Sinne eines FSJ oder dergleichen gemacht werden, dass man also nicht allein den intellektuellen Weg wählt.

C. J.: Und machen auch viele Studierende ein Auslandssemester?

V. L.: Das machen sehr viele. Die meisten natürlich im englischsprachigen Ausland, weil es sich von der Sprache her ergibt. Aber wir haben von Tübingen aus beispielsweise auch Verbindungen mit der protestantischen Fakultät in Straßburg. Das heißt, wer im Französischen fit ist, hat dort wunderbare Möglichkeiten. Wir haben viele Studierende, die nach Rom gehen. Wir haben die Studierenden, die nach Israel gehen, also auch diejenigen, die dort auf Ivrit, dem modernen Hebräisch, studieren. Die kriegen bei uns in der Fakultät auch Kurse in modernem Hebräisch, sodass sie da schon einigermaßen vorbereitet sind. Das nutzen sie und in der Regel kommen begeistert zurück.

A. B.: Wechseln viele während des Studiums die Hochschule und ist das wichtig in der evangelischen Theologie?

V. L.: Es ist jedenfalls gut, mal zu wechseln, ein oder zweimal zu wechseln, weil man dann noch einmal lernt, dass man das, was man in Tübingen als selbstverständlich gelernt hat, vielleicht in Greifswald, Göttingen oder in Münster auf ganz andere Weise betrachtet. Das gehört auch mit dazu, dass man in Geisteswissenschaften immer von einer bestimmten Perspektive her Dinge betrachtet, dass die Methode bestimmte Perspektiven enthält und da sind die Standorte jeweils unterschiedlich. Also es empfiehlt sich, für den eigenen Weg zu wechseln. In der Theologie ist das Wechseln auch relativ einfach. Dadurch, dass die evangelische Kirche in Deutschland eine Rahmenordnung für die kirchlichen Abschlüsse erlassen hat, orientieren sich die verschiedenen Fakultäten tatsächlich in etwa an demselben Lehrplan.

A. B.: So lernt man dann unterschiedliche Denkschulen kennen.

V. L.: Genau und wird dadurch auch kräftig herausgefordert.

C. J.: Ich glaube, ich habe keine weitere Frage momentan. Alex, wie ist es bei dir?

A. B.: Also für mich sind alle Fragen bestens beantwortet.

V. L.: Okay, prima.

C. J.: Klasse, ja, dann sage ich ganz lieben Dank, Herr Leppin, dass Sie da waren und dass Sie uns so viel Spannendes über das Studium der evangelischen Theologie berichtet haben. Ich hoffe, Ihr Hörerinnen und Hörer konntet einiges mitnehmen für Euch, falls Ihr Euch für das Studium interessiert. Und falls Ihr noch Fragen habt, schreibt uns eine E-Mail, die findet Ihr bei uns in den Shownotes und ansonsten ganz lieben Dank und…

A. B.: …bis zum nächsten Mal!

V. L.: Genau. Und an die Hörenden, fragen Sie auch gerne direkt in der Evangelisch-Theologischen Fakultät nach, auch da werden Sie immer Antwort bekommen. Wir freuen uns über Ihr Interesse und freuen uns auf Sie!

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Volker Leppin über die folgenden Themen: 
01:05 Persönliche Motivation
06:31 Studieninhalte
15:42 Persönliche Voraussetzungen
18:56 Berufsperspektiven

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an:


Folge #01: Germanistik / Deutsch

Ist Germanistik eigentlich ein "Laberfach"? Und was macht man später überhaupt damit? Die Antworten auf diese und viele weitere Fragen erfahrt ihr in unserer ersten Folge von "hochschulreif". Für das Studienfach Germanistik/Deutsch haben wir Professorin Dr. Annette Gerok-Reiter eingeladen. Mit ihr sprechen wir unter anderem darüber, was sie selbst zum Studium motiviert hat, was ihr im Studium so alles lernt und in welchen Berufsfeldern Germanistinnen und Germanisten arbeiten können. Zu allen Themen hört ihr auch Statements von Tübinger Studierenden.

Listen
Alexandra Becker (A. B:): Herzlich willkommen bei „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch hier in jeder Folge ein Studienfach vor, damit ihr Euch vorstellen könnt, was Euch im Studium etwa erwartet. Wir, das sind mein Kollege Christoph Jäckle und ich, Alexandra Becker. Hallo Christoph!

Christoph Jäckle (C. J.): Hallo Alex!

A. B.: Wir beide sind vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen und laden uns in jeder Folge einen Gast ein, mit dem wir über das jeweilige Fach sprechen. Heute dreht sich alles um das Fach Germanistik. Dazu haben wir uns Professorin Annette Gerok-Reiter eingeladen. Annette Gerok-Reiter lehrt die deutsche Literatur des Mittelalters und hat sogar selbst an der Uni Tübingen studiert. Damit ist sie heute genau richtig hier bei uns. Frau Gerok-Reiter wir freuen uns, dass Sie heute da sind.

Prof. Dr. Annette Gerok-Reiter (A. G-R.): Ja, schön, ich freue mich auch.

Persönliche Motivation (0:53)

A. B.: Wir sind schon sehr gespannt zu hören, warum Sie Germanistik studiert haben. Zuvor haben wir Studierende gefragt, warum sie sich für das Deutschstudium entschieden haben. Und Folgendes haben wir gehört:

Studi 1: Darauf habe ich wahrscheinlich die typischen Antworten, nämlich, dass zum einen Deutsch schon immer mein Lieblingsfach in der Schule war und zum anderen habe ich auch schon immer gerne gelesen.

Studi 2: Ich war nach der Schule unentschlossen, was ich studieren wollte und habe dann erst mit Physik angefangen, parallel Germanistikveranstaltungen besucht und mich dann letztlich dazu umentschieden.

Studi 3: Ich habe mich dazu entschieden Germanistik zu studieren, weil ich mich schon immer für alle möglichen Sprachen und auch Literatur begeistern konnte. Besonders viel Spaß hat es mir damals in der Schule gemacht, literarische Texte auch in der Theater-AG schauspielerisch umzusetzen.

Studi 4: Also ganz klassisch lese ich natürlich gerne. Ich schreibe auch sogar gerne. Ich finde Sprache auch extrem interessant, sowohl wie sie entstanden ist, als auch wie sie funktioniert. Da ist Germanistik einfach die naheliegende Wahl und ich bereue es auch nicht.

Studi 5: Mir hat das Fach Deutsch in der Schule von Anfang an immer großen Spaß gemacht und ich habe mir vor dem Studium mal eine Vorlesung an der Uni angeschaut. Das war in der Einführungsvorlesung der Sprachwissenschaft und das hat mich dann noch einmal mehr dazu motiviert.

C. J.: Frau Gerok-Reiter, Sie haben ja selbst auch Germanistik studiert, damals auch in Tübingen und vermutlich noch nicht modularisiert als Bachelorstudiengang, sondern noch auf Magister. Wie sind Sie denn selbst damals zu Ihrer Studienentscheidung gekommen?

A. G-R.: Ja, in der Schule habe ich ganz gern Mathe gemacht, also einen ganz anderen Bereich, aber eben auch Deutsch. Und dann war da schon die Wahl: In welche Richtung soll ich gehen? Und da hat eben doch das Fach Deutsch den Ausschlag gegeben. Der Umgang mit der eigenen Sprache, das war mir sehr wichtig. Ich war immer davon fasziniert: Wie funktioniert die eigene Sprache? Ich fand das so interessant, weil man da ganz besonders detailliert hineinschauen kann. Man meint viel zu kennen und merkt dann plötzlich auch die eigene Sprache ist irgendwie ein merkwürdiges Gebilde, ein Faszinosum. Und da genau hinzuschauen, wie das geht, dass aus dem Deutschen ein literarischer Text wird, ein Gedicht etwa, das dann ganz viel Emotion vermittelt. Das fand ich faszinierend. Aber auch, wie funktioniert überhaupt ein ordentlicher Satz? Was gehört dazu, dass wir uns untereinander gut verstehen? Wie kriegen wir das hin, dass es nicht dauernd in der Kommunikation Missverständnisse gibt? Dieser Bereich Sprache, wie funktioniert die auf verschiedenen Ebenen, das hat mich total fasziniert. Und vielleicht kann man auch anfügen, Lesen war natürlich ein wichtiger Punkt, aber ich fand auch sehr interessant in dem Bereich des Faches Deutsch, dass man ja mit vielen unterschiedlichen zeitlichen Kulturen im eigenen Sprachfeld zu tun hat. Das Fach Germanistik geht ja auch weit zurück in die Geschichte, geht bis ins achte Jahrhundert zurück und wieder bis in die Gegenwart. Man begegnet im eigenen Feld sehr verschiedenen Sprachstufen, aber eben auch Kulturen. Und diese Auseinandersetzung mit anderen Kulturen fand ich ungemein wichtig, weil sie auch immer wieder auf die Frage zurückführt, wie ist unsere Gegenwart heute gestaltet? Wie stehe ich in meiner eigenen Sprache und Kultur? Wie hat mich diese Sprache und Kultur geformt? Dann auch die Frage, was macht Sprache, was macht die deutsche Sprache, die deutsche Kultur, in der die Sprache eine wesentliche Rolle spielt, mit uns, mit mir selbst? Damit auch der Weg zu sich, der hat mich quasi in das Fach Deutsch geführt.

C. J.: Also man merkt Ihnen auf jeden Fall nach wie vor an, dass Sie eine ganz große Begeisterung für das Fach Germanistik bzw. das Fach Deutsch haben, die damals dann ja auch ganz offensichtlich für diese Studienwahlentscheidung wegweisend den Ausschlag gegeben hat. Wir haben jetzt schon mehrfach die Begriffe Germanistik und Deutsch verwendet. Vielleicht können Sie kurz zusammenfassen, was denn eigentlich der Unterschied zwischen Germanistik und Deutsch ist?

A. G-R.: Ja, im Grunde genommen geht das in eins. Germanistik ist der etwas weiterreichende Begriff. Das Deutsche gehört zu den sogenannten germanischen Sprachen, wie auch das Englische, das Dänische und so weiter. Es ist ein Teilbereich dieser großen germanischen Sprachfamilie und daher kommt dieser etwas ältere oder weitreichendere Name Germanistik. Deutsch bezieht sich dann vor allem auch auf das Lehramtsstudium, das eben das Fach Deutsch betrifft.

C. J.: Das heißt ganz simpel zusammengefasst, dass wenn ich auf Lehramt studiere, dann studiere ich Deutsch auf Lehramt und wenn ich mich für Germanistik entscheide, dann ist das eben das wissenschaftliche Fach Germanistik. Aber insgesamt ist es inhaltlich eigentlich relativ das Gleiche?

A. G-R.: Ja, das geht ganz zusammen. Die Trennung, die Sie aufgezeigt haben, kann man so im Prinzip ansetzen. Aber inhaltlich überlagern sich diese beiden Studiengänge, Lehramt bzw. Bachelor of Education und Bachelor oder Master of Arts, ganz stark. Viele Kurse werden gemeinsam abgehalten.

Studieninhalte (6:15)

C. J.: Wir haben Studierende auch gefragt, wie denn bei ihnen ein typischer Studienalltag, eine Studienwoche aussieht, sowohl bei Deutsch-auf-Lehramt-Studierenden als auch bei Germanistikstudierenden. Hören wir mal rein.

Studi 1: Vielleicht denkt man beim Germanistikstudium als erstes an die Klassiker wie Goethe und Schiller. Aber man beschäftigt sich nicht nur mit denen, sondern auch mit ganz vielen anderen Schriftstellern und literarischen Werken. Außerdem hat man auch einen Teil zur mittelhochdeutschen Literatur und zur Linguistik, bekommt also einen ganz umfassenden Einblick.

Studi 2: Eine Woche ist schon abwechslungsreich, da ich nach Interesse verschiedene Veranstaltungen in den verschiedenen Bereichen der Germanistik frei zusammenstellen kann.

Studi 3: Ich habe beispielsweise montags ein tolles Seminar zu Sprachlehrmethoden im Bereich Deutsch als Zweitsprache und donnerstags ein Literaturseminar zu Shakespeare. Und ich mag daran besonders das Arbeiten mit dem Text und auch das Zerlegen der einzelnen Szenen.

Studi 4: Man liest natürlich sehr viel und was auch echt cool ist, dass man sehr frei ist in seinem Stundenplan.

A. B.: Wir haben jetzt schon aus ganz verschiedenen Bereichen des Studiums von Studierenden gehört, was sie so im Studium machen. Aber gehen wir da noch mal einen Schritt zurück. Ganz allgemein, was machen denn Germanisten oder Germanistinnen eigentlich? Wozu dient das Studium?

A. G.-R.: Das Studium dient natürlich in erster Linie dazu, die eigene beziehungsweise die deutsche Sprache, die meistens, aber nicht immer Muttersprache ist, kennenzulernen. Und zwar sowohl im Bereich des Linguistischen, also des Sprachwissenschaftlichen, indem man sich fragt, wie funktioniert genau diese Sprache? Was muss zusammenkommen, dass wir uns verstehen, dass die Sprache sozusagen auch zielgerichtet ausgeführt werden kann? Welche Operationen sind da durchzuführen? Oder welche Vorgaben bringt die deutsche Sprache auch mit? Das ist der eine Bereich und der andere Bereich ist eben eher der literarische Bereich, den die Literaturwissenschaften in diesem Feld verfolgen. Die mittelalterliche Literatur wird da angeschaut, aber auch die neuere Literatur. Da ist die Zeitgrenze ganz grob so um 1500 oder im 16. Jahrhundert. Und in diesen literarischen Feldern fragt man vor allem danach, wie es gelingen kann, dass Wörter kombiniert werden – um es einmal ganz einfach zu sagen – und aus einer Kombination von Wörtern dann ein Kunstwerk entsteht, das sehr viel mehr aussagen kann, als eine reine Aussage es vermag. Ein Beispiel, wenn ich sage: „Ich liebe dich.“, dann ist das sozusagen eine Allerweltsplattitüde unter Umständen. Wie machen das etwa Gedichte, dass sie das, was ein einfacher Satz sehr direkt sagen möchte, so ausdrücken, dass sehr viel mehr an Emotionsnuancen herüberkommt, an Gefühlsfeldern, an Wünschen, an Sehnsüchten, als das, was ein ganz einfacher Satz mitbringt. Das herauszukriegen finde ich unglaublich faszinierend. Was muss da passieren in verschiedenen Zeiten, um sehr viel mehr zu sagen als „Ich liebe dich“? Was heißt Liebe? Was muss dazukommen, damit auch beim Rezipienten wirklich etwas gefühlsmäßig sozusagen losgeht, dass man in gewisser Weise getriggert wird. Dann auch zu überlegen, ja, was ist denn eigentlich Liebe? Was meine ich damit? Was meinen andere Zeiten und andere Kulturen und Literaturen damit? Das ist ein Faszination an diesem Feld Sprache in ganz verschiedenen Bereichen, im Funktionalen, aber auch im Künstlerischen. Das ist es, womit man sich vor allem beschäftigt.

A. B.: Ja, das ist ein schönes Beispiel, das sich eigentlich in alle Bereiche des Studiums ausdehnen lässt. Vielleicht können wir die verschiedenen Bereiche, die im Studium absolviert werden, fachlich auch noch mal benennen und was der Zugang in die jeweilige Perspektive ist.

A. G.-R.: Ich deutete das eben schon an. Ein großer Bereich, das ist die Linguistik, die Sprachwissenschaft, die quasi funktional zergliedernd fragt: Wie funktionieren das Sprechen und die Sprache an und für sich? Was muss passieren, um den Satz „Ich liebe dich“ ordentlich zu gestalten und so zu gestalten, dass er auch zu verstehen ist. Das ist natürlich interessanter, wenn man sehr viel komplexere Sätze vor sich hat oder das Thema missversteht, was ich vorhin auch schon angewandt habe. Wann führt ein solcher Satz etwa zu Missverständnissen? Das ist ja nun eine Situation aus dem alltäglichen Leben. Missverständnisse kommen ganz oft vor. Welches Weltwissen, welches Vorverständnis braucht man, um Aussagen sinngerichtet, dem Rezipienten oder dem Hörer zuzuführen? Und die anderen beiden Bereiche sind, wenn man die Hauptbereiche anschaut, der Bereich der älteren deutschen Literatur, der sogenannten Mediävistik, und der Bereich der neueren deutschen Literatur, die eben die Literaturen ab 1500 oder ab dem 16. Jahrhundert umfasst. Diese drei Hauptgebiete werden in der Tübinger Germanistik noch von anderen Bereichen flankiert. Man kann auch innerhalb des Deutschstudiums kombinieren, das Studium des Deutschen zum Beispiel mit den internationalen Literaturen. Es gibt auch den Zweig Deutsch als Zweitsprache. All das kann integriert werden in die Studiengänge des Deutschen Seminars beziehungsweise des Faches Deutsch.

A. B.: Ich komme nochmal zurück auf die Zugänge, auf die verschiedenen Methoden, mit denen man wissenschaftlich arbeitet. Haben Sie da vielleicht noch aus dem einen oder anderen Bereich ein anschauliches Beispiel, was man tatsächlich dann mit dem Text macht? Wie komme ich da ran? Mit welchem Instrument?

A. G.-R.: Ich gehe jetzt mal stärker auf die Literaturwissenschaften ein, die ja auch mehr mein Feld sind. Wobei ich von der Genese auch sagen kann, ich war lange Zeit in der neueren deutschen Literatur zugange, bin dann erst später in die Mediävistik gewechselt, kenne also beide Felder recht gut. Die Zugänge. Das Wichtigste ist, dass man liest und liest und liest. Also ganz nah an die Texte herankommt. Und zwar, wenn man den linguistischen Bereich dazu nimmt, egal welcher Textbereich das ist, egal ob es ein Zeitungsartikel ist, eine Analyse eines Fernseh- oder Radiointerviews, einer Fernsehaufzeichnung ist oder ob das ein literarischer Text im emphatischen Sinn ist: Man muss nah an die Sprache ran. Im literarischen Bereich sage ich gern: Man muss die Sprache schmecken! Man muss also eine Art durchaus sinnliche Beziehung zur Sprache entwickeln, gerade wenn man es mit Kunstwerken zu tun hat, um dann heraus zu analysieren. Das ist wieder eher der rationale Bereich: Was passiert denn da, dass ich so affiziert werde und dass mich ein, sagen wir mal 15-zeiliges Gedicht ungemein anspricht? Und das Zweite, was im literarischen Bereich sehr wichtig ist, dass man immer konfrontiert ist, auch mit den verschiedenen, nennen wir es mal Kulturmustern, die in einem Text transportiert werden oder die dessen Grundlage bilden und die einerseits in die verschiedenen Kulturen und Zeiten, mit denen man im Studium konfrontiert wird, hineinführen, aber andererseits auch immer in den Vergleich mit der eigenen Zeit führen. Also nochmal um bei diesem Beispiel des Liebesthemas zu bleiben, wie ist heute unser Kulturmuster des Liebens? Ist es nur ein Kulturmuster oder sind es ganz viele? Was sagen die heutigen Literaturen, die heutigen Texte darüber? Auch im Vergleich mit Lebensformen natürlich. Und wie sieht es aus, wenn wir ins 19. Jahrhundert gehen? Wie sieht es aus, wenn wir ins 16. Jahrhundert gehen? Oder wie sieht es aus, wenn wir ins Mittelalter gehen? Welche Kulturmuster der Partnerschaft treffen wir dort an? Und da Einblick zu gewinnen und dann eben vergleichend an die Gegenwart heranzuhalten, das ist ungemein spannend. Das ist auch der Ort, wo Selbstbegegnung stattfindet in der Auseinandersetzung mit fremden Zeiten, Sprachstufen und Kulturen.

A. B.: Ja, das hört sich auch schon nach einem Feld an, in dem man wahrscheinlich zeitlebens nicht auslernt. Jetzt ist die Frage, so ein Studium ist ja begrenzt, wie lange dauert denn das Studium?

A. G.-R.: Da gibt es im Grunde genommen klare Vorgaben. Für die Bachelor-Studiengänge, egal ob Bachelor of Arts oder Bachelor of Education, sind sechs Semester vorgesehen. Aber man kann auch ohne Probleme länger studieren. In der Regel sind es doch fast immer bis zu acht Semestern, die hier angesetzt werden. Im Masterbereich ist die reguläre Studienzeit auf vier Semester angesetzt. Auch da kommt es durchaus vor, dass einmal fünf oder auch sechs Semester studiert werden. Manche schaffen es auch tatsächlich in der Gesamtregelzeit von zehn Semestern Bachelor und Master zu absolvieren.

A. B.: Jetzt haben wir ja schon diese Zweiteilung von Bachelor und Master, sowohl in dem System auf Arts als auch auf Education. Wie ist das denn? Reicht der Bachelor oder ist es wichtig, auch den Master zu machen?

A. G.-R.: Im Bereich Bachelor/Master of Arts, außerhalb des Lehramts, kann man durchaus mit dem Bachelorabschluss von der Uni gehen, hat etwas Tolles in der Tasche und kann dann in Berufsfelder wechseln. Das kommt immer wieder vor und ist einfach ein gutes Angebot für diejenigen, die sagen „Ja, mein Koffer ist gepackt, ich kann jetzt schon ins Berufsleben gehen. Für das, was ich machen will, bin ich gut ausgestattet“. Schwierig ist es im Lehramt, da braucht man in jedem Fall den Master of Education noch zusätzlich, um dann ins Referendariat zu gehen. Die meisten sind aber, das muss man schon sagen, so fasziniert vom Bachelorstudium, dass sie auch weiter studieren wollen. Manche wechseln in andere Masterbereiche, das kommt durchaus vor und ist auch eine sehr schöne Möglichkeit. Andere machen im Bereich der Germanistik weiter, um einfach nochmal vertieft in die Felder hineinzugehen, die man sich schon erschlossen hat. Also man kann nach dem Bachelor, wenn es nicht Lehramt ist, auch von der Uni gehen. Aber oft ist die Neugier da gerade entfacht, ist auch die Faszination angekommen. Man fängt an, sich wohlzufühlen in den verschiedenen Sektionen, die einem angeboten werden. Denn das überrascht einen oft, wenn man ins Fach Deutsch hineinkommt oder in die Germanistik, wie verschieden die Angebote sind, die einem offeriert werden. Und wenn man das einmal gemerkt hat, dann will man auch alles auskosten und macht noch weiter.

A. B.: Ich ergänze noch kurz zum Referendariat. Wer den Begriff nicht kennt, das ist der Vorbereitungsdienst an den Schulen, also die praktische Ausbildung zum Lehrer, zur Lehrerin, die jeweils nochmal mit dem Staatsexamen abgeschlossen wird. Unsere Germanistikstudierenden in Tübingen haben wir gefragt, was sie denn am Studium begeistert und hören uns da nochmal an, was sie gesagt haben.

Persönliche Voraussetzungen (18:58)

Studi 1: Was mich am meisten am Germanistikstudium begeistert, ist glaube ich, der Austausch mit den anderen Studierenden, also vor allem die Diskussion und das ins Gespräch kommen über Literatur.

Studi 2: Was sehr cool ist, dass man, wenn man gerne liest, quasi einfach sein Hobby studiert mit anderen.

Studi 3: Mir macht es einfach Spaß mich mit Literatur zu beschäftigen und ich finde, man kann ganz oft einfach was für sich persönlich aus Literatur ziehen.

Studi 4: Mich begeistert vor allem die Vielfalt der ganzen unterschiedlichen Texte der Literatur, von lustigen mittelalterlichen Erzählungen bis hin zu Texten, die einen nachdenklich stimmen.

Studi 5: Ich mag am Germanistikstudium, dass man sein Verständnis für die eigene Sprache, aber auch generell für Literatur stark vertieft, indem man beides in anderen Sprachstufen analysiert.

C. J.: Frau Gerok-Reiter, ganz kurz zusammengefasst in drei Begriffen, welche Voraussetzungen sollte man als Studienanfänger mitbringen, wenn man sich für ein Germanistikstudium interessiert?

A. G.-R.: Interesse an der eigenen Sprache. Man sollte gerne lesen, auf jeden Fall. Und ein großes Interesse an der Auseinandersetzung mit der eigenen Kulturtradition, das wären die drei Punkte, die ich nennen würde.

C. J.: Manche Kritiker oder manche Menschen werfen der Germanistik oder auch anderen geisteswissenschaftlichen Fächern vor, das seien Laberfächer und alles ist reininterpretiert oder gar nicht so haltbar. Was würden Sie denen entgegnen?

A. G.-R.: Oh ja, das ist ein Vorwurf, über den ich lächeln muss. Ja, natürlich, man redet viel. Aber das ist gut! Das ist das Forum, wo wir auch versuchen zu vermitteln oder worin die Studierenden geübt werden sollen: Wie argumentieren wir? Wie sprechen wir? Wie nehmen wir uns ernst im Gespräch? Was ist ein gutes Argument? Diese Fragestellung teilen wir etwa auch mit der Rhetorik und das ist zentral in unserer öffentlichen und demokratischen Auseinandersetzung. Ich finde, wir merken das in den heutigen Zeiten mehr denn je! Was heißt gutes Argumentieren? Ein Argumentieren, das auch Respekt hat vor der Meinung des anderen. Natürlich versuchen wir das, was wir als Meinung von uns geben, wissenschaftlich zu fundieren. Das ist der zweite Strang: Wie fundiert man ein Argument wissenschaftlich? Das heißt vor allem, wie legen wir offen, auf welchen Grundlagen wir argumentieren? Das finde ich auch einen ungemein wichtigen Akt, gerade in der heutigen Zeit, wo wir sehen, wie Fake News rauf und runter vermittelt werden. Das ist nicht wissenschaftlich. Wissenschaftlich heißt, ich habe eine Meinung, aber ich habe nicht nur einfach eine Meinung, sondern ich kann sie begründen. Und auch das reicht noch nicht. Als Drittes lege ich offen, was meine Voraussetzungen sind, um die Begründungen aufzubauen. Das ist ein hochkomplexer Prozess, den man ganz besonders schulen kann in der eigenen Sprache, weil man da nicht ständig drüber nachdenken muss, welche Vokabeln man nutzen muss. Man kann sehr vertieft in dieses Feld hineingehen und man muss es besonders sorgfältig tun, weil man mit Stoffen zu tun hat, die oft künstlerisch geformt sind, wo man in sehr subtile Bereiche hineinkommt und wo man genau lernen muss, nicht nur zu sagen, mir gefällt das Gedicht oder der Text ist schön, tut mir gut, lese ich gern am Strand liegend, sondern man muss sehr differenziert am Ende sagen können, warum der Text einen genau fesselt. Ist es die Sprachstruktur? Sind es die Satzgefüge? Sind es die Themen Liebe, Tod, Genderrollen und so weiter? Das bieten die Literaturen, diese großartigen Themen. Wie kommt es zustande, dass ich gepackt bin und auch gerne mit anderen über diese Texte spreche? Man redet viel, ja. Aber es ist genau diese Schulung, zu unterscheiden, was heißt labern und was heißt argumentieren. Und das ist eine Kenntnis, die man meines Erachtens in ganz fundamentaler Weise in andere Berufsfelder mitnehmen kann und soll. Das ist die Stärke der Germanisten, die dann in andere Felder einzubringen ist.

Berufsperspektiven (23:42)

C. J.: Ja, wenn wir schon dabei sind, Vorurteile zu widerlegen. Ein anderes Vorurteil, das man manchmal hört, ist, dass Germanisten oder Geisteswissenschaftler nach dem Studium vor allem als Taxifahrer im Berufsfeld tätig sein sollen. Wir haben Studierende der Germanistik gefragt, ob sie selbst schon berufliche Pläne nach ihrem Studium haben und unterhalten uns gleich darüber, was man denn außer Taxifahren sonst noch so machen kann nach seinem Studium.

Studi 1: Ich werde später einmal Lehrerin und freue mich schon sehr darauf, den Kindern und Jugendlichen Literatur, Textverständnis und auch Grammatik beizubringen.

Studi 2: Ich strebe eine akademische Laufbahn an, insofern würde ich eigentlich gern Professor werden. Jedoch halte ich es mir auch offen.

Studi 3: Ich studiere Germanistik im Bachelor of Education, mein zweites Fach ist Spanisch. Das heißt, mein Berufswunsch ist Lehrerin am Gymnasium.

Studi 4: Ich studiere gerade in erster Linie einfach, weil es mir sehr viel Spaß macht. Also ich halte mir meine Möglichkeiten offen, könnte mir aber sehr gut vorstellen, mal in einem Verlag oder in einer Bibliothek zu arbeiten.

Studi 5: Ich habe fest vor Lehrerin zu werden und sehe mich auch total in dem Beruf. Falls ich mich allerdings doch noch umentscheide, kann ich mir gut vorstellen im Journalismus zu arbeiten.

Studi 6: Also ich studiere Germanistik im Bachelor of Arts. Mich persönlich würde besonders das Kulturmanagement interessieren.

A. B.: Jetzt haben wir schon verschiedene Berufswünsche gehört. Was sind denn so die typischen Berufsfelder, in denen Germanistinnen oder Germanisten arbeiten?

A. G-R: Ja, es wurde sehr viel gesagt, natürlich ganz wichtig der Zweig der Schule, das ist ganz klar das Fach Deutsch. Dann wurde auch schon gesagt Kulturmanagement, Zeitungen, Radio, Fernsehen, die ganzen Medien kann man von dem Fach Deutsch aus bespielen und mitbespielen. Auch der Bereich, denke ich, der Fremdsprachenintegration in den Kulturbereich des Deutschen ist sehr wichtig. Kulturmanagement in dem Sinne, dass wir von unseren Angeboten auch sehr viel mit anderen Kulturen zu tun haben und da ein Instrument entwickeln, dass Fremde als Fremdes ernst zu nehmen, Mittel finden, wie man es verstehen kann, ohne es etwa zu okkupieren. Das finde ich, sind Voraussetzungen, die sehr wichtig sind im Bereich der Arbeit mit und in anderen Kulturfeldern. Und ich möchte noch ein weiteres Feld nennen, das Feld der Industrieberatung, das Feld des Coachings, auch Felder, die genuin gar nichts mit dem Fach Deutsch zu tun haben. Wir erleben immer mehr Abgänger und Abgängerinnen, die in diese Felder gehen. Und ich glaube, man muss realisieren, dass das Fach Deutsch eine ganz breite Möglichkeit hat, Grundlagen zu vermitteln. Und diese Grundlagen bestehen oft darin, sehr flexibel und kreativ Lösungen für Probleme zu suchen. Das klingt jetzt sehr allgemein, aber ich halte es für fundamental und man sollte es sehr wertschätzen, kreativ auf schwierige Situationen einzugehen. Das höre ich etwa von Leuten, die in den Coachingbereich gehen oder auch in den industriellen Bereich, etwa in die Werbebranche. Wie gehe ich mit einem Problem um und wie finde ich sehr schnell zu Denkformen, die etwas alternativ sind, die einen gewissen Pepp hineinbringen, die erlauben, einmal in eine ganz andere Richtung zu denken. Diese Übung im Denken auch mal auf ganz anderen Wegen, das ist etwas, was im Bereich des Studiums sehr stark gefördert wird.

A. B.: Ich glaube, an der Stelle ist es vielleicht auch Zeit für ein Outing, denn Christoph und Frau Gerok-Reiter, Sie wissen, dass ich selber auch Germanistik studiert habe, heute in der Zentralen Studienberatung arbeite und nun hier mit Ihnen sitze und diesen Podcast mache.

A. G.-R.: Ich würde gerne noch etwas nachsetzen zu dem, was ich eben gesagt habe. Ich glaube, beim Lehramtsstudiengang ist immer klar, wohin der Weg führt. Es ist aber für viele, die im Bachelor of Arts anfangen, tatsächlich am Anfang nicht immer nur ein schönes Gefühl, gar nicht zu wissen, wohin die Reise geht. Und da ist meine Erfahrung, das muss man eine Weile aushalten und vielleicht auch irgendwann genießen, diese Freiheit. Ich bin noch nicht festgelegt und ich darf einfach mal rechts und links gucken, um dann zu sehen, dass man tatsächlich aus dem Fach Deutsch heraus so eine breite Plattform, ein so breites Angebot bekommt, wie wir das jetzt eben auch gehört haben, um dann sehr differenziert und sehr auf die eigenen Wünsche zugeschnitten, doch Richtungen zu finden. Da ein bisschen Mut haben, ins Ungewisse zu gehen. Die Antworten kommen! Es ist vielleicht eine ganz schöne und inzwischen seltene Möglichkeit, sich auch diese Zeit nehmen zu dürfen.

A. B.: Ja, ich kann das sehr bestätigen! Es ist Fluch und Segen zugleich, aber den Segen manchmal zu sehen, ist auch wichtig. Ganz richtig.

C. J.: Und es schadet auf jeden Fall nicht, wenn man sich für so ein Fach, gerade wenn man im Bachelor studiert, mit der Zeit schon mal ein paar Sätze zurechtzulegen, die man den Eltern oder Freunden oder auf Familienfesten erzählen kann, was man denn damit alles machen könnte, auch wenn man es selbst noch gar nicht genau weiß.

A. B.: Da sind wir auch bei der Frage nach den Berufschancen bzw. wie ich meine Chancen verbessern kann. Wie sieht es denn mit der Praxis im Studium aus? Gibt es Raum für Praktika oder gibt es vielleicht sogar ein Pflichtpraktikum, das absolviert werden muss?

A. G.-R.: Generell stehen die Praktika nicht ganz im Vordergrund. Es ist eben ein wissenschaftliches Studium. Aber erstens, ganz viele Studierende machen Praktika in den Semesterferien. Das wird von uns auch sehr empfohlen, damit man frühzeitig die Berufswelt kennenlernt, frühzeitig sieht, in welche Richtung es gehen könnte und mit diesem doppelten Portfolio, einerseits Studium, andererseits Erfahrung in den Praktikumsbereichen, seine Aussichten auf Anstellung entschieden verbessert. Es wird also empfohlen, viele setzen das um. Das kann man zeitlich in den Semesterferien schaffen. Es gibt aber auch Studiengangsbereiche, in denen Praktika auch formal integriert sind und man dafür auch ECTS erwerben kann. Ein Beispiel ist etwa der Master Deutsche Literatur. Da ist eine ganze Spannweite an ECTS vorgesehen, die man über Praktika einspeisen kann. Auch im Master Literatur und Kulturtheorie ist das möglich. Und auch die Linguisten arbeiten immer wieder und intensiv mit praktischen Angeboten, etwa indem einzelne Studierende in Forschungszusammenhänge eingebunden werden, die in der Linguistik auch sehr praxisorientiert angesetzt werden. Also Praxis gehört nicht genuin zum Studium, ist aber in manchen Studiengängen durchaus verankert und wird in jedem Fall sehr stark aufgegriffen und kombiniert. Im Lehramt hat man natürlich die Praktika an den Schulen, da ist es auch dezidiert festgeschrieben, dass das dazugehört. Also man sitzt keineswegs nur hinter Büchern. Das wäre eine ganz falsche Vorstellung. A führen Bücher und Texte immer wieder ins Leben zurück und B erreicht man selber sozusagen die praktischen Felder über Praktika.

A. B.: Ich schiebe noch mal hinterher: Je nach Studiengang gibt es ein Pflichtpraktikum, beispielsweise im Bachelor of Education, im Bachelor of Arts gibt es das Pflichtpraktikum nicht. Es gibt aber andere Möglichkeiten, dann auf freiwilliger Basis das zu absolvieren und die ECTS, von denen Sie gerade gesprochen haben, das sind sogenannte Leistungspunkte, nur damit das die Schülerinnen und Schüler einmal gehört haben. Danach wird der Leistungsaufwand im Studium berechnet. Damit werden sie dann im Studium häufiger zu tun haben.

C. J.: Ich glaube, damit haben wir auch schon einen sehr umfassenden Einblick in das Studium und all die verschiedene Inhalte bekommen. Frau Gerok-Reiter, ganz herzlichen Dank, dass Sie heute bei uns waren. Alex, hast du noch irgendeine Frage, die dir auf dem Herzen brennt?

A. B.: Nein, für mich ist alles beantwortet. Vielen Dank, Frau Gerok-Reiter.

A. G.-R.: Ich danke auch und ich lade sozusagen alle ein. Probieren Sie es aus. Das Fach Deutsch bietet so viel, Sie werden sicher satt werden.

C. J.: Das ist doch ein wunderbar schönes Schlusswort. Ganz lieben Dank fürs Zuhören! Weitere Infos gibt es auf den Webseiten des Deutschen Seminars der Uni Tübingen. Auch auf der Website zum Bereich Studium der Uni Tübingen. Und ansonsten schreibt uns eine E-Mail an hochschulreif@unitübingen.de


Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Annette Gerok-Reiter über die folgenden Themen:
00:53 Persönliche Motivation
06:15 Studieninhalte
18:58 Persönliche Voraussetzungen
23:42 Berufsperspektiven

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Kontakt:

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de

Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr hier:
Zentrale Studienberatung
Wilhelmstraße 19, 3. OG.
72074 Tübingen
zsbspam prevention@uni-tuebingen.de

Weitere Informationen zu den Studienfächern:

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