Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2010: Leute

Tübinger Geologe neuer afghanischer Botschafter

Ein Interview mit Abdul Rahman Ashraf über sein neues Amt

Abdul Rahman Ashraf wurde 1944 in Kabul, Afghanistan, in eine wohlhabende Familie mit verwandtschaftlichen Beziehungen zur Königsfamilie geboren. Im Jahr 1968 kam er mit Hilfe eines Stipendiums nach Bonn, wo er Geologie studierte. Nach seiner Promotion im Jahre 1978 wollte er eigentlich in sein Heimatland zurückkehren – der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan verhinderte dies jedoch. Als erster Afghane erhielt Ashraf politisches Asyl in Deutschland, er nahm die deutsche Staatsangehörigkeit an und wurde Mitglied der CDU. Ab 1991 lehrte und forschte er an der Universität Tübingen. Abdul Rahman Ashraf erhielt das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland. 2004 ließ er sich von der Universität Tübingen beurlauben, um beim Aufbau Afghanistans mitzuhelfen. Ashraf übernahm verschiedene Funktionen in seiner Heimat: So war er für 18 Monate Rektor der Universität Kabul und als Berater des Präsidenten Hamid Karzai in Bergbau- und Energiefragen tätig. Mit der Übergabe seines Beglaubigungsschreibens an den Bundespräsidenten Christian Wulff am 13. Dezember 2010 ist Abdul Rahman Ashraf Botschafter und außerordentlicher Vertreter der Islamischen Republik Afghanistan.

Wann und wie sind Sie an die Universität Tübingen gekommen?


Abdul Rahman Ashraf:
Im September 1991 bekam Professor Dr. Dr. h. c. Volker Mosbrugger [heute Direktor des Forschungsinstituts und Naturmuseums Senckenberg, Frankfurt] einen Ruf an die Universität Tübingen, an den Lehrstuhl für Paläontologie des damaligen Instituts und Museums für Geologie und Paläontologie, heute Institut für Geowissenschaften. Zuvor waren wir beide am Institut für Paläontologie der Universität Bonn beschäftigt, er hat mich damals mit an die Universität Tübingen genommen. Seitdem hatte ich bis zu meiner Pensionierung im Juli 2009 die Ehre, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Eberhard Karls Universität Tübingen zu sein. Hier erhielt ich alle Möglichkeiten, meine beruflichen Qualifikationen und Fähigkeiten einzusetzen mit dem Ergebnis, dass zu erreichen, was ich heute bin. Die Zeit in Tübingen hat also einen hohen Stellenwert für mich persönlich.


Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?


Abdul Rahman Ashraf
: Ich bin Geologe und mein Spezialgebiet ist die Palynologie. Diese beschäftigt sich mit Mikrofossilien aller Art. Ich arbeitete mit fossilen Pollen und Sporen. Mit Hilfe der überlieferten Pollen und Sporen ist es dann auch möglich, eine Vegetations- und Klimarekonstruktion zum Zeitpunkt der Ablagerung der Sedimente zu erstellen. Ich habe dabei an mehreren Projekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Afghanistan, Deutschland, Frankreich, Nordspanien, Marokko, Bulgarien, China, auf den Philippinen und in Brasilien teilgenommen bzw. gearbeitet.



Was sehen Sie als Ihre wichtigste Aufgabe bei Ihrer Arbeit als afghanischer Botschafter? Was sind Ihre Schwerpunkte und Ziele?


Abdul Rahman Ashraf: Die deutsch-afghanische Freundschaft hat eine ziemlich lange Tradition. Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 1919 arbeiten Deutschland und Afghanistan auf vielen Gebieten eng zusammen. Für die afghanischen Bürger hatte und hat diese Zusammenarbeit noch immer eine besondere Bedeutung. Ich werde diese Freundschaft sehr sorgfältig bewahren und, wo immer möglich, noch weiter ausbauen.


Die deutschen Bürger müssen noch stärker darüber informiert werden, warum ihre 4500 Söhne und Töchter am Hindukusch mit ihrem Leben dafür einstehen, dass der internationale Terrorismus besiegt und die Freiheit Afghanistans bewahrt werden kann.


Genauso müssen die deutschen Steuerzahler erfahren, was mit ihren Steuergeldern in Afghanistan geschieht, was sie der armen und hilfsbedürftigen, vom Krieg geplagten afghanischen Bevölkerung alles ermöglichen. Hier wären zu nennen: die spontanen Hilfen vor Ort durch die Bundeswehr bei Hilfseinsätzen, die Hilfen bei der Ausbildung von Polizei und Armee, die vielfältigen Hilfsleistungen im Infrastrukturbereich, beim Aufbau von Brücken, Straßen, Gebäuden, Krankenhäusern, in der Bildung und Ausbildung unserer jungen Generation und vieles mehr.


Gleichzeitig bietet Deutschland fast 90.000 Menschen afghanischer Abstammung eine zweite Heimat – dies ist weit mehr als jedes andere Land in Europa. Ein großer Teil dieser Menschen sind junge Deutsch-Afghanen, die während der schwarzen Jahre Afghanistans (Kalter Krieg, Besetzung durch die Sowjetunion von 1981-1992) in Deutschland eine sehr gute Ausbildung erhielten. Diese Investitionen Deutschlands in die gemeinsame Jugend sind in Geld nicht auszudrücken. Aber diese möglichen wertvollen Ressourcen Afghanistans müssen unbedingt für den Wiederaufbau genutzt werden. Es ist eine wichtige Aufgabe, diese Deutsch-Afghanen davon zu überzeugen, dass Afghanistan sie braucht und stolz darauf wäre, wenn sie für eine gewisse Zeitspanne – auch wenn diese nur kurz wäre – beim Wiederaufbau Afghanistans mithelfen würden, um dadurch Frieden und Stabilität ins Land zu bringen.


Mit Waffen kann man keinen dauerhaften Frieden schaffen, mit Arbeitsplätzen aber sehr wohl! Dazu müssen deutsche Firmen und mögliche Investoren darüber informiert werden, welche Möglichkeiten ihnen Afghanistan bietet, wie diese dauerhaft und gewinnbringend eingerichtet und weiter ausgebaut werden können. Gerade die traditionell guten Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan bilden eine stabile Basis für zukünftige gemeinsame Unternehmungen.


Der Schwerpunkt unseres Teams in der Afghanischen Botschaft ist, die deutschen Bürger, die Deutsche Bundesregierung, die Bundesländer, die verschiedenen Fraktionen des Bundestages, den Bundesrat und die politischen Parteien vielfältig zu informieren und in allen Bereichen eine Zusammenarbeit anzubieten. Wir verstehen uns als Vermittler zwischen der Politik, Kultur und Ökonomie beider Länder, damit unsere gemeinsame Geschichte in Zukunft noch lange und erfolgreich weiter besteht.


Die Welt darf die afghanischen Opfer nicht vergessen. Die Afghanen sind, direkt oder indirekt, in den Kalten Krieg verwickelt gewesen. Hierbei haben die Afghanen über zwei Millionen ihrer Angehörigen verloren. Heute gibt es über eine Millionen kriegsversehrte behinderte Menschen in meinem Heimatland. Und der Rest, alt und jung, ist traumatisiert. Auch diese Verluste der Afghanen hatten ihren Anteil an der Befreiung von vielen osteuropäischen Ländern, die heute Mitglieder oder Nachbarn der EU sind. Die Weltgemeinschaft und auch die EU können Afghanistan helfen, damit unsere nächste Generation einigermaßen in Frieden und Wohlstand leben kann und nicht wieder zum Rückzugs- und Planungsraum des internationalen Terrorismus wird.

Dies sind meine Schwerpunkte. Ich bitte die Leser von „Uni Tübingen aktuell“ um Rat und Kritik.