Gerade mal 500 Kilometer misst Korea vom Norden bis zum Süden. Ein kleines Land eigentlich ‒ und doch immer wieder wichtiger Schauplatz der Weltpolitik. Vor allem im 20. Jahrhundert wurde Korea zum Spielball anderer Mächte. „Erst die Erfahrung des japanischen Kolonialismus; dann nach dem Zweiten Weltkrieg die Teilung Koreas und der Koreakrieg in der Ära des Kalten Krieges: das waren globalgeschichtlich äußerst interessante, aber auch traumatische Ereignisse“, sagt Robert Kramm-Masaoka.
Speziell die Zeit der US-Okkupation in Südkorea liegt im Forschungsinteresse des Doktoranden. Ab 1945 hatten die Amerikaner Südkorea wie auch Japan besetzt, erst 1952 zogen sie sich offiziell zurück. „Damals lagen Südkorea und Japan für die USA in einem gemeinsamen Herrschaftsraum, das kann man an historischen Materialien des Besatzungsregimes ablesen“, sagt Kramm-Masaoka. Der Historiker und Anthropologe promoviert in der Tübinger Koreanistik, die einen ihrer Schwerpunkte auf die historische Koreaforschung gelegt hat. Die damaligen Herrschaftsverhältnisse zwischen USA, Korea und Japan will er an einem heiklen Thema nachvollziehen: der Prostitution.
Die sei zentraler Bestandteil im Alltag der Besatzungszeit gewesen, sagt Kramm-Masaoka. Hier gehe es nicht um einzelne sexuelle Begegnungen zwischen US-Soldaten und Frauen aus Korea und Japan, sondern um ein etabliertes System. Offensichtlich lag den Machthabern daran, den eigenen Soldaten regelmäßige Besuche bei Prostituierten zu ermöglichen, sei es, um sie „bei Laune“ zu halten, oder um die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten im Land zu kontrollieren. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Von der Frage, wie ein Bordell auszusehen habe, bis zur Hygiene, habe es zahlreiche Vorschriften gegeben, so der Wissenschaftler. „Amerikanische wie koreanische und japanische Verwaltungsakteure bemühten sich, diese Begegnungen zu kontrollieren und sorgfältig zu planen. Es gab eine Reihe von Regulierungspraktiken, die Abläufe waren unglaublich bürokratisiert“, erklärt Kramm-Masaoka. Es seien sogar Empfehlungen formuliert worden, welche Art von Geschlechtsverkehr einen Soldaten fit für den Kampf mache.
Ein System also, in dem es um Regulierung und Macht ging, Kramm-Masaoka spricht auch von „Herrschaftswissen“. Für dieses erfanden die Verwaltungen das Rad nicht neu, sie übernahmen Praktiken, die bereits in anderen kolonialen Kontexten erprobt worden waren. In seiner Dissertation „Kolonisierte Körper und imperiale Grenzen: Herrschaftspraktiken und Prostitution während der US-Okkupation Japans und Koreas (1945-1952)“ will der Tübinger erforschen, wie solches Herrschaftswissen auf die US-Besatzung in Korea und Japan übertragen wurde. Dafür hat er unter anderem in einem Washingtoner Archiv Dokumente des US-Militärs gesichtet.
Gerade was die düsteren Kapitel aus dieser Zeit betrifft, wird er auf Original-Materialien angewiesen sein. Erst seit den späten 1990er-Jahren gibt es beispielsweise wissenschaftliche Forschung zu den sogenannten „Comfort Women“ (Trostfrauen). 200.000 bis 300.000 koreanische Frauen waren unter japanischer Besatzung zur Prostitution gezwungen, oft auch gefoltert und vergewaltigt worden. Ihre Schicksale wurden in Japan bis in die 90er-Jahre totgeschwiegen. Dass viele von ihnen jedoch auch nach 1945 den US-Militärs angeboten wurden, ist weltweit wenig bekannt ‒ für die Japaner diente dies auch als eine Art „Schutzschild“ für ihre eigenen Frauen.
In die Verwaltungspraktiken der asiatischen US-Besatzung könnten auch „Erkenntnisse“ aus Menschenversuchen in Tuskegee (Alabama, USA) und Guatemala eingeflossen sein. Hierbei hatten US-Mediziner in den 1940er-Jahren hunderte Menschen – Häftlinge, Waisen, psychisch Kranke oder Soldaten ‒ ohne deren Wissen mit Syphilis oder Tripper angesteckt und bewusst nicht behandelt. Zwar hat sich Präsident Barack Obama für dieses skandalöse Vorgehen inzwischen öffentlich entschuldigt, ein US-Gericht wies aber kürzlich jegliche Schadensersatzansprüche der Betroffenen ab.
Sein Vorhaben sei „ambitioniert“, räumt Robert Kramm-Masaoka ein. Unter anderem, weil er dazu Dokumente auf Englisch, Japanisch und Koreanisch auswerten muss. Letztere Sprache vertieft der Doktorand derzeit in der Tübinger Koreanistik. Ab September kann er sie bei einem Forschungsaufenthalt vor Ort anwenden: In der Außenstelle „Tuebingen Center for Korean Studies at Korea University (TUCKU)“, die Tübingen gerade an der Korea Universität in Seoul eröffnet hat.
Antje Karbe