Uni-Tübingen

Yoga als Medizin

Zahlreiche Studien belegen die gesundheitlichen Vorteile von Yoga. Aber ist es auch das Geheimnis für ein langes Leben?

In einem Interview anlässlich ihres 105. Geburtstags sagte Daisy Taylor aus Chelmsford, England, kürzlich der BBC, dass sie ihr langes und gesundes Leben dem Yoga verdanke – neben ihrem Optimismus und ihrer Wertschätzung für die kleinen Dinge. Sie meinte, Yoga helfe ihr vor allem, geistig fit zu bleiben. Auch in ihrem Alter praktiziere sie noch immer Yoga – wenn auch inzwischen häufiger auf einem Stuhl als auf einer Matte. 

Als gealterte und vor allem geistig fitte Yogini ist Taylor nicht allein. Viele der berühmtesten Yoga-Praktizierenden der Welt haben ein langes, gesundes Leben geführt. Nehmen Sie zum Beispiel B.K.S.Iyengar. Dem wohl berühmtesten Yogalehrer unserer Zeit gaben seine Ärzte in seiner Kindheit nur noch wenige Jahre zu leben, nachdem er gleichzeitig an Malaria, Typhus und Tuberkulose erkrankt war. Dann entdeckte er Yoga und begann, zehn Stunden am Tag zu üben. Er überlebte seine Krankheiten nicht nur um einig  Jahre – er wurde 95 Jahre alt.

Sein Schwager und Lehrer Tirumalai Krishnamacharya, der Begründer des Vinyasa Yoga, wurde 100 Jahre alt. Und Krishnamacharyas fast ebenso berühmter Meisterschüler Krishna Pattabhi Jois, dessen Ashtanga Yoga den Grundstein für die Yoga-Fitness-Welle legte, wurde 93 Jahre alt. 

Es gibt viele Gründe, warum Yoga auch im Alter so vorteilhaft ist. Studien zeigen, dass es sich positiv auf verschiedene altersbedingte Krankheiten auswirkt, indem es den Blutdruck, die Blutfettwerte 1 und die Fettleibigkeit 2 reduziert, es kann aber auch Depressionen 3 , Stress und Angstzustände 4 lindern. Zudem wird es mit einem allgemein gesünderen Lebensstil in Verbindung gebracht – etwa mit einer gesünderen Ernährung.

Es gibt auch Belege dafür, dass Yoga viele Vorteile hat, wenn es darum geht, zu altern und dennoch jung zu bleiben. Die Forschung zeigt, dass Yoga möglicherweise die Alterung auf zellulärer Ebene beeinflusst. In einer Studie wiesen Teilnehmende, die Yoga praktizierten, einen Anstieg der Telomerase-Aktivität um 43 % auf, während Teilnehmende, die sich nur entspannten, nur einen Anstieg von knapp 4 % verzeichneten. Das Enzym Telomerase ist ein Schlüsselfaktor bei der Alterung, da es die Zellalterung verlangsamt.


43% höher liegt die Telomerase-Aktivität bei Yoga-Praktizierenden im Vergleich zum Normalwert. Bei Teilnehmenden, die sich nur entspannen, 4 %.


Darüber hinaus können einige sehr erfahrene Yogis ihren Stoffwechsel so stark reduzieren, dass ihr physiologischer Zustand dem von Tieren im Winterschlaf ähnelt: Atmung und Herzfrequenz sinken deutlich, ebenso die Körpertemperatur. Bei Tieren erhöht diese Art von Ruhephase nachweislich die Lebenserwartung. Einige Forschende halten es für möglich, dass dies auch beim Menschen der Fall sein könnte. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Yoga uns hilft, im Alter geistig fit zu bleiben. Wenn wir älter werden, lassen unsere geistigen Fähigkeiten nach. Es wird immer schwieriger, neue Dinge zu lernen und neue Erinnerungen zu bilden. Das spiegelt sich auch im Gehirn wider: Vor allem der Hippocampus, der für die Bildung neuer Erinnerungen wichtig ist, verliert mit dem Alter an Substanz. 

Eine Studie, in der die Gehirne von Yoga-Praktizierenden untersucht wurden ergab jedoch, dass sie im Vergleich zu Nicht-Yogis und Nicht-Yoginnen gleichen Alters generell eine größere Gehirnmasse aufwiesen. Dieser Unterschied zeigte sich insbesondere im Hippocampus. Und nicht nur das: Je länger jemand Yoga praktiziert, desto größer ist seine Hirnmasse 5. In einer anderen Studie wurde außerdem festgestellt, dass die durchschnittliche Gehirnmasse von 40- bis 50-jährigen Meditierenden der durchschnittlichen Gehirnmasse von 20- bis 30-jährigen Nicht-Meditierenden entspricht 6. Meditation ist ein wichtiger Bestandteil des Yoga. Zwar wird in vielen dieser Studien darauf geachtet, alle Variablen zu berücksichtigen, die das Risiko eines kognitiven Rückgangs beeinflussen könnten (z. B. Lebensgewohnheiten und genetische Veranlagung), doch ist diese Kontrolle nie perfekt – daher sind diese Assoziationen nur Korrelationen.

Die Forschung hat jedoch gezeigt, dass Meditation tatsächlich die Gehirnmasse kausal erhöhen kann – und zwar ziemlich schnell. In einer Studie mit Teilnehmern, die keine Erfahrung mit Meditation hatten, nahm eine Gruppe an einem vier-monatigen Meditationskurs teil, während die andere Gruppe dies nicht tat. Nach vier Monaten nahm die Hirnmasse in der Meditationsgruppe deutlich zu 7. Auch hier war vor allem der Hippocampus betroffen. Insgesamt deuten die Daten darauf hin, dass Meditation – und Yoga –  mit einem jüngeren Gehirnalter verbunden ist. In Studien wurde auch die sogenannte „fluide Intelligenz“ untersucht – die Fähigkeit, neue, unbekannte Probleme zu lösen, neue Dinge zu lernen und Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Diese Fähigkeit nimmt mit zunehmendem Alter tendenziell ab. Die Forschung zeigt jedoch, dass Menschen mittleren Alters, die viele Jahre lang Yoga oder Meditation praktiziert haben, über eine bessere fluide Intelligenz verfügen als gleichaltrige Menschen, die keine der beiden Aktivitäten ausgeübt haben 8 .


Die durchschnittliche Gehirnmasse von 40- bis 50-jährigen Meditierenden entspricht der von 20- bis 30-jährigen Nicht-Meditierenden.


Langlebigkeit und Yoga

Aber gibt es auch direkte Beweise dafür, dass Yoga das Leben verlängert? Eine Studie untersuchte genau das 9 . Die Forscher verwendeten verknüpfte Daten aus dem National Death Index und der National Health & Nutrition Examination Survey – einer fortlaufenden, landesweit repräsentativen Erhebung über den Gesundheits- und Ernährungszustand der US-Bevölkerung. Den 22.598 Studienteilnehmern und -teilnehmerinnen wurde eine Reihe von Fragen zu ihren Lebensgewohnheiten gestellt – darunter auch, ob sie Yoga praktizierten.

Die Ergebnisse waren verblüffend. Innerhalb von durchschnittlich achteinhalb Jahren nach der Erhebung war das Sterberisiko bei den Teilnehmenden, die Yoga praktizierten, um fast zwei Drittel geringer als bei denjenigen, die dies nicht taten. Es gab nur einen Haken: Die Yogis und Yoginnen waren im Allgemeinen viel jünger als die durchschnittlichen Teilnehmenden. Wurde das Alter bei der Analyse berücksichtigt, gab es keinen Unterschied mehr zwischen der Sterblichkeit von Yogis und Nicht-Yoginnen.

Yoga scheint also doch nicht die Lebenserwartung zu erhöhen.

Daisy Taylor sprach in ihrem Interview über ihre 103-jährige Schwester und ihre fünf anderen Geschwister, die alle über 90 Jahre alt wurden. In Taylors Fall scheint ihre Langlebigkeit also eher ein Familienmerkmal zu sein. Aber Yoga scheint uns gesünder und vor allem geistig fitter im Alter zu halten. Und vielleicht kann es, wie bei Daisy Taylor, die Angst vor dem Alter nehmen.

Holger Cramer ist Professor für die Erforschung komplementärmedizinischer Verfahren. Ihn interessiert also alles, was nicht Teil der konventionellen Medizin ist, aber dennoch in der Bevölkerung stark nachgefragt wird.

Seit Januar leitet er den ersten deutschen Standort des internationalen Forschungsnetzwerks Cochrane Complementary Medicine, der in Zusammenarbeit der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen, des Universitätskinikums Tübingen und des Bosch Health Campus in Stuttgart gegründet wurde. 

Cramer und Kollegen überprüfen dort die Wirksamkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit komplementärer Verfahren wie Yoga, Akupunktur oder Ernährung und entwickeln und erweitern Methoden, diese zu untersuchen.


Mit der Gründung von Cochrane Complementary Medicine Germany schaffen wir eine Plattform, um die Forschung in diesem Bereich zu stärken und wissenschaftliche Erkenntnisse für die breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen. - Holger Cramer


1 Holger Cramer et al: “Effects of Yoga on Cardiovascular Disease Risk Factors: A Systematic Review and Meta-Analysis”, International Journal of Cardiology, 2014 May 1

2 Romy Lauche et al: “A systematic review and meta-analysis on the effects of yoga on weight-related outcomes”, Preventive Medicine, 2016 June

3 Holger Cramer et al: “Yoga for Depression Disorder: A Systematic Review and Meta-Analysis”, Depression and Anxiety, 2024 December 19

4 Holger Cramer et al: “Yoga for anxiety: A systematic review and meta-analysis of randomized control trials”, Depression and Anxiety, 2018 April 26

5 Chantal Villemure, “Neuroprotective effects of yoga practice: age-, experience-, and frequency-dependent plasticity”, Frontiers in Human Neuroscience, 2015 May 12

6 Sara W Lazar: “Meditation experience is associated with increased cortical thickness”, NeuroReport, 2005 Nov 28

7 Britta K Hölzel: “Mindfulness practice leads to increases in regional brain gray matter density”, Psychiatry Research: Neuroimiging, 2011 Jan 30

8 Tim Gard et al: “Fluid intelligence and brain functional organization in aging yoga and meditation practitioners”, Frontiers in Aging Neuroscience, 2014 April 22

9 Paul D. Loprinzi: “Yoga participation and all-cause mortality: National prospective cohort study”, Complementary Therapies in Medicine, December 2015

Text: Holger Cramer


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