Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2023: Leute

Moraltheologe, Ethiker und Brückenbauer

Zum Tode von Professor Dr. Gerfried Werner Hunold ein Nachruf von Franz-Josef Bormann

Gerfried Werner Hunold wurde am 18. April 1938 als drittes Kind in eine Kaufmannsfamilie in Oldenburg hineingeboren. Die Eltern waren Anfang der 1920er-Jahre infolge der wirtschaftlichen Verwerfungen nach dem ersten Weltkrieg aus dem Hochsauerland nach Norddeutschland umgezogen. Seine Schulzeit was einerseits durch die Diasporaerfahrung als einziger Katholik in der Schulklasse und andererseits durch die Kriegserlebnisse mit Fliegeralarm, Bombardierungen und NS-Schikane geprägt. Wie sein älterer Bruder, der bereits 1953 zum Priester geweiht wurde, schlug auch er die geistliche Laufbahn ein, jedoch nicht als Welt-, sondern als Ordenspriester in der Gemeinschaft der Franziskaner. Neben dem Studium von Philosophie und Theologie trieb er auch umfangreiche sozialwissenschaftliche und psychologische Studien und schaffte sich so das nötige Fundament dafür, die neuscholastischen Engführungen innerhalb der Theologie auch methodisch zu überwinden.

Nach der Priesterweihe 1965 folgte ein moraltheologisches Aufbaustudium an der Universität Bonn bei Franz Böckle, dessen Assistent er von 1967-1971 war. Das Thema seiner Dissertation lautete: „Ethik im Bannkreis der Sozialontologie. Eine theologisch-moralanthropologische Kritik des Personalismus“. Unmittelbar danach erhielt er einen Ruf auf den moraltheologischen Lehrstuhl am neu eingerichteten Studium Generale der Franziskaner und Kapuziner an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Münster. Seine 1978 ebenfalls in Bonn eingereichte Habilitationsschrift trägt den Titel „Identität und Norm. Studien zur sittlichen Struktur des Individuellen im Sozialen“ und versucht, das Spannungsverhältnis zwischen der individuellen Suche nach einem gelingenden Leben und sozialen Erwartungen auszuloten. Es folgten neben einer Lehrstuhlvertretung in Paderborn weitere Lehrveranstaltungen in Köln und Aachen, bevor ihn dann 1981 der Ruf auf den moraltheologischen Lehrstuhl an der Universität Tübingen erreichte, den er bis zum Sommersemester 2003 in der direkten Nachfolge Alfons Auers innehatte. Hier konnte er nicht nur das Projekt einer subjektorientierten, interdisziplinär ausgerichteten, kommunikativen Ethik systematisch vorantreiben, nachdem ihm sein Vorgänger das Terrain für ein integrales Zueinander von Theologischer Ethik und humanwissenschaftlicher Erkenntnis wohlbestellt hinterlassen hatte. Er verstand es auch,  mit der Identitäts-Thematik sowie der Medienethik neue inhaltliche Forschungsschwerpunkte zu entwickeln und zahlreiche größere Publikationsprojekte – wie ein Werkbuch zur Theologischen Ethik (2000) oder ein Lexikon der christlichen Ethik (2003) – erfolgreich zum Abschluss zu bringen, wobei er auch als Herausgeber mehrere Reihen („Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft“, „Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie“, „Forum Interdisziplinäre Ethik“, „Forum Medienethik“, etc.) hervortrat. 

Neben seiner regulären Lehrtätigkeit engagierte Hunold sich auch als Berater der Arbeitsgruppe Bioethik der Deutschen Bischofskonferenz, der Société Francaise de Reflexion Bioéthique (Paris), in der Europäischen Akademie für Umweltfragen, im europäischen Netzwerk "Medienethik" sowie als Leiter des Forschungsprojektes "Humangenetik, Embryonenforschung und Ethik" im Auftrag der Bundesministerin für Forschung und Technologie. In den mehr als zwei Jahrzehnten seiner Tübinger Lehrtätigkeit prägte Gerfried Hunold nicht nur zahlreiche Schülerinnen und Schüler, die später selbst eigene moraltheologische Lehrstühle einnehmen sollten. Er engagierte sich auch stark für den Zusammenhalt der Fakultät in teils schwierigen Zeiten, wobei seine noble und kommunikative Art immer wieder dazu beitrug, Gegensätze abmildern und neue Brücken zu bauen. Nach einem erfüllten Leben ist er am 14. November 2022 an seiner letzten Wirkungsstätte nach längerer Krankheit verstorben. Die Katholisch-Theologische Fakultät dankt Gerfried Hunold für seinen treuen Dienst und bewahrt ihm ein ehrenvolles Andenken.