Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2022: Leute

Forscher und Lehrer zu Iran, Syrien, Oman – und mehr

Zum Tode von Professor Dr. Karl-Heinz Gaube ein Nachruf von Lutz Richter-Bernburg

Am 20. März 2022 verstarb im Alter von 81 Jahren Dr. Heinz Gaube, von 1978 bis 2008 Professor für Irankunde an der Universität Tübingen. Gaubes Weg zu den Orientalischen Studien war keineswegs vorgezeichnet. Seine Kindheit in Böhmen, Sachsen-Anhalt und Schillingsfürst (im Hohenlohischen) während des Kriegs und der Nachkriegszeit war nicht schattenlos. Darauf folgten Schuljahre und eine abgeschlossene Optikerlehre in Wiesbaden. Anschließend erwarb Gaube, neben seiner Arbeit am Amerikanischen Stützpunkt Frankfurt, auf dem Abendgymnasium in Offenbach die Hochschulreife. Eine Reise in den Fruchtbaren Halbmond mit unterwegs glückhaft geschlossener Freundschaft bestimmte schließlich seine Fächerwahl: Von 1965 bis 1970 studierte er in Hamburg, Wien, Leningrad (heute Sankt Petersburg) – mit einem Abstecher zu Ausgrabungen in Samarkand –, Beirut und London Islamkunde, Iranistik, Semitistik, Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Theologie (Altes Testament).  

Die Autopsie von Kulturlandschaften in ihrer im Zeitverlauf wechselnden Identität, ihren transregionalen Verflechtungen und ihren ortsfesten wie beweglichen Denkmälern bestimmte vielleicht über alle Veränderungen und Neuansätze hinweg bis zuletzt sein wissenschaftliches Schaffen. Eine erste bedeutende Frucht der Verbindung von Text- und Realienstudien ist, wie schon im Titel widergespiegelt, Gaubes Hamburger Dissertation von 1970 „Die südpersische Provinz Arraǧān/Kūh-Gīlūyeh von der arabischen Eroberung bis zur Safawidenzeit: Analyse und Auswertung literarischer und archäologischer Quellen zur historischen Topographie“, erschienen Wien 1973. 

Ebenfalls schon während des Studiums und kurz danach entwickelte sich Gaubes Interesse an Numismatik, das sich für die Universität Tübingen später als dauerhafter, international beachteter Gewinn erweisen sollte. Nach einer Miszelle aus diesem Themenbereich legte Gaube noch 1973 mit Arabosasanidische Numismatik eine gewichtige Monographie vor, deren Titel wieder den Reiz von Übergangsphänomenen für ihn erkennen lässt. 

Postdoc in Beirut und Habilitation in Frankfurt

Das Jahrzehnt nach der Promotion brachte Gaube vielfältige, auch internationale Anerkennung für seine meist interdisziplinär „informierten“ Studien zu verschiedenen Aspekten des ge- und umbauten Raumes islamischer Kultur(en). Die erste Hälfte der 1970er-Jahre verbrachte er am Orient-Institut der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Beirut, einem zu dieser Zeit idealen Ausgangpunkt für Forschung in der Region – nicht nur aufgrund der Erkundbarkeit der historisch gestalteten Umwelt, sondern genauso aufgrund der dortigen Bibliotheksressourcen sowie des lebhaften multinationalen wissenschaftlichen Austausches in der libanesischen Hauptstadt. Gaube nutzte die sich ihm bietenden Möglichkeiten energisch und mit beeindruckenden, wegweisenden Ergebnissen. Verwiesen sei hier auf die Monographien Ein arabischer Palast in Südsyrien: Ḫirbet el-Baiḍa (Beirut 1974) und Arabische Inschriften aus Syrien (Beirut 1978) und vor allem auf die Vorarbeiten, die vorausblicken lassen auf Gaubes spätere weitausgreifenden, folgenreichen urbanistischen Untersuchungen, auch wenn die hier zu nennenden Studien bereits im Rahmen des Tübinger Sonderforschungsbereiches (über welchen unten mehr) erschienen sind: mit Eugen Wirth: „Der Bazar von Isfahan /Esfahan (Iran),“ TAVO-Karte A IX 9 (Beispiele orientalischer Großstädte. 9.4), Wiesbaden: Reichert 1977, und Der Bazar von Isfahan, ibid. 1978 (TAVO Beihefte B 22).

Auf Gaubes Habilitation 1976 in Frankfurt folgte eine Gastprofessur an der New York University. Mit der Berufung nach Tübingen auf eine Professur für Irankunde konnte Gaube dort ab 1978 für drei Jahrzehnte eine in Forschung wie Lehre beeindruckende Wirksamkeit entfalten. Unterbrochen wurde diese nur kurz, von 1980 bis 1981, durch eine Gastprofessur für History, Theory and Criticism of Architecture and Urbanism im Rahmen des Aga Khan Program for Islamic Architecture (AKPIA) am Massachusetts Institute of Technology (MIT).  

Sonderforschungsbereich Tübinger Atlas des Vorderen Orients (TAVO)

In den ersten anderthalb Jahrzehnten in Tübingen bewährte sich Gaubes pragmatischer, organisatorischer Sinn – neben seiner enormen wissenschaftlichen Produktivität – besonders im Rahmen des DFG-Sonderforschungsbereiches Tübinger Atlas des Vorderen Orients (TAVO). Außer den oben schon genannten Arbeiten und einer Fülle von Kartenbeiträgen zu diesem Projekt sind vor allem die in den „Beiheften“ veröffentlichten Stadtforschungen zu nennen: 1984 (mit Eugen Wirth) Aleppo: historische und geographische Beiträge zur baulichen Gestaltung, zur sozialen Organisation und zur wirtschaftlichen Dynamik einer vorderasiatischen Fernhandelsmetropole (TAVO Beihefte B 58; Arabisch: Beirut 2001), und 1993 (mit Günther Schweizer und Mohamed Scharabi) Taif: Entwicklung, Struktur und traditionelle Architektur einer arabischen Stadt im Umbruch (TAVO Beihefte B 86; Arabisch: Riad [ar-Riyāḍ] 1999). 

Aleppo und Buchara

Aus Gaubes zunächst wissenschaftlich-urbanistischem Interesse an Aleppo erwuchs bald ein umfassenderes Engagement für Erhaltung und Revitalisierung der Aleppiner Altstadt, dessen Erfolg – vor dem furchtbaren Krieg seit 2011 – wiederum neben forscherischem Spürsinn Gaubes Kommunikations- und Organisationstalent bezeugt. Zusammen mit syrischen und deutschen Mitstreitern gelang es dazu 1990, den Verein Freunde der Altstadt von Aleppo zu gründen. 

Gaubes Stadtforschung griff weit über den Fruchtbaren Halbmond hinaus nach Iran und Zentralasien; Isfahan wurde schon genannt, dazu trat die nicht weniger bedeutende, aber in mehrfacher Hinsicht weit entfernte Metropole Buchara (mit Anette Gangler and Attilio Petruccioli, Bukhara – the Eastern dome of Islam: urban development, urban space, architecture and population, Stuttgart etc.: Menges 2004).

Islamische Numismatik

Ohne Gaubes numismatisches Interesse hätte, wie schon angedeutet, die Universität Tübingen nie zu der international hochangesehenen Forschungsstätte für islamische Numismatik werden können, die sie heute darstellt. Erneut kann nur sein Talent im Wissenschaftsmanagement hervorgehoben werden, ohne welches der Erwerb der fast einmaligen Sammlung Album 1989 nie gelungen wäre. Numismatik ist für die Geschichte des Islams nicht eine gegebenenfalls négligeable Hilfswissenschaft, sondern unverzichtbar für ihren Quellenbeitrag.   

Hier ist nicht der Platz für eine Gesamtübersicht über Gaubes wissenschaftliches Œuvre, aber das große Interessensgebiet seiner letzten Schaffensphase kann nicht unberücksichtigt bleiben, zumal sich hier noch einmal die für ihn typische Breite der kultur-, sozial- und wirtschaftsgeographischen Perspektive zeigt. Es handelt sich um das Sultanat Oman in seiner internen naturräumlichen, religiösen, ethnischen Diversität sowie mit seinen interkontinentalen Beziehungen nach Ostafrika und Indien. In gewohnter Intensität betrieb Gaube, in Deutschland wie vor Ort, seine eigenen Studien und kümmerte sich zugleich um den Aufbau solider, gleichberechtigter Kooperationsbeziehungen zwischen allen Beteiligten auf omanischer, deutscher und anderer ausländischer Seite. An Publikationen können genannt werden: mehrere Beiträge in: Abdulrahman al-Salimi [ʽAbd ar-Raḥmān as-Sālimī], Heinz Gaube, Lorenz Korn (eds.), Islamic Art in Oman, Muscat: Mazoon 2008 (Arabisch: ibid. 2014), und mit Anette Gangler (eds.), Transformation Processes in Oasis Settlements in Oman, Muscat: Al Roya Press 2012. Dazu kommen seine Arbeiten in der Reihe Studies on Ibadism and Oman (Hildesheim etc.: Olms). 

Linden-Museum Stuttgart

Last but not least, und zudem in größerer Nähe zu Tübingen gelegen: das Linden-Museum in Stuttgart hat von Gaubes fachlicher Begleitung sehr profitiert – was unabhängig von allen Provenienz-Kontroversen Bestand hat.

Von Gaubes Begeisterung und Einsatz für seine Forschungsthemen wie auch seiner Kommunikationsgabe ist schon mehrfach die Rede gewesen. Sie zeichneten auch seine Lehrtätigkeit aus. Dazu kamen großzügige Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft gegenüber Studierenden wie Kollegen – er war ein ganzer Kerl.

Sympathie allen, deren Leben durch seinen Tod ärmer geworden ist!

Weitere Literaturhinweise:

Lorenz Korn, Florian Schwarz, Eva Orthmann (Hrsg.), Die Grenzen der Welt: Arabica et Iranica ad honorem Heinz Gaube, Wiesbaden: Reichert 2008

Michael Braune (et al. [Claus-Peter Haase und Mamoun Fansa, hrsg.]), Ein Forscher zwischen den Kulturen: Festgabe für Heinz Gaube zum 80. Geburtstag, Berlin: EB-Verlag [2020]