Die Auszeichnung zur Rede des Jahres durch das Seminar für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen gilt diesmal der Laudatio, die Joachim Kaiser auf Anne Sophie Mutter gehalten hat: „Wie ihre Kunst die Musikwelt veränderte.“ Wenn ein großer Redner und eine große Künstlerin zusammentreffen, so ist das ein seltener Glücksfall. Mit seiner Rede ehrt Joachim Kaiser eine einzigartige künstlerische Leistung und führt uns zugleich in eine andere Welt, in der sich Ernst und Anmut, Disziplin und Heiterkeit zum wahrhaft menschlichen Lebensinhalt verdichten.
Was der Redner über ihre Konzerte sagt: „Sie gehen über den Rahmen des Gewohnten, Schönen, Alltäglichen astronomisch hinaus“, gilt auch für ihn selber, der die Musik-Kritik und Musik-Interpretation auf eine Höhe gebracht hat, die singulär ist und dem Kenner ebenso großen Gewinn bringt wie dem musikliebenden Laien. Mit welcher Leichtigkeit Kaiser fast wie nebenbei auch in dieser Rede erhellende Einsichten über die zeitgenössische Violin-Literatur und Anne Sophie Mutters unerhörte Interpretationskunst einflicht, wie er Anekdotisches, eigene Erlebnisse und subtile Erklärung miteinander verknüpft, ist eine hinreißende rednerische Leistung. Sie wird vom rhetorischen Geheimtip zur Rede des Jahres 2008, weil sie einen eigenen kategorischen Imperativ enthält: die Welt der Zahlen und Figuren, der ökonomischen Verwertbarkeit und hemmungslosen Ausbeutung zu überschreiten, auf das nie erlöschende Licht der Musik hin. Es gibt nicht Aktuelleres als Kaisers so indirekt liebenswürdige wie radikale Absage an den Ungeist der Zeit, in der wir leben.
Jury: Seminar für Allgemeine Rhetorik
Sprecher der Jury: Prof. Dr. Gert Ueding
Text der Rede