Forschung im Rahmen der Experimentellen Mineralogie

Magmatische und vulkanische Systeme bei hohem Druck und Temperatur sind nicht direkt zugänglich, um ihre physikalisch-chemischen Eigenschaften und damit verbundenen kinetischen Prozesse zu untersuchen. Die Experimentelle Mineralogie bietet Werkzeuge zur Untersuchung dieser Systeme unter kontrollierten Laborbedingungen, z.B. zur Bestimmung der Phasenverhältnisse, der Löslichkeit und Diffusion flüchtiger Gaskomponenten und von Entgasungsprozessen. Die experimentellen Ergebnisse sind entscheidend für das Verständnis der Magmaeigenschaften und -dynamik im Erdinneren, bei Vulkanausbrüchen an der Schnittstelle von Geosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre bis hin zur Wechselwirkung von geschmolzener Vulkanasche mit Turbinenschaufeln in Triebwerken. 

 

Eigenschaften und Dynamik aufsteigender magmatischer Systeme

Die Entgasung der H2O-gesättigten Silikatschmelze beeinflusst die Dynamik des Magmaaufstiegs und der Vulkanausbrüche erheblich. Die experimentelle Untersuchung des aufsteigenden H2O-reichen Magmas während der kontrollierten Dekompression ist essentiell für das Verständnis der H2O Fluid-Silikat-Schmelz-Phasentrennung, Entgasung und am Ende für die Interpretation von Texturen und flüchtigen Bestandteilen, die in Gesteinen und Aschen von hochriskanten Vulkansystemen wie Vesuv und Campi Flegrei aufgenommen wurden. Diese Untersuchungen liefern nützliche Werkzeuge für die Beurteilung der vulkanischen Gefährdung.

 

Physikalisch-chemische Eigenschaften von flüchtig tragendem Magma

Die signifikanten Zusammensetzungsvariationen von Gasen, die während aktiver vulkanischer Phasen freigesetzt werden, sind wenig verstanden. Folglich ist die Modellierung solcher Prozesse nicht sehr eingeschränkt. Der Ätna ist ein ideales Referenzsystem für experimentelle Studien, da die Petrologie und die freigesetzten Gaskomponenten bereits im Detail untersucht und überwacht werden. Die experimentelle Bestimmung der flüchtigen Aufteilung zwischen basaltischen Schmelzen und komplexen H-O-S-Cl - Flüssigkeiten in Abhängigkeit von Druck und Temperatur ist Voraussetzung für die geochemische Modellierung der basaltischen Schmelzentgasung. Weitere Schwerpunkte sind die Bestimmung der Diffusions- und Diffusionsmechanismen von flüchtigen Bestandteilen und die spektroskopische Untersuchung der Einbaumechanismen flüchtiger Komponenten in Silikatschmelzen bei hohen Temperaturen und Drücken.

 

Phasenbeziehungen in magmatischen Systemen großer Eruptivprovinzen und mehrschichtige Intrusionen

Die Bildung großer Eruptivprovinzen in der Erdgeschichte wird oft als synchron mit Krisen im Weltklima und Massenaussterben aufgrund der massiven flüchtigen Freisetzung in die Atmosphäre und Hydrosphäre angesehen. Neben dem Einfluss der chemischen Zusammensetzung spielen gelöste flüchtige Bestandteile und Sauerstoffverflüchtigung eine grundlegende Rolle bei den Phasenbeziehungen und damit bei den magmatischen Differenzierungs- und Entgasungstrends. Die Bestimmung der präeruptiven Bedingungen der Magmakammern großer magmatischer Provinzbasalte durch einen Vergleich der Chemie von Naturgesteinen mit Ergebnissen aus Experimenten zur flüchtigen Löslichkeit und zum Phasengleichgewicht bei hohem Druck und hoher Temperatur ist unerlässlich, um den flüchtigen Haushalt und das Entgasungspotenzial großer magmatischer Provinzen zu schätzen. 

Hochfraktionierte, peralkalische, eisenreiche Schmelzen des magmatischen Komplexes Ilímaussaq (Südgrönland) weisen ein ungewöhnlich hohes Kristallisationsintervall von mehr als 500 °C auf. Um die flüssige Abstiegslinie zu verfolgen, wird die fraktionierte Kristallisation experimentell unter stark reduzierten Bedingungen simuliert, indem mehrstufige Experimente in Graphitkapseln durchgeführt werden, um die verschiedenen Phasen der magmatischen Phasenassemblagen zu reproduzieren. Diese Daten sind wichtig, um die Entwicklung der Schmelzzusammensetzung und die Anreicherung von Seltenerdelementen bei der Bildung komplexer magmatischer Schichteinbrüche zu modellieren.

 

Übergangsmetalle in Silikatschmelzen und kristallinen Phasen

Übergangsmetalle sind wichtige kompatible Spurenelemente in magmatischen Systemen. Die Mineralschmelze ist entscheidend für das Verständnis der wichtigsten erdbildenden Prozesse wie die Entwicklung des Mantels und der Kruste. Spektroskopische Untersuchungen zeigen, dass das am häufigsten vorkommende flüchtige H2O die Koordinationsumgebung von Übergangselementen beeinflusst. Die Bildung von Hydratationsschalen um Übergangselemente herum beeinflusst die Verteilung dieser Elemente zwischen Silikatschmelzen, Mineralien und Flüssigkeiten um zwei Größenordnungen. Dies würde ausreichen, um Übergangsmetalle bei der magmatischen Fraktionierung von kompatiblen in leicht inkompatible Elemente umzuwandeln.

Das Hochdruckverhalten von chromo-orthosilikat (Cr2SiO4) wurde mittels elektronischer Absorptionsspektroskopie und Röntgenbeugung in einer Diamantambosszellen untersucht. Die experimentellen Daten deuten darauf hin, dass die Chromkationen bei hohem Druck Dimere mit einer schwachen Metall-Metall-Verbindung in der Silikatstruktur bilden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass multiple Metall-Metall-Bindungen und Dimerisierungen Übergangsmetallspezies in silikatischen Kristall- und Schmelzstrukturen bei hohen Drücken und Temperaturen stabilisieren. Dieses überraschende Ergebnis liefert wichtige geochemische Randbedingungen für die geochemische Fraktionierung von Übergangsmetallen während der frühen Evolution der Erde.
 

Vulkanascheablagerung in Gasturbinen und Auswirkungen auf die Sicherheit von Triebwerken

Die langwierige Einstellung von Verkehrsflugzeugen in ganz Europa aufgrund des Vulkanausbruchs von Eyjafjallajökull in Island im April 2010 hat die Öffentlichkeit auf die potenziellen Gefahren von Flugzeugangriffen auf Aschewolken aufmerksam gemacht. Eines der schwerwiegendsten Probleme ist der Ausfall von Düsenturbinen durch die Abscheidung von geschmolzenen Silikataschepartikeln auf heißen Turbinenkomponenten. In einer experimentellen Studie zeigen wir den Einfluss der vulkanischen Aschezusammensetzung, des Kristall/Glas-Verhältnisses und der resultierenden Volumenviskosität auf die Wechselwirkung von Aschepartikeln mit heißen Turbinenschaufeln und -schaufeln. Eine Reihe von vulkanischen Materialien werden verwendet, um das Ascheschmelzen während des Transports durch die Brennkammer und die Abscheidung auf einer Turbinenschaufel aus einer Nickel-Superlegierung zu simulieren, die üblicherweise für die heißen Komponenten in Triebwerken verwendet wird. Die Ergebnisse zeigen, wie die "On-Blade"-Ansammlung geschmolzener Partikel unter Umständen zu einer effizienten Haftung (Benetzung) und einer anschließenden schnellen Ansammlung weiterer geschmolzener Materialien führen kann. In anderen Fällen bilden Partikel eine schlackeartige Schicht oder prallen vollständig von der Klinge ab. Jegliche Ablagerungen stören den Luftstrom in der Turbine, verstopfen das Kühlsystem und führen schließlich zum Stillstand des Motors. Die Schlackeablagerungen können jedoch in unseren Experimenten (und auch während des Fluges für einen echten Motor) durch Abschalten der Wärmequelle entfernt werden, so dass die Ablagerung durch thermisches Spannungsrissen abgeschreckt und gelöst werden kann. Dieses derzeit empfohlene Sicherheitsverfahren für Flugzeuge funktioniert jedoch nicht bei basaltischen Schmelzen, die die Blattoberfläche effizienter benetzen. Unsere Experimente zeigen, wie die Beschaffenheit der einströmenden Aschepartikel die Art der gebildeten Ablagerung stark beeinflusst, wobei die wichtigsten Parameter die Zusammensetzung der Schüttgüter, der Kristallanteil und die Partikelgröße sind.

 

Verbesserung der Hochdruck-Hochtemperatur-Experimentiertechniken

Ein Bündel experimenteller Hochdruck-Hochtemperaturtechniken an der Grenze der technischen und materiellen Machbarkeit sind notwendig, um ein breites Spektrum mineralogischer und geologischer Fragestellungen zu untersuchen, das von der magmatischen Differenzierung, dem Magmaaufstieg und der Entgasung, explosiven Vulkanausbrüchen und der Kohlendioxidsequestrierung in potenziellen Wirtsgesteinen an der Verzahnung von Biosphäre, Hydrosphäre und Geosphäre reicht. So ist die erfolgreiche Entwicklung experimenteller Hochdruck-Hochtemperaturapparate eine Voraussetzung für die Simulation extremer Druck- und Temperaturbedingungen, die von der Entwicklung einer Saphir-Ambosszelle für in situ-spektroskopische Untersuchungen an wasserhaltiger Silikatschmelze über die Verbesserung von Druckbehältern mit Schnellabschreckanlagen, die Steuerung der Sauerstofffließfähigkeit in Druckbehältern, sehr hochtemperaturfähige Gasdruckbehälteröfen bis 1500 °C und ein Hochdruck-Niederdruckdosierventil zur kontrollierten Druckentlastung reicht. Eine Olivin-Einkristallkapseltechnik wurde erfolgreich etabliert, um Experimente mit schwefelgesättigten basaltischen Schmelzen bei Temperaturen > 1050 °C und hohem Druck durchzuführen. Darüber hinaus wurde ein Autoklavsystem zur Untersuchung der Kohlenstoffisotopenfraktionierung zwischen CO2-Gas und wässrigem Fluid bei erhöhten Drücken und Temperaturen aufgebaut. Während der Experimente zur Analyse von Kohlenstoffisotopen kann die Gas- und Fluidphase entnommen werden. Ein Durchfluss-Autoklav wurde für die Untersuchung der CO2-Flüssigkeit-Gestein-Wechselwirkung bei erhöhten Drücken und Temperaturen konstruiert und erfolgreich betrieben. 

Verwandte Publikationen sind hier aufgeführt:

https://uni-tuebingen.de/fakultaeten/mathematisch-naturwissenschaftliche-fakultaet/fachbereiche/geowissenschaften/arbeitsgruppen-kontakte/mineralogie-geodynamik/forschungsbereich/experimentelle-mineralogie/arbeitsgruppe/publikationen/

 

Einige Forschungsperspektiven

Grundlegende Ziele der Arbeitsgruppe "Experimentelle Mineralogie" sind detaillierte Einblicke in dynamische Prozesse des Erdinneren, die zur heutigen Form der Erde geführt haben und noch Auswirkungen auf unseren Lebensraum haben. Diese Forschung bietet mehrere leistungsstarke Werkzeuge zur Untersuchung der Zusammensetzung, Struktur und Dynamik des Erdinneren bei hohen Temperaturen und Drücken. Die Forschung ist motiviert, die Wechselwirkung von Flüssigkeiten und flüchtigen Bestandteilen (z.B. H2O, CO2, SO2/H2S, Cl, Edelgase) mit der Geosphäre zu verstehen, um eruptive Prozesse aus der flüchtigen Verteilung in Vulkangläsern zu rekonstruieren. Diese Untersuchungen sind nicht nur von lokalem Interesse, z. B. zur Abschätzung des Gefährdungspotenzials der in der Nähe aktiver Vulkane lebenden Bevölkerung, sondern auch von globaler Bedeutung, z. B. zum Verständnis der klimatischen Auswirkungen großer Eruptionen und Superausbrüche in der Erdgeschichte. 

Voraussetzung für das Verständnis und die Modellierung von Prozessen, die für den Magmaaufstieg und Vulkanausbrüche relevant sind, ist ein kombiniertes Wissen über die kinetischen und thermodynamischen Eigenschaften von Magma bei erhöhten Drücken und Temperaturen. Die Entgasung und Kristallisation von Magma beeinflusst maßgeblich die rheologischen Eigenschaften und damit die Fragmentierung und den Ausbruchstil. Das piezoaktorgesteuerte Hochdruck-Niederdruck-Dosierventil, das mit einem von unserer Gruppe konstruierten Gasdruckbehälter gekoppelt ist, ermöglicht kontrollierte kontinuierliche Dekompressionsexperimente zur Untersuchung von Entgasungs- und Kristallisationsprozessen, die der Natur vergleichbar sind. 
 

Fluid-Schmelz-Gestein-Wechselwirkungen: von Mikron- bis Globalmaßstab

Fluid-Gestein-Wechselwirkungen im Mikrometerbereich lösen makroskopische metamorphe Prozesse aus und induzieren bei ausreichend hohen Temperaturen eine intensive Magmabildung in der Erdkruste und im oberen Mantel. Wechselwirkungen zwischen Fluid und Mineral-Schmelze steuern den Magmaaufstieg und Vulkanausbrüche in hohem Maße. 

Für gegebene Druck-, Temperatur- und Zusammensetzungsbedingungen prognostiziert die Thermodynamik den makroskopischen Zustand eines ausgeglichenen Systems. Unabhängig von der Größenordnung (z. B. regional oder mikroskopisch) werden Fluid-Schmelz-Gestein-Wechselwirkungen jedoch durch eine Reihe dynamischer Prozesse im Nano- und Mikron-Bereich gesteuert, darunter (1) Lösung/Ausfällung, (2) Rekristallisation, (3) Oberflächen- und Korngrenzendiffusion und (4) Volumendiffusion. Zeit und Geometrie müssen berücksichtigt werden, um die Reaktionskinetik von Fluid-Schmelz-Gestein-Interaktionsprozessen zu untersuchen. Chemische und isotopische Heterogenitäten sind eine leistungsstarke Informationsquelle über die Bedingungen und die zeitliche Entwicklung der Fluid-Schmelz-Gestein-Wechselwirkung und liefern entscheidende Hinweise auf Prozesse und Geschwindigkeiten, die den Stoffaustausch bis in den globalen Maßstab beeinflussen. Um diese Informationen richtig zu interpretieren, müssen wir jedoch die komplexen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Prozessen, Mechanismen und Raten verstehen. 

Trotz erheblicher Anstrengungen in den letzten Jahrzehnten ist das Verständnis der Wechselwirkung zwischen Fluiden, Schmelzen und Mineralien im Mikrometerbereich immer noch schwierig. Die Grundparameter, die die Reaktion von Mineralien steuern, Entflüchtigung, Schmelzbildung, Flüssigkeitsauflösung und flüchtige Entgasung in dynamischen Systemen wie Subduktionszonen oder großen magmatischen Provinzen mit Quellen tief im Erdmantel, die wichtige Bestandteile geochemischer Kreisläufe sind, sind nach wie vor selten. Daher wäre es schwierig, experimentell bestimmte Fluid-Mineral-Schmelz-Wechselwirkungen und geochemische Analysemethoden im Mikrometerbereich mit großräumigen geologischen Prozessen zu verbinden. 

Die oben dargestellten Forschungsperspektiven zeigen, dass die Experimentelle Mineralogie eine wichtige Schnittstelle zu vielen Forschungsbereichen wie Petrologie, Geochemie, Geophysik, Angewandte Geologie, Kristallographie und Materialwissenschaften ist.