Ich freue mich, Ihnen die Neuigkeiten und Aktivitäten des ZITh im aktuellen Newsletter präsentieren zu dürfen. Die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland als notwendige Basis für die Zukunft Europas ist zurzeit in aller Munde, nicht zuletzt nach der Unterzeichnung des neuen deutsch-französischen Vertrags in Aachen am 22. Januar. Auch für das akademische Studium des Islams, seiner Geschichte, Gesellschaften und Kulturen, haben Frankreich und Deutschland mit ihren respektiven Forschungstraditionen eine enorme und immer noch anhaltende Bedeutung. Der deutsche Orientalismus mit seiner ehrwürdigen Philologie wird immer noch auf der ganzen Welt mit Ehrfurcht und Hochachtung erwähnt, wenn Namen wie die der Tübinger Islamwissenschaftler Rudi Paret oder Josef Van Ess fallen, während in Frankreich die Werke eines Louis Massignon, Henry Corbin oder Louis Gardet für eine feinspürige und bahnbrechende Erschließung der islamischen Theologie, Philosophie und Mystik stehen.
Beide Forschungstraditionen stehen nun, vor allem seit 9/11, vor gewaltigen Erwartungen und Umwälzungen und damit auch vor neuen Herausforderungen. Neben fachlichen Fragen, wie zum Beispiel der Spannung zwischen philologischen und anthropologischen Schwerpunktsetzungen, sind vor allem gesellschaftliche Entwicklungen und geopolitische Ereignisse zu nennen, wie in etwa die Beheimatung islamischer Identitäten in Europa und insbesondere die schrecklichen Attentate in Frankreich, die die wissenschaftliche Islam-Expertise auf eine neue Weise in die öffentliche Wahrnehmung rücken. Beide Länder haben auf diese Herausforderungen verschiedentlich, ihren rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen entsprechend, reagiert – Deutschland durch die Akademisierung der islamischen Theologie, Frankreich setzt stärker auf den Ausbau einer gesellschaftswissenschaftlich orientierten Islamwissenschaft ohne konfessionellen Bezug. Nun kommt ganz offensichtlich der Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland eine entscheidende Bedeutung für das Projekt Europa zu. Für das Gelingen dieses Projekts ist eine Kooperation auf dem Gebiet der Forschung und Lehre unerlässlich, und, wie ich meine, auf dem Gebiet der Islam-Studien ist eine solche Kooperation, die beide akademische Traditionen und bildungspolitische Ansätze zusammenbringt, geradezu eine der Voraussetzungen für die Bewältigung der gesellschaftlichen und kulturellen Herausforderungen, vor denen das Europa des 21. Jahrhunderts steht.
Das ZITh ist bereits seit 2017 mit dem von der EU geförderten Projekt Inter-Religio in dieser Hinsicht sehr engagiert. Die darin vorgesehenen Pläne für einen europäischen Joint Master für interreligiöse Studien, in welchem dem ZITh eine Schlüsselrolle zukommt, haben sich erheblich konkretisiert. Zu nennen ist auch das deutsch-französische Forschungsprojekt „The Presence of the Prophet in Early Modern and Modern Islam“, das von der ANR und der DFG gefördert wird und in dem unter anderem der Tübinger Lehrstuhl für Hadithwissenschaften mitarbeitet, sowie der Festakt „60 Jahre Hochschulkooperation mit der Aix-Marseille Université“ im Oktober 2018, in dem ich mit meinen ehemaligen Professor für Arabisch aus Aix-en-Provence, Mohamed Bakhouch, über Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen dem ZITh und dem IREMAM referieren durfte (siehe Berichte). Diese Initiativen und Projekte unterstreichen das Potenzial des ZITh als Lehr- und Forschungseinrichtung für theologische Islamstudien mit Blick auf die Herausforderungen einer deutsch-französisch und europäisch angelegten Bildungspolitik.
In diesem Sinn ist ferner von der internationalen Tagung „Hadith and Inner-Islamic Pluralism: The Origin and Development of the Prophetic Tradition as Trans-Denominational Phenomenon“ zu berichten, die Anfang Dezember in Tübingen stattgefunden hat und von der Exzellenzinitiative der Universität Tübingen gefördert wurde. Die Besonderheit dieser Tagung besteht darin, dass sie aus einer Zusammenarbeit zwischen der Islamischen Theologie und der Orientalistik in Tübingen entstanden ist und Wissenschaftler*innen aus vier Kontinenten und vielfältigen Forschungsrichtungen zusammengebracht hat. Die interdisziplinäre Ausrichtung dieser Tagung beruht auf der Auffassung, dass der Austausch zwischen der islamischen Theologie und der Islamwissenschaft die Erforschung des Hadith vorantreibt und zur Vertiefung unseres Verständnisses für diese einzigartige und faszinierende Schöpfung der islamischen Wissenschaft und Kultur führt. Dabei haben beide Fachgebiete sicherlich eine verschiedene Sichtweise auf den Hadith und verfolgen damit unterschiedliche Erkenntnisinteressen: Während für die islamische Theologie der Hadith im Hinblick auf Bedeutung, Inhalt, Überlieferung und Interpretation der prophetischen Lehre und Praxis befragt wird, betrachtet die Islamwissenschaft den Hadith primär als historisches Dokument, das Einblicke in die Geschichte und Konfiguration von Gesellschaften und Kulturen in der muslimischen Welt ermöglicht. Beide Ansätze, das hat diese Tagung eindrucksvoll gezeigt, haben jedoch ein gemeinsames Interesse an der Geschichte der Hadithüberlieferung und Literatur sowie an der Bedeutung des Hadith für die Geschichte und Gegenwart des Islams im Allgemeinen. Die besondere Bedeutung dieser Tagung wird außerdem dadurch unterstrichen, dass sie zur Gründung eines akademischen Netzwerks für Hadithforschung geführt hat (siehe Nachrichten). Als Standort des derzeit einzigen besetzten Lehrstuhls in Europa, der sich gezielt dem Studium und der Lehre des Hadith und den Literaturen über den Propheten Muhammad widmet, konnte das ZITh damit einen bemerkenswerten Beitrag leisten für die Entwicklung eines dynamischen und koordinierten Austauschs in einem wesentlichen Fachbereich der akademischen Islamstudien.
In diesem Jahr wird außerdem die Akkreditierung der fünf Studiengänge des ZITh in Angriff genommen. Die wertvollen Erfahrungen der letzten Jahre geben uns die Möglichkeit, Verbesserungen in der Abstimmung zwischen Modulen und Lehrveranstaltungen sowie den Lehrinhalten und Lernzielen vorzunehmen. Damit können wir effektive Maßnahmen zur Qualitätssicherung unseres vielseitigen Lehrangebots umsetzen und das theologische Kompetenzspektrum sowie den Berufsbezug der Studiengänge weiterentwickeln und ausbauen. Die Vorsitzende der Studienkommission Jun.-Prof. Fahimah Ulfat und ihr Team sind dabei, in Absprache mit den Gremien des ZITh und der Universität die Akkreditierung vorzubereiten, um diesen wichtigen Schritt in der Entwicklung des ZITh erfolgreich durchzuführen.
Mit Stolz erfüllt uns die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Uppsala (Schweden) an unsere Stellvertretende Zentrumsdirektorin, Frau Prof. Lejla Demiri - herzlichen Glückwunsch und weiter so! Ganz herzlich gratulieren dürfen wir noch unseren frisch promovierten Kollegen Abdelaali El Maghraoui ("Geld im islamischen Recht: Die Grundzüge einer Geldtheorie nach der Rechtslogik ausgewählter klassisch-muslimischer Gelehrter") und Patrick Brooks ("Die Lehren Jesu im arabisch-islamischen Schrifttum: Eine Untersuchung ausgewählter Überlieferungen zur Bergpredigt sowie weiterer ethisch-asketischer Jesusworte") für ihre erfolgreichen Disputationen am ZITh sowie Mujadad Zaman ("The University in the Knowledge Society: A Neo-Institutionalist Approach to the ‘Idea’ of the University") für seine Promotion an der Faculty of Education in Cambridge.
Im Anbetracht dieser und vieler anderer erfreulicher und spannender Neuigkeiten darf ich allen Studierenden, Kolleginnen und Kollegen, sowie Freunden und Interessierten ein erfolgreiches Semester und eine spannende Lektüre wünschen!
Ihr
Ruggero Vimercati Sanseverino